Bret Harte
Die Geschichte einer Mine
Bret Harte

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Zwölftes Kapitel.

Ein Wettrennen um den Besitz der Mine.

Royal Thatcher arbeitete unermüdlich. Daß die kleine, knabenhafte Malerin, die in der Blue-Mass-Mine seine Gastfreundschaft in Anspruch genommen hatte, jetzt in seinem thätigen Leben keine Rolle mehr spielte, schien durchaus nicht unvereinbar mit seinem Wesen zu sein. Augenblicklich war die Mine seine einzige Liebe; sie nahm seine ganze Zeit in Anspruch und forderte von ihm, obwol sie ihn gar häufig durch ihren Wankelmuth erzürnte, jene unbedingte, opferbereite Hingebung, deren sein Gemüth fähig war. Es ist möglich, daß Fräulein Carmen dies ebenfalls bemerkte und sich daher mit weiblichem Tact bestrebte, ihre Nebenbuhlerin, wenn auch nicht zu verdrängen, so doch minder herrschsüchtig und absorbirend zu machen. Abgesehen von diesem Ziel, widmete sie sich mit großem Eifer, obwol leider mit geringem pecuniären Nutzen, ihren Berufsarbeiten. Einheimische Kunstproducte wurden in Californien schlecht bezahlt. Die landschaftlichen Schönheiten des Landes waren derzeit noch nicht berühmt; es war vielmehr einem namhaften Künstler aus dem Osten der Vereinigten Staaten vorbehalten, ihren Ruf zu begründen und das californische Publikum trug kein Verlangen, diejenigen Gegenden, welche es beständig vor Augen hatte und nicht zu schätzen wußte, unmittelbar vor seinem Angesichte auf die Leinewand heften zu sehen. Und so sah sich das kleine Fräulein Carmen genöthigt, ihre Künstlerseele darben zu lassen, um ihre kleine, kernige, gesunde Erdenhülle zu ernähren und verschiedene Streifzüge in das Gebiet der Porzellan- und Sammtmalerei, der Meßbücherillustration, der Kerameutik u. s. w. zu unternehmen. Ich besitze mehrere Wachsblumen, eine überraschend naturgetreue Fuchsia und eine berückende Georgine, die zu einem Spottpreis von dieser kleinen Dame verkauft worden sind, welche, nachdem sie von dem californischen Publikum fast dem Hungertode preisgegeben war, für ihre Gemälde auf einer Ausstellung im Auslande den Hauptpreis gewann und von jenem Tage an von der californischen Presse, als ein unter ihren Fittichen erwachsenes Genie, gepriesen ward.

Von diesen Kämpfen und Triumphen erfuhr Thatcher nichts; er war daher sehr erstaunt, ja noch erstaunter, als er es sich selbst zugestehen wollte, als er an einem Decembertage eine Depesche folgenden Inhalts erhielt: »Kommen Sie unverzüglich nach Washington, Carmen de Haro.«

»Carmen de Haro!« Ich bedauere, constatiren zu müssen, daß dieser junge Mann, den das Schicksal zum Helden der einzigen Liebesepisode erwählte, welche in dieser Erzählung vorkommt, so sehr mit anderen Dingen beschäftigt war, daß er im ersten Augenblick nicht wußte, wer diese Dame sei. Als jedoch endlich die kleine, treuherzige Gestalt vor sein geistiges Auge trat, welche ihm wie ein Mann gegenüber gestanden und doch bald darauf ihr Geschlecht dadurch bekundet hatte, daß sie ihm entlaufen war, da erschien ihm die Sache anfangs wie ein Räthsel und dann fing er an Gewissensbisse zu empfinden. Er war – das fühlte er – sich selber untreu geworden. Er hatte sich rücksichtslos gegen das Mädchen benommen, das sich ihm als die Tochter seines Feindes zu erkennen gegeben hatte. Warum aber sandte sie ihm ein Telegramm und was that sie in Washington? Auf diese Fragen erwartete er – zu seiner Ehre sei es gesagt – keine sentimentale oder romantische Antworten. Royal Thatcher war von Natur bescheiden und unterschätzte seinen Einfluß auf das weibliche Geschlecht, wie es die meisten Männer zu thun pflegen, die den Frauen gegenüber Aussicht auf Erfolg haben – obwol eine Ueberfülle von verjährten Phrasen sich bestrebt, das Gegentheil zu beweisen. Denn auf ein halb Dutzend Frauen, welche durch ein keckes Auftreten eingeschüchtert und zur Unterwerfung bewogen worden sind, kommen über zwanzig, die durch ein selbstachtungsvolles Warten aufgestachelt werden. Und wo ein Weib dem Freier halben Weges entgegen gehen muß, da sorgt sie in der Regel dafür, daß sie ihr Ziel erreicht.

