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5.

.Einen Augenblick herrschte Schweigen m dem großen Zimmer, dann streckte Charlotte die Hände nach mir aus. »Lena, komm,« sagte sie flüsternd, »zeige mir deinen Platz im Klostergarten, ich könnte jetzt der Tante nicht entgegentreten, ich käme mir gar zu schlecht vor, als hätte ich eine Sünde begangen, daß ich so etwas anhörte; komm, komm!«

Hastig zog sie mich hinaus durch den dämmerigen Korridor, die verstaubte Treppe hinunter; ihr Arm hielt mich fest umschlungen, und so traten wir unter den steinernen Rundbogen des Kreuzganges hervor in den abendfrischen Garten hinaus. Purpurrote Lichter fielen durch die hohen Bäume auf unseren Weg und huschten über Charlottes schönes Gesicht, das plötzlich einen so veränderten Ausdruck bekommen hatte. Auf den Rasenplätzen war das Gras gemäht und erfüllte den Garten mit köstlichem Duft, und als wir endlich unter den Linden neben dem alten Grabstein saßen, fragte Charlotte:

»Lena, glaubst du das, was meine Schwester eben erzählte? Ich glaube es nicht, oder es hängt anders zusammen.« Dann schwieg sie und sah nachdenkend in den Garten hinaus. »Ich habe sie so lieb, so lieb wie eine Mutter,« fuhr sie halblaut fort und eine zarte Röte stieg bei diesen Worten in ihr Gesicht. »Sieh, Lena, du kannst es dir gar nicht denken, was mir die Tante ist, und da soll es nicht weh thun, wenn Ferra – –«

Sie mußte es total vergessen haben, daß sie sich erst vor wenigen Tagen über den Mangel eines kleinen Familienskandals beklagt hatte.

»Nein, sage mir nichts,« bat sie, als ich den Mund öffnete, um ihr zu erzählen, daß Gottlieb Tante Edith allerdings eines Abends heimlich davongefahren; das Wie und Warum war mir freilich auch verborgen. »Du kennst sie noch viel zu wenig; laß nur, ich werde schon allein fertig.«

.

Ich merkte kaum, wie mir Charlotte an den Haaren herumzupfte und dann wieder den Malvenstock zu plündern begann.

Und so saßen wir und hingen beide unseren Gedanken nach. Charlotte pflückte von einem neben ihr stehenden Malvenstock eine purpurrote Blüte nach der andern und begann einen Kranz zu flechten, und ich saß mäuschenstill und flickte in Gedanken Georgs Samtkittelchen und setzte ihm die schönsten Knöpfchen daran. Und als ich ihn dann glücklich lächeln sah, gingen meine Gedanken zu Vetter Gerhard und trugen ihn: kühnlich die Bitte vor, meinem Bruder für die Herbstferien im alten Kloster Gastfreiheit zu gewähren. Und dann sah ich uns beide hier umhertollen, sah ihn auf Gottliebs alten Pferden sitzen und tausenderlei ungekannte und unverhoffte Freuden kosten; und als ich dies Bild fertig ausgemalt und mir, obgleich unter Herzklopfen, gelobt hatte, diese Bitte wirklich zu wagen, kniete ich mich auf den alten Grabstein und schaute träumend zwischen den Bäumen hindurch in den Garten. Ich merkte kaum, wie mir Charlotte an den Haaren herumzupfte und dann wieder den Malvenstock zu plündern begann; allerlei romantisches Zeug schoß mir durch den Sinn; ich dachte mir Tante Edith als Nonne, die ein Ritter lieb gehabt, wie in Christianes Kindermärchen, und die hier im Klostergarten traurig umhergegangen sei, bis er sie in dunkler Nacht geholt, um mit ihr davonzureiten auf sein Schloß.

Es sind wohl hoch die Berge,
Es ist wohl grün das Thal;
Mein Schatz, der ist ein Jäger,
Den lieb' ich tausendmal!

sang Charlotte mit ihrer leisen, lieblichen Stimme.

Da flog ein wilder Falke
Hoch über mir dahin;
Falk, schaust du meinen Liebsten,
Sag' ihm, treu wär' mein Sinn.

Wo Eichen stehen und Buchen,
Da blüht Wildröslein rot.
Und soll ich dich nicht lieben,
So kränk' ich mich zu Tod.

