Gerhart Hauptmann
Peter Brauer
Gerhart Hauptmann

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Erster Akt

Peter Brauers kleines Studio im vierten Stock eines Hinterhauses im Potsdamer Viertel zu Berlin. Die Tür rechts ist der Separateingang vom Hausflur. Die Tür links verbindet mit der kleinen Wohnung, die Brauers Familie innehat. Der Raum enthält an Möbeln nur eine Feldbettstelle an der Hinterwand, eine Staffelei, ein sehr kleines Tischchen für Malutensilien und zwei Stühle. Ein abgetragener Radmantel liegt als zweite Decke auf dem Bett. Ein Kalabreser hängt auf dem Bettpfosten. Auf einem der Stühle steht ein alter Malkasten, geöffnet; eine ziemliche Anzahl Bilder in Blendrahmen sind rings gegen die Wand gelehnt. Was von den Malereien zu sehen ist, besteht in ganz minderwertigen Porträts des Kaiserhauses, Kopien nach gangbaren Öldrucken. Ein Bildnis des Kaisers Friedrich ist auf der Staffelei.

Das Licht fällt durch ein hochgelegenes, längliches Fenster der Hinterwand.

Unterm Bett steht ein Koffer; Kleidungsstücke hängen an den Türen. Eine Reihe alter Stiefeln ist an der Wand aufgereiht. Das malerisch-romantische Element vertritt ein vertrockneter Tintenfisch, der an einem Faden von der Decke baumelt.

Der Nachmittag eines dunklen Märztages. Peter Brauer steht, in Hemdsärmeln, malend vor der Staffelei. Er ist eine vollsaftige Erscheinung und markiert mit Spitzbart, Kalabreser und Tonpfeife den Niederländer. Er ist etwa fünfzig Jahre alt. Erwin Brauer, sein Sohn, ein sehr hübscher neunzehnjähriger Junge, sitzt auf der Feldbettstelle und schmökert in einem zerlesenen Buch.

Peter Brauer. Das merke dir: Velasquez! – Laß dich um Gottes willen von diesen Jüngelchen nicht ankränkeln! Diesen Klecksern, diesen Modernen, die noch nicht trocken hinter den Ohren sind. Mein unvergeßlicher Lehrer Löwekuhl . . .

Erwin, zerstreut. Wie hat er geheißen, Papa?

Peter Brauer. Ja, du mußt schon zuhören, mein Junge, wenn du richtig verstehen willst. Ich habe von Velasquez gesprochen, Erwin! Und wenn dein Papa von Velasquez redet, so kannst du ganz ruhig deine Ohren ein bißchen spitzen, denke ich mir. – Mein alter Lehrer hieß Löwekuhl! – Na, Löwekuhl, der für seine Zeit, es waren die fünfziger und die sechziger Jahre, ein äußerst fortgeschrittener Künstler war, hat, ebenso wie alles, was gut und teuer ist, unter seiner Epoche zu leiden gehabt. Davon weiß ja auch ich ein Liedchen zu singen. – Übrigens geh doch mal in die Küche und sieh nach der Uhr, Erwin. Ich glaube, ich muß mich langsam zurechtmachen. Um sechs Uhr zwei geht mein Zug.

Erwin. Also fährst du bestimmt heut nach Ratibor, Papa?

Peter Brauer. Ich fahre bestimmt nach Ratibor! Oder zweifelst du etwa am Ende ebenfalls an meinen Worten, wie leider meistens deine Mutter und deine Schwester Klara tun? Erwin platzt über eine Stelle in seinem Buche heraus. Darf ich dich fragen, warum du lachst?

Erwin. Ich lache nicht etwa über dich, Papa. Der Fritz Kalkbrenner, der jetzt das Romstipendium auf unserer Akademie bekommen hat, weißt du ja, hat mir bloß einen ganz ungeheuer gemeinen Schmöker gegeben.

Peter Brauer. Na ja, so seid ihr jungen Leute von heute. Mama denkt immer, ihr seid alle die reinsten Unschuldslämmer und zu meiner Zeit wären wir alle liederliche Lumpen und Taugenichtse gewesen. – Übrigens muß ich mit dir mal ein ernstes Wort sprechen, Erwin! – Hör mal: unterstütze mich doch bei Mama! Sonst kann ich wahrhaftig nicht in die Provinz reisen.

Erwin. Inwiefern, Papa, soll ich dich unterstützen?

Peter Brauer. Wegen der fünfunddreißig Mark. Du weißt ja, ich habe beim Mittagessen schon mehrmals drauf angespielt. – Kinder, ihr müßt vernünftig sein. Deine Mama versteht in mancher Beziehung noch immer die Anforderungen des Daseins nicht . . .

Erwin. Warum nicht, Papa? Ich verehre Mama in jeder Beziehung.

Peter Brauer. Verehre sie! Darum handelt es sich wahrhaftig nicht. Aber schließlich, wir beide sind Künstler: du und ich. Frau bleibt Frau! Natürlich kann eine Frau mir nicht das gleiche Verständnis wie du zum Beispiel entgegenbringen.

Erwin. Klara behauptet, daß jeder Versuch vergebens wäre. Mutter gäbe diesmal nicht eine Mark, geschweige fünfunddreißig heraus. – Ich habe es auch von Mutter selber.

