Friedrich Hebbel
Gyges und sein Ring
Friedrich Hebbel

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Fünfter Akt

Freier Platz.

Der König tritt auf. Ihm folgt Thoas.

Kandaules.
Du schleichst mir nach auf Schritt und Tritt. Was willst du?
Fehlt dir der Mut, mich anzureden, Alter,
Weil ich ein wenig barsch war gegen dich?
Sprich! Setze deine Rede fort! Ich will
Geduldig sein und hören, brauchtest du
Auch so viel Zeit, daß eine grüne Traube
Sich purpurn färbt, bis du zu Ende bist.

Thoas.
Herr, hab ich jemals einen Mann verklagt?

Kandaules.
Nein, Thoas.

Thoas.                 Oder einen Mann verdächtigt?

Kandaules.
Gewiß nicht.

Thoas.                 Las ich heiße Worte auf,
Wie sie im Zorn wohl auf die Erde fallen,
Und warf sie dir ins Ohr und blies sie an?

Kandaules.
Nie!

Thoas.     Nun, so werd ich doch mit siebzig Jahren
Nicht tun, was ich mit zwanzig nicht getan,
Denn über funfzig dien ich deinem Hause.

Kandaules.
Ich weiß es, treuer Knecht.

Thoas.                                         Die Erde zeugt
Ja immer fort, ob man die Könige
Ermordet oder krönt, sie läßt die Bäume
Nicht ausgehn und die Beeren nicht vertrocknen,
Auch hält sie ihre Quellen nicht zurück,
Wenn man ihr einmal Blut zu trinken gibt.

Kandaules.
Das glaub ich auch!

Thoas.                             Nicht wahr? Es bliebe alles,
Wie jetzt, ich meine, was mich selbst betrifft,
Denn das ist unser Sklaven-Glück, daß uns
Ein roter Mond am Himmel wenig kümmert,
Und daß wir ruhiger, wie gier'ge Hunde,
Die einen Bissen zu erschnappen hoffen,
Dem Opfer zusehn und nicht ängstlich fragen,
Ob's Gutes oder Böses prophezeit.

Kandaules.
Was willst du sagen, Greis?

Thoas.                                           Dein Vater hatte
Mich immer um sich, einerlei, ob er
Zum Schmausen ging, ob er zu Felde zog,
Ich durfte ihm nicht fehlen, heute reicht' ich
Den Becher ihm und morgen Schild und Speer.
Auch ordnete ich ihm den Scheiterhaufen
Und sammelte mit meinen steifen Fingern
Die weiße Asche in den braunen Krug.
Er hatt' es so bestellt. Warum denn wohl?

Kandaules.
Die Traube wird schon rot.

Thoas.                                         Du bist ihm ähnlich,
Vielleicht – ich sah dich nie das Schwert noch ziehn,
Er zog es oft und gern, zuweilen auch
Ganz ohne Grund, ich geb es zu, jawohl,
Und doch war's gut, – vielleicht gar völlig gleich.
Drum wünscht' ich dir sein Los.

Kandaules.                                         Ist das nicht mein?

Thoas.
Wer weiß! Das Ende rechn' ich mit dazu.
Vergib mir, Herr! Ich bin kein hurt'ger Kopf,
Begreife schwer, hab niemals was erdacht,
Und wer mich dumm nennt, schimpft mich darum nicht.
Doch wackre Männer kamen schon zu mir
Und fragten mich um Rat, und als ich stutzte,
Da sagten sie: der schlichtste alte Mann,
Der siebzig Jahre zählt und seine Sinne
Behielt, versteht von manchen Dingen mehr,
Als selbst der Klügste, der noch Jüngling ist.
Nun, meine Sinne, denk ich, hab ich noch:
So hör auf mich.

Kandaules.                 Ich tu es ja.

Thoas.                                           Und quäle
Mich nicht um Gründe, glaube nicht, daß ich
Gleich Unrecht habe, wenn ich auch verstumme,
Weil ein Warum von soundso viel Drachmen
Mir fehlt, wenn du mein Wort zu wägen denkst.
Du kannst ja auch die Vögel, die nicht fliegen,
Wie dir's gefällt, wenn sie dein Seher fragt,
Durch einen einz'gen Schuß von deinem Bogen
Zerstreun, und mancher hat's im Zorn getan.
Doch kommt das Unglück darum weniger,
Das sie verkündeten? So sprich denn nicht:
Was willst du? Er ist tapfer, brav und treu!
Ich weiß es selbst und will's sogar beschwören,
Allein ich warne dich nur um so mehr:
Nimm dich in acht vor Gyges!