In seiner Bestürzung hatte Thatcher einen Brief übersehen, der auf seinem Tische lag. Derselbe kam von seinem Rechtsanwalt aus Washington. Der Schlußsatz des Schreibens fiel ihm auf. »Vielleicht ist es zweckmäßig, wenn Sie selbst hierherkommen. Roscommon ist hier und außerdem soll vor einiger Zeit eine Nichte von Garcia eingetroffen sein, die voraussichtlich eine große Freundschaft und Theilnahme für den alten Mexikaner an den Tag legen wird. Ich habe zwar nicht gehört, daß seine Partei die Absicht hat, sie zu ihren Gunsten als Zeugin auftreten zu lassen, allein man sagt doch, daß das Mädchen ungemein anmuthig und klug sein soll und bereits die Sympathien der Abgeordneten erregt hat.«

Thatcher legte den Brief einigermaßen entrüstet nieder. Starke Männer verfallen ebenso häufig wie schwache Frauen in Widersprüche, sobald es sich um Fragen handelt, die beide Theile gemeinsam berühren. Wer gab dieser armen, kleinen Knospe, die er so treu gehegt und gepflegt hatte, (er bildete sich jetzt allen Ernstes ein, daß er sie nicht nur gehegt und gepflegt, sondern auch daß er in Folge der Trennung von ihr schwer gelitten habe,) das Recht, sich so urplötzlich im Sonnenschein der Staatsgewalt zu erschließen und sich der Möglichkeit auszusetzen, von einem seiner Feinde gepflückt und davon getragen zu werden? Er nährte zwar nicht in Uebereinstimmung mit seinem Rechtsanwalt den Verdacht, daß sie mit seinen Feinden verbündet sei; er traute vielmehr in diesem Punkte ihrem Tact und ihrer Treue unbedingt; allein ihrem weiblichen Herzen drohten große Gefahren: Einfluß, Macht, Schmeichelei. Und ebenso fest, wie er noch wenige Augenblicke zuvor geglaubt hatte, daß er es ihr gegenüber an der erforderlichen Aufmerksamkeit habe fehlen lassen – ebenso fest wähnte er jetzt, daß sie ihn verwundet und vernachlässigt habe. Diese, wenn auch rasch sich verflüchtigende Erregung zwang den starken Mann zu einem schnellen Entschluß; er telegraphirte nach San Francisco und belegte, da der Dampfer bereits abgegangen war, einen Platz auf der nach Washington fahrenden Ueberlandpost, prüfte sodann die Sache noch einmal und ward eine Stunde nach dem Einkauf des Billets theilweise anderen Sinnes, beharrte aber doch schließlich, da er nun einmal den ersten Schritt nach einer falschen Richtung hin gethan hatte, lieber auf dem einmal eingeschlagenen Wege, als daß er zugegeben hätte, er sei mit sich selbst in Widerspruch gerathen. Trotzdem bildete er sich ein, seine Reise trage einen durchaus geschäftlichen Charakter. Das unter der Herrschaft ihrer Regungen stehende schwache kleine Fräulein Carmen hatte offenbar dem starken Manne gegenüber einen Stein im Brett gewonnen.

