Gerhart Hauptmann
Griselda
Gerhart Hauptmann

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Zweite Szene

Eine Galerie im Schlosse des Markgrafen von Saluzza. Vor den Fenstern breiten sich der Spiegel und die Gelände eines oberitalienischen Sees aus.

Graf Eberhard, über die Fünfzig hinaus; Graf Heinz, sein Sohn, fünfundzwanzig Jahre alt; Die Baronin, schlank, dreißigjährig: diese alle in Reitanzügen. Der Haushofmeister, der Schloßpropst, beide sich dem vierzigsten Jahre nähernd.

Graf Eberhard. Demnach ist also noch immer keine irgendwie erhebliche Änderung eingetreten, Haushofmeister?

Haushofmeister. Nein. Er wohnt in einem schlechten Domestikengelaß. Was die Köche zubereiten, verschmäht er. Er röstet sich selbst Kastanien und schlingt sie noch mit der glühenden Asche hinunter. Er trinkt Wasser oder den allerminderwertigsten Desenzano, der zu bekommen ist. Wo er grade geht oder steht, ißt er sein Schwarzbrot und seinen Kuhkäse oder Speck aus der freien Faust. In wärmeren Nächten schläft er zwischen dem Schwarzwild, höher hinauf in den Wäldern. Er verkriecht sich ins trockene Laub an den Futterstellen oder auf einem Heuboden, wenn's hochkommt, wo ihm dann gelegentlich, wenn ich die Wahrheit sagen soll, eine beliebige Bauernmagd Gesellschaft leistet. So ist unser Herr: beinahe haben wir keinen.

Graf Eberhard. Was meint Ihr dazu, Propst?

Der Schloßpropst. Es ist undankbar, über die Eigentümlichkeiten regierender Herren sich Gedanken zu machen.

Graf Eberhard. Mein Neffe Ulrich muß heiraten!

Die Baronin, höhnisch. Gebt ihm eine Frau, gebt ihm eine Frau, sonst kommt er ins Narrenhaus.

Der Schloßpropst. Ich habe mir nun im Gegenteil sagen lassen, werter Graf, daß Herr Ulrich grade wegen eines Heiratsprojekts aus Mailand hierher auf das Land geflohen und erst in eine Art Tollheit verfallen ist!?

Graf Heinz. Ihr werdet einen frisch in die Falle gegangenen Wolf eher dazu bringen, daß er ein lebendiges Osterlämmchen apportiert, als meinen originellen Vetter Ulrich dazu, mit einer veritablen Braut unter Glockengeläut die Schwelle der Kirchtür zu überschreiten.

Die Baronin. Was in der Tat auch Stoff für ein einziges großes Gelächter von Mailand bis Rom, von Rom bis Ravenna abgeben würde. Man müßte es, glaube ich, jenseit der Alpen noch kichern hören.

Graf Eberhard. Einerlei, seien wir ernsthaft. Es stehen wichtige Dinge auf dem Spiel. Die Landstände wollen sich nächstens versammeln. Ja, bereits heut werden sich etwa zwanzig Vertrauensmänner zu einer Vorberatung hier einfinden. Man rechnet mit dem Heimfall der Grafschaft. Und die Agnaten sind von der niederträchtigsten Rührigkeit.

Der Schloßpropst. Latet anguis in herba, jawohl.

Graf Eberhard. Meines Erachtens sollte er keine andere als die Contessa Pirani nehmen. Sie erbt auf der Stelle fünf große Herrschaften. Ihr Herr Papa zieht ein Rieseneinkommen aus zwölf oder vierzehn Häusern in Mailand, Rom, Neapel und Genua. Sie ist vierzehn Jahr alt und gewachsen wie eine Zypresse. Sie ist eigentlich über alle Begriffe schön.

Die Baronin. Lieber Onkel, du solltest jetzt gleich aus dem Stegreif deinem Panegyrikus ein Sonett über ihre gefärbten Haare anheften!

Haushofmeister. Soll es mir gestattet sein, mitzuteilen, was Seine Erlaucht, unser Herr Markgraf, über diesen durchlauchtigsten Engel zu bemerken geruht haben?

Graf Eberhard. Sprich.

