Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Rom

3. Oktober 1844 bis 16. Juni 1845

Das wogende Pariser Leben hatte Hebbel oft über das schwere Gefühl seiner ungeklärten Lebensverhältnisse hinweggetragen; in Italien erlangte dieses solche Macht über ihn, daß er dort seine in vieler Hinsicht trübste Zeit verlebte. Seine Geldmittel wurden immer schmaler, und weil er daher in seiner Lebensweise nicht dem wechselnden römischen Klima Rechnung tragen konnte, kränkelte er anfangs, infolge seines sonnenlosen Zimmers, an einem gastrischen Fieber leidend. Rom hatte für ihn nicht das Hinreißende wie Paris. Weder Hebbels Natur, noch sein bisheriger Bildungsgang drängte ihn dazu, sich aus den Ruinen ein längst vergangenes Leben zu rekonstruieren oder in den Werken der bildenden Kunst aufzugehen, wenn er durch diese auch mächtige und bleibende Eindrücke erhielt. Auch war sein Inneres zu sehr von düsteren Sorgen um die Zukunft erfüllt und namentlich von quälenden Gedanken über sich und Elise, die, von ihrer Leidenschaft getrieben, mit wachsender Heftigkeit auf eine endliche Vereinigung drängte. Gewiß war ihre aufopferungsvolle Liebe, seine Verehrung für sie, ihr herzliches Zusammenhalten, die beiden Kinder, dies alles auch für ihn ein festes Band geworden, das ihm oft unzerstörbar erschienen war, und das er doch schließlich zerreißen mußte, wenn es ihm nicht zur drückenden und hemmenden Fessel werden sollte. Der Eigensinn, mit dem die unglückliche, so tief und heftig empfindende Frau um ihr Glück kämpfte, und die Hebbel peinigende Notwendigkeit, das, was er ihr von jeher unumwunden zu verstehen gegeben hatte, stets von neuem wiederholen zu müssen, ließen ihn jetzt in seinen Briefen oft einen gereizten Ton anschlagen.

Was für Hebbel in solcher Lage eine Wohltat sein mußte: anregender Verkehr und Freunde, das fand er auch. Er besuchte Künstlerfeste, lernte Peter Cornelius kennen, wurde von Deutschen, die ihn bewunderten, aufgesucht, und gewann Freunde in den Malern Karl Rahl und Louis Gurlitt, die ihn in seinem Verständnis für die bildenden Künste förderten. Sein Landsmann Gurlitt schloß sich ihm innig an und bewog ihn, eine gesundere Wohnung zu mieten, in seiner Sorge für den Dichter unterstützt von Robert Kolbenheier. Dieser, ein Österreicher, schildert den ersten Eindruck, den Hebbel auf ihn machte, so: »Sein Schädel fiel nicht durch Größe, wohl aber durch ungewöhnlich schöne Form und feine Modellierung auf. Der obere Rand seiner Augenhöhlen bildete eine seltsam geschwungene Linie, die durch ihre Form an die Büste Homers erinnerte. Die tiefblauen Augensterne waren von wunderbar schillerndem Glanze, der Blick wechselnd, aber überwiegend etwas träumerisch; die Nase fein, aber nicht hoch, die Nasenflügel im Gespräch fortwährend vibrierend; die wohlgeformten, etwas aufgeworfenen Lippen verrieten durch die Art ihres Schlusses Beredsamkeit und Geschmack. Die ganze mehr als mittelhohe, feinknochige Gestalt schien wie die Ufer eines Bergstromes fortwährend leise zu zittern und ward oft beim Aufblitzen eines Gedankens oder dem Hervorquellen eines Gefühls von leichten Zuckungen durchflogen ... Wahrlich, die Menge Gehirnsubstanz, die Hebbel während einer Stunde Gespräches verbrauchte, reicht hin, den Bedarf, welchen davon ein gewöhnlicher Mensch für seine geistige Gesamtheit während vieler Tage notwendig hat, reichlich zu decken.«

14.-21. Oktober 1844

An Elise

Die ganze Reise habe ich in einer Kleinkinderstimmung gemacht. Es war mir nämlich zumute, als ob ich ein Märchen erlebte. Zweiundzwanzig Jahre in Dithmarschen auf einem Fleck und nun doch auf dem Weg nach Rom! Das summte mir beständig im Kopf. So flog ich durch Lyon und Marseille hindurch, so kam ich in Rom an. Mein Reisejournal wirst Du später lesen, ich sehe jetzt, wie gut es ist, daß ich es geführt habe, denn ich wüßte mir von all den Gedankenblasen und Phantasiegebilden, die zu Tausenden in mir aufstiegen, jetzt nur noch wenige zurückzurufen und freue mich deshalb, daß das Beste auf dem Papier festgehalten steht. Dennoch nimmt meine Abneigung gegen die Mosaikarbeit des Schreibens immer zu, statt ab. Aus hundert und tausend vereinzelten Zügen, die eben ihrer Abgerissenheit wegen leblos sind, das Bild wieder zusammensetzen wollen, ist ein vergebliches Unternehmen. Ganz anders ist es mit inneren Vorgängen. Die erlebt man erst zu Ende, wenn man sie darstellt, wir erobern uns selbst nur durch das Wort. Auch wird mir das Sprechen immer mehr Bedürfnis, je mehr das Schreiben aufhört, ein solches zu sein. Ich kann sogar sagen, daß mich nichts so sehr zur Selbsterkenntnis führt, als das lebendige, sich aus den Tiefen des Geistes herausgebärende Wort. Wenn all die innern Ströme rauschen und brausen, wenn sie sich gegenseitig verschlucken und ineinanderwühlen, da hab ich ein Bild meiner selbst, wie ich im Augenblick bin, und wie überhaupt, denn mir fehlt keineswegs die Kraft, einen solchen Wasserfall, wie von ganz untenherauf, zu betrachten.