Peter Brauer. Das zeugt, gelinde gesagt, von weiblichem Unverstand. Laß mal, sei du mal etwas einsichtig, lieber Sohn! Also: ich habe dir doch erzählt von der kleinen Gartenkapelle im Park von Exzellenz von Stolp auf seinem Gut in der Nähe von Ratibor. Ich habe den Auftrag in der Tasche. Du siehst, wie Mama und Klara mir zusetzen . . . Schluß damit! Mitesser! Einlieger! Was weiß ich! Übrigens habe ich ja schon längere Zeit mit dem Magen zu tun und bei Tisch so gut wie gar nichts gegessen. Na kurz: die Frauensleute wollen mich fort haben. Ich soll verdienen! Ich soll aus dem Haus. Klara übertrifft womöglich die Mutter noch darin, ihrem alten Vater das Haus zu verekeln. Nun gut: ich will ja und muß ja fort! Schließlich brenn' ich ja selber darauf, fortzukommen. Ich habe, weiß Gott, noch einen ganz gehörigen Posten Arbeitslust – und jetzt will sie nicht mit dem Reisegeld herausrücken.

Erwin. Mama sagt, du schickst es ihr nicht zurück.

Peter Brauer. Nun, und was hast du darauf erwidert?

Erwin zuckt mit den Achseln, verlegen. Ja, sieh mal, Papa, in solche Sachen, da mischt man sich besser . . .

Peter Brauer. Du hättest, nimm mir's nicht übel, Erwin, als echter und rechter Sohn, Charakter und Kunstgenoss' erwidern müssen: wenn Papa es gesagt hat – ein Mann, ein Wort.

Erwin. Wenn ich majorenn wäre, Papa, hätte ich dir's ja selbst gegeben.

Peter Brauer, erwärmt. Das weiß ich. Aber es freut mich trotzdem, daß du es sagst. Ich erwarte von dir nichts anderes, mein Junge. Du bist neunzehn Jahre, und du bist mein Sohn. Es ist mir in diesen neunzehn Jahren manchmal sauer genug geworden, aber ich habe doch den Mut nicht verloren und jeden Bissen Brot und jeden Pfennig mit euch geteilt. Er nimmt Palette, Malstock in die Linke, nähert sich seinem Sohne, setzt sich neben ihn auf die Bettstelle und legt ihm die rechte Hand zärtlich ins Genick. Erwin schmökert weiter, vornüber gebeugt. Von dir weiß ich wenigstens, daß du das im stillen doch immer anerkennst, mein Sohn. Dir wird es im Leben mal nicht so schwer werden. Du hast allerdings mein Talent geerbt und damit auch einen Teil von meinem Martyrium. Aber die Zeiten sind andere geworden. Sieh mal, ich war ein armer Lehrerssohn. Mein Vater war ein bornierter Abc-Pauker, der fünfundfünfzig Jahre in ein und demselben Dorfe Schulmeister war. Weder konnt' ich da auf Verständnis rechnen, noch genoß ich irgendeine Unterstützung von ihm. Im Gegenteil: wo er nur irgend konnte, hemmte er mich und hinderte mich! Wie in jeder Beziehung ganz anders und besser geht es da heute dir, mein Sohn! – Du mußt mir doch zugeben, daß du dich über Mangel an Verständnis von Seiten deines Papas nicht zu beklagen hast!

Erwin, abwesend. Aber ganz gewiß nicht, Papa.

Peter Brauer. Neidlos und freudig habe ich dein Talent von Anfang an . . . ja dein überlegenes Talent anerkannt.

Erwin, wie vorher. Papa, du sollst mich nicht schamrot machen.

Peter Brauer. Ach was, glaub doch nicht, daß fortwährend mit einer ätzenden Spottlauge übergossen werden, wie's mir passiert ist, besser für die Entfaltung eines Talentes als loben ist. Wahr ist wahr. Mir haben sie ungestraft Unrecht über Unrecht getan! Dich werden sie nimmermehr unterkriegen! Und ich sage dir, Schlingel, es ist deine eigene Schuld, wenn du nicht in acht Jahren Königlich Preußischer Professor und hier in Berlin Akademielehrer bist.

Erwin klappt das Buch zu. Der Geheimrat hat zu Mama gesagt: wenn Talent da ist, wird sich was machen lassen.

Peter Brauer. Ein Mensch wie du, lieber Erwin, braucht dazu nicht einmal einen Geheimrat im Kultusministerium. Sieh mich an! Meine Begabung hat sich durchgesetzt, ich habe mir weite Kreise errungen, obgleich ich dir nicht gewachsen bin und trotzdem sich seit nahezu vierzig Jahren nicht einmal eine Laus aus Regierungskreisen um mich bekümmert hat. Erblassend, mit Entschluß. Na, nun will ich mal zu Mama hineingehen.

Erwin. Papa!

Peter Brauer. Nun, was? Im Begriff, die Klinke der Tür links zu ergreifen, zögert er und wendet sich, nach Luft ringend. Erwin, willst du noch was?

Erwin. Wenn du mit Mama reden willst, Papa . . . willst du nicht lieber den Rock anziehen?

Peter Brauer. Warum?

Erwin. Ich denke, Mama liebt doch das Herumgehen in Hemdsärmeln nicht.

