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Nur eine Kuh!

Es ging Stjerna wie den Kronprinzen und Majoratserben, sie war schon besprochen, erwartet und ersehnt worden, als sie noch gar nicht geboren war. Im ersten Jahre, als Stina und Kalle als junges Ehepaar in der Waldhütte am äußersten Ende des Dorfes wohnten, sprachen sie jeden Abend mindestens eine halbe Stunde davon, wie schön es doch wäre, eine Kuh zu haben. Wäre Kalle vernünftig gewesen, so hätten sie sich schon damals eine anschaffen können, aber das Unglück dabei war, daß Stjerna seine dritte Liebe war, und deshalb dauerte es auch so lange, ehe er sie bekam. Die Erstlinge seiner zärtlichen Gefühle hatte er der Branntweinflasche geopfert; sie hatte seinen ganzen Jahreslohn und alle seine freien Stunden verschlungen. Dann hatte er mit Stina zusammen gedient und sich in sie verliebt. Da wurde er Idealist, zerschlug die Branntweinflasche an der Stallthür und meldete sich beim Pastor zum Aufgebot. Und erst nach der Hochzeit kam die Flamme Nr. 3, die verzehrende Sehnsucht nach einer eigenen Kuh. Er liebte allerdings seine Stina noch ebenso innig wie früher, aber wenn er an sie dachte, malte er sich am liebsten aus, wie schön es sein würde, wenn Stina an einem schönen Juniabend mit einem weißen Melkkübel zwischen den Knieen unter der großen Tanne auf dem Hügel säße und die runde, sonnenverbrannte Wange an den braunglänzenden Bauch der erträumten Stjerna legte.

Schließlich konnte er es nicht mehr aushalten. Eines Morgens stand er mit Tagesanbruch aus und grub auf der Westseite der Hütte sechs große Steinblöcke aus. Damit wollte er den Grund zum Viehhause legen, und als das Jahr herum war, hatte er auch einen hübschen, kleinen Stall fertig, aber noch keinen Pfennig für den Ankauf einer Kuh zurückgelegt. Da wurde denn beschlossen, daß Kalle von seinem Herrn ein Kalb kaufen sollte, das man dann selbst groß machen wollte, und acht Tage daraus kam Stjerna zur Welt.

Eigentlich war sie 10 Thaler wert, als sie vier Wochen alt war, doch weil Kalle mit dem Herrn zusammen eingesegnet worden war, bekam er sie für 7 Thaler und ein Tagewerk in der Erntezeit.

Ich will gern glauben, daß Kalle glücklich war, als er seine Stina zum ersten Male in die Waldhütte führte, aber er war es sicherlich nicht weniger, als er Stjerna zum ersten Male im Stalle ankettete, und Stina lachte über das ganze Gesicht, sah nach ihrer Blechsatte und den beiden eingerissenen Kaffeetassen und träumte von künftigen Zeiten von Pfannkuchen mit unverfälschter Milch und eigener Kaffeesahne.

Machen wir es nun wie die Romanschreiber nach der alten Schule und lassen wir unsere Romanheldin in Frieden, bis wir sie als voll ausgewachsene Kuh wiedersehen. Wohl war es den armen Leuten im Winter schwer geworden, Stjerna mit Futter zu versehen; aber Kalle und Stina waren gern mit gefrorenen Kartoffeln und Salzlacke zufrieden gewesen, damit die Kuh keinen Mangel an Häcksel und Stroh zu leiden brauchte, so wurde Stjerna von der ganzen Familie vergöttert.

Ich glaube, der Kronprinz freute sich einmal, ein bischen regieren zu können, während sein Papa im Lande herumreiste und Eisenbahnen einweihte, doch war dies nichts gegen die Freude, die Kalles Erstgeborener empfand, als er zum ersten Male Stjerna zur Tränke führen durfte!

