Moritz Hartmann
Der Krieg um den Wald / 1
Moritz Hartmann

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Drittes Kapitel.

Bei allen Völkern, die noch auf niedriger Kulturstufe und ihrer ursprünglichen Kraft nahe stehen, kehrt mit wilden Zuständen die Lust an der Selbsthilfe und mit ihr die Neigung zur Blutrache zurück, die auch nichts anderes ist als verspätete und nachgeholte Selbsthilfe. So war es auch bei den Duschnikern nach dem Tode des alten Richters. Es war dem Bauer Kinnich nicht schwer, sie zu überzeugen, daß ihr Vater und Ratgeber von den Obtschovern absichtlich getötet worden. Er wollte bemerkt haben, daß der Bauernadvokat während der Unterredung dem tollen Honsik Zeichen und Winke gegeben, wie und wo er den Baum fällen solle, und als gewiß behauptete er, daß jener mit schadenfrohem Lächeln dem Zuge nachgesehen, als sie sich mit der Leiche entfernten. Kinnich führte die Bauern in die Stube, wo die Leiche ausgestellt war, gehüllt in glänzendes leinenes Gewand, umgeben von brennenden Wachskerzen und Sträußen von Rosmarin, Salbei und allerlei Blumen. Vor ihr ließ er sie die Hand aufheben und schwören, nach ihrer Pflicht ihr Eigentum zu schützen gegen die Räuber und an ihnen Rache zu nehmen für den Tod des heiligen Mannes. Liduschka, die an der Leiche saß, die Hände gefaltet und leise Gebete lispelnd, horchte scheinbar teilnahmlos dem schrecklichen Schwure, der ihre Landsleute bedrohte. Erst als die Leiche hinabgesenkt und der Gegenstand ihrer größeren Schmerzen aus ihren Augen verschwunden war, erinnerte sie sich deutlich des Schwures, der noch in ihren Ohren nachklang, und sie schlich sich noch vom Kirchhofe fort, durch den Wald nach Obtschov, um ihren Vater und die Brüder zu warnen und sie flehentlich zu bitten, alles zu tun, was Unheil abwenden könnte.

Die Brüder lächelten zwar über ihre Besorgnis, doch wollten sie sie in Obtschov zurückhalten und sie bewegen, nicht mehr nach Duschnik zurückzugehen, wo sie doch nichts zu suchen hätte. Liduschka schüttelte den Kopf. Das Taldorf war jetzt ihre Heimat und es schien ihr schon nicht recht, daß sie so heimlich sich nach Obtschov geschlichen. In Duschnik lag das Haus und das Besitztum ihres abwesenden Mannes, die sie als treue Hausfrau zu schützen hatte. Und sie kehrte unbeirrt durch die Vorstellungen der Brüder und des Vaters in das nun so einsame Haus zurück. Da schaffte und arbeitete sie ohne Unterlaß, ohne tagelang hindurch die Schwelle zu überschreiten, denn sie fürchtete sich vor jeder Nachricht, die ihr da draußen zukommen konnte.

Der Bauer Kinnich entfaltete seit dem Tode des alten Richters eine außerordentliche Tätigkeit. Jetzt war er eigentlich die einflußreichste Person im Dorfe und war sich dessen wohl bewußt. Flink, leicht beweglich, scheinbar schnell entschlossen, Meister in großen Worten, verstand er es, große Bewegungen in den Gemütern hervorzubringen und den Moment zu benutzen. Krieg, rief er, indem er durchs Dorf rannte, Krieg müssen wir führen auf Leben und Tod mit den Räubern, wenn wir nicht in kurzem vor Hunger sterben wollen!