Peter Brauer. Die gute Mama hat Eigenheiten. – Gib mir also mal bitte meinen Flaus dort vom Nagel herab! Es geschieht. Mit Hilfe Erwins hat Brauer den Rock angezogen. Sag mal: ob ich mir . . . wenn du meinst . . . ob ich mir meinen Kragen und meinen Schlips – Warum denn nicht? – – am Ende noch umbinde? Er macht Anstalten dazu. Na also! – Ich habe ja doch gestern die halbe Nacht und heute fast den ganzen Tag genäht, gebürstet, mit Fleckwasser Flecke rausgerieben und meine Siebensachen für die Reise in Ordnung gebracht. Mit etwas peinlicher Schalkhaftigkeit, nachdem Kragen und Schlips angelegt sind. Was meinst du, soll ich mich so hineinwagen?

Erwin, herauslachend. Aber Papa, wie du doch wirklich manchmal komisch bist! Mama wird dich doch wohl wahrhaftig nicht auffressen! Ernster. Es ist doch keine Rede davon, daß Mama eine solche schrecklich gefährliche Dame ist.

Peter Brauer. Richtig: wieder dieses verfluchte Aufstoßen! Lieber warte ich noch einen Augenblick. Es stößt ihm auf, er läßt sich in einer Anwandlung von Schwäche auf einen Stuhl nieder, nach Luft ringend. Lehre mich deine Mutter nicht kennen. Ich weiß am besten, seit sie zu meinem Vater in die Dorfschule ging – mit langem, dunklem, offnem Haar in die Dorfschule ging, mein Sohn –, was von deiner Mama zu halten ist! . . . In die Dorfschule ging . . . Aber es gibt eben leider Fragen, worin wir seit nahezu dreißig Jahren und heute mehr als je anderer Ansicht sind! Ich habe doch kein Natron gegessen? Er tut einige Schritte gegen die linke Tür. Sagtest du was?

Erwin. Nein, nein, Papa! Ich glaube nur, offen gestanden, wie ich dir ja vorhin schon sagte, daß deine Bitte an Mama zwecklos ist.

Peter Brauer kommt zurück. Erwin, ich habe euch diese Wohnung gemietet. Das Speisezimmer ist neu möbliert. Der kleine Salon ist frisch ausgestattet. Um die Weihnachtszeit hat Mama selbst gesagt, sie hätte sich seit Jahren nicht so behaglich gefühlt, wie sie sich seit Oktober befunden hat. Habt doch nur Einsicht! Unmöglich kann doch die gute Mama an einer so falschen Stelle sparsam sein! Das hieße ja doch euch ins eigene Fleisch schneiden.

Erwin. Um mich handelt sich's ja bei der Sache nicht.

Peter Brauer. Doch, doch, es handelt sich auch um dich, bester Erwin! Denn wenn ich, was absolut sicher ist, mit dem kleinen Reisebetriebsfonds etwas erwerben kann, so kommt es natürlich uns allen zugute.

Erwin. Du verstehst mich nicht recht. Ich wollte nur sagen: wenn ich Geld hätte, brauchtest du nicht zu Mutter hinein.

Peter Brauer. Mutter ist gegen mich leider, ich weiß nicht durch wen, absolut voreingenommen und geradezu ungerecht. – Es hilft nichts: ich muß die Geschichte durchfechten. Er geht mit Entschluß durch die Tür links ab.

Klara Brauer kommt von rechts. Sie hat die Tür mit einem Drücker geöffnet. Sie ist im einundzwanzigsten Jahr, ohne weiblichen Reiz, einfach gekleidet und trägt ein Paket Schulbücher und Hefte unterm Arm. – Pelzbarett, Pelzboa, Jackett, schlechtes Schuhwerk.

Klara, ziemlich echauffiert, hastig. Na, hat sich Papa aus dem Staube gemacht?

Erwin, der wieder geschmökert hatte, schrickt auf. Pst! Er legt die Hand auf den Mund und zeigt alsdann auf den Koffer, der unter dem Bett hervorsieht. Er ist noch hier! Er ist eben zu Mutter hineingegangen.

Klara stutzt. Was will er von Mutter?

Erwin. Die alte Geschichte. Das weißt du ja doch.

Klara. Sie wird ihm was pusten und wird ihm Geld geben.

Erwin. Offen gestanden, Klara, begreif ich dich und Mama manchmal nicht.

Klara. Sollen wir etwa die paar Notpfennige, die uns bleiben, um Papas schöner Augen willen auch noch auf die Straße schmeißen?

Erwin. Nein! Aber zum Fenster hinausgeworfen ist es eben in diesem Falle auch nicht.

Klara. Vollständig zum Fenster hinausgeworfen!

Erwin. Das kann ich nicht finden, wenn Papa, wie er sagt, auf einem Gute in der Nähe von Ratibor einen Gartensalon auszumalen hat. Das ist ein Auftrag, der wird ihm auch Geld bringen.

Klara. Du Unschuldskind! Papa phantasiert wieder mal ohne Hitze! Das ist alles aus den Fingern gesogen!

Erwin. Nein, Klara, so weit wie ihr geh' ich in meinem Mißtrauen gegen Papa wirklich nicht. Gut, er behilft sich manchmal mit Ausflüchten. Dessen bin ich mir aber fast sicher, daß an dem Auftrag mit dem Gartensalon was Wahres ist.

Klara. Basta! Wir wollen uns wieder sprechen.

Erwin. Ihr stellt es immer so hin, liebe Klara, als ob Papa immer nur die Unwahrheit sagte und absolut zu nichts mehr nütze sei. Hat er nicht im Oktober Maman die hübsche Wohnung gemietet und sogar für ein halbes Jahr die Miete vorausbezahlt?

Klara. Ja, was mir noch heute dunkel . . . was mir noch heute unheimlich ist.