Haushofmeister. Wenn die Contessa Pirani, wie Gott sie gemacht hat, sagte er, auf meinem dunkelbraunen holländischen Bullen, den niemand zähmen kann, durch das Dorf reiten, ihn dann an den Hörnern nehmen und an die Krippe binden will, dann will ich sie vom Flecke weg heiraten.

Graf Eberhard. Manchmal kommt mir doch auch der Gedanke, ob nicht etwa doch, wie die Gegner annehmen, der gute Neffe ein Fressen für die Medizinmänner der Sorbonne und die Wärter des Spitales vom Grauen Kloster ist.

Haushofmeister. Ich meine, er ist nur Weiberfeind.

Die Baronin, nach allgemeinem Lachausbruch. Da möchte ich Euch doch wohl raten, Haushofmeister, wenn Ihr von einer irrigen Ansicht abkommen wollt, seinen Spuren in den lombardischen Städten nachzugehen: sein Weg ist mit blutigen Tränen verlassener und betrogener Weiber bedeckt.

Graf Eberhard. Gott weiß es, er hat seinen einflußreichen Freunden die Vertuschung seiner wahnwitzigen Aventiuren nicht immer leicht gemacht.

Graf Ulrich tritt ein, wie ein Bauer gekleidet, Lederhose, offenes Hemd, eine Heugabel über der Schulter.

Graf Ulrich. Lieber Onkel, lieber Vetter, liebe Cousine, was verschafft mir die Ehre?

Graf Eberhard, betroffen durch Ulrichs Aufzug. Verzeih, lieber Ulrich, wir wollten nicht stören.

Graf Ulrich. Oh, es macht nichts, ich habe nur der Jutta Dünger laden helfen.

Graf Eberhard. Was hast du ihr laden helfen?

Graf Ulrich. Mist! – Du erlaubst, teure Base . . . Er lehnt das landwirtschaftliche Werkzeug an die Wand.

Die Baronin. Ihr habt Euch, wie es scheint, seitdem Ihr auf dem Lande wohnt, einen neuen, nicht minder penetranten Humor angeeignet, erlauchter Vetter, als weiland Eure Stadthumore gewesen sind. Die Probe beweist es. Ihr habt Euch gesteigert!

Graf Ulrich. Ich habe mich in der Tat gesteigert. Nicht um die Busentücher und Strumpfbänder der zwölf schönsten Damen der Lombardei kehre ich in die Stadt zurück.

Graf Eberhard. Du warst allerdings für das Feldlager immer besser geeignet als für den Terrazzo eines Prunksaales. Allein, solche extremen Liebhabereien wie diese neuste blieben mir bisher an dir unbekannt.

Graf Ulrich. Was wünscht ihr von mir?

Graf Eberhard. Mein lieber eigensinniger Neffe, erstlich haben wir zum soundsovielten Male einen Familienrat gehalten . . .

Graf Ulrich. Der wievielte ist es?

Graf Heinz. Der neunte Oktober.

Graf Ulrich. Der wievielte Familienrat, meinte ich. Ich glaube, der hundertundelfte wird es sein. – Laß Wein und Gebäck bringen, Haushofmeister.

Der Haushofmeister ab.

Graf Eberhard. Wenn es schon gleich nicht der hundertundelfte Familienrat ist, so haben wir doch allerdings in deiner wichtigen Sache wenigstens fünfmal umsonst unsere Entschlüsse gefaßt. – Was hast du eigentlich gegen das Heiraten?

Graf Ulrich. Nicht das geringste, solange ich keine Frau ins Haus zu nehmen brauche. Wenn ihr es sonst wollt, will ich bei andrer Leute Hochzeit alle vier Wochen Brautführer sein und alle vierzehn Tage Gevatter stehen.

Graf Eberhard. Leider ist es mit andrer Leute Hochzeit, lieber Neffe, eben ganz und gar nicht getan.

Graf Ulrich. Und mit meiner erst recht nicht. Ich bin nicht so grausam, eine Frau zu nehmen! Meine Frau – oder ich – täte mir leid.

Die Baronin. Darin muß ich Euch herzlich zustimmen.

