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Der silberne Hirschfänger

. »Wie kommen Sie den Waffen? Es ist ein Wandschmuck, der in ein Herrenzimmer paßt, aber in dem Schreibzimmer einer Dame nehmen sich Büchsflinte, Schleppsäbel, Revolver, Reitpeitsche und Dolch doch etwas eigentümlich aus!«

So sagte kürzlich eine liebenswürdige Freundin zu mir, indem sie kopfschüttelnd den aus den eben angeführten Gegenständen zusammengestellten Wandschmuck in der Nähe des Kamins betrachtete.

»Andenken, Liebste! Nur Andenken!«

»Ah!«

»Die Büchsflinte, zum Beispiel, führte mein Großvater mit Vorliebe; den ungefügen Säbel trug mein Urgroßvater in der Schlacht bei Leipzig; mit der Reitpeitsche pflegte Großmutter Anita ihren Buben die nötigen Hilfen zu geben, wenn sie bockten, und der Dolch endlich ist kein Dolch, wie Sie meinen, kleine Unwissende, sondern ein Hirschfänger, ein Prachtexemplar mit silbernem Griff und Beschlag, das einzige Stück, welches nicht mir gehört; es wurde mir vielmehr von meinem verstorbenen Bruder in Verwahrung gegeben, bis dessen Sohn erwachsen ist. Vorläufig steckt dieser Jüngling noch tief in den Schulwissenschaften; auf die Forstakademie wird er dieses interessante Andenken auch nicht mitnehmen – es ist besser bei mir aufgehoben – denn, meine Liebe, diese kostbare Waffe stammt aus fürstlicher Hand und ist der Begründer eines märchenhaften, wenn auch kurzen Glückes geworden.«

»Können Sie sich denn ein langes Glück vorstellen?« fragte die Freundin. »Wenn es wirklich etwas wie Glück, märchenhaftes Glück, gibt, so ist es, wenn es ungetrübt sein soll, kurz wie ein Traum. Es muß vorübergeeilt sein, ehe die Nüchternheit des alltäglichen Lebens Zeit findet, einzudringen mit ihrem unbarmherzig grellen Tageslicht, mit ihrer Langenweile und ihrer Kritik.«

»Nun, dieses Glück wäre schon stark genug gewesen, der Nüchternheit und Langenweile des Lebens zu trotzen,« entgegnete ich.

»Erzählen Sie doch!«

»Nein; ich werde die Erzählung für den ›Gartenlaubekalender‹ aufschreiben. Kaufen Sie sich, wenn Sie sich dafür interessieren, das Buch für das Jahr 1895. Sie erfahren die Geschichte der Waffe auf diese Weise ausführlicher, als wenn ich sie jetzt berichte.«

»Da muß ich bis zum Herbst warten?«

»Gewiß! Und im Herbst wird sich das kleine Ding besser lesen als im Frühjahr, denn es kommt in ihr viel von der grünen Farbe vor, und die Jagd geht bekanntlich im Herbst auf.«

»Natürlich spielt die Geschichte im Forsthause bei Großmama Stetten?« fragte die lebhafte junge Frau. »Wissen Sie, daß ich diese Großmama aus Ihren Mitteilungen so lieb gewonnen habe, als wäre es meine eigene? Wie gut, wie liebenswürdig und schön muß sie gewesen sein! Schade, daß sich ihre dunkle südliche Schönheit so ganz verflüchtigt hat in den Kindern. – Ihre Mutter, Liebste, Ihre Onkel und Tanten schlagen alle in die Stettensche blonde deutsche Art hinein.«

»Ja,« gab ich zu, »bis auf die eine.«

»Welche eine?«

»Die, die das märchenhafte Glück hatte, das mit dem Hirschfänger zusammenhängt.«

»Aber von der weiß ich ja gar nichts!« rief meine Freundin.

»Das glaube ich. Als Sie in unser Städtchen kamen, war sie längst aus dem Vaterhause, leider auch schon tot. Die Großeltern haben es noch erleben müssen, daß sie starb, und es konnten sie nur die Worte trösten, die diese vergötterte Tochter auf dem Totenbette sprach: ›O, himmlischer Vater, wie herrlich ist es auf deiner Welt! Das Leben ist so schön gewesen, zu schön – es konnte nicht so bleiben. Ich habe in kurzer Zeit mehr Glück genossen als andre in hundert Jahren.‹«

»Wie schwer muß ihr das Sterben geworden sein,« bemerkte die junge Frau.

»Nein, gar nicht! Sie ging gern, denn – aber das sollen Sie lesen.«

Und als sie mich verlassen hatte, holte ich mir den Hirschfänger, legte ihn neben mich auf den Schreibtisch und betrachtete den silbervergoldeten Beschlag der Waffe, dessen Arabesken sich zu dem Namenszuge der Fürsten von A. verschlangen, und den massiven Griff, der die eingravierten Worte trug:

 

In dankbarer Erinnerung an die Nachmittagsstunde des
3ten November 18..
Fürst Bernhard zu A.

 

Die Begebenheit trug sich selbstverständlich vor meiner Zeit zu, das heißt, ich war wohl schon auf der Welt, aber noch ein kleines vierjähriges Mädchen, und nur dunkel kann ich mich auf eine schöne junge Tante im großväterlichen Hause besinnen. Schön muß sie gewesen sein, die Augen der Großmutter leuchteten so stolz, wenn sie von Isotta sprach. Sie hieß eigentlich Elisabeth, aber Großmutter, die für keines ihrer Kinder ein Kosewort ihrer Muttersprache gefunden hatte, suchte die klingendsten, weichsten Laute der Heimat hervor, um dieses süße Geschöpf zu rufen. So ward ihr jüngstes Töchterlein eine »Isotta« und wuchs auf wie eine fremde, wunderbare Blume in des deutschen Waldes Luft. Großvater war der einzige, der sie rauh und kurz »Life« rief, alle andern Leute, mit denen sie verkehrte, nannten sie »Isotta«. Großvater war auch der einzige, der ihr ab und zu fühlbar machte, daß sie ein ganz irdisches Menschenkind sei, ein einfaches Fräulein von Stetten, das Haustöchterchen einer gut deutschen Familie, die schlichte bürgerliche Sitte übe, deren Töchter Nähen, Kochen, Waschen und Stricken lernen müßten und durchaus nicht ein Feendasein zu beanspruchen hätten mit Guitarregeklimper, Gedichtelesen, Tagebücherschreiben und in weißen duftigen Kleidern umherzuwandeln.

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Ja, du lieber Himmel, die Großmama, eine so vernünftige Frau sonst, war ihrer Jüngsten gegenüber wie Wachs!

»Wenn ich nur wüßte, wo ich einen regierenden Grafen für dich herkriegen soll!« polterte der Großvater, »einen, der dir mehrere Dutzend Lakaien und Kammerjungfern hält, von den Kutschen nicht zu reden!«

»Unter dem thue ich's auch nicht,« pflegte Isotta dann neckend zu sagen. » O, padre mio, sieh zu, daß du einen findest!«

Die ganze romanhafte Geschichte, die nun folgt, habe ich von unserm alten Flickdorchen erfahren, die damals schon lange als stille und enttäuschte, aber immer fleißige Hausgenossin droben im Giebelstübchen saß, und es wird am besten sein, ich lasse die Alte selbst reden:

Sie war grad achtzehn Jahr alt geworden, das Fräulein Isotta, da kam ein neuer Forsteleve in die Oberförsterei, denn der Großpapa hatte einen besonderen Ruf als Weidmann und so fünf bis sechs junge Männer waren immer hier. Großmutter hat wie mit Luchsaugen über die junge Schar gewacht, damit sich keine Courmacherei anspinnen sollte.

Als Fräulein Isotta zu ihren Jahren kam, hatten die beiden älteren Schwestern schon geheiratet, und Fräulein Isotta war so stolz und spröde, daß die Mutter sich gar nicht um sie zu sorgen brauchte. Sie schaute nicht aus, das Fräulein Isotta, soviel die armen Jungen sich auch die Hälse nach ihr verrenkten.

Frau von Stetten dachte also nicht im entferntesten an eine Gefahr, als der große blasse Mensch mit etwas vornübergebeugter Haltung zum erstenmal seine Suppe an ihrem Tische aß mit finsterer Miene und wortkargem Munde. Daß er so trübe in die Welt sah, hatte seinen Grund; zwar sprach niemand offen darüber, aber jeder wußte es, daß er schwer litt unter dem Druck seiner zweifelhaften Herkunft. Er sah dem Fürsten ähnlich wie ein Ei dem andern; die Pastorenfamilie, in der er aufgezogen worden war, erhielt ganz offenkundig die Erziehungsgelder von dem fürstlich A.schen Bankier, und die Schüler nannten ihn den »Prinzen« – heimlich, heißt das, denn sie fürchteten sich vor seinem Jähzorn, seitdem er ein paar derartige Witzbolde mit blutigen Köpfen heimgeschickt hatte.

Bernhard Freiherr von Botterode hieß er. Botterode ist das Jagdschloß, Sie wissen ja, sagte Flickdorchen.

Freilich kannte ich das schöne alte Schloß.

