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März 1835 bis März 1836.
Aamalie Schoppe, deren Fürsprache Hebbel ermöglichte, sich in Hamburg auf das Universitätsstudium vorzubereiten, war eine gutmütige und hilfsbereite Frau, von einer mütterlichen Betriebsamkeit, aber ohne Zartgefühl und Takt, und ihr ziemlich hausbackenes Bildungsphilistertum war mit gewöhnlicher Sentimentalität durchsetzt.
Der zweiundzwanzigjährige, menschlich reife Dichter mußte unter vielen Demütigungen an Freitischen essen und bei dem Primaner F. W. Gravenhorst lateinische Vokabeln auswendig lernen. Aus diesen Lektionen, an denen bald auch ein gewisser Leopold Alberti teilnahm, wurden erklärlicherweise ästhetische Unterhaltungsstunden. Hebbel schloß mit Alberti leidenschaftliche Freundschaft und nahm ihn als Zimmergenossen zu sich in seine Wohnung. Dieser Freund war aber im Grunde ein leerer, unfruchtbarer Mensch, der kalte Reflexionen zu Gefühlen aufbauschte und seine innere Ohnmacht mit großen dichterischen Plänen drapierte. Und wie solche negativen Menschen sich aus einem dunklen Trieb heraus an starke und bedeutende Personen anschließen und sie dennoch mit neidischem Herzen schädigen müssen, so intrigierte Alberti bei der Schoppe gegen Hebbel, und mit Erfolg, bis seine Ränke kurz vor Hebbels endgültiger Abreise von Hamburg ans Licht kamen.
Der einzige tiefe Gewinn des Hamburger Aufenthalts ward für Hebbel die Bekanntschaft mit der Näherin Elise Lensing, bei der die Schoppe ihn eingemietet hatte. Zwar quartierte sie ihn auf Grund eines über Elise verbreiteten, unwahren Klatsches schon nach sechs Wochen wieder aus, er blieb aber mit dieser in treuem Verkehr. Das Mädchen, das zehn Jahre älter war als er und das der äußeren Reize entbehrte, liebte ihn, ohne wiedergeliebt zu werden, mit einer zu jedem Opfer bereiten Hingabe und schenkte dem Einsamen den kostbaren Reichtum eines innigen und großen Frauengemütes mit seiner ganzen Gefühlsmacht und -stetigkeit.
Als Hebbel das Fruchtlose seiner Schülerstudien erkannte, ging er, ohne Maturitätszeugnis, mit den beiden Abiturienten Gravenhorst und O. Rendtorf nach Heidelberg auf die Universität.
12. April 1835.
... Jetzt freut es mich, daß die Sache nicht anders gekommen ist, denn meine hiesige Lage ist meinen Wünschen in höherem Grade entsprechend, als sie es in Kopenhagen jemals hätte sein können. Es ist mir nämlich endlich nach so vielen vergeblichen Versuchen gelungen, daß ich mich ausschließlich den Wissenschaften widmen kann. Ich habe dieses einzig und allein meiner verehrten Freundin, der Frau Doktorin Schoppe, zu verdanken; sie hat sich nach allen Seiten hin auf das eifrigste für mich verwendet und mir die nötigen Gelder verschafft ...
Tagebuch 23. März 1835.
Es ist ein so stiller, freundlicher Abend, daß ich über all die Lieblichkeit fast wie eine auftauende Schneeflocke zerrinne, und solche Augenblicke muß der Mensch wahrnehmen, denn in diesen darf er den Freund zum Spaziergang in seinem Herzen einladen, weil alsdann der innere Frühling nicht mehr knospet, sondern grünt und blüht. So tritt denn herein in das Allerheiligste meiner Seele, was ich selbst kaum so oft, wie der israelische Hohepriester das Allerheiligste seines Tempels, zu betreten wage – – – Ich weiß nicht, ob es dir ebenso geht; wenn ich oft schon den Schlüssel zu meinem Herzen in der Hand habe, so schaudere ich plötzlich zurück, und dann quält es mich, ob es, wie bei jenem Hohenpriester, die allgegenwärtige Gottheit, oder der versteckte Teufel ist, was mich abhält.
