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Erstes Kapitel.
Habe die Ehre mich vorzustellen.

Ich sitze in meinem geräumigen Arbeitszimmer im ersten Stocke meines großen Hauses am Markt, und verwundere mich nicht wenig, nun da ich mein bisheriges Leben vor mir vorbeiziehen lasse.

Dort in der Ecke steht ein weiches Sopha mit schwellenden Kissen, hinter demselben eine kleine Säule und darauf eine kleine Statue, die 200 Kronen kostet. Theure Ölgemälde zieren die Wände, doch worin eigentlich ihr Werth besteht, weiß ich nicht. Und mein Fuß ruht auf einem weichen Smyrnateppich; auf solche Dinge verstehe ich mich und weiß, daß er echt ist.

Dieser Fuß trägt einen so blanken Stiefel, daß eine junge Fliege sich die Beine darauf verrenken müßte. Meine Beinkleider sind vom feinsten Tuche und mein Schlafrock kostet 95 Kronen.

Mein Name ist Nils Jönsson, Ihnen zu dienen.

Die Cigarre, die ich im Munde habe, kostet 20 Öre netto, und während ich sie langsam nach dem Abendessen aufrauche, ehe ich zu Bette gehe, schweifen meine Gedanken zu einem andern Heim hinüber, das mir einst eben so lieb war wie mein jetziges, ein Heim tief innen im Walde mit niedrigen Thüren und von Rauch geschwärzter Decke, mit schiefen Wänden und zerfetzten Tapeten, mit einem Brotspieße, auf dem harte Brodkuchen hingen, über dem Herde, und mit schwermüthigen, ernsten, im Lebenskampfe früh gealterten Menschen in den Wandbetten.

Der eine war ein kleiner, gebrochener Mann mit gebräuntem, ängstlichem Gesichte und schmalen, gebeugten Schultern. Demüthig blickten die hellblauen Augen, blitzschnell flog die Mütze von dem dünnen Haare, sobald er von einem Höherstehenden angeredet wurde, und wer war nicht ein Höherstehender in »Jöns im Hagens« Augen! Dünn und geflickt war die alte Soldatenjacke. Wie muß er in den kalten Wintern beim Steinbrechen im Dorfe in seinen groben Drillichhosen gefroren haben!

Ich kenne den Werth des Pfennigs, denn ich habe selbst während langer, mühevoller Jahre einen zum andern gelegt; aber 10 000 Thaler wollte ich doch gern hingeben, wenn ich Dich hier hätte. Du alter, verarbeiteter, vom Alter gebeugter Tagelöhner, und ich Dich in den weichen Stuhl setzen und meinen Schlafrock um Deine magere Gestalt hüllen könnte ... Die andere war eine abgezehrte Frau mit knochiger Gestalt und ergrautem Haar. Auch sie ging gebückt und aus der eingesunkenen Brust drang ein Husten, der mir noch jetzt, nach 50 Jahren das Herz zerreißt. Ich kann noch den zerrissenen grauen Kleiderrock vor mir sehen, wenn ich die Augen schließe, und ich fürchte, daß das gefurchte, in Vorzeit gealterte Gesicht selten ordentlich rein gewaschen war – und doch ... und doch ... Man könnte mir gern morgen mein großes Haus am Markte mit allem, was darin ist, nehmen, wenn ich sie nur heute Abend die Treppe herauftragen, sie vorsichtig ihrer Lumpen entkleiden, sie in mein eigenes weiches, warmes Bett legen, auf meine steifen Kniee fallen und mein Haupt an ihrer Brust verbergen könnte ...

Auf der Bank und in der Kiste wimmelte es von kleinen, flachshaarigen, mageren Gestalten in groben, schmutzigen, zerrissenen Hemden, mit bleichen, so aufgedunsenen Gesichtern, wie sie es von beständiger Armenkost – wässerige Kartoffeln in Heringslake getaucht – werden.

Das eine dieser Gesichter ist dasselbe, das nun selbstbewußt aus dem großen Ölbilde im Boudoir meiner Frau von der Wand herabblickt. Die Wangen sind voller geworden und an Stelle des Wergleinenkittels ist ein Frack mit dem Wasaorden getreten. Und die andern?

Ja, ich bin ein wohlwollender Mann und gebe jährlich bedeutende Summen zur Linderung der großen Noth aus, doch beim Kinderfeste auf dem Rathhause, wenn ich als Mitglied der Direktion der Weihnachtszwerge Jultomter = Weihnachtszwerge. Ein Kinderfest mit Weihnachtsbaum, Musik und Tanz, bei dem eine gewisse Anzahl armer Kinder eingekleidet wird. neben den andern Wasarittern stehe und von den vollen Weihnachtsbäumen nach rechts und links mit vollen Händen austheile, dann klingt meine Stimme oft schroff, mein Herz verhärtet sich und es legt sich mir ein Eisberg auf die Brust, wenn ich daran denke, welchen Jubel der tausendste Theil aller dieser Herrlichkeiten bei Jöns im Hagens Kleinen erregt haben würde und – daß sie eine solche Freude nie kennen gelernt haben. »Ist es denn wirklich zu spät dazu?«

Ja, das ist es. Mia und Jakob sind todt. Johannes ist in Amerika untergegangen. Meine kleine Emma, meine Lieblingsschwester, ist als Wild auf dem Felde der Lüste, wo feine Herren die Töchter des Volkes jagen, unterlegen und ein geschütztes Nest, in dem sie sterben konnte, war alles, was Bruder Nils ihr hat bereiten können. Schwester Hanna lebt mit Mann und Kindern, aber ein Leben, das sie so verdorben hat, daß jede Unterstützung von mir durch die dritte Hand gehen muß und von liebevollen Worten und persönlichem Zusammentreffen nicht die Rede sein kann.