Der Botterode sollte die Forstcarriere machen, und Ihr Herr Großvater wurde dazu ausersehen, ihn praktisch auszubilden, fuhr Flickdorchen fort. Der Herr Oberförster war gar nicht erbaut davon, besonders nicht, als ein privates Schreiben vom A.schen Hofe folgte, dem etwas Eigenhändiges von Sr. Durchlaucht beigefügt war. Die schlechte Laune wuchs noch, als der junge Mann eintraf, finster, scheu, ungesellig, in seiner Haltung schlaff, unentschlossen, ohne jeglichen Schneid, und obendrein – die Aehnlichkeit! – Der Herr Oberförster war ein Mann von strengsten Grundsätzen, war kein milder Richter über die fürstliche Jugendthorheit, und daß er die Ausbildung dieses Menschenexemplares zu leiten bekam, war ihm daher ganz besonders ärgerlich.

»Wer ist denn die Mutter gewesen?« sagte er zu seiner Frau, »kurze Röcke, Tricots, Ballettpack, das nichts weiter futtert als Zuckerzeug und Südfrüchte – guck nur das Jammergestell, das gibt dann solche Menschenrasse. Man sieht ihm ja die Schokoladenfütterung auf zehn Schritt an! – Knochen wie ein Rehkitzchen. Hat in seinem Leben noch kein Stück Schwarzbrot hinunter gebracht.«

»Aber Stetten, die derben Knochen machen es doch nicht! Denk nur an die ›Editha‹, das Pferd steht im Stalle wie ein Häufchen Unglück – und wenn's gesattelt ist und du reitest vom Hofe – alle Wetter!«

Wenn die Frau Oberförsterin ihren Mann auf die »Editha« brachte, lächelte er gewöhnlich, denn er liebte die schöne englische Stute zärtlich, obgleich sie über die Blütejahre hinaus war und nur noch kleine Waldspazierritte that mit ihrem Herrn. »Ja, siehst du, Anita, – ein Pferd – «

»Ach, Alter, du bist ungerecht und lieblos. Kann der arme Junge dafür, daß der Fürst sein Vater ist? Und außerdem war ja doch seine Mutter die rechtmäßige Frau.«

»Linkshändig!«

»Na, das ist ganz einerlei! Zur Prinzessin konnte er eine Tänzerin nicht machen.«

»Das heißt ja auch nur, dem Leichtsinn ein Mäntelchen umgehängt! Denn als der Bruder, der Erbprinz, starb und unser jetziger Herr zur Thronfolge heran kam, da wurden sie einfach geschieden, eins – zwei – drei – «

»I, bewahre,« wandte Frau von Stetten ein.

»Nanu, Anita? Er heiratete doch ein halbes Jahr darauf die Durchlauchtigste? Du willst unsern Landesvater wohl gar unter die Mormonen bringen?«

»Gott behüte, Stetten! Es gibt keinen musterhafteren Ehemann.«

»Na also!«

»Ich sage doch nur, sie wurden nicht geschieden! Die Freifrau von Botterode starb, ehe es zur Scheidung kam, das weiß ich. Drei Wochen nach dem Tode des Erbprinzen starb auch sie.«

»An der Schwindsucht natürlich!«

»Nein – an Gift!«

»Davon hab' ich nie etwas gehört.«

»Glaub's schon – aber ich! Der Medizinalrat hat mir's mal anvertraut: sie nahm das Gift, um ihm nicht hinderlich zu sein und weil sie ohne ihn nicht leben mochte. Wenn also der Botterode schlapp und energielos ist – von der Mutter hat er's nicht.«

»Das sind Romane, Anita; ich glaub' an das Gift nicht; und der Botterode ist mir die unangenehmste Persönlichkeit, die es gibt.«

Dabei blieb es. Und ich, fuhr Flickdorchen fort mit traurigem Kopfnicken, ich war die erste, die es merkte, daß nicht alle Leute den Botterode für »unangenehm« hielten; Fräulein Isotta dachte vor allem anders. Sie unterhielten sich zwar bei Tische nicht, die beiden, aber am Waldrand sah ich sie zusammen spazieren sommerabends, und wenn der Herr Oberförster just einmal nicht daheim war, so kam er in die Wohnstube und spielte Klavier, und die gnädige Frau und Fräulein Isotta lauschten. Herr des Himmels, der konnte spielen, aus einer Melodie ging's in die andre; – man hätt's gar nicht für möglich gehalten, daß aus so einem armseligen kleinen Kasten eine derartige Fülle von Wohllaut erklingen könnte, wenn man's nicht mit eigenen Ohren gehört hätte. Zuweilen las er auch; er liebte Hoffmann von Fallersleben, dessen Lieder alle Welt sang, und das ärgerte den Großpapa.

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»Er soll die Nase lieber in ein Fachbuch stecken,« sagte er, »statt demokratische Lieder zu lesen. Diesen Herren Dichtern und Konsorten haben wir's zu verdanken, daß jeder Lump, der einen Schießprügel bezahlen kann, losknallt, während es früher ritterlicher Sport war und nur der kunstgerechte Jäger jagen durfte. Aber natürlich muckt's in dem, wär' doch am liebsten selbst der Herr Erbprinz.« –

Der Herr von Botterode hat keine leichte Zeit gehabt im Forsthause, die unangenehmsten Aufträge und Arbeiten, die schlechtesten Schußstellen, alles ward ihm zu teil, dazu Tadel über Tadel. Aber der blasse Mann mit den schwermütigen dunklen Augen achtete kaum darauf. Er that, wie ihm geheißen ward, ohne Widerrede und saß abends bei der brennenden Lampe und las und schrieb sich die Gegenwart aus dem Sinne.

Eines Tages ging Fräulein Isotta mit dem Nähzeug und einem Päckchen beschriebener Blätter in die Mooshütte, die einen Büchsenschuß weit vom Hause in dem Walde steht, und als sie nach Stunden wiederkam, da hatte sie heiße Augen und purpurne Wangen, aber die Serviette war ungesäumt geblieben. Dafür lag ein seliges Leuchten über dem schönen Gesicht, und alles, was sie that, war wie im Traum. Und vor dem Abendessen, das draußen unter der Linde eingenommen wurde, fiel sie ihrer Mutter in der Wohnstube um den Hals und küßte sie, und durch das offene Fenster hörte ich ihren Jubel:

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»O, Mutter, Mutter, wann darf ich dir vorlesen, was er für mich gedichtet hat?«

Die Frau Oberförsterin ist nicht, wie so' manche Mutter, gleich daher gefahren mit Scheltworten und hat von Dummheiten geredet, sie hat sich das Vertrauen ihres Kindes wohl zu erhalten gewußt und hat gesagt: »Ich lese es lieber für mich, Isotta, leih mir die Blätter.« Aber das wollte das Kind nicht, und da wußte die Mutter, daß nicht alles, was auf dem Papiere stand, für ihre Augen war. Und spät abends kam Fräulein Isotta noch zu mir in die Giebelstube; sie hatte verweinte Augen und setzte sich still ans Fenster, und endlich fragte sie mich: »Dorchen, warum kann nur Vater den Botterode nicht leiden?«

»Ich ahne es nicht, Fräulein Isotta.«

»Weißt du, was er heute sagte? Botterode sei ein unbrauchbarer Mensch, eine Null, ein Garnichts, nicht Fisch noch Vogel, ein Nagel zu seinem Sarge! Aber, glaube mir, Dorchen, es gibt keine bessere Seele auf der Welt!«

Ich wußte nicht, was ich ihr antworten sollte. Ihr recht geben, wäre Oel ins Feuer gegossen gewesen; – ihr widersprechen – ganz gefährlich. Es ist schwierig, mit Leuten umzugehen, die lieben.

»Und denke dir,« fuhr das Mädchen fort, »was neulich der Jagdjunker von R. dem Vater erzählt hat! Die ganze Hofgesellschaft sei froh, daß der unheimliche Mensch aus A. fort wäre; er hasse den Prinzen, und bei seiner Gemütsart könne man alles von ihm erwarten, weil er sich einbilde, wenn der Prinz nicht lebte, würde der Fürst ihn als Erbprinzen einsetzen. Und was meinst du, Dorchen, der Vater glaubt das und sagt: ›Verschroben genug ist der Mensch dazu ‹«

Sie stieß das letzte unter Thränen hervor, lehnte die Stirn an die Scheiben und schluchzte leise. »Hör mal zu, Dore!« sprach sie nach einer Weile, »so gut ich's verstehe, will ich dir's hersagen, da kannst du gleich wissen, wie es aussieht in dem armen Herzen:

Ich stehe ferne eurem Kreise,
Ihr Menschen, die ihr glücklich seid.
Denn einsam bin ich, bin verlassen,
Und Worte schildern nicht mein Leid.

Wie ein vom Sturm verschlagner Vogel
Um 's Nestlein klagt in irrer Flucht,
Wie auf dem Meer, dem wilden, öden,
Des Schiffers Aug' den Hafen sucht,

So späh' ich bang nach einem Herzen,
Das sich in Liebe für mich schwellt.
Ein einziges von all den tausend
Auf dieser weiten, kalten Welt.

Und doch ist mir am dunklen Himmel
Ein goldnes Sternlein aufgestrahlt,
Ein Stern – mein einziger, wo andern
Ein Meer von Himmelslichtern strahlt.