Wenn du mich dann begraben.
Schreib' auf den Stein dabei.
Hier ruht mein feines Liebchen,
Dem brach das Herz entzwei!

Ich wandte mich zu ihr hinüber, sie hatte sich einen dunkelroten Malvenkranz auf das Haupt gesetzt und das süße Gesicht sah mit einem fast verklärten Blick unter dem feurigen Schmuck hervor; die Hände hielt sie um die Kniee geschlungen und wiegte den schlanken Körper nach dem Takte der einfachen Melodie.

Es sind wohl hoch die Berge,
Es ist wohl grün das Thal;
Mein Schatz, der ist ein Jäger,
Den lieb' ich tausendmal!

sang sie noch einmal, aber jetzt laut und fast übermütig, dann schritt sie an mir vorüber, den Weg hinunter, langsam, mit gesenktem Haupte, als suche sie etwas. Ich folgte ihr mit den Augen, wagte aber nicht nachzugehen; zuletzt verschwand sie gänzlich in dem dichten Boskett des Gartens; nur hin und wieder tauchte ihr blonder Kopf einen Moment über dem grünen Wirrnis der Zweige auf.

Da saß ich nun allein auf meinem Lieblingsplätzchen. Vor mir lag der Garten in der rotglühenden Abendbeleuchtung; selbst die grauen Mauern des Hauses und die Säulen des Kreuzganges schimmerten rosig; kein Laut, kein Hauch unterbrach die tiefe Ruhe, grabesstill und verlassen ringsum. Ich setzte mich recht bequem auf dem alten Grabstein zurecht und schlang den Arm um den Stamm einer Cypresse; Charlotte mußte ja bald wieder kommen; und nun beschäftigten sich meine Gedanken wieder mit dem Moment, wo ich Vetter Gerhard bitten wollte, Georg zu den Ferien herkommen zu lassen –. Ich wandelte im Geist die Stufen der Villa hinan und trat schüchtern in sein Zimmer.

»Lieber Vetter,« würde ich sagen, »ich habe eine so große Bitte an Sie – bitte, bitte, erlauben Sie doch, daß Georg in den Ferien mich besuchen darf, ich habe Sehnsucht nach ihm und ich muß ihm doch auch seine Sachen ausflicken.«

In diesem Augenblick fiel ein dunkler Schatten über meine kleine Persönlichkeit und im nächsten streckte ich wie abwehrend die Hände aus, denn vor mir, gerade dort unter dem Lindenzweig, so hoch, daß die Blätter sein blondes Haar berührten, stand Vetter Gerhard und sah lächelnd zu mir herunter.

»Nun, hinsichtlich des letzten Grundes dürfte die Bitte doch schon jedenfalls genehmigt werden müssen,« sagte er mit seiner wohlklingenden, tiefen Stimme. »Also in den Herbstferien, Cousine; aber wie bekommen wir den kleinen Mann her?«

Ich sah ihn noch immer betroffen an; daß ich die Anrede an den Vetter halblaut gehalten, kam mir nicht in den Sinn, dann aber jubelte die Freude, meinen Liebling bald hier zu wissen, laut auf. »O, Vetter, liebster Vetter, Sie wollen erlauben, daß Georg kommt?« Ich faßte seine Hand und hing mich wie ein Kind an seinen Arm. »O, das wird herrlich, das wird eine Lust! Was sagt aber Tante Edith dazu? Wird sie ihn auch haben wollen, und – –«

»Gewiß, gewiß!« beruhigte er mich. »Aber nun erweisen Sie mir einen Gegendienst, Cousine; ich suche Charlotte, sie soll bei Tante Edith sein; dort fand ich indessen alle Thüren geschlossen, das Mädchen aber sagte mir, die Fräulein wären im Klostergarten und nun finde ich hier zwar im melancholischsten Winkel des ganzen Gartens die eine – aber wo mag die andere sein?«

»Hier, Bruder, hier!« rief Charlotte und hing im nächsten Augenblick an seinem Halse. »Sage rasch, wie geht es dir, was bringst du, siehst du wohl aus?«

»Nun, Lottchen, einesteils gut, aber andernteils –, doch lassen wir das. Ich habe für dich tausend Grüße von Robert, und du möchtest Tante Edith die Nachricht bringen, daß er wohlbestallter Oberförster in Fölkerode geworden ist. Ich sollte es ihr nicht sagen, er wollte es auch nicht schreiben, sie soll es aus deinem Munde erfahren, so wünscht er.«

Charlottes schönes Gesicht erglühte plötzlich so rosig wie die Strahlen der untergehenden Sonne, und die blauen Augen glänzten vor Freude; sie hob sich auf den Fußspitzen empor, drückte einen Kuß in den blonden Bart ihres Bruders, dann lief sie geschwind wie ein Reh über die Rasenplätze und Wege, und bald verschwand ihre weiße Gestalt unter den Bogen des Kreuzganges.

