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Es war sehr dunkel, der Wind im Zunehmen begriffen. Dem letzten Stoß war ein unheimliches Brausen auf der ganzen Gebirgsseite vorhergegangen, das sich noch fortsetzte, als die Bäume in dem kleinen Thal schon ruhig geworden waren. Die Luft war von einem matten, kühlen Duft erfüllt, der aus der Tiefe des Waldes zu kommen schien. In den stillen Zwischenräumen schien die Dunkelheit zuzunehmen und fast undurchdringlich zu werden. Doch aus dem unergründlichen Raum kam der Klang von Sporenrädern, das trockene Knarren von Sattelleder und der gedämpfte Hufschlag auf dem weichen Teppich von Moos und Blättern. Dann hörte man eine Stimme, deren Klang durch die Wirklichkeit etwas Geheimnisvolles erhielt:
»Ich kann absolut nichts sehen. Wo, zum Teufel, sind wir hingeraten? Es ist schwarze Nacht rings umher.«
»Zünde ein Licht an und hüte dich, dem Pferd zu nahe zu kommen, hörst du?« sagte eine zweite Stimme.
Man hörte einen gedämpften Klang, eine Stille folgte, ein Rauschen von Papier, das schnelle Entzünden eines Streichholzes und das Aufleuchten einer flackernden Flamme. Aber sie zeigte nur die Köpfe und Schultern von drei Reitern, während die Pferde und die Unterkörper der Personen in nebelhaften Schatten gehüllt blieben. Dann erlosch die Flamme, und die Reste des Streichholzes fielen zu Boden, als eine dritte Stimme, die zwar tief, aber in ihrem Tonfall recht angenehm klang, sagte:
»Sei vorsichtig mit dem, was du fortwirfst. Du bist überhaupt in letzter Zeit sehr sorglos. Bei diesem Wind und den Blättern gleich Zunder könntest du einen großen Waldbrand entfachen.«
»Dann könnten wir wenigstens sehen wo wir sind.«
Nichtsdestoweniger bewegte er sein Pferd, dessen Hufe den letzten glimmenden Funken verlöschten. Wieder herrschte vollständige Finsternis. Dann begann der erste Sprecher wieder:
»Ich meine, wir warten hier, bis der nächste Windstoß die dunklen Wolken etwas zerreißt. Hallo, was ist das?«
In der Dunkelheit vor ihnen erschien ein schwaches Licht, das jedoch keinen Gegenstand umher zu erleuchten schien und im nächsten Augenblick wieder verschwand.
»Das ist ein Haus, 's ist ein Licht in einem Fenster,« sagte die zweite Stimme.
»Haus!« erwiderte der erste Sprecher. »Ein Haus mit einem Fenster fünfzehn Meilen von einem Ort! Du bist verrückt!«
Trotzdem schienen sie sich nach der Richtung hin zu bewegen, in welcher das Licht erschienen war. Eine Pause trat ein.
»Das ist nichts, als eine felsige Anhöhe, auf der kein Haus stehen kann,« sagte der erste ungeduldig.
»Halt! Da ist es wieder!«
Das Licht erschien wieder, aber in anderer Richtung, doch war es deutlicher, und die Männer erkannten beim Scheine desselben ein menschliches Gesicht. Dann erlosch es plötzlich und auch das Gesicht war ebenso plötzlich verschwunden.
»Es ist ein Fenster, und hinter demselben war etwas!« sagte der zweite Sprecher mit Nachdruck.
»Es war ein Frauengesicht!« sagte die angenehme Stimme.
»Wer es auch sei, laßt uns rufen, damit wir wissen, wo wir sind!«
Die drei Stimmen vereinten sich und riefen gemeinsam »Hallo!«, aber kein Zeichen wurde aus der Dunkelheit erwidert. Nach einem Augenblick wurde der Versuch aufs neue gemacht, mit demselben Erfolg.
»Laßt uns gehen,« sagte die erste Stimme ärgerlich, »Haus oder nicht, Mann oder Frau, wir brauchen sie nicht, und wir wollen hier nicht länger herumtanzen.«
»Still!« sagte die zweite Stimme, »Sch – hört!«
Die Blätter der nächsten Bäume fielen hörbar zu Boden. Dann kam ein erneuter Windstoß, der ihnen Zweige ins Gesicht schlug und die dünnen Zweige der Erlen auf ihre Pferde warf. Ihm folgte auf der Gebirgsseite ein Geräusch wie Wellengemurmel.
»Das ist schon etwas besser!« sagte der erste Sprecher fröhlich. »Noch ein solcher Stoß und wir sind all right. Seht! Da ist ein Licht auf dem Weg, den wir kamen.«
In der That war ein schwacher Schimmer, der heraufbrechenden Dämmerung gleich, zu bemerken, der deutlich die ungeheure Größe der Gebirgskette erkennen ließ, an dessen Fuß sie dahingeritten waren. Der sanfte Geruch wich plötzlich einem scharfen, beißenden.
»Das ist das Zündholz, das du vor zwei Stunden fortgeworfen hast,« sagte die angenehme Stimme bedächtig. »Das trockene Buschwerk auf unserm Pfad hat sich entzündet.«
»Einerlei, es hat uns gezeigt, wo wir sind, boys,« sagte der erste Sprecher mit befriedigtem Ausdruck. »Nun wissen wir Bescheid. Nun zerreißt auch der Wind die Wolken vor uns. Vorwärts nun, 'raus aus dieser Höllenhöhle, so lange wir können.«
Es war so viel heller geworden, daß man die Reiter nun deutlich erkennen konnte. Aber das Dunkel auf der entgegengesetzten Seite lichtete sich nicht. Trotzdem schien sich das Gesicht des Reiters mit der angenehmen Stimme nach rückwärts zu wenden, denn plötzlich hielt er sein Pferd an.