O, geh nicht unter, leuchte weiter!
Vielleicht, wer weiß, bist du bestimmt,
Dies arme Herz dereinst zu retten,
Wenn es zu dir die Zuflucht nimmt.

O, leuchte weiter – – «

Isotta vollendete nicht, die Worte erstickten ihr, sie preßte das Taschentuch vor den Mund und lief aus der Stube. Auf der Diele lag im Mondschein ein weißes zerknittertes Blatt; »An meinen Stern« war die Ueberschrift.

Ja, das war nun freilich eine schlimme Geschichte, und was sollte wohl ich dabei thun? Mich dauerte das arme junge Herz mit seiner Liebe, seinem Mitleid und dem Bewußtsein, daß der Vater ein Gegner dieser Neigung und der Liebste selbst so unglücklich war. Wie so eine welke Blume saß sie da, den Kopf gesenkt, die Augen trübe, der Mund zuckend vor Weh.

»Herr von Botterode,« sagte ich zu ihm, als ich ihm ein paar Tage nach jenem Abend auf der Treppe begegnete – er blieb stehen und sah mich verwundert an, soweit dies zu erkennen war in der tiefen Dämmerung – »nichts für ungut, Herr Baron, aber ich möchte Ihnen einen Rat geben – sprechen Sie sich mit Frau von Stetten aus, und wenn Sie keine Erwiderung finden bei den Eltern, dann gehen Sie so weit, als Ihre Füße Sie tragen – vielleicht kann das Kind Sie noch vergessen.«

Himmel! Haben da seine Augen aufgeblitzt, als stände Durchlaucht selber vor mir.

»Ich verstehe Sie nicht!« schnarrte er mich an und stürmte die Treppe vollends hinunter.

Nun, dann nicht! Jedenfalls hatte ich es mit ihm verdorben. Die Frau Oberförsterin wagte ich auch nicht, darauf anzureden; sie that sehr sorglos, und Fräulein Isotta schien das Vertrauen zu mir verloren zu haben, sie erzählte mir nicht mehr von ihm. Trotzdem hörte und sah ich ja doch alles; die Luft im Hause war schwül wie vor einem Gewitter, und drohende Anzeichen gab's überall, daß es zum Ausbruch kommen würde.

Isotta weigerte sich, die Silberhochzeit bei ihrer Pate, der Frau Amtsrat in Jestedt, zu besuchen. Der Herr Oberförster aber verstand keinen Spaß und befahl. – Ich sehe sie noch stehen in ihrem italienischen Kostüm, die schöne Isotta – sie sollte mit einem Körbchen Orangen einen poetischen Glückwunsch darbringen – das römische Tuch auf den dunklen Flechten, die Silbernadeln darin, der schlanke Leib vom kurzen Mieder umspannt, im faltigen Röckchen, unter dem die schmalen Füße sichtbar waren. Die Hände knitterten das buntstreifige Schürzchen, eine Purpurröte lag auf ihren Wangen, die feinen Nasenflügel bebten und die Augen, die wunderbaren Sammetaugen sprühten im Unmut über den Zwang, den man ihr anthat.

Frau von Stetten sah ihr Kind mit atemloser Bewunderung an; so schön hatte ihr Liebling noch nie ausgeschaut. Draußen hielt der Wagen schon, im Flur rief der Herr Oberförster ungeduldig nach seinen Damen und erschien gleich darauf in der geöffneten Thür, um selbst nachzuschauen. Die gnädige Frau warf Fräulein Isotta rasch den Pelzmantel um und schob sie der Thüre zu. Ich folgte ihnen, denn ich sollte als eine Art Kammerjungfer mitfahren; die Frau Amtsrat hatte darum bitten lassen, damit ich ihren Gästen behilflich sei.

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Frau von Stetten sah ihr Kind mit atemloser Bewunderung an.

Und dann gab's auf dem Flur eine Begegnung – der Botterode stand an der Hausthür und verschlang mit Blicken der Eifersucht das schöne Mädchen. Sie gab stumm und doch beredt die Blicke zurück, über das Antlitz des Herrn Oberförsters aber lief ein zornesroter Hauch, als er die lange schlanke Männergestalt aus dem Schatten der nahen Hausthür tauchen sah; er murmelte etwas in seinen Bart, und die gnädige Frau legte beschwichtigend die Hand auf seinen Arm. Brummend stieg er hinter ihr und Isotta in den Wagen.

Hätte er gesehen, was ich sah – – wie eine Gestalt sich blitzschnell auf den Bock schwang neben den Kutscher und mit uns hinausfuhr in den dunklen Spätherbstabend. Aber der Herr Oberförster saß auf dem Rücksitz neben mir und ahnte nicht, daß der Verhaßte, um den Anblick des geliebten Mädchens noch einmal zu haben, um ihr nahe zu sein während der Festnacht, mit uns fuhr, er schimpfte nur weidlich über die unpraktische Einrichtung seines alten Freundes, am Vorabend des Hubertustages zu heiraten, wo doch jeder wisse, daß der Weidmann von früh an keine Ruhe habe.

Eingeladen hatte man Botterode nicht; er war so menschenscheu, er machte nirgendwo Besuche, aber er gönnte auch sie nicht den Menschen, die er verachtete.

Als der Wagen hielt, war er nicht mehr auf dem Bock. Der Oberförster kletterte zuerst hinaus und half seiner Frau, ich aber mußte sehen und hören, wie auf der andern Seite ein junges Menschengesicht mit flehendem Ausdruck sich in den Wagen bog und dem bebenden Mädchen zuflüsterte: »Denk an mich, Isotta!«

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»Mit jedem Atemzug!« war die Antwort.

»Mein Stern, mein Lieb!«

»Bernhard! Lieber, lieber Bernhard!«

»Ich bin im Garten – sehe durch die Fenster. – Tanze nicht, Isotta, tanze nicht – ich ertrüge es nicht!«

»Ich tanze nicht!«

Sekundenschnell waren die Worte hin und her geflogen. Ich richtete mich auf und stieg langsam aus, ich wollte ihnen die Minute gönnen, dachte an meine eigene Jugendliebe – da hörte ich einen Kuß, dann huschte Isotta über den Wagentritt und folgte den Eltern ins Haus.

Es ging hoch her den Abend, wie's so ist bei großen Festlichkeiten auf dem Lande in einem vornehmen Haushalt, und den führten Amtsrats, obgleich sie nicht auf eigenem Grund und Boden saßen. Aber es hieß überall, sie tauschten nicht mit dem größten Rittergutsbesitzer, denn es war fürstliche Domäne und der Pachtzins lächerlich gering. Da nun schon vom Urgroßvater an Otterstedts auf dieser Pachtung saßen, kann man sich ja leicht vorstellen, wie die Geldsäcke der Familie angeschwollen sein mußten, schier zum Platzen – so erzählten die Leute.

Das gehört nun freilich nicht unmittelbar zur Geschichte, aber ein wenig doch, damit ich alles so recht beschreibe in seiner Pracht. Dem heutigen verwöhnten Menschen mag's ja einfach vorkommen, damals aber staunte jedermann über den Luxus bei Otterstedts. Freilich, sie verkehrten mit dem ganzen Adel der Nachbarschaft, und der Fürst war jährlich mehrere Male zur Jagd auf Jestedt.

Das war denn ein Leber: heute! Ueberall Lichter, die aus Tannengrün stammten; die alten geschnitzten Treppengeländer unter Grün versteckt, alle Thüren umkränzt, der Fußboden mit Blumen bestreut, und in den Zimmern eitel seidene Bezüge, glitzernde Kronleuchter und Spiegel in Goldrahmen. Das Parkett so glatt wie eine Schlittschuhbahn, die Luft voll feinen Räucherwerks, Mädchen mit schneeweißen Schürzen, betreßte Diener, und alles voll Gäste, lauter Vornehme.

Ich befand mich in der Garderobe, half den Damen die Mäntel ablegen, in Gemeinschaft mit des Gärtners Frau, deren Mann heute mit aufwartete, seinem alten steifen Rücken zum Trotz. Und als die Aufführungen im Saale begannen und es stille ward in unserm Zimmer, wo alle die feinen Damenmäntel und Shawltücher hingen, da saßen wir denn und schwatzten von diesem und jenem, was man so spricht: wie lange sie, die Alte, nun schon hier auf Jestedt sei, und woher sie gebürtig, und wie sie ihren Mann kennen gelernt, und daß ihr alle Kinder klein gestorben seien bis auf einen, der bei den Jägern gedient und nun in A. als fürstlicher Lakai sein Brot esse. Ach ja, die Großen und die Vornehmen, die haben's doch auch nicht immer so leicht, wie man denkt; das erfährt man erst, wenn man so jemand bei Hofe hat. »Ist's denn wahr, Fräulein Dorchen, daß jetzt der Botterode auf der Oberförsterei lebt?«

»Ja!« sagte ich.

»Na, dem mag's wohl sein dort, nun er wieder aus der Hetze heraus ist.«

»So? Ja, bei uns ist's still und friedlich,« antwortete ich ausweichend.