22. März 1835.
Ich durfte über Nacht im Traum
ein seltsam Fest begehen,
ich habe meine Väter all
um mich vereint gesehen.
Mein Vater führte stumm den Zug,
er lächelte hinüber,
dann aber wandte er sich ab,
ihm ward das Auge trüber.
Es war der letzte, welcher starb,
noch hatt er all die Milde;
der Himmel hatte nichts verschönt
an seinem teuren Bilde.
Großvater nahte nun heran,
der mich zu wiegen pflegte,
eh, wie er mich, ihn selbst der Tod
ins stille Bette legte.
Ich habe ihn sogleich erkannt,
als hätte, wie die Nische
den Heiligen, mein Herz sein Bild
bewahrt in voller Frische.
Sein Auge weilte, wie erstaunt,
auf mir und schien zu fragen:
Bist du dasselbe kleine Kind,
das einst mein Arm getragen?
Großmutter auch, sie nahte sich,
die mildeste der Frauen;
auf meinen Vater schien sie bald
und bald auf mich zu schauen.
Und als sie fand, daß ich ihm glich,
ging in den bleichen Zügen,
als wärs ein neues Leben, auf
das innigste Vergnügen.
Nun trat ein ernster Mann herzu,
den ich nicht mehr erkannte,
doch sah ich, daß er freundlich sich
zu meinem Vater wandte.
Und immer größer ward die Schar
von Männern, welche kamen,
und stets durchzuckte mirs die Brust:
Du bist von ihrem Samen!
Auch zarter Frauen nahten viel
in Trachten, fremd und eigen;
ein schlummerndes Jahrhundert schien
mit jeder aufzusteigen.
Die sanften Augen waren all
so süß auf mich geheftet,
doch war der lächelnd holde Mund,
zur Rede zu entkräftet.
Vom Turme schlug es dumpf und bang,
sie schieden mit Getümmel;
die Männer deuteten aufs Grab,
die Frauen auf den Himmel.
Das war die Stund, die mich gebar;
nun frag ich mich mit Beben:
Ob sich das Leben und der Tod
im Grabe noch verweben?
Ob, die sich regt in meiner Brust,
die ungestüme Flamme,
die Toten noch im Schlummer stört,
aus deren Blut ich stamme?
Ob sie mir blaß zur Seite gehn,
unmächtig, zu erscheinen,
und lächeln, wenn ich glücklich bin,
und wenn ichs nicht bin, weinen?
Und ob ich selbst dereinst mein Kind,
statt ruhig auszuschlafen,
durch Nacht und Sturm begleiten muß
bis an den letzten Hafen?
Tagebuch 1835.
Am gestrigen Tage habe ich Elisens Haus wieder verlassen. Ich habe wohl Ursache, den sechs Wochen, die ich bei ihr verlebt habe, ein kleines Denkmal zu setzen, denn sowie mir die Güte gleich beim Eintritt entgegenkam, habe ich die Liebe mit fortgenommen. Das Mädchen hängt unendlich an mir; wenn meine künftige Frau die Hälfte für mich empfindet, so bin ich zufrieden.
Lustige Erinnerung: Ich habe einmal, weil ich ille, illa, illud nicht behalten konnte, auf der Lombardsbrücke gestanden und geflucht: Gott verdamm mich, wär ich nie nach Hamburg gekommen!
Götter zu entzücken, mag gelingen,
Schweine wirst du nie zum Weinen bringen.
Bevor Hebbel Hamburg endgültig verließ, machte er, von Alberti begleitet, eine Reise nach Wesselburen, um von Mutter und Heimat Abschied zu nehmen.
Wesselburen Februar 1836.
... Es waren wunderliche Gefühle, mit welchen ich den dithmarsischen Grund und Boden wieder betrat. Mir war, als ob ich zu einem alten, fast vergessenen Freunde wieder zurückkehrte; ich hatte mich in der Ferne nur der unangenehmen Seiten des Freundes erinnert; wie ich ihm aber wieder ins Auge sah, ging mir das Andenken so mancher seligen Stunde, die mir durch ihn geworden war, im Gedächtnis auf, daß ich mich nun ebenso geneigt fühlte, ihm in der Liebe zuviel zu tun, wie ehemals in der Gleichgültigkeit ...