»Da ist das Fenster wieder!« sagte er. »Seht – dort!«
»Laß es sein und sei ver–,« entgegnete der Führer, »vorwärts!«
Schweigend ritten sie weiter. Nach kurzer Zeit lichtete sich das dunkle Gebüsch, und der gleichmäßige dumpfe Hufschlag verkündete, daß sie sich auf geordnetem Wege befanden. Dann hörte man, wie die Hufe des ersten Pferdes plötzlich auf Steinpflaster trafen und der Führer sein Tier anhielt.
»Gott sei Dank, nun sind wir auf dem Bergrücken, der Rest ist leicht. Sagt, was ihr wollt, boys, nun sind wir all right. Man konnte ja in dem verd– Dunkel da unten keine Hand vor Augen sehen. Es war auch kein Fenster. Ihr glaubt, ihr sah't ein Gesicht? Eh!«
»Ja, sogar ein ziemlich hübsches!« sagte die angenehme Stimme nachdenklich.
»'s war nur der Weg, der solch Ding zurechtbaute. Ihr war't glücklich im Sehen. Unsinn! Es überläuft mich noch, wenn ich daran denke. Was seht ihr zurück wie Lots Weib? Schämt euch, damit ich nicht denke, daß ihr behext seid!«
»Ich dachte nur an das Feuer, das du angelegt hast,« erwiderte der andere ruhig. »Nun sehe ich es nicht.«
»Nun und wenn du es sähest?!«
»Ich wäre neugierig zu wissen, ob es jene Höhle erreicht.«
»Ich vermute, jene Höhle würde jedem Feuer Widerstand leisten. Ich glaube nicht, daß dort eine Höhle ist, es war vielmehr ein Stück vom teuflischen Wahngebilde, das dort uns überfiel.«
Mit dem Lachen, das diesen Worten folgte, setzten sie ihren Weg weiter fort, verfielen aber bald in jene Stille, die sich bei den Reisegefährten am Ende einer langen ermüdenden Reise zeigt. Das schwache Licht, welches sowohl aus der Tiefe unter ihnen als auch von dem wolkenbedeckten Himmel über ihnen zu kommen schien, ließ ihre Gestalten und Eigentümlichkeiten deutlicher erkennen. Der Mann, der zuerst gesprochen hatte und der der Führer zu sein schien, trug den unrasierten Bart und das fliegende Haar eines kalifornischen Pioniers und mochte der älteste sein. Der zweite Sprecher war kurz geschoren, dünn und energisch, während der dritte mit der angenehmen Stimme seiner ganzen Gestalt und seinem Aeußeren nach der jüngste zu sein schien.
Der Weg war gut geworden und hob sich von der Dunkelheit an beiden Seiten sehr gut ab, trotzdem leuchtete über das Gesicht des Führers ein Schimmer der Befriedigung, als er nach ungefähr einer Stunde aus dem Steigbügel stieg.
»Da ist das Licht der Collinson Mill! Da ist nichts Prunkendes und Besonderes, wie boys? Aber es ist ein Ort, Sir, nach dem ein Mann ruhig seine Schritte lenken kann.« Er ging in die Dunkelheit neben dem schon herabsteigenden Pfad. Nur das Auge eines Pioniers konnte das nadelspitzengroße Licht in so bedeutender Entfernung entdecken, und es war ein Zeichen seiner Führerschaft, daß die andern ihm glaubten, ohne das Licht zu sehen. »Es ist gerade zehn Uhr,« fuhr er fort, indem er eine große silberne Uhr vor seine Augen hielt, »haben eine Stunde Zeit an jenem verwünschten Ort vergeudet.«
»Wir waren auf dem Weg nicht länger als zehn Minuten, Onkel Dick Kosename für Richard (d. Uebers.).,« warf die angenehme Stimme ein.
»Schon recht, mein Sohn. Geh hinunter, wenn du Lust hast, und hole deine Hexe von Endor, ich für mein Teil geh nach der andern Seite zu Collinsons Licht. Das ist für mich.«
Der Abfall des Pfades war recht bedeutend, aber nach kalifornischer Sitte nahmen sie ihn im Galopp, denn sie waren gute Reiter und benützten ihren Verstand ebensosehr als ihre Sporen, sie ritten nach Naturgesetzen, die von den Reitern der civilisierten Völker gewöhnlich übersehen werden. Hier war weder bei den Tieren noch Reitern Unentschlossenheit und Zaudern zu bemerken, in gleicher Weise ging es über die Hindernisse, und fast schien ein Fehltritt unmöglich. Nur zuweilen, instinktiv, ging es etwas sorgfältiger, aber sie blieben beisammen; sie waren an ein ausgetrocknetes Flußbett gekommen und befanden sich vor Collinsons Mühle. Die Mühle war schon lange, mit dem verschwindenden Flusse, ihrem eigentlichen Beruf entzogen, aber es diente als ein Nachtquartier für Wanderer. Obgleich kein Zeichen auf das Gebäude hinwies, wurde es doch viel benützt: die, welche es aufsuchen wollten, kannten seine Lage, andere brauchten nicht zu kommen.