Kandaules (lacht).

Thoas.                                             Dacht' ich's doch!
Ich sag's dir noch einmal: nimm dich in acht!
Versteh mich aber recht. Ich sage auch:
Er wird dir nimmer nach der Krone greifen,
Er wird dich mit dem letzten Tropfen Bluts
Verteidigen, und dennoch ist er dir
Gefährlicher, als alle, die sich gestern
Mit Blicken oder Worten gegen dich
Verschworen haben! Ei, die tun dir nichts,
Wenn er nur nicht mehr da ist! Darum schaffe
Ihn fort, sobald du kannst. Denn, wenn er bleibt
Und mit den Kränzen, die er sich errang,
Noch länger so herumgeht unter ihnen,
Kann viel geschehn.

Kandaules.                       Du meinst?

Thoas.                                                 Ich seh es ja!
Das flüstert und vergleicht! Das zuckt die Achseln,
Das ballt die Faust und nickt sich heimlich zu!
Du hast sie gar zu schwer gekränkt. Und wird
Der Grieche, wenn er morgens beim Erwachen
Auf einmal über deine Krone stolpert,
Weil man sie ihm des Nachts zu Füßen legte,
Sie noch verschmähn? Da wär' er ja ein Tor.
Es ist genug, daß er dich nicht beraubt,
Beerben darf er dich, und wird er dich.
Ei, seine Zeichen stehn, du glaubst nicht, wie!
Sonst schimpften sie ihn einen Zitherspieler
Und meinten, wie denn ich es selber meine,
Daß nur die Vögel süße Kehlen hätten,
Die arg verkürzt um ihre Klauen sind.
Jetzt ist er ihnen, weil er singen kann,
Wenn noch nicht Phöbus selbst, so doch sein Sohn!

Kandaules.
Das wundert dich? Er hat sie ja besiegt!
Wie könnte denn ein Mensch ihr Sieger sein.

Thoas.
Gleichviel! Doch er ist wirklich brav und treu,
Drum folge mir. Dann geht's vielleicht noch gut,
Wenn nicht die Götter eine Strafe senden,
Und über's Jahr versöhnst du die und uns!

Gyges (tritt auf).

Thoas.
Er kommt. Sprach ich umsonst? Herr, lächle nicht!
Selbst an der Mauer schießt Salpeter an,
Warum denn nicht das Salz der Zeit an mir?
(Er zieht sich in den Hintergrund zurück.)

Kandaules.
Du hast mich mehr getroffen, als du denkst! –
Nun, Gyges?

Gyges.                 Herr, ich habe dich gesucht.

Kandaules.
Ich dich nicht weniger. So sag mir an:
Was bringst du mir? – Du kehrst dich schweigend ab?
Was es auch sei: ich bin auf viel gefaßt!

Gyges.
Oh, hättest du mein Opfer angenommen!

Kandaules.
Ich werde nie bereun, daß ich's nicht tat.
Doch, wär' es auch geschehn, was hätt's gefrommt?
Ihr Argwohn hatte unauslöschlich schon
Des Nachts an deinem Seufzer sich entzündet,
Doch hadre darum nicht mit dir, wer wäre
Ein Mensch und hätte nicht geseufzt, wie du!

Gyges.
Es war kein guter Tag, an dem der König
Von Lydien den Griechen Gyges traf.

Kandaules.
Ich fluch ihm nicht.

Gyges.                           Du hättest dich des Tigers
Wohl selbst erwehrt, der auf dich lauerte,
Und ich, mit meinem überflüss'gen Pfeil,
Beraubte, statt vom Tode dich zu retten,
Dich nur des Meisterschusses.

Kandaules.                                       Das ist wahr,
Ich hatt' ihn wohl bemerkt und war bereit.
Doch, als ich sah, wie dir die Augen blitzten,
Die Wangen glühten, und die Brust sich hob,
Da unterdrückte ich ein stilles Lächeln
Und dankte dir.

Gyges.                     So edel war er stets!
Auch da, wo ich's nicht ahnte! Kann ich denn?

Kandaules.
Ich sah es auf den ersten Blick ja auch,
Daß du in einer größeren Gefahr
Die Tat noch kühner wiederholen würdest;
Wenn die nicht kam, so war's nicht deine Schuld!

Gyges.
Herr, sprich nicht mehr. Es ist so, wie du sagst,
Ich hätte an ein Haar von deinem Haupte
Mein Blut gesetzt, und dennoch muß ich jetzt,
So will's der Fluch, dein Leben fordern –

Kandaules.
Mein Leben!

