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Eben grauet der Morgen. Noch stehen die zitternden Sterne
An der Wölbung des Himmels, die kaum am Rande zu blauen
Anfängt, während die Mitte noch schwarz, wie die Erde, herabhängt.
Frierend kriechen die Wächter mit Spieß und Knarre nach Hause,
Doch sie erlöste die Uhr und nicht die steigende Sonne,
Denn noch ruhen die Bürger der Stadt und bedürfen des Schutzes
Gegen den schleichenden Dieb, den spähende Augen gewähren.
Wie der Hahn auch rufe, und wie vom Turme herunter
Auch der hungrige Geier mit ewig brennendem Magen
Nach dem Frühstück krächze, es kümmert nicht Mensch noch Tiere.
Nur in den Ställen, die hinter die stattlichen Häuser versteckt sind,
Wird's allmählich lebendig, es scharren und stampfen die Pferde,
Und es brüllen die Kühe, allein die Knechte und Mägde
Schwören sich bloß, zur Nacht die Raufen noch voller zu stopfen,
Als es gestern geschah, und schlafen weiter in Frieden.
Nun, man müßte sie loben, wofern sie sich rascher erhüben,
Aber, wer könnte sie tadeln, daß sie sich noch einmal herumdrehn?
Ist doch die Kälte zu groß! Der Fuß, dem die Decke entgleitet,
Schrickt zurück vor der Luft, als ob er in Wasser geriete,
Welches sich eben beeist, auch darf man den Winter nicht schelten,
Weihnachts-Abend ist da, wie sollt' er nicht grimmig sich zeigen!
Dennoch lehnt schon am Pfahl der still verglühnden Laterne
Eine dunkle Gestalt. Im Licht des flackernden Dochtes,
Welcher sich selbst verzehrt, des Öls allmählich ermangelnd,
Kann man den Jüngling erkennen, der unbeweglich hinüber
Schaut nach dem Erdgeschoß des Hauses über der Straße.
Wahrlich, es müssen die Pulse ihm heiß und fieberisch hüpfen,
Daß er um diese Stunde, die selbst im Sommer die Zähne
Oft zum Klappern bringt und alle Glieder zum Schaudern,
Hier so ruhig steht, als wär' er in Eisen gegossen.
Schneidend und scharf, wie ein Messer, zerteilt der Hauch nun die Lüfte,
Welcher die Sonne meldet: den sollen die Fische im Wasser
Spüren und mitempfinden, er aber regt sich auch jetzt nicht.
Doch, da schreitet er vor und naht sich dem Hause. Was gibt ihm
Denn so plötzlich Gefühl und macht ihn lebendig? Ein Schimmer
Ward da drunten sichtbar, den eine getragene Lampe
Zu verbreiten scheint. Er bückt sich nieder, zu lauschen,
Spricht: sie ist's! und tickt mit leisem Finger ans Fenster.
Drinnen taucht ein Kopf empor. Die klarste der Scheiben
Suchend, er findet sie schwer, die meisten sind blind und belaufen,
Lugt er schüchtern hindurch. Es ist ein blühendes Mädchen,
Welches sich selber beleuchtet, indem es, die Lampe erhebend,
Nach dem Klopfenden späht. Er ruft: mach' auf, Magdalena!
Und enteilt in das Gäßchen, das links am Hause sich hinzieht.
Bald auch öffnet sich seitwärts das Dienerpförtchen, doch halb nur,
Und den Fuß in der Tür, beim Licht noch einmal ihn prüfend,
Spricht sie: Christian, du? Was kannst du so zeitig nur wollen?
Laß uns hinein – versetzt er – du würdest draußen erfrieren,
Und wir sind ja noch sicher! Sie sperrt ihm noch immer den Eingang,
Doch er hält ihr den Pelz entgegen, in den er gehüllt ist,
Und nun tritt sie zurück und geht voran in die Küche,
Während er auf den Zehen ihr folgt. Schon brennt auf dem Herde
Hell und lustig ein Feuer. Sie stellt den Kessel mit Wasser
Jetzt darüber und setzt sich an einer Seite daneben,
An der anderen er. Die rötliche Flamme vergoldet
Spielend beider Gesichter, und gegen sein dunkel gebräuntes
Sticht ihr lilienweißes, mit blonden Locken bekränztes,
Fein und angenehm ab. So mußt du – beginnt sie – schon wieder
Auf die Straße hinaus, und das am heiligen Abend?
