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Ex corde lux!
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Wonach ich mich sehne? Nach gläubigen Menschen aller Art.
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Ich will etwas, das von Klein und Groß ebenso unabhängig ist als von Gut und Böse.
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Ihr glaubt mich zu überschätzen? Schätzt mich nur als das, was ich bin, so verliere ich nichts.
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Wo willst du stehn? Hoch oder niedrig? verborgen oder öffentlich: auf der Rednerbühne? auf der Kommandobrücke eines Schiffes oder eines Staates?
Dort will ich stehen, wo ich zu mir und andern sagen muß: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen!«
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Ich habe niemals eine andere Würde bekleidet als die mir innewohnende.
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Soll ich mich in die Gegenwart drängen wie eine Zeitung?
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Es konnte mir nichts Besseres passieren, als daß der Antagonismus der Welt mich immer wieder auf mich und in mich zurückwies.
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Ich hasse die geistigen Ameisen. Ich liebe die geistigen Bienen.
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Da ich mich schon entschlossen habe, im Geistigen zu leben, lebe ich viel zu wenig im Geistigen.
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Der Himmel möge mir das Glück erhalten, mich täglich über das Lokale und allzu Persönliche ins Unendliche und Ewige erheben zu können, will heißen: vom zeitlichen ins ewige Schicksal.
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Von dem, was die Welt beherrscht und allgemeinste Verbreitung hat, von der Arglist, ist bis jetzt wenig in meinem Werk. Trotzdem habe ich sie von Jugend auf gekannt, gewußt, gesehen, gefühlt und mich gegen sie aufgebäumt: immer ohne sie eigentlich für möglich zu halten. Sie ist das wahrhaft Niederträchtige und im Nur-Irdischen das wahrhaft Erfolgreiche. Bosheit ist nur eine impotente Abart der Arglist.
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Indem ich meine Geschäfte besorge, besorge ich weiß Gott wessen Geschäfte.
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Ich hatte mitunter viel Zeit für fremdes Leid. Allmählich bekam ich mehr zu tun mit dem eigenen.
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Oft, wenn ich Schwächen meiner Natur freimütig bekannte, fand ich einen Menschen, der sich gleicher Schwächen rühmte.
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Die Hand am Ruder, kenn' ich keine Furcht, wohl aber als untätiger Passagier.
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Vogelstraußpolitik ist nicht immer ganz vom Übel. Ich erfahre es oft in den Kämpfen meiner Seele, in denen ich zugrunde gehen müßte, wenn ich nicht einen vorübergehenden Frieden auf Vogelstraußmanier mitunter erzwänge.
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Mein Frühjahr muß früh sein, mein Herbst spät, wenn Früchte reifen sollen.
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Die glücklichsten unter meinen Tagen begannen zuweilen hoffnungslos, die übelsten wie Gottes Sonntag.
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Mein Leben an einem Tage ohne Einsamkeit ist das Leben des Fisches in einem Teiche ohne Wasser.
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Mehr ist weniger: im Verkehr mit Menschen.
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Haus Gottes, Kirche. Welchen Besudelungen ausgesetzt! Wie rein dagegen mein Haus!
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Mich beschäftigt nicht nur die Sache der Lebendigen, sondern auch die der Toten.
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Ich fühle, daß ich wirke, und das macht mich, im Augenblick, wo ich es fühle . . . nicht glücklich, nicht zufrieden, nicht stolz, aber . . . im Wirken wahrhaft wirklich.
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Glaubt ihr, daß ich alles nicht kann, was ich ungetan lasse?
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Was ich vielleicht habe und was mein ist, wird mir fremd wie einem Fremden. Aber ich behalte keine Möglichkeit, es mir wie dieser vertraut zu machen.
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Wir haben ein Recht, über Unsinn zu klagen. Wir müssen schwerste Anklagen geduldig und schweigend anhören mit den lebendigsten Gegenbeweisen in der Hand. Unsere Richter sind so geartet, daß sie ganz bestimmt und gelassen wissen: ihr Justizmord sei reinste Gerechtigkeit. O wann wird der Tag kommen, diese Richter vor Gericht zu stellen? Niemals!
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Es kommt vor, daß eine Gesamtheit sich entschließt, dir großmütig das zu verehren, was schon seit Jahrzehnten dein schönstes Eigentum ist.
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Bewunderung, die man erfährt, macht klein; Geringschätzung groß.
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Wahrer Zynismus ist auf Grund eines höheren Sinnes für das Häßliche – nach Analogie des Schönheitssinnes! – volle Opposition gegen das Häßliche.
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Der Dummstolz ist der undurchdringlichste Panzer: aber ich mag wider ihn nicht einmal die goldene Rüstung meines echten Stolzes anlegen! Warum nicht? weil sie ein wenig jenem andern Panzer ähnlich sieht.
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Zwei Dinge unterschätzen meine Gegner, meinen Hochmut und meinen Gleichmut.
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Was habt ihr gegen die Eigenliebe? Ist es ein Verbrechen, wenn jemand bittet: Laß mich mir selbst gehören! –?
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Nein, ich liebe nicht alle Menschen, und sie haben es auch wahrhaftig nicht alle nötig.
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Es gab eine Zeit, wo ich für mutig galt. Heut bin ich es.
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Ich habe dem Politiker in mir jeden Tag mit einem Hammer den Schädel einschlagen müssen, um zu leben: es wäre verkauftes Menschentum, wenn ich es in meinem besonderen Falle nicht getan hätte.
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Im April 1913 sprang mein Kätzchen in den weißglühenden Kamin und wieder heraus. Es war vollständig nackt gesengt. Am 31. Mai 1913 tat ich dasselbe.
(Nach dem Festspielverbot.)
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Glaubt jemand vielleicht, ich könnte mich je als Kohlhaas auftun und nach Gerechtigkeit schreien? Der irrt sich.
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Meine Feinde kennen den Grad der Verachtung nicht, dessen ich fähig bin.
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»Und wissen Sie was? Ich kann schweigend lachen!« Die wenigsten Menschen können das.
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Man muß sich eingestehen, daß man immer Großes erlebt und nur Kleines weiß.
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Im Tropfen ist das ganze Meer.
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Blick und Gedanke sind nicht zu trennen.
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Sprechen ist durchweg geistiges Gestaltersein.
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Man sagt, eine Persönlichkeit sei bedeutend oder nicht. Nennen wir sie bedeutend, so lassen wir das außer acht, was sie ist. Was bedeutet ein Mensch? Das zu wissen ist wichtiger als die richtige Antwort auf die Frage: Was ist er? – ?
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Menschen klagen zuweilen über Mangel an Persönlichkeit bei anderen: meistens sind es Leute, die Persönlichkeit weder haben noch dulden können, wo sie ihnen entgegentritt.
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Man redet von öffentlichen Charakteren: es gibt überhaupt keine anderen. Das, was wir Charakter nennen, ist eine Form, die nur im Betrachter entsteht. Je intuitiver die Betrachtung ist, je tiefer sie auf Wesenhaftes drängt, um so weniger Charakteristisches wird sie bemerken. Der Künstler ist der sicherste, geduldigste, am wenigsten voreingenommene Betrachter. Wenn auch das Künstlerische in jedem Kinde und Menschen enthalten ist, so ist es doch meist verkümmert, und die Künstler sind eine kleine Gemeinde. Ihre Propaganda der Tat wirkt nicht so weit – weil nur auf Eingeweihte –, wie die Propaganda des Wortes, die von den Schulmeistern ausgeht. Sie, diese Schulmeister, haben den guten und schlechten, den schwachen und starken Charakter erfunden. Ihrem oberflächlichen Blick genügen wenige Züge, und der Masse wiederum behagen die wenigen Merkmale, die ihr an die Hand gegeben werden, um »richtig« über Menschen urteilen zu können. Überdies will der Schulmeister mit etwas »fertig« werden oder »fertig« sein: sonst läßt sich darüber nichts »Richtiges« sagen.
Ergo: Ihr sollt nicht einen »Charakter« aus mir machen wollen, und sucht ihr an mir feste Merkmale, so werdet ihr letzten Endes nur auf das stoßen, was allen Menschen gemeinsam ist.
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Ein Minister, mehr noch ein Parteipolitiker, ist ein Charakter. Ich nicht. Die Gesichter aber, welche diese Leute jahrzehntelang der Öffentlichkeit zukehren, sind nicht ihre eigenen, sondern Masken. Hinter jeder steckt ein Charakterloser, der mich tiefer als der Charakter interessiert. Charaktere wollen und müssen sich darstellen. Ich aber muß weder, noch will ich einen Charakter darstellen, sondern mich, mich selbst. Wenn ihr nach meinem Charakter sucht, so ist das als ob ihr nach meiner Staatsuniform sucht: ich habe keine. Aber ich denke mehr wert zu sein als das Werk eines Schneiders, und wenn ich auch selbst der Schneider wäre.
