Heinrich Heine
Almansor
Heinrich Heine

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Almansor:
In Trauerkleidern reisten wir von dannen,
Und schlossen uns an jene Karawanen,
Die nach dem heil'gen Mekka gläubig wallen.
In Jemen, in dem Land der Stammesbrüder,
Schloß auch Abdullah die verweinten Augen,
Und schlummerte hinüber nach der Heimat,
Wo kein Ximenes, keine Isabella.

Hassan:
Und gibt es in Arabien keine Örter,
Wo man den toten Vater kann beweinen?

Almansor:
Oh, kenntest du die Qual des Ruhelosen,
Den unsichtbare Flammengeißeln treiben.
Noch einmal wollt ich küssen Spaniens Boden –

Hassan:
Und bei Gelegenheit Zuleimas Lippen.

Almansor ernst:
Des Vaters Diener ist nicht Herr des Sohnes;
Drum, bittrer Hassan, laß dein bittres Deuteln.
Ja, ich bekenn es, nach Zuleima schmacht ich,
Wie nach dem Morgentau der Sand der Wüste.
Noch diese Nacht geh ich nach Alis Schloß.

Hassan:
Geh nicht nach Alis Schloß! Pestörtern gleich
Flieh jenes Haus, wo neuer Glaube keimt.
Dort zieht man dir, mit süßen Zangentönen,
Aus tiefer Brust hervor das alte Herz,
Und legt dir eine Schlang dafür hinein.
Dort gießt man dir Bleitropfen, hell und heiß,
Aufs arme Haupt, daß nimmermehr dein Hirn
Gesunden kann vom wilden Wahnsinnschmerz.
Dorten vertauscht man dir den alten Namen,
Und gibt dir einen neu'n; damit dein Engel,
Wenn er dich warnend ruft beim alten Namen,
Vergeblich rufe. Oh, betörtes Kind,
Geh nicht nach Alis Schloß; – du bist verloren,
Wenn man in dir Almansorn wiedersieht!

Almansor:
Besorge nichts; denn niemand kennt mich mehr.
Mein Antlitz trägt des Grames tiefe Furchen,
Getrübt von salz'gen Tränen ist mein Aug,
Nachtwandlerartig ist mein schwanker Gang,
Gebrochen, wie mein Herz, ist meine Stimme –
Wer sucht in mir den blühenden Almansor?
Ja, Hassan, ja, ich liebe Alis Tochter!
Nur einmal noch will ich sie schaun, die Holde!
Und hab ich mich noch einmal süß berauscht
Im Anblick ihrer lieblichen Gestalt,
In ihre Augen meine Seel getaucht,
Und schwelgend eingehaucht den süßen Odem; –
Dann geh ich wieder nach Arabiens Wüste,
Und setze mich auf jenen steilen Felsen,
Wo Mödschnun saß und Leilas Namen seufzte! –
Drum sei nur ohne Sorge, alter Hassan,
Im span'schen Mantel geh ich, unbemerkt
Und unerkannt, im ganzen Schloß herum,
Und meine Bundgenossin ist die Nacht.

Hassan:
Trau nicht der Nacht, sie birgt im schwarzen Mantel
Viel arge Fratzenbilder, Molch' und Schlangen,
Und wirft sie heimlich hin vor deine Füße.
Trau ihrem bleichen Buhlen nicht, der droben
Liebäugelnd aus den Wolken niederblinzelt,
Und hämisch bald, mit schrägen, fahlen Lichtern,
Die Schreckgestalten deines Wegs beflimmert.
Trau nimmer ihrer Bastardbrut dort oben,
Den goldnen Kindlein, die so munter funkeln,
Und freundlich tun, und liebeschmeichelnd nicken,
Und dennoch, wie mit tausend glühnden Fingern,
Am Ende spöttisch auf dich niederdeuten.
Geh nicht nach Alis Schloß! Am Eingang sitzen
Drei dunkle Fraun, und harren deiner Rückkehr;
Um würgend dich mit Inbrunst zu umarmen,
Im Liebeskuß dein Herzblut auszusaugen!