Gerhard sah ihr lächelnd nach, dann wandte er sich zu mir und setzte sich auf die steinerne Bank, offenbar in der Absicht, der Schwester eine ungestörte Minute mit der Tante zu gönnen. »Ist dies Ihr Lieblingsplätzchen?« fragte er.

Ich bejahte.

»Mögen Sie den Park nicht lieber? Es ist doch eigentlich gar zu melancholisch hier für ein so junges Mädchen –.«

»Nein. Ich bin lieber hier, weil ich hier niemand begegne; es ist gerade, als gehöre dieser Garten mir ganz allein.«

»Also Hang zur Einsamkeit?« sagte er scherzend. »Wer hält denn dies Plätzchen hier so schön in Ordnung? Auch Sie, Cousine?«

Ich nickte und sah scheu zu ihm hinüber, weil ich zu bemerken glaubte, er lächele über mich. Aber er blickte so nachdenklich auf die graue Sandsteinfigur unter dem Epheu, daß ich fühlte, er denke an etwas ganz anderes als gerade an das, wovon er sprach. Ruhig nahm ich meinen Platz auf dem alten Grabsteine wieder ein, und so saßen wir regungslos; nur einmal hatte ich das Gefühl, als ob er mich anblicke, und als ich den Kopf wandte, sah ich seine Augen auf mich gerichtet; dann strich er sich hastig mit der Hand über das Gesicht und begann mit einem Stöckchen Figuren in den Sand zu zeichnen.

»Nun wollen wir gehen, Cousine,« sagte er sich erhebend. »Kommen Sie, es wird ohnehin spät werden, ehe ich heute zur Ruhe gelange drüben in der Villa, und meine Mutter erwartet mich.« Ich erhob mich und schritt neben ihm durch die dunklen Gänge. Er sprach nicht mehr, und stumm betraten wir den Kreuzgang des alten Klosters.

»Nehmen Sie sich in acht an der finstern Treppe, die Stufen sind hoch –« warnte er, als ich hastig vorwärts eilte. Ein Grauen hatte mich plötzlich erfaßt in dem verlassenen Hause, in der spukhaften Beleuchtung; es war mir, als lauere hinter jedem Treppenpfeiler ein entsetzliches Etwas, das mich packen wollte; ich hätte ihn bitten mögen: »Geben Sie mir die Hand!« Aber das wäre doch lächerlich gewesen. Und da, als ich eben zwei Stufen hinaufspringen wollte, um ihm nachzukommen, empfand ich einen heftigen Schmerz im Fußgelenk und sank in die Kniee.

»Dacht' ich es doch!« sagte er, sich umwendend, auf meinen Wehruf, und die Stufen eilig wieder hinunter eilend. »Thut es sehr weh? Können Sie gehen? Nein? Nun, da muß ich Sie eben tragen.« Und wie eine Feder hob er mich empor und schritt leichten Fußes die Treppe mit mir hinauf.

»O, Vetter, und Sie sollen krank sein?« lachte ich plötzlich, halb aus Verlegenheit über die eigentümliche Situation, in der ich mich befand, halb belustigt über die Unwahrscheinlichkeit jener Behauptung.

»Wer sagt denn das?« forschte er, als wir eben den Korridor betraten.

»Nun, Ferra. Aber es ist nicht wahr, gelt?«

»Nein!« erwiderte er einfach. »Ich denke, ich bin es nicht mehr, aber ich war es. Wer hat Sie denn so geschmückt heute nachmittag, Cousine?« fragte er nach einer kleinen Pause, just als wir vor Tante Ediths Zimmerthür angelangt waren; und in dem schwachen Lichte der altmodischen Hängelampe unter der gewölbten Decke sah ich seinen blonden Kopf zu mir niedergebeugt, und seine Augen schauten mich aus allernächster Nähe an.