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Jedes Menschen Geist ist über alles hinaus synthetisch, und auch Goethes Kraft zur Synthese war diese natürlichste, nicht außergewöhnliche Kraft. Aber daß er sie in ihrer Wirksamkeit erkannte und gelten ließ, auch über alle logischen Widersprüche hinaus, gab ihr die große Entfaltung. Sie wird in vielen Fällen verkannt, negiert und in Bann getan zugunsten der reinen Logik, die auf gewissen Gebieten die großartigsten Synthesen zuwege bringt. Die reine Logik als synthetische Kraft ist immer nur eine Teilkraft der großen synthetischen Kraft der Persönlichkeit.
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Der Mensch beruhigt sich dem Mitmenschen gegenüber niemals gänzlich. Seelenruhe ist unsozial, man muß sie geheimhalten. Man gewinnt sie einzig aus sich und in sich. Jeder andere muß sie, selbst wenn er nicht will, zerstören.
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Was ist mein eigen? Alles und nichts! Mit größter Wahrscheinlichkeit ein feinstes formales Element, welches in der Gesamtäußerung der Persönlichkeit am stärksten hervortritt. Diese Gesamtäußerung kann aber nie eintreten; es wird sich also um Teile handeln, in denen aber das Eigenelement schwerer nachzuweisen ist.
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Eine Sache gewinnt oder verliert durch den Mann, der sich für sie einsetzt, auch ein Gedanke und eine Meinung.
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Schroff, eckig, unabgeschliffen, schmerzend im Reagieren muß der Echte zur Tiefe gezwungen sein: er muß Tyrann, Narr, Hysteriker scheinen! – Anders geht er den Weg der Verflachung.
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Es ist wohl der Beweis einer kräftigen Seele, wenn sie, jahrzehntelang öffentlichen Angriffen ausgesetzt, von den übrigen Leiden abgesehen, sich weder zum Rundspiegel wölben noch zum Hohlspiegel einschlagen läßt, sondern richtig und gerade nach wie vor Gott, Mensch und Welt widerspiegelt.
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Was verwandelt die geistige Atmosphäre in ein Vakuum? Nichts Eigenes mehr sein zu dürfen.
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Bekenntnisse sind ihrem Wesen nach flach; aber dieser Art Flachheit soll man sich niemals schämen, sie ist urlebendig.
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Wir sehen überall Individualitäten, selbst in einem halb verkohlten Stück Holz; aber ebensowenig wie dieses in sich, würden wir ohne andere imstande sein, Individualität an uns selbst festzustellen.
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Wenn der moderne Fortschritt mit Hilfe der Wissenschaft auch den Wagen gebaut hat, wohin wollt ihr reisen? Zu einem Menschen wollt ihr reisen? So achtet darauf, daß noch irgendwo in dem Wirbel der Zivilisation einer übrigbleibt!
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Es liegt ein dunkler, gewaltiger Rhythmus in der Natur. Wir hören ihn nicht mehr! Wer ihn hört, wird fortgerissen zum tanzenden Sein und Sehertum, zum Dithyrambus des Alls.
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Gerade wir, die wir den Bund der wahren Menschheit wiederherstellen wollen, wir können leben ohne Bund, und doch, und doch: einigt euch, ihr Einigen!
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Etwas sein ist nicht so viel als etwas werden, am allerwenigsten etwas sein, ohne es geworden zu sein.
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Abhängigkeiten? Ja! Durch Liebe, aber nicht durch Furcht.
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Das Auge lebt von der Dunkelheit, das Gehör lebt von der Dunkelheit, das Getast lebt von der Dunkelheit, die Phantasie lebt von der Dunkelheit, unsere Anschauung von der Welt lebt von der Dunkelheit.
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Man muß zugleich mit dem Gesicht, dem Gehör, dem Geruch, dem Geschmack und dem Gefühl vorstellen. Die reichste Empfindung des Lebens liegt im Atmen.
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Das Neugeborene: das neue Zentrum, die neue Sonne für das Planetensystem und Spiel unserer auseinanderstrebenden Seele.
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Wer sich der Phantasie ergibt, muß sie beherrschen.
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Der wahre Mensch geht auf dem Kopfe, weniger auf den Händen, noch weniger auf den Füßen; aber die Gehwerkzeuge müssen alle in Ordnung sein, wenn vollkommen gegangen werden soll.
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Die Jugend legt die Fundamente aller unserer künftigen Werke in unseren Geist.
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Die Trennung der Generationen ist ein zu wenig beachtetes Phänomen: diese Trennung ist absolut; größte Vertraulichkeit, ja Freundschaft (selbst von Vater und Sohn) können sie nicht aufheben. Die neue Generation lebt in einer neuen, jungen, selbstgeschaffenen Welt, die aber doch etwas Einmaliges hat. In diese hinein sind sie geboren, in ihr leben und sterben sie. Wir aber sind nicht hineingeboren, noch leben und sterben wir darin.
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Ich möchte mich in deine Jugend drängen, ist der Gedanke mancher Väter, die ihre Söhne betrachten.
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Ich war einmal jung, du aber warst niemals alt, sagte der Greis zum Jüngling, also habe ich etwas voraus.
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Jugendliche Greise sind die Hauptpfeiler des menschlichen Kulturbaus. Darunter verstehe ich solche, die nicht erstarrt sind, sondern die noch immer an bewegter, beweglicher und bewegender Weisheit zunehmen.
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Die psychischen Flugbewegungen seien schön und vielgestaltig: Taube, Falke, Storch, Kranich, Adler, Geier, Bachstelze, Schwalbe fliegen auf sehr verschiedene Art, und es gibt noch unzählige Formen des Fluges unter Käfern, Fliegen und Schmetterlingen.
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Der »moderne Mensch« kann sich seine Bedeutung meist nur durch Negation sichern.
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Vergeßt nicht: jedes Instrument muß gespielt werden und in gewissem Sinne von seinesgleichen gespielt werden. Daher ist man zuweilen in Gesellschaft stumm. Das gespielte Instrument aber will auch von seinesgleichen gehört werden. Damit tröste sich der Stumme. Überhaupt wird der Redende nur selten gehört, höchstens der Redner. Und auch dieser hört sich besser selbst, als ihn die anderen hören.
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Wir glauben mit Unrecht, daß menschliche Zivilisation, das heißt die gesamte Ökumene, mehr sei als eine Arche Noah.
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Wer die Empfindungen nicht in ihrer tiefen, anklagenden Kraft versteht, der wird überall nur das Gewöhnliche sehen.
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Oft erneut der Morgen über Erwarten.
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Man darf jeden Tag einen Geburtstag nennen. Von früh an üben wir gleichsam das Aufwachen. Wir wachen von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr immer vollständiger auf.
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Das Leben bedeutet eine fast lückenlose Reihe persönlichster Entdeckungen.
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Alle wahren Häuser – nicht Warenhäuser – erscheinen äußerlich einsam und verlassen, innen aber sind sie voll des wahren Lebens.
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Der Mensch ist des Menschen Zeuge und Zeugnis.
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Die Fackel, die leuchtet, zeugt für Licht und Träger.
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Vergessen ruht das Schöne oder thront zu hoch.
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Jedem Mitgefühl geht eine Empfindung von Schönheit voraus.
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Man kann Schönheit nur empfinden, wenn man sie auf sich bezieht, das heißt auf menschlichen Maßstab.
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Die Tummelplätze der Seelen sind nur wieder Seelen.
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Jeder Mensch verbirgt ein geheimstes Motiv. Es ist oft über jeden Begriff nebensächlich und lächerlich. Weil er das weiß, stirbt er, ohne es je verraten zu haben. Wer es entdeckt, besitzt oft den Schlüssel zu vielen und großartigen Handlungen eines großen Mannes.
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Jeder Mensch, richtig erkannt, ist ein bedeutender Mensch.
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Das, was das Allerzarteste, Edelste und Reinste der Menschenseele einschließt und verbirgt, ist immer aus gröberem Stoff, ja zuweilen aus grobem. Wie könnte es anders sein?
