Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erster Akt

Ein Bauernzimmer, Kellerwohnung. Durch zwei links hochgelegene Fenster fällt das Dämmerlicht eines Winterspätnachmittags. Unter den Fenstern steht ein Bett aus weichem, gelbpoliertem Holz, darin Frau Henschel krank liegt. Sie ist eine Frau von etwa sechsunddreißig Jahren. Nahe dem Bett die Wiege mit ihrem halbjährigen Töchterchen. Ein zweites Bett an der Hinterwand, die, gleich den übrigen blau getüncht und gegen die Decke mit einem dunklen Streifen abgesetzt ist. Rechts vorn ein großer brauner Kachelofen mit Ofenbank. In der geräumigen »Helle« ist viel kleingehacktes Brennholz aufgestapelt. Die Wand rechts enthält eine kleine Tür zur Kammer. Hanne Schäl, junge stramme Magd, ist in voller Beschäftigung; sie hat die Holzlatschen beiseite gestellt und läuft in den dicken blauen Strümpfen herum. Sie schiebt einen eisernen Topf, in dem etwas kocht, aus dem Röhr und wieder hinein. Kochlöffel, Quirl, Durchschlagsiebe liegen auf der Bank, ein großer, irdener, bauchiger Krug, der in einen Flaschenhals ausläuft und verstöpselt ist; der Bornkrug steht auch darunter. Hannes Röcke sind in einen Wulst gerafft, ihr Mieder ist schwärzlichgrau, die nervigen Arme trägt sie bloß. Um den Ofen herum läuft oben eine vierkantige Stange; lange, sogenannte Jagdstrümpfe sind über sie zum Trocknen aufgehängt, außerdem Windeln, Lederhosen mit Bändchen und ein Paar Wasserstiefel. Rechts davon eine Lade und ein Schrank; alte, bunte schlesische Stücke. Durch die offene Tür der Hinterwand sieht man in einen dunklen, breiten Kellergang und gegenüber auf eine Glastür mit bunten Scheiben; hinter ihr eine Holztreppe nach oben. Auf dieser Treppe brennt immer eine Gasflamme, so daß die Scheiben durchleuchtet sind. Es ist Mitte Februar und im Freien stürmisch.

Franz, ein junger Kerl in einfacher Kutscherlivree, zum Ausfahren fertig, guckt herein.

Franz. Hanne!

Hanne. Nu?

Franz. Schläft de Henscheln?

Hanne. Woas denn suste? Mach ock ni Lärm.

Franz. Die Tieren schloan wull genung ein Hause! Wenn se dodervone nich ufwacht –! Ich foahr' uf Walmbrich mit 'm Kutschwoane.

Hanne. War fährt denn mite?

Franz. De Madam; eikeefa! zum Gebortstich.

Hanne. War hot denn Gebortstich?

Franz. Korlchen!

Hanne. Die hon o asu a bißla Zucht. De Fare eisponn wega dan tumma Junga; bei su am Water uf Walmbrich reesa!

Franz. Ich hoa ju a Pelz!

Hanne. Die wissa reen goar nee, wie se's sulln nausschmeißa, 's Geld, mir missa ins obrackern!

Der Tierarzt Grunert erscheint, langsam suchend, hinten im Gange; ein kleiner Mann im schwarzen Schafpelz, mit Baschlikmütze und langen Stiefeln. Er schlägt mit dem Peitschenstiel gegen die Türumrahmung, um sich bemerklich zu machen.

Grunert. Is Henschel Willem noch ni derheeme?

Hanne. Woas sol denn sein?

Grunert. Ich kumm' ebens wegen dan Wollach.

Hanne. Do sein Sie d'r Dukter aus Freibrich, gell? A is ni d'rheeme, Henschel. A is au nunder uf Freibrich, mit Fracht; mich deucht, Sie meßta'n getroffa hon!

Grunert. Ei welchen Stoalle stieht denn dar Wollach?

Hanne. 's is halt d'r grüße Fuchs mit dar Blesse. Se hoan a glee ei a Goststoal gezeun. Zu Franz. Koanst amol miitegiehn; koanst's 'n zeiga.

Franz. Ieber a Hof nieber, immer aninger, undern Soale, n'ber dar Kutschastube nei. Freun S' ock a Friedrich, dar werd Ihn Bescheed soan.

Grunert ab.

Hanne. Nu gieh ock miite!

Franz. Huste nee a poar Fennige Kleegeld fer mich?

Hanne. Ich sol wull mei Lader verkeefa, wejen denner?