Collinson stand vor der Thür und rauchte beschaulich eine Pfeife. Als die drei heranritten, bewegte er sich vom Thürpfosten fort, kam langsam auf sie zu und sagte bedachtsam zu dem Führer: »Ich denke, daß eine Stimme für Thompson eine weggeworfene ist, ich bin also ganz Eurer Meinung;« dabei schickte er sich an, die Pferde zur Tränke zu führen. Erst vor zwölf Stunden hatte er mit ihnen gesprochen, aber noch immer beschäftigte ihn dies geführte Gespräch, denn seine Gedanken waren mit dem Inhalt vollauf beschäftigt. Sie wußten und er wußte, daß in der Zwischenzeit niemand zur Mühle gekommen war, daß nichts die eintönigen Gedanken unterbrochen hatte. Trotzdem lächelte er. »Ihr scheint es recht nötig gehabt zu haben, wieder nach hier zu kommen,« sagte er, denn er erkannte den scharfen Ritt thalwärts. Dann ging er mit den Pferden fort und betrat das Haus erst wieder, nachdem er die Tiere versorgt hatte. Seine Gäste hatten seine Anstalten nicht abgewartet. Sie hatten eine oder zwei Flaschen vom Bort hinter der Schenke genommen und befriedigten nun gerade den peinigenden Hunger durch Bisquits, die sie aus einem Fasse nahmen, und Schnitten von geräucherten Heringen, während sie die Gläser in der Hand hielten. Der einfache Wirt, der das Benehmen der drei als nicht ungewöhnlich ansah, trat in den Kreis, den sie um das Feuer gebildet hatten, entfachte die Flamme zu neuer Glut und sagte mit einem Blick in die Gesichter seiner Gäste: »Nun?«
»Nun?« erwiderte der Führer, indem er sich in seinen Stuhl zurücklegte, nachdem er vorher die Schnallen seines Gürtels gelöst hatte, während seine Augen keinen Blick vom Feuer abwandten, »nun, wir haben jeden Yard untersucht und haben nicht eine Spur von Silber entdeckt.«
»Nicht ein Atom!« fügte der kurzgeschorene Gast hinzu, ohne ein Auge zu erheben.
Alle blieben schweigsam und starrten ins Feuer, als ob dies das einzige Ding wäre, über das sie sich unterhielten. Auch Collinson schien seine Worte an das Feuer zu richten, als er sagte: »Es schien mir doch, als ob bei dem Vorsprung am langen Cañon etwas Glänzendes zu entdecken sei.«
Der Führer stieß ein kurzes Lachen aus: »Glänzend, he, glänzend! Ihr denkt, das ist ein Zeichen? Ebensogut könnt Ihr behaupten, daß Keys Kopf, weil er grau ist und silbern schimmert, Verstand und Erfahrung birgt.« Als er sprach, wandte er sich gegen den jungen Mann mit der angenehmen Stimme. Der Schein des Feuers zeigte deutlich, daß trotz der jugendlichen Gesichtszüge das Haar ganz ergraut war, während der Schnurrbart glänzend schwarze Farbe hatte. Aber der Gegenstand dieser Aufmerksamkeit war weit davon entfernt, beleidigt zu sein, vielmehr fügte er mit einem Lächeln hinzu:
»Oder daß er Silber in seiner Tasche hat.«
Wieder folgte eine Pause. Der Wind fuhr um das Haus und blies in den kurzen Schornstein.
»Nein, Gentlemen,« sagte der Führer, »so paßt mir die Sache nicht. Ich werfe nicht mehr Geld hinter die verlorne mexikanische Mine. Ich lasse mich nicht länger von dem heiligen, allwissenden Sharp hinters Licht führen, der für sich hohen Gewinn erhoffte. Ich will nichts von der feinerdachten Theorie Keys sagen, ich sage nur, was ich weiß, daß ich es nicht sah. Ich meine, es ist an der Zeit, boys, daß wir die Sache aufgeben und diese Stelle verlassen.«
Wieder folgte eine Stille am Feuer, während draußen der Sturm aufs neue heulte. Nichts schien gegen die Meinung des Führers zu sprechen, alle dachten dasselbe und ihre Gedanken waren von der vergeblichen Hoffnung erfüllt, aber sie überließen es ihrem Führer, diesen Gedanken Ausdruck zu verleihen.
»Wir haben unser Vergnügen gehabt, boys, seit wir vor einer Woche von Rawlin aufbrachen,« fuhr er fort, »wir sind auf und nieder gegangen, wir haben gehungert und gedürstet, waren eingeschneit und halb ertränkt, in Gefahr, erschossen zu werden von Straßenräubern und Pferdedieben, wurden von Maultieren getreten und mußten mit Grizzlibären spielen. Wir mußten auf unsere Kosten eine Menge Scherz ertragen, boys, aber ich meine, das Spiel ist vorüber. Morgen früh werden wir uns die Hände schütteln und jeder wird seinen Weg für sich gehen.«
»Und was gedenkst du zu thun, Onkel Dick?« sagte der glattgeschorene Gefährte.
»Ich werde mir einen Platz suchen, wo ich meine Füße ausstrecken und in meinen Stiefeln sterben kann. Civilisation ist gut genug für mich. Meinetwegen gehe ich auch dem Läuten einer Kirchenglocke nicht aus dem Wege, aber mit der Wildnis ist es vorbei.«
»Du wolltest aber doch erst in sechs Monaten zurück sein, Onkel Dick,« warf der andere ein.
Onkel Dick erwiderte nichts. Es war eine Eigentümlichkeit, daß die Gesellschaft während ihres Beisammenseins schon Gründe und Gegengründe erschöpft zu haben schien. Wieder folgte eine Pause, und alle starrten ins Feuer, als ob aus diesem Gedanken kommen sollten.
»Collinson,« fragte die angenehme Stimme plötzlich, »wer wohnt in der Höhle, ungefähr zwei Meilen von dem Pfad oberhalb des großen Cañons?«
»Keine Seele!«
»Seid Ihr sicher?«
»'Haftig, 's wohnt niemand zwischen mir bis Bald Top und Skinners, fünfundzwanzig Meilen.«
»Im Gegenteil, Ihr wißt nicht, wenn jemand kürzlich nach dort gekommen ist,« warf die angenehme Stimme ein.