Zu jener Zeit war nur ein kleiner Theil der jetzigen großen transcontinentalen Eisenbahn erbaut; derselbe bildete die Endpfeiler einer Brücke, welche dermaleinst diese öde, wilde Landstrecke überspannen sollte. Sobald der Reisende bei Remus den Zug verließ, sagte er gleichzeitig der Civilisation Lebewohl und verblieb während der übrigen Zeit der Reise auf dem alten Auswandrerpfade, auf dem sich die Postkutschen der Ueberland-Compagnie kreuzten. Mit Ausnahme von einem Theil des »Devils Cañons« war der Weg unmalerisch und flach und die Fahrt durch das Felsengebirge besaß nicht nur keine Spur von der Poesie, welche man jener Gegend zuzuschreiben pflegt, sondern trug das Gepräge einer der vielen langweiligen neuenglischen Landschaften. – Die Reise ermüdete namentlich durch ihre trostlose Einförmigkeit; ihre vielfachen Unannehmlichkeiten, welche sich niemals bis zu einem nennenswerthen Abenteuer oder irgend einem Erlebnisse steigerten, wirkten daher zerrüttend auf alle Nervensysteme. Häufig trat sogar Irrsinn ein. »Als wir drei Tage unterwegs waren« sagte der Postillon Hank Monk, wenn er beiläufig aber wohlwollend von einem Fahrgaste sprach, »als wir drei Tage unterwegs waren, fing er an, nachdem er hundert Fragen gethan und keine einzige Antwort bekommen hatte, das Stroh zu zerbeißen, das er sich aus dem Polster gezogen hatte und dabei fluchte er in seinen Bart hinein. Von dem Tage an, wußte ich, daß es um ihn geschehen war, und da habe ich ihn an den Rücksitz festgebunden, weil er immerzu auf den vornehmen Herrn, dem die ganze Post zugehört und der Ben Holliday heißt, schimpfte und fluchte; und in Shy Ann habe ich ihn zu seinen Freunden gebracht.« – Wir ersehen hieraus, daß die Zornausbrüche des unglücklichen Reisenden sich lediglich auf das Haupt des damaligen Eigentümers der ganzen Postverbindung, auf den vor kurzem verstorbenen Herrn Ben Holliday ergossen und das ist zweifelsohne ein Beweis von Geistesverwirrung, wie diejenigen mir bezeugen werden, welche jenen weitherzigen, wählerischen, hochfeinen Gewohnheiten huldigenden Californier kannten, der sogar dem ausländischen Adel zugezählt ward.

Herr Royal Thatcher war ein alter, erfahrener Gebirgsreisender; er fügte sich daher mit dem Gleichmuth eines Philosophen in die Methode, vermittelst welcher sein steinreicher californischer Mitbürger seine Einnahme erweiterte. Da man annahm, daß diejenigen Reisenden, welche die Ueberlandroute einschlugen, in der Regel dunkle Zwecke verfolgten, so erregte ihr Leiden wenig Mitgefühl. Thatcher hatte indessen an seinem stets gleichmäßigen Temperament und an seiner unbeugsamen Energie zwei Stützen, welche ihm halfen, seine Aufgabe heiteren Sinnes zu vollenden. Er verzehrte seine sparsam gemessenen Mahlzeiten und bemühte sich, wann und wo er es vermöchte, ohne Murren den Anforderungen seines Körpers gerecht zu werden, so daß er sogar aus dem Munde seines Postillons wegen seiner Fähigkeit, »Alles auf die leichte Achsel zu nehmen«, manch' lobendes Wort einerntete. Nebenbei gesagt, bezeichnete der gute Mann mit diesem Ausdruck das Vermögen des Reisenden, das Unvermögen der Postverwaltung zu erdulden.

Allerdings bereute Thatcher mehr als einmal, nicht per Dampfschiff gefahren zu sein; allein dessen ungeachtet bezeigte er sich bei jeder Gelegenheit gegen seine Leidensgefährten unterhaltend und hilfreich und, wußte sich selbst dem Postillon Yuba Bill so interessant zu machen, daß derselbe, ihm den Platz zu seiner Rechten zur Verfügung stellte.