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Ich fragte ein elfjähriges Mädchen: »Was macht Deine Tante?« (Sie hat ihren Mann und ihr Kind vor etwa Jahresfrist bei den Spartakistenkämpfen in Berlin verloren.) Also »Wie geht es der Tante?« fragte ich. – »Gut«, antwortet das Kind, »aber alles, was sie ißt, schmeckt ihr bitter.«
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Die Welt ignoriert uns alle wahrhaft, und das ist uns gut.
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Dummheit und Langeweile sind als zwei furchtbare Mächte oft genannt, aber in ihrer ganzen ungeheuren Größe noch nicht begriffen.
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Wenn die menschliche Arroganz körperlich dargestellt werden könnte, so würde die Menschheit darunter begraben sein wie ein Ameisenhaufen unter dem Montblanc.
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Optimismus an sich hat etwas Verdächtiges, mehr: etwas Vulgäres, mehr: etwas Banales, mehr: etwas Gemeines! – Aber auch der Pessimismus wirkt abgegriffen und in jeder Beziehung als geforderter Gegensatz zu dem vorherigen: denn Begriffe sind ganz unzulänglich, wenn es gilt, das Mysterium des Seins auch nur zu berühren.
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Pariagefühl und die Verhöhnung des Volksmäßigen verhalten sich zueinander wie Zweig und Frucht.
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Es gibt einen blinden Eigensinn, der sich für Kraft nimmt und genommen wird, und eine redliche Klugheit, die Kraft ist und für Schwäche gilt. Er hält die Menschen für Kreisel, die sich drehen müssen, wenn er peitscht.
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In den modernen Großstädten rennen die Menschen hinter sich selbst her und erreichen sich selten.
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Wir ringen alle um das Westöstliche.
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Wer schreibt uns den neuen westöstlichen Koran?
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Zivilisation: Der Osten verliert sein Östliches, der Westen sein Westliches: beide ihr Köstliches!
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Mit der Bekleidung beginnt Maskerade, das heißt Kultur. Das ist einigermaßen ernsthaft gesagt.
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Zivilisation ist Zwang, Kultur: Freiheit.
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In jedem Menschen schläft ein Tanz.
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Nicht nur dem Bauern war das Licht an sich ein immer wiederkehrendes Wunder. Man lud noch vor fünfzig Jahren zum Lichten ein. Das Licht an sich, an den Winterabenden, in den Winternächten entfacht, brachte die Festlichkeit.
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Wessen Leben festlich durchwoben ist vom Großen und Göttlichen, so daß er den Alltag nicht kennt: was sind dem »Feste«?
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Was ist das Schwerste im Geistigen? Du darfst keine Münze, die dir gereicht wird, ungewogen, ungeschmolzen, auf Echtheit ungeprüft lassen. Du darfst auch diese Münze nur umgeschmolzen in deinen Schatz legen.
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Erkenntnis ist Anbetung.
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Erkennen heißt Raum und Zeit besiegen.
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Deine tiefste Erkenntnis ist zugleich am meisten und ganz ausschließlich dein Eigentum.
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Der Mensch kann niemals etwas anderes entdecken als sich selbst: aber das ist ein unendliches Feld.
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Wahre Zeit: wahre Produktivität!
Wahre Produktivität: wahre Zeit!
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Wir wollen das Rätsel nicht in sein Bett legen, sondern nur Wahrheit; darum bleibt das Bett leer.
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Viel Chaos empfinden, heißt weise sein.
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Jedes Sinnes Wesen ist Sehnsucht.
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Was du nicht malst, Liebe, bleibt farblos.
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Erkenne dich selbst! – Die Befolgung des Satzes und die Konsequenzen des Gehorsams würden die Welt erneuern.
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Der Strauß im Zoologischen Garten zu Dresden hat im Freien ein weites Begängnis, geht aber immer an der Umzäunung, das heißt an der Grenze, hin und her. Das Gleiche ist's mit dem Menschengeist.
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Laß deine Skepsis ins Riesenhafte anwachsen, aber laß sie den Riesen des Positiven nicht niederwerfen und besiegen!
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Gewonnene Einsicht und betätigte Einsicht sind zweierlei. –
Die allgemeinste Erscheinung sind Menschen, die, harmlos sowohl als ahnungslos, täglich die Summe ihrer besten Einsichten in ihren Handlungen unberücksichtigt lassen.
Wie sorgfältig vermeiden sie alles, was einen Anflug zur Größe notwendig macht; sie meinen: verehren, das sei erniedrigen.
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Irrtümer, durch Überzeugung und Mehrheit getragen, werden nur stärker in ihrer Wesenheit als Irrtümer, entfernen sich dadurch aber nur um so weiter von der Wahrheit.
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Je mehr Stimmen einen Irrtum stützen, um so stärker wird er als Irrtum, um so verheerender greift er über in das Gebiet der Wahrheit, deren Namen er sich anmaßt.
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Es gibt einen Leittrieb beim Obstbaum, es gibt einen Leittrieb auch im bewußten Seelenleben.
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Wir können vom Schlaf in der Natur und vom Wachen des Menschen reden.
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Ich glaube, daß der erste unter seinen Mitmenschen, der erkannt hatte, wie sich das Leben in Schlaf und Wachen teilt, gesteinigt wurde.
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In der Lebensgeschichte Stanleys: »Während solch niedriger Daseinsstufe war es mir nicht möglich, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden.« – Dies ist ein Beleg für meine Ansicht, wonach es in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit einen entscheidenden Augenblick gab, wo man anfing, die Welt des Schlafes von der Welt des Wachens abzusondern. Lange jedoch blieben ihre Bilder noch als Objekte des Denkens ununterschieden.
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Die Erscheinung des intermittierenden Wachens (und Schlafens) ist irgendwie verwandt mit der Erscheinung von Ebbe und Flut.
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Zieht man ab, was der Mensch wirklich erkennt, so bleibt ihm noch das ungeheuere Werk seiner Einbildungen: fast alles, was ihn ängstet und erfreut, ist darin beschlossen. Zieht man dagegen alles dieses ab, was bleibt übrig? Keinesfalls irgendein Grund zur Angst noch zur Freude.
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Einbildungen sind die Unterjocher der Menschennatur. Wer ist nicht durch ein Bild und Bilder unterjocht!
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D'Anville, sagt A. von Humboldt, hat die geistreiche Bemerkung gemacht, daß der größte aller Irrtümer die Menschen zu der größten Entdeckung in bezug auf neue Erdstriche geführt habe. (Gemeint ist die Entdeckung Amerikas auf Grund der irrtümlichen Meinung über die Ausdehnung Asiens nach Osten.) Nun: das Kapitel »Produktive Irrtümer« ist sehr groß.
Wäre Irrtum nicht produktiv, dann sollten wir lange warten, ehe wir Brot zu essen bekämen.
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Welche große Wahrheit hat nicht Unheil angestiftet in den Köpfen der Menschen? Welche große Lüge hat nicht Segen gebracht: auch das Gegenteil ist vorgekommen.
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Es ist zuviel falsch Verstandenes im Umlauf im Geiste der Nationen, will sagen: zuviel schlechte Münze.
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Wahn ist wichtiger für uns Menschen als Wahrheit.
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Irren ist göttlich.
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Wer tiefer irrt, der wird auch tiefer weise.
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Der Denktraum ist höchste menschliche Kraft, Bedingung höchsten menschlichen Adels, in seinen höchsten Auswirkungen Gotteswort.
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Irrtum des Herzens ist der köstlichste aller Irrtümer.
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Oh, wie tief beuge ich mich vor den wahrhaften, den wirklich göttlichen Irrtümern der Seele!
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Die absoluten Wahrheiten, scheint mir, haben das größte Unheil angerichtet. Daher ist weniger verbrochen durch Wissen als durch Glauben, durch Denken als durch Eingebung. Die »Nägel« im Menschenhirn, das ist die Gefahr: um sie herum beginnt es immer zu eitern.
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Vermutlich ist Glaube die stärkste Macht im Menschen. Die geglaubte Substanz übertrifft weit die des Weltalls.
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»Erwägen wir recht, was wir in diesem Leben tun, so werden wir finden, daß ein jeder an der Welt malt.«
Michelangelo.
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Nur Glaube existiert, Aberglaube ist ein monströser Begriff.
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Die Welt und der Himmel bauen sich auf aus unseren Denkfehlern.
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Lüge ist eine Wahrheit mit schiefer Wurzel.
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Wer die Wahrheit spricht, durch den braucht deshalb die Wahrheit noch nicht zu sprechen.
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Jedes Wort ist Proteus.
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Wie schwer ist es, irgend etwas zu sagen. Sagen heißt Wahrsagen, und alles Wahrsagen setzt den Propheten voraus und den Gläubigen. Welche Verantwortung für den mit Sprachwerkzeugen begabten, der Lüge und der Verführung abgeneigten Menschen!
