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Der neue Küster

Der kleine Sven war nicht älter als 12 Jahre, als er einmal beim Weihnachtsschmause den Gerichtsbauern sagen hörte:

»Ein Küster mit 1000 Thaler Gehalt ist so gut wie ein Bauernjunge mit 60 000 Thaler Vermögen.«

Der kleine Sven wußte nun aber ganz genau, daß es für ihn ebenso unmöglich sei, ein Vermögen von 60 000 Thalern zu erwerben, wie Kaiser von Japan zu werden, aber er fühlte eine brennende Begierde, es zu etwas zu bringen, »vornehm« und »angesehen« zu werden, und bei den Worten des Gerichtsbauern fiel es ihm daher wie Schuppen von den Augen. Ach, wenn er doch Küster werden könnte.

Ob er singen konnte? Wie konnte man nur so dumm fragen! Welcher Smålandsbube kann es nicht? Doch der Sicherheit halber konnte er ja den Hügel hinauflaufen und versuchen:

»Mein Dirnchen und ich, Mein Dirnchen und ich,

— — — — — —

Wie schön leuchtet der Morgenstern

— — — — — —

— — — — — —

Jetzt kommt das Weihnachtsfest Mit Lichtern und mit Glanz

— — — — — —

In allen meinen Taten.«

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Ja freilich, Sven konnte alles singen, was verlangt wurde.

Svens Vater war ein sogenannter Achtelbauer, d. h. sein Hof war nur ⅛ so groß wie ein richtiges Bauerngut. Schulden hatte er natürlich auch. Er wollte, daß Sven ihm beim Trockenlegen des Waldmoores helfen sollte, aber Sven wollte sich nur mit Musik beschäftigen. Er wollte, daß Sven die Erziehung der Mähre übernehme, aber Sven träumte nur davon, wie er die Dorfjugend an Leib und Seele mit dem Katechismus erziehen würde, wenn er erst das Seminar hinter sich hätte. Denn er wollte natürlich Organist und Schullehrer zugleich werden, sonst gab es kein so hohes Gehalt und er wurde nicht ebenso gut wie ein »Bauernjunge mit 60 000.«

Vater schimpfte und fluchte natürlich darüber, daß Sven sich für zu gut hielt, Achtelbauer zu werden, den Hof billig zu übernehmen, eine Erbin mit sechs- oder achttausend Thalern zu heiraten und dann den jüngeren Geschwistern ihren Anteil auszuzahlen.

Aber Mutter war ehrgeizig und meinte, es wäre doch zu herrlich, wenn ihr Sven als Küster einst seinen Vater »zu Grabe singen« könnte, und jemehr Vater sich darauf verbiß, daß Sven Bauer werden sollte, desto reicher flossen ihre Thränen.

Heutzutage ist freilich alles verfälscht, aber Mutterthränen sind doch noch ziemlich echt, und waren sie in alten Zeiten imstande, einen Augustinus hervorzubringen, so müssen sie jetzt noch wenigstens einen Landküster schaffen können.

Als Sven 16 Jahre alt war, trat er auch richtig ins Seminar ein, bewohnte in einer Hinterstraße mit zwei Kameraden zusammen zwei Zimmer und sollte von Gottes Wort, Pädagogik und Lebensmitteln von zu Hause leben.

Geschichte, Geographie und Mutters Käse waren verhältnismäßig leicht verdaulich, aber Mathematik, Religion und der alte ranzige Speck blieben ihm oft im Halse stecken.

An Vergnügen war auch kein Mangel, denn einmal vierteljährlich probierte die Feuerwehr die Spritzen, und einmal vierteljährlich spendierte sich Sven ein Theaterbillet. Die neuen Spritzen und die alten Schauspielerinnen spukten in dem mit den Glaubensartikeln und den Kirchenvätern vollgepfropften Kopfe des jungen Seminaristen auf eine wahrhaft grauenerregende Weise.