Er ließ die Trommel aus dem Schlosse holen, welche sonst die Bauern zum Frondienst berief, hängte sie seinem Knechte um und befahl ihm trommelnd das Dorf zu durchziehen. Die Bauern, gewohnt diesem Schalle zu gehorchen, kamen aus den Häusern hervor, und ehe eine Stunde verflossen war, sah der große Kastanienbaum eine große Versammlung unter seinen Zweigen. Der Jude, Kinnichs Freund, ging mit der großen Branntweinflasche durch die Menge und präsentierte heute von seinem Besten, mit einstimmend in die Schimpfworte gegen die Obtschover und in die Lobeserhebungen des hingeschiedenen alten Richters. Erst als der Lärm aufs höchste gestiegen war, trat Kinnich auf den Altar vor dem heiligen Nepomuk und stellte der Versammlung vor, wie es not tue, einig zu sein gegen den gemeinschaftlichen Feind, sein Eigentum für Weib und Kind zu bewahren; wie es sich für Männer gezieme, in so rechtloser Zeit durch eigene Kraft das Recht aufrecht zu erhalten; wie der Verschiedene, Gemordete auf die Versammlung vom Himmel herabblicke und Rache fordere, und wie sie an seiner Leiche selbst geschworen hätten, ihn zu rächen. – Die Weiber weinten, die Männer gaben Zeichen der Übereinstimmung und schrien: Krieg, Krieg, Krieg!

Während des Lärmens entfernte sich Kinnich aus der Versammlung. Seinem Nachbarsohne winkte er, ihm zu folgen, und bog mit ihm um die Häuser, dann redete er ihn an: Siehst du, Pepik Picard, in dem Kriege, den wir jetzt gegen die Obtschover führen müssen, braucht man gute, entschlossene, tapfere Anführer – du wärst so ein Kerl, und wenn ich was zu sagen hätte, müßtest du einer der ersten Offiziere werden. Zuerst aber muß ein Oberanführer gewählt werden. Das wollte ich den Leuten nicht sagen, sie glauben sonst, ich wollte es werden – was mir nicht einfällt, – obwohl ich selbst glaube, ich gestehe es, daß ich meinen Platz ausfüllen würde. Aber davon wollte ich nicht sprechen – ich wollte dich nur bitten, daß du jetzt zum Hausen zurückgehst und sie erinnerst, daß sie einen Anführer wählen. Du könntest so nach deinem Gutdünken einige Namen nennen – du bist ja ein gescheiter Kerl!

Pepik Picard fand das alles sehr gut, und mit der Versicherung, er wolle seine Sache schon gut machen, kehrte er zur Rotte zurück. – Nach einer halben Stunde wurde Kinnich in allen Häusern gesucht – man fand ihn endlich auf seinem eigenen Hofe, wo er mit Häckerlingmachen beschäftigt war, als man ihm seine Wahl zum Führer der Duschniker ankündigte.

In wenigen Stunden hatte das Dorf ein ganz verändertes Aussehen. Überall wimmelte es von Bewaffneten – auf den Steinen klirrte es von alten Säbeln, Äxten, Gabeln. Vor den Häusern saßen die Männer und versuchten es, verrostete Flintenschlösser wieder brauchbar zu machen. Dort saß einer und dengelte sein altes Schwert wie eine Sense auf dem Stein, hier stand ein anderer in der Schmiede und sah zu, wie ihm der Meister Schmied seine Sense gerade bog und einem andern die Eisenspitze an eine lange Stange befestigte, – und ununterbrochen scholl die Trommel an den Häusern wider. Kinnich selbst war überall; obwohl etwas verwirrt und aufgeregt und, wie es schien, ängstlich mitten in dem Lärm, ordnete er doch die Züge, gab Anweisungen usw. Er hatte sich eigentümlich herausgeputzt. In den hohen Wasserstiefeln, die über die Knie reichten und Falten bildeten, staken die stramm anliegenden gelben Lederhosen – die kurze blaue, mit roten Schnüren verbrämte Jacke, an welcher eng aneinandergedrängte gelbe Messingknöpfe glänzten, bedeckte nur halb den vielfarbigen Ledergurt, an welchem ein gewaltiger krummer Säbel mit messingenem Korbe hing. An dem breiten schwarzen Filzhute war die vordere Krempe aufgebogen und daran eine hohe grüne Hahnenfeder befestigt, die im Winde schwankte und Farben spielte und hinter welcher ein kleines Bild der Mutter Gottes vom heiligen Berge zu Przibram verborgen war. So schritt er dem Zuge voraus, als derselbe sich lärmend, schreiend gegen Abend dem Walde zu bewegte. Umgeben hatte er sich mit einer ganzen Schar von Offizieren, die er schnell ernannte und die er hin und her schickte, um das süße Gefühl des Befehlens zu kosten.

