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Die Gemächer der Gräfin Griselda, tief verhangen. Griselda, im reichen Hausgewand, sitzt im Lehnstuhl am Fenster. Eine Pflegerin steht abseits und beobachtet sie. Griselda hat einen weißen Vorhang zurückgeschoben und blickt versonnen ins Freie hinaus.
Griselda, nach längerem Stillschweigen. Hörst du den Kuckuck rufen, Pflegefrau?
Die Pflegefrau. Ganz genau, gnädigste Gräfin. Er ruft jetzt den ganzen lieben langen Tag.
Griselda. Um diese Zeit hatten wir daheim alle Hände voll Arbeit! – Leise für sich. Kuckuck! Kuckuck! – Wie lange leb' ich noch? – Sage, hat die Baronin wieder nach mir gefragt?
Die Pflegefrau. Zu mehreren Malen, gnädigste Gräfin. Ich habe gesagt, daß Ihr müde wäret und den Wunsch zu schlafen habt.
Griselda. Sie hat mir im Anfang viel Gutes getan. Ich muß ihr Dank wissen.
Die Pflegefrau. Aber ihre Gegenwart gestern hat keinen guten Einfluß auf Euch gehabt. Ihr waret die ganze Nacht hindurch unruhig.
Griselda. Die Baronin ist klug. Sie redet so viele kluge Dinge durcheinander, daß man ihr gar nicht widersprechen kann. Ich konnte sie oftmals gar nicht verstehen.
Die Pflegefrau. Sie ist, das muß man ihr lassen, unermüdlich, seit sie hier ist, auf das Wohlbefinden der gnädigen Gräfin bedacht.
Griselda. Ich wünschte, sie wäre nicht hergekommen!
Eine zweite Pflegefrau tritt ein.
Die andere Pflegefrau. Es ist ein armes Bäuerlein draußen.
Griselda, schnell. Führt es herein.
Die andere Pflegefrau. Gnädige Gräfin, es ist ein recht unscheinbares Bäuerlein. Es bringt junge Tauben. Soll man es nicht zur Küche weisen?
Griselda, einfach. Du scheinst nicht zu wissen, gute Pflegefrau, daß das unscheinbare Bäuerlein mein Vater ist.
Die andere Pflegefrau. Die gnädige Gräfin belieben zu scherzen. Ich weiß sehr wohl, daß der Herr Vater der gnädigen Gräfin ein Vetter des Königs von Frankreich ist.
Griselda, einfach. Du irrst, gute Pflegefrau, du wirst gleich sehen, daß mein Vater kein Vetter des Königs von Frankreich ist. – Geleit ihn herein.
Die andere Pflegefrau öffnet die Tür, und der alte Helmbrecht, im Sonntagsstaat, ein Körbchen am Arm, tritt ein.
Vater Helmbrecht. Gott zum Gruß, gnädigste Frau Gräfin.
Griselda. Gottes Dank, lieber Vater. Was macht die Mutter? Wie geht's ihr?
Vater Helmbrecht ist demütig an der Tür stehengeblieben. Die Mutter schickt Euch diesen Balsam, gnädigste Frau Gräfin, den sollt Ihr auf beide Brüste streichen, bevor Ihr das Kind daran legt. Ihr sollt es auch nachher tun, wenn Ihr das Kind von den Brüsten genommen habt. Ihr sollt es täglich tun, sagt sie.
Griselda. Zeig her. – Der Alte kommt zögernd näher und reicht ihr das Fläschchen aus der Ferne. Stell das Fläschchen beiseite, Pflegefrau. – Ich lasse der Mutter vielmals danken, Vater.
Vater Helmbrecht. Und hier ist Sternblumentee gegen die Kindesnot. Die Mutter hat ihn auf dem Backofen getrocknet. Er wächst, wie du dich wohl erinnern kannst, beim Hühnerstall hinten, dicht unter der alten Mauer, nicht gar weit vom Abtritt, weißt du.
Griselda, gleichmäßig ernst, während die Pflegefrauen Not haben, das Lachen zu verbeißen. Da, nimm auch den Tee, gute Pflegefrau, und stell ihn beiseite.
Vater Helmbrecht, zu den Pflegefrauen. Vergeßt nicht, ihr davon einzugeben, wenn sie erst in den Wehen liegt! Es hilft. Es hat auch meinem Weibe, ihrer Mutter, damals gutgetan, als wir die gnädige Gräfin zur Welt brachten.
Griselda. Warum ist die Mutter nicht mitgekommen?
Vater Helmbrecht. Sie sagte zu mir: »Geh du! Wenn dich die Tochter sieht, so wird es dasselbe sein.«
Griselda. Was macht die Wirtschaft?
Vater Helmbrecht. Du fehlst uns sehr, gnädige Gräfin. Wir sind beide zu alt.
Griselda. Und die Magd, die euch der Graf statt meiner gemietet hat?
Vater Helmbrecht. Die Magd tut nicht gut, gnädige Gräfin: sie ist faul. Das Kalb, das du mit der Flasche aufgesäugt hattest, ist nun auch draufgegangen an der Ruhr. Die Schweine wollen nicht fett werden. Du hattest mit dem Vieh meist eine so glückliche Hand. – Und das Frauenzimmer ist schwach. Du hattest um diese Zeit immer schon deine fünfzig Karren Dung auf den Acker gebracht: sie kaum dreißig.