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Wahrheit sah noch niemand, außer in ihm selbst.
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Wer fühlt, fühlend denkt und erkennt, dem sind alle menschlichen Bekenntnisse und Erkenntnisse, inbegriffen Sprache, gleich verkorkten Flaschen mit eingeschlossenen Notschreien verschollener Schiffbrüchiger, auf dem Weltmeere treibend.
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Das ist mir nun aufgegangen: Ein Mensch kehrt nicht nur jedem seiner Mitmenschen eine andre Seite zu, sondern er ist tatsächlich jedem gegenüber von Grund aus anders.
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Ich habe während dreißig Jahren keine wirkliche Veränderung an Menschen wahrgenommen, außer an mir selbst.
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Nie wirst du wahrhaft erfahren, was du nicht an dir selbst erfährst: ergo mußt du alles selbst erfahren.
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Wenn nach Schopenhauer der Widerstreit des Willens gegen sich selbst der Quell alles dem Leben eigenen Leidens ist, so muß, da dieser Widerstreit auf Vernichtung des Willens hinausläuft und diese Vernichtung auch das Streben des Weisen ist, ihm etwas wesentlich Gutes eigen sein, wie einem immerwährenden, immererneuerten Versuch zur Erlösung.
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Ich reduziere Sokrates auf das wenige Nicht-Platonische in Platons Überdichtung: und das ist es, was ich vor allem verehre.
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Nur in der Tätigkeit sondert man sich rein von der Welt, von der Masse und vom Chaos im Innern.
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Du willst Bescheid sagen über das Leben der Menschen in vergangenen Jahrtausenden! Was weißt du von denen, die mit dir leben? ja, was auch nur von dir selbst?
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Wir wissen nicht einmal, was wir sind, geschweige was wir werden können.
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Wer nicht weiß, was ist, wie will er voraussagen, was werden soll, oder erkennen, was einmal gewesen ist?
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Wir wissen von keiner höheren Vollkommenheit als die menschliche ist.
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Was für uns nicht Individuum ist, ist für uns nicht.
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Was die Menschenstimme von andern Naturlauten allein grundsätzlich unterscheidet, ist der bewußte Gebrauch.
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Die Seele empfindet nicht eigentlich, sondern erkennt nur den Schmerz.
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Der eine Sinn des Auges hat mehr für das Bewußtsein getan als alle übrigen.
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Der Hunger der Organe: er ist am deutlichsten beim Magen. Es gibt aber auch einen Hunger des Auges: er geht auf Licht, Farbe und Form. Er ist der immateriellste. Was essen die Augen? Was verdauen sie? Die Vorteile der Belichtung hat auch der Körper eines Blinden, nicht aber die der Augennahrung. Was sind diese? Wer und welches unsichtbare höhere Organ wird dadurch gespeist, ernährt, entwickelt? Das Denken.
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Leute mit Suggestionskraft sind in viel höherem Grade Erlöser der Menschheit, als man gemeinhin annimmt. Feste Willensrichtungen haben nur wenige Menschen, sofern es sich nicht um Ziele handelt wie Essen, Trinken, Schlafen und andere tierische Funktionen. Der Sonderling, dem es gelang, seiner Umgebung seine Idee, also eine fremde Idee, einzuprägen, war der Begründer der Kultur. Diese Idee mußte zunächst unpraktisch sein; denn sie konnte nicht unmittelbar mit den Zielen der tierischen Triebe identisch sein. Sie vermittelte höhere Ziele und einen höheren Willen, die dem gemeinen Individuum ohne Suggestion nicht erkennbar noch nutzbar geworden wären.
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Jenes eigentümliche Phänomen des leuchtenden Punktes, den wir als den Quellpunkt der Seele, den Sitz der Seele, die Seele selbst empfinden und den wir im Kopfe lokalisieren, lokalisiert der Inder im Herzen. Also kann dies Phänomen Verschiebungen erfahren, kann auch wohl eines Tages in den Fuß verlegt werden. Ungeeigneter aber, es zu beherbergen, kann uns ein Zweig, ein Baumblatt auch nicht erscheinen: die Folgerung ist klar.
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Wir sind in die Welt gestellt, um zu prüfen.
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Gibt es eine Aufrichtigkeit ohne Tat?
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Dem denkenden Geist kann keine Schranke gesetzt werden; eine solche aufrichten heißt den Versuch machen, alles Denken überhaupt auszurotten.
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Das grenzenlose Denken kann niemals eine allgemeine Gefahr werden. Die Gefahr entsteht dort, wo es sich beschränkt; dort allerdings droht immer wieder der neue malleus maleficarum.
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Es gibt weder wirkliche Zeugung noch wirkliche Zerstörung. Alle Geburt ist Wiedergeburt.
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Wer bestreiten wollte, daß ein Leben vor der Geburt möglich sei, ohne daß wir uns seiner erinnern, der bedenke, wieviel, genau genommen, nach einer durchschlafenen Nacht vom vorhergehenden Tage in Erinnerung bleibt: einiges, manches, keineswegs alles! Schon ist viel Verlust zu verzeichnen; schon zeigt sich eine Unvollständigkeit, und zwar des bloßen Traums.
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Verbarg dir Licht nie etwas?
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Du glaubst, die Finsternis sei nur Nichtlicht: sie ist eine Form des Lichts.
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Nacht macht Licht heller.
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Eine goldene Folie, darauf die Sonne fällt, macht den Geist leuchten, dem sie zum Grunde liegt: Glück! – Eine dunkle Folie macht den Geist dunkel, dem sie zum Grunde liegt: Gram! Verbitterung! – Jeder Gedanke bekommt, je nach der geheimen Folie, die Helle und Wärme der Liebe oder die düstere Färbung des Hasses, so daß er ein dunkler oder lichter Dämon, ein Schöpfer oder ein Mörder sein kann.
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Deine ganze, gute und freundliche Auffassung irgendeiner menschlichen Angelegenheit kann, so fest sie immer gegründet sei, mit einem Schlage ins Böse verkehrt werden.
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Von Illusion zu Illusion gelockt, erreicht man schließlich ein Ziel: in der Kunst! – Aber im Leben?
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Das Bewußtsein wandert. Allem jedoch, was wandert, offenbart sich etwas bei jedem Schritt und etwas verschließt sich ihm: nämlich das, was vor ihm liegt, offenbart sich, was hinter ihm zurückbleibt, schließt sich zu. Die Summe des Offenbarten ist immer gleich der Summe dessen, was verlorengeht.
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Willst du schreiten, so kannst du auch einen hohen Standort nur vorübergehend betreten. Du mußt notwendigerweise Abhänge auf- und absteigen, Täler verfolgen, Ebenen nach allen Himmelsrichtungen durchmessen, und so weiter: denn selbst die ganze Erde ist zu enge für einen immerwährenden Fortschritt.
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Alle Urteile sind Vorurteile.
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Erzwungene Geistesklarheit ist Lüge.
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Der wahre Skeptiker wird zum konsequenten Individualisten; aber wer weiß, was das heißt? Verallgemeinerungen sind Lügen.
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Jedes irgendwie gefärbte Urteil verstellt dem Urteilenden seinen Gegenstand.
Urteilen ist leider immer eine Wohltat für den Urteilenden. Aus diesem Grunde seien wir milde gegen Vorurteile: falsche, dumme, tolle, blinde, wilde und grausame, niederträchtige, schurkische, beschränkte, neidische, ironische, hinterlistige, feige, verwegene, ja verruchte. Urteilen ist der größte Selbstgenuß, verurteilen der tiefste und verruchteste! Anerkennen? Diese Funktion löscht uns aus, nimmt uns den erwähnten Selbstgenuß, macht Urteilen überflüssig und läßt uns das Gefühl der Unterlegenheit. Es ist klar, weshalb so viel geurteilt wird.
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Moralische Urteile sind Bequemlichkeit.
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Zuweilen verwechseln wir Kälte mit Größe.
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Eine Krume Weißbrot erschlägt dich wohl: wer kann es wissen?
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Eine Lüge kann mehr Adel in sich tragen als zehn Wahrheiten.
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Öffentlichkeit trivialisiert,
Heimlichkeit idealisiert.
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Genau so weit, als man sich selbst kennt, kennt man die andern.
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Der größere Kenner der Menschen ist der größere Mensch.
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Wein, Weib, Gesang . . . alles in Ordnung, das heißt, wenn der wirkliche Mann noch hinzukommt.