»Ih nun. Sie wissen doch – ?«

»Freilich, ich weiß – «

»Ja, sehen Sie, Fräulein Dorchen, Durchlaucht hat's gut gemeint, daß er den Jungen nach dem Tode der Fürstin als Spielkameraden des Prinzen ins Schloß nahm, aber, du lieber Himmel, als ob's nicht alle Welt weiß, was für eine Bewandtnis es mit dem armen Schelm hat. Da fanden sich Leute, die haben gehetzt und gehetzt und dem Prinzen zugeflüstert, der Botterode sei ein schlechter Gesell und trachte danach, ihn bei seinem Vater anzuschwärzen; und dem Fürsten haben sie allerlei Erlogenes zugetragen über den Charakter des armen Kerlchens, und eines Tages hat's das Unglück gewollt, daß die beiden Jungen in Zank geraten sind – so an die fünfzehn Jahre mag der Botterode gewesen sein, und der gnädige Erbprinz dreizehn – und da ist denn der Gouverneur grad dazu gekommen, wie der Botterode über die kleine erbprinzliche Durchlaucht hergefallen ist und ihn gepufft und geknufft hat, daß es einen Hund hätt' jammern können. Ist 'ne Jungensprügelei gewesen, natürlich, und hätten alle am besten gethan, als ob sie's nicht gesehen, aber da hat man dem Fürsten erzählt, der Botterode habe den Erbprinzen würgen wollen, Durchlaucht sei schon blitzblau gewesen. – Na, da hat der Fürst ihn in eine Pension gesteckt, und dort ist er geblieben, bis er zur Universität ging, und dann soll ja wieder etwas vorgekommen sein zwischen dem Prinzen und ihm. Ich versteh's nicht so, die Studenten sind ja wohl ein rauflustig Volk, und die Heidelberger und die Bonner, die haben sich, glaube ich, mal irgendwo da am Rhein getroffen. Von Bonn ist der Erbprinz dabei gewesen, und von Heidelberg aus der Botterode, und wie sie sich gesehen haben, ist's auch gleich losgegangen, und der Botterode hat so wenig Respekt gehabt, daß er dem Erbprinzen das Gesicht zerschlug. – – Der Fürst hat ihn dann nie wiedersehen wollen; lieber Gott, und wie es zur Welt kam auf Schloß Botterode, das arme Kerlchen, da hat Durchlaucht vor der Wiege auf den Knieen gelegen und geweint vor Glück.

So geht's! Meine Schwester, die auf Botterode diente dazumal, die hat erzählt, wie in einem Märchen so glücklich hätten die zwei Leute gelebt, und gar, als ein Kind dagewesen. Und da muß nun das Schicksal wollen, daß der ältere Bruder des Prinzen, unsres jetzigen Fürsten, stirbt und er auf den Thron steigen muß. – Ja, man denkt immer, wärst du doch ein König! Aber 's ist schwer, Fräulein Dorchen, bin lieber in meinem Gärtnerhause, denn, sehen Sie, selber gehört sich doch kein Fürst.«

Sie nickte, rückte die Brille wieder von der Stirn auf die Nase und nahm eine Masche ihres Strickstrumpfes mit vieler Umständlichkeit auf.

Armer Botterode! dachte ich.

Und auf einmal wird da ein Laufen und Nennen und Thürenschlagen im Hause, und dann stürzen ein paar Dienstmädchen in die Garderobe und die eine schreit uns zu: »Herrje! Nein, denken Sie doch, Frau Heinemann, der Erbprinz – der Erbprinz ist gekommen!«

»Heilige Güte!« stammelte ich und mir war's auf einmal ganz beklommen, ich wußte nicht gleich, warum.

Aber nun hielt's die alte Frau nicht mehr aus. »Mag's kosten was es will, Fräulein Dorchen,« sagte sie, »die alten Mäntel und Hauben werden ja keine Beine bekommen, um wegzulaufen – wir gehen auf die Terrasse und schauen durchs Saalfenster. Aber nehmen Sie sich ein Tuch um, den November spürt man, die Luft ist voller Schnee heut abend.«

Und richtig, ich ging mit, als risse mich etwas hin.

Den Garten hatte man wohlweislich abgesperrt an dem Abend, denn die Lämpchen für die Illumination waren bereits am Morgen um alle kahlen Beete und halberfrorenen Rasenplätze gesetzt und mußten vor unvorsichtigen Menschensüßen gehütet werden. Die Alte trug den Schlüssel zur Pforte bei sich, da die Gärtnerwohnung im Park liegt. So schritt sie, mich immer an der Rockfalte dicht neben sich haltend, damit ich ja keinen Schaden anrichte, vorwärts der breiten Terrasse zu, die die ganze Breite des Herrenhauses entlang lief und am sogenannten Gartensaale mündete, in dem die Feier stattfand. Wir kamen die Stufen empor und zu den Fenstern hinüber, durch die wir bequem das ganze Festgewoge überblicken konnten.

Im Saale drinnen war alles in Bewegung, der Prinz eben eingetreten; ein blonder Herr mit stolzem blassem Gesicht und einem tüchtigen Schmiß auf der linken Wange, gefolgt von dem Kammerherrn und Adjutanten. Die Aufführung schien unterbrochen, zwei junge Mädchen in der Tracht der Jestedter Bäuerinnen standen mit roten Gesichtern vor den leeren Stühlen des Jubelpaares, das dem hohen Gast entgegengeeilt war. Der Prinz führte eben die Silberbraut wieder zu ihrem Sitz und nahm neben ihr den bekränzten Stuhl des Bräutigams ein, der, glücklich lächelnd, hinter ihm stehen blieb; und der unterbrochene Vortrag begann nach einigen Verlegenheitsreden aufs neue.

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Herr des Himmels, wie sie daher trat in dem eigenartigen Kostüm!

Wir konnten ja nichts verstehen, wir sahen nur, daß die niedlichen Bauernmädchen sprachen und endlich etwas überreichten. Ich blickte mich vergebens nach Isotta um. Dann kam ein Drehorgelmann, den ich kannte, trotz seiner gelungenen Verkleidung – es war ein Kürassieroffizier aus der benachbarten preußischen Garnison – der nach der Melodie »Ei du lieber Augustin« etwas Spaßhaftes sang, das viel belacht wurde. Und dann – mir fing auf einmal das Herz an zu klopfen bis zur Halskrause hinauf – unsre Isotta.

Herr des Himmels, wie sie daher trat in dem eigenartigen Kostüm! Dieser Stolz in der Bewegung, diese Schönheit dazu. – – Es wurde mir jetzt selber heiß bei dem Anblick; was Wunder, wenn der Prinz vorgebeugt, mit starren Augen und offenem Munde an ihren Zügen hing! Und daß er, als sie geendet, zu ihr redete, als sei sie ihm zu Ehren erschienen.

Und da packte mich wieder jene unerklärliche Angst.

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Ich trat vom Fenster zurück und spähte umher nach Botterode – er wollte ja doch im Garten sein. Und gar nicht weit hatten meine Augen zu suchen; er stand da an der Thür und sah mit einem Gesichtsausdruck auf die Scene, wie der Löwe, den ich einmal in der Menagerie hinter den Gitterstäben liegen sah, wild, heiß, verzweifelt; und seine Hand zupfte wie in innerer Unruhe an dem dunklen Schnurrbart. Die Heinemann flüsterte verdrießlich, wer denn das sei, und wie der daher käme. Ich antwortete ihr ebenso leise, das sei eben der Botterode, der wolle unser Fräulein gern sehen. Eingeladen sei er nicht, und sie, die Heinemann solle ihn da nur lassen, er stecke den Garten nicht in die Tasche.

Na, das wisse sie, aber der Herr Amtsrat habe verboten, daß Fremde eintreten. »Meinetwegen, ich will ihn nicht sehen. – Hat sich wohl gar verliebt in euer Fräulein?« forschte sie dann.

»Der?« – log ich – »warum nicht gar! Die sind wie Geschwister zu einander.«

Damit schwieg ich und ließ die Alte murmeln; ich war im Schauen versunken, und meine Blicke gingen immerzu von drinnen nach draußen. Die Isotta stand da wie ein steinernes Bild, aber ihre Augen irrten umher und streiften angstvoll die Fenster, die mit leichtem weißem Mull verhängt waren. Und dabei wogte jetzt alles kunterbunt durcheinander, Diener und Mägde trugen kleine fertig gedeckte Tischchen in den Saal; daran sollte die Jugend essen, erklärte die Heinemann. Zum Nebenzimmer öffneten sich die Thüren, und man konnte die köstlich geschmückte Tafel sehen. Der Hausherr und die Hausfrau mochten um einen würdigen Tischplatz für den hohen Gast besorgt sein, sie eilten aus und ein, und der dicke Jubelbräutigam wischte sich das erhitzte rote Gesicht unaufhörlich mit dem Tuche, während der Prinz jetzt von einem der alten Herrschaften zum andern trat und huldvolle Worte sprach. Wenigstens sah er sehr freundlich aus, und unserm Herrn klopfte er sogar auf die Schulter, und der verzog sein ärgerliches Gesicht zum Lächeln.