Erwin. Und hat er nicht, ganz aus eignem Verdienst, Spiegel, Kommode, Waschtisch, Sofa, Schrank und Teppich besorgt und Maman die ganze Wohnung frisch eingerichtet?

Klara. Das hat er! Aber Gott mag auch wissen, wie das eigentlich zugegangen ist.

Erwin. Das ist äußerst einfach zugegangen. Papa hat eben den ganzen vergangenen Sommer lang in verschiedenen großen Bier- und Weinlokalen der Friedrich- und Leipziger Straße alte, verräucherte Ölbilder rein gemacht: und was er dabei verdient hat, ist auf Miete und Möbel draufgegangen.

Klara. Bis dann wieder im Laufe des Winters Möbelstück auf Möbelstück – das einzige Sofa ist noch übrig! – selber draufgegangen und zu Gelde gemacht worden ist.

Erwin. Immerhin waren es doch Papas Möbel.

Klara. Meinetwegen! wir wolln mal so sagen! Ja!

Erwin. Wir wollen mal so sagen?

Klara. Übrigens ist mir die Sache Wurst. Ich habe ganz andere Dinge im Kopfe. Meine Sache steht gut, hat mir Fräulein Zillweindel heute gesagt. In vierzehn Tagen habe ich meine Kindergärtnerinprüfung hinter mir, Juni werde ich majorenn, und dann kommt das Weitere.

Peter Brauer kommt wieder durch die Tür links.

Peter Brauer. Ah, du bist hier! Guten Tag, meine Tochter.

Klara, mit Kälte. Wie?

Peter Brauer. Nichts. Wenn du erlaubst: ich hatte dir bloß guten Tag gesagt.

Klara. Guten Tag.

Peter Brauer. Nun, hast du den großen Mann gesprochen?

Klara. Welchen großen Mann?

Peter Brauer. Seine Exzellenz, den Herrn Geheimbderat.

Klara. Ich habe allerdings Herrn Geheimrat gesprochen. Wenn er auch heute noch nicht Exzellenz ist, einmal wird er es sicherlich. Und was den großen Mann anbelangt, darüber gibt es verschiedene Ansichten. Mancher dünkt sich groß, der mitunter nicht Herr über eine Briefmarke ist. Sie geht brüsk an Brauer vorüber durch die Tür links ab.

Peter Brauer. Jede Sünde wird dem Menschen vergeben, aber das leiseste Wort gegen ihren Geheimrat wird einem von den Frauensleuten nicht vergeben. Und doch war der ganze ungeheure Geheimrat Hommel mal nichts weiter als bei meinem seligen Vater in Neuhaus in Schlesien simpler Schuladjuvant. Wie sich die Zeiten doch manchmal ändern! – Er war nicht dumm! Er hat immer auf seinem Vorteil zu laufen gewußt! Zum Beispiel mußten die Kinder ihm Äpfel mit in die Schulstunden bringen. Die fraß er vor aller Augen auf, und wir Kinder genossen der großen Ehre, uns um die Schalen raufen zu dürfen. Bis ihm mein Vater dahinterkam und sein schönes Äpfelgeschäft leider pleite ging. – Aber es war mit ihm immer so: wurde er pleite, morgen hatte er schon ein anderes, meist beßres Geschäft aufgemacht.

Erwin. Du magst den Geheimrat nicht, Papa, und doch sind wir ihm vieles schuldig geworden.

Peter Brauer. Gott, sieh mal, Erwin: ich mag ihn nicht, ist zuviel gesagt. Er war mir nur immer unsympathisch. Naturen wie er und ich vertragen sich nicht. Mein Dickkopf von Vater verehrte ihn abgöttisch. Deshalb ist er ja auch so geschmackvoll gewesen, meine Wenigkeit, seinen einzigen Sohn, ganz zu übergehen, und hat den idealen Herrn Hommel zum Verwalter des euch hinterlassenen kleinen Vermögens eingesetzt. Nun, ich bin euer Vater! Ich hätte euch auch nicht darum betrogen.

Erwin. Hast du mit Mutter gesprochen, Papa?

Peter Brauer. Nein! Ich war, offen gestanden, zu feig dazu. Er nimmt Platz und scheint nachzudenken. Weiß Gott, ich habe die halbe Nacht, weil ich vor Schmerzen hier in der Lendengegend nicht recht schlafen konnte – übrigens, bitte, sprich nicht davon! –, also ich habe die halbe Nacht immer wieder die Sache von vorne bis hinten durchgedacht. Meinethalben: 's ist lächerlich! aber ich weiß im Augenblick ganz tatsächlich nicht, wo ich die lumpigen vierzig Mark zu meiner Geschäftsreise anders hernehme. Wenn mit den Weibern zu reden wäre! Zum Beispiel hat doch Klara sicherlich heute beim Geheimrat ihre Aprilrate abgeholt. Wenn sie mit ihrem Vater konform wäre, ich hätte schon längst meinen Malkasten komplettiert und mich selbst und mein bißchen Gepäck zur Bahn gebracht. Ich will ja doch wirklich niemand zur Last liegen.

Erwin. Ich werde mal vorsichtig horchen, Papa, ob Mutter und Klara nicht am Ende doch umzustimmen sind.

