Heinrich Heine
Almansor
Heinrich Heine

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zuleima:
Ins Haus der Liebe trat dein Fuß, Almansor,
Doch Blindheit lag auf deinen Augenwimpern.
Vermissen mochtest du den heitern Schimmer,
Der leicht durchgaukelt alte Heidentempel,
Und jene Werkeltagsbequemlichkeit,
Die in des Moslems dumpfer Betstub kauert.
Ein ernstres, beßres Haus hat sich die Liebe
Zur Wohnung ausgesucht auf dieser Erde.
In diesem Hause werden Kinder mündig,
Und Münd'ge werden da zu Kindern wieder;
In diesem Hause werden Arme reich,
Und Reiche werden selig in der Armut;
In diesem Hause wird der Frohe traurig,
Und aufgeheitert wird da der Betrübte.
Denn selber als ein traurig, armes Kind
Erschien die Liebe einst auf dieser Erde.
Ihr Lager war des Stalles enge Krippe,
Und gelbes Stroh war ihres Hauptes Kissen.
Und flüchten mußte sie wie 'n scheues Reh,
Von Dummheit und Gelehrsamkeit verfolgt.
Für Geld verkauft, verraten ward die Liebe,
Sie ward verhöhnt, gegeißelt und gekreuzigt; –
Doch von der Liebe sieben Todesseufzern,
Zersprangen jene sieben Eisenschlösser,
Die Satan vorgehängt der Himmelspforte,
Und wie der Liebe sieben Wunden klafften,
Erschlossen sich aufs neu die sieben Himmel,
Und zogen ein die Sünder und die Frommen.
Die Liebe war's, die du geschaut als Leiche,
Im Mutterschoße jenes traur'gen Weibes.
Oh, glaube mir, an jenem kalten Leichnam
Kann sich erwärmen eine ganze Menschheit,
Aus jenem Blute sprossen schönre Blumen,
Als aus Alradschids stolzen Gartenbeeten,
Und aus den Augen jenes traur'gen Weibes
Fließt wunderbar ein süßres Rosenöl,
Als alle Rosen Schiras' liefern könnten.
Auch du hast teil, Almansor ben Abdullah,
An jenem ew'gen Leib und ew'gen Blute,
Auch du kannst setzen dich zu Tisch mit Engeln,
Und Gottesbrot und Gotteswein genießen,
Auch du darfst wohnen in der Sel'gen Halle,
Und, gegen Satans starke Höllenmacht,
Schützt dich mit ew'gem Gastrecht Jesu Christ,
Wenn du genossen hast sein »Brot und Wein«.

Almansor:
Du sprachest aus, Zuleima, jenes Wort,
Das Welten schafft und Welten hält zusammen;
Du sprachest aus das große Wörtlein »Liebe!«
Und tausend Engel singen's jauchzend nach,
Und in den Himmeln klingt es schallend wider;
Du sprachst es aus, und Wolken wölben sich,
Dort oben hoch, wie eines Domes Kuppel,
Die Ulmen rauschen auf, wie Orgeltöne,
Die Vöglein zwitschern fromme Andachtlieder,
Der Boden dampft von wallend süßem Weihrauch,
Der Blumenrasen hebt sich als Altar –
Nur eine Kirch der Liebe ist die Erde.

Zuleima:
Die Erde ist ein großes Golgatha,
Wo zwar die Liebe siegt, doch auch verblutet.

Almansor:
Oh, flechte nicht zum Totenkranz die Myrte,
Und hüll die Liebe nicht in Trauerflöre.
Der Liebe Priesterin bist du, Zuleima,
Die Liebe wohnt in deines Busens Zelle,
Aus deiner Äuglein klaren Fenstern schaut sie,
Ihr Odem weht aus deinem süßen Munde –
Auf euch, ihr sammetweiche Purpurkissen,
Auf euch, ihr holden Lippen, thront die Liebe,
Auf euch möcht sich Almansors Seele betten –
Ei, hörst du nicht Fatimas letzte Worte:
»Bring diesen Kuß Zuleimen, meiner Tochter.« –

Sie sehn sich lange wehmütig an. Sie küssen sich feierlich.

