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Die drei festen Punkte, der Meierhof, das Kloster und das Schloß von Hlubosch, welche Peter Buresch sich wünschte, waren nun in seiner Gewalt. Allerdings waren sie wichtig, denn sie beherrschten den Wald, die Straße nach Prag und das Litavkatal. – Vom Hluboscher Schlosse zog Peter Buresch nach wenigen Tagen und mit immer wachsender Macht das Litavkatal entlang und die Schlösser von Ginetz und Horschovitz mußten ihn kennen lernen. Von hier auf hoffte er bald sich über die ausgesogenen kaiserlichen Herrschaften im Zbirower Walde auszudehnen und das feste, altberühmte Schloß Tocnik zu gewinnen, das hoch auf einem einsam stehenden Berge schwer zu nehmen ist. – Überall strömten ihm neue Scharen zu, die die Lust nach Beute oder die Aussicht auf Befreiung von Herrschaften und Lasten lockte. Viele freilich schüttelten auch die Köpfe und zogen sich während Peters Anwesenheit in die Wälder zurück, denn sie meinten, die Macht der Kaiserin sei doch zu groß und so ein simpler Raubschütz könne es doch nicht durchsetzen.
In Duschnik selbst, der Quelle des Krieges, war es still und ruhig. Alles, was Waffen trug, war fortgezogen. Nur Weiber, Kinder und Greise blieben zurück, mit einer kleinen Besatzung, die sie beschützen und die beiden Gefangenen, Liduschka und Zdenko, bewachen sollten.
In wenigen Tagen, hieß es im Dorfe, wird Peter Buresch zurückkehren und Zdenko hängen lassen für den Verrat seines Vaters, dem er es versprochen hatte. Denn so sehr Peter den Verrat des alten Mika zu verheimlichen suchte, man hatte doch mancherlei erfahren und war wütend ergrimmt gegen den alten Mika und zitterte vor den Folgen.
Liduschka erfuhr alles, was im Dorfe vorging, was man sprach und was man vermutete. Pepik Picard, der oft vor ihrem Hause Wache stand, konnte nicht schweigen, wenn sie fragte und nicht fragte. Sie hörte alles mit stiller Ergebung an und saß ruhig in ihrer Stube, die nun ihr Gefängnis geworden war, und sah den ganzen Tag unausgesetzt hinüber nach dem hohen, dickmauerigen Schüttboden, in welchem Zdenko gefangen gehalten wurde. Aber als sie erfuhr, welches Schicksal nach dem Gerücht ihren Bruder in wenigen Tagen erwartete, erwachte sie aus ihrem dumpfen Hinbrüten. Sie schrie und weinte, fluchte Peter Buresch und ihrem Vater und verfiel in wilde Raserei, in welcher sie ihren Bruder gehangen, Obtschov brennen und die ganze Welt aus allen Fugen gehen sah. Tage und Nächte gingen so hin, bis sie ermüdet in tiefen Schlaf versank, um von sanftem melancholischem Wahnsinn umhüllt wieder zu erwachen.
