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Eines Tages war im Krankenzimmer Vater Ephraims, der vierzig Jahre lang das kirchliche Oberhaupt der Shaker-Kolonie in Goshen gewesen war, eine Versammlung der angesehensten Leute der Sekte. Aus der reichen Niederlassung zu Libanon waren sie gekommen, aus Canterbury, Harvard und Alfred und aus allen anderen Orten, wo diese seltsamen Leute die rauhen Hügel Neuenglands urbar gemacht haben durch ihren geregelten Fleiß. Ein Kirchenältester war auch da, der eine Pilgerfahrt von tausend Meilen aus einem Dorfe der Gläubigen in Kentucky unternommen hatte, um seine Verwandten im Geiste, die Kinder der heiligen Mutter Anna, zu besuchen. Er hatte an ihren schlichten Mahlzeiten teilgenommen, hatte den weitberühmten Apfelwein der Shaker getrunken und an dem heiligen Tanze sich beteiligt, bei dem ein jeder Schritt den Begeisterten der Erde entfremden und ihn himmlischer Reinheit und Glückseligkeit näherbringen soll. Seine Brüder aus dem Norden hatten ihn nun höflich aufgefordert, bei einer Gelegenheit zu erscheinen, bei der die Gegenwart aller bedeutenden Glieder ihrer Gemeinschaft besonders wünschenswert war.
Der ehrwürdige Vater Ephraim saß in seinem Lehnstuhl. Nicht nur weißhaarig und altersschwach war er, eine schleichende Krankheit hatte ihn gebrochen, die offensichtlich sehr bald seinen Hirtenstab in andere Hände geben würde. Neben seinem Fußschemel standen ein Mann und eine Frau, beide in der Tracht der Shaker.
»Meine Brüder,« sagte Vater Ephraim, mit matter Anstrengung diese wenigen Worte hervorbringend, »hier stehen der Sohn und die Tochter, denen ich die Aufgabe übertragen möchte, die mir die Vorsehung bald von den müden Schultern nehmen wird. Ich bitte euch, lest in ihren Gesichtern und sagt mir, ob die innere Stimme des Geistes meine Wahl richtig geleitet hat.«
So schaute jeder der Ältesten die beiden Anwärter mit scharfprüfenden Blicken an. Der Mann hieß Adam Colborn. Sein Gesicht war sonnverbrannt von der Arbeit auf den Feldern, doch klug und bedacht; Sorgen genug für ein ganzes Leben waren darauf zu lesen, obwohl er kaum in mittleren Jahren stand. Streng sah er aus, und Unbeugsamkeit lag über seinem ganzen Wesen, Eigenschaften, nach denen man ihn gewöhnlich für einen Schulmeister hielt; in der Tat hatte er früher diesen Beruf mehrere Jahre lang ausgeübt. Martha Pierson, die Frau, war etwas über dreißig, schmal und blaß, wie fast alle Schwestern der Shaker sind, und nicht ganz frei von dem leichenhaften Aussehen, das die Schwesterntracht so wohlberechnet verleiht.