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Die Folgen einer wahrhaft selbstlosen Tat wissen nichts von ihrem Ursprung. Wer Gedanken hat zu denken, der denke!
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Das Gegenwartsleben hat wenig Sinn für Humor und Humore. Die meisten Menschen schleppen einen toten Humor mit sich herum. In seinen Humoren einig sein heißt im Tiefsten befreundet sein und teilhaftig eines überirdischen Glückes.
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Güte ist eine Kunst.
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Eigentlich ist es ein billiges, ja das billigste Vergnügen, von Illusionen zu leben. Aber diese brotlose Kunst wird einem merkwürdigerweise am wenigsten gegönnt.
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Was der Mensch innerlich zu bewältigen hat, das macht sein Glück oder Unglück.
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Es ist bitter, daß die Beschäftigung im Geistigen uns nicht so weit frei machen kann, daß wir ganz unabhängig von den gröbsten Instinkten urteilen.
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Man darf nicht das Gras wachsen hören, sonst wird man taub.
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Wahrheiten dürfen nicht dicht beieinanderstehen, sonst verbrennen sie.
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Wohl dem, der echte Wünsche hat! Der echte Wunsch ist die echte Tat.
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O Wünsche! Wünsche! Es werden mehr erfüllt, als man gemeinhin meint. Aber was dann . . .?
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Mit alledem kann ich dir nichts geben, als was du hast.
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Wahre Fragen kommen zu uns wie Schicksale:. Sie kommen wortlos, schwächen sich selbst durch Worte, können ohne Worte nicht Antwort haben. Und doch liegt der Antworten Bestes wieder im Wortlosen.
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Das Gestern wissen wäre alles wissen!
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Jeder Traum, auch der süßeste, hat etwas Quälendes.
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Du hörst durch die Nacht, siehst erleuchtete Häuser. Die Menschen hinter den Mauern sind dir ebenso fern und fremd wie jene, die zu Karls des Großen Zeit gelebt haben. Seltsam genug.
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Man darf die Illusion des Lockenden nicht zu sehr verfolgen und nicht zu lange, sonst verflüchtigt sie sich: steh ab von ihr, und sie schenkt sich dir wieder!
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Wie unreal ist ein Traum, und wie fest verbindet er Menschen!
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Nicht träumen können würde, wie es mit uns nun einmal bestellt ist, heißen: nicht denken können, weder Geschichte noch Sage, weder Zukunft noch Vergangenheit! Und was wäre dann unsere Gegenwart?
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Einst war anschauliche Phantasie von einer ähnlichen Kraft wie heut die Mathematik.
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Wieviel Phantasie hat Amerika gesucht, gefunden, begründet! Wieviel Nüchternheit ist das Resultat!
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Ist es nicht im Hinblick auf Amerika unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, durch und durch Europäer zu sein?
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Wir leben ebensosehr und mehr auf der Sonne als auf der Erde, in der Sonne als in der Erde.
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Wir wissen nichts über das Wesen der Kraft und sind selbst das Wesen der Kraft.
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Wenn du horchst, hörst du eine Stimme zuweilen in dir; sie sagt: ich verstehe dich, und so weiter. – Nimm diese Stimme getrost für das, was sie ist: Gottes Stimme. Gott spricht mit einer Menschenstimme in dir. In dieser Ansicht liegt nichts Überschwengliches, solange du das Denken als etwas Wunderbares, als Wunder ansiehst. Gott kann nur nah sein, nicht fern, wenn er ist. Er kann dir nur das Vertrauteste sein, wenn er ist.
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Ist es nicht seltsam, daß wir durch menschliche Bildung, also künstlich, zu den höchsten Dingen gelangen: zur Kunst, zur Wissenschaft von Natur und Gott?
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Das Bewußtsein als das höchste Wache in uns ist aus Schlaf geboren, aber wenn es brennt, so bedient es sich der Sinne als Diener, der Welt als Scheiterhaufen und nährt und vergrößert durch beides den Brand.
Aber wer oder was, aus dem Schlaf heraus, bedient sich des Bewußtseins?
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Du schöne, seufzende Welt!
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Wo kann man die Menschen hinführen? Ich fürchte, immer nur wieder in den Kampf.
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Einen aufrechten Mann nur sehen stärkt das Rückgrat.
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Man steht wohl einmal am Ende des Lebens, immer aber am Anfang des Lebens.
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Die Leidenschaften erzwingen das Leben.
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Es ist verlorene Unschuld, wenn jemand nicht ganz an dem Orte ist, wo er steht, das heißt eine gespaltene Seele hat.
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Saul ging aus, seines Vaters Eselin zu suchen, und fand ein Königreich; aber wie viele gingen und gehen aus, ein Königreich zu suchen, und finden nicht einmal die Eselin!
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Das Geheimnis jedes Erfolges heißt Organisation.
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Ordnung ist die Grundlage aller Kultur. Ackerbau, Architektur, alle Künste und Erfindungen gehen auf Ordnungssinn zurück und aus ihm hervor.
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Es genügt nicht, auch im Geistigen nicht, Kadaver am Wege liegen zu lassen: sie müssen begraben werden.
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Es ist besser, das Geringste zu unternehmen, als die halbe Stunde unbenutzt vorübergehn zu lassen.
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Alle großen und wichtigen Sachen haben wenig Gehilfen.
Martin Luther.
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Die Menschheitsgeschichte, sowie die persönliche, bedeuten Rückblicke auf ein ungeheures Totenfeld von Illusionen: welcher grenzenlose Aufwand von Täuschungen zu einem unersichtlichen Zweck! Außer dem Begriff der Wahrheit haben wir nichts von ihr.
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Welche Verschwendung an Gläubigkeit, welche Gleichgültigkeit gegen Enttäuschungen, welche Blindheit bezeichnet den Weg der Menschheit!
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Bild und Bildersturm ist vielleicht eine ewig notwendige Ergänzung.
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Es gibt viele Spiegelbilder des Leidens. Aber solche der Freude? Leiden wird illuminiert im Spiegel! Aber die Freude im Spiegel? – Leid verwandelt sich nicht in Freude, wenn es verschwindet, aber Freude, wenn sie verschwindet, je nachdem die Freude war, in mehr oder weniger tiefes Leid.
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Die Welt der Scheinfreude und des Scheinleides einen sich, die Welt der absoluten Freude und des absoluten Leides niemals. Dann gäbe es Himmel und Hölle? Hölle bedeutet eine schmachvolle Degradation des Leidenswertes. Durch diese wird auch die Freude, das heißt der Himmel, degradiert, zu einer vulgären Volksbelustigung herabgewürdigt.
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Der Begriff des Richters ist die höchste menschliche Anmaßung.
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Handeln macht gemein.
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Immer wenn das Volk zu einer großen moralischen Handlung aufgerufen wird, versteht es: kreuzige, kreuzige!
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Wie allseitig ist das Gute bedroht! Selbst durch seine Verteidiger. Wie wirr und verworren sind die Richtungen ihrer Schwertschläge, verworrener fast als die der offenen Gegner des Guten, wirrer und verworrener als die Richtungen des Hasses.
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Der Verstand arbeitet unversehens leider immer wieder an einem malleus maleficarum.
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Der Hunger des Raubtiers ist eine Art Raserei: eine schreckliche, schmerzgepeinigte Ekstase. Das Grausame liegt nicht in ihrer Absicht, sondern nur die Stillung ihrer selbst.
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Es gibt naiv aggressive Geister, die es darauf anlegen, daß man sich in sie verwickele, ich möchte sagen mit den Beinen der Seele.
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Reizbaren Temperamenten liegt Irrtum und Gehässigkeit meist ebenso nahe wie echte Begeisterung.
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Den weitaus bittersten und heftigsten Haß erzeugt man durch Humanität.
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Mit den Waffen der Seele können sich nur wenige verteidigen, ohne sich selbst zu verwunden.
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Wische die Lästerungen ab wie die Athleten den Staub!
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Der Kommunismus im Menschlichen, Allzumenschlichen ist längst eine Tatsache.
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Zwei Dinge erzeugen gleicherweise Ungeduld: Schmerz und Freude.
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Ein Leben muß sich in sich selbst immer wieder entzünden können.
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Wahre Musik stärkt den Starken.
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Solange man lebt und wirkt, muß man leben und wirken, als ob man ewig lebte und wirkte.
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Der einzelne, wahrhaft einzelne, wahrhaft einzeln Denkende muß notwendigerweise vor der Masse, der Menge, der sozialen Gemeinschaft im Ideellen und Materiellen als Verbrecher oder als Irrsinniger gelten.