»Doch; noch vor einer Woche durchstreifte ich die ganze Umgegend, auch die Stelle, die ihr gerade passiert habt.«
»Ist da nicht,« sagte der Führer bedächtig, »irgend ein verzaubertes Schloß, das auf der Landstraße umherläuft, seine Fenster bewegt und hübsche Prinzessinnen aus ihnen heraussehen läßt?«
Aber Collinson, der das Ganze nur als eine Falle für sich betrachtete, erhob sich vom Feuer und ging ohne ein Wort hinaus in die Küche, um das Abendessen zu bereiten. Bald erschien er wieder.
»Der Schweinetrog ist leer, ich kann euch nur geschlagenes Rindfleisch und Kartoffeln geben. Ihr seht, es ist seit einer Woche niemand aus Skinners Laden hier gewesen.«
» All right, nur schnell her damit,« sagte Onkel Dick heiter und lehnte sich in seinen Stuhl zurück. »Ich werde bald mit Eurem gehackten Fleisch fertig sein, denn ich will morgen mit Sonnenaufgang fort.«
Wieder folgte tiefe Stille, so tief, daß die am Feuer Sitzenden bemerkten, wie Collinson mit den Vorbereitungen zum Mahle innehielt. Onkel Dick erhob sich leise und ging zur Küchenthür. Collinson saß vor dem kleinen Küchenofen, die Gabel in der Hand und starrte nachdenklich vor sich hin. Beim Geräusch der Fußtritte schrak er auf und fuhr in der Zubereitung fort. Onkel Dick kehrte zu seinem Stuhl am Feuer zurück, lehnte diesen gegen den glattrasierten Mann vorwärts und sagte mit gedämpfter Stimme: »Er war wieder dabei!«
»Was?«
»Er dachte an sein Weib!«
»An sein Weib?« fragte Key, ebenfalls mit gedämpfter Stimme.
Die Köpfe der drei Männer fuhren zusammen.
»Als Collinson diese Mühle errichtete, wollte er seine Frau aus den Staaten holen lassen,« sagte Onkel Dick in halbem Flüsterton; »ein Jahr wartete er auf sie und jeden Wagen mit Ansiedlern, der durch den Engpaß kam, hielt er an. Aber sie kam nicht – nur die Neuigkeit, daß sie tot sei.« Er hielt inne und zog seinen Stuhl noch näher heran, die Köpfe stießen fast zusammen. »Sie sagen – drüben in der Schenke,« seine Stimme war zum leisesten Flüstern herabgesunken, »daß es eine Lüge war. Daß sie mit dem Mann fortlief, der sie holen sollte, dreitausend Meilen weit und drei Wochen später mit einem andern Mann. Aber er weiß nichts davon, deshalb denkt er so oft und viel an sie.« Er schwieg, die Köpfe fuhren auseinander, denn Collinson erschien in der Thür, seine Melancholie scheinbar unverändert.
» Grub's on, Gentlemen, erhebt euch, kommt und eßt!«
Das einfache Mahl wurde in größter Ruhe verzehrt. Nur einige eingeworfene Bemerkungen über die Ungewißheit der Annahmen unterbrachen die Pausen. Nach zehn Minuten saßen sie wieder am Feuer und rauchten ihre kleinen Pfeifen. Da nur drei Stühle vorhanden waren, stellte Collinson sich vor den Schornstein.
»Collinson,« sagte Onkel Dick nach der gewöhnlichen Pause, während er seine Pfeife aus seinen Lippen nahm, »nun, da wir Euch mit Tagesanbruch verlassen wollen, müssen wir Euch sagen, daß wir vollständig abgebrannt sind. Die letzten Wochen haben wir von Peeble Keys Kleingeld gelebt, nun ist das auch alle. Ihr müßt diese kleine Unannehmlichkeit mit in den Kauf nehmen.«
Collinsons Augenbrauen hoben sich ein wenig, sonst aber veränderte sich kein Zug seines resignierten Gesichts.
»Bin traurig euretwegen, boys,« sagte er langsam, »aber noch trauriger meinetwegen. Ihr wißt, daß ich morgen zu Skinner gehen wollte, um meinen Schweinekoben zu füllen, aber Skinner giebt mir nichts ohne Bezahlung.«
»Ihr nehmt doch nicht etwa an, daß wir Euch dies ohne weiteres glauben,« sagte Onkel Dick aufgebracht.
»Aber es ist nicht sein Fehler,« sagte Collinson ruhig, »denn auch ihm sendet man aus Sakraments keine Waren, wenn er sie nicht bezahlt, und er kann nicht bezahlen, wenn ich's nicht thue.«
»Ah, das ist etwas anderes,« sagte Onkel Dick etwas besänftigt.
Plötzlich erhellten sich Onkel Dicks Züge. »Paßt auf! Ich kenne Skinner, ich werde dort anhalten! Nein – keinen Einwand, es liegt auf meinem Wege. Gut, Key wird zu ihm gehen und ihm sagen, daß ich das Geld diesen Hunden in Sakramento senden werde. Das wird genügen!«
Auch Collinsons Gesicht erhellte sich. Alle schienen von der Lösung der Schwierigkeit befriedigt; der Glattrasierte lachte.
»Ich will noch besondere Sicherheit geben,« sagte er, »und Collinson einen Sicht-Wechsel auf mich in San Francisco überweisen.«
»Weshalb?« fragte Collinson mit einer plötzlichen Röte auf seinen Wangen.
»Für den Fall eines Unglücks.«
»Was für ein Unglück?« warf Collinson mit einem argwöhnischen Blick auf seinem sonst so ruhigen Gesicht ein.