Gyges.                 Ja, wenn sie nicht sterben soll!
Die Sonne neigt sich schon zum Untergang,
Und sieht dein Auge noch den Abendstern,
So sieht das ihrige ihn nimmermehr.

Kandaules.
Sie will sich töten, wenn du mich nicht tötest?

Gyges.
Sie will es! Ständ' ich sonst wohl so vor dir?

Kandaules.
Kein andres Opfer kann ihr mehr genügen?

Gyges.
Ich bot das höchste, doch es war umsonst.

Kandaules.
Da wird sie mir den Abschied auch versagen!

Gyges.
Ich fürchte, sie entflieht vor dir ins Grab!

Kandaules.
Dann nimm mein Leben hin! – Du fährst zurück?

Gyges.
So willig gibst du's her?

Kandaules.                             Wer frevelte,
Muß Buße tun, und wer nicht lächelnd opfert,
Der opfert nicht! – Kennst du mich denn so schlecht
Und hältst mich so gering, daß du darob
Erstaunen, ja erschrecken kannst? Ich werde
Doch sie nicht zwingen, mit den Rosenfingern,
Die noch zu zart fürs Blumenpflücken sind,
Nach einem Dolch zu greifen und zu prüfen,
Ob sie das Herz zu finden weiß?

Gyges.                                               Du schlägst
Sogar das schirmende Gewand zurück
Und beutst mir selbst die Brust?

Kandaules.                                         Ich zeige dir
Den nächsten Weg zum Ziel und ebne ihn,

Damit du, wenn du wieder vor sie trittst,
Doch irgend etwas an mir loben kannst.
Hier rauscht der Quell des Lebens, den du suchst:
Den Schlüssel hast du selbst. So sperre auf!

Gyges.
Nicht um die Welt!

Kandaules.                     Um sie, mein Freund, um sie!

Gyges (macht eine abwehrende Bewegung).

Kandaules.
Doch, ich besinne mich, du wolltest heut
Mit eigner Hand dein junges Blut vergießen!
Den Mut erschwing ich auch wohl noch, drum geh
Und bringe ihr mein letztes Lebewohl,
Es ist so gut, als läge ich schon da.

Gyges.
Nein! Nein! Ich kam, zu kämpfen!

Kandaules.                                           Ei wie stolz!
Du kannst im Kampf mit mir nicht unterliegen,
Nicht wahr?

Gyges.                 Du kennst mich besser!

Kandaules.                                               Nun, auch das!
Selbst, wenn ich siegen sollte, bleibt mir noch
Das andre übrig! – Ist das nicht der Duft
Der Aloe? Jawohl, schon führt der Wind
Ihn uns vom Garten zu. Die öffnet sich,
Nur wenn die Nacht sich naht. Da wird es Zeit.

Gyges.
Oh, dieser Ring!

Kandaules.                 Du meinst, er wäre besser
In seiner Gruft geblieben! Das ist wahr!
Rhodopens Ahnung hat sie nicht betrogen,
Und dich dein Schauder nicht umsonst gewarnt.
Denn nicht zum Spiel und nicht zu eitlen Possen
Ist er geschmiedet worden, und es hängt
Vielleicht an ihm das ganze Weltgeschick.
Mir ist, als dürft' ich in die tiefste Ferne
Der Zeit hinunter schaun, ich seh den Kampf
Der jungen Götter mit den greisen alten:
Zeus, oft zurückgeworfen, klimmt empor
Zum goldnen Stuhl des Vaters, in der Hand
Die grause Sichel, und von hinten schleicht
Sich ein Titan heran mit schweren Ketten.
Warum erblickt ihn Kronos nicht? Er wird
Gefesselt, wird verstümmelt, wird gestürzt.
Trägt der den Ring? – Gyges, er trug den Ring,
Und Gäa selbst hat ihm den Ring gereicht!

Gyges.
So sei der Mensch verflucht, der dir ihn brachte.

Kandaules.
Warum? Du tatest recht, und wäre ich
Dir gleich, so hätte er mich nicht verlockt,
Ich hätt' ihn still der Nacht zurückgegeben,
Und alles würde stehen, wie zuvor.
Drum dinge mir des Werkzeugs wegen nichts
Vom Frevel ab, die ganze Schuld ist mein!

Gyges.
Doch, welche Schuld!