In Rom selbst verließ mich jene Stimmung. Ich habe jetzt die Erfahrung gemacht, daß der Mensch zu einem Sprung nie die Kraft hat, daß er ganz, wie die Blume oder die anderen Gewächse ist, die, wenn sie in einen frischen Boden gepflanzt werden, immer einen Tag lang die Blätter hängen lassen. Aber klüger war ich, wie in Paris, wo ich den dümmsten Eindruck für einen dauernden hielt und ihn in einem Brief an Dich einpöckelte und nach Deutschland schickte. Das unterließ ich hier. Übrigens ist der Unterschied zwischen Paris und Rom auch in der Tat sehr groß. Paris ist ein Ozean, Rom das Bett eines Ozeans. In Paris kann man mitschwimmen, in Rom muß man untersuchen, wie andere vor Jahrtausenden geschwommen haben. Für mich ist nun aber das Leben die Hauptsache und selbst meine Träume werden durch das Leben, durch das wirkliche, gegenwärtige, angeregt. Zu der bildenden Kunst habe ich kein so inniges Verhältnis, wie zum Beispiel Goethe. Nur ihre höchsten Meisterstücke wirken gewaltig auf mich, und auch die nicht immer. Was jetzt außerordentlich gut für mich wäre, weiß ich sehr wohl. Geistreiche und vornehme Gesellschaft. Doch dazu ist hier nicht zu gelangen, wenigstens nicht im Anfang. Da nun die gewaltige Springflut, die mich in Paris über das Gefühl einer beklemmenden Einsamkeit so weit erhob, wegfiel und kein entsprechender Ersatz eintrat, so brauche ich mich nicht zu schämen, daß ich mich in Rom nicht augenblicklich, wie im Himmel, fühlte. Seltsam genug trat mir auch der Geist der Geschichte nur langsam, erst nach und nach, nah. Das wüßte ich mir nicht zu erklären, in Paris war das Umgekehrte der Fall. Bei meiner Ankunft war ich freilich infolge der neunstündigen Fahrt im Interieur der Diligence vor Kopfweh dem Sterben nah ...

16. Dez. 1844.

... Sonst ist meine Situation begreiflicherweise eine sehr peinliche. In einem fremden Lande, hunderte von Meilen von Deutschland entfernt, nur noch notdürftig für drei Monate versehen, und für meine nächste Zukunft auf eine Hoffnung angewiesen, statt auf einen Bankier; das ist die Lage, die es wohl unmöglich macht, den Moment zu genießen, selbst, wenn etwas daran zu genießen wäre, worin Du Dich aber irrst, denn ohne Geld führst Du in Rom ein ebenso erbärmliches Leben, wie in Wandsbeck ...

In einem Punkt hast Du Dich verändert. Du warst umsichtig, Du suchtest Dich nicht dadurch aus einer kleinen Verlegenheit zu ziehen, daß Du Dich oder mich in eine größere stürztest. Welch eine Situation finde ich in Hamburg vor. Ich bin verheiratet, mein Name steht auf Assekuranzscheinen und in Mietkontrakten, Mägde, zwischen dir und Jul. Campe hin und wieder laufend, haben von Frau Doktorin gegrüßt, ja – sogar nach Kopenhagen, bei Dankwart Dänischer Konferenzrat, der Hebbel in Kopenhagen freundlich empfangen hatte. und, wenn er Schritte tut, woran freilich zu verzweifeln ist, beim König hast Du Dich als Verlobte präsentiert. Du mußtest, wie Du behauptest. Warum mußtest Du? Hundertmal in ähnlichen Fällen warst Du nur meine Cousine, hierin habe ich Dich seit meiner Abreise nicht mehr wiedererkannt. Auf das Letzte mit Dankwart war ich freilich desungeachtet nicht gefaßt. Kann ich nach Hamburg zurückkehren, ohne auf der Stelle zu heiraten, wenn ich mich und Dich nicht den heillosesten Spöttereien aussetzen will? Hältst Du dafür, daß wir ohne Geld und ohne Aussichten heiraten können? Hierüber teile mir einmal Deine Ansichten mit, berücksichtige dabei aber alle und jede Punkte, die je zwischen uns zur Sprache gekommen sind, und tu den Rat eines Mannes, wie Oehlenschläger, nicht gar zu leicht ab ...

Dieser Brief kann Dich nicht erfreuen, aber Du wirst erkennen, daß ich ihn nur schreibe, weil die Notwendigkeit ihn diktiert. Zeig mir die Stelle, die »hypochondrisch« ist, sie wird sich nicht finden lassen. Ich habe das Leben lieb, es genügt mir vollkommen ohne den himmlischen Anhang, aber ich sehe nicht ein, wie ich es fortführen soll.

... Morgen (ich habe mich oben im Datum geirrt) ist Weihnachtsabend. Bald folgt Neujahr. Ich wünsche Dir und mir alles, was ich nicht hoffe. Das ist sehr viel. Etwas aber auch, was ich allerdings hoffe, weil es doch größtenteils von uns selbst abhängt: ein fröhliches und, wo möglich, gesundes Wiedersehen!

Nimm diesen Brief nicht mit Tränen auf, sondern mit Vernunft. Wenn Du mir etwas Tröstliches darauf sagen kannst, so wird es mir willkommen sein. Nur laß Gott aus dem Spiel. Du wirst dies nicht im atheistischen Sinne verstehen.

... Grüße Schütz und Deine Eltern und sei überzeugt, daß Du mir, wie auch meine Stimmungen und Verhältnisse sein mögen, ewig teuer bleiben wirst, obgleich auf andere Weise, als Weiber den Männern gewöhnlich teuer sind. Küsse das Kind.

Tagebuch 31. Dez. 1844.