Franz kitzelt sie. Ich keef's glei!

Hanne. Franze! Luß doas! De Frau sol wull ufwacha!? Nach dem Gelde kramend. Wenn du een ock konst a poar Biehma rauslocka! Suster is dir ni wohl. Reen obgebrannt is ma. – Dohie! Sie drückt ihm etwas in die Hand. Nu mach dich!

Eine Schelle wird angezogen.

Franz, erschrocken. D'r Herr! Hadje! Schnell ab.

Frau Henschel ist erwacht und sagt schwach. Madel! – Madel! – Hierschte denn goar nee, Madel?

Hanne, grob. Woas is denn?

Frau Henschel. Sullst druff hiern, wemma dich rufft!

Hanne. Ich hier' ju; wenn Se ni lauter spreche, do koan ich ni hiern! Ich hoa o ock zwee Ohrn.

Frau Henschel. Kimmste m'r wieder fläm'sch, Madel?

Hanne, kurz. Oh, vor mir!

Frau Henschel. Is doas wull recht, hä? Sullst du an kranka Weibe asu iebersch Maul foahrn!

Hanne. War fängt denn oa! Wenn Sie ock ufwacha, gieht's Kujeniern lus. Do is o reen nischte ni recht, ma macht's nu asu oder asu.

Frau Henschel. Weil du nee fulga koanst.

Hanne. Do macha S' Ihn an Sache salber. Ma schind sich a ganza Tag und de hoalbe Nacht, oaber wenn doas asu is, do gieh' ich schunn lieber menner Wege! Sie läßt den aufgebundenen Rock herunter und rennt hinaus.

Frau Henschel. Madel! Madel! Tu m'r ock doas ni oa. – – Woas hoa ich denn wieder Bieses gesoat!? – Nee, jemersch, jemersch! woas sol denn warn, wenn de Moansbilder kumma? Die wulln doch assa. – Nee Madel – Madel ... Sie sinkt erschöpft zurück, wimmert leise und fängt an, die Wiege am Bande leise zu wiegen.

Durch die hinten sichtbare Glastüre drückt sich mit einiger Mühe Karlchen. Er trägt einen Topf Suppe und bewegt sich ängstlich und sorgfältig bis an das Bett der Frau Henschel, dort den Topf auf einen Holzstuhl abstellend.

Frau Henschel. – Nee, Korlchen, bist du's? Nee, soa m'r ock, woas brängst'n du, hä?

Karlchen. Suppe! Die Muttel läßt grüßen und gute Besserung wünschen! Sie möchten sich's schmecken lassen, Frau Henscheln.

Frau Henschel. Nee, Junge, du bist doch d'r Beste von alla. – Hiehnlasuppe! 's is wull ni meeglich! Nu, do soa ock d'r Mutter, ich ließ' mich o vielmals schiene bedanka. – Hierschte's. Tu's ock ni ernt vergassa! – Nu wer ich d'r woas soan, Karlchen! Gell! Du koanst m'r amol an Gefoallen tun. Nimm d'r dan Hoader, dar durte leit, steig amol uf de Banke, gell? Und zieh m'r da eisna Topp a bißla afir. 's Madel is furt. Se hot a zu tief eis Riehr geschoba.

Karlchen steigt sogleich willig, nachdem er einen Hader gefunden, damit auf die Ofenbank und guckt ins Röhr, fragend. Den schwarzen oder den blauen, Frau Henscheln?

Frau Henschel. Woas is denn eim blaua?

Karlchen. Sauerkraut.

Frau Henschel, aufgeregt. Zieh a raus, 's zerkocht m'r ju. – Nee Madel, Madel!

Karlchen hat den Topf ganz nach vorn gezogen. Is 's so gutt?

Frau Henschel. Asu koanst a stiehn lon. Kumm amol har, ich war d'r a Peitschaschnierla schenka. Sie langt es vom Fensterbrett und gibt es ihm. Wie gieht's denn d'r Mutter?

Karlchen. Gutt. Sie ist nach Waldenburg einkaufen, für mich, zum Geburtstag.

Frau Henschel. Mir gieht's ni gutt, Jingla! Ich war wull starba!

Karlchen. O nee, Frau Henscheln.

Frau Henschel. Juju, koanst's gleeba, ich starbe, Jingla! Koanst's o meinswegen d'r Mutter soan.

Karlchen. Ich krieg' eine Baschlikmütze, Frau Henscheln!