Pepik Picard sah es mit weinenden Augen, nachdem er sie in ihrer Raserei umsonst zu trösten und zu beruhigen gesucht hatte. Wie sie so blaß dasaß, traurig und ruhig, immer vor sich hinlächelnd und unverständliche Worte murmelnd, konnte er es nicht mehr über sich gewinnen, sie länger wie eine Gefangene zu bewachen. Er übernahm die Verantwortung vor Peter Buresch und führte sie hinaus in den Sonnenschein, hoffend, daß er ihr wohltun und ihre Nacht wieder aufhellen werde. – Umsonst. – Liduschka irrte durchs Dorf wie ein armer Geist, immer wahnsinnig lächelnd, unbekümmert um alles, was um sie her vorging. Das arme, sonst so keusche und niedlich geputzte Kind beachtete es nicht, wenn der Wind ihr Halstuch davontrug, das Hemd die Schulter herabfiel und Nacken und Brust entblößte, wenn die blonden Haarflechten aufgelöst im Winde wehten und Blätter und Halme als ungesuchter Schmuck daran hängen blieben. – Wenn sie müde war vom beständigen Umherirren, wobei sie den Schüttboden sorglich vermied, setzte sie sich auf die Brücke oder auf einen Stein vor dem Dorfe, und starrte unverwandt nach der Homola, dem verhängnisvollen Walde. Wenn sie da von mitleidigen Nachbarn, die sie ins Dorf zurückführen wollten, angesprochen wurde, hatte sie immer dieselbe Antwort, immer dieselben Worte, die mit denen des andern keinen Zusammenhang hatten: »Wenn der Wald nicht wäre, wäre auch der Krieg nicht, und wäre Peter Buresch nicht, so würde Zdenko nicht gehenkt, und mein Vater wäre kein Spitzbube, und ich habe den Peter Buresch geholt.«
Liduschka wußte freilich nicht, daß eigentlich vom Walde gar nicht mehr die Rede war, daß man schon auf beiden Seiten vergessen hatte, warum denn im Grunde der Krieg angefangen worden und daß der ursprüngliche Feind der Duschniker gar nicht mehr existierte. Denn die Obtschover, nachdem ihr Dorf niedergebrannt war, zogen fort mit dem Bauernadvokaten, tief in die Wälder bis an die Ufer der Moldau. Einzelne wollten zwar Rache nehmen für die Einäscherung ihrer Heimat, aber der alte Mika hielt sie fester als je auf dem Boden des Gesetzes. »Keine Rache, keine Selbsthilfe!« sagte er – »jetzt, da die Geschichte ihrem Ende zueilt, müssen wir uns noch strenger vor jeder ungesetzlichen Tat hüten;« – und die Obtschover, die nun allerdings arm und verzweifelt waren, wie es Peter Buresch wünschte, schlossen sich trotzdem nicht an, sondern horchten den Advokatenworten ihres Richters und zogen in die Wälder, wo sie sich bald wieder zerstreuten, um in alle Welt zu ziehen, als arme Abgebrannte zu betteln und den Abscheu vor Peter Bureschs Namen von Hütte zu Hütte zu tragen.
Sie waren nicht die einzigen.
Die Väter Jesuiten, nachdem sie am Morgen nach der Einnahme ihres Klosters, man weiß nicht auf welchem Wege, wohlbehalten in Dobrisch, einem kleinen Städtchen an der Prager Straße, das dem Fürsten Colloredo-Mansfeld gehört, angekommen waren und ihren uralten, vom Schlage gerührten Pater Superior und die wichtigsten Papiere gut untergebracht hatten, zerstreuten sich in dieser Gegend nach allen Winden und mahnten das Volk ab, den Lockungen des gottlosen, von allen Heiligen verstoßenen Peter Buresch, der mit den Ketzern gemeine Sache machte, zu folgen, indem, wie sie wohlweislich hinzufügten, schon das Gericht auf dem Wege sei, welches ihn verderben und seinen unheilvollen Plänen ein Ende machen werde. Selbst der gutmütige Pater Procopius mit dem Vollmondgesichte war dabei und schäumte vor Wut und Begeisterung – er konnte es Peter Buresch nicht vergeben, durch ihn in seiner lieben Beschäftigung, im Chronikschreiben, gestört worden zu sein. Aber Pater Quirinus war nicht unter den predigenden Mönchen. Spione, welche Peter Buresch nach Prag geschickt hatte, um zu erfahren, ob baldige Gefahr drohe, hatten ihn dort in roter Kutsche vom Gubernio zum Generalkommando, vom Generalkommando zum Gubernio fahren sehen.
Aber auch ohne ihn brachten es die Mönche dahin, daß die Gegend an der Prager Straße ruhig blieb. Was nützte es nun Peter Buresch, daß er das Kloster besaß, welches die Prager Straße beherrschte?
Während all dieser Händel und Geschichten grünte, blühte und duftete die Homola, der verhängnisvolle Wald, die Ursache alles Unglücks, ruhig weiter in den Strahlen der Sommersonne. Kein Baum wurde in seinem stillen Wachstume gestört, denn die Äxte rosteten in den Winkeln, und die sie einst führten trugen jetzt Waffen, um Menschen anstatt Bäume zu erlegen, oder zogen als arme Abgebrannte bettelnd durchs Land. Die Vögel bauten ungestört in seinen Zweigen, es lockte der Fink, es hackte der Specht, es lachte der Auerhahn. Das Wild zog sich wieder in seinem ruhigen Schoße zusammen: das Kaninchen baute, der Hase schlief ruhig in seinem Lager, und durch die dämmernden Gänge schritt stolz der Hirsch und tanzte lieblich das junge Reh, selbst wilde Säue, die lange nicht gesehenen, durchschnaubten mit ihrer zahlreichen Brut das blühende Dickicht. – Wenn die Sonne seine Wipfel vergoldete, sah er so schön, so heiter und lachend aus, daß ihn die Duschniker, wie einst, mit Liebe betrachteten.