... In Rom habe ich seit meiner Ankunft nur Krankheiten abzuwarten gehabt; acht Tage nach meiner Ankunft befiel mich die erste, jetzt leide ich an den Drüsen. Der fröhlichste Tag für mich in Rom war der Weihnachtsabend, den ich bei meinen Landsleuten, den Dänen und Holsteinern, zubrachte; ein himmlisches Wetter, wovon man im Norden keine Vorstellung hat, ein Himmel über mir, als ich die Spanische Treppe hinanstieg, wie eine blaue Kristallglocke, in den Gärten blühende Rosen. Wir genossen, mit Weinlaub bekränzt, ein einfaches Mahl, Toaste wurden ausgebracht, sogar einer auf mich, und alles war glücklich. Ich hätte weinen können, denn ich empfand es einmal wieder recht lebhaft, daß ich gar nichts Besonderes für mich will, sondern daß all mein Mißmut daher rührt, mich mein ganzes Leben hindurch von jedem Kreis, worin man bescheiden das Leben genießt, wie einen Hund, ausgesperrt zu sehen, denn das war immer der Fall mit mir, von Jugend auf. Bekanntschaften: Gurlitt, Landschaftsmaler, trefflicher Künstler und Mensch, der sich meiner in kranken und gesunden Tagen wacker angenommen und mir auch zu jener Weihnachtsfeier den Zutritt verschafft hat. Hier ist der Inhalt des Jahres. Was wird das neue mir bringen? Eine Frau zu dem Kinde, das schon wieder da ist? Kann ich, muß ich heiraten? Kann ich, muß ich einen Schritt tun, der mich auf jeden Fall unglücklich und Dich! nicht glücklich machen wird? O meine Lebensverhältnisse! Wie doch immer das, was mich dem einen Abgrund entriß, mich dem anderen wieder nahführte! Was ist darüber zu sagen! Elise ist das beste Weib der Erde, das edelste Herz, die reinste Seele, aber sie liebt, was sie nicht wieder lieben kann, die Liebe will besitzen, und wer nicht liebt, kann sich nicht hingeben, sondern sich höchstens opfern!

30. Jan. 1845.

An Elise

... Bald nach meiner Genesung führte mich Gurlitt in das Atelier von Riedel, einem der ersten Künstler, bei dem ich ein herrliches Bild: die Mutter der Sakontala! sah. Kaum waren wir eingetreten, als zwei römische Damen erschienen, Mutter und Tochter. Wir nahmen natürlich den Hut ab, die Mutter forderte uns in französischer Sprache auf, uns wieder zu bedecken, ich erwiderte etwas Angemessenes. Wir gingen bald, unterwegs sagte Gurlitt mir: dies Mädchen, welches Sie eben gesehen haben, ist das Wunder von Rom, sie spricht alle lebendigen Sprachen, sogar Deutsch und sehr gut, sie ist Virtuosin auf dem Flügel, genug, sie ist eine wahre Corinna! »Sie ist jedenfalls eins der schönsten Mädchen – versetzte ich – und das bedeutet bei mir noch viel mehr, denn ob sie mir in einer oder in zehn Sprachen sagen kann, daß ich ihr nicht gefalle, gilt mir gleich, aber von ihrer Schönheit hab ich jetzt schon meinen Teil, denn ich habe sie gesehen.« Nach einigen Tagen begegnete ich ihr mit ihrer Mutter auf dem Monte Pincio, wo man nachmittags spazieren geht. Sie erwies mir große Aufmerksamkeit, woraus ich schloß, daß Riedel, der meine Dramen kennt und schätzt, mich hinter meinem Rücken weiß gemacht, das heißt mich als grandissimo, wo nicht als » il più grande poeta di Germania« bei ihr aufgeführt haben möge. Seitdem sah ich sie öfter und immer war ich Gegenstand ihrer scharfen Beobachtung, so daß sie meinen Gruß nur zu erwarten schien. Heute nachmittag arbeitete ich mich durch den Korso, das Gedränge war furchtbar. Eine Dirne aus dem gemeinen Volke packte mich beim Bart und fragte mich: perche non siete mascerada? Warum sind Sie nicht maskiert? Dies ist ein immer wiederkehrender Spaß, der Erfindungswitz ist auch hier selten, man pökelt die guten Einfälle des Großvaters ein. Ich erwiderte: ma, tu aveva bisogna la mascera mia! Du hattest ja meine Maske nötig! und die Lacher waren auf meiner Seite. Gleich darauf wurde ich aus meinem Wagen mit Blumensträußen beworfen, und solange, bis ich einen Strauß fing. Ich sah auf und es war jenes Mädchen. Sie trug ein samtnes Leibchen und ein Barett, was ihr bei ihren dunklen, über die Stirn zurückgestrichenen Locken und ihrer außerordentlich schön geformten Stirn köstlich stand, ihre Erscheinung schwebte, wie in der Mitte zwischen Jüngling und Jungfrau, und so teilte sie die Vorzüge jedes Geschlechts. Die Mädchen werfen nun freilich jedermann mit Blumen, aber den Unbekannten doch nur dann, wenn er den Angriff beginnt; das Gegenteil deutet auf vertraute Bekanntschaft, und in meinem Fall, noch so bescheiden ausgelegt, doch gewiß darauf, daß es ihr nicht unangenehm sein würde, mich in ihrem Hause, wo so viele Fremde kommen, eingeführt zu sehen. Ich sah sie mit meinen Barborossaaugen (ich trage hier nämlich einen Bart, wie der alte Kaiser, und schneide kein Haar ab) an und bemerkte bei dieser Gelegenheit, daß diese die Eigenschaft besitzen, weiße Rosen in rote zu verwandeln, denn sie errötete über und über und sah auf die Seite. Darf ich die Narrheit eingestehen, daß es mich freute, ja, daß ich den Korso augenblicklich verließ, um nicht durch die eine oder die andere unangenehme Person aus der Stimmung gerissen zu werden? Schändlicherweise hatte ich keinen einzigen Bonbon bei mir (sie fallen ja nicht vom Himmel, wie in Deutschland der Hagel) und konnte ihr also nur durch eine Verbeugung danken. – Dies alles schreibe ich Dir in Gurlitts Zimmer, bei dem ich seit einigen Tagen wohne; er ließ nicht ab, in mich zu dringen, ein anderes, als das bisherige, zu nehmen, ich habe ein neben dem seinigen liegendes, mit Sonne und sehr guter Luft gemietet, und das ist noch nicht frei, nun logiere ich denn bei ihm. Wenn ich im Bett liege, habe ich die Aussicht auf den Quirinal, wo der Papst residiert, und wenn ich aus dem Fenster sehe, liegt halb Rom unter mir ...

An eine Römerin

Ich hab als Kind gespielt im fernen Norden,
dann bin ich weit und breit herumgekommen
und habe schon das dritte Meer durchschwommen,
nun ruh ich aus an seinen Blütenborden.

