Gerhart Hauptmann
Die Atriden-Tetralogie
Gerhart Hauptmann

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Demetertempel in den Bergen nahe bei Mykene: es ist der gleiche Schauplatz wie in dem vorangehenden Werk »Agamemnons Tod«. Der Bau besteht aus gebrannten Ziegeln, die Hinterwand enthält sein Hauptportal, zur Zeit offen, mit Blick in die nächtliche Landschaft. Die Wand rechts hat eine kleine Tür zum Raum des Tempelwächters, daneben eine andere in einen kultischen Baderaum: es ist jener, in dem Agamemnon von Klytämnestra ermordet wurde. An der Rechtswand drei primitive Holzbilder: Demeter, Pluton und Kore. Vor jedem Bilde ein Altar.

Im Vergleich zu früher zeigt der Raum eine starke Verwahrlosung. Die Tür zum Bad sowie die übrigen haben zerbröckelte Ränder, Steintrümmer aller Art sind sichtbar, wie nach einem Erdbeben. Aus dem ebenfalls zerfallenen Bad steigt häßlicher Dampf.

Ein ärmliches Öllämpchen brennt.

Orest und Pylades treten zögernd von außen unter die Haupttür, im Anzuge von Wanderern: Hüte, Felljacken, Stöcke.

Orest
Wo sind wir hier?

Pylades
                            Ein fürchterlicher Ort!

Orest
Der fürchterlichste, den ich jemals sah.
Ein Haufen Trümmer, würd' ich sagen, Schutt,
ging' nicht ein seltsam Wesen davon aus.
Sieh, welcher Qualm: wie Pestgewölk vom Hades!

Pylades
Weh uns, wo sind wir hingeraten?

Orest
                                                        Ja, weh uns!
Weh mir! Was Delphi mir ins Blut gepreßt,
macht mir die Welt zu Kot auf Schritt und Tritt:
Geruch, Gehör, Gesicht versinkt in Ekel.
    Froschgequak.
Schon wieder Frösche! Sind wir morgens nicht
umlärmt von Froschgequake aufgewacht
und mußten uns von geilen Klumpen säubern?

Pylades
Hier liegt Gebein.

Orest
                            Auch hier, auch hier, auch hier!
Vergeßne Knochenhaufen. Was denn will
von mir mein Leben, daß es gräßlich mich
schon vor dem Tod ins Totenreich geschleudert?

Pylades
Die Trümmer sind bewohnt.

Orest
                                            Unmöglich! – wie?

Pylades
Orest, erschrick nicht: dort im Schein der Artemis
liegt, mein' ich, jemand, der ihr Freude macht,
ein riesiges Geripp' von bleichen Knochen,
vom Schädel aber rinnt noch langes Haar.

Orest tritt an das Skelett, schaudert
Laß uns umkehren, mich verläßt die Kraft.

Pylades
O Freund, es gibt kein Rückwärts auf dem Weg
des Lebens und nun gar auf jenem, der
uns anbefohlen ist vom Götterratschluß –
ich sage: uns, denn du und ich sind eins.

Orest
Hier ist ein Ende und kein Anfang: was
hier allenthalben blüht, ist die Verwesung,
verfluchter Schwefeldunst dareingemischt.
Luft! Laß uns flüchten in die reine Nacht!

Pylades
Gern wollt' ich dir willfahren; denn das Grauen
stößt mich wie eine Faust von Erz zurück.
Allein, ein andres, Stärkres hält mich fest.

Orest
Es lähmt auch mich. Wenn ich es nennen soll,
so ist's ein Etwas, das Gehör, Geschmack,
Geruch, Gefühl, vor allem das Gesicht
getötet hat: doch nur, daß jeder Sinn
damit das letzte Grauen zu erleben
befähigt sei. Kann etwas ärger sein,
als in sich Tod und Leben zu vereinen:
lebendig und des Todes Wohnung sein?

Pylades
Laß uns nicht grübeln! Wir sind jung, Orest!

Orest
Was nennst du jung sein? Mit dem Hammer schlägt
das ewige Schicksal an mein nacktes Herz,
dasselbe Erz durchschüttert meinen Kopf,
des Zeus blutroter Adler aber frißt
an meiner Leber. Was ist jung, was alt?
Trag' ich im Blute nicht uralten Fluch
der Tantaliden? Wär' ich jung und reichte
nicht bis dorthin, wo die Verbrechen andrer
mein Blut vergifteten, dann freilich wär'
ich heute jung. So bin ich alt! uralt!

Pylades
Die Nacht ist dunkel, doch folgt ihr das Licht
wie immer in der Welt.

Orest
                                    O Pylades,
von jeher eine mutterlose Waise –
ja Schlimmeres, da meine Mutter lebt
und mich wie Aussatz flieht, mich anders nicht
als einen Wolf verfolgt –, muß ich nunmehr
die Mutter greinend suchen gehn. O Mutter,
wie gerne schmiegt' ich mich an deine Brust
in nie gestillter Kindesliebe Durst!
Doch eine grause Krankheit gärt in mir,
die erzner Wille in mich eingepflanzt,
untrennbar von den Pulsen meines Bluts;
sie fiebert immer nur das eine Wort
in grausen Fieberschauern: Rache! Rache!

Pylades
Denk nicht daran!

Orest
                              So sage lieber doch
zu mir: denk nicht an dich, denk nicht daran,
daß du des Ilion-Besiegers Sohn –
den Hellas, ja die Welt als Gott verehrt –,
des Königs Agamemnon, bist, und dann
straf Lügen das Gerücht, das über Hellas
nicht weniger lastet als ein Pestgewölk:
es habe meine Mutter Klytämnestra
den Gatten Agamemnon, meinen Vater,
ruchlos und meuchlings aus der Welt geschafft!
Gelingt dir das, o Freund, bin ich gesund.