Im Walde angekommen, teilte Kinnich seinen Haufen in mehrere Rotten, gab ihnen Führer und schickte sie an verschiedene Punkte des Waldes, an Kreuzwege, Halden, auf Hügel und Wiesen. Er selbst lagerte sich mit einem großen Teile der Bauern am Eingange des Waldes. Den Führern der einzelnen Rotten verbot er irgend etwas zu unternehmen, oder gar angreifend zu Werke zu gehen. Sie sollten bloß den Wald bewachen und die Obtschover, wenn sie kämen, zurücktreiben.

Die Obtschover aber kamen nicht. Der alte Mika war kein Mann des Krieges und dachte an die Zeit, da wieder das Regieren anfinge und die Führer der Dörfer zur Rechenschaft gezogen werden konnten. Auch kannte er den Führer seiner Feinde, Meister Kinnich, zu gut, und wußte, daß er seine Schar durch Tatlosigkeit nur ermüden werde. Er gebot den Obtschovern, sich in ihrem Dorfe ruhig zu halten, um nicht teilhaftig zu werden an dem bewaffneten Aufstande, den sich die Duschniker zuschulden kommen ließen, und sich nicht um ihr gutes Recht selbst zu bringen. Die Obtschover gehorchten. Nur einzelne kampflustige schlichen mit ihren Büchsen hinaus und feuerten aus dem Gebüsch mit leichtem Schrot auf die einzelnen Rotten. Die armen Duschniker, die nicht so gut bewaffnet waren wie die reichen Obtschover, zogen sich in die Tiefe des Waldes zurück und mußten von ferne hören, wie die jungen Obtschover, wie zum Hohne, bald hier, bald dort einen Baum niederstreckten.

So ging es manche Tage und Nächte. Die Weiber, Mädchen und Kinder kamen aus dem Tale herauf, zündeten große Feuer an, kochten und rösteten im Freien; der blinde Herein, der Musiker des Dorfs, blies den Dudelsack – man tanzte auf dem Rasen, man setzte der Flasche zu, die der Jude umhertrug, und vergaß, warum man ausgezogen war. – Kinnich wurde nachdenklich und unruhig und ließ die Sache gehen wie sie ging. Aber die aus dem Walde zurückkamen, fliehend vor den guten Büchsen der Obtschover waren unzufrieden, besonders wenn sie sahen, wie man im » Lager« so lustig lebte, während sie im Walde stundenlang auf Posten stehen und sich dann von einigen dummen Büchsen jagen lassen mußten. Zu diesen gesellten sich noch die Verständigeren im Lager. »Wozu,« sagten sie, »haben wir die Sache angefangen, wenn wir nicht einen entscheidenden Streich ausführen sollen? Den Wald ewig bewachen können wir nicht und etwas muß geschehen, was die Obtschover züchtigt und sie für ewige Zeiten von ihren Räubereien zurückschreckt. Wenn unser Hauptmann nicht den Mut hat, etwas anzufangen, soll er es sagen und uns nicht an der Nase herumführen. Besser gar keinen Führer als einen mutlosen. Könnten wir tun was wir wollten, würden wir in hellen Haufen auf die Obtschover losstürzen, ein paar totschlagen, einige Häuser anzünden und die Sache wäre gut. Aber Kinnich hat keinen Mut und kann kein Blut sehen – das hat man sich schon lange erzählt, und das scheint sehr und gewaltig wahr zu sein.«

Dem Meister Kinnich, der sich immer vom Haufen etwas entfernt hielt und allein auf einer alten Schabracke ausgestreckt lag, wurde das Gemurmel der Unzufriedenheit von seinen Freunden hinterbracht, von Pepik Picard, dem langen Wlach, vom alten Tomesch und andern.

Mut, Mut! rief er aus, Unsinn, barer Unsinn, Dummheit, Bauerndummheit! Was heißt das, Mut? ich soll hingehen und mich hinstellen und mir eine Kugel durch den Leib jagen lassen? Wozu hat mir dann der Mut genützt? Wenn ich hinfalle und tot bin, werde ich es sehr bedauern, daß ich Mut gehabt habe. Was soll mir eine Eigenschaft, die mir nur schaden kann? Ich richte gern was aus, worüber ich mich noch morgen freuen kann – wenn ich aber heute von so einem Obtschover Bengel erschossen werde, was habe ich morgen davon?