Aber es war des Waldes letztes Lächeln.
Eines Abends spät stieg mitten aus seinem Schoße eine dicke, dunkle Rauchsäule auf, die immer dicker und dunkler wurde und wie eine gewaltige Gewitterwolke, immer schwellend, immer wachsend, über Wald und Dorf hängen blieb.
Die Duschniker liefen hinaus, um zu sehen, was das zu bedeuten habe, und sammelten sich in Gruppen, meist Kinder, Weiber, Greise, an der Litavka und staunten die ungewohnte Erscheinung an, die ihnen ein Wunder deuchte. – »Gewiß die Obtschover bereiten was vor!« – Sie schickten einen aus ihrer Mitte in den Wald, um behutsam die Ursache dieser Erscheinung zu erforschen. Aber der Bote war noch lange nicht zurück und die Duschniker hatten schon mit Schrecken erkannt, was es war. Die Rauchsäule wurde immer heller und endlich sah sie mit der darüberhängenden breiten Wolke wie ein Riesenbaum aus, ein Riesenbaum mit schwarzem Laubdache und feuerrotem Stamme.
Noch wagte man nicht es zu glauben, aber der rückkehrende Bote bestätigte es mit Grausen und fügte noch hinzu, daß es Liduschka war, die ihn angezündet. Lachend lief sie im Walde umher und verbreitete mit einem brennenden Zweige in der Hand die Brunst, indem sie die trockenen Gräser, Moose, Gebüsche anzündete. Der Bote setzte ihr nach, aber es war umsonst, da sie überall zwischen ihm und sich schnell eine Flammenwand schob. – Die Duschniker waren entsetzt – Wehgeschrei der Weiber und Kinder erfüllte die Luft. Was sollte man tun? – Abgraben? Der Wald war schon von Natur durch eine Schlucht auf der einen, durch Sumpfwiesen und Teiche auf der andern Seite von andern Wäldern getrennt. Auch würden die Kräfte nicht ausreichen, wenn man es auf einem kleinen Umkreise, nur um die Homola zu retten, versuchen wollte. Die Männer sind ja fast alle fort, dank dem verfluchten Peter Buresch, und das Feuer greift in dieser trockenen Zeit so furchtbar schnell um sich.
Ja, es griff furchtbar schnell um sich.
Schon hat sich die Rauchsäule in eine Flammensäule verwandelt, die hoch emporspringt über den ganzen Wald, wie eine ungeheure Fackel die ganze Gegend bis auf die fernsten Berge taghell beleuchtet. Man sieht durch die Baumgänge tief hinein bis in den Schoß des Waldes – Sträuche, Moose, Farrenkräuter, Quellen, Bächlein, Steine, alle blutrot gefärbt, sind genau zu erkennen – die dunkle Masse der Bäume scheidet sich – man könnte sie fast zählen.
Noch sieht es so ruhig aus in den vorderen Waldreihen, doch prasselt und kracht es weiter in der Tiefe wie tausend Schüsse und brennende Zweige fliegen flammend auf, hoch in die Luft, um in einem weiten Bogen wieder herabzusinken und die Verheerung weiterzutragen. – Schon zischt die Litavka und raucht an einer Stelle, denn der Bach, der ihr aus dem Walde zuströmt, kocht und siedet. Bald wird er zu kochen und zu sieden aufhören, denn er verdampft. Jetzt durch die Baumgänge bis an die äußersten Enden des Waldes, bis an den staubigen Weg, der sich dort am Rande hinzieht, kommen, wie Millionen Schlangen, zischend, züngelnd, eine der andern den Weg verrennend, eine in der andern verschmelzend, die Flammen aus der Tiefe. Schnell laufen sie auf den von der Sommerhitze ausgetrockneten Moosen, Sträuchern und Gräsern und steigen klar und rauchlos auf, bis sie die Zweige der Fichten und Tannen ergreifen, wo sie im dunklen feuchten Qualm verschwinden, um dann wieder über der Höhe des Waldes siegreich und gewaltig in breiten Zungen durchzubrechen.