Pylades
Stracks umzukehren, riet ich in Korinth.
Ich ahnte Schlimmes, als es deinen Fuß
mit jedem Tage mehr gen Süden zog;
auf meine Frage deshalb bliebst du stumm.
Von Delphi aus geschah die Wanderung,
vergeblich fragt' ich, was die Pythia
dir gottbegeistert anvertraut: du schwiegst.
Nie hattest du vor mir sonst ein Geheimnis.
Enthülle mir's, gib mir die Hälfte ab
von deiner Last und glaube mir, du wirst
den Fuß wie früher setzen, frei und leicht.

Orest
Laß ab! Erbitte nicht Unmögliches!
Erst ausgesprochen, ist, was jetzt mein Schweigen
in mir begräbt, zum Dasein auferweckt
und dann unüberwindlich. – Kanntest du,
sprich, meinen Vater?

Pylades
                                    Ja: er war ein Gott!

Orest
Ich kannt' ihn nicht! Und nennst auch du ihn Gott,
wen will es wundern, wenn der Name Vater
nicht über meine Lippen will? Was ich
von einem Manne Agamemnon weiß,
ist das Erdröhnen einer Donnerstimme,
bei deren Lauten mir das Blut gerann.
So hab' ich weder Mutter noch auch Vater. –
Wie weit noch mag es sein bis nach Mykene?

Pylades
Nicht weit vielleicht, wenn mich der Schein nicht trügt,
obgleich mich Ja und Nein beständig narrt.

Orest
So geht es mir. Mitunter kommt's mir vor,
als hätt' ich unter beßren Zeichen schon
den Raum betreten, der uns hier umgibt.

Pylades
Dann aber ist er fürchterlich verwandelt,
und was einst schön und heilig war, ist jetzt
verflucht.

Orest
                  Jawohl, einer Kloake Unrat
verschlägt den Atem mir, ein widerlich
Gemisch aus aller üblen Rachen Auswurf.
Es würgt mich: laß uns fliehn!

Pylades
                                                Halt aus, Orest!
Denn alles hier im Land zwingt uns zur Vorsicht:
wir sind im Reich Aigisths und deiner Mutter.

Orest
Kein Wunder, wenn mich das allein erwürgt.
Glaubst du, daß meine Schwester . . . daß Elektra
noch lebt?

Pylades
                  Und warum nicht? Sie lebt! Sie lebt!
Ich wäre, Bruder meines Bluts, nicht hier,
hätt' ich dafür in jedem Herzschlag nicht
den furchtbar überzeugenden Beweis.

Orest
Man sagt, die Mutter habe sie verflucht,
sie ausgestoßen aus dem Kreis der Menschen;
sie lebe drum nicht anders als ein Tier,
scheu und verborgen und gehüllt in Wahnsinn.

Elektra tritt hinter einem Götterbilde hervor, bleich und gegen früher unkenntlich.

Elektra
Ihr Unglückseligen, was sucht ihr hier?
Kehrt um: hier ist der Tod! Kehrt um ins Leben!

Pylades
Ich höre eine Stimme!

Orest
                                    Ja! Auch ich.

Pylades
Und siehst du so wie ich dort einen Schatten?

Orest
Wie eine weiße Flamme scheint es mir,
die sich aus schwarzem Dunst nach oben schlängelt.

Pylades
Mich schreckt ein blutrot aufgerissener Mund,
aus dem die Zunge hängt, darüber glänzen
zwei blinde Augen.

Elektra
                                Nein, sie sind nicht blind.
Sie sehen, sehen, sehen! – Doch wer seid ihr?

Pylades
Erst laß uns wissen, Schatten, wer du bist!
Nie standen wir am Rand des Tartarus
bisher und redeten noch nie mit Toten.
Uns stockt der Herzschlag: um uns rauscht die Styx,
des Höllenhundes Knurren macht uns zittern.

Elektra
Du sprichst die Wahrheit: ja, auch mich, auch mich!
Kommt mir nicht nah, faßt mich nicht an! ich bin
von Abgrundwassern stinkend überspült:
es bringt dem oberen Geschlecht den Tod.

Orest
Der Wahnsinn packt mich.

Pylades
                                            Mut, Orest, mich feit,
vom Gott in mich gepflanzt, das innere Licht.
Bestimmung ist in diesem Augenblick,
ich fühl's: was Schatten der Verdammnis heißt,
weht mich zugleich mit einem Dufte an –
verachte mich, Orest! – aus Paradiesen.
Wer bist du?

Elektra
                      Abschaum! Eines Mörders Tochter
und einer Mörderin, von aller Welt
verstoßen, anders nicht als von mir selbst,
heimisch in Höhlen, doch von Wut erfüllt,
es gleichzutun dem Vater und der Mutter.
Und was aus eurer Welt noch in mir lebt,
ist eine Flamme und ein Schrei zugleich.
Ich brenne und ich schreie: Rache! Rache!

Orest
Ist, was wir sehn, lebendig oder Schein?
Was aber es auch sei: die Feuersbrunst
steckt – Freund, ich schaudere – auch mich in Brand.
Und ist's geschehn, wie bald lieg' ich in Asche.

Elektra
Ihr seid erwartet, beide. Seht mich an:
Ich war dereinst Elektra! Wenn ihr wollt,
bin ich es noch. Und welchen Götterratschluß
ihr zur Vollendung tragen müßt, ich weiß es.
Ich bin Elektra, und ihr seid am Ort
der ungeheuren Tat, die euch bevorsteht.

