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Peter hatte die Frauen belogen. Als er früh ins Dorf ging, hörte er zuerst vom Bader, dann auf dem Kirchplatz von vielen, daß der Frieden gesichert sei. Der Pandurenhauptmann sei zwar mit einem halben Dutzend Rekruten nach München marschiert, aber dort werde man die armen Teufel wieder laufen lassen. Ein paar Rotmäntel, die vom Trupp des Hauptmanns zurückgeblieben waren, standen beim Wirt im Torweg, doch flößten sie niemand mehr Furcht ein. Morgen, hieß es, schicken wir sie ihrem Hauptmann nach.

Peter teilte nicht die allgemeine Freude. Wenn für den Sohn des Hauses keine Gefahr mehr besteht, ist Peter nicht mehr der Schutzgeist, sondern wieder der simple Knecht auf dem Hofe, und auch die Teilnahme für ihn als Flüchtling und Verfolgten hört mit dem Einzug der alten Ordnung auf. Wenn nicht ihr Herz widerspricht, kann die Bäuerin dem Raufbold morgen das Gastrecht kündigen.

Ein schneidiger Bursch, ermutigte sich Peter, wirft die Flinten nit ins Korn. Die Frauen sind g'scheiter, aber auch dreister als die Dirndeln. Und die Bäuerin hat mi gern, soviel is g'wiß!

Mittags waren nur die Männer eßlustig, und Peter allein gesprächig. Er hatte der Bäuerin eine Nachricht von ihrem Sohn verheißen, die Walpurg nicht hören dürfe. Loni wollte ihn im Hausgärtchen erwarten, denn die Sonne schien wieder vom blauen Himmel. Der Ort deuchte Peter von guter Vorbedeutung. Dort hat's angefangen, dort führen wir's zu End'!

»Jetzt steckt der Pfaundler Karl schon im kaiserlichen Rock,« sagte er nach der Stillung des ersten Hungers, »und morgen muß er über die Grenz'. Wenn der meinen Anhenker hätt', wär' ihm wohler.«

Auf Apollonias Frage erzählte Peter, daß sein Anhenker (Halsgeschmeide) eine Kugel sei, die er im Geklüft am Achensee einem erschossenen Wilderer ausgeschnitten habe. Wenn man eine Kugel einem Toten auszieht und sich anhängt, ist man kugelfest. »Im Etschtal,« prahlte er, »haben die Kugeln um mich 'pfiffen, daß mir heut' noch die Ohren sausen, aber mich hat keine 'troffen. Was schaust so schiech auf mich, Seppel? Glaubst ebba, ich hätt' nur Schneid', weil ich das Kugerl bei mir trag'? Ich hab' in Tirol in der heiligen Nacht Blutkugeln 'gossen. Auf einem Kreuzweg war's. Da hab' ich Geister und Hexen g'sehen, und das wilde G'jaid ist über mir hinbraust. Und ich bin fest und aufrecht g'standen wie ein Baam und hab' net mit der Wimper 'zuckt. Für meine Freund' geh' ich durchs Feuer, aber wer mich gift't, mach 's Kreuz über sich. Das merk dir, Seppel, und schau mich nimmer mit solche Augen an!«

Sepp erwiderte nichts, sondern tauchte mit steifem Arm den Löffel in die Schüssel.

»Er ist ein schrecklicher Mensch,« sagte Walpurg, als sie mit der Bäuerin allein war.

»Aber er fangt den Teufel auf der freien Weid'!« erwiderte diese. »Und hast net g'hört? Für den Max gang' er durchs Feuer.«

»Ich trau' ihm nit.«

Loni schoß einen bösen Blick auf die Warnerin. Dann ging sie in der Stube hin und her, trat vor das Kreuz, seufzte und wandte sich wieder zu Walpurg: »Mir ist der Kopf ganz wirr. Ich will ein bissel an die frische Luft. Wenn mir besser ist, komm ich zu dir in die Kuchel.«

Im Hausgärtchen wartete schon Peter. Er hatte sich gewaschen und sah frisch und jung aus.