Sollen wir uns aber verspotten lassen? – sagte der lange Wlach, sollen wir uns unser Recht rauben lassen?

Recht wird nicht durch Unrecht erworben. Glaubt ihr denn, daß es erlaubt ist, so einen rechten, ordentlichen Krieg zu führen? Bin ich ein König oder ein Kaiser? – Wir dürfen allein unsern Wald hüten, wie wir die Schafe hüten, und die Obtschover müssen wir ermüden.

Ermüden? rief der alte Tomesch – da schlag das Donnerwetter drein! – ermüden, dieweil wir uns Tag und Nacht im Walde herumtreiben und sie bequem zu Hause im Bette liegen und uns auslachen! Ich sage dir, Kinnich, da wir die Sache angefangen haben, müssen wir sie ausführen und kost' es Rad und Galgen, und wenn du nicht noch heute etwas unternimmst, so bist du am längsten unser Führer gewesen.

Gut, gut, wir wollen noch heute etwas unternehmen, sagte Kinnich verdrießlich und tat einen langen Zug aus der Flasche, die er in der Jagdtasche trug – aber ihr habt mich dazu gezwungen – merkt euch, daß ihr mich dazu gezwungen habt – ihr seid alle Zeugen – kommt her alle und höret, daß ich dazu gezwungen werde, gegen die Obtschover ungesetzliche Gewalt zu gebrauchen – du besonders, alter Tomesch, du besonders zwingst mich.

Ich nehme es auf mich – lächelte Tomesch und wandte sich ab.

Jetzt verlaßt mich, daß ich meinen Plan mache, befahl Kinnich und alle zogen sich zurück und beobachteten nur von ferne, wie er sich die Stirne rieb und Zug auf Zug aus der Flasche tat.

Es war spät am Abend. Die Sonne färbte kaum noch die goldene Spitze des mittleren Turmes am heiligen Berge – die Glocke von Pitschin, die nur beim lieblichsten Wetter zu hören ist, schickte über den Wald herüber bebende Töne, welche die feierliche Stille mehr hoben als unterbrachen. Die Bauern lagen ruhig umher, nachdem sie Weiber und Kinder nach Hause geschickt hatten, und warteten, bis der Hauptmann mit seinem Plane zu Ende gekommen sein würde.

Da scholl Hundegebell das Tal herauf durch die Bäume. Einige Minuten darauf sprang ein gewaltiger Jagdhund heran, beschnüffelte die Bauern und eilte wieder ins Tal zurück.

Jesus Maria, das ist der Jagdhund des Peter Buresch! – der Peter Buresch kommt! – riefen mit einem Male an zwanzig Stimmen, teils freudig, teils erschrocken. Kinnich hob bei diesem Rufe den Kopf etwas vom Lager, stierte dem Hunde erschrocken nach und sank wieder in seine vorige Stellung zurück.