Dir ist ein schlichtes Mädchenlos geworden,
wie eine Blume bist du still erglommen,
dann hat, wie die der Strauß, dich aufgenommen
als frischen Schmuck der fromme Jungfraunorden.

Nun gehn wir beide Hand in Hand zusammen,
Wie Gärtnerin und Schiffer traulich wallen,
im kühlen Schatten dichtverschlungner Äste;

Ich spreche dir von Sturm und Meeresflammen
und schmücke dich mit Perlen und Korallen,
du pflückst mir still der Goldorangen beste.

31. Jan. 1845.

An Elise

... Weihnachtsabend war mein erster fröhlicher Tag seit der Krankheit und einer der fröhlichsten meiner ganzen Reise. Gurlitt hatte mich eingeladen, an dem Fest der Dänen als sein Gast teilzunehmen; ich sagte zu. Mittags ging ich aus. Da sah ich zum erstenmal Italien. Welch ein Tag! Als ich die Spanische Treppe, die auf den monte pincio führt, hinanstieg, und zum Himmel aufschaute, mußte ich unwillkürlich ausrufen: Nein, so habe ich dich nie gesehen! Unser Blau verliert sich entweder ins Schwarze, oder ins Graue, hier ist es rein und so, daß das Auge nicht müde wird, sich darin zu baden. Ich setzte mich auf dem Pincio, da ich zum Gehen zu matt war, auf eine steinerne Bank, mit dem Rücken gegen eine Felsenwand gelehnt, und saß dort vier Stunden, vor mir die Stadt, auf allen Seiten von den freilich fernen, aber sich doch scheinbar zum Kreis zusammenschließenden Bergen umkränzt, dicht unter mir sanft ansteigende Gärten mit zahllosen Beeten voll blühender Rosen und mit Orangen- und Zitronenbäumen, und über mir eine Sonne, nicht unangenehm heiß, wie bei uns im Sommer, aber noch weniger frostig, wie im Frühling. Ich sog die Wärme ein, wie neuen Odem, den die Natur mir zublies, und kam wirklich aus einer gelinden Entzückung nicht heraus. Abends ging ich dann mit Gurlitt zu meinen Landsleuten. Anfangs wurden kleine Geschenke verlost, ich gewann eine kleine silberne Dose. Darauf speisten wir in einem großen Saal, an dessen Wänden, mit schwarzer Kreide umrissen, sich die Silhouetten all der Künstler, die sich seit einer Reihe von Jahren an diesem Abend darin gefreut hatten, befanden; ich saß der von Thorwaldsen gegenüber; wir alle waren mit Weinlaub bekränzt und eine Rose lag neben jedem Teller. Die Fröhlichkeit war allgemein und bei mir mit tiefer Rührung gemischt; Toaste wurden ausgebracht, sogar einer auf mich ...

Um 12 Uhr ging ich bei dem herrlichsten Mondschein, meinen Kranz auf dem Kopf behaltend, zu Hause ...

... Den Neujahrsabend brachte ich ebenfalls sehr vergnügt bei einer dänischen Familie, Stiftsamtmann Tychsen aus Norwegen, zu; dort komme ich öfter, Gurlitt hat mich eingeführt, wie er mir denn überhaupt zahllose Freundschaftsdienste erweist und dafür denn auch natürlich durch ein mürrisches, bissiges Wesen von mir den gewöhnlichen Lohn empfängt. Gott, warum mußte mein ganzes Leben eine solche Aufeinanderfolge unreiner und verworrener Lagen sein, daß das Resultat ein Mensch ist, in dem sich nach und nach alles auf den Kopf stellt! Gurlitt ist aus Altona und ein so trefflicher Künstler, als edler Mensch ...

... Könnt ich hier doch bleiben! Es ist mein tägliches Gebet; ich fürchte, ich fürchte, ich tauge nicht mehr für Deutschland, für Hamburg sicher nicht. Und es gehört so wenig dazu! Felicissima notte!