»Für den Fall, daß wir es vergessen sollten,« sagte der Glattrasierte mit einem Lachen.
»Und vermutet ihr, daß ich, im Fall ihr es vergessen würdet, etwas mit eurem verd – Papier zu thun haben will,« sagte Collinson, in dessen Augen eine zornige Wolke aufstieg.
»Das ist doch nur Geschäft, Colly,« warf Onkel Dick schnell ein, »so ist Jim Parker einmal, er ist Geschäftsmann durch und durch. Nehmt doch an, wir werden getötet, dann habt Ihr den Wechsel vorzuzeigen.«
»Wem?« knurrte Collinson.
»Geht zu unsern Freunden, unsern Verwandten, unsern Erben, um Euer Geld zu erhalten,« lenkte Onkel Dick ein.
»Und nehmt ihr an,« sagte Collinson mit heftig arbeitendem Atem, »daß, wenn ihr getötet werdet, meine Forderung anerkannt wird? Geht los! Ihr ermüdet mich.« Er ging zur Thür, zündete seine Pfeife an und ging in dem ausgetrockneten Flußbett auf und nieder. Onkel Dick folgte ihm. Von Zeit zu Zeit hörten die beiden andern die Töne von energischem Protest und Erklärungen, wenn die Streitenden am Fenster vorbeigingen. Peeble Key lachte, Parker zuckte die Achseln.
Gleich darauf traten die beiden wieder ins Zimmer und Onkel Dick sagte zu Parker: »Du kannst die Anweisung auf dem Schanktisch zurücklassen, wenn wir morgen gehen.« Damit war der Zwischenfall erledigt. Aber Collinson würdigte Parker während des ganzen Abends keines Wortes mehr, er stand mit seinem Rücken gegen den Schornstein gelehnt, und mehr als einmal verfiel er in tiefes Nachdenken, das seinem abwesenden Weibe galt.
Aus dieser Stille, die fast ansteckend wirkte, wurden die Gäste plötzlich durch ein fürchterliches Getöse aufgeschreckt, das vom Berge herunter zu steigen schien, gerade den Weg, den sie geritten waren. Es kam näher, nahm an Stärke zu und schien sich sogar mit dem feinen Kies im Flußbett an der Seite des Hauses zu mischen. Dann ging es vorbei in einem Windstoß, der an das Dach rüttelte und im Schornstein tobte. Wie auf Kommando sprangen die drei auf und gingen zur Thür. Als sie öffneten, starrten sie ins Dunkel, das einer Mauer gleich vor ihnen zu stehen schien. Weiter sahen sie nichts.
»Das muß irgend jemand gewesen sein!« sagte Onkel Dick, indem er sich an Collinson wandte. »Hörtet Ihr nichts?«
»Nicht das Geringste!« sagte Collinson, ohne sich vom Schornstein zu bewegen.
»Was, in Gottes Namen, war es denn?«
»Nur etwas von dem Geröll, das ihr vorhin loslöstet. Es blieb liegen und hat sich nun erst in Bewegung gesetzt. Als ich zuerst in diese Gegend kam, hörte ich dasselbe Geräusch, auch ich wollte aufspringen und nach Leuten suchen, gerade so als ihr es wolltet. Aber ich wurde ruhig und ließ es rauschen. Eines Nachts glaubte ich wieder, es würde gegen die Thür geschlagen. Aber ich gab mich nicht lange meinen Gedanken hin, es war niemand, der essen oder trinken wollte, sonst wäre er hereingekommen. Am Morgen fand ich einen Felsen, so groß als jener Kasten, vor der Thür liegen. Da wußte ich, daß ich recht gethan hatte.«
Peeble Key blieb vor der Thür stehen und sah umher.
»Da liegt ein Feuerschein am Himmel über dem großen Cañon,« sagte er, während sein Blick Onkel Dick streifte.
»Sah ihn schon vor einer Stunde!« sagte Collinson. »Es wird der Wald sein, der an der Biegung des Cañons in Flammen steht. Jemand, der zu Skinner wollte, wird die Veranlassung gewesen sein.«
Key wandte sich an Collinson, als ob er ihm etwas sagen wollte, besann sich aber und wandte sich an seine Gefährten, die sich schon in ihre wollenen Decken wickelten und an den Wänden eines harzigen, nach Sägespänen duftenden Gemaches, das früher als Meßraum für das Getreide gedient hatte, zum Schlafen niederlegten. Collinson verschwand, niemand wußte oder schien zu beobachten, wohin – und in weniger als 10 Minuten nach der Zeit, da sie von der Thür zurückgekehrt waren, schien sich Ruhe und Schlaf auf das ganze Haus herniedergesenkt zu haben. Kein Licht brannte im Hause, nur das Feuer im Vorderzimmer malte die gigantischen Schatten der drei Stühle vor demselben an die gegenüberliegende Wand. Nach einer Stunde schien es, als ob die Stühle besetzt würden, und das groteske Profil von Collinsons schlummerndem oder nachdenkendem Gesicht und seiner Figur malte sich auf den Sparren ab. Aber dies schien zu kommen und zu gehen, und die umherlagernde Dunkelheit hüllte alles ein, bis sie auch zuletzt an die glühende Asche auf dem Herde kam. Eine Stunde später – die Wildnis hatte von allem Besitz ergriffen.