Lebe jeden Tag, als ob er dein erster und dein letzter wäre!
Man muß sein Gebäude errichten mit Schwert und Kelle, wie zu Zeiten des Romulus und Remus die ersten Römer.
Du hast eine Idee: stelle dich mit dem gezogenen Lauf deines Gewehres davor und verteidige sie! – Du willst abseits von der Heerstraße einen Schritt tun: tue ihn mit dem Revolver in der Hand! – Du willst Gott, deinem Gott, dienen: stelle Kanonen um den Altar! Du willst anbeten: tue es hinter dicken Steinmauern, wohin das Hohngelächter der Niedertracht nicht dringt noch seine Stein- und Schmutzwürfe.
Der Orkus soll verschüttet werden: das ist die Riesenarbeit der Menschheit.
Weltabgeschiedenheit? Worauf käme es also an? Ersticke das Drama in dir!
Wenn die Füße nicht mehr auf der Erde sind, hört auch der Tanz auf.
Romantik ist das Leben als Spiel gelebt.
Worauf stützt sich der innere Widerstand gegen Auflösung und Untergang im Menschen?
»Ich kann des Niederträchtigen, Allzumächtigen um mich nicht Herr werden.« – »Versuchen Sie es noch einmal aus Leibeskräften mit Humor.«
Sollen wir warten, bis die Gegensätze des Lebens ausgeglichen, die Armen und die Reichen reich geworden sind: wann sollten wir denn ein höheres Leben anfangen?
Die Tat trägt, die Tat macht Zeit, sie schafft, sie wirkt die Schöpfung: denn wo Schöpfung ist, da ist Zeit. – Also tut! – Tut einen Tag, so habt ihr ein Jahrhundert oder Jahrmillion oder was ihr davon zu besitzen wünscht. Versäumt einen Tag, so habt ihr ein Jahrhundert versäumt. – Dies alles bezieht sich auf das höhere Leben und Streben.
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Die Qual von gestern muß die Tat von heute werden.
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Will Gott den Frieden nicht – ich will ihn!
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Dem müden und eifrigen Arbeiter kann ein Sturz etwas Erlösendes sein, obgleich er nichts weniger will als sterben.
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Wer Landschaft sieht, Landschaft wahr sieht, wahre Landschaft sieht: der sieht die wahre Verlassenheit des Menschen.
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In der Jugend hat man Zeit, treu zu sein.
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Mein Freund! Es gibt Menschen und Dinge, die für dich zu lange leben. Du hast den rechten Augenblick nicht benützt, sie sterben zu lassen.
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Wer richtig tötet, macht recht lebendig.
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Leben heißt auch sterben: das bedenken die wenigsten.
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Man darf nicht durch ein Schlachtfeld schreiten wie der Storch durch den Salat.
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Es muß in der Seele etwas geben, ähnlich den Jahresringen der Bäume.
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Warum können wir das Leben nie, jederzeit aber den Tod hervorrufen?
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Mit den Griechengöttern vernichtete man einen ganzen Olymp der Seele.
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Wenn du im Leben nur noch Wiederholungen siehst, intermittiert der Lebensprozeß.
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Wenn der Geist eine Zeitlang einen gewissen Grad von Ruhe genossen hat, so gelangt er in eine Verfassung, die dem Tode mehr verwandt ist als dem Leben.
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Sie sahen plötzlich nicht mehr, daß es Leute gab, die das Gewordene darstellten. Sie wollten mit lautem Geschrei die Welt ganz ummodeln: was später die Welt in aller Ruhe mit ihnen tat.
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Die meisten unserer Wünsche sind deshalb unerfüllbar, weil ihre Erfüllung irgendwie unsere Vernichtung in sich schließt.
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An unerfüllten Wünschen hängen noch mehr falsche Vorstellungen, die niemals korrigiert werden.
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Der Vogel, das Kamel, der Sklave, der Krieger, der Mensch überhaupt, alle sind notbeflügelt.
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Wie viele gehen zugrunde, Männer und Frauen, weil eine fette, große, dicke Lüge über ihnen liegt und sie erdrückt!
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Es gibt nichts so Grauenvolles wie die Fremdheit derer, die sich kennen.
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Die Bruderzwiste in der Geschichte sind die in jedem Betracht grauenvollsten Phänomene der menschlichen Psyche. Ich glaube, daß Beethoven nur durch Vermittelung seines Bruders den tiefsten Abgrund der Hölle kennengelernt hat und damit einen Grad des Leidens, von dem alle diejenigen nichts wissen, die den Schatten nicht kennengelernt haben, den Bruderliebe zu werfen vermag.
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In das Bruderproblem schlägt das Doppelgängerproblem. Völlige Doppelgänger müßten sich ohne Überlegung sogleich mit dem Dolch anfallen. Sie müßten einen grenzenlosen Haß gegenseitig erwecken, den Urhaß, der ein Zwang, ein Befehl zur Vernichtung ist.
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Hat man die Vergänglichkeit tief erfahren, so dauert es einen, daß man die Jugend mit ihrem Glauben an sich gebunden sieht.
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Das größte Mausoleum ist das der Lebendigen.
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Der Grundklang des Todes ist in allem Festlichen.
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Mit jedem Menschen stirbt eine Welt.
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Um wie weniges tiefer liegen die Toten als wir!
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Er und ich, wir nähern uns einander langsam im Laufe des Lebens: man mag unsern Staub vermischen.
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Als die Götter zeugten und nicht wußten, was, war Eros aller Götter Vorfahr und Herr.
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Wir haben nichts Besseres und nichts Schlimmeres als die Liebe. Wer Schönheit empfindet, wie immer, wo immer: der liebt.
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Zuerst ist die Liebe eine Krankheit, dann eine Gesundheit.
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Auf der falschen Voraussetzung, als könnten zwei Menschen ganz ineinander aufgehn, wurzeln die schlimmsten Übel des Lebens.
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Es gibt Frauen, die nur Frauen und sonst ohne Talente sind, die aber nach Geist hungern wie der Fisch auf dem Strande nach seinem Element. Sie öffnen und schließen gleichsam Kiemen und Mund ihrer Seele krampfhaft, um aus der leeren Luft Lebensgeist einzuatmen.
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Unter den Ehefrauen gibt es sehr viele eingemauerte Nonnen.
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Die Frau hat nichts weiter zu tun, um das volle Bewußtsein ihres Wertes zu gewinnen, als sich vorzustellen, was sie ist: nämlich Mutter aller Männer, die je gelebt, gewirkt, gedacht und gedichtet haben. Dieses Bewußtsein, verbunden mit dem jener unendlichen Summe von Schmerzen, durch die sie das Geschlecht der Menschen stetig verjüngen muß, wird jenen Stolz in sich schließen, den sie braucht, um sich aus einem nicht hinreichend würdigen Zustande aufzurichten, in dem sie ist; denn die Gesellschaft entzieht ihr mit Fug die Freiheit, Kinder zu töten, aber mit Unrecht die Freiheit in alledem, wodurch sie wahrhaft lebendig macht. Diese Freiheit muß sich die Frau zurückerobern! Einen Sieg, den sie niemals erringen wird, sie werde denn Mutter in großem Sinne.
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Die Mutteraufgabe ist fruchtbar und reich: die Mutter ist mit Seele und Leib um den Quellpunkt des Lebens herumgebaut.
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Wenn viele Kinder sich in die Liebe einer Mutter teilen müssen und jedes einzelne die ganze zu besitzen meint, ist dies nicht spukhaft?
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Kind der Liebe: kein reinerer Name!
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Wer nicht ein Kind von seiner Geliebten will, liebt sie nicht.
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Vom Mann zur Seele des Weibes gibt es Verwachsungen. Mit unsichtbaren Polypenwurzeln senkt sich die Seele des verführerischen Geschöpfes in dich. Du gehst vorüber, ahnungslos, und trägst den Parasiten im Innern davon. Er zehrt von dir, aber er ist nicht so ganz ein Parasit, daß du nicht auch von ihm zehren könntest. Liebende sind innerlich eins, bevor sie es äußerlich sind. Gewaltsames Auseinanderreißen ist schmerzlich, läßt Wunden zurück, wo es nicht tötet. Es gibt allerdings auch ein Auseinanderwachsen, wie es ein Ineinanderwachsen gibt: das eine geschieht gedankenschnell, das andere braucht lange Zeit. Wird der Prozeß nicht unterbrochen, so verläuft er schmerzlos.
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Gewisse Ehen halten nur in der Weise zusammen wie ineinander verbissene Tiere.
