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Slavina war an einem Tage im Oktober geboren. Und hatte den darauffolgenden harten Winter und alle Wetterlagen des Lebens fernerhin gut überstanden.
Sie war wie aus Kraft und Üppigkeit modelliert.
Frau Buntfutter, deren älteste Tochter sie war, lebte als Frau eines Malers. Trachtete das Leben lang immer nach ganz unbestimmten Dingen. Und alles, was sie begriff, war nie das, was sie eigentlich begehrte.
Aber vielleicht war Slavina und blieb Slavina für Vater und Mutter doch das ersehnte Ereignis.
Elias Buntfutter malte Landschaften und Porträts. Recht und schlecht. 24 Überraschungen waren da nicht zu holen. Er sah die Welt aus einem baumlangen, schwerlastenden Körper an. Auch seine Hände waren massiv. Und sein Kopf ging mit dem breiten Nacken zusammen. So daß seine Drehungen faul waren. Und auch seine großen, törichten Augen faul im Kopfe standen.
Da ging Land und Leben nur ohne Zittern und Flimmern ein. Lieblose, harte, gemeine Dinge, die auf jeder Straße billig und nichtig verstreut sind.
Bis er mit einer größeren Erbschaft in der Nähe einer großen Industriestadt ein mitten im Lande hochragendes altes Ritterschloß, das seit dreißig Jahren leerstand, billig hatte kaufen können.
25 In Elvershöh war da keine Fürstenherrlichkeit mehr.
Herr Buntfutter war der späte Sohn eines uraltgewordenen Landpastors. Und auch Frau Buntfutter hatte nur eine kurze Ahnenreihe.
Sie war die Tochter eines Bürgermeisters in einer Landstadt gewesen, als sie der junge Buntfutter heiratete. Aber beide hatten eine gute Bildung. So daß auch ihre vier Töchter in Bildung aufwuchsen. Aber Slavina, die Älteste, war und blieb doch für Mutter und Vater das eigentliche Ereignis.
Slavina trug den Kopf leicht zur Seite genommen, schritt mit Kraft, lachte obenhin. Und hatte schon mit vierzehn Jahren 26 zu den höchsten Geschäften berufen geschienen. Sie wußte schon damals aus dem Leben zu greifen, was ein irrender Sinn aus den Lüften fängt oder aus einem stürzenden Bachwasser mit der Hand schöpfen kann.
Die anderen drei Töchter, die scheu und keusch heranwuchsen, galten den Eltern als unbegabt.
Wenn man (wie sagt man heute?) den siderischen Pendel hätte über dem hohen Ritterschloß, darin die Buntfutters hausten, hin und herschwingen lassen, würde man schon in dieser Zeit bemerkt haben, daß weder von dem baumlangen, sich träge bewegenden Malersmann, noch von der wie eine Ranke im Winde 27 unbestimmt in alle Lüfte greifenden Frau Buntfutter noch irgendeine Kraft ausging. Und daß die drei anderen Mädchen um Slavina nur lächelnde, liebende Statisten in diesem Mysterium waren.
Damals schon ragte das alte Ritterschloß wie eine einzige, einsame, weit sichtbare Blüte im weiten Lande, weil Slavina dort wohnte.
Ins Schloß kamen bald viele junge Männer und Frauen.
Das Schloß war jetzt mit allerhand alten und neuen Bürgermöbeln vollgestellt. Nur da und dort noch stand ein Stück mit irgendeinem unbekannten Wappenzeichen.
28 Aber Slavina ging darin. War wie aus Kraft und Üppigkeit modelliert.
Sie war bald eine Jungfrau.
Sie schien jetzt Sehnsüchte zu tragen wie Sulamith. Sie sang ihr Verlangen schon in selbstgemachten Versen aus, wie die flüggen Mädchen der Ukraine. Sie griff auch wie sie zur Laute.
Sie las schon den lateinischen Tacitus. Sie las auch schon den griechischen Homer. Und wenn sie von ihrer Gelehrsamkeit aufsprang, schien sie schön und entschlossen. Hatte Laune, in die losesten Tanzschleier hineinzuschlüpfen. Und tanzte zu ihrem eigenen, psalmodierenden Gesange vor aller Blicken, wie aus Kraft und Üppigkeit modelliert.
