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Wandlungen der Venus

Der Knabe hat sich verirrt. Er gelangt in den Park, wo die Marmorbilder stehen. Er steigt die Stufen zum Schloß hinauf. Gesang und Tanz. Die schönste der Frauen reicht ihm den Becher, sie führt ihn mit sich in die versteckte Laube. »Ihr Auge blickt so eigen, verlockend glüht ihr Leib.« Als der Knabe am anderen Morgen erwacht, findet er sich unter verwittertem Gestein, sein Haar ist ergraut – im Venusberg hat Tannhäuser geweilt. Es könnte das ein Gedicht von Eichendorff sein, es ist aber ein Gedicht von Geibel (1838 bis 1840). Es ist Venus, erschaut durch den silbernen Mondnebel der Spätromantik, Venus selbst ist nichts als ein Stimmungsklang, und es ist das Waldhorn, das ihn zu tönen hat.

Im Jahre 1845 ersteht Richard Wagners »Tannhäuser« auf der Bühne, die Partie der Venus ist der Klarinette anvertraut. Dieser Wagnerschen Venus nun unvoreingenommen ins Gesicht blickend, macht man eine überraschende Beobachtung. Wer ist diese Venus? Schon ihre ersten Worte an Tannhäuser: »Geliebter, sag, wo weilt dein Sinn?« erinnern irgendwie von fern an die gute Gertrud, des braven Stauffachers Weib, in Schillers »Wilhelm Tell«: »So ernst, mein Freund, ich kenne dich nicht mehr.« Aber auch nachher: »Was ist's? Worin war meine Liebe lässig? Geliebter, wessen klagest du mich an?« erscheint sie weniger als die Teufelin, denn als die fraulich Dienende. »Lächelnd unter Tränen« hat sie ihm »sehnsuchtsvoll gelauscht«. Zwar ergrimmt sie zu heftigem Zorn, da Tannhäuser nunmehr endgültig von ihr Abschied nehmen will, sie verwünscht den Gedanken an seine Rückkehr, – aber nur um sich sehr schnell zu besinnen; um zu wissen: sie wird nicht ungerührt bleiben, dringt je seiner Seele Seufzen und Klagen zu ihr hinüber. Wer diese Venus ist? Immer noch die gute deutsche Hausfrau. Noch scheint ein anderes Frauenbild unfaßbar zu sein. Man findet an dieser Wagnerschen Venus keine andere Schuld als – ihre Schönheit.

Freilich, Richard Wagners »Tannhäuser« ist im Hinblick auf die Wandlungen der Venus vor Sonnenaufgang konzipiert. Erst in dem Jahrzehnt 1850 bis 1860 setzt in Deutschland, hochflutend, eine konsequent atheistische Popularliteratur ein, aus der eine neue Venus, solchen Wellen entstiegen, als antichristliches Postulat hervorgeht. Man blickt auf die zeitgenössische Malerei, um sich klar darüber zu werden, was sich da innerlich abspielt.

 

Auf dem bekannten Gemälde von Hans Makart »Der Einzug Karls V. in Antwerpen« gehen zwei nackte Dirnen neben dem Pferde des Kaisers her, Busch hätte von ihnen sein »bös von Seele, gut von Leib« sagen können. Auf dem nahen Balkon aber steht in festlicher Gewandung eine Frau, deren Gesichtsausdruck ein für die Zeit Neues in sich trägt. Es ist ein Sichanbieten, das sich in ihren Zügen spiegelt. Mit einem gewissen Hochmut bietet sie sich an.

Makart malt ein andermal Holbein, eine Dame zeichnend, und auf dem Bild wird Holbein zu einem interessanten Tenor, der Vorgang zu einer Theaterszene. Die Dame selbst hat die Grübchen und das bereitwillige Lächeln; sie brüstelt ihm bei tiefem Decolleté entgegen. Diese neue Venus ist frisiert und auch bei nacktem Leibe korsettiert. Sie erscheint um so mehr Dirne, je kostbarere Gewandung sie trägt.

Venus wird Dame der Gesellschaft, und Lenbach ist nunmehr ihr Maler. Man beachtet den Mund auf seinen Damenbildnissen, diesen bald aufreizend breiten und flachen, bald halbgeöffneten Mund, dann wieder einen Mund mit vorgeschobener Oberlippe. Das ist durchaus kein Sichanbieten mehr wie bei Makart, wohl aber etwas wie versteckte und doch eben nicht versteckte Sinnlichkeit. Etwa ein kühles Bereitsein. Dazu tritt neben diesen salon-gekühlten, aber darum nicht weniger wartenden Typ eine Abart nervöser Sinnlichkeit. Das ist sein Porträt der Frau Mouchanow: unter müden Lidern »warten« die Augen; sie lauern beinahe. Der flache Mund ist wie ein breiter Strich; er scheint ganz außer Verhältnis zu dem schmalen Gesicht; er schweigt, um desto augenfälliger zu künden: ich bin da, auf mich kommt es an. Lichtwark sagt demgemäß von Lenbachs »Damen«bildnissen, sie erinnerten an ein zweifelhaftes Milieu.