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Haben wir Frieden, so müssen wir nach Liebe gehen, haben wir Liebe, so müssen wir nach Frieden gehen.
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Liebe strebt zur Vereinigung; durch Vereinigung erstrebt sich der Friede, das heißt die Ruhe: ist sie erreicht, steht man aber auch vom Tode nicht mehr allzu fern.
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Liebe stellt eine Beziehung zwischen Menschen her. Ebenso der Haß. Wer Beziehungen sucht, hat die Wahl.
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Das Satanische kann sich jeder göttlichen Tugend verbinden und auch der hochgebenedeiten Liebe.
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Stabil im Knaben bleibt das Verhältnis zu seiner Mutter. Dem Vater gegenüber schon wird er zum Mann. Der Mann wiederum wird zum Unmann seinem Weibe gegenüber. Sein Verhältnis zum Weibe an sich dagegen bleibt stabil, ihm gegenüber bleibt er Mann.
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Man redet über tiefste eigene Schmerzen, die wie tiefstes Glück aus Liebe stammen; man redet zu anderen, hört die Antwort und ist zumeist verletzt auch durch den Wohlmeinenden. Warum? Gerade das Eigenste bleibt den Freunden immer fremd, und jeder Anteil in dieser Beziehung ist oberflächlich: weshalb er als das und meistens als roh empfunden wird. Er gestattet jedoch keinen Schluß auf das Wesen des Menschen, der ihn uns zuteil werden läßt.
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Die Weiber zerreißen immer noch den Mann wie die Mänaden den Stier.
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Spiel mit Frauen: Keine Partie wird zu Ende gespielt. Immer werden zuletzt die Figuren durcheinandergeworfen.
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Jemand sagte: »Wir wollen Gott lieben, das Weib ist es nicht wert.«
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Sie war ein echtes Weib und hatte täglich Freude an ihrem Pantöffelchen.
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Seltsamerweise stellt man Gott im Kosmos vor als einen Teil von ihm. Gott-Protektor: stärker als ich und der Natur als Gebieter gewachsen, also mächtig, – nicht allmächtig. Selbst der Allmächtige könnte es nicht sein ohne eine Macht gegen sich, die von ihm überwunden worden ist. Wir kommen nicht darum herum, im Beginn eine Zweiheit vorauszusetzen.
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Das individuelle Verhältnis zu Gott ist die Religion eines Menschen: sie bleibt fast immer Geheimnis.
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Ich glaube, das Wort der Pythia muß eine Kraft entwickelt haben ähnlich der Lawine, die, je weiter sie sich vom Punkte ihres Entstehens entfernt, um so mehr wächst.
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Die Religionen siechen hin, seit sie die Spaltung in ihr Exoterium und ihr Esoterium aufgegeben haben. Ihr Mark wird von der Masse vertilgt.
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Der Begriff physischer Reinheit und Ordnung ist ursprünglich mit dem göttlicher Reinheit und Göttlichkeit überhaupt beinahe identisch.
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Totenkult, Ahnenkult: angeblich nur bei Chinesen, Japanern oder primitiven Völkern. Und doch, was ist die Liebe zu Shakespeare, Goethe, Buddha, Jesus und so weiter anderes?
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Gesellschaftsreligion muß notwendig flacher sein als Individualreligion, weil sie Produkt eines Übereinkommens ist und nur Übereinkommen zum Ziel hat. Das bedeutet für jedes Individuum erstens bewußte Aufgabe des Tiefsten und Eigentümlichsten, wenn es dem Übereinkommen schädlich ist. Es bedeutet zweitens Verlust eines wertvollen Teiles des Individualbekenntnisses durch das unzulängliche Mittel der Sprache. Es bedeutet drittens Beschneidung des zutage Geförderten, sofern es dem erstrebten letzten Idealübereinkommen entgegensteht. Alles in allem: Gesellschaftsreligion ermöglicht sich nur durch fortgesetzte Opfer an Individualreligion. Auch in Jesus war Individualreligion, als deren einziger Bekenner er starb: was von ihr Gesellschaftsreligion geworden ist, hat das Individuellste ihres Gründers unberührt sowie unentwickelt lassen müssen und besitzt übrigens alle Eigenschaften eben einer Gesellschaftsreligion.
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Das Christentum ist die Religion der tiefsten Beunruhigung.
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Der schöne Klang der Stradivariusgeige ist bedingt vom Lack. Der christliche Lack hat nur selten die gleiche Wirkung.
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Das Gefühl des Verlorenseins im All als Wollust!
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Sollte nicht, um die blutige Raserei der Menschen untereinander und gegeneinander zu hemmen, ihre eingeborene Gottesscheu auf den Menschen dadurch übergeleitet werden, daß man diesen zu Gottes Ebenbild machte? In weiterer Folge dieses Gedankens könnte man vielleicht das Christentum überhaupt eine Staatsreligion oder eine Gesellschaftsreligion nennen, zum Unterschied von Individualreligion, weil sie den Landfrieden, Volksfrieden, Gesellschaftsfrieden als vielleicht wesentlichstes Ziel hat. Überall finden wir den Gewalttätertypus, die Großen und Gewaltigen ausgesondert, welche die eigentlichen »Gottlosen« sind, trotzdem sie so wenig gottlos sind oder sein können wie Hiob. Diese Großen und Gewaltigen und Verbrecher haben Individualreligion: in ihr Bewußtsein tritt eine Art universales Bewußtsein, in welchem die Gesellschaft, ja der Mensch nur sehr beiläufige Figuranten sind. Damit werden sie und ihre Religion leicht der Gesellschaft und ihrer Religion feindlich. Die Gesellschaft, das ist der himmlische Friede; alles Außergesellschaftliche, das ist höllisches Chaos, Krieg, böser Feind.
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Wir haben nicht den Wunsch, im Paradiese heroische Taten verrichten zu müssen.
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Man ist erstaunt, wie alles, was das Tridentinische Konzil, was 1577 die Formula concordiae der Protestanten in sich begreift, so vollkommen abseits vom Begriffsvermögen des Volkes steht. Eine Welt- und Lebensfremdheit ohnegleichen macht sich darin geltend. 99 Teile vom Hundert der ganzen Christenheit, auf diese subtilen Dinge eingeschworen, haben falsch geschworen.
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Mein Freund, Pfaffen stecken in vielen Vermummungen, und wir sind stets in Gefahr, entweder von solchen der Religion, der Philosophie, der Wissenschaft oder der Kunst vergewaltigt zu werden.
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Krankheiten des Leibes und der Seele sind es, welche die Menschen immer wieder Quacksalbern Leibes und der Seele in die Arme treiben. Wahre Religion ist Gesundheit in ihrem Wesen und hat mit Pfafferei nichts gemein.
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Gott spricht: Glaubst du, ich könnte meinen Priestern nicht vorgreifen?
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Der Mensch, dessen Sinne durch eine antisinnliche Moral verdorben und geschwächt worden, ist ein von Priestern um sich selbst betrogener armer Schelm. Wir verwerfen heut Askese in Form der Kasteiung und blutiger Geißelung, auch sind die eingestandenen Formen der Gottesopfer – Menschenopfer! – selten geworden. Aber ihre geheimen, feinen und tödlichen Formen blühen geheim-öffentlich.
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Die Moral hat mehr Kinder gemordet als Herodes und Moloch, Scharlach, Masern und sämtliche Seuchen der Welt.
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Der organisierte Wahnsinn ist die größte Macht in der Welt.
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Vielerlei Irre liefen im Mittelalter herum, fanden sich, tauschten ihre Erfahrungen aus, erhoben und verfochten ihre Wahnsysteme gemeinsam, erklärten sie für Offenbarungen und verbreiteten sie fanatisch.
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Es werden so wenig Menschen geboren und so viele Pfaffen.
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In jeder direkten Beziehung zu Gott liegt Gefahr für die soziale Ordnung.
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Um bloß immer so fortzuleben in Ewigkeit, liegen allbereits die Himmel unserem Wesen zu offen da.
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Ihr löst den Gewöhnlichen aus seinem einzigen Verhältnis zum Ungewöhnlichen: ihr habt ihm die Ehrfurcht genommen.
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Ganz unwillkürlich nenne ich den Himmel mitunter, zu ihm aufblickend, den blauen Gott.
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Es gibt eine heitere Ironie und eine finstere: die letztere geht auf stärkeren Füßen. Gott vernichtet beide, wenn er will. Vor Gott besteht keine Ironie außer der ihm eigenen.
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Die Götter waren Begriffe, nichts weiter! Und noch immer machen wir Begriffe zu Göttern.