Orest
Der ungeheuren Tat? Wie meinst du das?

Elektra
Ganz, Bruder, so wie du.

Orest
                                        Du wagst mich Bruder
zu nennen, und dich selbst nennst du Elektra?
Und diese Höhle widerlichen Unrats
nennst du den Ort der ungeheuren Tat,
die uns bevorsteht?

Elektra
                                Diese Höhle war
für uns dereinst ein lieblich-heitrer Ort,
bevor die Moiren sie in das verwandelt,
was sie nun ist.

Orest
                          Was aber ist sie jetzt?

Elektra erhebt ein Beil
Siehst du dies Beil? Sie war Demeters Tempel,
und heute ist dies fürchterliche Beil
ihr einziges Heiligtum. Es starrt von Blut,
das Stiel und Eisen, seht, geronnen deckt:
und es ist heiliges Blut! im Heiligtum
das Allerheiligste – wie es nun ist.
Und, Bruder, eine Kraft geht von ihm aus,
von diesem – siehst du – schwarzgeronnen Blut,
der nichts auf dieser Erde widersteht.
Vor allem hörig, ganz ohnmächtiger Knecht,
ist ihm ein Tantalide.

Pylades
                                    Komm, Orest,
wahnwitzig ist dies Weib, laß uns davongehn!

Elektra
O Knabe, armer Knabe Pylades,
was ahnst du von den Eisenbanden, die
Oresten fesseln, fesseln so wie mich?
Werft eure Steckenpferdlein hinter euch,
dahin für ewig ist die Knabenzeit!
Blickt vorwärts lieber ins Unendliche –
vielleicht, daß dort ein Stern noch eurer harrt.

Orest
Laß mich, ich muß sie hören, Pylades,
sei sie ein böser Dämon oder nicht.

Elektra
So recht, mein Bruder! Und nun hör mich an:
In diesem Tempel, Bruder, starb dein Vater
durch deine Mutter, die mit diesem Beil
im Bade ihn erschlug.

Orest
                                    So ist es wahr,
was das Gerücht durch Hellas finster wälzt:
mein Vater starb durch meiner Mutter Hand?

Elektra
Hat eine Wahrheit je den Tag verfinstert,
so ist es diese. Und die Frage, Bruder,
die du zu stellen glaubst, hat das Titanenblut
in dir mit einer Antwort längst gestillt,
und darum bist du hier. Wo du jetzt stehst,
dort starb Kassandra durch das Schwert Aigisths.
Von ihrem Blutquell traf ein Strahl auf mich
und wandelte mich um zur Seherin
nicht nur, auch zur Vollenderin des Schicksals,
das dich und mich in erznem Zwange hält.
Die Zeit ist da, Orest, es zu vollenden!

Orest
Zerbricht daran mein Herz, nun: mag es sein.

Elektra
Dein Herz zerbricht nicht: traue meinem Wort!
Auch meins hat den Gewalten widerstanden,
die mich im Todeswirbel angepackt,
und ich ertrug mein Wissen und mein Müssen.

Orest
Elektra, nun erkenn' ich dich, du bist es!
Furchtbar ist deine Ähnlichkeit mit der,
die, heiligen Wahnsinn schäumend, sprach zu Delphi.
Nichts Menschliches war mehr in ihr, und so
ist nichts vom Menschlichen, so scheint's, in dir geblieben,
seitdem ich dich zuletzt gesehn.

Elektra
                                                    So ist es.
Blutdürstige Wölfin, Bruder, nenne mich!

Orest
Und also wär' ich als blutdürstiger Wolf
erst recht in deinem Sinn.

Elektra
                                          Nimm hin das Beil!

Sie drückt ihm das Beil in die Hand. Er zittert und bricht zusammen.

Pylades
Wenn du Elektra wirklich bist, was ich,
furchtbares Weib, nun zu erkennen glaube,
so hab mit dem Erbarmen, den allein
schon der Gedanke deiner Bluttat hinwarf.
Du kennst ihn, und ich mahne dich daran,
daß sein Gemüt ein zartes war von je,
zum Dichten und zum Denken hingeneigt,
mehr der Kithara als dem Schwert ergeben.

Elektra
Du kennst ihn nicht mehr, kennst die Wandlung nicht,
die über ihn und mich der Gott verhängte.
Stärk ihn: hier ist der Krug voll bittren Weins,
der jeden Willen trunken macht und stark.

Pylades
Erst laß ihn ausruhn einen Augenblick,
Elektra! Mag der Jugendliebe Laut
dich einen Augenblick besänftigen
und, wenn es sein kann,
im Selig-Einstgewesenen uns vereinen.

Elektra
Niemals! Ich fürchte diesen Augenblick.
Nichts darf vom blutigen Richteramt mich abziehn.

Pylades
Wie bist du so verfallen diesem Amt?

Elektra
So viel zunächst magst du davon erfahren:
Kaum war der Mord am Vater hier geschehn,
so nahm die Mutter grausam mich in Haft;
sie gab dem Hungertod in Kerkermauern
mich preis, doch hatt' ich Helfer, wurde frei,
wovon sie und Aigisthos nichts erfuhren.
Die Mörderhöhle hier ward streng bewacht,
wo Agamemnon unbegraben lag.
Jedweder, der von Klytämnestras Tat
zu wissen vorgab, wurde hingerichtet.
Auch von des Königs Heimkunft sprach man nicht,
wenn man dem sichren Tod entgehen wollte.
So blieb dies eine Stätte hier des Fluchs;
er stieg daraus wie ein Gewölk empor,
und bald, selbst unbewacht, ward sie vermieden.
Ich aber kroch hinein und wohnte hier
im dunstigen, im stinkenden Gestein,
verkehrte, selbst Gespenst, nur mit Gespenstern.
Und alle, Klytämnestra und Aigisth
nicht ausgenommen, scheuten diesen Mordschacht.
Pest und Verdammnis, hieß es, hafte dran.
Des Vaters Leiche hab' ich hier verbrannt,
und wenig fehlte, mit ihr auch mich selbst.
Ich tat es ungestört am hellen Tag.
Die Opfer aber freilich stehn noch aus,
wie sie der Ilion-Besieger fordert.