Zuleima:
Fatimas Totenkuß hab ich empfangen,
Nimm hin dagegen Christi Lebenskuß.

Almansor:
Es war der Liebe Odem den ich trank,
Aus einem Becher mit Rubinenrande;
Es war ein Feuerborn woraus ich trank
Ein Öl, das heiß durch meine Adern rinnet,
Und mir das Herz erquicket und verbrennt.

Umschlingt sie.

Ich laß nicht ab von dir, von dir, Zuleima!
Und ständen offen Allahs goldne Hallen,
Und Huris winkten mir mit schwarzen Augen,
Ich ließ nicht ab von dir, ich blieb bei dir,
Umschlänge fester deinen süßen Leib –
Dein Himmel nur, Zuleimas Himmel nur,
Sei auch Almansors Himmel, und dein Gott,
Sei auch Almansors Gott, Zuleimas Kreuz
Sei auch Almansors Hort, dein Christus sei
Almansors Heiland auch, und beten will ich
In jener Kirche, wo Zuleima betet.

Beseligt schwimm ich wie in Liebeswellen,
Von weichen Harfenlauten süß umklungen; –
Die Bäume tanzen wunderlichen Reigen; –
Die Englein schütten neckend Sonnenstrahlen
Und bunten Blütenstaub auf mich herab; –
Erschlossen ist des Himmels stille Pracht; –
Hellgoldne Schwingen tragen mich hinauf –
Zur Seligkeit hinauf!

In der Ferne hört man Glockengeläute und Kirchengesang.

Zuleima sich erschrocken von ihm wendend:
Jesus Maria!

Almansor:
Welch dunkler Laut zerreißt den goldnen Schleier,
Womit mich sel'ge Träume leicht umwoben?
Erblassen seh ich plötzlich dich, mein Lieb,
Mein Röslein wandelt sich in eine Lilie –
Sag an, mein Lieb, hast du den Tod geschaut,
Der unsichtbar erscheinet, uns zu trennen?

Zuleima:
Der Tod, der trennet nicht, der Tod vereinigt,
Das Leben ist's, was uns gewaltsam trennt.
Hörst du, Almansor, was die Glocken murmeln?
Sie murmeln dumpf: Verhüllt sich. »Zuleima wird vermählt heut
Mit einem Mann, der nicht Almansor heißt.«

Pause.

Almansor:
So hast du mir ins Herz hineingezischt
Dein schlimmstes Gift, du Schlangenkönigin!
Von diesem Gifthauch welken rings die Blumen,
Des Springborns Wasser wandelt sich in Blut,
Und tot fällt aus der Luft herab der Vogel.
So hast du mich hineingesungen, Falsche,
In jene Folterkammer, die du Kirch nennst,
Und kreuzigst mich an deines Gottes Kreuz,
Und ziehst geschäftig an den Glockensträngen,
Und spielst die Orgel, um zu übertäuben
Mein lautes Reu- und Angstgebet zu Allah!
So hast du mich gelockt, du schlimme Fee,
In deinen Muschelwagen mit den Täubchen,
Hast mich hinaufgelockt bis in die Wolken,
Um jählings mich von dort herabzuschleudern.
Ich höre fallend noch dein Spottgelächter,
Ich sehe fallend, wie dein Zauberwagen
Zu einem Sarge wird, mit Feuerrädern,
Wie deine Tauben sich in Drachen wandeln,
Wie du sie lenkst am schwarzen Schlangenzügel –
Und grausen Fluch hinunterbrüllend, stürz ich
Hinab, hinab, bis in den Schlund der Hölle,
Und Teufel selbst erschrecken und erbleichen,
Bei meinem Wahnsinnfluch und Wahnsinnanblick.
Fort! fort von hier! ich weiß noch einen Fluch,
Spräch ich ihn aus, müßt Eblis selbst erblassen,
Die Sonne müßt erschrocken rückwärts eilen,
Die Toten kröchen zitternd aus den Gräbern,
Und Mensch und Tier und Bäume würden Stein. Stürzt fort.