»Was hast mir zu sagen?«

»Der Max hat mir einen schönen Gruß an seinen Schatz auftragen, und da wollt' ich dich fragen, ob ich's ausrichten soll oder net?«

Die Bäuerin machte große Augen. »An sein' Schatz – ja, wer soll denn das sein?« Dann rief sie schneidend: »Ah – die Walpurg!«

»Ja. Wundert's dich so? Sie ist ein fein's Dirndl, fürs Land schier zu fein.«

»Und hinterrucks! O die falsche Katz'! Recht 'traut hab' ich ihr nie. Und der Max, der Lapp, glaubt, ich gäb' das zu!? – Na, na, Jungfer Burgel, morgen gehn wir um ein Haus weiter!«

»Der Max hat bei seinem Seelenheil g'schworen, er laßt net von ihr.«

»Er muß!« versetzte Loni hart. »Von ihr könnt' ma sing'n: An hölzern Dukat'n – A lärchene Kuah – Gibt mir mei Vater – Wann i heiraten tua. – Die Schwiegertochter im Haus, und die Stuben voll Kinder – das könnt' mir so g'fallen.«

»Wirst halt doch nachgeben müssen! Auf den Hof g'hört ein Bauer. Der Max!? Aber die rechte Schneid' hat der no net. Und werd er mündig, heirat' er sein Madel. Dann ist sie die Bäurin. Ich weiß dir halt nur einen Rat: du bist ja selber noch lebfrisch und a schön's Weib. Gib dem Hof an andern Bauern als den verliebten Buab'n!«

»Am End' denkst gar an di!«

»Und warum nit? Wenn der Max ein armes Dirndel heirat', tut er sich schad'n. Was anders ist's: wenn du mi zum Bauer machst. Ich bin ein Mannsbild, hab' zwei starke Arm' und halt' die Leut' im Reschpekt.«

»Im Reschpekt sag'n wir lieber net. Vor einem Loder wie du hat ma Angst, aber kein' Reschpekt.«

»So hart sollst mit mir nit reden! Ich hab' g'arbeit' auf deinem Hof für drei. Ohne mich hätt'n dir die Pandur'n schon das letzte Stuck weg'tragen. Wenn ich deinen Buab'n verrat', komm i selber zu Gnad'n und kriag noch ein' Haufen Geld dazu! Aber ich hilf ihm aus Lieb' zu dir. Und du bist mir guat! Da gibt's kein Laugnen! Wenn das Dunnerwetter am Sonntag dich net verschüchtert hätt', ständen wir heut' anders z'sammen. Dein Bussel hat dich noch mehr als dein G'sangel verrat'n. Und ich sag' dir's nur glei: Wer dich mir streiti macht, dem kost's sei Leben!«

»Mit G'walt richt' man bei mir nix aus! Bereden wir's in aller Ruh'! Ich bin eines Großbauern Kind. Für mich war's kein' Gnad', daß der reiche Seebacher Lorenz um mich ang'halten hat. Und der war ein kreuzbraver, ansehnlicher Mann, auf alle Fäll' der beste von der ganzen Pfarrei. Denk, was mein Bauer g'wesen ist, und wer bist du!?«

»Und doch hast am letzten Lorenzitag an den Seligen net denkt! Gib's nur zu; ich hab' drauf 'paßt.«

»Warum soll ich laugnen? In der ewigen Angst und Not hab' ich dösmal auf die heilige Seelenmess' vergessen. Der Himmel hat mich schwer g'nug dafür g'straft.«

»Loni, du halt'st mein Herz und meine Seel' in der Hand. Du hast mich zu einem braven Burschen g'macht. Von dir wegg'worfen – was liegt mir an Ehr' und Seligkeit, und was am Leb'n! Wohin ich schau', schau' ich nur di! Dein Busserl – ah! Da hab' ich g'wußt: Es kann nit auswer'n zwischen uns. Frag nöt dein' Stolz, frag nur dei Herz! Dei Herz sagt ja!«

Er ergriff ihre Hände. Loni entzog sie ihm nicht, aber hielt ihn mit ausgestreckten Armen von sich.