Frau Henschel. Juju, koanst's gleeba. Kumm amol har. Bis stille, bis! Gieb amol Obacht! Hierschte, wie's tickt? Hierschte, wie's tickt eim murscha Hulze?

Karlchen, den sie fieberisch am Gelenk festhält. Ich fürcht' mich, Frau Henscheln!

Frau Henschel. Oh, beileibe! Wir missa ju oalle starba! Hierschte, wie's tickt, hä? – Gell? – Woas is doas? D'r Tutawurm tickt. Sie fällt zurück. Ees, zwee. – Nee, Madel, Madel! Karlchen, den sie losgelassen, zieht sich ängstlich nach der Tür hin zurück. Wie er die Klinke der Glastür schon in der Hand hat, überkommt ihn die Angst; er reißt die Tür auf und schlägt sie hinter sich zu, daß die Scheiben klirren. Gleich darauf wird draußen heftig mit Peitschen geknallt. Von diesem Geräusch berührt, fährt Frau Henschel heftig auf. Voater kimmt!!

Henschel, noch nicht sichtbar, draußen im Gange. Dukter, woas macha wir denn mit dam Vieche? Er und der Tierarzt Grunert werden im Türrahmen sichtbar.

Grunert. 's läßt sich ni oakumma; m'r wern's missa bremsa.

Henschel, athletisch gebauter Mann von etwa fünfundvierzig Jahren; Pelzmütze, Schafpelzjacke, darunter blaue Fuhrmannsbluse, lange Wasserstiefel, grüne Jagdstrümpfe, Peitsche, brennende Laterne. Ich wiß goar nee, woas mit dam Vieche is! Ich kumm' nechta heem, ich hoatte Steenkohlen geload't uf d'r Fuchsgrube dieba, scherr' ob, brenge de Fare ei a Stoal – und o glei im Augablick: schmeßt sich hie und fängt oa, im sich zu schloan. Er stellt die Peitsche in die Ecke und hängt die Mütze auf. Hanne kommt wieder und nimmt ihre alte Arbeit auf, jedoch sichtlich verbost. Madel, mach Licht.

Hanne. Eens ims andre!

Henschel hängt die Laterne auf, nachdem er sie ausgelöscht. Doas wiß au d'r liebe Himmel, woas doas muß sein: do werd m'rsch Weib krank! do fällt mer a Fard. 's is bale, als wärsch uff mich oabgesahn! – Dan Wollach hoa ich gekauft im Weihnachta, vu Walther Gottfrieda; zwee Wucha, do loahmt a. Ich war's 'n eintränka. Zweehundert Toaler hoa ich gegan.

Frau Henschel. 's rahnt wull dessa?

Henschel, beiläufig. Ju, ju, Mutter, 's rahnt. – Bescheeßt mich asu d'r eegne Schwoger. Er setzt sich auf die Ofenbank. Hanne hat ein Talglicht angezündet und stellt es im Blechleuchter auf den Tisch.

Frau Henschel. Voater, du bist halt eemoal zu gutt! Du traust halt a Menscha nischt Bieses zu.

Grunert nimmt Platz am Tisch und schreibt ein Rezept. Ich wer'n woas ufschreiba, aus d'r Op'theke.

Frau Henschel. Nee, wenn ins dar Fuchs nu au noch krepiert –! Doas werd doch d'r liebe Gott nee wulln!

Henschel, indem er Hanne das Bein hinhält. Kumm, zieh mer amol die Stiefeln runder! – Doas hot woas gefiffa hier rei vo Freibrich, 's Kerchdach unda eim Niederdurfe hot's glee hoalb oabgedeckt, sprecha de Leute. Zu Hanne. Doas is a Gewerge! Werd's nu bale?!

Frau Henschel, zu Hanne. Ich wiß nee, doaß du o doas ni lernst!?

Hanne bekommt den ersten Stiefel herunter, stellt ihn beiseite, greift den zweiten an.

Henschel. Bis stille, Mutter, du machst's ni besser!

Hanne bekommt den zweiten Stiefel herunter, stellt ihn beiseite, hierauf unfreundlich zu Henschel. Hoan Se m'r meine Scherze vo Kramstan miitegebrucht?

Henschel. Woas selld' ich ock oall's ei dam Kuppe hoan. – Ich bin zufriede, wenn ich mei bißla Gelumpe fer mich beisoamma hoa und meine Bornkista heel uf de Boahne brenge. Woas bekimmere ich mich im Weiberscherza!

Grunert. Doderfire seid Ihr o ni beriehmt.