Pylades
Elektra, laß uns fliehn aus diesem Lande,
komm mit uns in die helle, reine Welt:
den Keren selber überlaß die Rache!
Dein edler Körper trägt des Elends Spur,
mit Brand und Aussatz scheinst du mir behaftet.
Oh, werde rein! nimm ein gesundend Bad
im Heilquell, der hier in der Tiefe rauscht.

Elektra
Du meinst ein Bad in Agamemnons Blut,
o Pylades, wie es untrennbar sich
mit ihm vermischt. Niemals! Das einzige, was
mich reinigt, ist die Rache!
    Kurzer Blitz und ferner Donner.
Hörst du, wie der Himmel murrt?
Der Götter und der Menschen Vater stimmt
mir zu.

Pylades
            Es fallen Regentropfen.

Elektra
                                                    Ja!
Und nun gib acht, schon rauscht es in der Luft,
die Wolken brechen! So: nun komme, Sintflut!

Ein gewaltiger Blitz und Donnerschlag gleichzeitig. Bald darauf die Geräusche eines Wolkenbruchs.

Orest wacht auf, erhebt sich
Wer weckte mich?

Elektra
                                Dich weckte deine Stunde.

Orest
Zum Untergang der Welt?

Elektra
                                          Ja, sei es drum!

Pylades
Still, still, ich höre Stimmen!

Man hört in der Ferne Rufe und Gegenrufe durch die Nacht.

Elektra
                                                Solche Stimmen
hört jeder Mensch nur einmal in der Welt.

Orest
Was sprichst du da, furchtbares Weib?

Elektra
                                                                Die Wahrheit!
    Sie wirft die Hände in die Luft, jauchzt und dreht sich im Tanze
Ich bin der Wirbel, bin der Wirbelwind,
der unsere Feinde wirbelnd in sich zieht.
Ich wußte es: er traf sie auf der Jagd,
sie hatten gute Beute, doch sie selber
sind eine bessere als Hirsch und Eber:
der Wirbel, der sie wirbelt, heißt Verhängnis!
    Ende des Tanzes.
Hier fasse fest das scharfe Beil, Orest,
am Stiel: er ist für deine Rächerhand!
Nur kurze Zeit noch, und du bist der König
in deinem Reich, in Argos. Faß es an,
das Beil, mit fester Faust! Es wartet dein,
es hat auf dich und niemand sonst gewartet.
Verbirg dich! Und tritt vor auf meinen Ruf!
Du, Pylades, behalt die Hand am Schwert!

Elektra, Orest und Pylades verbergen sich. Gejagt von einem Unwetter mit Donner und Blitz, erscheinen Klytämnestra und Aigisth. Klytämnestra, pompös von Aigisth verhüllt, gleichsam geschützt und gestützt.

Aigisth
Dem Himmel Dank! Wir sind zum mindesten
hier unter einem Dach.

Klytämnestra
                                      Dem Himmel Dank,
sagst du? Mir aber graust – gesteh' ich dir –
beinahe, Freund, vor solchem Schutzort mehr
als vor dem Graus, dem wir entkommen sind.

Aigisth
Wo sind wir hin verschlagen? Laß mich sehn!

Klytämnestra
Auch ich wohl möchte wissen, wo wir sind.

Aigisth
Es rauscht hier wie von Wassern irgendwo.

Klytämnestra erschrickt
Ja, und ein übler Ruch durchzieht den Raum,
aus Erdentiefen lebensfeindlich brodelnd.
Komm fort von hier!

Aigisth
                                  Wohin? Die schwarze Nacht,
die draußen herrscht, macht blind.

Klytämnestra
                                                       Wir haben uns
verirrt. Als uns des Wagens Achse brach,
fleht' ich dich an, nach rückwärts dich zu wenden
du aber bliebest starr und folgtest nicht.

Aigisth
Was willst du mehr: wir sind hier regensicher.

Klytämnestra
Ja, regensicher sind wir, doch mir ist
dabei nicht gut zumut an diesem Ort;
viel lieber kämpft' ich mich durch Sturm und Regen.

Aigisth
Unmöglich, denn hier in der Nähe sind
Abstürze schlimmer Art. Hab jetzt Geduld!

Klytämnestra
Jetzt, sagst du, jetzt, nur jetzt: wär' nur in mir
nicht etwas, das an einem Später zweifelt,
ja fast verzweifelt.

Aigisth
                              Was bedeutet das?

Klytämnestra
Ja, diese Frage drückt auch mich wie Blei.
An diesem Ort wächst eine Angst um mich,
nicht anders, als sie den Verbrecher ankommt,
der endlich nun allein ist mit dem Henker.

Aigisth
Schweig still! Ich mache Licht mit Stein und Stahl.

Blitz und Donner.

Klytämnestra
Zeus tut's auf bessere Art und kann nicht helfen.
Vergeblich tapp' ich da und tappe dort:
ein jeder Schritt führt, scheint mir, in den Abgrund.
    Pylades erscheint mit einer Fackel.
Ein Gott!