Graf Eberhard. Es hilft nichts, ich muß dir jetzt nach der Schnur meine Vorschläge tun. Es kann dir unmöglich beruhigend sein, deine Lehnsherrlichkeit von allen Seiten gierig umlungert zu sehen. Mögen sie auch deine Lehnsfähigkeit öffentlich vorderhand nicht antasten. Immerhin bist du unbeweibt, und deine Deszendenz ist in Frage gestellt.

Graf Ulrich. Nun, so bring mir meinethalben alle die wohlriechenden Jungfrauen, die rohe Zwiebeln essen, aber keine anderen, wenn ich absolut heiraten soll! Ihr verlangt einen Thronerben, was mich wundernimmt, da ihr mich kennt: denn ich schwöre euch, meine Kinder werden eher des Teufels als stroherne Zierpuppen von Herzögen und Herzoginnen sein. Sie werden dermaßen plebejische Neigungen haben, daß meine jetzigen euch vorkommen werden, als sei ich aus Fruchtzucker und Rosenöl von einem Konditor gebacken worden. Ich werde im ganzen Leben keinen näselnden Grandseigneur, geschweige eine regierende Herzogin zustande bringen, und wenn ich Gott weiß wie fein, zierlich und wohlgewaschen zu Werke gehe.

Graf Eberhard. Mein lieber Ulrich, Gott erhalte dir deinen Humor! Deine unverwüstliche Konstitution ist vollkommen hinreichende Bürgschaft für die edle Qualität deiner Nachkommen. Dein Vater sagte auch starke Sachen, aber er hat es doch immer eingesehen, daß man entweder in einem gewissen Sinne der Sklave seiner Besitztümer ist oder aber ihr Herr auch nicht sein kann. Du wirst auch, über kurz oder lang, tun, was die Stunde von dir fordert.

Graf Ulrich. Sag mal, seid ihr gekommen, und versammeln sich diese Leute drinnen im Saal, um bei meinem Fang Zeuge zu sein? Ich schwöre bei Gott, ihr täuscht euch in mir, und ich werde das Recht meiner Herrschaft, solange ich lebe, auch ohne Kunkel und Unterrock an meiner Seite zu wahren wissen.

Graf Heinz. Du hattest doch vor Jahren einmal ein Auge auf die hübsche Tochter des Grafen Tankred geworfen.

Graf Ulrich. Sie wollte nicht einmal über einen Zaun klettern, weil er oben mit einigen Scherben gespickt war, als ich sie darum bat. Nicht einmal das wollte sie tun, um mich ihrer Liebe zu versichern. Sie liebte mich nicht.

Graf Heinz, lachend. Mensch, Markgraf, besinne dich! Wie kann eine erlauchte Prinzessin aus regierendem Hause um irgend jemandes willen über Zäune mit Scherben klettern?

Graf Ulrich. Über wie viele Zäune bin ich geklettert, wenn es nur eine Dienstmagd zu entjungfern galt. Nein, nein! Mag sein, daß ihr recht habt! Und ich möchte auch ganz gewiß niemand lieber als diesem verdammten Vasallen Tommaso von Saluzza einen Streich spielen, der mir schon hinreichend lange genug über den Zaun hereinschielen darf. Aber es geht mir ans Leben!! – Sollte ich übrigens heiraten, so nehme ich höchstens eine Bauernmagd, was man so sagt: einen Strunk! einen reellen, wahrhaftigen Bissen Brot! Ein Mensch, das eine gute Tracht Prügel aushält! Denn ein Weib, das keine gesunde Tracht Prügel vertragen kann, macht den Reiter zum Pferd und das Pferd zum Reiter! – Da schweigt ihr nun wieder! – Nun also, auf eine andere Weise geht es nicht, und auf diese leider ebensowenig, sie verstößt gegen das Hausgesetz.

Graf Heinz. Hat nicht jüngst ein Graf von Tirol die Tochter seines Waldhüters zur Ehe genommen?

Der Schloßpropst. Mit kaiserlichem Konsens, jawohl.

Graf Eberhard. Nun, ich möchte fast sagen, ehe du ohne Erben stirbst, versuch es mit was für einer du willst: nur mache Kinder.

