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Eva-Maria

Eine Legende

O Weib ... du mußt schöne Kinder gebären!«

Aber die Bibel hat auch die Unfruchtbare gepriesen.

Im leuchtenden Völkerfrühlinge Griechenlands galt die Amazone halb göttlich.

Jungfrauenkraft wurde im deutschen Altertume zu Prophetie.

Vor den Vestalinnen schritt im alten Rom der Liktor. Und senkten die Konsuln ihre Bündel.

Weib, nur ersehnt!

Es leben auch solche.

So auch Rosine Morgenrot.

 

Rosine Morgenrot.

Hattest immer gewünscht, einsam wohnen mit Reinem!

Einsam mit Gottes Mutter!

Nicht mit Morgenrots ...

Daß auch diese Leute Morgenrot hießen.

Deine Vater- und Muttersphäre war kein Rosenhag.

Einzig um ihres Kindes ragender Fremdheit willen hießen Vater und Mutter auch Morgenrot.

Unsäglich hochmütig immer Rosine.

Nur mit sich selber.

Vom Sturme zerweht.

Mitten über die herbstlichen Stoppeln.

Hasen, der Fuchs, die Rehe.

Alles kommt munter und ungestört.

Sie selber wie ein Tier oder Wildrosenbusch auf der Erde.

Kreatur allüberall.

Lächelt, wenn Rosine vor der himmlischen Jungfrau am Wege, lang wie Hopfenstange, knickst und kichert.

Die himmlische Jungfrau ist ihr Halt und ihr Stecken.

Und das war noch immer Rosines Lied:

»Ein Wägelein Sand
schlepp' ich an der Hand.
Kein Band, das mich je
an andre band.
Komme gelaufen
durch Bergwald und Flur.
Die Gottmutter hält mich
an goldner Schnur.«

Erstaunlich groß und ebenmäßig alles an dieser Rosine Morgenrot.

Mächtig die Leibesflächen.

Schritte, wie sie Diana tut, wenn sie mit Morgengefunkel aus den Wäldern tritt.

Gar als Rosine flügge geworden.

Aufragend, wie einst der Urahn ragte.

Ihres Ganges weite Linien rissen hin.

Gereckt das flatternde Blondhaupt.

Drängend sanft die Gewalt der Bewegung.

Alles erstaunlich ebenmäßig.

Und das Standhalten, wenn Rosine dem Menschen begegnet und ins Auge sieht.

Auge kühl und klar.

Grau.

Kommt aus den Gründen, wo die Mütter wohnen.

Jedem Beschauer wurde an dieser Steilheit seltsame Frage wach.

Die ragende Magd versah sich von jedem Nächsten nur eines Steinwurfs.

Immer unnahbar.

Für Männer immer auf Meilen fern.

 

Wenn Rosine mit ihrem ratternden Sandwagen ins krummhängende Brettor schritt, wurde sie von den Blicken der Mutter wie mit Peitschenhieben gestreift.

Und der vor Mutter eingeschüchterte Troddel von Vater war rachsüchtig gegen solche ragende Hoheit. Wagte, wenn er die Kühe schirrte, mit Peitschengefuchtel sich vor der eisspröden Tochter mausig zu machen.

Vor jedem Manne noch war Rosine aus Stahl gefügt.

Hatte immer verächtlichste, kühnste Gebärde.

Schleudert den schmutzigen Peitschenstiel einfach mit Schwunge in die Dunggrube nieder.

Ekel beschlich sie auch vor dem Vatermanne.

Dann preßten die Leinengurte der Düngerkarre sich fest in die Schultern der Bauernmagd ein.

So edel sich senkend, wie bei Dürers paradiesischer Eva.

Barfuß.

Mit schmutzigen Waden.

Mitten im Miste ragte wie eine mÿthische Freude diese Rosine Morgenrot.

 

Woher ragen Gestalten aus armem, verwahrlostem Menschentum?

Kein Mensch ist von dieser einen Mutter und diesem einen Vater geboren.

So auch Rosine Morgenrot.

Auch sie kam von der Urferne her.

Auch ihre Vater- und Muttersphäre führte auf Bäume und Sterne und Steine zurück.

Nicht nur auf ungezählte Menschengesichter.

Rosine war wie der Urahn.

Hatte auch keine Zuckersüße. Auch keine Demut im mächtigen Ebenmaß. Auch immer nur die Augen groß und kühl aufgetan. Liebte nur alte Bettelweiber. Lachte, wie sich das Leben vorbeischiebt. Liebend nur zu der heiligen Jungfrau. Allzeit im eigenen Reiche träumend. Darin nur Krähen und Häher kreischen. Bunte Spechte, Vögel der Götter, sich wiegen und hämmern. Eidechsen schießen, zärtlich über die steinigen Wege. Trippeln und schnobern Stacheligel zwischen Gräsern und Blumen und Sande und Steinen gemächlich dahin. Nirgend sind Menschen in ihrem Reiche.