»Dieses Paar steht noch im Sommer seiner Jahre,« bemerkte der Älteste von Harvard, ein arglistiger, alter Mann. »Ich möchte lieber den weißen Frost des Herbstes auf ihren Häuptern sehen. Auch deucht mir, daß sie besonderen Versuchungen ausgesetzt sein werden, auf Grund der fleischlichen Wünsche, die früher zwischen ihnen bestanden.«
»Nein, Bruder,« sagte der Älteste von Canterbury, »der weiße Frost und der schwarze Frost haben ihr Werk getan an Bruder Adam und Schwester Martha, so wie wir manchmal ihre Spuren finden in unsern Kornfeldern, während sie noch grünen. Und warum sollten wir die Weisheit im Plane unseres würdigen Vaters bezweifeln, wenn auch dieses Paar in früher Jugend einander geliebt hat, wie die Leute der Welt es tun? Gibt es nicht viele Brüder und Schwestern unter uns, die lange in der Ehe zusammen lebten und doch, sobald sie unsern Glauben annahmen, ihr Herz geläutert sahen von jeder Liebe, die nicht geistig ist?«
Ob nun die frühere Liebe Adams und Marthas es ungeeignet scheinen ließ oder nicht, daß sie nun zusammen ein Dorf von Shakern leiten sollten – sicher war es höchst sonderbar, daß dies das endliche Ergebnis so vieler warmer, zärtlicher Hoffnungen sein sollte. Sie waren Nachbarskinder, und ihre Zuneigung reichte noch vor ihre Schulzeit zurück. Sie schien mit ihnen verwachsen, in all ihre Regungen und Gefühle verwoben, nicht eine deutliche Einzelerinnerung, sondern eng verflochten in den ganzen Kranz ihrer Erinnerungen. Aber gerade als sie alt genug waren, um an ihre Vereinigung zu denken, hatte sie beide schweres Unglück betroffen und sie gezwungen, sich durch ihrer Hände Arbeit den nötigsten Lebensunterhalt zu sichern. Selbst unter diesen Umständen hätte Martha Pierson wahrscheinlich eingewilligt, ihr Geschick mit dem Adam Colburns zu verbinden und, des Segens gegenseitiger Liebe sicher, hätte sie ruhig auch die bescheidenen Gaben des Glückes hingenommen. Aber Adam, der kühl und vorsichtig dachte, wollte nicht verzichten auf die Vorteile, die sich einem unverheirateten Manne für sein Fortkommen in der Welt bieten. Darum ward ihre Hochzeit Jahr um Jahr verschoben. Er hatte sich in vielen Berufen versucht, war weit gereist und hatte viel vom Leben und von der Welt gesehen. Martha hatte ihr Brot bisweilen als Näherin, bisweilen als Aushilfe bei der Frau eines Farmers, manchmal als Dorfschullehrerin und mitunter als Pflegerin oder Krankenwache verdient. So erlangte sie vielseitige Erfahrungen, ohne zu ahnen, welchen schließlichen Gebrauch sie davon machen würde. Aber keinem der Liebenden war das Glück günstig. Zu keiner späteren Zeit mehr wäre es so klug gewesen, die Ehe zu schließen, als damals, in der ersten Blüte des Lebens, wo sie sich zuerst trennten, um ein besseres Geschick zu suchen. Doch sie bewahrten einander fest die Treue. Martha hätte die Frau eines Mannes sein können, der im Rate seines Heimatstaates saß, und Adam hätte die Hand einer reichen und hübschen Witwe gewinnen können, wie er ohne Absicht auch ihr Herz gewonnen hatte. Aber keines von ihnen verlangte es nach einem Glück, das es nicht mit dem andern teilen sollte.
Endlich kam jene stille Verzweiflung über Adam Colburn, wie sie nur bei starken und etwas starren Charakteren vorkommt, die keine neue Hoffnung mehr erblühen läßt. Er suchte eine Zusammenkunft mit Martha und schlug ihr vor, daß sie beide der Sekte der Shaker beitreten wollten. Die sich zu dieser Sekte bekehren, werden häufiger durch weltliches Mißgeschick zu ihren gastlichen Pforten geführt, als daß Begeisterung sie dahin treibt. Man nimmt sie auf, ohne nach ihren Beweggründen zu fragen. Martha, noch immer treu, hatte ihre Hand in die ihres Liebsten gelegt und ihn zum Dorf der Shaker begleitet. Hier hatten beide vermöge ihrer natürlichen Fähigkeiten, die ihr früheres schweres Leben gepflegt und noch verstärkt hatte, bald bedeutendes Ansehen in der Gemeinde gewonnen, deren Glieder meistens unter dem geistigen Durchschnitt stehen. Im Glauben und Gefühl hatten sie sich bis zum gewissen Grade an ihre Mitgläubigen angeglichen. Adam Colburn hatte allmählich großen Ruf gewonnen, nicht nur in der Verwaltung ihrer irdischen Angelegenheiten, sondern auch als klarer, eindrucksvoller Verkünder ihrer Lehren. Martha zeichnete sich nicht weniger aus in den Verpflichtungen ihres Geschlechts. So dachte schließlich Vater Ephraim an Adam und Martha, als seine Gebrechlichkeit ihn mahnte, einen Nachfolger für sein kirchliches Amt zu suchen. Und er schlug vor, in ihrer Person die ursprüngliche Form der Regierung bei den Shakern, wie Mutter Anna sie eingeführt hatte, wieder aufzunehmen. Sie sollten der Vater und die Mutter des Dorfes sein. Die schlichte Weihehandlung, die sie dazu machte, sollte jetzt vorgenommen werden.