Frau Henschel. Doas wär' wull o goar schlimm!

Henschel, in Holzpantinen, erhebt sich; zu Hanne. Nu feder! feder! Doaß Assa werd! mir missa heut no ei de Schmiede nunder.

Grunert ist aufgestanden, hat das Rezept liegen lassen, steckt das Notizbuch mit Bleistift zu sich, und sagt, im Begriff zu gehen. Bal ei de Op'theke d'rmiite! Und murne beizeita sah' ich zum Rechta.

Henschel läßt sich am Tisch nieder.

Hauffe kommt langsam herein; er ist in Holzpantinen und Lederhosen und trägt ebenfalls eine brennende Laterne in der Hand. A richtiges Schmeißwater is doas wieder.

Henschel. Wie sitt's denn aus eim Farstoalle, hä?

Hauffe. 's schlät halt a ganza Stand azwee. Er löscht die Laterne aus und hängt sie neben die Henschels.

Grunert. Gu' Nacht mitnander! Do heeßt's halt oabwoarta. Mir Duktersch, mir sein ebens o blußig Menscha!

Henschel. Nu freilich! Doas wissa mir woll vo ganz alleene. Gu'n Obend, schmeißa Se ni ernt im! Grunert ab. Nu soa m'r ock, Mutter, wie stieht's denn mit dir?

Frau Henschel. Ich hoa mich halt wieder asu mußt argern.

Henschel. War argert dich denn?

Hauffe nimmt Platz am Tische.

Frau Henschel. Nu, weil ich doch goar ni und koan goar nee zugreifa.

Hanne setzt eine Schüssel mit Klößen und eine Schüssel mit Kraut auf den Tisch, nimmt Gabeln aus dem Tischschub und legt sie zurecht.

Henschel. Doderzune is ju's Madel do!

Frau Henschel. A Madel hot doch keene Gedanka!

Henschel. M'r hon ju zu assa; 's gieht ju ganz gutt. – Werscht du nee ufgestanda zu zeitich, hinte kennste schunn wieder tanza.

Frau Henschel. Ojemersch, tanza! Doas wär' asu woas!

Hanne hat drei Teller mit je einem Stückchen Schweinefleisch zurechtgestellt, rückt nun auch für sich einen Schemel heran und setzt sich zu Tisch.

Hauffe. D'r Hoaber werd o bal oalle sein.

Henschel. Ich hoa'n gekeeft, dreißig Sackfel, nächta. Uf a Sinnobend kimmt ane Fuhre Hei. 's Futter werd immer teuerner.

Hauffe. Wenn's Viech soll arbeita, wil's halt o frassa.

Henschel. Oaber die denka, 's labt vo d'r Luft, a will m'r wieder vom Fuhrlohne oabdricka.

Hauffe. A soate o ieber mich asu woas.

Frau Henschel. D'r Brunninspekter?

Henschel. Nu, war denn suste! Oaber fer doasmol kimmt a nee oa.

Frau Henschel. Nee, oaber ihr Leute, nu hiert's doch vunt uf; wu sulln ock mir blein, bei da schlechta Zeita.

Hanne. D'r Chausseeufseher is dogewast. Ihr sullt glee murne Gespoanne schicka, oa de gruße Walze. Se sein ei d'r Hingerhoarte itzunder.

Die Treppe hinter der Glastür herunter kommt Herr Siebenhaar. Anfang der Vierziger, er ist auf das sorgfältigste gekleidet. Schwarzer Tuchrock, weiße Weste, helle englische Beinkleider; Eleganz aus dem Ende der sechziger Jahre. Die schon ergrauten Haupthaare bilden nur noch einen wohlgeordneten Kranz, der Schnurrbart dagegen ist üppig und dunkelblond. Siebenhaar trägt eine goldne Brille und nimmt, wenn er scharf zusehen will, ein ebenfalls goldnes Pincenez zu Hilfe, welches er meist hinter den Brillengläsern aufsetzt; er stellt einen intelligenten Typus dar.

Siebenhaar tritt, in der Rechten einen Blechleuchter mit unangezündetem Licht und ein Schlüsselbund, gegen die offene Stubentür und späht, die Linke über die empfindlichen Augen haltend, herein. Ist Henschel schon da?

Henschel. Jawull, Herr Siebenhoar!

Siebenhaar. Na, Sie essen ja grade. Ich habe im Keller was zu tun. Wir können das ja dann nachher besprechen.

Henschel. Nee, nee, wegen menner! Vor mir! Ich bin fertig.