Peter Buresch ließ nicht lange auf sich warten. An der Seite seines Vaters und eines kleinen Jungen, der sein Jagdgewehr trug, stieg er den Berg herauf. Es war ein großer, breitschulteriger, knochiger Mann, mit dunkelbraunem Gesicht und grünen stechenden Augen, die wie die Augen eines Luchses leuchteten, von schmalen Augenbrauen kaum beschattet. Die weißglänzenden Zähne seines breiten Mundes waren von keinem Barte bedeckt, denn erst unter dem Kinn begann nach der Sitte der altböhmischen Jäger der Bart, der über die Brust hinunterhing und das weiße Kreuz, das da hing, halb verhüllte. Er trug einen grünen, kurzärmligen Wollsamtrock, schwarze, bloß bis ans Knie reichende Lederhosen, grüne Strümpfe und gewaltige mit Nägeln beschlagene Schuhe – auf dem Kopfe eine Art zugespitzten Tirolerhut, mit Gemsbart, Hahnenfeder und einer aus Wolfs- und Bärenhaaren verfertigten Kokarde geziert, von Tieren, die er selbst erlegt. Denn Peter Buresch hatte die ganze Monarchie durchzogen, um Jagden aller Art zu kosten – er hatte in Salzburg Gemsen, in Krain Bären, in Ungarn Wölfe erlegt. Seine ganze Erscheinung sprach von Mut, List und Verschlagenheit und flößte Furcht und Respekt zugleich ein. Schwache Gemüter konnten sich ihm ganz hingeben, um ihm willenlos bald ganz und gar anzugehören. Darum wußte man auch viel von seiner Gewalt über Weiber zu erzählen und von seinem Einfluß auf alle Wilddiebe, die er zu einem Orden vereinigt haben sollte. Offenbar gehörte die ganze Schar verwilderter Gestalten, welche ihn jetzt, die Büchse auf dem Rücken, neben seinem Vater und dem kleinen Jungen begleiteten, mit zu diesem Orden. Der ganze Aufzug hatte etwas besonders Ungewöhnliches, ja Geheimnisvolles. – Erst der gewaltige Peter Buresch, dann sein Vater, der Zauberer und Wahrsager, wie wir ihn oben beschrieben haben, mit dem ungeheuren Rosenkranz und den Kreuzstock in der Hand – der kleine, zartgeformte Knabe an Peter Bureschs Seite, sein Waffenträger, der sich neben seinem Herrn ausnahm wie ein sanftes Blümlein neben einer Eiche, obwohl seine breit und schief geschlitzten Augen wild und feurig glänzten, selbst wenn er zärtlich zu seinem Herrn und Meister hinansah, und obwohl sein Antlitz so dunkel gefärbt war, als ob er nicht in diesen Landen heimisch wäre. Dazu die Schar von Wilddieben mit ihren Waffen, die bei aller Wildheit doch schweigend und untertänig Peter Buresch begleiteten und dastanden, als ob sie immer seines Befehls, seines Winkes gewärtig wären. – In der Tat machte das alles einen so erstarrenden Eindruck auf die Bauern, daß sie wie gebannt auf ihrem Lager liegen blieben, bald sich untereinander, bald Peter Buresch mit seiner Schar anstierten und erst aus ihrer Verwunderung, ja Betäubung erwachten, als Peter Buresch selbst zu sprechen anfing.

Da liegen sie, die gewaltigen Helden, und starren den Mond an wie herrenlose Hunde! – rief er breitlachend aus, indem er die Hände in die Taschen steckte, den Oberleib zurückwarf und mit Hohn auf die lagernde Schar hinabsah – da liegen sie und wissen nicht, daß die edle Jugend Obtschovs heute nacht kommt, um sie mit Vogeldunst in ihr Dorf zurückzutreiben! Der edle Feldherr, der dort betrunken liegt, scheint Mangel an Spionen zu haben. – Was wollt ihr? was habt ihr? Erzählt, und wenn ich euch helfen kann, tue ich's mit Vergnügen.

Ihr habt nicht recht, uns so zu verspotten, sagte der lange Wlach. Einen Krieg zu führen, einen so eigentlichen Krieg, das fällt uns nicht ein, das war nur so im ersten Augenblicke unser Gedanke. Den Wald, unser Eigentum, wollen wir nur beschützen.

Haben euch die Obtschover das Wild herausgeschossen? fragte Peter.

Nein, das haben sie nicht getan, geht uns auch nichts an, das Wild gehört unserer gnädigen Herrschaft und würden wir uns darum nicht herumschlagen.

Dummes Volk! murmelte Peter Buresch zwischen den Zähnen und lächelte, und einige aus den Bauern lächelten mit ihm, und laut fragte er: Habt ihr Pulver? – habt ihr Schießgewehre? – Wollen Krieg führen ohne Pulver und Schießgewehre! Ihr sollt beides haben.

Schwarzer Tomesch! rief er nach rückwärts, und aus der Schar seiner Begleiter trat einer hervor: Was willst du, mein Junge?

Peter Buresch führte ihn beiseite, faßte ihn am Knopfe seines Rockes und sprach zum schwarzen Tomesch, der aufmerksam zuhörte, langsam und ausdrucksvoll: Du hast dich hier schon lange herumgetrieben und kennst die Gegend. Nimm sofort einige von den Brüdern mit dir und begib dich auf den Silberberg, in die kleine Hütte am St. Annenschacht. Dort wohnt der Steiger, der den Pulvervorrat des Bergwerks bewachet, den man braucht, um die Felsen zu sprengen: Dem guten Manne sagst du nur die Losung: »Der Schweiß des Hirsches ist ein edler Saft«, und er wird dich in den Keller führen und du wirst so viel Pulver mit dir nehmen, als ihr tragen könnt. Ihre Majestät die Kaiserin ist schon seit Jahren so gnädig, uns von dorther unsern Pulverbedarf zu liefern. Geht!