Da erhebt sich mit klagendem Geschrei über die Rauchwolke eine andere schwarze, wildfliegende Wolke. Es sind die Vögel des Waldes, die in dichtgedrängten Massen fliehen. Viele sinken mit verbrannten Flügeln oder erstickt zurück in die Flammen.
Und wie oben in der Luft, beginnt unten auf der Erde die Flucht der erschrockenen Waldbewohner. In rasender Eile kommen sie heran, mitten durch die Flammen, Bäume und Sträuche niederrennend: das Kaninchen mit tanzenden, der Hase mit großen ängstlichen Sprüngen, der Hirsch mit auf den Rücken zurückgelegtem Geweih, das Reh mit weit vorgestrecktem Hals und Kopf, der Marder und Iltis mitten unter ihnen. Auch der wilde Eber kommt schnaubend heran – das Moos auf seinem Rücken brennt und er wirft sich grunzend in die Wellen des Baches, um sie zu löschen. Alle eilen sie schwimmend, von Stein zu Stein springend ans jenseitige Ufer der Litavka, wo sie laut aufatmend liegen bleiben und unverwandt zurückstarren nach ihrer flammenden Wohnung. Ganz nahe von den Menschen, ja in ihrer Mitte bleiben sie gelagert. Sie fürchten sie nicht mehr; sie haben größeren Schrecken kennen gelernt.
Die Hitze wird fürchterlich, nicht zu ertragen. Alles flieht ins Dorf zurück, um hinter Mauern eine Zuflucht zu suchen, oder mit Wassergefäßen in der Hand die Dächer zu bespritzen, die sich von der Hitze und den herüberfliegenden Bränden leicht entzünden können. Aber ein Schrei des Schreckens hält die Fliehenden auf – er kam von Pepik Picard. Sie blicken noch einmal zurück nach dem Walde und siehe! mitten durch die Flammen wandelt, einen brennenden Zweig in der Hand, die wahnsinnige Liduschka. Schon brennen ihre Kleider und Haare. Sie scheint aus den Flammen heraus zu wollen, aber sich plötzlich wieder zu besinnen. Sie bleibt nachdenklich stehen – dann mit einem Male wendet sie sich und eilt mit großen Schritten zurück in das Feuermeer, das hinter ihr zusammenschlägt.
Liduschka! schreien die Weiber wie aus einem Munde, als ob sie sie zurückrufen wollten, da sie aber nicht kommt, brechen sie in Weinen aus und kehren weinend zum Dorfe zurück.
Seht! – sagt die eine – das haben wir vom Krieg um den Wald.
Um den Wald? – wo ist jetzt der Wald? – fragte eine zweite – Bettler sind wir für ewige Zeiten!
Das haben wir vom Krieg, wiederholte die erste – Liduschka hat er wahnsinnig gemacht, wir sind Bettler, unsere Männer ziehen in der Ferne herum, um sich für Peter Buresch totschlagen zu lassen.
Nichts vom Krieg, wir wollen nichts von dem Kriege wissen, riefen sie einstimmig wütend, – fort mit dem Kriege!
Da aber keine anderen sichtbaren Zeichen des Krieges in Duschnik vorhanden sind als die wenigen bewaffneten Männer, die Peter Buresch zurückgelassen hat und der gefangene Zdenko Mika, fallen sie erst über die Männer her, die sich nur wenig verteidigen, entreißen ihnen ihre Büchsen und zerschlagen sie fluchend an den Steinen, daß Hähne und Schäfte weit davonfliegen. Dann dringen sie in den Schüttboden und öffnen die Gefängnistüre Zdenkos.
Geh fort. guter Zdenko, wohin du willst, du guter Bruder unserer armen Liduschka – wir wollen nichts mehr wissen vom Kriege, du bist frei!