»Sohn Adam und Tochter Martha,« sagte der ehrwürdige Vater Ephraim und heftete seine alten Augen fest auf sie, »wenn ihr mit freiem Gewissen diese Aufgabe übernehmen könnt, so redet, auf daß die Brüder nicht zweifeln an eurer Tauglichkeit.«
»Vater,« erwiderte Adam und sprach mit der Ruhe, die ihm eigen war, »als enttäuschter Mann kam ich in Euer Dorf, müde der Welt, erschöpft von ständiger Mühsal, und suchte nur Schutz gegen das Mißgeschick; auf Gutes hatte ich keine Hoffnung. Selbst der Wunsch nach weltlichem Erfolg war fast ganz erstorben in mir. Wie man zu einer Gruft kommt, kam ich hierher, gewillt, in ihrer düstern Kälte zu liegen, nur weil Friede da ist und Ruhe. Nur eine irdische Liebe war in meiner Brust, und sie war immer ruhiger geworden seit meiner Jugend, so daß ich zufrieden war, Martha als meine Schwester hierher in unsere neue Heimat zu bringen. Wir sind Bruder und Schwester, und ich möchte es nicht anders haben. In diesem friedlichen Dorfe habe ich alles gefunden, was ich erhoffe – alles, was ich wünsche. Mit bester Kraft will ich bemüht sein um das geistige und zeitliche Wohl unserer Gemeinschaft. Darüber steht kein Zweifel in meinem Herzen. Ich bin bereit, das Amt anzunehmen.«
»Du hast wohl gesprochen, Sohn Adam,« sprach der Vater. »Gott wird dich segnen in dem Amte, auf das ich nun verzichten werde.«
»Aber unsere Schwester!« bemerkte der Älteste von Harvard, »hat sie nicht auch die Gabe, auszudrücken, was sie fühlt?«
Martha schrak zusammen und bewegte die Lippen, als wolle sie eine feierliche Antwort geben auf diese Aufforderung. Aber hätte sie es versucht, so hätten vielleicht die alten Erinnerungen sich Bahn gebrochen aus ihrem Herzen, die lang verdrängten Gefühle der Kindheit, der Jugend und des Frauentums, in Worten, die zu heilig waren, um sie hier zu sprechen.