Key, der leichteste Schläfer, erwachte früh, so früh, daß die Dämmerung sich nur in zwei schwachen Streifen bemerkbar machte, die aus der Dunkelheit des Zimmers aus der Ecke zu wachsen schienen, wo zwei Fenster den Ausblick auf das Thal gestatteten. Dies erinnerte ihn an seine Vision im Walde am vergangenen Abend, und er lag und wachte, bis es heller wurde und er die Figuren seiner schlafenden Gefährten entdecken konnte. Aber da war Geräusch überall – das sanfte Kratzen eines Eichhörnchens auf dem schindelbesetzten Dach, das geheimnisvolle Flattern von unsichtbaren Flügeln in den Sparren, das »Piepen« und »Quieken« von kindlichem Leben unter dem Fußboden. Dann fiel er in tieferen Schlaf und erwachte erst, als es schon heller Tag war.
Seine Gefährten waren schon fort. Sie hatten sich getrennt, wie sie zusammen gekommen waren, mit einem leichten Herzen, ohne Besinnen, kaum ohne Rückerinnerung, voller Hoffnung für die Zukunft, ohne Groll auf die Vergangenheit und das enttäuschende Ende ihres Unternehmens. Wenn sie sich wieder treffen würden, würden sie lachen und sich ihrer Gesellschaft erinnern; wenn nicht, würden sie einander ohne Schmerz, ohne Sehnsucht vergessen. Er kleidete sich eilig an und ging hinaus, um sich Gesicht und Hände in dem Zuber zu waschen, der neben der Thüre stand, aber die reine Luft und der lachende Sonnenschein berauschten ihn halb.
Die verlassene Mühle neben ihm zeigte ihm ihren ganzen Verfall. Die Sprossen der Wasserräder waren mit Gestrüpp überzogen und mit langem Gras bewachsen, eine sammetne Moosdecke hatte sich auf ihnen gebildet. In kleinen Wassertümpeln sah er die Ueberreste des ausgetrockneten Flusses, gefärbt von den Abfällen des Rotholzes. An der anderen Seite des felsigen Pfades lag das Thal in seiner ganzen Länge, gebadet in Sonnenschein und in einen weißen Nebel gehüllt. Das obere Ende des langen Cañons und der Gebirgskamm über ihm waren in Wolken gehüllt, die von Zeit zu Zeit Wasserfällen gleich auf die Gebirgsseite niederzufallen schienen. Die ganze Scenerie zog Key mächtig an, er konnte keinen Blick davon verwenden; er bemerkte deshalb kaum, daß Collinson die Anstalten zu einem Mahl traf. Bei seinem Anblick überkam Key etwas wie Scham über seinen eignen und seiner Kameraden Egoismus und erhöhte seine Teilnahme für den geduldigen Wirt. Er selbst wollte zu Skinner gehen, um für Collinson einzutreten, er wußte, daß Parker den Wechsel auf dem Schanktisch hatte liegen lassen, denn er hatte ihn gesehen, aber ein Anflug von Zartgefühl verbot ihm, davon zu sprechen. Er schüttelte warm seine Hand und galoppierte den felsigen Pfad hinauf. Als er die Hochebene erreicht hatte und der feine Nebel sich gerade teilte, sah er seine Kameraden auf verschiedenen Pfaden, er wußte, daß jeder seiner Wege ritt, um vielleicht nie wieder mit dem andern zusammen zu treffen. Seine Gedanken und Augen flogen zurück nach der Mühle unter ihm und ihrem einsamen Bewohner.
Er konnte ihn deutlich sehen, in der klaren Luft, wie er vor seiner Thür stand. Dann machte er eine Bewegung mit der Hand und etwas wie Schnee flog in die Luft. Es waren die zerrissenen Ueberreste von Parkers Wechsel, die dieser vortreffliche Gentleman der Sierras in die vier Wände flattern ließ.
Keys Aufmerksamkeit wurde plötzlich auf etwas anderes, für seinen gegenwärtigen Zweck sehr Wichtiges gelenkt. Der scharfe Wind, der ihm beim Berganreiten ins Gesicht geblasen hatte, hatte die Richtung geändert und kam nun von hinten. Seine Erfahrung bei Waldbränden lehrte ihn, daß dies nur ein Zeichen sei, daß die kalte Luft nach der erwärmten über der Brandstelle ströme. Ein scharfes Beißen in seinen Augen und die Trockenheit der Luft sagten ihm, daß er sich dem Feuer nähere. Er mußte schneller vorwärts gekommen sein, als er beabsichtigte, oder die Richtung seines Weges verändert haben. Er war enttäuscht, nicht weil er nun eine andere Route zu Skinner einschlagen mußte, sondern aus einem andern Grunde. Seit der Vision am letzten Abend hatte er beschlossen, die Höhle aufzusuchen und das Geheimnis zu lüften. Er hatte seine Absicht geheim gehalten, weil er den spöttischen Bemerkungen seiner Gefährten ausweichen wollte, besonders aber auch weil er allein zu gehen wünschte, da er mehr gesehen hatte als sie.
Der Umstand hatte ihn während der Nacht beunruhigt, daß die geheimnisvollen Bewohner oder Besitzer der Höhle sich im Bereich des Feuers befanden. Er wußte, daß durch Onkel Dicks Schuld das Feuer zum Ausbruch gekommen war, und daß er dies nicht verhindert hatte, aber er beruhigte sein Gewissen durch den Gedanken, daß die Bewohner der Höhle rechtzeitig gewarnt worden seien. Aber er und seine Gefährten hätten doch den Bedrängten zu Hilfe kommen können und dann – doch hielt er inne, ein Gedanke befiel ihn, dem er keine Worte verleihen konnte. Peeble Key hatte das Alter der Romantik noch nicht, überschritten, aber gleich anderen dachte er, er könne ihm durch praktische Anwendung entgehen.