Die Weiber regierten während des Waldbrandes in Duschnik und der Alte vom Hammer, der Vater Peter Bureschs, wagte es nicht in diesem Augenblicke die gestürzte Macht seines Sohnes wiederherzustellen oder sich der Befreiung Zdenkos zu widersetzen. Er hielt es für gut, sich stille zurückzuziehen und seinem Sohne nachzuwandern, der jetzt im Schlosse zu Horschowitz saß, und ihn von dem, was vorging, und vom Waldbrande zu unterrichten.
Das tat nicht not. Der Waldbrand kündigte sich selbst im halben Lande genug laut und leuchtend an.
Nach zwei Tagen, als der Wald schon in Asche und Kohle lag und nur einzelne Bäume noch ihre schwarzen Arme gen Himmel streckten, wo einst Leben, Blühen und Duften war, kamen die Duschniker, die fortgezogen waren, einzeln und in Scharen von allen Seiten zurück, um zu fragen und zu sehen. Denen Peter Buresch keinen Urlaub geben wollte, die stahlen sich heimlich und in der Nacht davon – einzelne traten mit offener Widersetzlichkeit auf und wurden von den andern unterstützt. Es handelte sich ja um das heimische Dorf und um den Wald, den geliebten, der so lange der Ernährer aller gewesen. Der eigentümliche Zug des slawischen Charakters, der an seiner Scholle hängt und immer wieder zurückkehrt zur Stelle, die er einmal lieb gewonnen, mag bei diesen Wanderungen ins Heimatdorf wohl auch tätig gewesen sein. Auch Ziska kehrte mit seinen Taboriten fast nach jeder Tat immer wieder nach Tabor zurück und alle seine großen, gewaltigen Kriegszüge sind wie Ausfälle im größeren Maßstabe aus seinem Lager zu Tabor.
Zu Hause stahlen den Duschnikern die Weiber, Mütter, Schwestern ihre Waffen und versteckten oder zerbrachen sie. Dies hätte den Plänen Peter Bureschs weniger geschadet, da immer neue Waffenzufuhren aus Bayern ankamen, aber die Weiber ließen die Männer nicht wieder zurück zu Peter Buresch. Der niedergebrannte Wald machte auf diese wie auf ihre Weiber einen niederschlagenden, entmutigenden Eindruck und sie fragten sich: wozu das Elend? – wie kam es heran? – und vergaßen, was sie alles mit Peter Buresch durchzusetzen sich vorgenommen hatten. Dazu kam Martin Kinnich, der wieder auftauchte, nachdem er seit Wochen gänzlich vergessen war, mit jenen Reden von Gesetz und Recht und der Macht der Kaiserin, die er im geheimen Umgang mit Mika gelernt hatte, und kamen die Predigten der Väter Jesuiten, die in Bureschs Abwesenheit bis nach Duschnik, dem Ursitz der Händel, vorzudringen wagten.
So kamen die großen Vorsätze und Peter Bureschs Kriegsartikel in Verfall.
Ja, es kam noch mancherlei in Verfall.
Nach dem Abzug der Duschniker, des ältesten, nun schon erfahrenen Teiles seiner Bauernarmee, die den Kern bildete, fühlte sich Peter Buresch zu schwach, um auf einem so weit vorgerückten Posten, wie Horschowitz, länger stehen zu bleiben, um so mehr, als die Bauern dieser Gegend nicht geneigt waren, sich ihm anzuschließen. Wenn seine eigenen Landsleute, sagten sie, ihn verlassen, wie sollen wir Vertrauen zu ihm haben? Auch taten die Barfüßler-Mönche von Horschowitz, frühzeitig von den Jesuiten aus Oborschischt dazu aufgefordert, das Ihrige, den Krieg als einen Krieg gegen die heilige Kirche darzustellen. Beweis genug waren die Ketzer aus Ribnik. Peter mußte sich also zum Rückzuge entschließen, um in seiner Heimat die Armee wieder zu sammeln und ihr mit Strenge einen frischen, kriegerischen Geist einzuflößen. Die Raubschützen waren ein genug starker Kern, mit dem und um den sich wieder eine Macht sammeln ließ, bedeutend genug, um die Soldatenmacht, die man aus Prag erwartete, zurückzuschlagen, vielleicht zu vernichten, denn Peter Buresch wußte schon, daß ihm, trotz aller Mühen des Pater Quirinus, keine zu furchtbare Übermacht werde entgegengestellt werden, da man die Soldaten notwendiger an der sächsisch-preußischen Grenze brauchte und den Bauerntumult in den Wäldern zu sehr verachtete.