 

»Schaff' dir 'nen Kerl an ... für was dich denn sparen ... verfluchter Hochmut ... bring was ins Haus ... daß wir Alten was haben!«

Die Mutter spie es ihr fast in die Augen.

»Mit sechzehn Jahren ... wirst wohl mit deinen prallen Tüten ein lappiges Mannsbild kirre kriegen ... brauchst ihm bloß hübsch die Brüste zu zeigen ... da tut er dir alles ... da tut er dir alles.«

Die trotzige, ragende Magd Rosine, ihr helles Haupt noch mehr rückwärts werfend, hört nicht.

Ganz ferne nur von Mutter und Vater.

Nur von Sonne und Lüften gestreichelt.

Nur nach der Gottesjungfrau lüstern.

 

Damals war Rosine zwanzig Jahr.

Frühzeitig am Morgen war Rosine aus der niedrigen, windschiefen Kate hinausgeschritten.

Hinein in den Forst, Dürres zu holen.

Augustsonne, die wie ein glühender Panzer auf einem brütet.

Endlich unter hohen Schattenbuchen im Walde.

Schweigend. Knickend. Totenstill.

Unter Großdrosselflöten und Meisengezetscher.

Lässig gedehnt und glückselig schreitend.

Nur von der Gottesjungfrau Erscheinung umweht.

Geschwellt von der Glut noch.

Die Stirnadern springen.

Tiefer und tiefer hinein in den Forst.

In Monaten wandeln hier Menschen nicht.

»Bin ich Waldvogel?«

»Bin ich Reh?«

Menschenbosheit jetzt himmelsfern.

Da …!

Mit Goldringen spielen Dunkelwasser im Steingrund.

Gischtende Schäume und grollender Tobel.

Da gleiten auch schon ihre Sommerlumpen.

Dürersche Eva.

Leise klingendes Glockengelächter.

Mit dem Zeh tastet sie Wellenringe.

Springt schon hinein.

Schreit und schauert.

Wird purpurfarben.

Hüpfte und tanzt und jauchzet jetzt lauter …

…………………………

Jählings Grausen …

…………………………

Hinterm Buchenstamme verborgen …

Wer?

Wer?

Totbleiches, gefoltertes Mannsgesicht.

Das erste Grausen hat Rosine mit Allmacht den Kopf jäh in den Nacken gedreht.

Ihre Augen … gleich zum Tode verraten …

Ungläubig völlig.

Möchten gewaltsam den Stamm jetzt durchbohren.

Wurd' die Beschämung schon grenzenlos.

Rosine wollte irrsinnig gellen.

Gellte verrostete Stimme schon:

»Starre mir! … starre … freilich … ein Mörder … achtundzwanzig verfluchte Jahre zu Arbeitshause verflucht  … um Weibes willen!«

Der Strolch lachte gräßlich.

»Vor drei Tagen endlich in die Lüfte gelassen … hungrig nach Weibe … durstig nach Weibe … bild' dir nichts ein erst … ich mach' dich zur Hure!«

Schnellt sich die totbleiche, blaubeerbemalte, lumpige Mannsfratze schon heran.

Rosine … in ihrer Nacktheit …

Flucht!

Sie umhetzen stumm die einsamen Stämme.

Kein Wort geht aus ihnen.

Stiebend …

Mit Ächzen …

Aus Leibeskräften …

Immer jäher …

In weitem Kreisrund …

Stöhnend …

Verschmachtend …

…………………………

Ruckhaft erschöpft … gleichzeitig beide …

…………………………

Rosine will schluchzen.

Herren zerschlagen der Beiden Rippen.

»Mensch … oder was … oder Weibermörder!«

Rosine stöhnt es.

»Besieh mich!«

Sie flüstert es jagend.

»Ein Weib … besieh mich!«

Der Strolch bohrt sich süchtig mit Blicken an.

Rosine ragt nackt.

Goldene Flecken auf Perlmutterglanz.

Fleht jetzt zur heiligen Jungfrau in hohe Schatten.

»Gottesmutter … zu Hilfe … zu Hilfe!«

Bricht ein Jammerlaut dazu aus dem Strolche. Fast wie ein Hund heult.

Ist der Strolch vor ihr hin ins Waldmoos gekniet.