6. Febr. 1845.

... Ich kämpfe jetzt einen schwereren Kampf, als ich noch je gekämpft habe; meine Geisteskräfte verlassen mich, in meinem Innern ist es öde und die Welt, die die Lücke ausfüllen sollte, die vielleicht, ja gewiß, neues Leben in mir entzünden könnte, ist völlig düster um mich her. Was bleibt mir? Danach miß die Stimmung, in die der Gedanke mich versetzt, daß ich jetzt nach Deutschland reisen und, nachdem ich um Kindheit, Jugend und Jünglingszeit betrogen bin, als Mann den Vertrag mit dem Elend feierlichst abschließen und besiegeln soll. Du schreibst mir, mein letzter Brief erinnere an die aus München. Das mag sein. Schon damals erschreckte mich in innerster Seele dies Dein Einbohren in mich, was ich bei der höchsten Freundschaft für Dich, bei den wärmsten Empfindungen nicht erwidern konnte, denn ich ahnte, was daraus werden, zu welchen Verhältnissen es führen würde. Der Mensch kann über alles verfügen, über Blut und Leben, über jeden Teil seiner Person, nur nicht über seine Person selbst; über diese verfügen höhere Mächte. Nun sind jene Verhältnisse da, gleichgültig, ob erstrebt oder durch den natürlichen Lauf der Dinge herbeigeführt, genug, sie sind da, sie sind seit lange da und aller Augen schauen auf mich und erwarten den letzten Schritt. Glaube nicht, daß sich hierunter irgend ein versteckter Tadel gegen Dich verbirgt; wenn der Mensch auf der einen Seite nicht über seine Person verfügen kann, so kann er auf der anderen Seite nicht umhin, nach der Bedingung seiner Existenz zu streben und diese Bedingung ist für das Weib der Besitz des Mannes, den sie liebt. Das sind gleich ewige Notwendigkeiten, die über den Willen des Menschen hinausgehen, wie Atemholen und Blutumlauf; der Edelste braucht deshalb nicht zu erschrecken, wenn er in dieser Beziehung mit dem Gemeinsten denselben Weg wandelt, so wenig wir davor zu schaudern brauchen, daß unser Blut nicht anders umläuft, als das des Räubers. Nur aber hat es, diese Bemerkung nimm mir nicht übel, durchaus keinen Sinn, wenn Du erst auf die Heirat dringst und dann wieder sagst, Du wollest nichts für Dich. Das Weib hat alles, wenn sie Mann und Kind hat; darüber hinaus hat nie ein Weib, von der hier die Rede sein kann, etwas verlangt, und wenn sie den Mann nachher zu pflegen und zu erfreuen sucht, so ist das vor dem sittlichen Gesetz durchaus nicht mehr, als wenn sie als Mädchen den Blumenstrauß, der ihr gefiel, mit Wasser begoß; es geschieht, damit die Blumen ihr um so länger duften. Die Liebe ist durchaus egoistisch, und dies macht sich nur darum nicht fühlbar, weil hier wenigstens ein Egoismus mit dem anderen zusammentrifft, denn, wenn der eine, wie der andere, auf den Besitz entbrannt ist, kann von Fessel keine Rede sein. Ich weiß nicht, ob Du diese Gedankenreihen verstehst, neu können sie Dir nicht sein, denn ich habe sie oft gegen Dich ausgesprochen, jedenfalls fahre ich nicht fort, sie weiterzuentwickeln, denn obgleich es Lichter sind, die leuchten, nicht Kohlen, die brennen sollen, so weiß ich doch leider nur zu gut, daß Dein Gefühl immer früher ergriffen, als Dein Verstand in Tätigkeit versetzt wird, und daß Du Dich zu Anfang schmerzlichen Eindrücken hingibst, von denen Du Dich höchstens später überzeugst, daß es irrige waren. Alle diese Innerlichkeiten, obwohl sie an sich noch gewichtiger sind, als die Äußerlichkeiten, seien abgetan; wir würden ein ganz erträgliches Leben führen können, wenn wir hätten, was dazu gehört, und ich würde keinen Augenblick schwanken, wenn dies der Fall wäre. Aber ist dies der Fall? Wird es, wenn kein Wunder geschieht, je der Fall sein? Als Schriftsteller verdiene ich bis jetzt wenig und, da die Produktion stockt, ist von jetzt an auf nichts mehr zu rechnen. Redakteur? Nimmermehr. Einzige Folge: schimpflicher Zurücktritt oder Tod am Nervenfieber. Professor? Lies, was ich Dir darüber aus Paris geschrieben habe. Was noch? Arbeitsmann? Die körperlichen Kräfte fehlen mir; sonst lieber als Telegraphenredakteur. Bleibt noch irgend etwas? Liebe Elise, Du schreibst, ich sähe selbst da Gespenster, wo Lichtgestalten zu sehen wären. Ach, meine Augen sind so schrecklich scharf, ich schaue durch die Erde hindurch und sehe die Toten, wie sie verwesen; nun sehe ich die Blumen, die sie bedecken, nicht mehr! Möglich ist es, daß ich alle diese Dinge in einem zu trüben Licht erblicke, aber das ändert nichts an der Sache, denn so viel ist gewiß: ich kann nichts von der Gegenwart genießen, wenn ich der Zukunft nicht sicher bin. Das kommt daher, das Elend hat an meiner Wiege gestanden, es hat mir in zartester Kindheit ins Gesicht geschaut und meine Seele versteinert. Was Not ist, hast Du noch nicht erfahren, und kannst es Dir darum auch nicht denken. Du meinst, so schlimm könne es gar nicht werden, mir am Weihnachtsabend mein Lieblingsgericht auf den Tisch zu schaffen? Teuerste Seele, es kann so schlimm werden, daß, wenn Du Deine Adern öffnen und für ein Stück trocknes Brot Dein Blut hingeben wolltest, man Dir antwortete: wärs Ochsenblut, so ließe sichs in der Zuckersiederei gebrauchen, aber Menschenblut? Nein, Madam, gehen Sie! Dies stände alles gut in einer Tragödie, wie schrecklich, daß es ebensogut in unser Leben paßt. Du schreibst, Deine Mutter würde das Geld zur Trauung hergeben, wenn wir es nicht hätten. Etwas Furchtbareres ist noch nicht aus Deiner Feder geflossen. Nicht einmal das Geld zur Trauung und eine Ehe anfangen!!! Und dann in Hamburg leben unter so vielen Feinden und mir gehässigen Personen, von einer Stufe des Elends zur anderen unter Spott und Hohngelächter herabsinken, sterben (mein Geist liegt schon auf dem Sterbebett, und bloß, weil ich mir diese Dinge lebhaft gedacht habe) und dafür mit Nadeln gezwickt zu werden – nein, ich glaube doch, das heißt die eheliche Taufe meines Sohnes zu teuer bezahlen ...

... Dieser mein Brief wird auf Dich einen Eindruck machen, wie ich selbst: drei Seiten, wie aus dem Paradies und die vierte, wie aus der innersten Hölle. Ach, die Scherze im Karneval kommen mir jetzt schon vor, als wären sie vor der Sündflut passiert; möchte es mit diesen Schmerzen einst auch so gehen. Nur eine Existenz, und alles würde wieder kommen; ein Brief, wie dieser, beweist allein schon hinreichend, daß das Leben in mir noch nicht erstorben ist. Aber lange mache ichs nicht mehr, wenns so fortgeht ...

25. Febr. 1845.

An Hermann Hettner in Rom

Hebbel und Hettner waren in Italien durch einen Dritten entzweit worden.

... Ich habe seit Jahren das Prinzip, keine halbe Verhältnisse in meinem Leben zu dulden. Bittre Erfahrungen, die mein Ich zu sehr ins Gedränge brachten, als daß ich mir die Kraft zutrauen dürfte, sie zum zweitenmal zu ertragen, haben mir dies Prinzip aufgedrungen. So wie es mir vorkommt, daß ein Verhältnis nicht mehr aus dem Vollen geht, ziehe ich mich von jedermann zurück. Dies ist kein Egoismus, denn Menschen können nur in ihrer Totalität für einander Bedeutung haben. Ich achte jeden zu sehr, um ihn zu einem Lückenbüßer meines Daseins zu machen, mich selbst aber auch genug, um mich nicht von jemand dazu machen zu lassen. So wie ich mich noch nie in eine Hand, in einen Fuß, in schwarze Haare, oder dergleichen, verliebt habe, sondern immer in ein ganzes Mädchen auf einmal, so interessiert mich auch an einem Menschen nur das ganze Konglomerat, und dessen Zug zu mir, oder gar nichts. Mein Zurückziehen gilt daher immer nur dem Verhältnis einer Person zu mir, nie ihr selbst. Es kann die vollste Achtung, es kann sogar die Liebe dabei bestehen. Der Mensch darf, ja er muß sich die Atmosphäre, in der er atmen soll, selbst abstecken, und daraus, daß die wenigsten dies im rechten Moment tun, daß sie die daraus entspringenden augenblicklichen Verlegenheiten scheuen und sich lieber den größten zukünftigen aussetzen, geht viel Unheil hervor.