»Peter, wenn ich wüßt', daß du brav bleibst – Sag nix! Schwör nix! – In meinen Jahren red't der Verstand auch ein Wörtel mit. Ich hab's so kommen sehn und mich davor g'fürcht'. Und jetzt – ich bitt' dich: red nit weiter auf mich ein! – Nöt jetzt, nöt gleich! – In einer Stund' hol dir Bescheid!«

»Loni, mich bringt die Stund' um! Ein Busserl und –«

»Bäurin, die Walpurg tät' um den Kellerschlüssel bitten.« Wie aus dem Boden gewachsen, stand plötzlich Sepp vor ihnen und schreckte sie auseinander.

Loni nestelte mit zittriger Hand am Schlüsselbund.

»Da! gib du ihr den Schlüssel, Peter, und sag – nein, sag nix! I will mir auch dös überlegen. Und du fahrst auf den Acker, der Sepp bleibt z' Haus!«

In Peter kochte die Wut über die Störung; er war versucht, sich auf den Störenfried zu stürzen, aber bezähmte sich.

»In einer Stund' bin ich wieder da herin ... In einer Stund'!«

Indem er mit schweren Schritten fortging, stolperte er über die Dachrinne, die noch vom letzten Unwetter her im Wege lag.

Loni war bleich, »Du hast g'horcht,« wandte sie sich an Sepp. Er schüttelte traurig den Kopf.

»Nöt g'horcht, aber –« Er hob flehend die Hände. »Bäurin, i bitt' di um Gottes und aller Heiligen willen, trau dem Peter nit! Er is a schlechter Mensch! Er hat –«

Loni beherrschte sich nicht mehr. Sie faßte den Knecht an den Schultern und schüttelte ihn. »Du hast g'horcht! Ah, du und die Walpurg! Ah, so weit ist's mit mir noch net, daß mir ein Tepp sein' Rat geben darf! Drum merk dir's: Noch oa Wort gegen den Peter, und du fliegst aus 'm Haus und kannst im Dorf die Bettelsupp'n essen! Marsch, in' Stall und ang'schirrt!«

Tepp, Narr, verrückter Seppel – der Arme war die traurigen Namen gewohnt, doch heute traf ihn das böse Wort der Bäuerin wie eine Kugel. Erdfahl, mit schmerzverzerrten Zügen, sah er auf die unbarmherzige, selbst so erbarmenswerte, verblendete Frau. Seine Lippen bewegten sich, doch brachte er keinen Ton hervor. Noch einmal faltete er die Hände, dann schlich er davon.

Während er sich dem Haus entlang drückte, kreuzten sich die Gedanken in seinem Gehirn. Es darf nicht sein: der Raufpeter als Bauer auf dem Seebacher Hof, der Mordbrenner im Ehebett des seligen Lorenz – es darf nicht sein!

Was soll er tun? Die Bäuerin hört ihn nicht an. Der Peter hat sie verhext. Wer Blutkugeln gießt, kann auch Zaubertrankeln brauen. Sucht Sepp im Dorfe Rat und Hilfe? Wer achtet drauf, was der verruckte Seppel, der Narr, der Tepp sagt! Und wer wagt sich an den Raufpeter? Der Pfarrer ist ein alter, furchtsamer Mann.

Soll er den Panduren den Peter verraten? Das nicht, nur das nicht! Mit den Bauernschindern, dem Landesfeind, den Mördern des Lorenz macht er keine gemeinschaftliche Sach'.

Sepp bog sich spähend um die Hausecke.

Wenn er dem Unhold jetzt in den Weg kommt, wird er krumm und lahm geschlagen, und das Unglück hat seinen Lauf, und alles ist verloren.