»Mich geschmückt?« wiederholte ich fragend, und strebte zugleich, von seinem Arme herabzukommen, was indessen nicht gelang. »Reizend geschmückt!« wiederholte er und öffnete geschickt die Thür zu Tantes Wohnzimmer, und im gleichen Augenblick schallte mir schon Charlottes fröhliches Lachen entgegen.

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»Hast du ein Kälbchen zu verkaufen, Gerhard?« rief sie vom Sofa aufspringend, wo sie neben Tante gesessen, und mich an den Haaren zupfend.

»Ich will hinunter!« rief ich fast weinend, denn auch Tante lachte über das ganze liebe Antlitz. Aber Gerhard hielt mich fest und trug mich direkt vor den großen Pfeilerspiegel, und ein Blick in das krystallhelle Glas zeigte mir ein wohlbekanntes braunes Gesicht, das jetzt so fremdartig unter einem feurigroten Blumenkranz hervorsah. Erschreckt riß ich ihn aus meinem Haar und warf ihn zur Erde. »O, pfui, Charlotte!« rief ich ärgerlich und hinkte zur Tante hinüber, die mich lachend in die Arme nahm.

»Hast du denn gar nicht gemerkt, wie ich dir den Kranz aufsetzte?« kicherte Charlotte. »O, du verträumtes, kleines Menschenkind!«

»Das Fräulein Cousine ist Patientin,« berichtete Gerhard jetzt, »sie hat sich, wie man so sagt, den Fuß verknackst – soll ich Ihnen den alten Schäfer schicken, Cousinchen?« fragte er lächelnd.

»Geh mir mit deinem Schäfer,« erklärte Tante Edith, »das können wir allein, gelt, meine Kleine? Aber nun hab' Dank, Gerhard, für die Nachricht, die du mitgebracht; es ist heute der erste frohe Tag seit langen, langen Jahren.« – Sie hatte bei diesen Worten Gerhards Hand ergriffen und sah ihn freudig bewegt an. »Du glaubst nicht,« fügte sie leiser hinzu, »wie glücklich es mich macht, ihn in Fölkerode zu wissen, in Fölkerode! – Aber nun geht, eure Mutter wird ebenfalls nach Botschaft von Joachim verlangen. Es ist doch nichts Schlimmes passiert, Gerhard?« fragte sie dann besorgt.

Seine Züge verfinsterten sich augenblicklich. »Schlimmes genug, um große Sorgen zu machen,« erwiderte er und schüttelte lange die Hand der alten Dame, dann nahm er Charlottes Arm in den seinen, und indem er mir noch einmal freundlich ernst zunickte, verließ er mit ihr das Zimmer.

Nach einer kleinen halben Stunde lag ich mit sorglich verbundenem Fuße auf dem Sofa und verfolgte die zierliche Gestalt der Tante mit meinen Blicken, wie sie heute so ruhelos auf und ab wanderte. Das feine Gesicht war von einer zarten Röte wunderbar verjüngt und die Augen leuchteten, wie sie es gewiß vor langen Jahren gethan hatten. Sie ging vom Schlafzimmer zum Wohnzimmer, sie öffnete Kommodenschübe und Schränke und stand dann sinnend davor, und wie im halben Traume sah ich dies geschäftige und anscheinend doch so zwecklose Treiben mit an. Mir war selbst so wunderbar zu Mute, als sei ich nicht mehr dieselbe, die ich noch heute morgen gewesen, als sei ich gewachsen und ein großes, vernünftiges Mädchen geworden, obgleich ich mich doch gerade recht kindisch benommen hatte heute abend. Woher es kam, konnte ich mir nicht erklären; ich drückte Minka, die neben mir lag, an mein Herz und erzählte ihr flüsternd: Vetter Gerhard habe mir versprochen, daß Georg kommen solle, und was für ein lieber kleiner Junge er sei.