Aber schon auf seinem Rückzug fand Peter Buresch einen Feind, auf den er am wenigsten gefaßt war.
Hlubosch, Schloß und Dorf, waren abgefallen, hatten sich stark und zweckmäßig befestigt und zeigten Peter Buresch, als er zurückkam, eine eiserne Stirne.
Das kam so.
Als Peter Buresch noch in Hlubosch stand, versammelte er oft die Bauern um sich, sprach ihnen über die Befreiung von Lasten, die sie drückten, vom Hochmut der Herrschaften, von der Gleichheit aller Menschen, die mit Feuer und Schwert hergestellt werden müsse. Ein Bauer, dunklen und sinnigen Gesichtes, stand da, meist neben ihm, und hörte aufmerksam und ernst zu, und oft, wenn Peter Buresch des Sprechens müde war, nahm er das Wort auf und fuhr fort, mit größerer und gewichtigerer Beredsamkeit, die von der Peter Bureschs auffallend abstach, über dieselben Gegenstände, über Freiheit und Gleichheit, über die Brüderlichkeit unter allen Menschen zu sprechen, über den Bund der ganzen Menschheit, über Vergangenheit und Zukunft. Seine Worte hatten etwas Geheimnisvolles und Priesterliches, was auf die Bauern mächtiger wirkte als die zornmütigen, wilden Reden Peters. Sie sprachen nicht von Feuer und Schwert, sondern von Frieden und Liebe und ließen in eine ferne Zukunft blicken, welche all die schönen Träume verwirklichen sollte, zu welchem Zwecke, wie er sagte, sich die Menschen in Brüderlichkeit zusammentun werden, ja sich teilweise schon vereinigt haben. – Es war so viel Ruhe und Überzeugung in allem, was er sagte, daß ihm die Bauern lieber und leichter glaubten als Peter Buresch. Selbst Peter Buresch hörte ihm gerne zu, und als er fortzog mit seinen Duschnikern, und die Hluboscher so gläubig und überzeugt sah, konnte er das Schloß keiner besseren Besatzung überlassen als den Hluboscher Bauern und ihnen keinen besseren Kommandanten geben, als jenen beredten Weisen. Dieser Bauer nannte sich Mikolas Bjelohlawek, welches zu deutsch Nikolaus Weißhaupt heißen würde.
Aber schon zwei Tage nach dem Abzuge Peter Bureschs mit seinen Duschnikern berief Nikolaus Weißhaupt die Bauern, die unter seinem Befehle standen, zusammen und führte sie in die unterirdischen Gemächer, über deren Türen das Zeichen des Dreiecks angebracht war. Die Türen, welche die Duschniker eingerannt und erbrochen hatten, waren wieder geschlossen, wie ehemals. Nikolaus Weißhaupt zog ein Schlüsselbund hervor und öffnete eine nach der andern. Die Bauern folgten ihm schweigend und von den sonderbaren Zeichen, Gerätschaften und Malereien zur Andacht angeregt, in den großen Saal, über dessen Türe ein großes Gemälde prangte, welches einen mit Dunst und Qualm ringenden Sonnenaufgang vorstellte. Nikolaus Weißhaupt benahm sich in allem, als ob er hier zu Hause wäre. Offenbar kannte er jeden Winkel, jedes Geräte, jedes Geheimnis dieser unterirdischen Räume.