Griselda. Lache nicht, Pflegefrau. Es ist alles die reine, schlichte Wahrheit, was er sagt. Es war eine gute Schule. – Sagt mir doch, Vater, habt ihr noch den großen kalikuttischen Hahn und die drei Hennen, die förmliche Gänseeier legten?
Vater Helmbrecht. Hier hätte ich eine Mandel davon mitgebracht – und drei junge Tauben zur Wochensuppe. Gnädige Gräfin, wir wünschen dir zu dem, was bevorsteht, Glück! Die Mutter läßt dir sagen, daß sie täglich und stündlich Paternoster betet für deine glückliche Niederkunft.
Griselda. Segne mich, Vater.
Vater Helmbrecht macht über ihr das Kreuzeszeichen. Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen. – Lebt wohl. Er wendet sich zum Gehen.
Griselda. Leb wohl, Vater. Bete auch du für meine arme Seele. Wer kann wissen, was Gott beschließt.
Vater Helmbrecht zögert, im Begriffe fortzugehen. Ja! – Lebt wohl! – Was wollt' ich denn noch? – Ja so: die Mutter wollte gern noch etwas wissen, gnädige Gräfin . . .
Griselda. Sprich.
Vater Helmbrecht. Es sind nämlich, mußt du wissen, Gerüchte verbreitet . . .
Griselda. Was für Gerüchte? – Zu den Pflegefrauen, die sich entfernen wollen. Bleibt nur ruhig, ihr stört uns nicht.
Vater Helmbrecht. Da wollte die Mutter bloß wissen . . . bloß eben wissen, ob du glücklich bist?
Griselda. Sage der Mutter, daß ich meinen Gatten und Herrn von ganzem Herzen, von ganzem Gemüt und mit allen Kräften meiner sündigen Seele liebe.
Graf Ulrich tritt überraschend ein.
Graf Ulrich. Bauer, was suchst du hier? – Pack dich fort. – Vater Helmbrecht entfernt sich eilig durch ebendas Türchen, wo er eingetreten ist. Mußt du denn immer von Bauerngesindel und Domestiken umgeben sein?! Auf ein Zeichen Griseldens entfernen sich auch die Pflegefrauen. Was wollen alle diese gleichgültigen Menschen in unserem Hause? Was gehst du sie an? Was gehn sie uns an? Eben ist so ein Hund von einem Pillendreher gekommen: was will er hier? Was wollen sie hier? Warum heften sie sich an dich, wie die Krebse an einen faulen Brocken, und drängen mich fort? – Weshalb weinst du?
Griselda. Ich glaube, weil du leidest, weine ich.
Graf Ulrich. Jemand entzieht dich mir! Jemand legt seine schwere Hand auf dich. Wer? Ich umschlinge dich, ich will dich halten: er verwandelt dich unter meinen Händen. – Er entzieht dich mir! – Griselda, ich bin wie einer, der einem Wagen nachläuft. Acht schwere Pferde traben mit ihm gleichgültig die Straße gegen den Abgrund dahin. Ich will in die Speichen greifen. Ich will . . . Ich greife hinein! Die Speichen zerschlagen mir meine Finger! Der Wagen rollt! Kein Riese könnte ihn aufhalten! – Wollen wir fliehn, Griselda?
Griselda, in seiner Umarmung. Armer, geliebter Mann, wohin sollen wir fliehn?
Graf Ulrich. Griselda!
Griselda. Nun?
Graf Ulrich. Woran denkst du, Griselda? – Woran hast du eben, als dies flüchtige Lächeln durch deine Züge ging . . . woran hast du gedacht? – Warum zögerst du mit der Antwort?
Griselda. Ich zögere nicht.
Graf Ulrich. Du zögerst! Du verheimlichst es mir.
Griselda. Ich habe vor dir kein Geheimnis, Geliebter.
Graf Ulrich. So sage, weshalb du mitten in deinen Tränen gelächelt hast.
Griselda. Ich möchte mein Kind auf der Laubstreu im Wald zur Welt bringen, statt hier im Schloß, und niemand anders als du sollte bei mir sein.
Graf Ulrich. Nun, siehst du, du hast an das Kind gedacht. Du warst fern von mir mit deinen Gedanken, und ich halte einen toten, gestorbenen, fremden Leib in die Arme gedrückt.
Griselda. Nein, du hältst dein Weib in den Armen!
Graf Ulrich. Glaubst du, mir sei es entgangen, wie du schon wieder heimlich gelächelt hast?
Griselda. Dann ist es mir nicht bewußt geworden.
Graf Ulrich. Und dennoch hast du wiederum an das Kind und wieder nur an das Kind, an das Kind gedacht! Du lügst! Ich fühle, ich sehe, ich spüre es ja, daß dich jedes Wort, jeder Blick, jeder Atemzug deines Herzens, selbst wenn du es leugnen wolltest, Lügen straft.
Griselda. Willst du kein Kind?
Graf Ulrich. Ich will dich, ich will dich, was schert mich das Kind!