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Gott ist auch im Säugling, aber dieser weiß nichts von Gott. Also beginnt irgendwann die Offenbarung Gottes ins Bewußtsein des Menschen zu treten. Er kann auch wieder darin erlöschen.
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Da Gott sich im Geist des Menschen nach und nach offenbart, seine Offenbarung also fortschreitet, ist es wichtig, alt zu werden, bleibt es wichtig und richtig, auf immer neue Offenbarungen zu hoffen.
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Natur, sich voll genießend, ist Gott.
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Geht und seht, wie die Tempel entstanden, die Dome, die Theater, die Städte überhaupt, die Staaten überhaupt, die höhere Menschlichkeit, die Menschlichkeit überhaupt . . . Dionysos! Dionysos!
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Von Gott soll man wissen, an Gott soll man nicht glauben.
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Im Geist ist eine Vergötterung der Natur im Gange.
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Schauspieler: indem sie das Leben spielen, leben sie es erst! Sollte es Gott ebenso gehen?
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In neuerer Zeit, auch mit durch die Resultate des Darwinismus, liegt die Idee nahe, die Schöpfung der Welt als des eigentlichen Paradieses sei im Gange: eines Menschenparadieses.
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So viele Gedanken über Gott! Warum nicht auch zahllose Bilder von Gott?
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Der Scholastiker, der Gott nachzulaufen glaubt, läuft dem Teufel nach. Der Künstler nicht.
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Schildere, wie alle Götter zum Altare Jesu kommen! Warum? Weil er ein Mensch war.
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Ihr bliebt nur Götter. Er wurde Mensch.
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Gott ist hier, der da gerecht macht. Wer will verdammen? Römer 8, 33. Diesen Spruch hatte ein frommer Proselytenmacher in eines Knaben Hand gespielt. Handelte da der gute, enge, magere Frömmling wohl im Sinne seiner intoleranten Sekte? Schwerlich! Graviert sich wirklich diese Goldschrift auf dem blutroten Gelatineblättchen in junge Seelen, dann ade Eiferertum.
Der Protestantismus ist unsinnlich und unsexuell.
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Die Seele brennt auch im Himmel, nicht nur in der Hölle.
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Eckehart führt an, Gott sage in der Weisheit Salomonis: »In allen Dingen suche ich Ruhe.« – Wer Ruhe sucht, ist voller Unruhe!
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Wenn Ewigkeit ist, wo sollte sie nicht sein? Irgendwie bleibe ich immer in der Ewigkeit stehen, nie außer ihr. Und so bin und bleibe ich irgendwie ewig.
Ebenso ist es mit der Unendlichkeit.
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Ist es nicht seltsam, daß die unteilbare Zeit nur dadurch besteht, daß wir sie teilen? Und doch kann aus so vielen Endlichkeiten keine Unendlichkeit werden.
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Begriffe sind ganz unzulänglich, wenn es gilt, die Tiefe, das Mysterium des Seins auch nur zu berühren.
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Imagination baut den Himmel und seine Gestirne. Sie wird gefestigt durch den Glauben. Zweifel bricht das Werk und macht es unvollkommen im Geist der Natur. Glaube bestätigt. Er beschließt den Willen.
Frei nach Theophrastus.
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Die Götter pochen noch immer vergebens an die Türen der Menschen.
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Der Born der Sage ist vertrocknet. Die Berge sind entgöttert und kahl. – Aber sie sind! Sie sind und warten!
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Man verleumdet die Wüste, wenn man sagt, Politik sei eine.
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Größe holt sich ein Volk auf dem Meer.
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Wenn Sie wissen wollen, was Europa ist, müssen Sie nach Amerika gehen.
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Es war für Napoleon leicht, über die Menschen schlecht zu denken. Es ist für die Menschen leicht, über Napoleon schlecht zu denken: wer entschließt sich zuerst, das Schwerere zu wählen?
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Bismarcks Erinnerungen. Sprachlich durchaus nichts Lutherisches. Eine Art Benvenuto Cellini auf preußisch. Deutsches Fundamentalbuch. Ein Buch, das Preußens Hegemonie rechtfertigt. Ein Lehrbuch, ein Grundbuch. Bismarcks zweite Tat, die seine erste ergänzt. Es muß die tragende Säule der deutschen Einheit werden.
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Deutsche Geschichte. Selbst in Lamprechts Darstellung, wo liegt für all das die Verantwortung? Es liegt keine befriedigende Erklärung in der moralischen Belastung von Ständen oder einzelnen.
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Geschrieben und gelesen: was sagt das? Geschrieben, ein Schatten! Gelesen, eines Schattens Schatten. Wie hoch anzuschlagen, mit solcher Erkenntnis, ist der Anspruch auf Realität unserer Geschichtsschreibung!
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Wie kommt das: es gibt in Deutschland augenblicklich viel mehr Hälse als Nacken.
1911.
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Wie ein Mensch zunächst erzogen wird, dann aber nur fortschreiten kann und eine höhere Bildung erlangen, wenn er diese seine Bildung selbst in die Hand nimmt, sich selbst erzieht: so ein Volk.
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Nur die Idee des Friedens, nicht die des Krieges ist steigerungsfähig.
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So viel Spekulation beschäftigt sich heut mit der Zukunft, warum so wenig mit der Vergangenheit? Kann es nicht sein, daß diese uns überschwemmt wie eine rückkehrende Flut eine fruchtbare Insel, die durch die Ebbe freigelegt wurde? So schrieb ich am 30. Oktober 1911. Heut, 1921, ist das Gefürchtete geschehen.
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Der Rhein wetteifert in seinem Tiefstand mit dem Fall Deutschlands. In seinem Bett bei Bingen wird ein Stein sichtbar, dessen Inschrift einhundertsechzig Jahre nicht zu sehen war. Sie lautet: »Die mich sahen, weinten über mich; die mich wiedersehen werden, sie werden über mich weinen.« So ist es.
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Positive Begabung des Menschen ist nur in den Künsten nachweisbar. Die negativen Begabungen überwiegen. Sie kritisieren und analysieren: Gott, Natur, die Welt, den Himmel und alles. Aber was von allem können sie machen? Marx und Engels kritisieren den Gegenwartsstaat. Wer wird die neue Gesellschaftsordnung aufbauen und ausbauen?
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Das Reinindividuelle vom Reinsozialen zu trennen, sind Menschenalter genialer Arbeit erforderlich.
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Der Idealstaat würde mit voller Gesundheit des Volkes identisch sein.
*
»Wer Soldat werden muß, muß auch Offizier werden können, solange der Staat nicht faul ist«, sagt Mommsen in seiner Römischen Geschichte.
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Es gibt Fehlsprüche mit Gewicht und solche ohne Gewicht: diese sind zahllos, die andern gering an Zahl, – aber doch zahlreich genug, um das allergrößte Elend über die Welt zu bringen.
*
Recht häuft sich nicht, wohl aber Unrecht.
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Krieg ist gewöhnlich, Homer ist selten.
*
Wenn sie unser Volk nicht mögen in der Welt, so ist höchstens der Durchschnittszustand zwischen Mensch und Mensch ein wenig verstärkt worden.
*
Zu erstreben?
Das Volk der Einzelnen.
Der Staat der Individuen.
Die Geselligkeit der Einsamen.
Die Herrschaft der Duldenden.
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Gehe blind an die neue Arbeit: Homer war blind.
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Durchdenke deine Sinne!
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Sobald man in einer Sache Meister geworden ist, soll man in einer neuen Schüler werden.
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Ist es eigentlich vornehm, sich im Geistigen allzuweit auszubreiten, allzuviel Plätze zu belegen?
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Es müßte uns gehen wie echten Teppichen: je mehr man mit Füßen auf uns herumtrampelt, um so besser sollten wir werden.
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Enttäusche nie das wahrhaft Dienende.
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In der Kraft liegt auch die Geduld. In der Ungeduld offenbart sich die Schwäche.
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Sowohl in der Freude als im Leid bleibt Arbeit das Quietiv.
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Lasset uns leben in Eintracht der Dämonen!
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Gib deine liebsten und geheiligten Werte nur mit größter Behutsamkeit preis, am liebsten gar nicht.
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Du kannst einen Elefanten festhalten, wenn er fliehen, aber nicht das kleinste Haar auf deinem Kopfe, wenn es fallen will.
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»Wer das Leben nicht schätzt, verdient es nicht.« Leonardo. »Wer das Leben schätzt, verdient es«, würden ihm Eckehart und Gotamo Buddha antworten.