Almansor:
Wirf hemmend dich in eines Mühlrads Speichen,
Dräng mit der Brust zurück des Stromes Flut,
Halt mit den Armen auf des Bergquells Sturz –
Doch halte mich nicht ab von Alis Schloß.
Dort zieht's mich hin mit tausend Demantfäden,
Die sich verwebt in meines Hirnes Adern,
Und in den Fasern meines Herzens; – Hassan,
Schlaf wohl! mein altes Schwert ist mein Begleiter.

Hassan:
Und deine Leuchte sei dein alter Glaube.

Alis Schloß. Erleuchtetes Kabinett, mit einer großen Mitteltüre. Man hört Tanzmusik. Don Enrique liegt zu Zuleimas Füßen.

Don Enrique pathetisch:
Ein Zauberduft betäubet meine Sinne,
Und schauernd weiß ich nicht, was ich beginne!
Anbetend sink ich hin zu deinen Füßen,
Um dich als heil'ge Jungfrau zu begrüßen!
Du bist des Himmels Strahlenkuniginne,
Der ich nicht nahen darf mit ird'scher Minne!
Und wenn auch Hymens Bande uns umschließen –
Ich lieg als Knecht dir immerdar zu Füßen!

Die Musik hat aufgehört. Don Diego ist während dieser Apostrophe hereingeschlichen, und hat beide Flügel der Mitteltüre geöffnet. Man sieht einen prächtigen, menschenvollen Ballsaal. Die tanzenden Paare bleiben stehen, und schaun freudig nach Don Enrique und Zuleima.

Einige Stimmen rufen:

Heil! Heil! Heil! unserm schönen Brautpaar!

Trompetentusch. Don Enrique steht auf. Don Diego schleicht sich wieder fort. Die Mitteltüre bleibt offenstehen.

Zuleima ernst:
Führt mich zum Saal.

Don Enrique reicht ihr den Arm; verwirrt:
Señora, mein Bedienter,
Der Schalk hat dies getan.

Zuleima:
Gut Señor, gut.

Ali und ein Ritter treten in der Türe den Vorigen entgegen.

Ali erfaßt Don Enrique beim Arm:
Nein, liebe Clara, laß mir deinen Bräut'gam;
Hier Don Rodrigo führet dich zum Saal.

Zuleima, vom Ritter geführt, geht ab. Die Mitteltüre schließt sich.

Don Enrique:
Ich wundre mich –

Ali ernst:
Erinnert Ihr Euch nicht,
Daß ich noch ein Geheimnis für Euch habe,
Das ich versprach noch vor dem Hochzeitstag
Euch mitzuteilen, Señor?

Don Enrique neugierig und schmeichelnd:
Ach, Ihr habt
So vieles schon für mich getan –

Ali:
Ich nichts,
Nur, nur von Donna Clara hing es ab,
Ob sie die Hand Euch reichen wollt.

Don Enrique:
Nein, Señor,
Nur Eure Stimme, die des Vaters, galt.

Ali:
Wohl hatt ich Gründe, Claras Hand Euch nicht
Zu geben. Doch ich hatte nicht das Recht.
Denn wisset: Claras Vater bin ich nicht.

Don Enrique kleinlaut:
Ihr Vater nicht?

Ali lächelnd:
Seid ohne Sorge, Señor.
Urkundlich und durch Testamentes Kraft
Hab ich sie anerkannt als eigne Tochter.
Jetzt, Señor, seht Ihr wohl, warum nur Clara
Verfügen konnte über ihre Hand.
Doch merkt's Euch, niemand hier, sie selber nicht,
Kennt dies Geheimnis.

Don Enrique:
Señor, staunen muß ich –

Ali:
Mitteilen aber muß ich's Euch, dem Bräut'gam.
Doch erst gelobt mir, daß Ihr es verschweigt,
Sogar vor Eurer Braut, damit ich ihr
Den großen Schmerz erspare, und die Ruh
Aus ihrem süßen Herzchen nicht verscheuche.

Don Enrique gibt ihm den Handschlag:
Mit meinem Ritterwort gelob ich Schweigen.

Ali:
Ihr wißt, ich hieß nicht immer Don Gonzalvo.

Don Enrique:
Nicht minder schön und herrlich war der Name,
Den jedermann Euch gab, dem guten Ali.