Nur heut' noch, heut' noch aufrecht und bei hellem Verstand! Er muß die Ehr' vom Seebacher Hof, das Andenken seines Herrn und Wohltäters retten!

Der Hof lag still im heißen Sonnenschein, aber im Stall rumorte der Wildling. Sepp hörte ihn fluchen und auf die armen Tiere schlagen.

Da trat Walpurg mit einem Futternapf aus dem Hause. Die Walpurg! Sepps Augen erglänzten. Das Dirndel vermag nicht zu helfen, aber Walpurgs Vater, der ehrliche Mann, der Soldat, der ist der Freund in der Not! Horch! – in Talkirchen läuten sie Mittag. Walpurg stellte den Napf auf die Erde, faltete die Hände und blickte in stillem Gebet vor sich hin. Sepp bekreuzte sich auch, aber dann schlich er geduckt die Scheune entlang, schoß aus dem Tor und lief in der Richtung nach München zu.

Loni ließ sich auf die Bank fallen. Der Sepp, dieses G'spenst im Haus, und die Walpurg, die falsche Dirn', müssen fort! Und nimmt der Max keine Vernunft an, fort! Der Peter hat recht: noch bin ich lebfrisch und kann mich freun. Alles hört einmal auf und die Trauer auch ... Lang' genug hat sie gesorgt und bedacht, »was die Leut' dazu sagen«, und ist dabei von Jahr zu Jahr trübseliger geworden. Es ist was Schönes um die gute Meinung, aber sie macht ein einsames Alter nicht schöner. Und wenn die ganze Nachbarschaft über sie schreit, auf dem Münchener Schrannenplatz Auf dem gegenwärtigen Marienplatz wurde allwöchentlich Getreidemarkt abgehalten. gilt nicht die beste Meinung, sondern der beste Weizen. Der Peter ist ja freilich ein Wilder, aber gegen sie ist er zahm. Und sie freut's, wenn er lustig ist, und er gefällt ihr im Zorn. Nicht jeder sagt's, doch jeder denkt's: zuerst komm' Ich! Für die Walpurg, den »Stadtfratzen«, hat sie nicht gearbeitet, gezahlt und gespart!

Die Hauptsach' ist: sie will nicht mehr Witib bleiben, und weil ihr das Herz bei keinem andern klopft als beim Peter, so mag er in einem Stünderl kommen oder früher: sie ist um ihre Antwort nicht mehr verlegen.

Loni horchte auf, als das Gespann den Hof verließ. Peter ließ im Wald die Peitsche knallen. Es klang wie Gewehrfeuer.

Wenn er heimkommt – – Wieder versank Loni in tiefes Sinnen. Ganz ließ sich die Vernunft mit ihren Einwänden gegen das Bündnis nicht zum Schweigen bringen. Wenn sich Loni tapfer und fest glaubte, beschlichen sie immer aufs neue bange Zweifel.

Ein Mann kletterte über die Ringmauer und sprang in den Garten. Die Bäuerin sah und hörte nichts, bis der Mann vor ihr stand und sie ansprach:

»Mutter!«

»Jesus, Maria und Josef! Der Schrecken! Du!«

Max war naß, schmutzig, verwildert. Der Bäuerin tat das Herz weh bei seinem Anblick; jetzt war sie nur noch die besorgte Mutter.

Max blickte scheu aufs Haus und fragte nach Peter.

»Der Peter ist auf dem Feld.«

»Und Walpurg?«

»Was fragst nach der? Reiß mich aus der Angst! Warum bist am hellichten Tag von deinen Kameraden fort?«