Man könnte aber auch an Feuerbach und dieses Reifsein seiner Frauen denken, in dem denn nun freilich kein frohes Sichanbieten ist, auch kein salongemäß verstecktes, wohl aber dies Sichanbieten der ausgereiften Frucht, unter der der Ast sich tiefer senkt. Es ist aber der Literat unter den Malern Gabriel Max, der gleichsam zum Hierophanten der neuen Venus wird. Sein Bild: »Die Schwestern«. Die beiden Typen der in sich Gesättigten und der Nervösen nebeneinander. Auf seinen Bildern nun fallen die tiefen Schatten über die Augen. Venus wird die interessante Frau. Schwellende Münder, teilweise mit eingekniffener Unter- und sehr weicher Oberlippe. Diese Frauen vielfach eingesponnen in ein mystisches Dunkel. Von der »Transzendenz« des Sichanbietens unter allen erdenkbaren und raffinierten Verfeinerungen (auch der eines wehen Widerstandleistens) könnte man bei Gabriel Max reden.

Das Sichanbieten bleibt, aber nunmehr wird es kitschig romantisiert: damit steht man vor Gustav Graefs »Märchen«. Das Sichanbieten bleibt, aber es hat allen salongemäßen Zwang von sich abgetan, hat auf psychologische Verfeinerung Verzicht geleistet und läßt statt dessen einen vollen Busen aus dem Korsett hervorquellen: K. Kiesel »La Petenera«.

Dies Sichanbieten der Frau besagt? Venus ist mehr oder weniger, versteckt oder offen, zu einer Halbweltlerin geworden. Dies Sichanbieten der Frau zeigt aber auch, daß die Initiative im Liebesspiel, die bisher einzig und allein vom Mann auszugehen hatte, nunmehr bei der Frau gesucht wird.

 

Im Jahre 1869 war Eduard Grisebachs »Der neue Tannhäuser« erschienen, und hier nun wurde das Bekenntnis zu der antichristlichen Literatur betont. »Lang ist's her! ich hab' seitdem Weisheit dieser Welt erworben, längst in meinem klugen Kopf ist der liebe Gott gestorben.« Dem Grab Schopenhauers wird feierlich und ostentativ Besuch abgestattet. Tiefe Verbeugung vor dem »Buddha dieser Zeit«.

Venus ist Halbweltlerin geworden, »wir suchen ihr fleischgewordenes Bild sehnsüchtig in jedem Weibe«. Sie trägt den sinnlichen Zug: »klein ist die Hand und voll das Kinn«. Das Ideal deutet auf: »so rosig lüstern und verschämt«. In dem »Verschämt« ist noch das Festhalten an den Vorstellungen einer nun im Versinken begriffenen Welt. Das »Lüstern« ist die eigentliche Gegenwartsforderung. Die Verbindung beider Attribute steigert den sexuellen Reiz. Wie sich die Wünsche durchkreuzen und wirren, zeigt sehr deutlich ein Vers wie: »Sittsam nippt sie nur vom Weine Mit den üppgen Lippen, sittsam, Wenig aß sie und wie zierlich! Ach, die Zähnchen! ach, die Hände.« (Wenig essen und trinken war ein betont charakterisierender Zug des nunmehr überwundenen Frauenideals gewesen.) Wie immer aber die Farben schillern, die Initiative muß unter allen Umständen von der Frau ausgehen. Und das nicht nur bei erster Anknüpfung des Liebesbundes, nein, auch im Auftrag des Leidenschaftskampfes: »Da küßt' ich den nackten kleinen Fuß, bis du ihn verbargst in den Kissen, bis du mich endlich selbst entbrannt an deine Seite gerissen.«

Hier ist knabenhafter Trotz und Auflehnung gegen die christliche Sittenlehre. Das unter die Halbweltsbegegnungen verirrte Verhältnis mit einer verheirateten Frau bekommt gleichsam die Unmoralitäts-Prämie.

Venus ist tief hinabgestiegen. Sie lädt nicht mehr zu den Schwelgereien ihrer Tafel, sie scheint vielmehr für ein warmes Abendbrot selber empfänglich zu sein. Dafür ist sie aber auch Siegerin im Widerstreit gegen den Nazarener.

Sie sollte sich des Kranzes nicht lange erfreuen. Schon in Julius Wolffs »Tannhäuser« (1880) ist die christliche Weltordnung mit Schuld und Buße wiederhergestellt. Wenn es auch nicht die eigentlich christliche Idee, sondern vielmehr blaß-romantische Reminiszenzen sind, die den Umschwung bringen. Nun aber erfreut sich Venus wieder alles Glanzes und aller Pracht, und es sind Blumen »mit verliebten Augen«, die im Hörselberg den Weg zu ihr weisen.