Peter Brauer. Und ich will mal den Koffer fertig packen. Während Erwin sich durch die Türe links entfernt, erhebt sich Peter Brauer und macht sich etwas kurzatmig daran, den Koffer unterm Bett hervorzuziehen, um noch dies und jenes darin unterzubringen. Mittlerweile klopft es an die Tür rechts. Wer ist da? Immer Geduld! Ich bin schon zur Stelle. Peter Brauer öffnet, und der Althändler Carlowitz erscheint. Carlowitz, zwischen vierzig und fünfzig, ist kein Wiener, trägt sich aber mit einer etwas fiakermäßigen Eleganz.

Carlowitz. Herr Brauer höchstselbst! Mir, offen gestanden, sehr angenehm.

Peter Brauer, nicht gerade angenehm berührt. Sieh da, sieh da, Herr Carlowitz! Treten Sie näher! Platzen Sie sich!

Carlowitz. 's ist wieder mal ein säuisches Märzwetter draußen. Wenn Sie nix dajejen einzuwenden haben, entledje ich mir von meine Jummischuh'.

Peter Brauer. Bitte entledjen Sie sich nach Belieben.

Carlowitz. Damit wollen Sie woll uff 'ne zarte Weise andeuten, daß ick mir nach Belieben an irjendeene Türklinke uffhängen kann, oder nich!? Den Jefallen kann ick Ihn noch nicht dun, Herr Professer.

Peter Brauer, trocken. Das ist wirklich schade, Herr Carlowitz. Was macht Ihre Frau?

Carlowitz. Schlecht! Meine Frau liecht'n janzen Tag uff de Chäselong und macht kalte Umschläge. Sonst mache ick alles. Sonst macht se nischt. Et is ooch besser, det se nischt macht, denn seit det se det Koppleiden nu eenmal hat, hat se ooch in Jeschäft, wo se doch frieher Jeschäftsfrau durch und durch jewesen is, in de letzte Zeit bloß alles verkehrt jemacht. Ick habe bloß Hals über Kopp zu dun, det ick alles richtig wieder zurechtschiebe. Er tritt vor die Staffelei und macht Kennermiene. Wieder scheene Bilder jemalt?

Peter Brauer. Was, da läuft Ihnen wohl das Wasser im Munde zusammen, Carlowitz?

Carlowitz. Nich janz. Wat mach' ick ooch weiter lange Umstände? nich? wo wir doch jerade mal unter vier Oogen sind. Wir sind doch woll unter vier Oogen? nich?

Peter Brauer, trocken. Ich habe zwei! Wenn Sie also auch nicht mehr wie zwei haben . . .

Carlowitz. Jut, jut, jut, jut! Aber ick habe keene Zeit un bin ooch zu Witze nich jerade besonders uffjelegt. – Sie wissen doch, det meine Frau hinter meinen Ricken September verjangenes Jahr den Meebelkauf mit Sie abjeschlossen hat. Er zieht eine Brieftasche. Ick habe den Kaufvertrag in de Tasche. Zweihundert Mark sind anjezahlt, dreihundert Mark sind am ersten Januar fällig jewesen, wo ick leider auf Reise in de Danzijer Jejend wejen alte Schränke und verschiedene Auktionen jewesen bin. Nu hat meine Frau sich breitschlagen lassen und hat bis Anfang April prolongiert. Det stimmt doch?

Peter Brauer. Stimmt!

Carlowitz. Und det is doch ooch richtig, det jeben Se zu, det de janze Summe von achthundert Mark am ersten April, det is in drei Tagen, fällig is?

Peter Brauer. Wann?

Carlowitz. Oder wollten Se det womeechlich nich zujeben?

Peter Brauer, trocken. Sagen Sie mal, für was halten Sie mich?

Carlowitz. Det muß ick erst sehen, det wird sich zeijen. Heute weeß ick det so jenau noch nich. Also, det wird die Frache sein: kann ick zum Ersten uff Kasse rechnen?

Peter Brauer. Hm! – Sie scheinen mir doch für die Diplomatenkarriere nicht gerade besonders geeignet zu sein. Ich hätte beinahe den Fehler gemacht und Ihnen was Rauchbares angeboten. – Vergessen Sie bitte nicht, wer ich bin! Solange Sie das nicht ganz genau wissen, trete ich, auf Ehre, in irgendeine Verhandlung mit Ihnen nicht weiter ein.

Carlowitz. Det kenn' ick, det sind faule Redensarten! Solche Redensarten hab' ick jahraus, jahrein von richtige Vons, von Leutnants und von Barone jenug zu heeren jekricht. Da bin ick, wenn't ernst wird, unempfindlich. Außerdem, wir sind beede man bürjerlich. Ich bin . . .

Peter Brauer, heftig unterbrechend. Sie sind ein Banause, und ich bin Künstler! Künstler bin ich! Verstehen Sie mich? Sie befinden sich hier bei einem Manne, der einen allgemein geachteten Namen hat! Einen Künstlernamen, verstanden? Sie befinden sich hier in Gesellschaft eines Gentleman, der, ich verbitte mir das! . . . der mit Ihren Genossen vom Trödelmarkt unbedingt nicht zu verwechseln ist!

Carlowitz. Herrjeh nee! ick due Se ooch nich verwechseln! Sie sind der Mann, der mir, sage und schreibe, achthundert Mark, nich mehr un nich wenijer, schuldig is.

Peter Brauer. Und Sie? Und Sie? Was sind denn Sie mir schuldig?

Carlowitz. Ick? Ihn? Da lach' ick doch, det mir de Weste platzt.