Endlich schien alles geordnet, denn der Herr Amtsrat trat mit tiefer Verbeugung vor den Prinzen und deutete nach dem Nebenzimmer. Alles ordnete sich stillschweigend, die Herren gesellten sich den Damen zu, die sie zur Tafel geleiten wollten, um sich ohne Zögern dem hohen Gast anzuschließen, wenn dieser der Frau Amtsrat den Arm geboten haben würde. Aber der lachte, schüttelte mit dem Kopf, deutete auf einen der Tische inmitten des Saales, wandte sich um und war mit ein paar Schritten vor unserm Fräulein Isotta, machte eine tiefe Verbeugung, und an dem verblüfften Herrn Amtsrat vorüber führte er sie zu dem kleinen für nur vier Personen gedeckten Tischchen, dann winkte er seinen Adjutanten, der eine Freundin Isottas am Arme hatte, hinzu, und die ganze ältere Honoratiorengesellschaft zog mit verwunderten Gesichtern zu der Prunktafel hinüber. Nur des Herrn Amtsrats lautes wohlgefälliges Lachen gab Zeugnis, daß er seine Fassung wiedergefunden und verstanden habe, daß Jugend zu Jugend wolle und ein Prinz, der harmlos gemütlich die Silberhochzeit seines Domänenpächters beehre, sich schließlich auch zu amüsieren gedenke.

Fräulein Isotta hat mir später erzählt, daß der Prinz gerufen habe, er wolle dem Silberbräutigam die Braut nicht rauben; er sei nicht gekommen, zu stören, sondern froh zu sein mit den Frohen. Er bleibe bei der Jugend und werde sich eine Partnerin schon wählen. Und so führte er es auch aus.

»Nein so etwas, nein so was!« wunderte sich die Heinemann neben mir; und ich sah auf den Botterode, der sich nicht mehr den Schnurrbart strich, sondern unbeweglich wie eine Säule stand und starr nach seinem Schatz blickte, die, uns den Rücken zuwendend, zwischen dem Erbprinzen und seinem Adjutanten saß. Ob sie sehr fröhlich war? Wer konnte es ergründen! Ihre Gesichtszüge sahen wir nicht, aber sie wandte den schönen Kopf artig und wohlerzogen zu ihrem Tischherrn, stieß mit ihm an und horchte seinem Plaudern zu und der war vergnügt und trank von Anfang an Champagner. Und es war, als ob seine Lustigkeit ansteckte, denn das Lachen und Jubeln nahm bei jedem neuen Gericht zu. Und dazu die Musik und dann der Toast des Herrn Amtsrates, der auf die Schwelle der beiden Gemächer trat und den durchlauchtigsten Gast leben ließ. Und dann ließ dieser das Jubelpaar leben, und die Fensterscheiben zitterten, so riefen sie »Hoch«! Aber was war das alles gegen den Jubel, als zu Ende der Tafelei der Erbprinz noch einmal das Glas ergriff und mit einer so lauten Stimme, daß auch wir es deutlich hörten, die Damen hoch leben ließ, die Schönheit und die Jugend; und dann stieß er mit Isotta an, und der Blick dabei, der lange Handkuß, obgleich man sah, daß sie ihm diese Hand entziehen wollte!

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Eine Männerstimme neben uns murmelte etwas wie in atemloser Angst; der Botterode hatte die Klinke der Saalthür erfaßt und sah aus wie einer, der nicht mehr weiß, was er thut.

»Gehen Sie ins Haus,« raunte ich der Heinemann zu, »ich muß mit ihm reden, sonst macht er noch eine Dummheit.«

»Der will sich doch nicht etwa da hinein drängen?« flüsterte diese ängstlich. »Gott bewahre uns, der Mensch ist wohl nicht bei Troste! Der ist eifersüchtig, Dorchen, so wahr wie ich die Heinemann bin!«

Sie ging aber wirklich, schon aus Angst, weil sie dachte, es gäbe einen Skandal, wenn der tolle Botterode da hinein stürmte.

Und richtig – ehe ich noch hinüber kommen konnte zu ihm, rüttelte er plötzlich an der Thürklinke wie ein Rasender; aber, Gott sei Dank, die Thür war zugeschlossen und die Jugend da innen, die lärmte und lachte zu der Musik, daß sich kaum die Nächststehenden flüchtig umwandten ob des Geklopfes.

»Herr von Botterode,« rief ich, »ich bitte Sie um Gottes willen!« und riß seinen Arm zurück. Da sah er mich zuerst an, als sei ich eine Schlange, die er zertreten müsse, dann aber fuhr er mit der Hand über die Stirn, nickte, vor sich hin blickend, mit dem Kopf und lehnte sich, wie schwach, mit der ganzen Gestalt gegen die steinerne Einfassung der Thür.

»Gehen Sie fort von hier, Herr Baron!« bat ich, »Sie quälen sich unnütz; Fräulein Isotta kann nichts dafür, wenn sie dort neben dem Prinzen sitzt. Sie hat keinen andern lieb wie Sie. Nehmen Sie mir es nicht übel, daß ich so offen spreche, ich meine – Sie quälen sich und das Kind.«

Ich redete nochmals vom Fortgehen, da machte er eine ungeduldige Handbewegung und seine Blicke hingen wieder wie gebannt all der schönen Italienerin. Dann ward plötzlich alles lebendig dort innen, die Tische wurden entfernt, Fenster geöffnet und deutlich drangen zu uns Stimmen heraus. Ich hatte Seelenangst, auch diese Thür würde aufgemacht werden, aber sie blieb zu, der Herr Amtsrat hatte wohlweislich den Schlüssel abgezogen, damit das leichtsinnige junge Volk nicht, heiß vom Tanze, hinaustrete in die kalte Nachtluft und sich Krankheit oder gar den Tod hole.

Dann klang ein Marsch von der Galerie, und nun formte sich die Polonaise in feierlichem Zug; voran diesmal der Prinz mit der Frau Amtsrat, die in einem grauen Moirékleid und großer Brillantagraffe wie eine Königin strahlte. Durch alle Stuben wand sich der Schwarm der Menschen, und als sie wieder den Saal betraten, da ging die Musik in einen Walzer über.

Ich meine, damals wäre ein Walzer schöner gewesen als heutzutage; so langsam, so wiegend, so wie geschaffen für zwei Leute, die sich lieben. Man hätte immer singen mögen: Ich liebe dich – ich liebe dich! zu der alten süßen Melodie in langsamem Dreivierteltakt. Schade, daß die Isotta nicht tanzen will heute abend, dachte ich – . Warum sich nur die Verliebten das Leben so schwer machen mit Eifersucht und solchen Dingen? Und doch ist's auch wieder so schön, daß man alles entbehren will, in Gedanken an den einen. Richtig – da ließ das Kind ihren Polonaisentänzer stehen und schüttelte mit dem Kopf, und neben mir hebt ein erleichternder Seufzer die Brust des Lauschenden. Wie angezogen von seiner Gegenwart, wandte sie sich durch das Gewühl der Tanzenden und kam herüber zu der Thür, an welcher wir standen, und spähte in die Herbstnacht hinaus.

Ich trat zurück, denn er bog sich gegen die Scheiben. Ob sie sich erkannt und durch ihre Augen miteinander gesprochen haben, ich weiß es nicht; ich sah nur vom andern Fenster aus, wie der Prinz suchend im Saal umherspähte, wie er dem Adjutanten winkte, wie dieser ebenfalls suchte und dann zu der Thür hinüber eilte.

Unwillkürlich trat ich wieder zu Herrn von Botterode; ich hörte sein schnelles Atmen während der nächsten Minuten, in denen Isotta sich weigerte, das Engagement des Prinzen anzunehmen, der nun auch zu ihr gekommen war; der Herr Oberförster war ebenfalls hinzugeeilt, es gab ein anscheinend sehr höfliches, scherzhaftes Hin- und Widerreden, und dann legte der Prinz seinen Arm um die Taille Isottas und zog sie in den Wirbel des Tanzes. Und da, ehe ich es hindern konnte, hatte sich die Faust des Botterode gehoben, ein Klirren und Prasseln – die Fensterscheibe war unter dem wuchtigen Schlage in tausend Trümmer gegangen, und langsam wandte er sich ab und schritt über die Terrasse die Stufen hinab in die Nacht hinein, die Zähne aufeinander gebissen, leise pfeifend oder zischend, mit einem schier verachtungsvollen Achselzucken.

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Als der Amtsrat, zornesrot, und der Oberförster die Thür aufrissen, die Gäste sich um beide drängten, um zu sehen, was es gäbe, da verschwand er eben in der tiefen Dunkelheit, und ich stand da, blaß und zitternd wie eine ertappte Sünderin.

»Was war das?« herrschte mich der Herr Oberförster an, hinter dem jetzt totenbleich Isottas Köpfchen hervorlugte. »Sie müssen den unverschämten Patron gesehen haben, der solchen Unfug verübte!«

Ich wollte antworten und konnte nicht, so angstvoll sahen mich die dunklen Mädchenaugen an.

»Reden Sie!« donnerte der Herr Amtsrat.

Da stotterte ich, aus Versehen sei ich zu heftig mit dem Kopfe gegen die Scheibe gefahren, weil ich gern Durchlaucht mit unserm Fräulein hätt' wollen tanzen sehen.