Wer dem Fuhrmann dient, – entgegnet er – feiert die Feste
Selten gemächlich zu Hause, denn immer mangelt dem Kaufmann
Dies und das im Gewölb', und da die Kunden nicht warten,
Wartet er selbst auch nicht! Doch du – erwidert sie leise,
Fast in Vorwurfes Ton – du könntest es lange schon besser
Haben, wenn du nur wolltest! – Du meinst, ich könnte beim Kaufmann
Selber, könnte bei euch sein – versetzt er mit Lächeln – und freilich
Hätt ich's bequemer und dürfte, man sieht's ja, zu Tode mich schlafen.
Aber, das täte nicht gut! – Er springt empor, und die Küche
Stumm und sinnend durchschreitend und dann ich plötzlicher Wendung
Vor das Mädchen tretend und ihre Schönheit betrachtend,
Ruft er aus: Nein, nein, sie soll mir nicht hungern und frieren!
Voll Verwunderung schaut sie auf und merkt es nun endlich,
Daß er bewegt ist, wie nie. Was hast du? fragt sie ihn ängstlich,
Und er streichelt sie sanft und spricht die bedächtigen Worte:
Wem ein altes Weib für seinen Groschen das Schicksal
Aus den Karten verkündigt, der mag noch zweifeln und lachen,
Aber, wem es der Herr im liebsten Freunde und Bruder
Dicht vor die Augen stellt, dem ziemt es, sich warnen zu lassen!
Hätte der Ärmste mich in solchem Elend gesehen,
Wie ich gestern ihn, er wäre wohl ledig geblieben,
Und sein Beispiel soll – dies wird, so meint er, ihn trösten –
Nicht verloren sein für seinen Jugendgenossen!
Geht es den beiden so schlecht – versetzt sie erschreckend – ich habe
Anna nicht wieder erblickt, sie ist nicht weiter gekommen,
Und ich kann das Haus nur selten auf Stunden verlassen,
Und da hab' ich zu tun und rechne mit Schuster und Schneider.
Ging's mir anders mit Wilhelm – erwidert er traurig – ich hatte
Ihn so gut wie verloren, denn ängstlich, wie Sünde und Schande,
Pflegen sich Armut und Not in Ecken und Winkeln zu bergen.
Seinen eigenen Vetter vermocht' ich nicht zu ihm zu führen,
Als er nach Hamburg kam, um Anna endlich zu sehen,
Und erst gestern zur Nacht bin ich ihm wieder begegnet,
Aber in welcher Gestalt! Wie gänzlich verändert! Du kannst es
Dir nicht denken! Ich glaubte zuerst, es wäre sein Vater,
Der noch lebt auf dem Dorf, um seinen Jammer zu mehren,
Weil er den Greis nicht fürder ernähren kann, wie so lange!
Als ich ihn dann erkannte in seinem gebrochenen Wesen,
Wollte er mir nicht stehn, wie einer, der giftige Blattern
Zu verbreiten fürchtet, ich aber blieb ihm zur Seite
Und so nahm er mich mit zum kranken Weib und den Kindern.
Nun, die dienten zusammen! – Das Mädchen erhebt sich und schließt ihn
Innig und fest an die Brust. – Sie wohnen im feuchtesten Keller
Welchen ich jemals sah. Dem Totengräber gehörig,
Hat er die nassen Wände mit Brettern von Särgen beschlagen,
Wie sie der Kirchhof ihm aus wieder eröffneten Gräbern
Fett und modrig liefert. Die dunsten, daß, wer hereintritt,
Fast erstickt, doch die Miete ist billig, auch jagt sie der Hausherr
Nicht so leicht heraus, es fehlt am zweiten Bewerber,
Darum bleiben sie sitzen. Sie sollen vom Fieber genesen,
Wo's ein Gesunder bekommt. Da macht's natürlich die Runde,
Springt von ihm zu ihr, von einem Kinde zum andern
Und verläßt sie nicht mehr! Du weinst schon bittere Tränen,
Nun, ich rede nicht weiter! – Sie trocknet sich plötzlich die Augen,
Welche ihr längst schon strömten, und spricht mit krampfhaftem Lachen,
Ihn bei der Hand ergreifend und über und über erglühend:
Christian, weißt du was? Es ist der heilige Abend,
Und es wird uns beschert: da wollen wir wieder bescheren!
Meinen ganzen Weihnacht, und reichlich gibt ihn die Herrschaft,
Kleider und Tücher und Geld, und was noch etwa hinzukommt,
Alles trag' ich zu Anna, du machst es auch so mit Wilhelm,
Und sie können den Keller verlassen und wieder gesunden!