Peter Brauer. Mensch! ich habe Ihnen dreimal den Alten Fritzen, sechsmal den alten Kaiser Wilhelm, zwei Stück Kaiser Friedrich, zwölf Stück Kaiser Wilhelm den Zweiten in Öl gemalt! Für ein Lumpengeld in den Rachen geschmissen. Das ist Ihnen, Stück für Stück, in Ihrem verdammten fulstrigen Kramladen für dreißig, vierzig, fünfzig, sechzig und mehr Mark abgegangen! Ich habe von Ihnen pro Stück sechs Mark und höchstens acht Mark fünfzig gekriegt.

Carlowitz. Det is reichlich jenug! Wo bleibt sonst der Goldrahmen?

Peter Brauer. Ochse! Denken Sie vielleicht, daß der Wert eines Bildes der Goldrahmen ist? Und wofür sind Sie denn ein verpfuschter Tischlergeselle? Werden denn nicht in Ihrer Fälscherbudike für sogenannte antike Möbel aus alten Holzabfällen schockweise solche Dinger gemacht? Hol' Sie der Teufel mit Ihren Frechheiten!

Carlowitz. Jut so! Un nu verklagen Se mir zu juter Letzt am Ende noch wejen Beleidijung!

Peter Brauer, barsch, reicht ihm Zigarrentasche. Bessern Sie sich, und stecken Sie sich, da! hier! eine von meinen Havannas an!

Carlowitz. Sie sind'n janz spaßhafter Kopp, Herr Professer. Trotzdem, for Ihre Zigarre danke ick! Will ick roochen, hab' ick ja selber welche. Jeschäft is Jeschäft! un denn heeßt es Spaß beiseite bei mir. Die Frage wird die sein: kann ick uff Zahlung rechnen?

Peter Brauer. Das wird sich am Ersten zeigen, Herr Carlowitz.

Carlowitz. Un det is alles? Mehr sagen Se nich?

Peter Brauer. Nicht, solange Sie diesen Ton anschlagen.

Carlowitz. Na, denn will ick mal meinswejen ölig wie'n Friseur oder wie'n Oberkellner bei Dressel sind. Wenn's jefällig is, will ick mir Handschuhe anziehen: wollten jehorsamst den Herrn Professer jebeten haben, ob er einem ehrlichen Mann und Jewerbetreibenden jietigst will kund und zu wissen tun, wie daß ick zu meinem Jelde komme.

Peter Brauer. Na, nu mal gemütlich, Carlowitz! Der Winter war schlecht: das leugne ich nicht. Es ist mir nicht anders wie Ihnen gegangen: ich habe ebenfalls unter der allgemeinen geschäftlichen Krisis zu leiden gehabt. Bargeld ist knapp! Kein Mensch will was ausgeben. Die Herren Gelehrten zerbrechen sich mal wieder die Köpfe ganz vergeblich, um rauszukriegen, womit der in allen fünf Weltteilen spürbare miserable Geschäftsgang zusammenhängt. Der Dalles geht in die höchsten Kreise. Ich sage nicht, daß ich im Dalles bin. Aber ich habe im ganzen diesen Winter bloß drei Porträts nach dem Leben gemalt: einen Geheimrat Hommel im Kultusministerium, einen Major und einen Zuschneider an der Schneiderakademie. Jedes Porträt nach dem Leben zu fünfhundert Mark. Was glauben Sie: ich habe bisher knappe vierhundert Mark, im ganzen, von allen drei Bildern hereinbekommen. So stecken gutsituierte Menschen heut allgemein in der Tinte drin.

Carlowitz. Det mag alles so weit janz richtig sein . . .

Peter Brauer. Halten Sie doch mal die Schnauze! bitte! Reden Sie, wenn ich fertig bin! Dort steht mein Koffer! will heißen, daß ich in die Provinz reise, will heißen, daß ich von einem Landrat und einem reichen Kohlenhändler beauftragt bin, zwei große Familienbilder zu malen, wozu noch eine Halle kommt oder ein Gartensalon im Park eines Herrn von Stolp, den ich mit Kaseinfarben ausmalen soll. Daraus folgt – kapiert? –, daß niemand an mir auch nur einen sogenannten roten Heller verlieren wird. Kapiert? Oder ist das am Ende auch noch zu hoch für Sie, Carlowitz?

Carlowitz. Det klingt alles janz scheen, aber ernst nehm' ick et nich. Lieber mecht' ick ma Ihre Frau sprechen.

Peter Brauer. Sind Sie größenwahnsinnig, Carlowitz!?

Carlowitz. Ick nich! au contraire! aber Sie vielleicht! Wenn ick wie Sie wär' und täte heute in Ihre Haut stecken . . . un steckte so wie Sie in diesen Mommang in Jlashause drin, ick wollte mit Redensarten, weeß Jott, nich so patzig sind.

Peter Brauer. Was wollen Sie damit sagen? Hm?

Carlowitz. Ick will damit weiter jar nischt sagen als so viel: et gibt eenen Staatsanwalt!

Peter Brauer. Aber bitte, sonst fehlt Ihnen doch hoffentlich weiter nichts, lieber Carlowitz? Beide schweigen eine Zeitlang, Carlowitz erbost, Brauer merkbar erregt und überlegend. Peter Brauer, sehr leise. Begründen Sie also jetzt Ihre unverschämte Drohung, wenn ich gefälligst ersuchen darf.

Carlowitz. Wat soll da jroß zu bejrinden sind? Meine Verträge sind so jestellt, det meine Meebel mir jeheeren, bis det de letzte Rate richtig jelegt worden is. Wenn nu also'n Kunde nich zahlt und verkooft meine Meebel anderweitig, wo er jar nich det Eijentumsrecht besitzt, denn mischt sich eben, wie bei uns die Jerichte nu eenmal sind, de Staatsanwaltschaft in die Jeschichte. – Det werden Se woll so jut wie ick wissen.

