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(Zu den musikalischen Berichten aus Paris.)
Paris, den 1. März 1836.
Für die schöne Welt von Paris war gestern ein merkwürdiger Tag: – die erste Vorstellung von Meyerbeer's langersehnten »Hugenotten« gab man in der Oper, und Rothschild gab seinen ersten großen Ball in seinem neuen Hotel. Ich wollte von beiden Herrlichkeiten an demselben Abend genießen, und habe mich so übernommen, daß ich noch wie berauscht bin, daß mir Gedanken und Bilder im Kopfe taumeln, und daß ich vor lauter Betäubnis und Ermüdung fast nicht schreiben kann. Von Beurteilung kann gar nicht die Rede sein. »Robert-le-Diable« mußte man ein Dutzendmal hören, ehe man in die ganze Schönheit dieses Meisterwerks eindringen konnte. Und wie Kunstrichter versichern, soll Meyerbeer in den »Hugenotten« noch größere Vollendung der Form, noch geistreichere Ausführung der Details gezeigt haben. Er ist wohl der größte jetzt lebende Kontrapunktist, der größte Künstler in der Musik; er tritt diesmal mit ganz neuen Formschöpfungen hervor, er schafft neue Formen im Reiche der Töne, und auch neue Melodien gibt er, ganz außerordentliche, aber nicht in anarchischer Fülle, sondern wo er will und wann er will, an der Stelle, wo sie nötig sind. Hierdurch eben unterscheidet er sich von andern genialen Musikern, deren Melodienreichtum eigentlich ihren Mangel an Kunst verrät, indem sie von der Strömung ihrer Melodien sich selber hinreißen lassen und der Musik mehr gehorchen als gebieten. Ganz richtig hat man gestern im Foyer der Oper den Kunstsinn von Meyerbeer mit dem Goethe'schen verglichen. Nur hat, im Gegensatz zu Goethe, bei unserm großen Maestro die Liebe für seine Kunst, für seine Musik, einen so leidenschaftlichen Charakter angenommen, daß seine Verehrer oft für seine Gesundheit besorgt sind. Von diesem Manne gilt wahrhaftig das orientalische Gleichnis von der Kerze, die, während sie andern leuchtet, sich selber verzehrt. Auch ist er der abgesagte Feind von aller Unmusik, allen Mißtönen, allem Gegröle, allem Gequicke, und man erzählt die spaßhaftesten Dinge von seiner Antipathie gegen Katzen und Katzenmusik. Schon die Nähe einer Katze kann ihn aus dem Zimmer treiben, sogar ihm eine Ohnmacht zuziehen. Ich bin überzeugt, Meyerbeer stürbe, wenn es nötig wäre, für einen musikalischen Satz, wie andere etwa für einen Glaubenssatz. Ja, ich bin der Meinung, wenn am jüngsten Tage ein Posaunenengel schlecht bliese, so wäre Meyerbeer kapabel, im Grabe ruhig liegen zu bleiben und an der allgemeinen Auferstehung gar keinen Teil zu nehmen. Durch seinen Enthusiasmus für die Sache sowie auch durch seine persönliche Bescheidenheit, sein edles, gütiges Wesen, besiegt der gewiß auch jede kleine Opposition, die, hervorgerufen durch den kolossalen Erfolg von »Robert-le-Diable«, seitdem hinlängliche Muße hatte, sich zu vereinigen, und die gewiß dieses Mal bei dem neuen Triumphzug ihre bösmäuligsten Lieder ertönen läßt. Es darf Sie daher nicht befremden, wenn vielleicht einige grelle Mißlaute in dem allgemeinen Beifallsrufe vernehmbar werden. Ein Musikhändler, welcher nicht der Verleger der neuen Oper, wird wohl das Mittelpünktchen dieser Opposition bilden, und an diesen lehnen sich einige musikalische Renomméen, die längst erloschen oder noch nie geleuchtet.
Es war gestern abend ein wunderbarer Anblick, das eleganteste Publikum von Paris, festlich geschmückt, in dem großen Opernsaale versammelt zu sehen, mit zitternder Erwartung, mit ernsthafter Ehrfurcht, fast mit Andacht. Alle Herzen schienen erschüttert. Das war Musik. – Und darauf der Rothschild'sche Ball. Da ich ihn erst um vier Uhr diesen Morgen verlassen und noch nicht geschlafen habe, bin ich zu sehr ermüdet, als daß ich Ihnen von dem Schauplatze dieses Festes, dem neuen, ganz im Geschmack der Renaissance erbauten Palaste, und von dem Publikum, das mit Erstaunen darin umherwandelte, einen Bericht abstatten könnte. Dieses Publikum bestand, wie bei allen Rothschild'schen Soiréen, in einer strengen Auswahl aristokratischer Illustrationen, die durch große Namen oder hohen Rang, die Frauen aber mehr durch Schönheit und Putz, imponieren könnten. Was jenen Palast mit seinen Dekorationen betrifft, so ist hier alles vereinigt, was nur der Geist des 16. Jahrhunderts ersinnen und das Geld des 19. Jahrhunderts bezahlen konnte; hier wetteiferte der Genius der bildenden Kunst mit dem Genius von Rothschild. Seit zwei Jahren war an diesem Palast und seiner Dekoration beständig gearbeitet, und die Summen, die daran verwendet worden, sollen ungeheuer sein. Herr von Rothschild lächelt, wenn man ihn darüber befragt. Es ist das Versailles der absoluten Geldherrschaft. Indessen muß man den Geschmack, womit alles ausgeführt ist, ebensosehr wie die Kostbarkeit der Ausführung bewundern. Die Leitung der Verzierungen hatte Herr Duponchel übernommen, und alles zeugt von seinem guten Geschmack. Im ganzen, so wie in Einzelheiten, erkennt man auch den feinen Kunstsinn der Dame des Hauses, die nicht bloß eine der hübschesten Frauen von Paris ist, sondern ausgezeichnet durch Geist und Kenntnisse, sich auch praktisch mit bildender Kunst, nämlich Malerei, beschäftigt. – Die Renaissance, wie man das Zeitalter Franz I. benannt, ist jetzt Mode in Paris. Alles möbliert und kostümiert man jetzt im Geschmacke dieser Zeit; ja, manche treiben dieses bis zur Wut. Was bedeutet diese plötzlich erwachte Leidenschaft für jene Epoche der erwachten Kunst, der erwachten Lebensheiterkeit, der erwachten Liebe für das Geistreiche in der Form der Schönheit? Vielleicht liegen in unserer Zeit einige Tendenzen, die sich durch diese Sympathie beurkunden.