Es war auch das Ideal einer Kuh; langgestreckter Leib, feingezeichnete Hörner, zierlicher Kopf mit einem Stern auf der Stirn, feingeformte Beine, milde, graublaue Augen, schwellendes Euter und hellbraunes Alltagskleid, das wie angegossen saß. Ein einziger schmaler Ring unten an der Hornwurzel zeigte, daß Stjerna kürzlich zum ersten Male Mutter geworden war und es Stina jetzt weder an Milch, noch an Kaffeesahne fehlte. Ach, wie selten gehen doch unsere kühnsten Träume so glücklich in Erfüllung!

Der Gerichtsbauer hatte baare 90 Kronen für das Tier geboten, doch Kalle hatte ihm geantwortet, daß er ihm ebensogut seine Frau und seinen ältesten Jungen abkaufen könnte, denn Stjerna sei ganz wie ein Mensch, sie sei im Sommer, als seine Kleinste in die Kartoffelgrube gestürzt war, nach Hause gekommen und habe vor dem Küchenfenster gebrüllt, als wollte sie ihn um Hülfe rufen.

Doch es soll sich niemand einbilden, daß die Tagelöhnerleute sich mit aller Milch gute Tage machen konnten. Ach nein, so gut wird es dem Armen nicht! Die meiste Milch wanderte ins Butterfaß und wurde so zu Geld verwandelt, aber ein wenig süße Milch für das Kleinste in der Wiege und die Buttermilch kam doch dem Haushalte zu Gute. Dies und die Freude an dem persönlichen Verkehr mit der Stjerna waren der Gewinn von dem Vergnügen, eine eigene Kuh zu haben.

Und die Jahre gingen dahin, und Stjerna lebte sich immer mehr mit der Familie ein. Besonders eines Tages im Spätherbste nach der Konfirmation der ältesten Tochter erinnerte sie sich so deutlich. Das Mädchen sollte in einen Dienst. Vater sagte nichts, er drückte der Dirn nur seufzend die Hand, aber Mutter weinte und steckte ihr eine ganze Hand voll Siebenlöcherkringel in das Kleiderbündel, und das Mädchen wischte sich mit dem Zipfel des roten Tuches so oft die Thränen ab, daß sie ganz rot im Gesichte war. Und als sie von allen in der Hütte Abschied genommen hatte und dann zu Stjerna auf den Grasplatz trat, schlang sie die Arme um den braunen Hals der Kuh und schluchzte: »Adieu, adieu, liebe Stjerna!« Da hatte Stjerna sich mehr als je zur Familie gehörig gefühlt, die kleine schwielige Hand der Tagelöhnertochter geleckt und »Mu–u–u–uh« gesagt. Doch dieses »Mu–u– u–uh« läßt sich nicht ins Schwedische übersetzen.

Dann kamen schlechte Zeiten. Eine unbarmherzig kalte Juninacht zerstörte die grüne Saat auf den kleinen Ackerstücken zur Waldhütte, und Kalle mußte sich in Schuld setzen, um Brotkorn zu erhalten. Und als der Herbst ins Land kam, waren die Zeiten noch nicht besser geworden, die Bauern hatten selbst schwere Verluste erlitten und waren daher nicht in der Lage, dem Tagelöhner Arbeit zu geben. Kalle hatte außer seinen Schulden auch noch das Unglück keinen Verdienst zu finden, und so mußte das Gericht einschreiten, und der Gutsaktuar kam, um ihn zu pfänden. Das Hausgerät war alt und schlecht; das Einzige, was noch das Pfänden wert sein konnte, war Stjerna. Und so wurde sie als Pfand für 33 Thaler und 16 Schilling ins Exekutions-Formular eingetragen, und ihr linkes Horn erhielt ein großes Siegel, wobei Kalle an einen gewissen Paragraphen im Strafgesetzbuch erinnert wurde, an den er denken sollte, falls er auf die Idee verfiele, das Pfand verschwinden zu lassen.