»Mutter! Lieber tot auf dem Rasen, als lebendig mit der Kameradschaft!«

»Aber du hast doch selber –«

»Ja, ich kenn' sie schon lang', und mir hat schon lang' vor ihnen 'graust. Die Not hat mich 'trieben. Aber hätt' ich g'wußt, was ich heut' von ihnen weiß – mit Peter und seinen Brüderln, oder mit den Rotmänteln ist eins. In einer Gruben an der Isar sind's zu Haus. Beim roten Kreuz, wo's durch den Wald nach Sauerlach geht, kommt ma auf einem hoamlichen Steig 'runter; naher hat man's von uns gradwegs durchs Holz, aber da muß ma' durch ein Wasser. Und jetzt paß auf: Im vorigen Jahr sind zwischen Talkirchen und Sauerlach drei Bauernhöf' niederbrennt. Heuer am Josefitag is beim Kogelmüller einbrochen und ein Knecht derstochen worden. Panduren, hat man g'sagt. Vorgestern haben s' dem Lisch Stall und Stadel ankent. Verlaufene Franzosen, heißt's. Es ist net wahr! Die Brandstifter, Räuber, Mörder sind allemal die Brüderln in der Gruben g'wesen, und der Hauptteufel, der sie anstift' und führt, ist unser Peter, der Raufpeter. Gelt, da derschrickst! – Einer davon, der Wilderer-Hansi, hat gestern, wer weiß wo, ein Fasset Branntwein g'stohlen. Da haben s' 'zecht bis zum hellen Tag und mir im Rausch alles verraten und haarkloan erzählt. Heut' flackt ein jeder, wo er im Rausch hintorkelt ist, und schnarcht. Und da bin ich auf und davon!... Was is, Mutter? Dir werd net gut ...«

Als ungestümer Freier kehrte Peter schon vor Ablauf der Stunde in das Gehöft zurück. Er ließ die Peitsche knallen, Sepp erschien nicht. Da Peter überzeugt war, von der Hausfrau beobachtet zu sein, faßte er sich in Geduld, entschirrte das Gespann und trieb die Tiere in den Stall.

Nun schritt er über den sonnigen Platz zum Hause.

»Halt!«

Peter blickte auf. An einem offenen Fenster im ersten Stock stand der junge Bauer.

»Sakerdi, hast dich hertraut, Maxel!? Na, gut Freund! mach keine Faxen!«

»Steh! Für Leut' im Unglück, laßt dir die Mutter sagen, ist der Seebacher Hof alleweil offen, aber für Mordbrenner ist unser Haus kein' Herberg' net! Mordbrenner, verstehst! Im Pack auf der Bank ist deine Sach' und dein Lohn. Nimm's und schau, daß du weiter kommst!«

Wütend sprang Peter zur Scheune, hob eine schwere Deichsel, als wär's eine Hopfenstange, und wollte damit gegen die verschlossene Tür. Doch da blinkte droben der Gewehrlauf.

»Steh, oder ich schieß'! Geh gutwillig! Wir haben uns nit zu fürchten, aber du. Denn was du weißt, wissen wir jetzt auch. Die Walpurg ist im Dorf g'wesen: die Pandurenwirtschaft hat ein End', und unser Kurfürst ist wieder Herr im Land.«

»Ein Narr, der's glaubt! Mein' Sach' lass' ich da, denn ich komm' wieder. Und der Bäuerin sag: So gut hat mir ihr Bussel g'schmeckt – wenn ich net mehr mir hol', soll mich der Teufel lebendig holen!«

Je mehr sich Sepp der Hauptstadt näherte, desto häufiger mußte er durch Schwärme von Fußgängern hindurch und wurde selbst von Fuhrwerken überholt. Er schaute und horchte weder nach rechts noch links, wand sich eilig durch die Menge und begann auf menschenleeren Strecken wieder zu laufen. Von den Türmen der Frauenkirche hingen zwei weiß-blaue Fahnen. Sepp versuchte keine Erklärung dieser seltenen Erscheinung, aber sein Mut richtete sich daran auf. Die Münchener sind brave Leut'. Die dulden nicht, daß der Hof des seligen Lorenz Seebacher ein Raubnest wird ... Schon vor dem Isartor bildeten Männer, Frauen und Kinder einen ununterbrochenen Pilgerzug. Und kein Mann von der verhaßten Torwache der Rotmäntel war sichtbar, ungehindert ergoß sich der harmlose Menschenstrom in die Stadt, in noch größeres und dichteres Gewoge. Alle Münchener schienen auf der Straße zu sein, denn es wimmelte in breiten und engen Gassen wie in einem Ameisenhaufen, und doch waren auch alle Fenster besetzt. Und jedes Haus war beflaggt und bekränzt, auch die schwärzeste Spelunke schien im Schmuck von frischem Tannicht und lichten Fähnlein die Stätte lebefreudiger Menschen zu sein. Und Freude war denn auch diese ungeheure Unrast, Freude der vieltausendstimmige, betäubende Lärm, Freude lag heut' auf den Gesichtern von jung und alt, von reich und arm! Freude!