Pylades
                Nein, Fürstin, nur ein Wanderer,
der sich hierher verirrt.

Klytämnestra
                                      Verirrt, wie wir.

Aigisth
Du kannst uns sagen, was dies für ein Ort ist?

Pylades
Ein übler, wie ich keinen mir ersehnt
zeit meines Lebens. Halbverkohlte Knochen
starren aus grauer Asche überall:
hier ein bezahnter Kiefer, weiter dort
ein Schädeldach, Gebeine hier und da.
Fluch steigt aus allem auf wie ein Gewölk:
es ist ein mörderischer Schacht fürwahr,
von Leben zeugend, das mir schlimmer scheint
als hundertfacher Tod.

Aigisth
                                    Was schwatzt der Bursch?
Er scheint mir kaum der Mutterbrust entwöhnt
und pärscht sich lächerlich mit großen Worten.
Er mag uns leuchten aus dem eklen Loch!
Das Wetter draußen scheint sich aufzuklären.

Pylades
So gern ich's möchte, könnt' ich das nicht tun:
ich bin im Dienste meines Herrn gebunden.

Aigisth
Im Lande Argos ist nur einer Herr,
und der bin ich.

Plyades
                          Wenn das die Wahrheit ist,
so bin ich selbst das Opfer einer Lüge,
denn dies behauptet auch mein Herr zu sein.

Aigisth
Wie heißt dein sogenannter Herr?

Plyades
                                                        Orestes!

Aigisth nach betroffenem Verstummen
Was willst du damit sagen, Bube?

Pylades
                                                        Nichts
als schlichte Wahrheit.

Klytämnestra
                                    Wahnsinn packt mich an!

Aigisth
Von Anbeginn hat dieses schmutzige Loch
nach Pestilenz und Wahnwitz mir geschmeckt.
Doch dies Gespenst will ich trotzdem erproben!

Er zieht das Schwert und will sich auf Plyades stürzen, der aber ebenfalls das Schwert gezogen hat und Aigisth in Verteidigungsstellung erwartet. Aigisth zurückprallend

Hund! Sind wir hier in einem Hinterhalt?

Klytämnestra
Laß ihn, rühr ihn nicht an!

Pylades
                                          Oh, warum nicht?
Mißgönne mir den Ruhm nicht, Königin,
Argos von seinem Würger zu befreien.
    Aigisth macht einen neuen Anlauf, muß aber wieder zurückweichen.
Ich schonte dich, weil, wie ich nun erkenne,
das Recht der Rache einem anderen zusteht.

Klytämnestra
Zum letzten Male frag' ich nun: Wo sind wir?

Elektra tritt ein.

Elektra
Nimm, Königin, die Antwort denn von mir!
Dies ist der heilige Ort, an dem der Größte
in Hellas schuldlos starb: sein heiliges Grabmal
und das verfluchte Grabmal einer Gattin,
die seine war und ihren Herrn erschlug.

Klytämnestra
Mir graust! Ich starre zitternd in das Nichts.

Elektra
Nenn dieses Nichts den Tod, so sprichst du Wahrheit.

Klytämnestra
Scheusäliges Gespenst, was willst du mir?
Du starrst von Unrat, deine Augen sind
rot, schmutzig und verschwollen, an den Schläfen
klebt dir dein Haar und weiter an den Schultern,
den brandigen und nackten, knotig und
in schwarzen Strängen: in der Kluft zum Hades
bist du – halb Mensch, halb Schlange – aufgestellt.
Entweich, du geiler Auswurf der Verwesung!

Elektra
Fürwahr, du sahst in einem Spiegel dich,
und das liegt nah: ich bin ja deine Tochter!
Ich litt an meinem Leib, was du getan,
und während du im Königsschmucke prunktest,
traf mich der ganze Jammer deiner Tat.

Klytämnestra
Aigisth, führ mich hinweg von diesem Ort –
wir sind im Hades – auf gesunde Erde!

Elektra
Hier ist Demeters Tempel, Königin,
derselbe Ort, der dein Verbrechen sah
und dann, von dir verflucht, in Trümmer stürzte.
Erinnert beide euch, du und Aigisth,
an den Befehl, in Schutt ihn zu verwandeln.
Tod sollte jeden treffen, der ihm dann,
und sei es auch nur unversehens, nahte,
und mancher ließ sein armes Leben drum.
Doch dann trat das Vergessen auf die Bahn
und ließ den Weg hierher Elektren frei.
Auch sie galt als von eurer Hand getötet.
Doch sie hielt stand im grausigen Versteck,
von Rachegeistern Tag und Nacht gesäugt
und von Kassandrens Sehertum erleuchtet:
was es geweissagt, Mutter, ist nun da!

Klytämnestra
Mich nennst du Mutter, widerliches Weib?
Ich hätte eine tolle Hündin lieber
zur Welt gebracht als dich. Doch sei's genug!
Sind dies die Trümmer des Demetertempels,
in dem ein grauser Kindesmörder fiel
von deren Hand, die ihm das Kind geboren,
so steht gerechte Rache hier im Spiel.

Elektra
Wen hätte Agamemnon wohl getötet?

Klytemnästra
Das weiß ganz Hellas: Iphigenien.

Elektra
Geopfert wurde sie durch Götterspruch.

Pylades
Und wie es heißt: sie lebt als Priesterin
der grausen Göttin Hekate zu Tauris.

Klytämnestra
Gemeiner Lug! Gerücht! Geschwätz! Sonst nichts.

Pylades
Doch es versteift sich dies Gerücht: es gibt
Griechen, die sie gesehn und ihr entronnen,
will heißen, ihrem fürchterlichen Dienst.