»Aber,« entgegnete Thatcher, den dies Anerbieten einigermaßen befremdete, »der Sitz gehört ja dem Herrn, der ihn in Sacramento belegt hat. Derselbe hat extra dafür bezahlt; auch steht sein Name in Ihrer Personenliste verzeichnet.«

»Was schert mich das,« sagte Yuba Bill spöttisch, »und wenn er auch den ganzen Kasten für sich allein gemiethet hätte. Denken Sie, ich hätte Lust, immerzu bei so'nem Schielmichel zu sitzen und mir von dem meine gute Laune verderben zu lassen? Gott steh' mir bei! Was hat der Kerl für'n Auge! Denken Sie nur, vor'n paar Tagen, als ich in Webster den Pferden was zu trinken gebe, da steigt er 'runter und geht dicht vor der Stute, die da an der rechten Seite steht, vorbei und, ich will verflucht sein, kaum sieht die verwetterte Hexe, die an Indianer, Bären und Büffel gewöhnt ist, sein schieliges Auge, so steigt sie kerzengrade in die Höhe und stellt sich so verrückt an, daß ich um ein Haar heruntergestiegen wäre, um ihr die Scheuklappen abzubinden und sie dem Teufelskerl über die Augen zu hängen.«

»Er hat aber doch sein Geld bezahlt und kann den Platz beanspruchen,« entgegnete Thatcher, bei seiner Ansicht beharrend.

»Im Postbureau! Das mag sein, aber hier draußen nicht!« brummte Yuba Bill. »Ich sage Ihnen, es wird jetzt endlich Zeit, daß einige von den Herrschaften capiren, daß ich hier auf dem Plan ganz allein die Zügel in der Hand habe.«

Die Mehrzahl der Fahrgäste schien übrigens an dieser Thatsache nicht im Mindesten zu zweifeln.

»In dieser traurigen Wüstenei ist die Machtvollkommenheit eines Postillons, wie es scheint, nicht minder absolut, als die eines Capitäns auf hoher See,« bemerkte Thatcher, sich an den Fremden mit dem verhängnißvollen Auge wendend.

Herr Wiles, den der Leser bereits erkannt haben wird, pflichtete dieser Aeußerung mit der huldvollen Seite seines Antlitzes bei; die andere heftete er jedoch rachebrütend auf Yuba Bill, während Thatcher, der keine Ahnung davon hatte, daß dieser Mann einer seiner ärgsten Feinde sei, den Postillon überredete, demselben seinen rechtmäßigen Sitz wieder einzuräumen.

Wiles dankte ihm. »Werde ich längere Zeit hindurch das Vergnügen Ihrer Gesellschaft genießen?« fragte er mit katzenfreundlichem Tone.

»Bis nach Washington,« erwiderte Thatcher offenherzig.

»Während der Congreßsession ist Washington eine lustige Stadt!« äußerte Wiles, in der Hoffnung, mehr zu erfahren.

»Ich befinde mich auf einer Geschäftsreise,« gestand Thatcher ohne Umschweife.

In »Pine Tree Crossing« ereignete sich ein geringfügiger Umstand, der die Verehrung, welche Yuba Bill für den Fremden hegte, keineswegs erhöhte. Als Bill den zwiefach verschlossenen, ausschließlich für die Aufbewahrung der Expreßpackete von Wells, Fargo & Co., sowie der Schätze der Ueberland-Postgesellschaft bestimmten Behälter der Postkutsche öffnete, gewahrte Wiles unter den Packeten einen kleinen Lederkoffer.

»Oh! pflegen Sie dort im Hinterfache auch Privatgepäck aufzubewahren?« fragte er.

»Nicht oft,« entgegnete Yuba Bill lakonisch.

»Ah! so enthält jener Koffer ohne Zweifel werthvolle Gegenstände?«

»Er gehört dem Herrn, dem Sie seinen Platz weggenommen haben,« sagte Yuba Bill, der, um seiner üblen Laune freien Spielraum lassen zu können, bei der Behauptung beharrte, daß Wiles sich den betreffenden Sitz widerrechtlich angemaßt habe, »und wenn der es für gut hält, weil er nicht weiß, ob er der ganzen Gesellschaft trauen darf, seinen Koffer unter Verschluß zu geben – so meine ich, daß das keinem Menschen was angeht. – Wer, zum Teufel, hat denn hier eigentlich die Zügel in der Hand?« fuhr Bill fort, indem er sich immermehr in Wuth redete. »He? Sie bilden sich wol ein, daß Sie das Regiment hier führen, weil Sie da oben auf meinem Bock sitzen? Und am Ende glauben Sie wol gar, Sie könnten mit Ihrem vermaledeiten Auge um die Ecke gucken und mein Gespann mir nichts dir nichts – um die Biegungen rumlenken und den Plan herunterjagen...« Aber jetzt legte sich Thatcher, – den ein Mitleid beschlich, wie es einst Lancelot mit Modred empfand, und der stets eine hochherzige Rücksichtsnahme für jedes Gebrechen an den Tag legte, – so energisch ins Mittel, daß Yuba Bill verstummte.