Peter Brauer. Wer sagt Ihnen, daß ich die Möbel verkauft hätte?

Carlowitz. Det sagt der Portier, der Schuster, wo unten im Keller is.

Peter Brauer. So! Ich werde dem Schuft und Ehrabschneider einen Prozeß wegen Verleumdung an den Hals hängen.

Carlowitz. Tun Se det man! Warum denn nich? Wenn Se freilich jescheit sind, kann ich Ihn raten, denn lassen Se lieber die Finger von.

Peter Brauer nimmt seinen Hut. Der Schweinehund soll mir das ins Gesicht sagen!

Carlowitz. I, hier steht et schriftlich, mit Unterschrift. Fortjeschafft sin: een Spiegel! een Nußbaumvertiko! 'n Tisch, zwee Plüschsessel, sechs Stühle, zwee Bettstellen und een jroßer Kleiderschrank! Jeben sich man! Da hilft keen Maulspitzen.

Peter Brauer. Carlowitz, Sie kennen mich seit zwei Jahren als Ehrenmann. Der Kerl da im Keller ist mir viel zu gemein, als daß ich mich mit ihm abgeben möchte.

Carlowitz. Aha! Ick verstehe.

Peter Brauer. Viel zu plebejisch und gemein! Also: die Sachen sind alle vorhanden.

Carlowitz. Jut, det steht ja bei Ihnen! Denn kenn wir ja jleich ma'n Jang durch de janze Wohnung jehn.

Peter Brauer. Carlowitz, Sie beleidigen mich! Die Möbel sind da! Wem wollen Sie mehr glauben? Diesem bestraften Proleten im Keller oder mir, der bis zum heutigen Tage bürgerlich durchaus unbescholten ist?

Carlowitz. Wat ick sehe, det jloob' ick, sonst jloob' ick nischt. Warum wollen Se denn nich, wo ick jut jenug bin for Bilderabkoofen und Meebelliefern, mecht' ich wissen, nich mit mir durch de Wohnung jehn?

Peter Brauer. Weil meine Frau nervenkrank und beim Medizinalrat Kolb in Behandlung ist. Wenn ich mit Ihnen jetzt erscheine, das wirft sie mir Wochen und Wochen zurück.

Carlowitz. Ick kann ja janz still sind. Ick rede keen Sterbenswort.

Peter Brauer. Das hilft nichts, und wenn Sie sich unsichtbar machen. Ich sage Ihnen, meine Frau hat eine Art Instinkt, einen jetzt noch durch ihre besondere Krankheit geschärften Blick. Ich gewärtige eine schwere Krise. Sie werden nicht wollen, daß sie mir womöglich einer solchen Lappalie wegen zusammenbricht! Kurz: die Möbel sind da! Lassen Sie doch das Achselzucken. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort . . .

Carlowitz. Wat tu' ick mit Ihrem Ehrenwort?

Peter Brauer, mit der Allüre knirschender Wut. Carlowitz, machen Sie sich nicht unglücklich!

Carlowitz. Det is et! Det jebe ick Ihn zurück! Ich kann hier nich meine Zeit verdämpern. Schluß! Det wird also nu mein janz bestimmter und letzter Vorschlag sind. Ick warte also dem Ersten ab! Ick warte also ooch noch bis zum Fünfzehnten: denn hab' ick entweder det janze Jeld oder eene Rate von dreihundert Mark und'n Schriftstück, unterschrieben von Ihrer Frau und von Ihre zwee Kinder, in de Hand, det se for alles weitere jutsagen. – Oder Se kennen bestimmt druff rechnen, denn es is nich alleene bloß diese Jeschichte, det Se am Sechzehnten, Siebzehnten wejen Betrug verhaftet sind. Er hat während dieser erregten Rede seine Gummischuhe angezogen und läuft jetzt durch die Tür rechts schnell ab.

Peter Brauer glotzt gegen die Tür, die er hernach hinter Carlowitz zuschließt. Er bewegt sich gegen das Bett hin, bleibt stehen, um einen asthmatischen Anfall zu überwinden. Hastig zündet er seinen kaltgewordenen Zigarrenstummel wieder an und nimmt tiefe Züge. Gleich darauf legt er ihn weg und läßt sich der Länge nach aufs Bett fallen, wo er mit ringenden Atemzügen liegenbleibt.

Frau Thekla Brauer erscheint von links; bald darauf Klara und Erwin.

Frau Thekla Brauer, zarte Erscheinung, ernstes, großäugiges Gesichtchen wie Milch und Blut, zugleich süß und streng. Gegen vierzig Jahre alt, der Erscheinung nach nicht über achtundzwanzig. Schwarzer, anliegender, schlichter Rock, Spitzenkragen über den feinen Schultern, gutes Schuhwerk, glatte Frisur, alles vollkommen gepflegt. Sie geht sogleich hastig auf das Fenster zu und öffnet es. Pfui Teufel, hat dieser Mensch wieder alles vollgeraucht! Sie bemerkt Brauer. Ich sag's ja: man kriegt diesen Menschen nicht vom Halse! dieses träge Pferd nimmt den Mund voll und schwatzt von Arbeiten! will reisen! will Geld verdienen! und räkelt sich seit drei Wochen in den Zimmern herum.