29 Man saß dann um den alten Kamin im Rittersaale, wo über den messingnen Feuerzangen das gewaltige Wappen derer von . . . irgendeines alten Fürstengeschlechtes, in Stein gehauen prunkte. Man wußte dann nicht, daß diese Tänzerin eine von den vier Haustöchtern war. Man dachte an eine junge, schmachtende ägyptische Frau, die nach Männern schreit. Oder gar an ein fremdes, wunderliches Vogeltier, das geheimnisvoll aus einer fernen Wildnis fremde Erregungen und Glut in Vater und Mutter, in Schwestern und Freunden schürte.
Und wenn Slavina dabei ihren stahlharten, geschmeidigen Körper wand, 30 schien eine schöne, buntschillernde Schlange sich manchem wie durch die Finger zu winden. Und das Lachen aus Slavinas feuchtem, weichem Munde klang nicht wie Mädchenlachen, sondern wie ein seltsam gezwungener, widerstrebender, neuer Ton.
Aber Slavina war doch ein Mädchen. Niemand anderes.
Nur wäre Picassos Harlekin da nicht buntschillernd genug bemalt gewesen.
Denn Slavina schrieb auch Artikel, als wäre sie selber ein gewiegter Historiker. Und Slavina sprach fünf lebende Sprachen, Griechisch und Latein nicht mitgerechnet. Und wenn sie ihre Tanzschleier wieder achtlos fortgeworfen, 31 diskutierte sie mit dem ersten besten Gelehrten in der Gesellschaft scheinbar leidenschaftlich über die goldene Latinität.
Slavina war ein Ding, daran alle tausend Triebe der Menschenseele zum Staunen aufgeschossen waren. Wie die üppigen Triebe einer Kartoffel, die schon im Keller nach allen Richtungen hin Keime wirft.
Slavina war einfach ein Wunder.
Und je länger Elvershöh so mitten im weiten Lande ragte, desto mehr wurden der Maler Buntfutter und die immer suchende und nie findende Frau mit den drei anderen, lieblichen, keuschen Töchtern vergessen. Und man sah im 32 weiten Lande diese alte Ritterfeste nur noch wie das Prunkgehäuse für Slavina an, darin die junge, wie aus Kraft und Üppigkeit modellierte Frau in veledischen Schleiern brünstige Tänze vor der Göttin der Weisheit und Schönheit tanzte.
Allmählich hatten sich auch die drei Schwestern Slavinas in die Weite verloren. Zuerst scheu und schüchtern jede mit einem lebensvollen jungen Manne in eine Heckenlaube im Burggarten. Dann ganz hinaus in irgendeine behagliche Lebensstellung.
Eines Tages, wie Slavina erst vierundzwanzig Jahre alt war, verloren sich auch Herr und Frau Buntfutter. Man trug sie 33 innerhalb weniger Tage unter der Ritterburg in das verfallene fürstliche Erbbegräbnis.
Und wenn jetzt Männer kamen, lag Homer in Urschrift aufgeschlagen auf Slavinas mächtigem Arbeitstische. Darauf durchs Bogenfenster wie in einer gotischen Kirche Licht schien. Eine alte Handschrift des Tacitus lag aufgeschlagen daneben. Und auch die Veden mit ihren altindischen Zauberzeichen. Denn Slavina hatte sogar Sanskrit gelernt.
Und sie nahm wieder die Laute. Sang ihre Sehnsuchtslieder. Und ihr Tanz wand sich in den Augen der Freunde, wie Schlangen sich winden.
Aber niemand erkannte mehr, wo in 34 Slavina der Funke glimmte, daran sich die schlichte Liebesgemeinschaft entzündet.
* * *
Nie hat je ein Mann Slavina aus Elvershöh als Geliebte in seinen Arm gehenkelt, herausgeführt.
Slavina ist nie aus dem alten Burgtore herausgetragen worden wie eine Tote, bleich und schön im Sarge liegend.
Slavina ist auch nicht ausgefahren wie eine heiße Lohe, von der gar die ganze alte Burg sich entfachte und verbrannte, über dem Mädchen Slavina sind langsam alle Trümmer alter Weisheiten und neuer Gaukelkünste zusammengestürzt und haben sie erstickt und begraben. 35