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Tante Edith hatte heute kein Auge für ihre Lieblinge, sie nahm eben Roberts Bild von der Wand und setzte sich damit neben mich in einen Lehnstuhl; sie hielt es in den gefalteten Händen und schaute es zärtlich an. »Sieh, Lena,« begann sie, »hier ist er noch ein halbes Kind, und nun sollst du sehen, was für ein stattlicher Bursche er geworden, der neue Herr Oberförster. Ja, ja, Lena, er hat dieselbe Stelle bekommen, die einst sein Vater gehabt, er soll wieder in dem Hause wohnen, wo er geboren wurde, und wo seine Mutter die einzigen paar schönen Jahre ihres Lebens verbrachte – sieh, Kind, das macht mich ja so glücklich, ich kann es dir nicht sagen. Der liebe Gott ist gerecht, Kind, und das, was er mir heute abend gegeben, das wiegt alles auf, was ich je erduldet.« Und als sie nun das Bild so zärtlich an ihre Wangen drückte in stolzer Mutterfreude, da erfaßte mich wieder die bittere Sehnsucht nach jener treuen, treuen Liebe, die Georg und ich nun verloren hatten.

Indessen trug Tante das Bild wieder hinweg, und als sie es eben an seinen Platz gehangen, klopfte es draußen und der alte Gottlieb trat herein.

»Guten Abend,« gnädige Frau, sagte er, an der Thür stehen bleibend, und begann mit seiner eigentümlich gedämpften Stimme von einer ganzen Reihe Aufträgen zu berichten, die ihm Tante wohl erteilt haben mochte. Es betraf fast nur Kranke und Sparkassenangelegenheiten; einen Stoß kleiner Bücher hielt er unter dem Arme und in der Hand drei oder vier Medizinflaschen.

»Die alte Neumann soll alle Tage ein halbes Gläschen voll Wein haben, sagt der Herr Doktor,« schloß er endlich seinen Bericht, »und da habe ich gedacht –«

»Gut, gut, Gottlieb,« unterbrach ihn Tante, »das kann sie ja bekommen; wie macht sich denn das Wieschen in der Stadt?«

Der alte Mann kratzte sich hinter den Ohren. »Na, gnädige Frau, das ist nun einmal so. Hui! immer oben hinaus, feine Kleider und 'nen Strohhut wie 'ne große Dame; na, ich hab' ihr aber heimgeleuchtet!« setzte er ausdrucksvoll hinzu, und seine weißen Augenbrauen zogen sich in die Höhe.

»Das kann ich mir wohl denken,« lachte Tante Edith, »sehr höflich werdet Ihr das arme Ding nicht behandelt haben. Laßt sie nur, sie ist noch jung und sie hat ein gutes Teil alter halsstarriger Redlichkeit von ihren Großeltern geerbt; Art läßt nicht von Art –!«

»Hm, so!« murmelte der alte Mann; »ich steck' nicht darin – wer kann's wissen – wollen's hoffen.«

»Noch was, Gottlieb?« fragte Tante Edith.

»Nichts weiter gerade, gnädige Frau,« entgegnete er. »Aber Sie nehmen es mir wohl nicht übel, da hat mir eben das Lottchen – Fräulein Charlotte –« verbesserte er sich eilig – »gesagt, daß Herr Robert Oberförster in Fölkerode geworden sind! Gnädige Frau, ich bin nicht einer von denen, die sich was herausnehmen, weil sie lange bei einer Herrschaft dienen, aber heute – ich kann wohl sagen, so hat mich lange nichts gefreut. Sternhagelelement!«

»Na, gebt nur Eure Hand her, Gottlieb, wir sind doch alte Freunde,« sagte Tante Edith, und ihre feinen, weißen Finger legten sich in die schwielige Hand des Alten. »Meine Freundschaft hat Euch genug gekostet, Gottlieb, nicht wahr?«

»I, gar keine Rede davon, gar keine Rede,« wehrte er ab, und über sein ernstes, kluges Gesicht flog ein freundlicher Schimmer. »Wenn's heute noch einmal so käme und ich wüßte alles, wie's werden thät', ich machte es doch noch einmal, weil Sie mich dauerten; was eben so sein soll! gnädige Frau, sag' ich immer!«

»Ja, alter Gottlieb, ich habe recht daran denken müssen heute,« nickte Tante und goß ein Glas Wein am Nebentische ein. »Da, trinkt einmal auf meinen Jungen – die Nacht damals vergesse ich mein Lebtag nicht –!«