Hieraus die Konsequenz für unsern Fall. Sie haben ganz recht in Ihrer Vermutung. Es kam mir vor, als ob Sie Sich von mir entfernten, als ob ein wahlverwandtschaftlicher Prozeß eingetreten sei, darum entfernte ich mich von Ihnen. Ich sah darin, wie sich von selbst versteht, nichts Unnatürliches und noch weniger eine Sünde, ich sah darin nicht einmal, wie Sie nach Ihrem Brief angenommen zu haben scheinen, ein Zeichen, daß Sie Ihre ästhetischen Ansichten modifiziert hätten. Sie verloren nicht das geringste in meinen Augen, ich glaubte nur zu bemerken, daß Ihr geistiges Leben sich nicht mehr so gern, wie sonst, gegen mich ergösse und ich tat, was ich immer zu tun pflege, ich zog mich zurück. Glauben Sie mir, ich freue mich sehr, daß ich mich irrte! Es wird Ihnen nach dieser Auseinandersetzung wohl nichts in meinem Benehmen mehr unklar oder ungerechtfertigt sein. Knüpfen wir denn für die Zukunft wieder unmittelbar an die Abende in der Villa reale In Neapel an!

Tagebuch 20. Febr. 1845.

Ich bin nun so lange in Italien, daß ich schwerlich eine noch ebensolange Zeit werde verweilen können, und dennoch steht in diesem Tagebuch fast nichts über Land und Volk, wie sie mir vorgekommen sind. Dies würde durch mein immerwährendes Unwohlsein, das mich alles nur wie mit Fischaugen betrachten ließ, nur halb gerechtfertigt sein, wenn ich nicht einen genügenderen Grund anzuführen hätte. Ich kann nichts tun, wozu mich nicht die Begeisterung oder, um für das Narrenwort einen bis jetzt annoch unbefleckten Ausdruck zu brauchen, ein volles und bewegtes Herz treibt. Nun ist die bildende Kunst mir das nicht, was sie anderen, was sie zum Beispiel Goethe war; die Momente, wo ich mich mit Gewalt zu ihr hingezogen und mich im Anschauen der Meisterwerke selig fühle, sind sehr selten bei mir, und den Drang, mich über die allmähliche Entwicklung der Schulen aufzuklären und zu dem Ende mit allem und jedem, was im Lauf der unendlichen Zeit gemalt und gemeißelt worden ist, bekannt zu machen, empfinde ich gar nicht; ich kann mich so wenig mit einem unbedeutenden Maler beschäftigen, wie mit einem unbedeutenden Schriftsteller. Ebensowenig hat die antiquarische Seite der Stadt einen Reiz für mich; ich kann mir den Göttertempel aus dem Steinhaufen, der noch von ihm übrig blieb, nicht wieder zusammensetzen, und es ist mir völlig gleichgültig, ob er so hoch war, wie man sagt, oder nicht, da ich ja doch nicht mehr hinaufsteigen und mich umsehen kann. Rom ist nur als Ganzes etwas für mich, und die höchste Poesie, die ich daraus mit wegnehmen werde, ist der Gedanke, dagewesen zu sein. Was aber gewaltig auf mich wirkt und ewig auf mich wirken wird, das ist die göttliche Natur, die dies Grab der Vergangenheit, in dem wir wie Würmer herumkriechen, um uns einen Maßstab für unsere Kleinheit daraus hervorzuscharren, umgibt, vor allem das Blau dieses Himmels an einem schönen Tag! Ich kann nicht zu ihm emporschauen, ohne daß er, um ein Kindergefühl, wie ich es jedesmal habe, auch in einen Kinderausdruck zu kleiden, augenblicklich ein Stück Taft fallen läßt, in das meine Seele sich hüllt und nun seine Farbe trägt.

Tagebuch März 1845.

Schüttle alles ab, was dich in deiner Entwicklung hemmt, und wenns auch ein Mensch wäre, der dich liebt, denn was dich vernichtet, kann keinen anderen fördern.

30. März 1845.

Du willst, liebe Elise, daß ich Dir schnell antworten, und auch, daß ich Dich über den Ausfall meiner Angelegenheit in Kopenhagen benachrichtigen möge. Eins von beiden kann nur geschehen, und da ich wahrscheinlich noch sehr lange warten müßte, wenn ich Dir erst nach Empfang der Resolution auf meine Bittschrift um das Reisestipendium schreiben wollte, so schreibe ich Dir gleich, vielleicht wirst Du es eher erfahren, als ich selbst, ob mein Gesuch gewährt worden ist oder nicht. Das Itzehoer Wochenblatt enthält ja gewöhnlich gleich nach Verteilung der Stipendien eine Liste der Empfänger; fehlt mein Name darauf, so bin ich nicht unterstützt worden. Dann schreibe Du mir, damit ich erfahre, wie es steht, füge aber, ich bitte Dich zum zweitenmal, Deine Berufungen auf den lieben Gott und so weiter, von denen Dein letzter Brief wieder wimmelt, hinzu. Der liebe Gott ist, wie die Luft; wir leben und weben ihn ihr, aber wir können keine Würste und keinen Speck herausschneiden. Dir müßten meine Ideen endlich doch deutlich sein. Ich kann so etwas nicht ohne den peinlichsten Eindruck lesen.