Weiß nicht, weshalb meine Gedanken heute Abend so zwischen meinem Heim am Markte und der grauen Hütte im Hagen hin und her irren. Vielleicht liegt es daran, daß meine Frau heute aus Stockholm, wo sie unsern ältesten Jungen besucht, geschrieben hat und in ihrem Briefe soviel von einem Feste redet, das wir in vier Wochen zu Ehren meines Geburtstages geben wollen.

Sechzig Jahre! Ja, das ist unbestreitbar einer jener Meilensteine, auf dem der müde Wanderer mit den steifen Beinen sich gern ein Weilchen ausruht und sein Bündel alter Erinnerungen aufknüpft.

Es liegt so viel zwischen der kleinen grauen Waldhütte und dem großen, weißen Hause am Markte. Und der kleine, mit Salzkartoffeln großgemachte Bube im Wergleinenkittel hat auch viel durchmachen müssen, ehe er in der Lage war, in Prima-Ölfarbe mit Frack und Orden von der Boudoirwand einer feinen Dame – seiner eigenen Frau – herabblicken zu können.

Und meine Alte kommt erst in 14 Tagen wieder und mein Geschäft geht nunmehr seinen ebenen Gang, ohne daß der Senior der Firma auf dem Comptoirstuhle sitzt.

Ob ich es versuche, in aller Einfachheit niederzuschreiben – – – Welch hirnverbrannte Idee! Wenn ich doch begreifen könnte, was hier zu Ende des Jahrhunderts eigentlich in der Luft liegt! Außer einer ganzen Menge Freisinn und Unglauben, Elektrizität und Sozialismus, Trikot und Variététheater, praktischen Erfindungen und vielen recht unmoralischen Dingen, auch noch eine ganz erschreckende Schmierwuth! Hat nicht mein eigener Sohn und Kompagnon, meine rechte Hand im Geschäft, der jetzt beinahe alle meine Unternehmungen selbständig leitet, zwei ganze Spalten unserer Zeitung über die Wasserleitungsfrage eingeschickt und drucken lassen! Und meine Kleine schreibt auch gern; sie hat Weihnachten wirklich allerliebste Julklappenverse gemacht.

Kurz vor Weihnachten komme ich eines Tages ins Comptoir und sehe den jungen netten Broqvist zehn Minuten nach beendigter Comptoirszeit noch an seinem Pulte sitzen und ein Papierstück mit kurzen, ungleichen, unordentlichen Reihen beschreiben.

»Was in aller Welt ist dies für eine Faktura?« frage ich. Broqvist wird blutroth und schiebt das Papier unter das Kontrabuch.

»Was haben Sie hier vor, mein Herr?« frage ich.

»Entschuldigen Sie, Herr Großhändler; ich bin mit meiner Arbeit fertig, und so ... und so blieb ich sitzen und dachte ... und dachte ... Sehen Sie, Herr Großhändler, Sie wissen ja, daß ich verlobt bin ... und das war ... das war ein Verschen.«

Nun, ich sehe ihn ja fast wie mein eigenes Kind an, und ich ließ denn auch nicht nach, bis er mir die Ordrekopie zeigte. Recht nett, wirklich recht pfiffig ausgedacht! Nicht, daß ich von solchen Dingen etwas verstehe, aber davon bin ich überzeugt, hätte der junge Broqvist Zeit und nicht wichtigere Dinge zu besorgen, so könnte er ebenso gut eine Gedichtsammlung herausgeben wie mancher andere.

Sollte die allgemeine Schreibsucht auch mich angesteckt haben? Es fehlt mir ja an so unendlich Vielem, um ein richtiges, wirkliches Buch schreiben zu können. Unter andern »die erhabene und freie Weltanschauung,« die, wenn ich die gelehrten Herren im Rathskeller recht verstanden habe, durchaus nothwendig ist, wenn das Buch gut und modern sein soll. Ich glaube eigentlich nicht, daß derjenige, der zu Ende dieses Jahrhunderts ein gutes, leicht verkäufliches Buch schreiben will, überhaupt an etwas glauben darf. Ausgenommen an seine eigene Genialität natürlich! Und ich glaube an so vieles! An die Zahlen meines Hauptbuches, an die Liebe meiner Alten, an meine Kinder und an unsern alten Kassirer Palm! Und vor allem an Gottes Güte.

An Gott, ja ... armer Nils Jönsson, an ihn hast Du leider nicht so viel gedacht, wie Du es hättest thun müssen! Doch ich bin zu ungebildet, um mich auf die Spitzfindigkeiten religiösen Zweifels einlassen zu können, und habe zu oft die Hand des Herrn in meinem Schopfe gefühlt, als daß ich nicht aus vollem Herzen an ihn glauben und ihm für das, was er aus Nils Jönsson gemacht hat, dankbar sein sollte!

Es giebt einen alten Vers, den wir in der Volksschule lernten und auf den ich damals weiter kein Gewicht legte, doch an den ich später, als ich anfing, vorwärts zu kommen, so oft habe denken müssen.

Ich habe mich schon so in meine Schriftstellerrolle hineingelebt, daß ich selbst einsehe, wie unpassend, naiv und altmodisch es ist, den alten Gesangbuchvers in einem weltlichen Buche zu citiren, aber ich denke auch daran, daß mein ganzes Leben ein Beweis für die Wahrheit desselben ist, und deshalb muß ich in »Patron Jönssons Memoiren« daran erinnern, daß:

Es sind bei Gott ja leichte Sachen,
Daß er den Armen machet reich,
Den Reichen dafür arm zu machen,
Den Großen und den Kleinen gleich.
Er ist der rechte Wundermann,
Der alle Dinge ändern kann!


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