Peter Brauer. Thekla, Thekla, vergiß dich nicht!

Frau Thekla. Wann wird dieser Mensch wohl begreifen, daß er ein unnützes Fettgewicht und seiner Familie nur lästig ist! Wenn er sich doch um Gottes und Christi willen wenigstens mal drauf besinnen möchte, an welcher Stelle der Zimmermann das Loch gelassen hat!

Peter Brauer, mühsam, asthmatisch, ergeben. Thekla, die Kinder! Thekla, die Kinder!

Frau Thekla. Ja leider! Die Kinder kennen dich nicht. Die Kinder werden es noch erleben, daß ihnen die Last eines kranken und hilflosen Mannes das bißchen Hoffnung und Freude am Leben vergällen und das bißchen Zukunftsmusik der kleinen Großvatererbschaft auffressen wird.

Peter Brauer. Thekla!

Frau Thekla. Ach was Thekla! Geheimnisse gibt's zwischen mir und den Kindern nicht. Sie sollen dich nicht in Verklärung sehen. Sie mögen dich sehen, wie ich dich leider sehen gelernt habe und wie du bist: eine Last! keine Stütze unserer Familie! Sie geht in das Nebenzimmer, die Tür bleibt offenstehen.

Peter Brauer nimmt mit einem Ruck die Beine vom Bett und sitzt aufrecht. Nun, was sagt ihr zu eurer Mama, Kinder?

Klara. Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht, ganz natürlich.

Peter Brauer. Klara, sollte wirklich in dir nicht der allerkleinste Funken kindlicher Liebe mehr für deinen alternden Vater vorhanden sein? Er rafft sich gewaltsam auf. Donnerwetter, ich bin unter Hyänen geraten – Lieber will ich doch betteln, will ich doch Mist laden, will ich doch Kloaken ausräumen, will ich doch unter Schweinen, wenn ich nur Ruhe vor den lieben Meinigen habe, Treber fressen gehn!

Klara, zu Erwin. Was sagst du dazu? Solche Redensarten führt Papa in unseren vier Wänden und schämt sich nicht. Sie geht schnell ab ins Nebenzimmer.

Peter Brauer erhebt sich. Ich weiß nicht, Erwin, wieso das über mein Dasein verhängt worden ist. Ich muß mal vor meiner Zeit – bevor ich geboren wurde, mein' ich – auf eine furchtbare Weise gegen den lieben Gott im Himmel gesündigt haben. Sonst verstehe ich dieses ausgesucht miserable Schicksal, das mich an meinem Herde heimsucht, wahrhaftig nicht. – Junge, du mußt mir vierzig Mark schaffen!

Erwin. Ich habe sechs Mark! Hier sind sie! Mehr hab' ich nicht!

Peter Brauer nimmt das Geld, das Erwin ihm bietet, dreht seine Taschen um. Gut! So sieht's bei mir aus! Aber dennoch: ich gehe! Mach keine Redensarten: ich gehe, und wenn ich am nächsten Prellstein verrecken muß.

Erwin. War denn nicht jemand bei dir, Papa?

Peter Brauer. Ein Kerl, dem ich Gott sei Dank nichts schuldig bin! Sonst Gnade mir, denn der kennt kein Erbarmen! Harpyien! Wenn du älter wirst, Erwin, wirst du vielleicht mal finden, daß die Welt angefüllt mit Harpyien ist, die den Menschen mit Schnäbeln und Krallen bei lebendigem Leibe entzweireißen.

Erwin. Papa, du gebrauchst aber wirklich viel zu schroffe Ausdrücke gegen Klara und gegen Mama.

Peter Brauer. So!? Höre nicht drauf! Vergiß sie, mein Sohn. – Und jetzt hilf mir mal meinen Koffer zumachen.

Koffer und Malkasten werden geschlossen, Blendrahmen, Feldstuhl, Malstock, Malerschirm zusammengebunden, einige Blendrahmen dazugestellt, ein altes Plaid darübergeworfen und alles traggerecht mit Riemen zusammengeordnet. Klara kommt wieder.

Klara. Mama schickt dir acht Mark, aber nur unter der Bedingung, wenn es deine bestimmte Absicht ist, deine Reise wirklich im Augenblick anzutreten.

Peter Brauer. Mit Wonne genehmigt, mein zärtliches Kind. Er richtet sich auf, asthmatisch, und streicht das Geld ein. Und nun grüße Mama, und laßt es euch gut gehen.

Klara. Mama nimmt an, du würdest bis ersten Juli in der Provinz bleiben.

Peter Brauer, indem er sich einen Teil des Gepäcks auflegt, Erwin den anderen. In der Provinz oder in jener Provinz! Adieu, liebes Klärchen! Nichts für ungut! Sage Mama, der Alte wird entweder am ersten Juli mit reichlichen Honoraren beladen erscheinen und hoch willkommen sein oder woanders! Dann laßt mir auf meinen Grabstein setzen: Gott hab' ihn selig! Er ist tot.

Klara. Das sagst du ja stets! das macht keinen Eindruck!

Peter Brauer. Zum Kampf der Wagen und Gesänge! Was nutzt das alles! Frisch, Erwin! Märzluft! Wir sind zwei fidele Malersleut'! Erwin und Peter Brauer ziehen ab mit allem Gepäck durch die Tür rechts. Klara schließt hinter ihnen die Tür.

Klara, mit einem etwas gedämpften Freudenausbruch. Er ist fort! Er ist fort! Er ist fort, Mama!

 


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