Zweimal schickte er der Zeitungsredaktion ein Huldigungsgedicht in Dithyramben an die junge – erst 42 Jahre alte – schöne Primadonna der hochangesehenen Jönssonschen Truppe (sechs Erwachsene, fünf Kinder, ein Teckel und ein Kanarienvogel); doch das erstemal bat die Redaktion um Erlaubnis, »die schönen Verse ihrer Manuskriptanthologie einverleiben zu dürfen,« und das zweite mal versprach sie, »das niedliche kleine Gedicht der Gefeierten privatim zuzustellen.«

Bisweilen gaben die Seminaristen auch einen kleinen »Ball« in einer bescheidenen Mansarde der Vorstadt. Näherinnen, Stubenmädchen aus den feineren Häusern und anspruchslose Handwerkertöchter waren die Damen. Es kam jedoch auch vor, daß eine der hübschesten Fabrikarbeiterinnen – die einzige Fabrik der Stadt war eine Schwefelholzfabrik – ebenfalls gebeten wurde, doch dies hatte jederzeit die Schattenseite, daß es im Balllokale so nach Phosphor roch, als hätte der Schwarze dort sechs Monate gewohnt.

Während der Weihnachts- und Sommerferien glänzte Sven jeden Sonntag auf dem Orgelchor in der Kirche seines Heimatdorfes. Die Mädchen verrenkten sich dann beinahe den Hals, und wenn Pastor Blomstersnack auf der Kanzel Entwürfe von kleinen Karten über das Himmelreich in die Luft zeichnete und davon sprach, daß das Saitenspiel der Engel die Macht habe, alle Betrübten auf ewig zu trösten, konnten sich die Gerichtsbauertöchter den Himmel nicht anders vorstellen als mit Sven auf einer Wolke in der Ecke neben der Orgel.

Der alte Dorfküster Pipenqvist war ein Mann, der es sein Leben lang verstanden hatte, das rechte Ding im rechten Augenblick zu thun. Er war an einem Sonntagsnachmittage um fünf Uhr zur Welt gekommen, um seine Angehörigen weder am Besuche des Gottesdienstes zu hindern, noch sie in der Arbeit oder ihrer Nachtruhe zu stören. Und jetzt ging er gerade aus der Welt, als Sven Gnällstedt, mit Küster- Organist- und Lehrerzeugnis in der Tasche, den Globus untersuchte, um herauszufinden, wo unser Herrgott ihm sein tägliches Brot hingelegt habe.

An dem Sonntage, an dem Sven in seinem Heimatsdorfe in der Kirche »probte«, hätte der Pastor recht gut über das Nachthemd der Susanna zu Babel, König Salomos Sonntagshut, Nebukadnezars Hosenschnalle oder sonst einen gottlosen Text predigen können, die Gemeinde würde es gar nicht gemerkt haben, denn aller Augen, Ohren und Sinnen waren ganz von Sven in Anspruch genommen, von der Gerichtsbäuerin, die fünf unverheiratete Töchter hatte, bis auf den Dorfschneider, der sich den Kopf darüber zerbrach, wie er es anfangen sollte, Herrn Gnällstedts in der Stiftsstadt gearbeiteten neuen Rock zu leihen, um sich ein Muster danach zu schneiden.

Und »Vater« saß in der Kirche und schämte sich nicht wenig darüber, daß er ein Schafskopf gewesen war, seinem Sven das Studium der Musik verbieten zu wollen, und Mutter weinte wie der Himmel im April, aber das waren natürlich keine bitteren Thränen, sondern der milde Sommerregen des Herzens, der die schönen Blumen der Liebe und der Hoffnung in dem Boden des Mutterherzens tiefer Wurzel schlagen und reicher erblühen läßt.

Und die Bauernburschen kamen sich an diesem Sonntage schrecklich überflüssig in der Kirche vor, und die Dirnen meinten, alles, was Sven Gnällstedt spielte, klinge wie ein Hochzeitsmarsch.