Zuleima, die bis jetzt verhüllt und unbeweglich stand, wirft sich nieder vor dem Christusbilde. Ein Kirchenlied singend ziehen Mönche, mit Kirchenfahnen und Heil'gen-Bildern, in Prozession vorüber.

Waldgegend

Der Chor:
Es ist ein schönes Land, das schöne Spanien,
Ein großer Garten, wo da prangen Blumen,
Goldäpfel, Myrten; – aber schöner noch
Prangten mit stolzem Glanz die Maurenstädte,
Das edle Maurentum, das Tarik einst,
Mit starker Hand, auf span'schen Boden pflanzte.
Durch manch Ereignis war schon früh gediehn
Das junge Reich; es wuchs und blühte auf
In Herrlichkeit, und überstrahlte fast
Des alten Mutterlands ehrwürd'ge Pracht.
Denn als der letzte Omaijad entrann
Dem Gastmahl, wo der arge Abasside
Der Omaijaden blut'ge Leichenhaufen,
Zu Speisetischen, höhnend aufgeschichtet;
Als Abderam nach Spanien sich gerettet,
Und wackre Mauren treu sich angeschlossen
Dem letzten Zweig des alten Herrscherstamms –
Da trennte feindlich sich der span'sche Moslem
Vom Glaubensbruder in dem Morgenlande;
Zerrissen ward der Faden, der von Spanien,
Weit übers Meer, bis nach Damaskus reichte,
Und dort geknüpft war am Kalifenthron;
Und in den Prachtgebäuden Cordobas
Da wehte jetzt ein reinrer Lebensgeist,
Als in des Orients dumpfigen Haremen.
Wo sonst nur grobe Schrift die Wand bedeckte,
Erhub sich jetzt, in freundlicher Verschlingung,
Der Tier- und Blumenbilder bunte Fülle;
Wo sonst nur lärmte Tamburin und Zimbel,
Erhob sich jetzt, beim Klingen der Gitarre,
Der Wehmutsang, die schmelzende Romanze;
Wo sonst der finstre Herr, mit strengem Blick,
Die bange Sklavin trieb zum Liebesfron,
Erhub das Weib jetzund sein Haupt als Herrin,
Und milderte, mit zarter Hand, die Roheit
Der alten Maurensitten und Gebräuche,
Und Schönes blühte, wo die Schönheit herrschte.
Kunst, Wissenschaft, Ruhmsucht und Frauendienst,
Das waren jene Blumen, die da pflegten
Der Abderamen königliche Hand.
Gelehrte Männer kamen aus Byzanz,
Und brachten Rollen voll uralter Weisheit;
Viel neue Weisheit sproßte aus der alten;
Und Scharen wißbegier'ger Schüler wallten,
Aus allen Ländern, her nach Cordoba,
Um hier zu lernen, wie man Sterne mißt,
Und wie man löst die Rätsel dieses Lebens.
Cordoba fiel, Granada stieg empor,
Und ward der Sitz der Maurenherrlichkeit.
Noch klingt's in blühend stolzen Liedern von
Granadas Pracht, von ihren Ritterspielen,
Von Höflichkeit im Kampf, von Siegergroßmut,
Und von dem Herzenspochen holder Damen,
Die streiten sahn die Ritter ihrer Farbe.

Doch war's ein ernstrer Ritterkampf, worin
Sie selber fiel, die leuchtende Granada,
Und ritterliche Großmut war es nicht,
Als jüngst sein Wort, womit er Glaubensfreiheit
Verbürget hatt, der Sieger listig brach,
Und den Besiegten nur die Wahl gelassen,
Entweder Christ zu werden, oder fort
Aus Spanien nach Afrika zu fliehn.
Da wurde Ali Christ. Er wollte nicht
Zurück ins dunkle Land der Barbarei.
Ihn hielt gefesselt edle Sitte, Kunst
Und Wissenschaft, die in Hispanien blühte.
Ihn hielt gefesselt Sorge für Zuleima,
Die zarte Blume, die im Frauenkäfig
Des strengen Morgenlands hinwelken sollte,
Ihn hielt gefesselt Vaterlandesliebe,
Die Liebe für das liebe, schöne Spanien.
Doch was am meisten ihn gefesselt hielt,
Das war ein großer Traum, ein schöner Traum,
Anfänglich wüst und wild, Nordstürme heulten,
Und Waffen klirrten, und dazwischen rief's
»Quiroga und Riego!« tolle Worte!
Und rote Bäche flossen, Glaubenskerker
Und Zwingherrnburgen stürzten ein, in Glut
Und Rauch, und endlich stieg, aus Glut und Rauch,
Empor das ew'ge Wort, das urgeborne,
In rosenroter Glorie selig strahlend. Geht ab.