Am vierten Tage wurde die Gesellschaft, als sie zu der öden Hochebene hinauffuhr, welche hinfort auf einer Strecke von sechshundert englischen Meilen ihren Untergrund bilden sollte, von einem blendenden Schneesturm überfallen. Die Pferde waren, nachdem sie sich bis zur nächsten Station mühsam durch den Schnee hindurchgearbeitet hatten, völlig erschöpft und die demnächstigen Aussichten schien allen – nur nicht sachverständigen Augen, mehr als zweifelhaft. Ein Theil der Fahrgäste hielt es für rathsam, Schlitten zu nehmen, während die übrigen die Reise zu unterbrechen wünschten, bis das Wetter sich ändern werde. Yuba Bill dagegen gedachte, die Fahrt auf die bisherige Weise fortzusetzen. »Noch zwei Meilen weiter,« sagte er, »dann sind wir oben, und da ist der Sturm kräftig genug, um uns auf dem windigen und flachen Plan vor sich her zu blasen und schlau genug, um jeden Zoll breit Schnee, der vom Himmel fällt, zwischen die Felsblöcke zu fegen. Auf diesen vier Rädern fahre ich Sie in alle Schneestürme hinein und hinaus – aber mit so'nem niedrigen, platten Krämerkarren kommen Sie, meiner Treu, nicht ein Mal durch ein einziges Schneegestöber.« Bill blickte, wie jeder echte californische Postillon auf jedes schlittenartige Fuhrwerk mit Verachtung herab. Thatcher unterstützte ihn in seinen Bestrebungen auf das lebhafteste. Besaß er doch jene Eigenschaft, die der Erfahrung zunächst steht, – nämlich den Instinkt in den Charakteren seiner Nebenmenschen zu lesen und sich ihre Erfahrungen zu eigen zu machen.

»Wer hier bleiben will, bleibt hier,« sagte Bill, den gordischen Knoten mit einem einzigen Machtwort durchschneidend, »und wer einen Schlitten nehmen will, der kann's thun – da im Schuppen steht einer. Wer mit mir und dem frischen Vorspann weiterfahren will, der soll's nicht bereuen.«

Herr Wiles entschied sich für einen Schlitten und einen anderen Kutscher; einige der Fahrgäste waren Willens, den nächsten Postanschluß abzuwarten und nur Thatcher erklärte sich nebst zwei anderen Herren bereit, Yuba Bill zu begleiten. Diese Veränderungen nahmen eine erhebliche Zeit in Anspruch und inzwischen ward die Postkutsche, da der Sturm sich unausgesetzt steigerte, unter einen Schuppen geschoben, während die Passagiere sich um das Stationsfeuer versammelten und erst nach Mitternacht fing Yuba Bill an, frische Pferde einzuspannen.

»Ich wünsche Ihnen eine glückliche Reise,« sagte Wiles, der aus dem Schuppen herausfuhr, während Bill denselben betrat. Der Postillon würdigte ihn keiner Antwort, sondern wandte sich mit einer Miene an den Kutscher des Schlittens, als wolle er demselben einen Rath in Betreff der Ablieferung des Gepäckes ertheilen und sagte: »Mach, daß du ihn in Rawling los wirst!« Sodann ging er langsamen Schrittes an dem hinteren Ende des Schlittens vorüber und begab sich an das Anschirren seines Vorspanns.