(Zur »Lutetia«, Parlamentarische Periode des Bürgerkönigstums.)
Paris, den 20. Mai 1842.
In diesem Augenblick freilich sind die meisten Völker noch darauf hingewiesen, ihr Nationalgefühl auszubilden oder vielmehr auszubeuten, um zur innern Einheit, zur Zentralisation ihrer Kräfte zu gelangen und somit auch nach außen den bedrohlichen Nachbarn gegenüber zu erstarken. Aber das Nationalgefühl ist nur Mittel zum Zweck, es wird wieder erlöschen, sobald dieser erreicht ist, und es hat keine so große Zukunft wie jenes Bewußtsein des Weltbürgertums, das von den edelsten Geistern des 18. Jahrhunderts proklamiert worden, und früh oder spät, aber auf immer, auf ewig, zur Herrschaft gelangen muß. Wie tief dieser Kosmopolitismus in den Herzen der Franzosen wurzelt, das beurkundete sich recht sichtbar bei Gelegenheit des Hamburger Brandes. Die Partei der Menschheit hat da einen großen Triumph gefeiert. Es übersteigt alle Begriffe, wie gewaltig das Mitgefühl hier alle Volksklassen erfaßte, als sie von dem Unglück hörten, das jene ferne deutsche Stadt betroffen, deren geographische Lage vielleicht den wenigsten bekannt war. Ja, bei solchen Anlässen zeigt es sich, daß die Völker dieser Erde inniger verbunden sind, als man da und dort ahnen oder wünschten mag, und daß bei aller Verschiedenheit der Interessen dennoch eine glühende Bruderliebe in Europa auflodern kann, wenn die rechte Stunde kommt. Hatte aber die Nachricht von jenem furchtbaren Brande bei den Franzosen, die gleichzeitig im eignen Hause ein schmerzliches Schrecknis erlebten, die rührendste Sympathie hervorgerufen, so mußte die Teilnahme in noch stärkerem Grade stattfinden bei den hier wohnenden Deutschen, die ihre Freunde und Verwandten in Hamburg besitzen. Unter den Landsleuten, die sich bei dieser Gelegenheit durch mildtätigen Eifer auszeichneten, muß Herr James von Rothschild ganz besonders genannt werden, wie denn überhaupt der Name dieses Hauses immer hervortritt, wo ein Werk der Menschenliebe zu verrichten ist. Und mein armes Hamburg liegt in Trümmern, und die Orte, die mir so wohl bekannt, mit welchen alle Erinnerungen meiner Jugend so innig verwachsen, sie sind ein rauchender Schutthaufen! Am meisten beklage ich den Verlust jenes Petriturmes – er war über die Kleinlichkeit seiner Umgebung so erhaben! Die Stadt wird bald wieder aufgebaut sein mit neuen, gradlinigen Häusern und nach der Schnur gezogenen Straßen, aber es wird doch nicht mehr mein altes Hamburg sein, mein altes, schiefwinkliges, schlabbriges Hamburg. Der Breitengiebel, wo mein Schuster wohnte und wo ich Austern aß, bei Unbescheiden – ein Raub der Flammen! Der »Hamburger Korrespondent« meldet zwar, daß der Dreckwall sich bald wie ein Phönix aus der Asche erheben werde – aber ach, es wird doch der alte Dreckwall nicht mehr sein! Und das Rathaus – wie oft ergötzte ich mich an den Kaiserbildern, die, aus Hamburger Rauchfleisch gemeißelt, die Fassade zierten! Sind die hoch- und wohlgepuderten Perücken gerettet, die dort den Häuptern der Republik ihr majestätetisches Ansehen gaben? Der Himmel bewahre mich, in einem Moment wie der jetzige an diesen alten Perücken ein weniges zu zupfen. Im Gegenteil, ich möchte bei dieser Gelegenheit vielmehr bezeugen, daß die Regierung zu Hamburg immer die Regierten übertraf an gutem Willen für gesellschaftlichen Fortschritt. Das Volk stand hier immer tiefer als seine Stellvertreter, worunter Männer von der bedeutendsten Bildung und Vernünftigkeit. Aber es steht zu hoffen, daß der große Brand auch die untern Intelligenzen ein bißchen erleuchtet haben wird und die ganze hamburgische Bevölkerung jetzt einsieht, daß der, der ihr im Unglück seine Wohltat angedeihen ließ, späterhin nicht mehr durch kleinlichen Krämersinn beleidigt werden darf. Namentlich die bürgerliche Gleichstellung der verschiedenen Konfessionen wird gewiß jetzt nicht mehr in Hamburg vertagt werden können. – Wir wollen das Beste von der Zukunft erwarten; der Himmel schickt nicht umsonst die großen Prüfungen.