»Ich auch nicht, gnädige Frau, ich auch nicht! Das war ein Wetter, Himmelelement! Keine Hand konnte man vor Augen sehen und der Sturm fegte über die Wendhuser Chaussee, daß ich dachte, Pferd und Wagen sollten den Abhang hinunter! – und nun die Angst, daß ich pünktlich wieder heimkam, eh' einer von der Herrschaft auf den Beinen war; und wie ich mir denke, es ist alles am schönsten, und weiß Sie bei der alten Großmutter gut aufgehoben, und will mein Gespann so recht heimlich und sachte in den Hof hineinbringen, da führte der Teufel – ich weiß heute noch nicht wie – in aller Frühe die Gnädigste daher; geradeswegs quer über den Hof kam sie in einer großmächtigen Schürze, als wollte sie nach dem Milchkeller gehen. Na, das muß ich sagen, fleißig und thätig war die gnädige Frau immer. – Ich sperre Mund und Nase auf, als sie mich anruft: ›Woher denn so früh, Gottlieb? Wie sehen die Pferde aus?‹ – O, Herr Jesus, wenn ich daran denke!«

»Ja, ja, Gottlieb, ich weiß es, laßt nur gut sein,« wehrte Tante Edith und schritt erregt auf und ab, während der alte Mann einige Schritt weiter ins Zimmer getreten war.

»Nichts für ungut, gnädige Frau,« entschuldigte er sich, »es kam mir eben so in den Sinn; denn schlimmer ist mir in meinem ganzen Leben nicht zu Mute gewesen, selbst nicht, wie meine Alte starb, als damals, wo ich in dem Herrn seine Stube kommen mußte und Auskunft geben über meine nächtliche Fuhre. O, du meine Güte!«

Noch lange setzte Tante ihre ruhelose Wanderung fort, selbst dann noch, als die schnarrende Klosteruhr längst Mitternacht geschlagen hatte, und ich schon ein paar Stunden in meinem großen Himmelbett lag. Schlafen konnte ich nicht, mein Fuß schmerzte mich empfindlich, und außerdem wogte es in meinem Kopfe von tausenderlei Dingen durcheinander; ich that mir tausend Fragen, und konnte doch keine einzige beantworten. Alles, was ich bis jetzt hier erlebt, zog in bunter Reihe an mir vorüber, und dies alles gruppierte sich um Tante Edith.

Sie war jetzt in ihrer Schlafstube, die Thür zu der meinen stand, wie gewöhnlich, offen und ein breiter Lichtstreifen fiel auf den gewürfelten Fußboden meines Zimmers. In regelmäßigen Zwischenräumen glitt ein Schatten darüber hin, und der leise Tritt der alten Dame tönte unablässig zu mir herüber.

Es hat etwas Aufregendes, so ein ruheloses Wandern eines andern. Zuletzt fiel ich in einen Zustand zwischen Schlafen und Wachen, und da war es mir, als wandle dort nicht mehr die ältliche, kleine Gestalt der Tante, sondern ein junges, blühendes Mädchen, das so geschäftig und heimlich sich rüstete, das Vaterhaus zu verlassen. Aber warum nur, warum? Und dann erschien sie mir wieder, wie sie jetzt war, blaß und die Haare silbern von vielem, vielem Kummer, und »Katzentante!« flüsterte ich leise, »Katzentante!«

Da bog sich das alte, liebe Gesicht über mein Bett. »Schläfst du noch nicht, Lena?« Ich schüttelte den Kopf und schlang meinen Arm um ihren Nacken. »Tante,« fragte ich, »liebe Tante, warum hat dich Gottlieb damals so heimlich fortgefahren, und warum bist du denn wieder gekommen und die Katzentante geworden?«

»Ei, Kind, du bist noch viel zu jung, um solch traurige Geschichten zu hören, am allerwenigsten heute abend. Schlafe nur, schlaf,« ermahnte sie und drückte einen Kuß auf meine Stirn. Dann ging sie und in ihrem Zimmer verlöschte bald das Licht.

Um mein Bett aber drängten sich bunte Träume und schlichen unter die verblichenen seidenen Vorhänge; dunkelrote Blumen blühten darin; Gerhards Augen sahen so seltsam hernieder in die meinen, und dazwischen hörte ich Charlottes Singen:

Mein Schatz, der ist ein Jäger,
Ich lieb' ihn tausendmal!

und in demselben Moment war ich wieder ganz und gar wach geworden; Tantes Robert war ja auch ein Jäger! Wie ein Blitzstrahl erleuchtete die Thatsache das Chaos meiner Gedanken. »O, Charlotte, nun weiß ich etwas!« sagte sie beinahe laut. Und dann schlief ich köstlich bis zum Morgen.


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