»Adam hat gesprochen,« sagte sie hastig, »so wie er empfindet, fühle auch ich.«
Doch bei diesen wenigen Worten wurde Martha so bleich, daß es richtiger schien, sie in ihren Sarg zu legen, als sie hierher vor Vater Ephraim und die Ältesten zu stellen. Auch zitterte sie, als ob etwas Schreckvolles und Furchtbares in ihrer Lage und ihrem Geschick läge. Es erforderte in der Tat mehr als weibliche Nervenkraft, die gespannte Beobachtung von Männern wie diese zu ertragen, die so hochstehend und berühmt waren in der ganzen Sekte. Sie hatten ihr natürliches Mitgefühl für menschliche Schwächen und Leidenschaften überwunden. Einer hatte bei seinem Eintritt in die Gesellschaft Frau und Kinder mitgebracht, aber seit dieser Stunde nie mehr ein gutes Wort zu ihr gesprochen oder sein liebstes Kind aufs Knie gehoben. Ein anderer, dessen Familie sich weigerte, ihm zu folgen, hatte es fertiggebracht – mit so heiliger Tapferkeit war er ausgestattet –, sie dem Mitleid der Welt zu überlassen. Der jüngste unter den Ältesten, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, war von Kindheit an in einem Dorf der Shaker erzogen worden, und von ihm erzählte man, daß er nie die Hand einer Frau gehalten habe und keine Vorstellung habe von engeren Banden als den kalten der brüderlichen Sekte. Der alte Vater Ephraim war der furchtbarste Charakter von allen. In seiner Jugend war er ein ausschweifender Wüstling gewesen, den aber Mutter Anna selber bekehrte; er hatte an dem wilden Fanatismus der ersten Shaker teilgehabt. Im Dorfe, am Kamin, erzählte man sich flüsternd, daß Mutter Anna sein fleischliches Herz mit glühendem Eisen sengen mußte, bevor es rein wurde von irdischer Leidenschaft.
Wie dem auch sei, die arme Martha hatte das Herz einer Frau, ein zärtliches Herz, und es klagte in ihrer Brust, als sie diese seltsamen alten Männer ansah und von ihnen in das ruhige Gesicht Adam Colburns blickte. Aber als sie bemerkte, daß die Ältesten voll Zweifel auf sie schauten, rang sie nach Atem und sprach noch einmal.
»Mit aller Kraft, die mir noch blieb nach meinen vielen Mühsalen,« sagte sie, »will ich das Amt übernehmen und mein Bestes darin leisten.«
»Meine Kinder, reicht euch die Hände,« sagte Vater Ephraim.
Sie taten es. Die Ältesten ringsum erhoben sich, und der Vater richtete sich mühsam gerader auf, blieb aber in seinem Lehnstuhl sitzen.
»Ich hieß euch, einander die Hand zu reichen,« sagte er, »nicht in weltlicher Liebe, denn deren Ketten habt ihr für immer abgeworfen, sondern als Bruder und Schwester in geistiger Liebe, als Helfer in der Aufgabe, die euch zufällt. Lehret andere den Glauben, der euch ward. Öffnet die Tore weit – ich übergebe euch die Schlüssel – öffnet sie weit für alle, die die Sünden der Welt aufgeben wollen und hierher kommen, ein keusches und friedvolles Leben zu führen. Nehmt die Müden auf, die die Eitelkeit der Welt gekannt haben – nehmt die kleinen Kinder auf, daß sie niemals diese unseligen Lehren erfahren. Und Segen ruhe auf eurer Arbeit; so daß die Zeit nicht fern sein möge, in der Mutter Annas Sendung voll und ganz erfüllt ist – wenn keine Kinder mehr geboren werden und sterben müssen, wenn der letzte des Menschengeschlechts, ein alter, müder Mann wie ich, sieht, wie die Sonne untergeht, um nie mehr aufzugehen über einer Welt voll Sünde und voll Kummer!«
Der alte Mann sank erschöpft zurück, und die Ältesten glaubten mit gutem Recht, daß die Stunde gekommen sei, in der die neuen Oberhäupter des Dorfes ihre Hirtenpflichten antreten mußten. Bei der Bemühung um Vater Ephraim wurden ihre Augen von Martha Pierson abgelenkt, die immer bleicher ward; selbst Adam Colburn sah es nicht. Ja, er hatte seine Hand aus der ihren gezogen und die Arme gekreuzt in dem Gefühl befriedigten Ehrgeizes. Doch Martha an seiner Seite wurde blasser und blasser, bis sie wie eine Leiche im Totenkleid zu den Füßen ihrer ersten Liebe niedersank. Nach so vielen Heimsuchungen, die sie tapfer erduldet hatte, konnte ihr Herz die Last der einsamen Qual nicht länger ertragen.