Es war eine Lüge, und geglaubt wurde sie mir wohl nicht, aber man gab sich zufrieden und trat in den Saal zurück; und Isotta, die bei mir bleiben wollte, nahm der Vater heftig bei der Hand und zog sie hinein. Ich aber hatte genug vom Zuschauen und ging wieder in die Garderobe, und dort saß ich, bis unsre Herrschaft kam, die gleich nach dem Prinzen das Fest verließ, weil die Frau von Stetten sagte, der Herr Oberförster müsse sehr früh wieder auf den Beinen sein.

Im Wagen ward kein Wort geredet; nur einmal sprach der Herr Oberförster; als es anfing in großen Flocken zu schneien, sagte er: »Wenigstens etwas, das einen freut!« – er meinte es wegen der Jagd. Aber daheim gab's noch eine böse Scene, und an die will ich denken, solange ich lebe; ich mußte leider dabei sein von Anfang bis zu Ende. Und da kam es denn heraus, daß der Botterode tags vorher um Fräulein Isotta angehalten hatte bei Herrn von Stetten und mit einem kurzen und sehr bestimmten »Niemals!« abgewiesen war, was zur Folge gehabt, daß sich die beiden jungen Leute »ewige Treue« schworen und daß Isotta sich jetzt gegen den sonst so hoch respektierten Vater mit einer Willenskraft auflehnte, die dessen Verwunderung und Zorn in gleich großem Maße erregte.

»Und nie und nimmer gebe ich meine Einwilligung zur Heirat mit einem Menschen, der schleicht und brütet wie das böse Gewissen selbst, der brutal rachsüchtig und somit zu allem Bösen fähig ist, der eine Frau nur elend machen kann!« erklärte Herr von Stetten auf den Einwand Isottas, daß sie nie einen andern lieben würde.

Frau Anita saß bleich in ihrem Staatskleide von raschelnder lila Seide auf dem Fenstertritt; Isotta stand, die Arme herabhängend und die kleinen Hände zur Faust geballt, mit erhobenem Kopf und blitzenden Augen mitten in der Stube, geradezu unheimlich anzuschauen in ihrer Empörung.

»Ich werde nie anders von ihm denken, wie bisher!« stieß sie hervor.

»Liebes Kind, denke wie du willst, Gedanken lassen sich nicht verbieten – es bleibt bei dem, was ich gesagt habe. Leider kann ich dem jungen Herrn nicht die Thüre weisen, denn er ist auf Befehl des Fürsten hier, und dessen ist das Haus, in dem ich lebe; aber ich kann bestimmen, wo meine Tochter einstweilen wohnen wird. Ich bringe dich übermorgen nach Pommern zu deiner Schwester Minna. Morgen geht es leider nicht, weil die Saujagd am Weddehagen angesetzt ist, aber bis übermorgen abend mag dir die Mutter deine Sachen besorgen.«

Isotta antwortete nicht, aber ihre blassen Lippen zitterten.

»Nach seinem Benehmen von heute abend,« fuhr er fort, »hätte ich übrigens nicht erwartet, deinerseits noch eine Entschuldigung zu hören! Du warst sonst immer ein feinfühlendes, taktvolles Mädchen. Der Faustschlag in die Fensterscheibe, der eine fröhliche, harmlose Gesellschaft um die Festfreude bringen konnte, ist ein Gassenbubenstreich, eine Eselei – übrigens danke ich Ihnen, Dorchen, für die herrlich gelungene Notlüge,« wandte er sich an mich, »wenn ich Ihnen auch keineswegs dankbar bin für die Kuppeldienste, die Sie dem Herrn von Botterode erwiesen haben.«

Ich war tief beschämt. »Herr Oberförster – ,« stieß ich hervor.

»Schweigen Sie!«

Frau von Stetten sah mich an und legte den Finger auf den Mund. Isotta hatte ihren Kopf noch mehr in den Nacken geworfen.

»Geh jetzt zu Bett!« befahl der Vater.

Sie schritt, ohne eine »Gute Nacht!« der Thüre zu – das war noch nie dagewesen. Ich aber folgte ihr, denn ihre Glieder bebten wie im Krampf, und hinter mir kam Frau von Stetten; so eilten wir, die Treppe hinaufsteigend, dem Mädchen nach so rasch wir konnten, aber wir kamen doch zu spät – denn hinter ihr flog der Riegel zu, und wie wir auch baten und flehten, Isotta öffnete nicht.

»Mein Gott,« sagte Frau von Stetten, »weshalb nur kam der Mensch in unser friedliches Haus, Dorchen! Ich muß zu meinem Mann hinunter, er braucht ein paar Stunden Schlaf, der Weg nach dem Weddehagen ist weit und Seine Durchlaucht selbst mit dem Erbprinzen sind zugegen bei der Hubertusjagd, und Gott weiß, wer noch! Hören Sie, Dorchen, schlafen werden wir beide heute nicht, denn um fünf Uhr morgen nachmittag ist Schüsseltreiben, und wenn auch nach Möglichkeit vorgesorgt ist – das Tafeldecken bleibt uns beiden. Und nun bitte ich Sie, achten Sie auf das Kind, Dorchen, ich mache Sie verantwortlich für Isotta. Gehen Sie nicht von der Thüre fort, klopfen Sie und bitten Sie unverdrossen um Einlaß; ich komme wieder, sobald Stetten schläft. Und, Dorchen, wenn der Botterode etwa heimkommt – ich will ihn sprechen und wenn's drei Uhr morgens ist.«

In diesem Augenblick erscholl die Donnerstimme des Herrn durch den Flur: »Der Herr von Botterode soll sich an der morgenden Jagd nicht beteiligen, Ziegenfuß,« – das war einer der Förster – »bestellen Sie es ihm! Er mag mit Christian nach dem Buchenhäuschen gehen und den Bau des neuen Futterschuppens besichtigen.«

»Sehr wohl, Herr Oberförster!« antwortete der alte Mann.

Dann krachte eine Thür und es ward still. Frau Anita nickte mir zu; »das wird wohl so am besten sein,« flüsterte sie und stieg die Treppe hinunter.

Ich hockte mich auf die Schwelle von Isottas Stube und hielt Wacht, aber es fiel mir nicht ein, zu klopfen. Totenstill war es im ganzen Hause und stockfinster dazu, nur unten an der Treppe dämmerte ein kaum bemerkbarer Lichtschein. Mich fror und ich fürchtete mich; ich dachte an das arme junge Herz dort innen und an meine eigene Jugend mit ihrem großen, nie überwundenen Leid, und wie eine echte, wahre Herzensneigung fast immer mehr Schmerzen als Glück bringe.

Die alte Uhr drunten im Flur hob zum Schlagen aus, dann kamen zwei heisere Töne – zwei!

In Isottas Zimmer hörte ich jetzt ein leises Geräusch, dann ward vorsichtig die Thür aufgeklinkt, nun ganz geöffnet, und dicht an mir vorüber setzte das Mädchen den Fuß auf die Schwelle. Ich saß ganz still, sie hatte mich nicht bemerkt, ich nicht gesehen, wohin ihre leisen Schritte eilten; die Treppe hinunter war sie nicht, ich hätte sonst ihre Gestalt bemerkt gegen den hellen Schimmer. Vorsichtig erhob ich mich. Nun kaum hörbares Klopfen an eine Thür - das mußte des Botterode Thür sein. »Bernhard!« hörte ich sie flehen, »Bernhard, ich will dir adieu sagen, laß mich nicht so fortgehen! Du thust mir unrecht mit deinem Zorn – so begreife doch, daß ich dem Prinzen den Tanz nicht abschlagen durfte.«

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Keine Antwort. »Eile, gib mir die Hand! Du siehst mich vielleicht nie wieder,« jammerte sie. »Oder, bist du nicht da? Lieber Bernhard, Bernhard, wo bist du dann? Ach, thu' dir nichts zuleide – du weißt ja nicht, wie lieb ich dich habe!«

Nun ein leises, fassungsloses Schluchzen.

»Bernhard!« stieß sie nochmals hervor, »Bernhard!« Und als alles still blieb, kam sie tastend zurück, und ich huschte vor ihr über die Schwelle des Stübchens und dort zündete ich Licht an, als sie die Thür hinter sich geschlossen hatte.

Sie gab sich ihrer Angst und ihrem Schmerz so vollständig hin, daß sie sich kaum wunderte, mich zu sehen; sie warf sich aufs Bett und schluchzte und weinte zum Gotterbarmen.

»Isotta,« fragte ich, »Kind, wo wollten Sie denn hin?« Denn meine Blicke waren auf ihr Kleid gefallen, ein dunkles wollenes Kleid, wie man es wohl zu einer Reise an kühlen Herbsttagen anlegt, und ein gepacktes Ledertäschchen stand auf dem Stuhl an ihrem Bette.

Keine Antwort, nur Schluchzen.

»Fräulein Isotta, so können Sie doch Ihre Mutter nicht betrüben wollen?«

»Sie liebt mich nicht mehr!« stieß sie hervor, »niemand liebt mich mehr!«

Und da stand Frau von Stetten plötzlich in der Stube; sie hatte eine pelzgefütterte Hausjacke übergeworfen und auf das schwarze Haar ein Musselinhäubchen gesetzt.

» Wer liebt dich nicht mehr?« fragte sie das verzweifelnde Kind und strich ihr über das vom Weinen ganz entstellte Gesicht.

»Du bist auf des Vaters Seite!« rief Isotta, sich abwendend.