Der Mond trat hervor und stand hoch am Himmel, als Yuba Bill wieder die Zügel in die Hand nahm. Der Wind, welcher die Kutsche sofort ergriff, als dieselbe die Hochebene erklommen hatte, schien die Behauptung des Postillons wahr machen zu wollen; denn eine halbe Meile weit waren die Geleise des Weges rein gefegt und hart gefroren. Bald darauf aber zog sich, von einem seitwärtsstehenden Felsblock geschützt, eine fast zwei bis drei Fuß hohe Schneezunge quer über den Weg. Allein Yuba Bill peitschte die Pferde durch einen Theil derselben hindurch und umfuhr – ein geschicktes Manöver ausführend – die andere Hälfte des Schneehügels. Kaum aber hatte die Kutsche dies Hinderniß überstanden, so neigte sie sich nach einem verhängnisvollen Hin- und Herschwanken plötzlich auf die eine Seite und in dem nämlichen Augenblick flog das eine Vorderrad in die Finsterniß hinein. Bill riß die Pferde auf ihre Hanken zurück; allein noch ehe er ihren Bewegungstrieb zu hemmen vermochte, glitt auch das eine der Hinterräder von seiner Achse herab. Der Wagen schwankte gewaltsam hin und her, kippte vorüber, kippte hintenüber und blieb dann stehen. Schon im nächsten Augenblick stand Yuba Bill mit einer Laterne auf der Landstraße. Und gleich darauf erfolgte ein Ausbruch von gottlosen Reden, die – wie ich aus schriftstellerischen Motiven bedauernd bekennen muß – jenes großmüthig bewilligte Maß bei weitem überschreiten, das mir ein nachsichtsvolles Publikum zur genauen Darstellung von Charakteren eingeräumt hat. Ich begnüge mich daher, mit wenigen Worten zu constatiren, daß es ihm in überraschend kurzer Zeit gelang, den guten Ruf seiner Arbeitgeber, deren männlichen und weiblichen Verwandten, des Erbauers der Postkutsche, des Posthalters, der Landstraße, auf der er fuhr, und sogar die Passagiere mit gelegentlichen Schlaglichtern auf seine eigene Person und seine nächsten Angehörigen auf das Schändlichste zu verunglimpfen. Ich verweise den wohlwollenden Leser, der den Geist dieser Reden in einer poetischeren, gebildeten Ausdrucksweise kennen lernen möchte, auf das dritte Kapitel des Buches Hiob.

Die Fahrgäste kannten Yuba Bill und beharrten deshalb, in eifriger Unterredung begriffen, geduldig und erwartungsvoll auf ihren Plätzen. Die Ursache der Katastrophe war ihnen noch nicht bekannt. Endlich erschallte Thatchers Stimme vom Vordersitz herab.

»Was ist denn passirt, Bill?«

»Es ist kein einziger verfluchter Bolzen mehr in der ganzen vermaledeiten Kutsche,« lautete die Antwort.

Todesstille folgte diesem Bericht. Yuba Bill führte einen wilden Kriegstanz ohnmächtiger Wuth aus.

»Zum Teufel, nun soll doch gleich das verwetterte Teufelsding zum Teufel fahren!«

(Ich verweise hiermit freundlichst den wohlerzogenen, feingebildeten Leser auf das einzige Adjectiv, welches ich aus diesem mit eigenen Ohren vernommenen Fluche mitzutheilen gewagt habe. Ohne Zweifel wird er in dieser wilden, im Westen der Vereinigten Staaten entsprungenen Verwünschung Anklänge an den alten classischen »Dämon« entdecken.)

»Wer mag das gethan haben?« fragte Thatcher.

Yuba Bill erwiderte nichts, sondern rannte spornstreichs zu dem Hinterfache, schloß den Postbehälter auf und schrie überlaut: »Der Kerl, der Ihren Koffer gestohlen hat, der verdammte Wiles!«

Thatcher lachte.

»Lassen Sie sich deswegen keine grauen Haare wachsen, Bill. Es war nichts in dem Koffer als ein Manschettenhemd, ein Hemdskragen und einige Papiere.«

Yuba Bill stieg langsam von dem Tritt herab. Als er wieder auf dem Erdboden stand, zupfte er Thatcher am Rockärmel und fragte ihn insgeheim: »Ist es wahrhaftig die reine Wahrheit, daß Sie nichts in dem Koffer hatten, den Sie mit sich schleppten?«

»Gewiß, der Inhalt war nicht von Belang,« sagte der lachende Thatcher offenherzig.