Almansor wankt träumerisch einher.

Almansor kalt und verdrossen:
In alten Märchen gibt es goldne Schlösser,
Wo Harfen klingen, schöne Jungfraun tanzen,
Und schmucke Diener blitzen, und Jasmin
Und Myrt und Rosen ihren Duft verbreiten –
Und doch ein einziges Entzaubrungswort
Macht all die Herrlichkeit im Nu zerstieben,
Und übrig bleibt nur alter Trümmerschutt,
Und krächzend Nachtgevögel und Morast.
So hab auch ich mit einem einz'gen Worte
Die ganze blühende Natur entzaubert.
Da liegt sie nun, leblos und kalt und fahl,
Wie eine aufgeputzte Königsleiche,
Der man die Backenknochen rot gefärbt,
Und in die Hand ein Szepter hat gelegt.
Die Lippen aber schauen gelb und welk,
Weil man vergaß sie gleichfalls rot zu schminken,
Und Mäuse springen um die Königsnase,
Und spotten frech des großen, goldnen Szepters. –

Es ist das eigne Blut, das uns hinaufsteigt
Ins Aug, wodurch mit schönem, roten Schimmer
Bekleidet werden all die Rosenblätter,
Jungfrauenwänglein, Sommerabendwölkchen,
Und gleiche Spielerein, die uns entzücken.
Ich hab die rote Brille abgelegt –
Und sieh! welch schlechtes Machwerk ist die Welt!
Die Vögel singen falsch; die Bäume ächzen
Wie alte Mütterchen; die Sonne wirft,
Statt glühnder Strahlen, lauter kalte Schatten;
Schamlos, wie Metzen, lachen dort die Veilchen;
Und Tulpen, Nelken und Aurikeln haben
Die bunten Sonntagsröckchen ausgezogen,
Und tragen ihr geflicktes, graues Hauskleid.
Ich selbst hab mich verändert noch am meisten;
Kaum kann ein Mädchensinn sich so verändern!
Ich bin nur noch ein knöchrichtes Skelett;
Und was ich sprech, ist nur ein kalter Windstoß,
Der klappernd zieht durch meine trocknen Rippen.
Das kluge Männlein, das im Kopf mir wohnte,
Ist ausgezogen, und in meinem Schädel
Spinnt eine Spinn ihr friedliches Gewebe.
Auch wein ich einwärts jetzt; denn als ich schlief,
Stahl man die Augen mir, und glühnde Kohlen
Hat man gefugt in meine Augenhöhlen.

Du Engel oben, du, von dem die Amme
Mir einst erzählte: daß du jede Träne,
Die meinem Aug entflösse, sorgsam zähltest,
Du hast jetzt Feierabend! Mühsam war
Dein Tagewerk, du armer Tränenzähler –
Hast du dich nie verzählt? und konntest du
Die großen Zahlen stets im Kopf behalten?
Du bist wohl müd, und ich bin auch recht müd,
Und auch mein Herz ist müd vom vielen Klopfen,
Und ausruhn wollen wir.

Er legt sich nieder, an einen Kastanienbaum gelehnt.

Ich bin recht müd,
Und krank, und kranker noch als krank, denn ach!
Die allerschlimmste Krankheit ist das Leben;
Und heilen kann sie nur der Tod. Das ist
Die bitterste Arznei, doch auch die letzte,
Und ist zu haben überall, und wohlfeil,

Er zieht einen Dolch hervor.

Du eiserne Arznei, du schaust so zweifelnd
Mich an. Willst du mir helfen?

Hassan tritt auf und naht sich leise.

Hassan:
Allah hilft!


 << zurück weiter >>