Klytämnestra
Gemeiner Lug! Gerücht! Geschwätz! Sonst nichts.

Elektra
Wie es auch sei: du stehst nicht vor Gericht
um ihretwillen.

Orest tritt auf, das Beil in der Rechten.

Orest
                        Nein: um dessentwillen,
wozu du, Mörderin, dies Beil gebraucht!

Aigisth
Was ist's mit dieser Kinderstube? Macht,
daß ihr zur Schulbank kommt!

Klytämnestra
                                                  Wer ist der Mensch?

Orest
Frag lieber, was ich war und nicht mehr bin.
Ich war dein Sohn und nannte einst dich Mutter.
Jetzt aber spei' ich diesen Namen aus
wie blutigen Unrat, der das Herz vergiftet.

Klytämnestra
Du wärst Orest? Du lügst, armseliger Bursch.
Ein Hund, kein Agamemnon ist dein Vater,
und so auch bin ich deine Mutter nicht.

Aigisth
Nimm eine Rute, jag ihn auf die Straße!
Nein, leb' er wenig Augenblicke noch,
bis unsre Jagdgesellschaft uns gefunden!

Elektra
Wir sind die Jagdgesellschaft, du das Wild:
ein Weib, ich, werde schmählich dich erwürgen.

Klytämnestra
Komm fort von hier, Aigisth! Die Welt steht still.
Nichts, was hier vorgeht, ist von anderem Stoff
als wie der schwere Alptraum eines Fiebers.
Man muß mich rütteln. Schüttle mich, Aigisth!
Furchtbare Qual: ich sterbe ungeweckt,
als läg' ich festgeschmiedet in den Eisen
des Ätnaschmiedes: wecke, rette mich!

Orest
Was dir im Blute gärt, gärt auch in mir.
Furchtbarer Fieberzwang hält mich in Banden.
Der Traum hat meines Lebens sich bemächtigt,
es brennt wie deines, Weib, in Fieberglut.
In meine Hand geschmiedet ist ein Beil:
wer mir die Hand, den Arm befreien will,
der muß den Arm mir von der Schulter schlagen,
und dann selbst tut das Mordbeil seine Pflicht,
so sicher tötend wie der Blitz des Zeus.

Elektra
Erwache, wenn du magst, verruchtes Weib:
nichts andres kannst du auch im Wachen erben
als deines Daseins rettungslose Nacht.

Orest
Wir alle, Weib, wir alle! Und doch laß
uns aufzuwachen streben! – Brich das Beil
nun mit Gewalt, o Freund, aus meiner Hand
und wahr es gut!
    Pylades tut wie geheißen.
                            Nun seht: Der kranke Dunst,
der diesen Raum vergiftet – täusch' ich mich? –,
wich einem frischen Luftzug. Wer hat ihn
gesandt? Ist etwas in des Schicksals Kreis,
das allzu Schreckliches verwandeln kann,
weil es die Schicksalsgötter selbst bereun?
Laßt uns versuchen, einmal klar zu sehen
mit Kinderaugen, die uns dienten, als
wir rein und schuldlos in der Welt gewandelt.
So, arme Mutter, gib mir deine Hand!

Klytämnestra stolz
Ich bin nicht arm.

Orest
                            Doch meine Mutter bist du,
die ich all meine Zeit so tief entbehrt.
Vergib, was ich an Irrtum sagen mag
in meiner Fremdheit: hungrig ist mein Herz,
doch ungeschickt in Kindeszärtlichkeit.
Befiehl mir, deinem Knaben, doch in Liebe!

Klytämnestra
In meinem Mutterherzen hat ein Sohn
Orestes nie gewohnt. Einst war ein Bursch,
der fremd und trotzig mir begegnete
und, der Erziehung spottend, seinen Lehrer
tollwütig anfiel.

Aigisth
                        Ja, und der war ich.
Bleib ruhig, Königin, es ist gewiß:
ich werde die Erziehung nun vollenden.

Orest
Nein, nicht so, Mutter! Laß der Kinderseele
nicht dieses Wolfsgebelle Antwort geben,
kein Raubtier springe zwischen dich und mich!
Ich tappe wie ein Säugling nach der Brust,
ich bettle flennend nach dem Mutterherzen,
das, goldener Glocke Ton, darunter pocht.

Klytämnestra
Was soll dies läppische Gewinsel, Mensch,
das höchstens Scham und Ekel mir verursacht
und stets, solang ich lebe, mir verhaßt war?
Weichlingen speit ein Mann ins Angesicht.

Elektra
So recht! Daran erkenn' ich Klytämnestra,
und – gleich und gleich – in mir dasselbe Blut.
Das gleiche rollt, Orestes, auch in dir.
Gib ihm zurück das Beil, daß er erwache!

Aigisth
Mir her das Beil!

Er versucht es Pylades zu entreißen, Elektra wirft sich dazwischen, nimmt es an sich und springt zurück.

Elektra
                            Des Rächers Händen
es zu bewahren, haben mich die Moiren
bestimmt: kein anderer wird es mir entreißen.
    Sie hält das Beil hoch über sich.

Klytämnestra
Recht so, armselige Närrin! Treibe weiter
den Unfug deines ausgeleerten Hirns:
sei meine Tochter oder sei es nicht,
zum mindesten ein wenig ist dein Manngeist
dem meinen ähnlich. Doch nun sei's genug
mit diesem lächerlichen Unfug, den
hier dieser Mordschacht unaufhörlich zeugt!
In Kerkern liegt ihr morgen und in Eisen,
ihr drei, und was sich etwa von Verschwörern,
mit euch im Einverständnis, hier versteckt:
schon lange droht man uns mit euresgleichen.
Schwächlinge, zittert! Unser ist die Macht!