Siebenhaar. Kommen Sie lieber dann mal rauf. Er tritt ein und zündet sein Licht an dem an, welches brennend auf dem Tische steht. Ich will mir nur mal das Licht anstecken. – In meinem Büro sind wir ungestörter. – Wie geht's, Frau Henschel? Wie hat denn die Hühnersuppe geschmeckt?

Frau Henschel. Nu soan Se mer ock, die hoa ich vergassa!

Siebenhaar. Is woll nicht möglich!

Hanne, den Topf mit der Hühnersuppe entdeckend. Nu richtig, do stieht se!

Henschel. Asu is doas Weib! Do mecht' se gesund warn! Dobeine vergißt se Assa und Trinka.

Heftiger Windstoß.

Siebenhaar. Sagen Sie mal, was meinen Sie denn: meine Frau ist noch rüber nach Waldenburg. Das Wetter scheint immer toller zu werden. Ich mache mir Sorge. Meinen Sie nicht?

Henschel. 's hiert sich wull schlimmer oa, wie's is.

Siebenhaar. Na, na, man soll keine Kunststücke machen! Haben Sie's denn nicht klirren gehört, eins von den großen Fenstern, Sie wissen doch, an der Terrasse, im Speisesaal, hat mir der Wind doch schon eingedrückt. Das ist ein ganz kolossaler Sturm.

Henschel. Ihr Leute, ihr Leute.

Frau Henschel. Doas kust't wieder woas!

Siebenhaar, durch den Kellergang nach links abgehend. Umsonst ist der Tod!

Henschel. A hot ebens au a Puckel vull Surga!

Frau Henschel. Woas werd a ock wieder wulln vo dir, Voater?

Henschel. O nischte. War wiß!? Ich warsch ju hiern.

Frau Henschel. Wenn a ock nee wieder Geld verlangte.

Henschel. Nee, schwoatz ock du keene Tummheeta, Mutter.

Hanne. Wenn oader die Leute und hoan's nee derzune, woas braucht do de Frau an Hutt fer vier Toaler?!

Henschel. Hal du deine Gusche! Du bist nee gefreut! Deine Noase gehiert ei a Backtrog nei, oader nee ei andrer Leute Geschichta. – Asu a Haus, doas sol ma derhaln. Acht Wucha eim, Johre kimmt woas ei, hernochert koan a sahn, wu a bleit.

Hauffe. Doderbeine hot a noch missa baun.

Frau Henschel. Doas hot a irscht richtig neigerieta. Doas hätt' a sulln unterwägens lon.

Henschel. Weiber verschtiehn nischt vo sulcha Sacha. Baun hot a missa, a kunde ni andersch. – Hinte hoam m'r Kurgäste ieber Kurgäste, frieher woarn'r ni holb asu viel. Dozemol oaber hotta se Geld, hinte mechta se oall's imasuste. Schenk amol ei, an Kurn will ich trinka.

Hauffe, indem er langsam sein Taschenmesser zusammenklappt, im Begriff aufzustehen. Verzig Stuba, drei gruße Säle, und nischte drinne wie Roatta und Mäuse. Wu sol a do de Intresse ufbrenga? Er erhebt sich.

Franziska Wermelskirch blickt herein; sie ist ein munteres, hübsches Kind von sechzehn Jahren. Das lange dunkle Haar trägt sie offen. Ihr Kostüm ist ein wenig exzentrisch: das Röckchen weiß und kurz, die Bluse spitz ausgeschnitten, die Schärpe bunt und lang. Ziemlich weit entblößt sind die Arme; um den Hals trägt sie ein buntes Bändchen mit einem goldnen Kruzifix.

Franziska, sehr lebendig. Herr Siebenhaar war doch eben hier? – Ich wünsche wohl zu speisen, die Herrschaften. Ich wollte mir nur zu fragen erlauben, ob nicht Herr Siebenhaar eben unten gewesen ist?

Frau Henschel, unfreundlich. Mir wissa's nee. Bei ins woar a ni.

Franziska. Nicht? Ich dachte. Sie stellt den Fuß kokett auf die Ofenbank und bindet sich ein Schuhband.

Frau Henschel. Herr Siebenhoar hinga, Herr Siebenhoar vurna. Woas hoan Sie ock immer mit dan Moanne?

Franziska. Ich? Nichts! Er mag bloß so gerne Gänseleber. Mama hat grade welche, da schickt mich Papa, ich soll's ihm sagen. – Übrigens, wissen Sie was, Herr Henschel? Sie könnten auch wieder mal zu uns kommen.