Mittlerweile hatte er die Abzweigung des Weges zur Rechten erreicht und er mußte diese Richtung wählen, wenn er auf einem Umwege um den brennenden Wald Skinner zu erreichen gedachte. Seine augenblickliche Unentschlossenheit teilte sich seinem Pferde mit, welches Halt machte. Als er wieder zu sich gekommen war, sah er mechanisch nieder; in dem Staub der Landstraße lag etwas, das seine Aufmerksamkeit in hohem Grade fesselte: ein kleiner, zierlicher Pantoffel, so klein, als ob er einem Kinde gehört habe. Er bückte sich und nahm ihn auf. Der Pantoffel war getragen und zeigte deutlich die Form des Fußes. Lange konnte er nicht dort gelegen haben, denn er war ziemlich staubfrei im Gegensatz zu den anderen herumliegenden Gegenständen. Er war augenscheinlich von einem Reisenden verloren worden, und dieser Reisende mußte Collinsons Haus passiert haben, einerlei ob er kam oder ging, und zwar innerhalb der letzten zwölf Stunden. Es war kaum möglich, daß der Pantoffel liegen geblieben war ohne daß der Verlierer ihn vermißt hatte, er mußte also auf einer sehr eiligen Flucht verloren gegangen sein. So wandte Key seine Romantik praktisch an. Dann bestieg er sein Pferd und ritt die Straße in der Richtung nach dem Feuer zu.
Aber er war erstaunt, als er nach zwanzig Minuten fand, daß die Richtung des Feuers sich geändert hatte. Vor ihm war es klarer geworden, die trockene Hitze schien nun mehr von der rechten Seite, von der Stelle zu kommen, wo sich der Weg zu Skinner hinzog. Aus diesem Umstande schloß Key, daß das Feuer die kleine Hütte noch nicht erreicht haben konnte, die er jetzt aufsuchen wollte. Er wußte, daß er in der Nähe sein mußte, denn der Ort hatte sich seinem Gedächtnis sogar in der Dunkelheit des gestrigen Abends genau eingeprägt. Er passierte den felsigen Vorsprung, die Hufe seines Pferdes schlugen nicht mehr hart auf, sondern die Tritte klangen auf dem weichen, moosigen Boden gedämpft, ihm damit die Nähe der dichtbewaldeten Höhle anzeigend. Hier kam schon ein weiterer Zwischenraum, aber ein besonderer Umstand fiel ihm auf. Er war schon den Abhang hinabgeritten, aber anstatt daß er weiter in den Schatten des Waldes kam, wurde der Wald lichter. Hier war die Grenze des Waldes, aber der Wald selbst war nicht vorhanden. Er spornte sein Pferd durch die hohen Bogen zwischen den Spalten, um sein Erstaunen zu bemeistern.
Der Wald war weg, die ganze Höhle angefüllt mit den schon geschwärzten und toten Stümpfen des gänzlich vernichteten Waldes. Mehr als das, nach den Anzeichen mußte die Katastrophe augenblicklich eingetreten sein, nachdem er gestern abend die Stelle verlassen hatte. Es war augenscheinlich, daß das Feuer auf eine unerklärbare, aber durchaus nicht seltene Weise nach einer andern Stelle übergesprungen war. Die umgebenden Anhöhen waren noch unberührt, nur die Höhle und der Felsenvorsprung, wo sie tags vorher mit ihren Pferden gehalten hatten, um das geheimnisvolle Fenster zu suchen, waren zerstört. Er erklomm den Felsen, der noch warm war. Das Feuer mußte in wenigen Stunden diese Stelle verwüstet haben. Aber eine andere Entdeckung machte ihn noch mehr stutzen. Vor ihm in einer Vertiefung der Kluft lagen die verkohlten Ueberreste eines Wohnhauses; halb verdeckt von einer natürlichen Mauer von Buschwerk und Urwald mußte es nur wenige hundert Fuß von der Stelle entfernt gestanden haben, an der sie gehalten hatten.
Sogar noch nach der Verheerung, die das wütende Element angerichtet hatte, konnte man deutlich den Grundriß und die Einteilung des vierzimmrigen Hauses erkennen. Während alle verbrennbaren Gegenstände den Flammen zum Opfer gefallen waren, verrieten einige Metallsachen, bemalte eiserne Teller und zerbrochene Riegel ihre frühere Zugehörigkeit zur Küche. Nur sehr wenige Gegenstände hatte man augenscheinlich in Sicherheit bringen können, das Haus und sein Inhalt war wie es stand den Flammen zum Raube gefallen. Mit einem Gefühl des Schreckens und der Niedergeschlagenheit versuchte Key einige der noch brennenden Haufen zu löschen. Aber sie enthielten nur Kleider, Bettzeug und irdenes Geschirr – ein Ueberrest von einem verbrannten Menschen war nicht zu entdecken. Auch kein Schluß auf die frühere Güte des Hauses mit Ausnahme seiner Größe konnte gezogen werden, nichts war übrig geblieben, als die unscheinbaren Ruinen einer ausgebrannten menschlichen Behausung.
Und doch war die ganze Existenz des Hauses ein Geheimnis. Es war Collinson, dem nächsten Nachbarn, ebenso unbekannt gewesen wie Skinner. Weder Key noch seine Gefährten hatten es bei ihrer ersten Entdeckungsreise durch die Höhlen gefunden, und nur das märchenhafte Fenster bei Nacht hatte einen Wink von seiner Verborgenheit gegeben. Verborgen war es gewiß und ebenso gewiß nicht absichtslos, aber zu welchem Zweck?