Denn angebrochen war endlich für das Duldervolk der Sonnentag, der Lohn- und Ehrentag nach langem Martyrertum! Und wenn der Friede auch noch nicht amtlich verkündigt war, die Herzen waren seiner sicher. Jede Taube, die mit glänzenden Schwingen um den Giebel flatterte, war eine Friedenstaube, jeder weiß-blaue Wimpel eine Bürgschaft für den Frieden, das Gejohl und die Musik in den Schenken, wie das stille Gebet der Kirchgänger waren ein Preis des Friedens! Und die Sonne, die aus wolkenlosem Himmel auf die Feststadt scheint, sieht heute Max Emanuel und die Seinen schon aus vaterländischem Boden, leuchtet ihnen auf dem Heimatsweg!

Sepp war oft genug mit seinem Hofherrn nach München zu Markt gefahren. Er wußte noch Straße für Straße, die vom Torbogen unter dem Rathaus zur Wohnung des Invaliden führte. Das Gedränge und Gebrause verwirrten ihn nicht. Er gelangte ohne Umweg auf den Anger, der heute nicht so weltabgeschieden wie sonst, sondern auch bevölkert und laut wie ein Jahrmarkt war. Gottlieb Seebacher war daheim, aber nicht allein. Plinganser und Meindl, die Getreuesten der Treuen, waren bei ihm. Sie erinnerten sich des armen Trommlers von Sendling nicht mehr, aber Sepp erkannte die Führer von Anno fünf sofort wieder. Das Herz schlug ihm bis an den Hals.

Erst verworren, allmählich gefaßt und klar berichtete er das verbrecherische Treiben der Bande im Isarwinkel, und was dem Seebacher Hof von ihrem Schlimmsten, ihrem Berater und Anführer, dem Raufpeter, droht.

Der alte Gottlieb nahm seinen Säbel von der Wand.

»Ich muß nach Talkirchen.«

»Ich geh' mit dir,« rief Meindl, »aber erst aufs Amt. Wir müssen den Greuel anzeigen.«

»Bei wem?« fiel Plinganser ein. »Denk an das Drunter und Drüber in diesen Tagen! Wir haben das Gute so lang' erwartet, und jetzt bricht es doch unverhofft über uns herein. Wir haben wieder unsern alten Herrn und unser eignes Recht, aber noch sitzen Kaiserliche in Amt und Würden. Willst du ihnen auch den jungen Seebacher ans Messer liefern? Ein letzter Schachzug der Wiener Diplomaten kann die Friedensverkündigung verzögern. So lang' aber die Rösserln des Herolds und seiner Trumpeter noch im Stall sind, so lang' bleibt der Seebacher Max österreichischer Rekrut.«

»Du hast freilich recht, aber sollen wir warten, bis der letzte Krowat aus dem Tor und der Münchener Stadttrabant wieder beim Zeug ist?«

»Nein, denn nicht bloß Hab und Gut der Talkirchener Bauern, sondern die bayrische Ehr' müssen wir retten. Beim Bögner im Tal sitzen an die hundert Ingolstädter Studenten, die unsern Kurfürsten begrüßen wollen. Junges Blut, wie wir selber Anno fünfe waren. Das wallt und wagt