Doch als der Gerichtsvollzieher wieder aus dem Stalle kam, stand Stina draußen vor der Thür neben dem Holzstapel. Sie war so bleich wie der Tod und versuchte die Thränen hinunterzuschlucken, konnte es aber nicht verhindern, daß ihr ein paar der größten über die eingefallenen Wangen rollten. Und da wollte es der Zufall, daß diesmal nicht der alte wirkliche, erfahrene Gerichtsvollzieher zur Pfändung gekommen war, sondern ein junger Aktuar, der sich noch nicht die fürs Leben so nützliche und bequeme Rinde ums Herz hatte zulegen können und dem es bei Stinas Anblick ein wenig warm in der Brust wurde, so warm, daß ihm ein leichter Nebel die Brille von innen beschlug. Er wandte sich um, ging wieder in den Stall, kratzte das Amtssiegel von Stjernas Horn ab und sagte: »Ich werde Euch das Geld leihen; Ihr könnt es mir wiedergeben, wenn Eure Mittel es erlauben.«

Und da weinte Stina noch mehr und konnte kein Wort weiter hervorbringen als »Vergelt's Gott!« und das schien dem alten Schultheiß, der als Zeuge bei der Exekution zugegen war, eine verwünscht schlechte Bezahlung.

Und jeden Sonntag, wenn der Pastor das große Kirchengebet las und dabei für »alle treuen Beamten« betete, erinnerte Stina unsern Herrgott an den jungen Amtsaktuar, und Stjerna stand noch ein paar Winter ruhig in ihrem Stalle.

Dann kamen auch bessere Zeiten; die Holzpreise stiegen und Kalle verdiente gut beim Holzfällen. Doch eines Abends wurde er von den andern Holzknechten auf einer Bahre von Tannenzweigen nach Hause getragen; eine Föhre war vom Winde umgerissen worden und rückwärts über den Sägenschnitt auf ihn gestürzt. Er sah aus, als hätte der Baum ihm den Brustkorb zertrümmert, und alle meinten, es würde wohl bald mit ihm aus sein.

Das Menschenherz ist überall dasselbe. Was macht es aus, daß man an Not und Leiden gewöhnt ist, was hilft es, daß man das ganze Leben mit Mangel und Entbehrung gekämpft hat; ein solcher Schlag trifft die Gnädige und die Tagelöhnerfrau auf gleiche Weise; und als Kalle an der Ostseite des kleinen Kirchhofes in die Erde gebettet wurde, fühlte Stina deutlich, daß es jetzt mit der wenigen Freude, die sie am Leben gehabt hatte, auf immer zu Ende war.

Nun mußte Stjerna verkauft werden, das ließ sich nicht ändern, wenn auch Stina und die jüngste Tochter meinten, daß der Weg zum Markte, den sie mit Stjerna zurücklegten, ihnen so schwer wurde, wie ihnen noch nie einer, ausgenommen der schwere Gang hinter dem Sarge des Vaters, geworden war. Es war wirklich empörend, mit welcher Gleichgültigkeit Stjerna auf dem Viehmarkte sowohl von Herren wie von Bauern behandelt wurde. Sie kniffen und befühlten sie, zogen sie an den Hörnern und stießen sie gerade so mit dem Fuße als wäre sie nur eine ganz gewöhnliche Kuh. Doch der Bauer, der sie mit dem Fuße gestoßen hatte, erhielt sie nicht, obgleich er drei Thaler mehr bot, als der andere gute Bauer, der ihr freundlich mit der Hand über den Rücken fuhr. Dieses Opfer brachten die armen Leute ihren Gefühlen, dies war das letzte, was sie für ihre liebe, alte Freundin thun konnten. Und als dann das Geld aufgezählt war, die Kleine Stjerna den letzten Bissen des zur Wegzehrung mitgenommenen Brotkuchens ins Maul gestopft hatte und die graublauen Augen sich zum letzten Male mit verwundertem, beinahe vorwurfsvollem Blicke auf die beiden, denen die Thränen nahe waren, richteten, da wurde es zuviel für sie, sie wandten sich lautschluchzend ab und gingen eilig von dannen.

Die Marktbesucher aber brachen in schallendes Gelächter aus, zogen den Kork aus der Branntweinflasche und sagten:

»Ich glaube gar, die Weibsleute waren verrückt! Da gehen sie hin und heulen um eine alte, magere Kuh!«


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