Orest
Das sind nur leere Worte. Sprich ein Wort,
ein einziges, nunmehr mit Vollgewicht!
Ist es ein Ja, so kostet's dir das Leben,
ein Nein, so wirst du nie mich wiedersehen
noch meine Schwester, auch nicht meinen Freund.
Selbst deinen Buhlen werd' ich dir nicht rauben
und so auch nicht dein angemaßtes Reich.
Rechtmäßiger Herrscher zwar in diesem Land,
eracht' ich ohnehin mein Recht als Fluch.
So sprich: Wer ist der Mörder meines Vaters?

Klytämnestra
Wer nennt wohl den gerechten Richter Mörder?

Orest
Nun gut! Wer übte denn das Richteramt?
und wer das andere, Mutter: das des Henkers?

Klytämnestra
Er, den die Moiren dazu ausersehn.

Orest
War es Aigisth?

Aigisth
                          Nein: sei's bei Styx geschworen!

Orest
Hast du den Vater selbst getötet?

Klytämnestra
                                                        Nein!

Orest
Zum zweiten Male frag' ich dich.

Klytämnestra
                                                    Nein! nein!

Elektra bricht in ein furchtbares Lachen aus, hält ihrer Mutter das Beil dicht unter die Augen
Wes ist das schwarze, das geronnene Blut
an diesem Beil?

Klytämnestra
                            Ich weiß es nicht.

Elektra
                                                          Wer hat
den Stiel von dieser Waffe mörderisch
umklammert mit der Hand . . .

Klytämnestra
                                                  Ich weiß es nicht.

Elektra
. . . und Agamemnons Haupt damit gespalten?

Klytämnestra
Ich weiß es nicht. Ein schwarzes Lamm zu opfern
war ich gewillt, zum Wohle meiner Tochter
im Jenseits. Doch da drang Gesindel ein,
von ganz demselben Schlage wie ihr heut:
wer konnte anderes tun, als sich zu wehren?

Elektra
Hast du nicht offen deine Tat bekannt
vor allem Volk?

Klytämnestra
                          Nun denn, genug des Schwatzens!
Gerichtet hab' ich den mit diesem Beil,
der Iphigenien gnadenlos getötet:
mit Dikes Hilfe hab' ich Kindesmord,
der Greueln ärgste, so an ihm gerächt.
Was willst du mehr?

Orest
                                  Nun denn, gib mir die Waffe!
    Es geschieht. Mit dem Beile in der Hand
Du, der dies Rächeramt mir auferlegt,
nimm von mir alles das, was menschlich ist,
und dann erfülle mich mit deinem Willen!
Ich bin nur noch ein Werkzeug und sonst nichts.

Aigisth wendet sich gegen den Eingang, hat eine Art Schalmei an den Mund gehoben und bläst einen Jagdruf.

Pylades
Dies, Kronenräuber, Tempelschänder und
Schänder des Ehebettes unsres Königs:
dies mag dein letzter Laut gewesen sein!

Er stürzt sich auf Aigisth, der sich verteidigt.

Klytämnestra
Nicht Hilfe will ich und nicht neuen Mord.
Laßt uns, wenn's sein kann, klug und nüchtern handeln!
Nicht zweifl' ich mehr, du bist Orest, mein Sohn;
doch nun erkenne ganz auch deine Mutter.
Mag sein, mein Sohn, ich tat nicht gut an dir;
dein weiches Wesen stand dem meinen fern,
mehr noch dem Wesen deines mächtigen Vaters.
Doch freilich hast du gegen ihn und mich
der Gründe allzuviel, dich zu beklagen.
Komm zu dir! Stehe nicht so leichenhaft,
berührt vom Dämon, fast zum Tod verwandelt!
Ich bin bereit, mit dir mich zu versöhnen,
ja, und das Recht auf deinen Königssitz
in Argos dir sogleich zurückzugeben.
Sei König! Sei's an deines Vaters Statt!
Ich aber werde in der Stille leben,
dich weder stören, noch von dir gestört.
Ich fühl's: die Götter nicken zu dem Plan
Bejahung.

Elektra
                  Niemals! Neuer Lug und Trug!
Die wohlbekannte Tücke hockt in ihr,
mit der sie unsren Vater wehrlos machte.

Klytämnestra
Entmenschtes Wesen, eh du Feuersbrunst
verbreitest, die dich selbst und andere aufzehrt,
komm zur Besinnung und erinnere dich
daran, daß du noch jüngst ein halbes Kind
und im Gehorsam deiner Mutter lebtest!

Elektra
Ich habe keine Mutter.

Klytämnestra
                                    Sieh mich an,
und zittre im Gehorsam! Du begehrst
und bäumst vergeblich wider mich dich auf.
Und so, nicht anders, sprech' ich auch zu dir,
Orestes: du sollst König sein, ich will's!

Aigisth
Was sprichst du da: ein König, dieser Fant?
dies Bübchen auf dem Stuhle Agamemnons?
Gelächter fällt bei solchem Spaß mich an.
Ihm ziemt die Rute, und er soll sie haben.

Pylades durchbohrt Aigisth mit dem Schwert.

Klytämnestra hat nicht begriffen, was geschehen ist
Nicht so, nicht so! Aigisth, laß deinen Jähzorn!
Voreilig ist er: manches schwere Unglück
hat er uns schon gebracht. Versöhne dich
mit dem dir fremden Blut um meinetwillen,
und bin ich Mutter, fühle du als Vater!

Aigisth
Ich will's.

Klytämnestra
                Was ist dir?

Aigisth
                                    Nichts.