. . . Abends in der Dämmerung hatte ich in der Petrikirche den ersten ergreifenden Moment; der Papst ging, nicht mehr in pontificalibus, sondern aller seiner hohenpriesterlichen Pracht entkleidet, zum Grabe der Apostel, um zu beten und der Anblick des alten Mannes mit seinen schneeweißen Haaren, die man unter der Tiara nicht sieht, ergriff mich, wie mich alles Menschliche ergreift, während heilige Fratzen mich kalt lassen. Damit war es denn vorbei, denn Sonnabend stand der Herr Christus mit fürchterlichem Lärm und Spektakel von den Toten auf, und zwar schon vor 12 Uhr, damit der Römer grasso (fett) zu Mittag essen dürfe; Kanonen wurden gelöst, aus allen Fenstern wurde geschossen und die Knaben schrien in den Gassen. Ich war auch herzlich froh, das Herumlaufen in den Kirchen war mir schon zum Überdruß geworden und doch glaubte ich nicht mit gutem Gewissen zu Hause bleiben zu dürfen. Sonntag erteilte der Papst von einem Balkon der Petrikirche herunter dem versammelten Volk die Benediktion; große Massen, die zu einem einzigen Zweck versammelt sind, haben immer etwas Imposantes, und so machte denn auch dieser Akt Eindruck, übrigens bemerkte ich einiges Unkraut unter dem Weizen der Kirche, ich sah einen Türken, an Juden war kein Mangel und an Heiden fehlte es auch nicht. Abends wurde die Petrikirche von oben bis unten erleuchtet. Das ist ein einziger Anblick; besonders der Moment, wo die einfache Lampenbeleuchtung sich, wie auf Zauberschlag, in eine flammende Fackelillumination verwandelt. Zuerst erscheint eine einzelne Fackel, die ein Mensch, rasch emporsteigend, oben auf dem eisernen Kreuz befestigt; hierauf steht das ganze ungeheure Gebäude, wie im Nu, in seiner Glorie da, es ist, wie ein Flammenfrühling, den die Nacht auf einmal gebiert ...

... Ich versichre Dich, teuerste Freundin, es ist schwer, schwerer als Du denkst, sich aus einem solchen Paradies wegzusehnen; kein Mensch bringt es weiter, als diejenigen, die er liebt, herbeizuwünschen, und das tu ich so gut, wie Du es tun würdest, wenn es mich gleich von Jahr zu Jahr mehr anekelt, Gefühlsergüsse zu Papier zu bringen und Wünsche und Gedanken, die nichtig und unerreichbar sind, und sich ohnehin von selbst verstehen, Schwarz auf Weiß nach Deutschland zu schicken. Wunderbar ist es übrigens, wie bald ein Mensch sich an den Himmel gewöhnt – möchte es mit der Hölle ebensoleicht gehen! ...

Deinen Brief erhielt ich an meinem Geburtstag und sparte ihn, wie immer, für den Abend auf. Diesmal wäre es besser gewesen, wenn ich ihn gleich gelesen hätte. Du hast mir durch diesen Brief das Herz zerrissen. Und das, weil ich natürlich und menschlich empfinde, weil ich vor Verhältnissen zittere, die mich nur vernichten können! Du hast Dinge aus meinem Brief herausgelesen, die nicht darin stehen und sie auf eine Weise beantwortet, die mich tief schmerzen mußte, nicht meinet-, sondern Deiner selbst wegen. Wo steht, daß Du auf die Verheiratung dringst? Ich sagte: die Welt, unsre Lage dringt darauf, und ist das etwa nicht wahr? Wird nicht ein jeder, der mich kennt, mich mit der Frage: Sie werden sich nächstens verheiraten? begrüßen oder mich ohne weiteres als verheirateten Mann behandeln? Werden wir nicht beide, Du und ich, als Lügner dastehen, wenn es nun doch unterbleibt, da Du schon jetzt für meine Frau giltst? Werden nicht Folgen, die unberechenbar sind, daraus hervorgehen? Ist das etwa alles Hypochonderie? Könnte ich ertragen, wenn man anfinge, mich in den Zeitungen zu verspotten? Und fehlt es mir in Hamburg an Feinden? Und auf der anderen Seite, ist es möglich, zu heiraten, ohne Geld, ohne Aussicht auf Geld, ohne alles? Würde die heftigste Leidenschaft einen solchen Schritt unter solchen Umständen wagen? Wenn ich Dir die Frage vorlegte, so geschah es, weil ich dachte, auch Dir müsse die Unmöglichkeit einleuchten; auf die Äußerung, daß Deine Mutter die Trauungskosten hergeben werde, wenn sie mir fehlen sollten, war ich freilich nicht gefaßt, denn, allmächtiger Gott, wenn man nicht einmal die hätte, woher das übrige nehmen? Gerade so hast Du auch das auf den Kopf gestellt, was ich über Dein Benehmen während der Münchner Zeit sagte. Ich habe das Faktum ausgesprochen, aber nicht, ohne Deine Rechtfertigung hinzuzufügen, denn der ist doch wohl gerechtfertigt, der etwas tut, was kein Mensch lassen kann. Man muß besitzen wollen, wenn man liebt, es ist nicht anders möglich; dieser Naturnotwendigkeit warst auch Du unterworfen; kann das Verbrechen sein (Du behauptest ja, Deine Liebe sei in meinen Augen ein Verbrechen!), was nicht vom Willen des Menschen abhängt? So wenig als es Tugend ist, wenn er dem, was sein höchstes Gut ausmacht, alles Übrige opfert. Ist in diesem allen etwas Falsches? etwas Bitteres? auch nur, aus meinem Munde, etwas Neues? Wozu denn solche Exagerationen, wie der Heiratsvorschlag mit einer Italienerin, um die Mylords und Marquis, Grafen und Barone sich drängen? Wenn die Freude eines eben vom Fieber Genesenen über eine Rose, die ihm eine Viertelstunde duftete, zu laut war, mußtest Du ihn so hart dafür bestrafen? Du mußt ja selbst empfinden, teuerste Elise, daß solche Erfahrungen mich scheu machen könnten, Dir die wenigen Augenblicke meines Lebens, in denen ich froh bin, noch zu malen! Kannst Du es denn noch immer nicht lernen, Dir aus allen meinen Briefen mein Bild zusammensetzen, die guten nicht zu gut, die schlimmen nicht zu schlimm zu nehmen? Es ist schon ein Zusammenhang in all dem scheinbaren Widerspruch. Ich bin ein Mensch, der nie etwas zurückhält, dabei wird denn aber auch vieles ausgesprochen, was nur für den Moment gilt. Deine Gefühle für mich kann ich nicht erwidern, das hast Du immer wissen müssen und immer gewußt, und es ist doch wohl so wenig bei mir eine Sünde, wie bei Dir, daß ich über mein Herz nicht gebieten kann. Aber desungeachtet bist Du mir das Teuerste auf der Welt, und wenn das entsetzliche Schicksal mich treffen sollte, Dich zu überleben, so würde mir die Brust zerspringen und das Gehirn bersten. Mein Gott, ich dächte, die Briefe aus Paris zur Zeit der Not wären ein Zeugnis, das mich neuer Versicherungen dieser Gefühle für ewig überhöbe. Siehst Dus denn nicht? Wendet sich nicht meine ganze Seele nach Dir? Teil ich Dir nicht jeden meiner Gedanken mit? Hab ich Ruhe, ehe ich meine besten Gedichte in Deinen Händen weiß? Fühle und erkenne Dich selbst! Du hast keinen einzigen Zug von denen, die Du Dir in der Verzweiflung selbst andichtest, Du hast mehr Geist, als die meisten Deiner Mitschwestern, und ein Herz, wie nie ein edleres geschlagen hat. Du bist eins der herrlichsten Weiber, die je über die Welt geschritten sind, und es ist mein höchster Schmerz, Dich nicht so lieben zu können, wie Du es verdienst. Alles dies solltest Du wissen, und wenn Du es weißt, wie kannst Du irre werden an Dir und mir? Naturnotwendigkeiten können wir alle beide nicht ändern, man kann sich so wenig ein anderes Herz geben, als ein anderes Gesicht. Ich schaudre vor der Rückkehr, es ist wahr, aber nicht, weil mich hier ein Frätzchen oder auch nur die Natur gefesselt hält, sondern weil mich in Deutschland alle Schrecknisse erwarten, die ich am meisten scheue. Hättest Du mir ein Asyl zu bieten, wie gern wollt ich kommen. Aber ich fühle in mir nicht die Fähigkeit, mir selbst eins zu gründen ...