Frau Henschel. Nee, luß du ock Voatern, wu a is. Doas wär' wull goar! Dar hot itzt keene Gedanka uf Wertshauslaufa.

Franziska. Heut ist aber ganz frisch angesteckt.

Henschel, während Hauffe grinst und Hanne laut lacht. Mutter, du koanst dich im dich bekimmern. Wenn ich war giehn wulln avier a Gloas Bier trinka, do freu' ich, koanst gleeba! kenn Menscha dernoch.

Franziska. – Wie geht's denn, Frau Henschel?

Frau Henschel. Murne mach' ich mer o anne Scherpe im und tanz' uf'm Seile.

Franziska. Da mach' ich mit. Das kann ich famos. Auf der Wagendeichsel üb' ich das immer.

Henschel. Drum hänga a oalle Deichseln asu!

Franziska. Sehn Sie, so macht man's, so balanziert man. Die Bewegungen einer Seiltänzerin auf dem Seile nachahmend, tanzt sie zur Tür hinaus. Rechtes Bein, linkes Bein. Au revoir! Ab.

Hauffe, die Laterne herunternehmend. Die schnappt bale ieber, wenn se kenn Moan kricht. Ab.

Frau Henschel. Wenn die ock und meßte tichtig mitschufta. Dar welde ich a Iebermut freilich austreiba.

Hanne. Nuff darf se ni kumma, doas leid't de Madam ni.

Frau Henschel. Do hot se au recht, ich tät's au ni leida.

Hanne. Die is doch o har hingerm Herrn wie a Schißhund. Oall's woas de recht is, die treib's a wing tulle.

Frau Henschel. Die Leute selde o Siebenhoar nausschmeißa. Die Zucht mit dam Frovulk und mit da Kerln. –

Henschel. Nee, Mutter, woas redst'n!

Frau Henschel. Nu, ei d'r Schenkstube. –

Henschel. Die Leute wulln laba, groade wie mir. Sol a se ernt uf de Stroaße schmeißa! Der Wermelskirch is kee bieser Moan.

Hanne. Oader das Weib is an ale Hexe!

Henschel. Derwegen, wenn dar a Pacht richtig zoahlt – und wegen dan Madel schun lange ni. Er ist aufgestanden und hat sich über die Wiege gebeugt. Mir hoan ju hier au asu a Dingla, mir wern doch derwegen au ni nausfliega.

Frau Henschel. Nu nee, doas wär'! – 's schläft egelganz, 's will goar ni ufwacha.

Henschel. 's is halt ni viel droa – – – – Nu, Mutter, du werscht mir doch ni ernt starba! – Indem er die Mütze vom Nagel nimmt. Hanne, ich hoa dich verhin beleun. Dessa eim Woane leit deine Scherze.

Hanne, schnell. Wu d'n?

Henschel. Ei d'r Kelle; mußt giehn und sicha. Ab durch die Mitte; Hanne ab in die Kammer.

Frau Henschel. Do hot a – de Scherze – doch – miitegebrucht! Hanne kommt schnell aus der Kammer und entfernt sich durch die Mitteltür. Do hot a – de Scherze – doch – miitegebrucht!

Siebenhaar tritt vorsichtig ein, wie vorhin Licht und Schlüssel und noch zwei Flaschen Rotwein tragend.

Siebenhaar. Ganz alleine, Frau Henschel?

Frau Henschel. Do hot a – de Scherze ...

Siebenhaar. Ich bin's, Frau Henschel; Sie täuschen sich wohl?

Frau Henschel. Ich gloobe – schwerlich. –

Siebenhaar. Ich hab' Sie doch nicht im Schlafe gestört? Ich bin der Siebenhaar!

Frau Henschel. Freilich! – Nu freilich.

Siebenhaar. Ich bring' Ihnen nur ein Tropfen Wein, den sollen Sie trinken, der wird Ihnen guttun – Sie erkennen mich wohl am Ende noch gar nicht?

Frau Henschel. Nu nee! – Doas wär' wull! – Sie sein doch ... nu freilich! – Sie sein doch inse Herr Siebenhoar. Asu weit is doch no nee mit mir. Ihn war ich doch kenn. – – – – Ich wiß nee, hoa ich geträumt oaber was –?

Siebenhaar. Das kann schon sein. – Wie geht's denn so jetzt?

Frau Henschel. Natierlich sein Sie doch Siebenhoar!?