Mit Fäusten sich selber zerschlagend die Brust, putschend und witternd hin in das Wunder der seligen Nacktheit.

Krächzend: »Bleibe!«

Von Sucht und Krampfe der Leib zerschüttelt.

Krächzend und heulend: »Bleibe … bleibe!«

Nicht sich mehr wagend, weiter zu nahen.

Heiser nur krächzend: »Bleibe … ach bleibe!«

Tränen verströmend beständig aus seinen verquollenen Augen.

Irrsinnig gierend.

 

Rosine ragt nackt.

Fühlt jetzt wie Allmacht.

Fühlt ein Geheimnis.

Fühlt … oh … ihren Schoß von der Gottesjungfrau mit roten Rosen besteckt.

Fühlt: die Gottesjungfrau hat ihre zitternden Hände voll roter Rosen gegeben.

So daß die Rosen wie Blut von den Händen troffen.

So dünkt sie sich selber.

Fühlt sich Fruchtfülle und Süße des reinen, ungenossenen Leibes.

Eingespart ewige Mutterkraft.

Eva … heilig!

Schattig schimmernd von schuldlosem Fleische.

Goldbetupft.

Stumm.

Der Strolch von ihrem Erblühtsein jetzt eisern umklammert …

…………………………

Bis die Erscheinung der Jungfrau vor sich hin mit kaum hörbarer Stimme unter den wölbenden Wipfeln also redet:

»Geh deines Weges!« …

…………………………

Da erhebt sich der Strolch.

Ein Schlafwandelnder.

Vom Glanze der Unschuld überflutet das alte, faulige Herz.

Tut ächzend Schritte.

Geht. Und geht doch nicht.

Tänzelt doch weiter.

Singt mit Fistelstimme, wie sinnlos: »Damals … das Weib  … hab' ich gemordet!«

Gurgelnd.

Gestammel.

Gehetzt die Grimasse.

Schwankend …

Worte.

Gellen schon Worte.

Schrillt schon schamverzerrende Geilheit.

Speichel fließt beständig bei jäher Irrsinnsflucht aus seinem schnappenden Maule.

Jähzornig fortbellend wie ein wütiger Mannshund.

Bellend Unflat gegen das reine Jungfrauenbild.

Steine der Rachsucht gegen das reine Jungfrauenbild.

Zischenden Pesthauch niedrigsten Affengeschlechtes gegen das reine Jungfrauenbild …

Noch vom echoenden Walde ferner und ferner stinkender Greuel gegen das reine Jungfrauenbild.

 

Abend erwachte Rosine aus tiefer Ohnmacht.

Schimmernd nackt und von göttlicher Süße.

Der Wald ganz einsam.

Hirsch und Hinde standen wie in Schatten von Eden, die träumende Jungfrau stumm bestaunend.

 

Von der Zeit an war Rosine Morgenrot allen ganz fremd.

Ihr blondes Haar gelber wie reifer Weizen.

Ihre Augensterne wie von der Gottesjungfrau tiefblau bemalt.

In allem Worte sichere Wildigkeit wie der Frühwind.

Im Blute und Tun heiß gereift, als trüge sie heimlich Gott.

Verdingte sich Fremden.

Der junge Müllerssohn starrt dem gezeichneten Weibe nicht anders nach wie der bleiche Mörder im einsamen Walde. Oft mit heimlich fließenden Tränen.

Da hätte der junge, stählerne Mensch gleich auch fortspringen mögen mit jähem Geschrei, jedesmal, wenn ihm Rosine auch nur ganz gleichgültige Rede zu sagen kam.

Manchmal richtig in heißer Rachsucht.

Viele so, die sie verzehrend begehrten.

Keiner kam nahe.

Freie Verheißung wehte von ihr.

Weibtum wie Sonne.

 

Als Rosine Morgenrot kaum siebenundzwanzig Jahre alt war, ist sie von der Goldschlange Blitz plötzlich berührt bei brandendem Regensturze und unter Donner in Feuer verlodert.

Das Mühlstübel war völlig ausgebrannt.

So, wie es zu ihr paßte.

Mitten im Geheimnis der Dinge verweht.

Es hatte ihr im Leben immer gedeucht, daß sie nicht unter Stubendecke und Hausdach, daß sie unter Wolken und Sternen und Himmel wohnte.

Mit aller Kreatur und der heiligen Jungfrau einig.

Nur nicht mit Menschen.

Wenn man sie hätte fragen können, ob sie lieber auf Bettstroh von nutzlosem Todgeheul rings umstellt, verwehen gewollt, hätte sie wieder nur Gott gebeten:

»Entrück' mich im Blitze!«


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