Wohl, mein Junge, sagte der schwarze Tomesch, winkte einigen seiner Gefährten und entschwand bald den Augen der neugierig nachblickenden Bauern.

Peter Buresch kehrte zu ihnen zurück und indem er die Hand gegen den Haufen ausstreckte, rief er mit gewaltiger Stimme, daß sie tief im Walde vielfach widerhallte: Es lebe St. Hubertus' Hund und die wilde Jagd! ich ruf' es ohne Geheimnis!

Auf diesen Ruf, den die Bauern nicht verstanden und der ihnen wie ein Zauberspruch vorkam, sprangen mit eins in ihrer eigenen Mitte an zwanzig der flinksten Bauernburschen auf, lachten, eilten auf Peter zu und riefen:

Es lebe die wilde Jagd und das Gesicht im Nacken! Was willst du Meister von deinen Jungen?

Ich löse euch vom Gelübde des Schweigens, sagte Peter Buresch mit Feierlichkeit – ihr habt den hohen Bund nicht mehr zu verheimlichen, die Gesetze des Waldes wollen wir stürzen – geht hin und holet eure Waffen, die unter den Schwellen vergraben sind.

Die Burschen, die als Raubschützen enthüllt plötzlich vor den Blicken der Bauern dastanden, stießen ein wildes Jubelgeschrei aus und eilten singend und jauchzend dem Dorfe zu.

Braver Junge, guter Junge! murmelte der alte Buresch vor sich hin und sah voll Triumph rundherum und wurde ergrimmt, da er die Bauern mehr erschreckt und erstaunt sah und nicht voll Bewunderung seines Sohnes, des Hauptmannes und Großmeisters aller Raubschützen. Die Bauern wagten kaum zu atmen, immer neue Wunder, neue Enthüllungen erwartend – und sie täuschten sich nicht.

Peter Buresch rief den kleinen braunen Knaben, seinen Begleiter und Waffenträger, herbei. Werde, wer du bist! rief er.

Ja, mein Chan, sagte der Knabe, verneigte sich, warf die Flinte ins Moos und eilte ins Gebüsch.

Peter Buresch setzte sich auf einen Stein, stützte das Kinn in die Hand und sah schweigend und sinnend vor sich hin. Sein Vater stieß seinen Kreuzstock in den Boden und streckte sich neben ihn. Die Bauern murmelten untereinander und sahen Vater und Sohn fast furchtsam an. Die angezündeten Feuer verloschen nach und nach – in den Kohlen knisterte es nur noch – von Zeit zu Zeit kam ein Luftzug und Flämmchen flogen auf, um wieder schnell zu verlöschen. Der Mond kam hell und klar über den Wald herauf und warf über das Land ein weißes zitterndes Licht. Der Schatten der Bäume kroch wie lebendig am Boden hin – kaum daß sich ein Lüftchen regte – es war bald Mitternacht. Da klang ein wunderbares Tönen aus dem Gebüsche heraus, in welchem der Knabe verschwunden war. Aller Augen wandten sich dahin und siehe da, aus dem Dunkel heraus auf den mondbeschienenen weißen Plan schwebte, wie von den wunderbaren Tönen getragen, eine sonderbare, doch holde liebliche Gestalt.