Kandaules.                         Das Wägen ist an ihr! –
Auch fühl ich's wohl, ich habe schwer gefehlt,
Und was mich trifft, das trifft mich nur mit Recht.
Das schlichte Wort des alt-ehrwürd'gen Dieners
Hat mich belehrt. Man soll nicht immer fragen:
Was ist ein Ding? Zuweilen auch: was gilt's?
Ich weiß gewiß, die Zeit wird einmal kommen,
Wo alles denkt, wie ich; was steckt denn auch
In Schleiern, Kronen oder rost'gen Schwertern,
Das ewig wäre? Doch die müde Welt
Ist über diesen Dingen eingeschlafen,
Die sie in ihrem letzten Kampf errang,
Und hält sie fest. Wer sie ihr nehmen will,
Der weckt sie auf. Drum prüf er sich vorher,
Ob er auch stark genug ist, sie zu binden,
Wenn sie, halb wachgerüttelt, um sich schlägt,
Und reich genug, ihr Höheres zu bieten,
Wenn sie den Tand unwillig fahren läßt.
Herakles war der Mann, ich bin es nicht;
Zu stolz, um ihn in Demut zu beerben,
Und viel zu schwach, um ihm es gleich zu tun,
Hab ich den Grund gelockert, der mich trug,
Und dieser knirscht nun rächend mich hinab.

Gyges.
Nein! Nein!

Kandaules.         So ist's. Auch darf's nicht anders sein!
Die Welt braucht ihren Schlaf, wie du und ich
Den unsrigen, sie wächst, wie wir, und stärkt sich,
Wenn sie dem Tod verfallen scheint und Toren
Zum Spotte reizt. Ei, wenn der Mensch da liegt,
Die sonst so fleiß'gen Arme schlaff und laß,
Das Auge fest versiegelt und den Mund
Verschlossen, mit den zugekrampften Lippen
Vielleicht ein welkes Rosenblatt noch haltend,
Als wär's der größte Schatz: das ist wohl auch
Ein wunderliches Bild für den, der wacht
Und zusieht. Doch, wenn er nun kommen wollte,
Weil er, auf einem fremden Stern geboren,
Nichts von dem menschlichen Bedürfnis wüßte,
Und riefe: hier sind Früchte, hier ist Wein,
Steh auf und iß und trink! Was tätst du wohl?
Nicht wahr, wenn du nicht unbewußt ihn würgtest,
Weil du ihn packtest und zusammendrücktest,
So sprächst du: dies ist mehr, als Speis und Trank!
Und schliefest ruhig fort bis an den Morgen,
Der nicht den einen oder auch den andern,
Nein, der sie alle neu ins Dasein ruft!
Solch ein vorwitz'ger Störer war ich selbst,
Nun bin ich denn in des Briareus Händen,
Und er zerreibt das stechende Insekt.
Drum, Gyges, wie dich auch die Lebenswoge
Noch heben mag, sie tut es ganz gewiß
Und höher, als du denkst: vertraue ihr
Und schaudre selbst vor Kronen nicht zurück,
Nur rühre nimmer an den Schlaf der Welt!
Und nun –

Gyges.             Die Sonne sinkt! Es muß so sein.

Kandaules.
Thoas! (Er nimmt sich die Krone ab.)

Thoas.         Was sinnst du, Herr?

Kandaules.                                     Du wolltest mich
Ja fechten sehn, die Freude mach ich dir,
Doch dafür hebst du diese Krone auf
Und reichst sie dem, der übrigbleibt von uns!

(Zu Gyges.)

Wenn du das bist, so gönn ich's dir, und gern
Wird man auf deinem Haupt sie sehn! – Ei was,
Du wolltest sie nicht nehmen? Schäme dich!
Da käm' sie nur an einen schlechtern Mann!

Gyges.
Herr, schwör mir, daß du redlich kämpfen willst.

Kandaules.
Ich muß ihr zeigen, daß ich so viel Schönheit
Nicht leicht verliere. Darum schwör ich's dir.
Und du?

Gyges.           Sie lebt und stirbt mit mir! Ich muß!
Und wenn ich auch bei jedem Streiche denke:
Viel lieber einen Kuß! so werde ich
Darum doch keinen mäßigen.

Kandaules.                                     So gib
Mir noch einmal die Hand! – Nun sei für mich
Ein Tiger, ich für dich ein Leu und dies
Der wilde Wald, in dem wir oft gejagt.

(Sie ziehen.)

Gyges.
Noch eins! Aus Scham hielt ich's zurück. Sie will
Sich mir vermählen, wenn du unterliegst.

Kandaules.
Ha! Nun versteh ich sie!

Gyges.                                   So wehre dich!

(Gefecht, während dessen sie sich links verlieren.)

Thoas.
Er fällt! – Der letzte Heraklide fiel!

(Ab, ihnen nach.)


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