Frau von Stetten antwortete nicht.

»Siehst du! Siehst du!« stieß das Mädchen außer sich hervor, »kein Wort der Fürsprache hast du für mich gehabt!«

»Weißt du das so genau, Isotta?«

»Ja! Denn ein Wort von dir – und Vater hätte ›ja!‹ gesagt.«

Frau von Stetten lächelte. »Du denkst dir meine Macht zu groß.«

» Bernhard würde alles thun, um was ich ihn bitte – «

»Dann wäre er ein Schafskopf!« Frau Anita liebte diese unverblümte Sprache, sie that mitunter Wunder; jetzt auch, denn Isotta schwieg.

»Wo wolltest du denn hin, Kind?« fuhr Frau von Stetten fort und begann die Reisetasche auszupacken.

»Weiß nicht – nur fort von hier!«

»Was versprichst du dir davon? Vater versöhnst du nicht damit, reizest ihn nur noch mehr. Wenn du alle deine fünf Sinne beisammen hättest, so würdest du dir sagen, daß ein solches Vorgehen zu deinem und unserm Unglück führen muß.«

»Ihr haltet den besten Menschen für schlecht – das ertrage ich nicht!«

»Deinem Vater ist sein scheues Wesen unsympathisch – er ist so gerade und offen.«

»Vater sollte das Schicksal desjenigen bedenken, den er verurteilt.«

»Die unklaren Verhältnisse sind's, Isotta, in die dein Vater dich nicht geben will.«

»Allmächtiger Gott!« schrie das leidenschaftliche, feurige Geschöpf und stand plötzlich auf seinen zwei Füßen vor der viel kleineren Mutter, »kann ein Mensch verantwortlich gemacht werden für seine Geburt? Leidet Bernhard nicht schon genug darunter? Wer trägt die Schuld, daß er scheu und gedrückt ist? Die Menschen, die lieblosen jammervollen Menschen sind's, die in himmelschreiender Ungerechtigkeit ihm das Lebensglück verbitterten, auf das er so gut Anspruch hat wie du und ich und der in Purpur geborne andre Sohn seines Vaters! Gott ruft den Menschen ins Leben, er ist gleich freundlich zu allen seinen Geschöpfen, nur der Hochmut der Gesellschaft ist es, der dem Aermsten nicht gönnt, aufzuatmen, die grenzenlos erbärmliche Gesinnung der sogenannten anständigen Gesellschaft!«

Sie brach ab. Die Hände auf das klopfende Herz gedrückt, rang sie nach Atem. »Und ich liebe ihn,« sprach sie abgerissen und leise, »und ich bleibe ihm treu!«

Frau von Stetten hatte sie wortlos angehört. Ihre Augen blitzten und ein Leuchten des Stolzes flog über ihr Antlitz. Ich aber schlich mich hinaus, und nach einem Weilchen kam auch die gnädige Frau; in ihren Augen schimmerten Thränen, sie nickte mir zu. »Das ist kein deutsches Blut, Dorchen! Wissen Sie noch, wie mein Alter die Verlobung der Minna mit dem Lieutenant Böhme nicht zugeben wollte? Die Minna hat den Kopf hängen lassen wie eine Thränenweide, ein Vierteljahr lang, und hat stumm entsagt. Dann kam ihr jetziger Mann, sie tröstete sich und nahm ihn und ist wieder wie eine Rose aufgeblüht und glücklich mit ihm. Isotta aber wird zu Grunde gehen an ihrer Liebe, und ich weiß kein Mittel, meinen Mann für den Botterode zu stimmen; er denkt eben immer, der arme Junge sei schlecht gesinnt gegen den Erbprinzen. Ich weiß es ja nicht – wer kennt ein Menschenherz aus? Heute abend«, fuhr sie fort, »will ich noch einmal versuchen, mit ihm zu reden; nach Tische etwa, wenn alles glatt abging, die Jagd gut und Durchlaucht zufrieden war. Vielleicht, daß er dann – aber, sehen Sie, Dorchen, er ist doch ein Windhund, der Botterode; ob er wohl gestern nach Hause kam? Da hat nun mein Alter gleich wieder zu schelten.«

Drunten im Hause wurde es inzwischen lebendig; Anita eilte hinunter. Die Förster waren auf den Hof gekommen, die Hunde schlugen an, der Jagdwagen wurde aus dem Schuppen gezogen, und als ich aus dem Flurfenster schaute, da lag – das Weidmannsherz mochte lachen! – über Hof und Dorfstraße, über Wald und Feld bis zu den Bergen hinauf, eine leuchtende, weiße Schneedecke, wie eitel Daunen so flaumig und weich, eine prächtige Neue.

Die Stimme des Herrn Oberförsters scholl heraus, er rief nach Ziegenfuß. Der sollte vorauf mit dem Saufinder, und an der Hainbuche sei Rendezvous, und das Frühstück sollte David bringen; und dies und jenes in der Weidmannssprache, die ich mir nie habe merken können. Und dann kam Frau Anita mit dem Kaffeegeschirr und vor ihr schritt die hübsche Karlin aus Botterode, die im Forsthause war, um die Wirtschaft zu lernen, mit der Flasche Nordhäuser, denn Frau Anita respektierte gewissenhaft den alten Weidmannsglauben, daß ein jung hübsch Mädchen dem Jäger zuerst begegnen müsse, wenn er Glück haben sollte. Sonst hatte an so feierlichen Jagdtagen Isotta es sich nicht nehmen lassen, den Vater mit einem hellen »Guten Morgen!« beim Herauskommen aus der Schlafstube vor die lachenden Augen zu treten – heute wurde Karlin beordert. Aber wie es so manchmal geht, bevor noch der kleine Zug die Wohnstube erreichte, war die Thür derselben aufgeflogen, und vor dem heraustretenden Oberförster richtete sich Fieken empor, die dort die Stufen gefegt, die zur Stubenthür emporführten – Fieken, die an die siebzig war! Und der Herr Oberförster ließ eine wahre Flut schrecklichster Verwünschungen auf ihr graues Haupt los, wovon die, daß sie sich in drei Teufels Namen zum Kuckuck scheren solle, noch die zarteste war.

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»Ach, das gnädige Fräulein trotzen wohl?« rief er, als er Karlin sah, die am ganzen Leibe zitterte. »Na, auch gut! In ein paar Tagen mag sie da oben im Dhabiner Forsthause maulen; morgen streicht sie ab, ohne Gnade und Barmherzigkeit, Nita; äug' nicht so an mir in die Höhe, 's hilft nichts!« –

Was noch weiter geschah, weiß ich nicht mehr. Bald darauf fuhren die Herren ab. – Wo der Botterode steckte, mochte Gott wissen.

Seufzend kam die gnädige Frau herauf, um das Decken der Tafel im Saal zu überwachen; vorher trat sie bei Isotta ein. Aber die stand nicht Red' noch Antwort und wollte nicht essen noch trinken; ganz teilnahmlos lag sie auf ihrem Bette, das schöne Gesicht entstellt von tiefem seelischem Leid, schier verfallen. Hätt' ich nicht gewußt, daß sie es wirklich war, ich hätt's nicht geglaubt.

Frau Anita machte nicht viel Worte, aber wie sehr sie litt, das sagten ihre zitternden Hände, ihr gedankenloses Hinstarren auf einen Fleck, das jähe Zusammenschrecken bei irgend einem Geräusch. Ich nahm ihr ab, was ich konnte, ich wußte ja, wie alles angeordnet war, verstand die Servietten kunstvoll zu falten und kannte die Pokale, die auf Sr. Durchlaucht Platz stehen mußten; ich ordnete die Silberaufsätze auf dem alten ungefügen Kredenztisch und schmeckte die Wildsuppe in der Küche ab mit Madeira und Cayennepfeffer – all das, was sonst die Frau voll Stetten und ihre Töchter gethan. Heute war die besorgte Frau nicht im stande dazu.

»Geben Sie acht, Dorchen,« sagte sie, »der Botterode stellt etwas an – ich bin nicht abergläubisch, aber mir liegt's wie Bergeslast auf der Seele. Und was dann mit dem Kinde werden soll – Gott mag's wissen!«

Lieber Himmel! Mir ahnte ja selbst nichts Gutes; – das verzerrte blasse Gesicht des jungen Mannes gestern abend war mir noch nicht einen Augenblick aus den Gedanken entwichen. Leidenschaftliches Blut tobte ja in seinen Adern, und konnte nicht solch unselige That ein Erbteil der Mutter sein, die ebenfalls – – ?

Der kurze Novembertag neigte sich seinem Ende zu, und im Flur sollte eben der große kupferne Hängeleuchter angezündet werden, der Knecht brannte die Laterne vor der Hausthür an; da war's mir, als ob ich bei dem aufflackernden Licht droben eine Gestalt im Dunkel des Vorplatzes verschwinden sah, und richtig – auf den frisch gebohnten Stufen der Eichentreppe bemerkte ich Stapfen von schmelzendem Schnee. Ich eile hinauf und an seine Thür, ich klopfe und rufe: »Herr von Botterode, sind Sie gekommen? Antworten Sie doch!«

Gott bewahre, kein Ton dort innen. Ich konnte mich nicht lange aufhalten, denn ein berittener Jäger sprengte schon vor das Haus; die Lichter im Saal waren noch nicht angezündet, in zehn Minuten mußte die Jagdgesellschaft hier sein. Die Lakaien, die im Laufe des Nachmittags angelangt waren, um Bedienung zu machen, und der Kammerdiener stellten sich an die weit geöffnete Hausthür, gleich darauf rasselte der Wagen mit dem Oberförster und den Beamten vor, und dann strahlte der Schein der Fackeln zurück von den silbernen Zieraten der Pferdegeschirre, die Lakaien stürzten hinzu und Durchlaucht entstieg dem Wagen, gefolgt vom Erbprinzen.