Siebenhaar. Sie dachten wohl, ich wäre Ihr Mann?

Frau Henschel. Ich wiß nee – ich koan doas – – werklich – nee soan. – Mir woar halt asu –

Siebenhaar. Sie liegen aber, scheint's, unbequem. Ich will mal das Kopfkissen bißchen zurechtrücken; kommt denn der Doktor noch regelmäßig?

Frau Henschel, weinerlich aufgebracht. Ich wiß au goar nee: se lussa mich egelganz alleene. – Nee, nee, Sie sein Siebenhoar, ich wiß. Und wissa Se woas? Ich war Ihn woas soan, Sie sein immer gutt mit mir gewast! Sie honn a gutt Herze. Wenn Se au monchmol a biese Gesicht macha. Ihn koan ich's soan: ich hoa asu Angst! Ich denke halt immer: 's gieht'm zu langs'm.

Siebenhaar. Was denn zu langsam? –

Frau Henschel, in Weinen ausbrechend. Ich labe zu lange – – – –! Woas sol denn oaber aus Gustlan warn?

Siebenhaar. Aber liebe Frau Henscheln, was reden Sie denn?

Frau Henschel, leise in sich schluchzend. Woas sol denn warn, wenn ich sterbe, aus Gustlan? – – – –

Siebenhaar. – – – – – Frau Henschel, Sie sind 'ne vernünftige Frau! Frau Henscheln, hören Sie mal jetzt auf mich: wenn man so stilliegen muß im Bett, sehen Sie mal an, so Woche um Woche, wie Sie leider jetzt, da hat man natürlicherweise allerlei dumme Gedanken. Dumme Dinge macht's einem vor. Aber da muß man ganz resolut sein, Frau Henschel. Das wär' noch schöner! Solches Zeug! Raus aus dem Kopfe! Das sind ja doch Torheiten!

Frau Henschel. Ihr lieba Leute, ihr wullt's ni gleeba: ich wiß, woas ich soa.

Siebenhaar. Das wissen Sie nicht. Das wissen Sie eben leider jetzt nicht, und wenn Sie mal später dran zurückdenken, dann werden Sie lachen. Ganz gewiß!

Frau Henschel, leidenschaftlich ausbrechend. Hot a se ni ei d'r Kommer besicht!? – – –

Siebenhaar, in ratlosem Staunen, zugleich durchaus ungläubig. Was denn? Wer denn?

Frau Henschel. Nu Henschel! Dos Madel!

Siebenhaar. Ihr Mann? – Die Hanne? Hier, wissen Sie was ... Wer Ihnen das eingeredet hat, das ist ein niederträchtiger Lügner.

Frau Henschel. Und wenn ich tut bin, nimmt a se doch!

Henschel erscheint in der Tür.

Siebenhaar. Sie leiden an Einbildungen, Frau Henschel!

Henschel, gutmütig, erstaunt. Woas hoat's denn, Malchen? – Woas flennst'n asu?

Siebenhaar. Henschel! Sie dürfen die Frau nicht allein lassen!

Henschel ist freundlich bis ans Bett getreten. War tutt d'r denn woas?

Frau Henschel wirft sich verbost auf die andere Seite herum, das Gesicht gegen die Wand, Henschel den Rücken kehrend. Oh, luß mich zufriede!

Henschel. – Woas sol denn doas heeßa?

Frau Henschel, tränenerstickt, belfernd. Oh, gieh du weg!

Henschel steht sichtlich verdutzt und blickt dann fragend auf Siebenhaar, welcher kopfschüttelnd sein Pincenez putzt.

Siebenhaar, leise. Lassen Sie nur Ihre Frau jetzt ruhig.

Frau Henschel, wie vorher. Under de Arde wullt'r mich hoan!

Siebenhaar, zu Henschel, der aufbrausen will. Pst! Tun Sie mir den Gefallen! Stille!

Frau Henschel. Ma hot ju Auga. Ma is ju nee blind. Ma braucht's een ni irschte merka Ion. Ma is nischte meh nitze. Ma koan sich packa!

Henschel, mit Zwang ruhig. Woas meenste denn, Malchen?

Frau Henschel. Ju, ju, verstell dich!

Henschel, aufs äußerste ratlos. Nu soa mer ock bloßig ...