Klytämnestra
                                                  Dein Auge blickt
so seltsam.

Aigisth
                    Weißt du etwas in der Welt,
das nicht so wäre?

Klytämnestra
                                Nein! allein, was soll
die Frage?

Aigisth
                  Wasser! Denn mich quält der Durst.

Klytämnestra
Durst? Durst? Was ist dir?

Aigisth
                                            Siehst du denn nicht, Weib,
wie mich der schwarze Zeus so seltsam anblickt
und auch die Kore?

Klytämnestra
                                Nein, ich sehe nichts.

Elektra
Recht hat dein Buhle: sieh genauer zu,
du ewig blinde Mutter.

Aigisth
                                    Seltsam ist
der heilige Augenblick, wo man allein ist.

Klytämnestra
Ich bin bei dir, und du bist nicht allein.

Aigisth
Es ist hier eine blutige Tat getan:
Wer tat sie, und wen traf sie? Sagt es mir!

Klytämnestra
Wir wissen nichts von einer blutigen Tat.

Pylades
O doch, ich weiß davon!

Aigisth
                                        Nichts weißt du, Bursch.
Dort steht die Wissende, ein grauses Weib –
ein anderes, urgewaltig, ungeheuer –
ein drittes, ganz unfaßbar riesenhaft:
wer diese drei gesehn, trinkt ewige Blindheit.
    Er sinkt um und stirbt.

Klytämnestra
Was will das heißen? Was geschah?

Pylades
                                                            Er stirbt:
und ich hab' ihn getötet.

Klytämnestra
                                        Mensch, du lügst!

Pylades
Wenn ich je Wahrheit sprach, so war es diesmal.
    Lauter Donner.
Die Götter poltern mir Bestätigung.

Klytämnestra wirft sich weinend über Aigisth.

Elektra
Das war der Blitz, der tödlich Segen bringt.

Pylades
Wer bin ich, daß der fürchterliche Zeus
mich so mißbraucht? Ein einziger Augenblick:
und niemals wieder kann der selige Stand
der Unschuld meiner Jugend mich beglücken.

Elektra
O Pylades, mein Heißgeliebter nun,
nicht traure über dein gewaltiges Wachstum:
zum Manne bist du worden, und dich macht
zum Sohne Agamemnons deine Tat!

Allenthalben von fern Hundegebell.

Orest
Wer bist du, Weib, das klare Worte spricht,
indes die Welt mir durcheinanderschwimmt
und rings des Abgrunds ekle Hunde bellen?
Ich fühle keinen Boden unter mir,
und Felsen lasten über meinem Hirne.
Das Beil hat eine Doppelschneide, seh' ich;
nimm es mir ab, o Gorgo, denn ich will
durch dich nicht schuldig werden und hernach
durch dich schuldlos bestraft.

Elektra
                                                Nennst du mich Gorgo,
so nennst du, was ich bin und was ich nicht bin,
mehr aber, was ich bin, als was ich nicht bin.
Im gnadenlosen Dienste der Erinnyen
steh' ich ganz so wie du. Der Augenblick
liegt auf uns, schwächer nicht als wie die Faust
des Allbesiegers Tod.

Klytämnestra ist aufgestanden und geht wie blind und besinnungslos tastend an den Wänden herum.

Orest
                                    Was suchst du, Mutter?

Klytämnestra
Nichts! Selbst ein Nichts, such' ich das bloße Nichts!

Orest
Ich bin Orest. Fragt man mich, wer ich bin,
so nenn' ich diesen Namen. Furchtbar heult
er, von dem Götterwahnsinn ausgeschäumt
auf Delphis grausem Herrschersitz, mir zu.
Wie unterm Dreifuß brodelt's aus der Erde
auch hier, betäubend und in Irrwahn hüllend.
Sag mir, wer sind wir, und was sind wir, Mutter?

Klytämnestra
Nenn mich nicht Mutter, Mordknecht, tu nicht mir
und dir die Schmach an, Mutter mich zu nennen!
Und wenn, so sei es anders nicht gemeint,
als daß die Mutter Mördern Leben gibt,
die Mörder zeugen, und die selbst sowohl
gebiert als mordet. O mißratenstes
Geschöpf Kronions oben im Olymp,
das selber er mit Grauen nur betrachtet!
Auf Mord und Totschlag steht sein eigner Thron,
wie der von seinem Bruder Agamemnon.
Komm, wenn du mein Geschöpf bist, beide kommt!
Gab ich euch Leben, fluch' ich der Geburt
und würge, würge, würge Sohn und Tochter!
    Sie fällt Orest an.

Orest
Zurück! Die Hand von meiner Gurgel, Weib!

Klytämnestra
Niemals!

Orest
                Laß los!

Klytämnestra
                                Nicht ehe du verröchelt!
Die Welt soll endlich sterben: sie wie wir.

Ringend verschwinden beide in dem gleichen Quellenraum wie früher Agamemnon. Man hört einzelne Schreie nach den Geräuschen eines Ringens. Dann tritt Stille ein.

Vollkommen erstarrt stehen Elektra und Pylades. Nach einer Weile tritt Orest wieder hervor, blickt sich um, betrachtet das Beil in seiner Hand, erkennt Elektra und übergibt es ihr.

Orest
Fragt jemand unter Göttern oder Menschen,
ob Delphis Götterspruch vollstreckt sei: schweige
und zeige ihm dies doppelschärfige Beil!

Elektra verändert
Ich weiß nicht, was du meinst! Was ist's mit ihm?

Orest schreitet aufrecht ins Freie, wo ein Morgen tagt. Elektra hält das Beil wie etwas Fremdes in der Hand.

 


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