Eine Zigeunerin! riefen die Bauern überrascht, als sie in der Erscheinung den Waffenträger Peter Bureschs erkannten. Die Zigeunerin aber schwebte, immer den Triangel schlagend, wie ein Schmetterling dahin durch die Reihen der Lagernden hinaus auf den freien, moosbedeckten, von Bäumen umgebenen Platz, über welchem eben der Mond stand. Wie von seinen Strahlen angezogen, schien sie die Erde kaum zu berühren, als sie den schwarzen, mit rotem Tuche umwundenen Kopf rückwärts warf, die Augen schloß und wie im Traume den Tönen ihres Triangels gehorchte. Ihr braunes Angesicht, vom Monde gebleicht, glich dem Angesichte einer Toten – nur ihr Leib lebte und bewegte sich, ihre Züge waren still, ruhig, schlafend. Das dünne, graue Gewand, das nur lose durch einen silbernen Gürtel zusammengehalten war, schlug harmonisch mit ihren weichen Gliedern weiche Wellen, bald sanft sich anschmiegend an Brust und Hüften, bald wild dahinfliegend. Die runden Arme schwangen sich nackt in der Luft und schlugen bald leise, bald laut den Triangel, und wie die Töne zitterten, bebte die ganze Gestalt mit, und wie sie laut und stürmisch klangen, hob sich, fliegend fast, ihr ganzer Leib wild und bacchantisch mit in die Höhe, als wollte er den Tönen nach, die in den Wipfeln der Bäume seufzend verklangen. Vorwärts und rückwärts trug sie der Klang – bald sank sie kraftlos und gebrochen zusammen und saß geknickt da wie eine Blume, bald sprang sie wieder gewaltig auf, streckte sich hoch und majestätisch empor, groß, geisterhaft, als wollte sie in den obersten Lüften verschwimmen, und eilte mit geisterhaften Schritten dahin, als ginge sie auf den Kronen der Blumen, die neugierig aus dem Moose hervortauchten. Stolz stieß sie die Erde mit der Spitze des Fußes zurück und schlug den Triangel mit Macht, als ob sie ihn zerbrechen wollte. Mit einem Male warf sie ihn weit von sich, das schöne Haupt sank bleich auf die hochatmende Brust nieder und aus tiefster Seele erklang in fremden Lauten ein wunderbarer Sang. Wie sie den Kopf so fest an ihren Busen drückte, von den herabwallenden Locken und dem roten Schal bedeckt, schien sie ihn nur in sich hinein zu hängen und sich selbst zu behorchen. Sie sang, als ob sie nur sich allein sänge, von einem Geheimnis, das niemand hören sollte, und das klang so unendlich schmerzlich, so melancholisch lieblich und stimmte so sicher zu ihrem Tanze, daß es aussah, als ob ihr ganzer Leib klinge. Dann mit einem Male stieß sie einen Schrei aus und wie ein Wirbel drehte sie sich um ihre Fußspitzen, tanzte wie von bösen Geistern gejagt. als ob sie einen Zauberkreis zöge in großen Kreisen, die immer kleiner wurden – schlug die Augen auf, die wild leuchteten, und die melancholischen Töne verwandelten sich in laut klagende, jammernde, herzzerreißende, bis sie mit einem lauten Seufzer, gebrochen, zu Füßen Peter Bureschs niedersank.

Arme Lunetta, das hast du gut gemacht, sagte Peter Buresch und streichelte ihr die blassen Wangen.

Sie tanzt wie meine Schlangen, sagte der Alte vom Hammer.

Die Bauern sahen sich verwundert an, als hätten sie einen Zauber gesehen und raunten sich in die Ohren: Er ist doch unter die Zigeuner gegangen.

Peter Buresch aber sagte zu Lunetta: Du wirst noch diese Nacht nach Obtschov wandern.

Ja, mein hoher Chan!

Du wirst deinen Hokuspokus machen, wirst sie aufmuntern zu Händeln und ihnen Sieg versprechen.

Ja, mein hoher Chan!

Du wirst horchen, was sie sagen, was sie vorhaben, wieviel Büchsen sie haben.

Ja, mein hoher Chan!

Wenn sie erfahren, daß du mir dienst und mein Spion bist, werden sie dich stäuben!

Ja, mein hoher Chan!

Vielleicht auch hängen!

Ja, mein hoher Chan! schrie Lunetta und klammerte sich an die Knie Peter Bureschs.

Wenn sie dich ans Amt liefern nach Przibram und sie dich einsperren, und ausfragen über mich, über das, was ich treibe und tue, wer meine Leute sind – was wirst du tun?

Ich werde schweigen, mein hoher Chan – schrie Lunetta und drückte ihre Stirne an die Knie ihres Herrn.

Auch wenn du sterben mußt.

Auch wenn ich sterben muß, mein hoher Chan – rief sie, sprang auf, klammerte sich an seine Schultern, küßte ihn und eilte leicht wie ein Reh von dannen, in den Wald, nach Obtschov zu.


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