Kind – versetzt er darauf – ich tat zwar gleich, was ich konnte,
Und der Weihnacht ist die Hälfte des Lohnes in Hamburg,
Aber es sei darum! Denn, wie kein Engel im Himmel,
Hat mich Wilhelm gestern für ewige Zeiten gesegnet,
Und ich dank' es ihm gern! Zwar war sie bitter, die Lehre,
Die ich empfing, als ich sah, daß trockenes Brot ihm, wie Kuchen,
Schmeckte, Käse wie Fleisch, doch werd' ich sie nimmer vergessen.
Ja, ich hab' es erkannt, und werd' es im Herzen bewahren:
Wenn der Arme es wagt, nur Gatte und Vater zu werden,
Ist es sündlich, als dächte der Reiche auf Kaiser und König,
Und es straft sich noch härter. So bin ich denn fest auch entschlossen,
Endlich den Schritt zu tun, auf den ich schon lange gesonnen,
Denn das Leben ist kurz, und einmal will ich doch würfeln! –
Sie erschrickt, doch bald zerschmilzt in freudigem Lächeln
Ihre Angst, denn er zieht zu ihrem höchsten Erstaunen
Einen goldenen Ring hervor – er ist in den Handschuh
Eingewickelt, den sie vermißt und den er entwandte,
Um ihr Maß zu haben – und reicht ihr das funkelnde Kleinod.
Nimm ihn an von mir – so spricht er – und trag' ihn zu Ehren,
Gottes, des Vaters, des Sohnes, sowie des Heiligen Geistes
In Geduld drei Jahre, du wirst nicht darüber ergrauen,
Und das Glück hat Zeit, mir einen Finger zu reichen!
In Geduld drei Jahre! – versetzt sie – und das noch zu Ehren
Gottes, des Vaters, des Sohnes, sowie des Heiligen Geistes?
Nein, in Liebe und Treue das ganze Leben und keinem
Mehr zurück Ehren, als dir, du Bravster unter den Braven!
Kind, ich nehm' es nicht an – entgegnet er ernst – denn es würde
Mir das Gewissen belasten, du bist nicht länger gebunden,
Wenn die Frist verlief, auch ist sie völlig genügend,
Und wenn ich dich nicht löse, so magst du selber dich lösen!
Aber – ruft sie – was können so wenige Jahre dir bringen,
Wenn du das Heil nicht von Alt'na erwartest oder von Wandsbeck,
Und du bist wohl der letzte, dein Haus aufs Lotto zu bauen!
Darauf schwöre nur nicht – versetzt er – du würdest dich täuschen,
Denn ich rechne aufs Lotto, doch setz' ich nicht Heller und Groschen,
Nein, ich setze mich selbst. Ich geh' im Frühling zu Schiffe.
Schlage nicht gleich die Hände zusammen und halte die Schürze
Vor die Augen! Ich hab' es lange bedacht und erwogen,
Gestern kam's zum Entschluß! Die Welt ist anders geworden,
Als mein Vater sie kannte, und seine goldenen Regeln
Passen nicht mehr hinein! Wer bliebe nicht gerne im Lande
Und ernährte sich redlich! Ich sehne mich nicht nach dem Weltteil,
Wo man Löwen und Affen und Papageien umsonst sieht,
Nein, ich will das Pläsier mit Freuden noch länger bezahlen,
Wenn wir über den Berg nach Altona gehn zur Erholung!
Aber, wer kann, was er möchte! Wofür mein Vater das Häuschen
Kaufte, miet' ich mir kaum, die Stube, und was für den Ochsen
Einst der Schlachter gab, das gibt für die Haut jetzt der Gerber!
Sprich, wo wäre da Hoffnung! Es sind der Menschen zu viele
Über die Erde versät, und statt, wie einst, sich zu helfen,
Drängen sie sich und stoßen und suchen sich neidisch die Bissen
Aus den Händen zu reißen. Drum sind auch die schrecklichen Tiere
Losgelassen, von denen die Offenbarung Johannis
Prophezeite, sie sollen den Haufen lichten und sichten.
Bonaparte voran als Tod mit der blinkenden Sense,
Jetzt die neue Pest, die Cholera, wie sie sie heißen,
Und die Hungersnot wird folgen, sie guckt um die Ecke.
Fault nicht schon die Kartoffel? So sagte der Alte aus Bremen,
Den sie den Mystikus nennen, und der uns Knechten und Mägden
Seine Gesichte verkündigt, und wahrlich: er hat nicht gefaselt!
Höre den Orgeldreher, wer will! Doch sieh wie dein Kessel
Siedet! Auch haben die Pferde in meinem Stall wohl gefressen,
Und je eher daran, je eher davon. Bis zum Abend
Bin ich morgen zurück und bringe Wilhelm das Seine,
Denn du würdest den Gang, geschweige den Keller nicht finden,
Dürftest dich auch nicht hineinbegeben, er wimmelt von Schiffern
Und von allerlei Volk, und was sie da suchen, das weißt du.