Ali:
Ja, ja! den guten Ali nannt man mich!
Doch hätt man mich mit besserm Recht genannt:
Den Glücklichen. Denn Ali war einst glücklich,
Durch Freundschaft und durch Liebe. – Einen Freund,
Den seltensten der Schätze, gab mir Gott.
Und auch ein Weib, ein Weib, so schön, so mild –
Nein, Sünde ist es, sie ein Weib zu nennen –
Ein Engel lag an meinem sel'gen Herzen;
Und auch noch Vaterfreuden sollt ich fühlen.
Mein holdes Weib gebar mir einen Knaben;
Sie selber aber wurde bleich und bleicher –
Und starb. – Da goß der Freund mir Trost ins Herz,
Und da sein Weib, just zu derselben Zeit,
Ein Töchterchen gebar, hat diese Gute
Zu sich genommen mein verwaistes Kind,
Und großgesäugt und mütterlich gepflegt.
Doch als ich wieder zu mir nahm ins Schloß
Den Schmerzensohn, ergriff, bei seinem Anblick,
Mich jedesmal aufs neu der alte Schmerz,
Ob seiner toten Mutter. Dieses merkte
Mein kluger Freund, und einst sprach er zu mir:
»Was dünkt dir, Ali, wenn wir unsre Kinder
Schon jetzt als Braut und Bräutigam verlobten,
Um unsre Freundschaft fester noch zu gründen?«
Laut weinend fiel ich in des Freundes Arm,
Und in derselben Stunde ward beschlossen:
Daß ich des Freundes Tochter zu mir nehmen,
Und unter Ammenleitung, hier im Schlosse,
Selbst auferziehen sollt, damit ich selbst
Dem eignen Sohn ein wackres Weib erziehe,
Und daß mein Sohn erzogen werden sollte
Von meinem Freund, damit er selber bilde
Den künft'gen Ehmann seiner einz'gen Tochter.
Und dies geschah.

Don Enrique:
Ich brenne vor Begier –

Ali:
Die Kinder wuchsen auf, und sahn sich oft,
Und liebten sich – bis das Gewitter kam.
Ihr wißt wohl, wie sein Blitzstrahl eingeschlagen
In des Alhambras höchsten Turm, wie viele
Der edelsten Geschlechter von Granada
Zur Religion des Kreuzes sich gewandt.
Ihr wißt, daß es der frommen Christenamme
Schon längst gelang, Zuleimas sanftes Herz
Für Christum zu gewinnen, daß die Holde
Den Heiland auch bald öffentlich bekannte,
Und durch der Taufe heil'ges Sakrament
Den schönen Namen Clara sich gewann.
Ich ging denselben Weg, dem eignen Herzen
Und der geliebten Pflegetochter folgend.
Ich hegte keinen Zweifel, daß mein Freund,
Der Gleichgesinnte, gleichem Beispiel huld'ge.
Doch wehe mir, er war ein blinder Moslem,
Und nahm die Botschaft auf mit kaltem Zorne,
Und ließ mir melden: Seines Gottes Feind,
Den hasse er, als seinen eignen Feind,
Er wolle nie der Gottesleugnerin,
Der eignen Tochter Antlitz wiedersehn,
Er wolle fliehen aus dem Land der Schlangen,
Und meinen Sohn, das eigne Pflegekind,
Den wolle er dem Zorne Allahs opfern,
Und mit des Sohnes Blut den Vater sühnen.
Und Wort gehalten hat der Wüterich!
Vergebens eilte ich nach seinem Schlosse;
Er war entflohn, entflohn mit seiner Beute.
Ich sah den armen Knaben nimmer wieder;
Und Krämer einst, die von Marokko kamen,
Erzählten mir vom Tode meines Sohns.

Don Enrique mit affektiertem Schmerze:
O schrecklich! schrecklich! Rührung übermannt mich!
Mein Herz verblutet! Und Ihr habt Euch nicht
Furchtbar gerächt an diesem Wüterich?
Ihr hattet ja des Buben eigne Tochter
In der Gewalt? Wie habt Ihr da gehandelt?

Ali stolz:
Ich hab gehandelt, Señor, wie ein Christ. Geht ab.

Don Enrique allein:
Soll ich es Don Diego sagen? Ja, ja.
Er soll mal sehn, daß er nicht alles weiß.
Er sieht mich an für dumm. Nur immer zu.
Wir wollen sehen, wer der Klügste ist.

