Carl Hauptmann
Drei Frauen
Carl Hauptmann

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Mademoiselle Kutinelli

Die Familie des Barons Goldap saß in dem gewölbten Eßzimmer. Und Lucie Kutinelli, die französische Erzieherin, goß der Baronin eine reiche Goldtasse voll Tee.

Die Fenster in dem Park standen offen. Und draußen kreischten im vergilbten Baumlaub junge Häher.

Die drei Kinder, zwei Mädchen von zehn und ein Knabe von zwölf Jahren, schlanke, fürstliche Kinder, plauderten leise untereinander.

Das baltische Schloß Auerhof lag nahe am Meere. Der Park war eine weite Bodenfläche von beinahe fünfhundert Morgen. Und vom Altan des Ankleidezimmers der etwa dreißigjährigen 38 Baronin sah man hinter freien Wiesen und hohen, herbstlich verfärbten Eichengruppen den silbernen Meeresstreif.

Baronin Goldap war an diesem Tage beschwert und kleinlaut. Wie sie ins Zimmer kam, hatte man es ihr ansehen können, daß sie heimlich geweint hatte. Obwohl sie jetzt eine hohe Miene trug, als Mademoiselle und der befrackte Hofmeister sie bedienten.

Es war weiche Wärme in den Herbstlüften.

Aber es war auch Aufruhr im Lande.

Denn die Bauern wurden von den Edelleuten geknechtet. Und der Haß der Bauern war wieder einmal nahe daran, jach aufzubrennen.

39 BaronGoldap war ein schlanker, eleganter Edelmann. Das Monokel kam selbst in der Kirche, sozusagen vor Gottes Throne, nicht mehr aus seinem frischen Auge.

Der Baron war in die Gouvernementsstadt gefahren, weil die gärende Unruhe der Bauern den weiten, freiherrlichen Besitzungen schon bedenklich nahe auf den Leib rückte.

Der Sommer hatte Mißernten gebracht. Und in manchen Distrikten herrschte unter den Bauern Hungersnot.

Alles das ahnte die junge Baronin Goldap nur sehr von ferne. Oder sie verstand ihre heimlichen Ängste mit ruhigem Stolze zu maskieren. Und verbreitete sich über eine gleichgültige 40 Handarbeit, die sie im Schoße hielt. Während sie ihren Tee eintrank.

Auch die Kinder lachten untereinander. Sie erzählten sich leise ein wenig anzügliche Geschichten. Und sahen nacheinander in das heilige Gesicht der Mademoiselle Kutinelli, die den Blick mahnend und sanft erwiderte.

Aber Mademoiselle Kutinelli wußte an diesem Tage heimlich noch weniger, was in ihr vorging?

Mademoiselle Kutinelli stammte aus dem Waadtland. Eine Tochter kleiner Handwerksleute. Ein Mädchen mit pechschwarzem, streng gescheitelten Haar. Und mit einer Madonnenruhe. Ein Gesicht, das von Anbeginn in heiliger 41 Schwermut schien. Ein wenig länglich. Und der Körper jugendlich kräftig. Und geschmeidig und edel. Und nie wäre in ihr etwas zu spüren gewesen, als wenn wilde Feuer in ihr lebten.

Die Baronskinder hingen an ihr.

Mehr als an Vater und Mutter.

Denn der Baron war ein unstäter, genießender Mann.

Und die Baronin Goldap war sprunghaft in Liebe und Zorn. Und trug für die Kinder immer eine Bedrohung mit sich.

Nur Mademoiselle Kutinelli war immer sanft und gelassen. Immer gerecht und gütig. Und der Ausdruck einer heiligen Frau, voll eines alten Leides, schwebte um ihre jungen, hohen Mienen.

42 Nie war in ihr anderes zu spüren.

Selbst Baronin Goldap, die schon einmal auch hochmütig losbrechen und sehr spitzig gegen das französische Fräulein schelten konnte, das schließlich doch eine Angestellte blieb und von ihrer Gnade leben mußte, sah heimlich an Mademoiselle Kutinelli auf.

Und der jagd- und weinlustige Baron versuchte sogar, Mademoiselle Kutinelli oft zu necken. Und hätte sie sicherlich angebetet, wenn nicht in ihr die seltsame, stählerne Abkehr gelebt und etwas Abstoßendes bei jeder freieren Berührung in dem Blicke des Mädchens aufgeleuchtet.

Und heute kreischten draußen noch 43 immer die jungen Häher. Und bunte Weinranken wankten tastend ins Fenster. Und die Luft war nur von dem fernen Meerwogen ewig erfüllt .weil der Herbstwind vom Meere her stand. Aber dann kamen bald Diener.

Eilig.

Zwei dicht hintereinander.

Mit verstörten Gesichtern.