Graf Ulrich. Was? – Lieber Onkel, du solltest mit deinen Späßen behutsamer sein; solche Vorschläge sollten dir nicht allzu lose sitzen. Wer weiß, ich verstehe am Ende falsch, und unser Kaplan kriegt etwas zu kopulieren, wovon euch Hören und Sehen vergeht. Hütet euch außerdem, daß ihr mir nicht, wie einem Dachs oder Fuchs im Bau, jede Röhre verstopft und den Ausweg abschneidet . . .

Diener bringen Wein und Gebäck herein.

Graf Eberhard. Lieber Neffe, deine Empfangsräume haben sich inzwischen mit treuen Vasallen und Freunden – du kannst die Tritte und ihr Gemurmel hören! – angefüllt. Sie hängen an dir! Sie setzen jede Hoffnung auf dich! Sie haben einen geradezu verzweifelten Entschluß, dich – sagen wir, glücklich zu machen, gefaßt. Glaub mir, du wirst mit deinem ledigen Stand unter ihnen den allerschwierigsten Stand haben.

Graf Ulrich stürzt ein Glas Wein hinunter. Eine wie lange Galgenfrist gebt ihr mir?

Graf Heinz. Mir sollte es nicht drauf ankommen, mich lieber heut als morgen in einer Schlinge flutenden Mädchenhaars an einen der elfenbeinernen Galgen hängen zu lassen, die du zur Auswahl hast!

Graf Eberhard. Wir wollen sagen, verpflichte dich auf ein Vierteljahr: drei Monate Brautschau, im vierten Hochzeit.

Graf Ulrich stürzt ein zweites Glas Wein hinunter und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Kann man sich nicht auf irgendeine Weise, vielleicht durch Geld und gute Worte, um diese entsetzliche Kalamität herumdrücken?

Die Baronin, nach herzlichem Lachen. Man lernt doch mit einem Manne Eures Schlages niemals recht aus. Zuweilen meint man, daß Ihr Weiber zum Frühstück verspeist, zuweilen, daß Euch Weiber zum Frühstück verspeisen wollen. Ich bin eine Frau: kein Wunder, wenn mir der letzte Gedanke tröstlicher ist.

Graf Ulrich. Baronin, ich glaube, Ihr habt mir in diesem Augenblick einen nicht leicht zu überschätzenden Dienst getan. Wenn es nun einmal ans Jagen geht, will ich doch lieber Hund als Hase, lieber Habicht als Taube sein! – Und jetzt wollen wir in die Versammlung der Götzendiener und Knechte der Ehe eintreten.

Graf Eberhard. Erlauchter Neffe, nun, denke ich, darf man mit Fug auf deine Entscheidungen neugierig sein.

Graf Ulrich. Und eure Neugier soll Futter erhalten! – Spracht Ihr nicht von einer Dreimonatsfrist? – Nun, Ihr seht mich auf eine Weise gestiefelt und gespornt, daß Ihr mich nicht einmal mehr durch eine Frist von nur drei Tagen in Verlegenheit setzen könnt: zwei Tage Brautschau: am dritten mit einem Kopfsprung ins Ehebett!

Graf Eberhard. Das würde nach Gestalt der Läufte in dieser an bösen Zungen so reichen Erdenwelt bei jedem anderen als dir einen Sturm der Überraschung hervorrufen.

Graf Ulrich. Basta! Übermorgen ist Hochzeit!

Graf Heinz. Da hätten wir wohl Hals über Kopf nichts weiter zu tun, als Gäste zu laden?

Graf Ulrich. Tut das! – Trinkt! Und wenn wir getrunken haben . . .

Die Baronin. Ah! Dies unvergleichliche, unerreichbare, göttliche Wundertier eines über Wolken thronenden Weibes möchte ich sehen!

Graf Ulrich. Aber kommt ihr nicht zu nahe, Baronin . . .

Die Baronin. Beißt sie und schlägt sie?

Graf Ulrich. Das könnte sein. – Trinkt! – Auf keine Puppe mit einem Federhut! – Die schöne Leibeigene! Sie trinken. Und nun wir getrunken haben, das Glas an die Wand!

Die Gläser werden an die Wand geschleudert und zerschellen.

 


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