Die Tanzmusik beginnt wieder.

Doch still davon. Da rufen schönre Töne,
Und meine schöne Donna darf nicht warten. Er geht ab.

Nacht. Alis Schloß von außen. Die Fenster sind erleuchtet. Fröhliche Tanzmusik im Schlosse. Almansor steht sinnend davor. Die Musik schweigt.

Almansor:
Fürwahr, recht hübsch ist die Musik. Nur schade,
Hör ich der Zimbeln hüpfend helles Klingen,
Fühl ich im Herzen tausend Natterstiche;
Hör ich der Geigen langsam weiche Töne,
Zieht mir ein Messer schneidend durch die Brust;
Hör ich dazwischen die Trompeten schmettern,
Zuckt's mir durch Mark und Bein, wie 'n rascher Blitz;
Und hör ich dröhnend dumpf die Pauken donnern,
So fallen Keulenschläge auf mein Haupt.
Ich und dies Haus, wie passen wir zusammen?

Wechselnd nach dem Schlosse und nach seiner Brust zeigend.

Dort wohnt die Lust mit ihren Harfentönen;
Hier wohnt der Schmerz mit seinen gift'gen Schlangen.
Dort wohnt das Licht mit seinen goldnen Lampen;
Hier wohnt die Nacht mit ihrem dunkeln Brüten.
Dort wohnt die schöne, liebliche Zuleima; –

Sinnet, zeigt endlich auf seine Brust.

Wir passen doch – hier wohnt Zuleima auch.
Zuleimas Seel wohnt hier im engen Hause,
Hier in den purpurroten Kammern sitzt sie,
Und spielt mit meinem Herzen Ball, und klimpert
Auf meiner Wehmut zarten Harfensaiten,
Und ihre Dienerschaft sind meine Seufzer –
Und wachsam steht auch meine düstre Laune,
Als schwarzer Frauenhüter, vor der Pforte.

Zeigt nach dem Schlosse.

Doch was dort oben, in dem hellen Saal,
Prachtvoll geschmückt und prangend stolz einhergeht,
Und mit dem Lockenhaupte freundlich zunickt
Dem seidnen Buben, der sich zierlich krümmt –
Das dort ist nur Zuleimas kalter Schatten,
Nur eine Drahtfigur, der man ein Glasaug
Im Wachsgesichte künstlich eingefügt,
Und die, durch aufgedrehter Federn Kraft,
Den leeren Busen wechselnd hebt und senkt.

Trompetentusch.

O weh! da kommt der seidne Bube wieder
Und fodert auf zum Tanz die Drahtfigur.
Das holde Glasaug sendet süße Blitze!
Das liebe Wachsgesicht bewegt sich lächelnd!
Der schöne Federbusen schwillt und schwillt!
Mit rauher Hand berühret dort der Bube
Das leichtgebrechlich zarte Kunstgewebe –

Rauschende Musik.

Umschlingt's mit frechem Arm, und zieht es fort
In wilder Tänzer flutendes Gedränge!
Halt ein! halt ein! Ihr Geister meiner Leiden,
Reißt fort den Buben von dem Leib der Holden!
Schlagt ein! schlagt ein! Ihr Blitze meines Zorns!
Und lähmt die Hand, die meinen Himmel faßt!
Brecht ein! brecht ein! Ihr Mauern dieses Schlosses,
Und stürzt zermalmend auf des Frevlers Haupt!

Pause; leisere Musik.

Sie bleiben ruhig stehn, die alten Mauern,
Und meine Wut zerschellt an ihren Quadern.

Ihr seid gar stark gebaut, ihr festen Mauern,
Und doch habt ihr ein schwach und schlecht Gedächtnis!
Ich heiß Almansor, und war sonst der Liebling
Des guten Ali, und auf Alis Knieen
Wohnt ich, und »lieber Sohn« nannt Ali mich,
Und strich mir dann mit sanfter Hand den Kopf; –
Und jetzt steh ich, wie 'n Bettler, vor der Türe!

Die Musik schweigt. Man hört im Schlosse verworrene Stimmen und lautes Gelächter.

Da spottet's mein; hollah! ich lache mit!

Schlägt an die Pforte.

Macht auf! macht auf! ein Gast will übernachten!


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