Heute ist er versehn! – Er reicht ihr die Hand hin zum Abschied,
Aber sie hält ihn fest, sie schaut ihm ins Auge und schüttelt
Kindlich den lockigen Kopf, im Anfang leise und schüchtern,
Dann geschwind und geschwinder, und da er noch immer nicht redet,
Zieht sie den Hochgewachsnen zu sich hernieder und bietet
Ihm, wie zum Danke, den Mund. Er aber weigert sich lächelnd,
Diesen Kuß zu nehmen und spricht: Das wär' ein Gelöbnis,
Hier zu bleiben, und dies vermag ich dir nicht mehr zu geben,
Denn habe den Dienst schon aufgesagt, und ich gehe
Mit den Gefährten, dem Schmied und dem Tischler, die lange schon drängten,
Wenn die Störche kommen, damit wir endlich erfahren,
Welche Reise sie machen. Das wenige, was ich ersparte,
Reicht schon aus für das Schiff, und warum gingen nur wir nicht,
Unser Glück zu versuchen! Zu Tausenden ziehn sie hinüber,
Um nach Gold zu graben im kalifornischen Boden!
Wäre der Himmel geöffnet und würde am Tore geläutet,
Wie des Abends bei uns zur Zeit der Sperre, es gäbe
Schier kein größres Getümmel, kein ärgeres Rennen und Laufen:
Musikanten verkaufen die Fiedel, Gelehrte die Bibel,
Schuster und Schneider den Pfriem und die Nadel und eilen nach Bremen.
Von dem Bette des Kranken entweicht der gierige Doktor,
Und sein Koch ist voraus, es stoße im Mörser, wer Lust hat,
Advokaten und Schreiber verachten auf einmal die Zunge,
Die sie so lange ernährte, und rechnen auf Arme und Beine,
Der Senator bedenkt sich's, ob er denn wirklich zu dick ist,
Und der Prediger kaum hält's aus bei seiner Gemeinde.
Sollte der Ärmste da fehlen? Ich dächte doch, diesem vor allen
Wäre der Segen beschert, nur muß er sich freilich auch rühren,
Denn Sankt Nikolaus schenkt zwar die Kuh, doch nicht auch den Halfter.
Darum weine mir nicht! Ich bin ja nicht, wie die andern,
Unersättlich, und werfe das Brot, das ich habe, zu Boden,
Um nach dem Kuchen zu schnappen, ich will ja nicht mehr, als ich brauche,
Um dich mit gutem Gewissen zur Kirche führen zu können,
Und du bist es wohl wert, daß mir dies wenige werde.
Hätt' ich den Dampfer auch schon bestiegen, und würde ihn willig
Wieder verlassen, wenn hier noch ein mäßiges Glück sich mir zeigte,
Aber ebenso sicher vollbring' ich auch, was ich beschlossen,
Wenn kein Wunder geschieht und an die Heimat mich fesselt.
Knarrt nicht die Treppe? Jawohl! Man kommt! So trockne die Augen,
Daß sie nicht glauben, wir zankten! Da rollt schon der Wagen des Nachbars!
Nun, ich hol' ihn noch ein, denn meine Pferde sind besser.
Lebe denn wohl! Sie bringen in Holstein den Pudding nicht fertig,
Wenn ich nicht mache, es fehlt an frischen Rosinen und Mandeln,
Und hier brauchen wir Schinken und wohlgeräucherte Zungen!
Heller Tag! Wie die Zeit verstrichen ist! Glücklicherweise
Hat mein Alter die Gicht! Da schläft er hinein in den Morgen,
Weil sie ihn zwickt bei der Nacht fürs fleißige Schnapsen von früher,
Sonst erging' es mir übel! Es hat ihn nicht wenig verdrossen,
Daß ich nicht bleiben will und, selbst nicht offen und ehrlich,
Glaubt er, ich will den Dienst nur wechseln und nicht mit dem Spaten
Wirklich die Zügel vertauschen! Ei nun, er wird es erfahren!
Keinen Kuß? Doch die Hand! Auch die nicht? Du sollst mich noch loben! –
Damit eilt er hinweg. Sie setzt sich, um Kaffee zu mahlen,
Doch ihr rinnen die Tränen von neuem, es kann sie nicht trösten,
Daß die Raben noch krächzen und nicht die Störche schon klappern,
Denn sie weiß: Was er sagt, das tut er! Sie kennt ihn zu lange. |