Der Dichter muß eine behagliche Existenz haben, ehe er arbeiten kann; andere arbeiten, um eine solche Existenz zu erlangen. Ohnehin sind meine Bedürfnisse gestiegen, ich kann manches nicht mehr so leicht entbehren, wie wohl früher. Vor Hamburg habe ich eine Angst, wie vor dem Grabe; habe ich sie darum vor Dir? Denke Dir die Menschen, die ich dort treffe, denke Dir alles, und dann frag Dich, ob Du, wenn Du fünfzehn Jahre wärst und mir Gefühle eingeflößt hättest, wie Laura dem Petrark, imstande sein würdest, es aufzuwägen. Mein Gott, wenn Du einen Brief empfängst, der Dir nicht gefällt, so gib Dir doch die Mühe, Dich ein wenig in meine Lage zu versetzen und bleibe nicht immer bloß bei Deinem persönlichen Verhältnis zu mir stehen. Ist es wohl recht, mir zu schreiben: »es wäre besser, ich und das Kind pp.« und Ähnliches? Wie sollt ich mich nicht freuen, Dich wiederzusehen, aber ist ein Wiedersehen, wie das der drei Männer im feurigen Ofen zu wünschen? Lege einmal diesen Brief mit dem vorigen zusammen, und Du wirst finden, daß dieser schon in jenem steckte. Lies alle Briefe nacheinander, die Du seit meiner Abreise empfangen hast, und Dir wird das Bild eines Mannes entgegentreten, der im ersten Moment des überströmenden Gefühls das Unmögliche wollte und dann durch den Verstand, der ihm zeigte, daß er im Begriff stand, Dich und sich selbst zu vernichten, zurückgehalten wurde. Eins gereicht ihm so wenig zur Schande, wie das andere. Auch darin hast Du mich durchaus gemißdeutet, wenn Du glaubst, ich werfe Dir die Annahme meines Namens vor, oder auch nur, ich hätte Dir aus Paris über diesen Punkt meine wahren Gedanken verhehlt. Keins von beiden, ich dachte damals nur an Dich, nicht an die Folgen. Ganz natürlich aber denke ich jetzt auch an diese und da muß ich ein Faktum beklagen, was mir die Rückkehr nach Hamburg, wenn ich nicht gleich heiraten will, kaum erlaubt. Nun ist alles beseitigt und das Resultat ist: uns fehlt Geld! ... Und Geld zu schaffen, weiß ich so wenig, wie Dein kleiner Sohn ...

... Das Löckchen des Kindes hat mich innigst gefreut; ich habe es geküßt, wie ich den kleinen Engel selbst küssen würde ...

20. Mai 1845.

... Aus Kopenhagen erhielt ich vor fünf Wochen einen Brief, worin ich benachrichtigt wurde, daß der König mir auf mein Gesuch um Verlängerung des Stipendiums 200 Reichstaler (100 Speziestaler) zur Heimreise bewilligt habe. Ich wurde davon empört, wie Du Dir denken kannst, und glaubte anfangs, ich könne und müsse dieses Almosen zurückweisen. Später überzeugte ich mich, daß dies unmöglich sei, doch konnte ich mich erst vor acht Tagen entschließen, die Summe, über die ein Wechsel gleich beigelegt war, einzukassieren ...

... Entschieden bin ich behandelt, wie ich nicht behandelt zu werden verdiene. Von den sechs Staatsnachtigallen, die sie dort ex officio füttern, ich meine die sechs dänischen Poeten, die Pensionen beziehen, ist keiner wert, mir auch nur die Schuhriemen zu lösen; vielleicht würden die Holsteiner die mir zuteil gewordene Zurücksetzung, wenn sie ihnen bekannt würde, übel empfinden. Doch, wer führt für mich den Kampf gegen ein Ministerium und gegen einen König! ...


 << zurück weiter >>