Frau Henschel. – Mag's kumma, wie's wil ... Betriega luss' ich mich nie und nimmer, und wenn ihr euch auch no asu siehr versteckt. Ich sah' durch de Wände, ich sah' euch doch. Nu nee! nu do! Ihr denkt, a Weib, doas is leicht zu betriega. Plompe! soa ich. Ees koanst'r merka: wenn ich sterbe, sterbt Gustla miite. Ich nahm' se miite. Ehnder derwerga, wie an su an Frovulk, verdoammta, ausliefern!

Henschel. Nu Mutter! woas is denn ei dich gefoahrn?

Frau Henschel. Under de Arde wullt'r mich hoan!

Henschel. Nu hier oaber uf, sust'r war ich wilde!

Siebenhaar, leise warnend. Ruhig, Henschel! Die Frau ist krank!

Frau Henschel, die es gehört hat. Krank? War hot mich denn krank gemacht? Ihr zwee beeda: doas Frovulk und du.

Henschel. Nu mecht' ich bloß wissa ei oaller Welt, war dir die Raupa hot ei a Kupp gesoatzt? Doas Madel und ich? Do schloa doch o glei a Gewitter nei! Mir selda woas miteinander hoan?

Frau Henschel. Brengst'r nee Scherza und Bändla miite?

Henschel, aufs neue hilflos. Scherza und Bändla?

Frau Henschel. Ju, Scherza und Bändla. –

Henschel. Nu hiert's doch uf.

Frau Henschel. Macht se ni oall's immer schien und gutt? Giebst du'r wull a biese Wort? Is se ni schunn wie Frau eim Hause?

Henschel. Mutter, bis stille, soa ich d'r bloßig!

Frau Henschel. Du mußt schweiga, weil de nischt wißt! – –

Siebenhaar, am Bett. – – Frau Henschel, nehmen Sie sich zusammen. Das ist ja doch rein aus den Fingern gesogen.

Frau Henschel. Sie sein ni besser, Sie macha's ni andersch! Die oarma Weiber, die giehn droa zugrunde! In weiches Weinen aufgelöst. Do miega se doch zugrunde giehn. Siebenhaar lacht kurz und ernst, tritt an den Tisch und öffnet resigniert eine der Rotweinflaschen.

Henschel hat auf der Bettkante sich niedergelassen und begütigt nun. Mutter! Mutter! Dreh dich ock rim! Ich will d'r a Wort eim guden soan. Er wendet sie mit freundlicher Gewalt um. Na siste, Mutter, du hust geträumt! Du hust halt amol an Traum gehott. Inse Spitz, dar träumt ju o monchmol a Ding. Nu bis oaber wach! Verstanda, Mutter!? Du hust ju a Zeug zusommageschwadroniert, do zerbricht ju d'r grißte Frachtwoan, wenn ma's will ufloade. Mir is no ganz werblich dervone eim Kuppe.

Siebenhaar, der ein Glas gesucht und gefunden hat, in das er nun eingießt. Mir lesen Sie auch noch die Leviten!

Henschel. Nee, nahma Se's ock beileibe ni iebel. Asu a Weib! Do hot ma sei Leida. Nee, mach ock und wer du wieder gesund! Suster kimmt's asu weit, du soast m'r amol: ich hätte ei Bulkahoan Fare gestohln.

Siebenhaar. Hier, trinken Sie Wein und stärken Sie sich.

Frau Henschel. Wenn ma's ock weßte!

Siebenhaar unterstützt sie beim Trinken.

Henschel. Woas denn nu wieder?

Frau Henschel, nachdem sie getrunken. Kennst du's versprecha?

Henschel. Oall's woas du willst!

Frau Henschel. Wenn ich nu starbe, tät'st du se heirote?

Henschel. Freu ni asu tumm!

Frau Henschel. Ju oder nee?

Henschel. De Hanne? Im Spaß. Natierlich!

Frau Henschel. Ernstlich gesprocha –!

Henschel. Nu hiern Se bloß druf, Herr Siebenhoar! Woas sol ees de soan? Du werscht ju ni sterba!

Frau Henschel. Oader wenn ich nu starbe?

Henschel. Doa nahm' ich se au ni. Na siste! Do wißte's. Doaß m'r amol zu Ende kumma.

Frau Henschel. Koanst du's versprecha?

Henschel. Woas denn versprecha?

Frau Henschel. Doaß du das Madel ni tät'st nahma!

Henschel. Vor mir o versprecha.

Frau Henschel. Hie, ei de Hand?

Henschel. Ich soa d'rsch ju. Er legt seine Hand in die ihre. Nu is 's oaber gutt. Nu luß mich mit sulcha Sacha zufriede!


 << zurück weiter >>