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Der Fürst entstieg dein Wagen, gefolgt vom Erbprinzen.

Das hatte ich schon oft gesehen vom Guckfenster der Küchenthür aus, aber heute war es doch anders, denn des Fürsten sonst so freundliches Gesicht war ernst und blaß, und er forschte im Kreise der Herren umher mit den großen stolzen Augen. Der Erbprinz aber trug den rechten Arm in einem Tuche. Dann schritten die Fürstlichkeiten nach oben, sich umzukleiden, während die meisten der vornehmen Jagdgäste, zumal die jüngeren, Frau von Stettens Prunkzimmer zur Toilette benutzten, denn allzuviel Platz war nicht vorhanden in dem alten Gebäude, so weitläufig es auch zu sein schien.

Unter den steten Bewohnern des Hauses herrschte aber eitel Unruhe und Aufregung; alles schrie nach dem Botterode und bis in die Küche erscholl die Mär, der Botterode solle sofort zum Fürsten kommen. Und aus den Ställen herüber, aus der Beamtenstube, wo die Förster sich am Feuer gütlich thaten mit dem armen maroden Hundevolk, drang sie zu uns herüber, die Geschichte des heutigen Tages, und wir alle standen um den Erzähler da und staunten mit offenem Munde und Ohre, von der Köchin bis zum jungen Stubenmädchen. »Der Erbprinz wäre beinah ein stiller Mann geworden heute,« berichtete der alte Förster Ziegenfuß, der in seinem eisgrauen langen Bart wie der wilde Jäger selber aussah und sich ganz unsagbar wichtig vorkam als einziger Zeuge dieses Ereignisses. »Also, Se. Durchlaucht hatte den Keiler angerufen und wollt' ihn anlaufen lassen – ja – prosit die Mahlzeit! – bricht ihm die Saufeder wie Glas, er stürzt längelang hin, und das Mordsvieh, das verdammte, auf ihn los – nimmt ihn an – keine tote Katze für das durchlauchtigste Leben. Ich, der es von weit dahinten her sah, nicht faul, mein Jagdmesser 'raus, hätt' ihm aber nicht mehr helfen können, stand zu weit – und da sehe ich den Botterode, wie Zieten aus dem Busch, das Vieh mit dem Hirschfänger abfangen, ja wohl eins – zwei – drei – hast du nicht gesehen! Der durchlauchtigste Erbprinz lag indessen da wie verendet – hätt' ihn nicht retten können, wäre Halali gewesen ohne den Botterode, so wahr ich Ziegenfuß heiße und gern mit dem Staatsjungen getauscht hätt', denn da wär' man ein gemachter Mann gewesen. – Na, ich gönn's dem Botterode; beim heiligen Hubertus, es war ein schönes Stück.

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»Den Erbprinzen habe ich dann mit Cognac wieder auf die Beine gebracht und nachher dem Fürsten erzählen müssen, denn der Botterode war flüchtig geworden, nicht mal 'ne Fährte von ihm da – und dem alten Herrn schossen die Thränen aus den Augen.« –

Und wie wir da noch standen und lauschten, da lief es treppauf und treppab, und droben im Bankettsaal rückten die Stühle und die Lakaien riefen nach der Suppe, Frau Anita aber stand wie mit Purpur übergossen zwischen uns und befahl und ordnete an, als sei nichts geschehen.

»Er ist oben, der Botterode,« flüsterte sie, »der Fürst hat ihn zur Tafel befohlen – was sagen Sie, Dorchen?«

Ja, was sollte ich wohl sagen!

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Die große Wohnstube drunten, die war still und leer, und dort stand am selbigen Abend, als droben an der Tafel die Gäste laut wurden und Se. Durchlaucht sich bereits zurückgezogen hatte ein bleiches zitterndes Mädchen, die Hände auf die Brust gepreßt, mit flammenden schwarzen Augen zur Thür hinüberschauend; und diese Thür öffnete sich und es kamen drei Männer in die Stube, zwei alte und ein junger. Und der Fürst schritt auf das Mädchen zu und nannte sie seine Tochter, die Braut seines Lieblings. Der Herr Oberförster aber verzog keine Miene, auch nicht, als Durchlaucht dem jungen Manne seinen eigenen kostbaren Hirschfänger schenkte, auch nicht, als er sagte, daß Botterode das Eigentum des jungen Paares sein solle – nichts, nichts; er hielt die Lippen auseinander gepreßt und rührte sich nicht.

Der Fürst küßte das junge Mädchen; und zutraulich wie ein Kind schlang es die schönen Arme um seinen Hals. Da wandte sich Durchlaucht und verließ das Zimmer, dem Oberförster zum Bleiben winkend; und als sich die Thür hinter dem hohen Herrn geschlossen hatte, da breitete der Vater die Arme nach seinem Kinde aus, und nun hielt's auch die Frau Oberförster nicht länger an meiner Seite, wir hatten nebeneinander durch das Guckfensterchen der Schlafstube gesehen. Mit einem Ruck riß sie die Thür auf, und aus des Vaters Armen flog das selige Kind in die seiner Mutter.

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Ja, manchmal da gibt's noch ein traumhaftes Glück auf der Welt! »Mein Junge, du bist – du bist glänzend gerechtfertigt,« hörte ich den alten Herrn sagen, und just in dem Augenblick trat der Erbprinz ins Zimmer. Er trug den Arm in der Binde, trat vor das errötende Mädchen und zog ihre zierliche Rechte an seine Lippen. Dann reichte er die Hand dem Botterode, und schweigend sahen sich die jungen Männer in die Augen.

»Ich danke dir, mein Bruder!« sagte der Prinz; und da mußte der Oberförster den Kopf wenden, um seine Thränen nicht sehen zu lassen.


Bald danach war die Hochzeit Isottas von Stetten mit dem fürstlichen Oberforstmeister von Botterode – gar klein und prunklos, niemand weiter als die Geschwister der Braut, aber wie im Frühlinge war's; draußen flockte der Schnee und hier innen prangte ein Blumengarten; der Fürst hatte seine schöne Tochter an ihrem Ehrentage mit einem wahren Meer von Rosen und Veilchen umgeben, die er von Cannes gesandt hatte; und aus ihrem Myrtenkranze funkelte ein winziges Krönlein aus hellen Diamanten. Wie eine Fürstin stand sie neben dem Manne, aus dessen dunklem Antlitz jeder Hauch von Trübsinn verschwunden war, dessen Haltung keine Spur mehr verriet von Gedrücktsein und Willenlosigkeit. Er hatte jetzt ein Weib, ein Haus, Eltern, Brüder, Schwestern – er war ein glücklicher Mann.

Einmal bin ich in Schloß Botterode gewesen. Wie ein Traum aus dem Mittelalter erschien es mir mit seinen Sälen, Erkern, Bogengängen, Kemenaten – Sie kennen es ja. Aber die wunderholde Burgfrau, die haben Sie nicht dort walten gesehen. Mir bleibt's unvergeßlich, wie sie dort abends auf der Terrasse des Burggärtchens stand und nach dem Walde hinüber lauschte, ob er bald komme. Und wie sie ihm gegenüber saß in der Halle am braungebeizten Eichentisch und so herzlieb klug mit ihm redete über irgend ein Buch, das sie zusammen lasen, denn neben der Jägerei blieb er immer ein bißchen Dichter und Schöngeist.

Es war wie ein Märchen, ich kann's nur immer wiederholen; das fanden auch der Vater und die Mutter und die Geschwister – und wie ein Märchentraum erlosch auch das Glück.

Er fand einen plötzlichen Tod auf der Jagd; sie brachten seine Leiche der ahnungslosen Frau ins Haus. Vielleicht hätte sie sich erholt von diesem Schlage, aber es war just zu einer Zeit, wo sie doppelt hätte geschont werden müssen. – Am Abend des Schreckenstages ward ein totes Kind geboren.

Sie hatte sich so auf das junge Leben gefreut, und als sie erfuhr, daß der ersehnte Liebling nicht lebte, da lag sie ganz still und hielt die Hand der Mutter: »Ich möchte auch sterben!« flüsterte sie, »was soll ich ohne ihn auf der Welt? Ach, Mutter, sag' es dem Vater, das Leben ist so schön gewesen, zu schön – es konnte nicht so bleiben. Ich habe in kurzer Zeit mehr Glück genossen, als andre in hundert Jahren.«

In einem Sarge, das tote Kind zwischen sich, schlummern sie in der Botteroder Kapelle. –

So schloß Dorchen.

Nicht wahr, liebe Freundin, wie ein Märchen klingt die Geschichte, die sich an diese Waffe knüpft?

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