Wer diese neue Venus ist, zu erfahren, muß man den Blick auf diesen Tannhäuser richten. Zunächst: er ist der Mann, der Frauen nicht verführt. Gelegenheit wird ihm, ein Winzermädel in seine Arme zu ziehen, von einer verheirateten Frau, die ihn liebt (sie ist, damit kein moralisches Wässerlein getrübt werde, in Wirklichkeit bereits, ohne darüber Gewißheit zu haben, verwitwet), Besitz zu ergreifen, aber er geht an der Gelegenheit wie an halboffener Tür vorüber. Tannhäuser? Die Frauen sind es, die ihn verführen. Ungerufen dringt eine in seine Schlafkammer ein, ungerufen verfolgt ihn auf Venedigs Kanälen die andere in ihrer Gondel. Das Zeitideal heißt auch hier: Frauen, »die scheu und schüchtern taten.« Dieser Tannhäuser ist wie ein Spielhagenscher Held nicht Schürzenjäger, sondern Schürzen-Gejagter.

Er ist darüber hinaus so etwas wie ein philosophischer Casanova. Bekannte Casanova gelegentlich von sich, daß es nicht Leidenschaft, auch nicht ohne weiteres sinnlicher Trieb, sondern Neugierde sei, die ihn von einer Frau zur andern hetze, so sucht dieser Wolffsche Tannhäuser im Liebesabenteuer die Erkenntnis. Von seinem »wollüstigen Erkenntnisdrang« ist ausdrücklich die Rede, und es ist kein Geringerer als der Papst selbst, der den Vorwurf gegen ihn erhebt. Ihm kommt es darauf an, in Sinnlichkeitshingabe hinter die »Grenzen der Sinnlichkeit« zu blicken, um das Wesen der Liebe in Erfahrung zu bringen, das letzte Rätsel des Frauenherzens zu lösen. »Im Schau'r der Lust, im Sinnewanken / Das innerste Gefühl verstehn.« »Warum wird Hingebung von ihnen selbst / So heiß gewünscht und doch so kalt verweigert?« Als ein erotischer Faust gedacht, wird er zu einem Cuivre poli-Faustulus, der ganz im Sinne seiner Zeitgenossen erwartet, daß die Frau die Initiative ergreife, ihm für seinen metaphysischen Drang das Material zu liefern.

Diesem Tannhäuser tritt eine neuromantische Venus entgegen. Ihr lauernder Blick ist bald glänzend leuchtend, bald dunkel. Sie läßt all ihre Reize vor ihm spielen. »Liebäugelnd lächelnd sah sie mich an: Hast du nicht Augen, glückseliger Mann?« Damit steht man wieder da, wo man angesichts des Geibelschen Gedichtes stand. Aber wenigstens motivgemäß greift die Schilderung hier doch wesentlich tiefer, aus der Frühromantik, nicht jener verkitschten Spätromantik schöpfend. Venus erhebt den Vorwurf gegen Tannhäuser, daß er von Leidenschaft nichts wisse. Die tiefste, wollüstigste der Wonnen lerne nur der Sterbende kennen. Nur im Tode erschließe sich letzte Liebesseligkeit (Novalis). Und diese Venus nimmt in seinen Armen die Gestalt eben jener Geliebten an, die sich ihm versagte und ihn dadurch zu Venus trieb.

Das deutet, sei es nur im Symbol, auf den schauspielerischen Zug, den die Zeit in der Frau suchte.

 

Man hat Richard Wagners Kundry (»Parsifal« 1882) eine Verschmelzung der Venus und Elisabeth (»Tannhäuser«) genannt, und das trifft zu. Rein dramaturgisch und auf das Textbuch hin angesehen, ist sie so etwas wie ein Motivständer; ein Charaktergerüst, das unvorhergesehen mit widersprechenden und einander beeinträchtigenden Motiven, wie mit Augenblicksroben, behängt wird. Es hat sie derselbe Fluch getroffen, der den ewigen Juden auf die nie endende Wanderschaft schickte. Sie spielt die Rolle der Schlange im Paradies. Sie wäscht wie Maria Magdalena ihrem Erlöser die Füße. An Lenbach zurückdenkend, möchte man sie trotz aller mythischen Herkunft dem nervösen Typ eingliedern: »Nie tu' ich Gutes; – nur Ruhe will ich.« Es ist Nervosität in ihrem irren Lachen.

Man denke dem nach: Venus und Elisabeth, eins geworden. Eine Venus also, die ihre Opfer jammern; eine Venus, die in der Verführung sich den Unverführbaren ersehnt; eine Venus, die so wenig Teufelin ist, daß sie vielmehr den Gottgedanken zu tiefst in sich trägt; eine Venus, die, ein göttliches Werkzeug, selbst zur Erlöserin wird.

Damit ist der Kreislauf vollendet. Alle Initiative ist auf die Frau übergegangen. Sie bietet sich und ihre Liebe an. Aber sie ist, indem sie es tut, nicht sie selbst, und wenn sie es wäre, bliebe sie es nicht. Venus im Dienste dessen, der die Sünder zu sich ruft. Das neue Zeitbild? Gretchen verführt Faust zum Kirchgang.

Wie sie dabei verfährt, lehren die Frauentypen.


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