»Und dieser Wiles ist keiner von den verhenkerten Detectiven?«

»So viel ich weiß, nein!« Yuba Bill seufzte schwermüthig und fing an, die Kutsche wieder auf die Räder zu stellen.

»Seien Sie unbesorgt, Bill,« sagte einer der Fahrgäste voll Mitgefühl. »Wir fangen diesen Menschen sicherlich in Rawlings ein,« und bei diesen Worten schaute er im Kreise seiner Gefährten umher und sah schon im Geiste ein Wachsamkeitscomité entstehen, welches unter seiner Hand eine zweckentsprechende Gestalt erhielt.

»Den einfangen?« entgegnete Yuba Bill höhnisch lachend. »Meiner Treu, wir müssen nach der letzten Station zurück, und wenn wir wieder abfahren, hat der sich natürlich längst mit dem Vorspann, das wir eigentlich haben sollten, aus dem Staube gemacht. Den einfangen! Eher fängt er uns ein und fährt mit uns zum Teufel.«

Es ließ sich offenbar nichts thun, als zu der nächsten Station zurückzugehen, um dort die Reparatur der Kutsche abzuwarten. Und während das geschah, zog Yuba Bill Thatcher abermals auf die Seite.

»Ich habe von vornherein dem schieläugigen Patron nicht über den Weg getraut,« sagte er. »So was habe ich ihm freilich nicht zugemuthet. Ich nahm mir aber doch vor, auf alle Siebensachen gut Acht zu geben und auf Ihre ganz besonders. Und um allen Verdrießlichkeiten vorzubeugen und Alles so ungefähr aufs Gleiche zu bringen, da ging ich bei und langte mir, als er abschob, aus dem Hinterbrett von seinem Schlitten seinen Reisesack herunter. Ich weiß zwar nicht, ob es ein guter Tausch oder ein Ersatz ist, aber es ist doch möglich, daß Ihnen das Ding hier hilft, daß Sie den Kerl wiederfinden oder er Sie. Nach meiner Meinung ist das so Rechtens und in der Ordnung.« Mit diesen Worten legte er den schwarzen Reisesack des Herrn Wiles dem erstaunten Thatcher vor die Füße.

»Aber, Bill, was denken Sie nur von mir?« fiel ihm Thatcher ins Wort. »Ich kann diesen Reisesack nicht annehmen; zumal da Sie nicht im Stande sind, einen Eid darauf abzulegen, daß er wirklich meinen Koffer gestohlen hat – und – deshalb, – zum Henker mit der ganzen Geschichte; – kann die Sache nicht auf diese Weise ausgeglichen werden. Ich habe kein Recht, mir fremde Sachen anzueignen, selbst wenn ...«

»Mit Ihren Predigten bleiben Sie nur zu Hause,« sagte Bill ernsthaft. »Ich habe es übernommen, Ihre Bagage richtig abzuliefern. Ich habe mein Wort nicht gehalten, weil dieser verdammte, schielige – Nun, – drum gebe ich Ihnen einen anderen Reisesack, ich weiß nicht, wem er gehört, und Ihnen kann's gleich sein.«

Halb belustigt, halb verwirrt und unausgesetzt protestirend, nahm Thatcher den Reisesack in die Hand.

»Wir machen ihn auf und sehen nach, was drin ist,« schlug Yuba Bill vor.

Thatcher entsprach lächelnd dieser Aufforderung. Der Reisesack war mit einer Menge von Papieren und Documenten angefüllt, die ein halb anteilmäßiges Aussehen hatten. Thatcher bemerkte auf den ersten Blick, daß auf einem der Blätter sein Name stand; er nahm dasselbe heraus, schlug es auseinander und las es durch. Das Lächelt erstarb auf seinen Lippen.

»Gut,« sagte Yuba Bill, »wir wollen annehmen, daß wir einen rechtschaffenen Tausch gemacht haben.«

Thatcher untersuchte noch immer die Papiere. Plötzlich hob dieser kluge, verständige Mann den Kopf empor, schaute in Yuba Bills erwartungsvolles Gesicht und sagte ruhigen Tones: »Das ist der sonderbarste Zufall, den ich je erlebt. Gut, wir wollen's annehmen.«


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