Im Saale öffnete er einen Schrank, der bisher allen Blicken verborgen geblieben, und holte ein großes Buch hervor, das er mit Andacht und Ehrfurcht auf den Altar legte. Als er es aufschlug, wurden allerlei Zeichen und geheimnisvolle Charaktere sichtbar. Die Bauern horchten aufmerksam und fast furchtsam, als er mitten aus dem Buche, aus dem Texte herausgerissen, mit schwerem, gewichtigem Tone und mit Nachdruck zu lesen begann:
»Eine der ersten und heiligsten Pflichten muß es sein, den Stand des Ackerbauers, des Pflegers und liebsten Kindes unserer Mutter Erde, zum Bewußtsein seiner Entwürdigung zu bringen, die Leibeigenschaft, die schreiendste Verhöhnung der Menschenrechte, abzuschaffen, die Lasten, die ihn unterdrücken, zu beseitigen, für seine geistige Bildung zu sorgen, den Aberglauben, die Menschenfurcht – die schwersten Fesseln der Menschheit, zu brechen und ihn zu einem Stand von Freien, von Glücklichen zu machen, wie er es verdient durch Arbeit und durch die Tugenden, die bei ihm schlummern. Das beteuern wir anzustreben, darauf all unser Dichten und Trachten zu wenden, Leben und Gut dafür einzusetzen, als für den ersten Grundstein einer neuen, besseren und glücklicheren Gemeinschaft.«
Nikolaus Weißhaupt schloß das Buch wieder. Als er ihnen den Sinn des Gelesenen in klaren schlichten Worten auseinandersetzte, war es in ihrem Kopfe wie auf dem Bilde über der Türe, wo die Sonne durch Nebel und Qualm zu dringen sucht. Und als er ihnen von einem Bunde weiser und edler Männer sprach, der sich über die ganze Erde ausgedehnt, um überall mit vereinten Kräften zu solchen Zwecken zu wirken, und daß ihr Herr, der Fürst Schönborn, einer der Meister dieses Bundes, vielleicht in diesem Augenblicke irgendwo mit solchen weisen Männern zusammen tage über die Verwirklichung dieser Sätze, und er sie vorwurfsvoll fragte, ob sie gegen einen solchen Freund mit Feuer und Schwert auftreten wollten, und er endlich ermahnend hinzufügte, daß sie auf diese Weise die Pläne der Edlen nur vereiteln und am Ende des Weges, den sie betreten, für jetzt nur Unheil und doppelte Unterdrückung sie erwarte – da falteten sie gerührt und erschrocken die Hände wie zum Gebete. – Die ihre Waffen mitgebracht hatten, ließen sie unwillkürlich fallen.
Am Ende seiner Rede fügte Nikolaus Weißhaupt hinzu, daß ihn dafür, daß er das Geheimnis seiner » Brüder« und seines » Meisters« verraten, vielleicht schwere Strafen erwarten, er müßte es aber tun, um sie abzuhalten von einer Tat des Undanks gegen ihren Herrn, der es so gut mit ihnen meinte.
Ob Nikolaus Weißhaupt ganz aufrichtig war, als er die Bauern von einem Wege abhielt, den er für jetzt für unheilvoll hielt, oder ob er etwas jesuitisch verfuhr, wie es wohl die Freimaurer des vorigen Jahrhunderts pflegten, um seinem Herrn und »Meister« sein Eigentum und der » aufgehenden Sonne« eine wichtige Loge zu retten – wir wissen es nicht.
Aber Hlubosch, Schloß und Dorf, war für Peter Buresch verloren und als er auf seinem Rückzuge dahin zurückkam, wies es ihm eine eiserne Stirne. Er mußte unverrichteter Dinge weiter zurück bis Duschnik, denn jetzt waren es die Bauern selbst, verbunden mit der Leibwache des Fürsten, welche Hlubosch verteidigten.
So war ein fester Punkt verloren, den andern gab man freiwillig auf. Peter wollte seine ganze Macht um sich versammeln, um den Soldaten, deren Ankunft er erwartete, die Spitze bieten zu können, und rief den Ungarmichel zurück aus dem Meierhofe. Was sollte er auch länger dort, da Obtschov in Asche lag und alles geflohen war? Nur Zdenko wandelte jetzt dort zwischen den schwarzen Trümmern der Hütten, einsam, verlassen. Seinen Vater aufzusuchen fiel ihm nicht ein.