»Einverstanden, Herr Kandidat,« fiel Gottlieb ein, »aber wir Alten bleiben auch nicht z'ruck!«

– – Endlich war man beim Bräu im Tal. Im Torweg und Hof und in allen Stuben war ein fröhliches Gewühl von Stammgästen und Auswärtigen, von Bürgern und Bauern. Alle Stände waren vertreten, auch der Wehrstand. Viele von den verabschiedeten kurfürstlichen Soldaten, die sich in den Unglücksjahren schlecht und recht durchgeschlagen, hatten den Federhut und blauen Tressenrock wieder hervorgeholt und trugen sie trotz aller Mottenschäden und Moderflecken mit stolzer Freude. Alter Rock und alte Treu'. In einer großen Stube des Hinterhauses, wo in besseren Zeiten Hochzeitsschmäuse und Bürgerbälle abgehalten wurden, saß junges Volk, die Ingolstädter Studentenschaft mit Münchener Vettern und Freunden. »Plinganser! Meindl!« Das Paar wurde mit tosendem Jubel begrüßt, und die Studenten sangen das Liedchen, mit dem sie Plinganser bei seiner Rückkehr aus der Verbannung begrüßt hatten:

»Itzt Ingolstadt, lieb Städtchen,
Laß alle Trauer sein,
Der Meindl und Plinganser
Sind beide wieder dein!
Weißblaue Fahnen flattern,
Und hundert Pöller knattern,
Studenten und Philister
Sind heute wie Geschwister!
Plinganser, Plinganser kommt heim!«

Plinganser drückte diesem und jenem braven Jungen die Hand, dann bat er um Stille.

Silentium!

»Kommilitonen! Ingolstadt allezeit voran! – An Freund Meindl und mich ergeht ein Notschrei aus Talkirchen. Flüchtlinge haben dort an den Ufern der schönen, lichten Isar vor der Pandurenhorde einen Unterschlupf gefunden. Aber diese verwegenen und verworfenen Gesellen hausen nicht besser als der Landesfeind, werfen dem Bauern den Brand aufs Dach, plündern sein Haus und bedrohen sein Leben. Meindl und ich haben die Not und Versuchungen des Flüchtlingslebens selbst erfahren. Doch an unsern Händen klebt kein Blut Wehrloser; arm und ehrlich kommen wir aus der Verbannung heim. Gesetzloses Raubgesindel ist ein Fleck auf der Landesehr'! Den duldet kein tüchtiges Volk. Des Landesverrats zeih' ich jene Bande. Verbrecher dingfest machen ist der Braven Recht. Kommilitonen, ich schlage vor, wir heben, bevor unser Kurfürst heimkehrt, heut' noch den Fuchsbau aus. Hoch die Getreuen, nieder mit den falschen Patrioten!«

»Hoch Plinganser und Meindl! Nieder mit Ehrlosen! Hurra, hallo! nach Talkirchen!«

Inzwischen hatte im Vorderhaus auch Gottlieb erfolgreich geworben: bedächtige Bürger und erprobte Soldaten schlossen sich dem Zug der Jugend an. Sepp ging an der Spitze. Jetzt schritt er im Takt, und obwohl er keine Trommel trug, horte er die dumpfen Wirbel wie damals bei dem Marsch auf Sendling ...

Beim Bögner im Tal waren die Räume, eben noch überfüllt, beinahe leer. »Was is?« fragte der Bräu einen weißhaarigen Schenkknecht. »Es heißt, Talkirchen brennt?«

»No net, aber bald, wenn s' die Mordbrenner und Raubmörder, die dort umeinanda laufen, nit einfangen. Und das wollen die jungen Leut'. Schad' ist's um das frische Bier, aber 'zahlt haben s' alles und recht haben s' a (auch)!«

Der Brauherr nickte. »Ich lass' den Hias hoamli einspannen. Es soll net heiß'n, der Bögner is net dabei g'wesen.... Aber sag der Bräuin nix!«



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