Er wurde denn auch einstimmig zum Küster, Kantor und Schulmeister gewählt und erhielt das Aussaatkorn für den Küsteracker zu außerordentlich billigem Preise.

Der Gerichtsbauer lud Sven auf einen Grog ein und redete mit großer Verachtung von den Eltern, die ihren Töchtern nichts weiter als ihren Segen in die Ehe mitgeben. Dies sei eine Gemeinheit, die ihm, dem Gerichtsbauern, sein Gewissen verböte, und er würde es nie übers Herz bringen können, so schlecht gegen seine Schwiegersöhne zu handeln.

Die Gerichtsbäuerin brachte ihn beinahe mit Rahmkäse und Eierkuchen um.

Der Kirchenvorsteher lud ihn zum Kirschenessen in seinem Garten ein, und konnte seinerseits durchaus nicht begreifen, daß es mit der Gemeindesparkasse nicht mehr vorwärts gehe. Er selbst habe doch neuntausend Thaler für jede seiner Töchter eintragen lassen.

Wenn Gnällstedt die Sparkassenbücher sehen wollte, so sei er gern bereit, sie ihm zu zeigen, sie lägen in der obersten Lade der Kommode.

Die Kirchenvorsteherin nudelte ihn förmlich mit Karamelpudding und Himbeersauce.

Und was die Töchter selbst betraf, so wuschen sie sich sowohl mit grüner Seife wie mit Blumenseife, um den Ammoniakgeruch von den Fingern zu vertreiben, und wenn der Küster kam und sie sich das Haar glatt kämmen sollten, pomadisierten sie sich mit der besten Butter aus der mütterlichen Butterbütte. Der alte, arme Pastor, der Sven seiner Zeit eingesegnet hatte, drückte ihm nun die Hand, sprach die Bitte aus, Sven möchte ihn doch »Onkel« nennen, und fragte, ob er nicht bisweilen des Abends bei ihm vorsprechen wollte, er (der Pastor) sei ein leidenschaftlicher Schachspieler und seine liebe, kleine Marie spiele gar zu gern vierhändig.

Und Gnällstedt strahlte vor Freude über soviel Freundlichkeit, lächelte vielsagend und verbeugte sich mit affenartiger Gewandtheit, und in seiner Küche fanden sich Käse in erstaunlicher Menge ein.

Schließlich wurde es ihm jedoch zuviel, denn sein Magen war durch das allzugroße Wohlleben gründlich verdorben worden, er hatte Rock und Weste weiter machen lassen müssen, und der Schulinspektor hatte erklärt, die Dorfkinder hätten im letzten Semester außergewöhnlich wenig gelernt.

So vergingen Herbst und Winter, und Sven war noch immer der Held des Tages. Doch an einem Sonntage gleich nach Ostern saß eine Fremde auf dem Orgelchor. Es war ein feingekleidetes, sehr hübsches, junges Mädchen, und sie saß so dicht bei Küster Gnällstedt, daß kein Mensch in der Kirche begreifen konnte, weshalb er etwas so Unschickliches duldete und die zudringliche Person nicht fortwies.

»Was war das für ein Frauenzimmer, Gnällstedt, das heute so dicht bei der Orgel saß?« fragte der Kirchenvorsteher in der Sakristei in Gegenwart des Pastors.

»Oh, das war nur meine Braut, mit der ich seit meiner Seminaristenzeit verlobt bin,« antwortete Sven Gnällstedt.

Und von diesem Tage an wurde er in der Gemeinde gewiß nicht mehr eingeladen als es sein Magen vertragen konnte; die Sparkassenbücher des Kirchenvorstehers hat er nicht zu sehen bekommen, und wenn er das Pfarrhaus besucht, wird weder das Schachspiel herbeigeholt, noch das Klavier geöffnet.


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