Nur das Kloster ließ Peter Buresch besetzt, um die Kaiserlichen aufzuhalten, wie sehr sich auch die ketzerische Besatzung heraussehnte. Denn es gingen wunderbare Dinge im Kloster vor. Offenbarer Spuk! Oft in der Nacht schlurften lange, dunkle Gestalten an den Wachen vorbei, durch die Gänge, ohne daß man wußte, woher sie kamen, wohin sie gingen. Wenn man sich ein Herz faßte und sie verfolgte, waren sie schnell verschwunden, verschlungen von der Nacht und von der Erde. Am Morgen fand man mancherlei Veränderungen im Kloster. Schränke waren geöffnet, die man früher nicht bemerkt hatte, einzelne Papiere oder auch Geldmünzen waren durch die Gänge zerstreut, als ob sie jemand in Eile verloren hätte. Einmal sogar verschwand aus der Mitte der schlafenden Bauern, im großen Konventsaale, wo ihnen noch den Abend vorher der einäugige Slavik vorgelesen hatte, die Chronik des Pater Procopius. – Doch blieben sie auf ihrem wichtigen Posten unter dem Befehle des einäugigen Slavik und des Ketzers Hynek Jarmilo. Ersterer, wenn er sich ordentlich bekreuzt hatte, fürchtete auch allenfalls Geister nicht und der andere disputierte sie mit ungläubiger Miene weg vom Erdboden und suchte sich alles auf natürliche Weise zu erklären.
Unter dem Schutze dieses vorgeschobenen Postens, der die Prager Straße beherrschte und ihn leicht von der herannahenden Gefahr unterrichten konnte, sammelte Peter Buresch seine Armee und suchte ihr den alten Geist wieder einzuflößen. Es ist wahr, er hatte den ruhigen Blick von ehemals nicht mehr, er flößte nicht mehr das Vertrauen ein wie zu Anfang, und war in diesem Gefühle mißtrauisch, verdrießlich und grausam. In Duschnik wurde er mit Murren empfangen, die Weiber schrien laut gegen ihn, denn sie fühlten sich sicher, da er nie etwas gegen ihre Widersetzlichkeit getan, nie ein Weib bestrafen ließ und ihre Drohungen zu verachten schien. Die Männer kamen beim Schall der Trommel nur langsam und zögernd, meist unbewaffnet, aus den Häusern hervor. Aber als er den Ungarmichel mit seiner entschlossenen Schar um sich hatte, ging alles besser. Mit ihrer Hilfe, da sie ihm unbedingt gehorchten, ließ er den Schrecken regieren. Die Flüchtigen ließ er auf der Flucht erschießen oder in ihren Häusern aufsuchen und aus dem Bette reißen, um sie nach den Kriegsartikeln zu behandeln. Freilich blieben da viele, die einen aus Angst, die andern, weil sie selbst an Entschlossenheit gewonnen, mitten unter den Entschlossenen und dem härtenden Feuer des Schreckens und der Strenge. Aber viele flohen weiter als bis an die Schwelle ihrer Häuser, sie flohen tief in die Wälder. Denn die Soldaten, hieß es, sind im Anzuge und mit ihnen Trenksche Panduren, die damals schon das Kind in der Wiege zittern machten. Selbst der Alte vom Hammer zitterte. Er dachte an hundert traurige Möglichkeiten und suchte den Scherenschleifer Zerzog, der von Zeit zu Zeit wieder in der Gegend auftauchte und Peter Buresch aufmunterte. Er wollte mit ihm über einen möglichen Rückzug seines Sohnes nach Bayern sprechen, aber er war nirgends zu finden. Er zog immer weiter, er machte immer größere Kreise in den Wäldern, er wurde immer ängstlicher, er malte sich traurige Möglichkeiten immer trauriger aus – eine Hintertüre zum Entkommen mußte man sich für jeden Fall besorgen. Aber der Scherenschleifer war nicht zu finden.
Peter Buresch selbst zitterte nicht. Er war zwar etwas verwirrt, der Zorn über die Widersetzlichkeiten, über die Furcht vor den Kaiserlichen, über die Auflösung, die trotz allem in seinen Reihen wieder zum Vorschein kam, machten ihn kurzsichtiger als sonst. – Aber er hatte Mut, er wollte den Feind in offener Schlacht erwarten und hoffte ihn mit Hilfe seiner tapferen Schar von Raubschützen und seiner Kenntnis des Bodens zu schlagen und so das schwankende Vertrauen durch einen Sieg über die sogenannte gesetzliche und reguläre Macht wieder zu befestigen. So zog er hinaus auf die Anhöhen vor dem Dorfe, auf die Seite, wo der Feind aller Berechnung nach kommen mußte, stellte Wachen auf und befestigte einzelne Punkte. In dieser Stellung erwartete er das Zeichen aus Oborschischt.