Und ein wenig ohne den rechten Rückhalt. So daß Frau Baronin plötzlich blässer geworden. Und die Kinder erschreckt zur Mutter sahen.

Dann kam der Verwalter und postierte vier Knechte an der Tür, die stumm wie Pagoden aufrecht standen.

So daß Frau Baronin plötzlich aufschrie.

44 Und die Kinder, ebenso plötzlich leichenblaß geworden, sich um die Mutter drängten.

Da sah die junge Baronin Goldap in die funkelnden Augen von Mademoiselle Kutinelli hinein. Und sah, daß in deren Blicken jetzt auch kein Halt zu finden war. Aber Mademoiselle Kutinelli sah noch immer sanft aus wie eine junge Heilige. Sie hatte mit tiefer Ruhe die Erzählungen des Verwalters angehört.

Sie hatte es gleichsam geschmeckt, daß ein Heer von verhungerten Bauern mit Sensen und Äxten im Anzuge war. Und daß eines der Adelsschlösser der Nachbarschaft wie ein Feuermeer in die Herbstlüfte brannte.

45 »Au nom de tout, sauvez vite vos petits chéris, madame la baronne!« sagte Mademoiselle Kutinelli so ruhig, als wenn sie ganz von dem Anblick des brennenden Schlosses zur Salzsäule erstarrt wäre.

Und riß nur dabei drei volle Purpurrosen ganz rücksichtslos aus dem Strauße heraus, den der Schloßgärtner für die Baronin vor kurzem erst auf den Vespertisch gestellt hatte. Und achtete gar nicht, daß ein Strahl Wasser sich aus der fallenden Vase über den Tisch ergoß und die anderen Rosen der Herrin einfach zu Füßen fielen.

Sie war nur krampfhaft bemüht, sich die drei purpurnen Rosen an ihrer Brust sicher zu befestigen.

46 »Faites atteler tout de suite, madame la baronne . . . ce château va brûler de même!« stieß sie dabei fast hastig heraus. Aber sie ordnete auch wieder ganz sanft und ruhig an, daß die besten Pferde die Familie in dem großen Familienwagen zur nächsten Bahnstation bringen sollten, die viele Meilen entfernt war.

Die plötzlich völlig verängstigten Kinder und die halb gelähmte, junge Herrenfrau ließen alles mit sich geschehen.

Aber ehe noch der alte Familienwagen mit dem ungarischen Viererzuge vor das Schloßportal fuhr, kam das furchtbare Bauerngeschrei ganz nahe.

Kam ein Trappeln und Poltern, ein Prasseln und Brechen und Schüttern, 47 Fluchen und Lachen und Gellen, Zetern und Hohngeschrei, als wenn ein Meer von Hassern und Rächern sich über Park und Schloß plötzlich ergösse.

Und die gelähmte, junge Baronin empfand sich plötzlich ganz allein in gejagter Flucht durch den großen Ahnensaal, darein eine Schar gieriger Weiber und Männer mit geschwungenen Äxten und höhnischem Gejohl einbrachen.

Die Kinder waren irgendwo schon ins Freie entkommen. Der älteste Sohn stand schon, als Geisel der Bauern gefesselt, mit stolz erhobenem Auge im Hofe, von rauhen Händen umklammert.

Sonst nur Schreien und Aufruhr.

Und die junge Baronin sah mit ihrem 48 verzerrten Gesicht im gehetzten Vorüberfliehen noch Mademoiselle Kutinelli mit drei roten Rosen an der Brust geschmückt eine mächtige Petroleumkanne irgendwo über kostbare Prunkmöbel ausschütten und mit ihrer rechten Hand die Brandfackel darüber schwingen, die sie eben einem Bauern entrissen hatte: wie eine Heilige über hundert gierigen Menschengesichtern in Rauch und Flammen stehend.

Mademoiselle Kutinelli hatte ein unversöhnliches, hartes Demokratenherz.

* * *

Das Schloß Auerhof ist damals verbrannt.

49 Der junge Baron ist nach vielen Ängsten den Seinen wieder ausgeliefert worden. Noch ehe man den Bauernaufruhr ganz im Lande gedämpft hatte. Es war ihm viel Schmach angetan. Bis in den Lebenskern. Er blieb immer ein eingeschüchterter Mensch.

Der Familie sonst ist wie durch ein Wunder keinerlei Gewalttat am Leibe geschehen. Sie lebte dann nicht mehr auf dem Auerhof, sondern meist ganz im Auslande.

Mademoiselle Kutinelli wurde in einem ziemlich zerfressenen, grauen Sträflingskittel in einem kaiserlichen Bleibergwerk unterirdisch beschäftigt.

Wie eine dunkle Heilige schritt sie auch da.

50 Jetzt ist sie längst an Bleivergiftung gestorben.

Die entblätterte junge Baronin Goldap hatte sich ebenso unversöhnlich an ihr gerächt.

 


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