Für einige Minuten ließ Key seiner Phantasie freien Spielraum bei dieser Frage. Einsamkeit, die die absolute Stille der Natur vorzog, oder vielleicht Unzufriedenheit mit der menschlichen Gesellschaft hatte ihn hier in Gesellschaft seiner Tochter eingeschlossen. Vielleicht ein Pfadfinder, hatte er leicht einen Weg zu finden gewußt, um sein Haus von der Nachbarschaft eines Collinson oder Skinner unabhängig zu machen, von welchen er Verrat fürchtete. Aber diese Einsamkeit wird doch gewöhnlich nicht von jungen Töchtern geteilt, denn diese sind nicht Gegner der Welt und sie würden deshalb schlechte Gesellschafter sein. Warum nicht eine Frau? Und wenn es ein Weib in dieser Abgeschiedenheit aushalten mußte, weshalb sollte es nicht eines anderen Weib sein? Hier war ein Grund zum Verbergen, das Ende eines Abenteuers, in der Wildnis nicht unbekannt. Hier war aber auch ein Werk der Nemesis, mit dessen Resultat sie wohl zufrieden sein konnte. Die Geschichte, auch die Moral, war vollständig, aber sie befriedigte Key nicht im mindesten.
Seine Aufmerksamkeit wandte sich zwei- oder dreimal der Gebüschmauer zu, welche während des Brandes die ganze Macht der Hitze auszuhalten hatte. Die Ueberreste legten beredtes Zeugnis von der Hitze ab, die die Umgegend verwüstet hatte. Key nahm einige von ihnen, die noch warm waren, auf und war nicht im geringsten erstaunt, daß jedes Teilchen in seiner Hand in ein graues sandiges Pulver zerstob. Mit dem gewöhnlichsten menschlichen Interesse hob er einige Stücke auf und verbarg sie sorgfältig in seiner Tasche. Nach einigen weiteren Versuchen, etwas von den Bewohnern und ihrem vernichteten Heim zu erfahren, kehrte er nach seinem Pferd zurück. Hier nahm er aus seiner Satteltasche, halb achtlos, eine Schale aus Holz, öffnete sie und goß in ein größeres dickeres Glasgefäß eine rauchende Flüssigkeit; dann zerbröckelte er einige von den verbrannten Ueberresten, warf sie in das Glas und verfolgte die nun eintretende Aufwallung mit ungemeinem Ernst. Als die Entwicklung fast aufgehört hatte, brachte er das Gemisch in ein anderes Glas, das er niedersetzte, dann nahm er ein Zinngefäß, in das er etwas Trinkwasser goß und einige Körnchen Salz warf. Von seinen benetzten Fingern ließ er einige Tropfen des Salzwassers in das Glas fallen. Sofort bildete sich in der farblosen Flüssigkeit eine weiße Wolke, und am Boden sammelte sich ein Niederschlag. Keys Augen wurden plötzlich aufmerksam, der achtlose Ausdruck auf dem Gesicht verschwand. Seine Finger zitterten leicht, als er wieder etwas Salzwasser mit demselben Resultat in die Lösung fallen ließ. Wieder und wieder versuchte er das Experiment, und der Boden des Gefäßes war schon ganz mit einer grauen Masse bedeckt, aber auch sein Gesicht hatte eine graue Farbe angenommen.
Seine Hand zitterte nicht mehr, als er vorsichtig die Flüssigkeit abgoß, um den Bodenbesatz nicht zu stören. Dann nahm er sein Messer und schöpfte mit demselben etwas von der grauen Masse auf die Zinnbüchse. Mit dem Rücken des Messers rieb er den Bodensatz lebhaft – bald strahlte die Büchse im lebhaftesten polierten Silber.
Einen Augenblick stand er still und holte tief Atem, um das laute Pochen seines Herzens zu beruhigen. Dann erstieg er schnell den Felsen und ging über die Trümmer, wobei er die verkohlten Haufen auseinanderstieß, ohne zu bedenken, was sie enthalten hatten. Key war kein gefühlloser Mensch, auch kein raffinierter, er hatte ein ausgeprägtes Mitgefühl für andere, aber in diesem Augenblick waren alle seine Gedanken auf die verkohlten Gesteine gerichtet. Sein erster Antrieb war, zu erfahren, ob Merkmale für die Annahme vorhanden waren, daß die früheren Bewohner Kenntnis von dem Wert der Erde gehabt hatten. Aber nichts war zu finden. Ebensowenig lag ein Grund vor, anzunehmen, daß sie je zurückkehren würden nach dem verwüsteten Haus, das nun offen im Sonnenlicht dalag. Ihr Schuldbewußtsein würde sie von der Rückkehr abhalten. Ein Gefühl der Erleichterung zog in die Seele dieses Normalphantasten, der Gedanke an eine Wiedervergeltung durch den Höchsten. Er lief zu seiner Satteltasche zurück und nahm aus derselben ein oder zwei sorgfältig bewahrte Schriftstücke mit Notizen über Verkaufsrecht und Anrechte, welche er und seine Gefährten in der kurzen Teilhaberschaft festgesetzt hatten, radierte ihre Unterschrift aus und ließ nur seinen eigenen Namen stehen, mit dankbaren Gedanken an die göttliche Vorsehung, die seine Gefährten weit weggeführt hatte. Mit unbewußter Ironie wählte er sich einen Haufen verkohlte Asche, brachte sie in seiner Nähe unter und kehrte zu den Ruinen zurück. Mit einer Gewissenhaftigkeit, die ihren Grund in seinen religiösen Anschauungen haben mochte, entfernte er mit seiner Spitzhacke genug von dem brüchigen Gestein, um seine Vermutung von »körperlicher Arbeit«, die im »Claim« genau festgelegt war, festzustellen, und kehrte dann zu seinem Pferde zurück. Beim Einpacken der von ihm gebrauchten Gegenstände fiel ihm der Pantoffel in die Hände, aber so sehr waren seine Gedanken bei seiner gemachten Entdeckung, daß er sich des zierlichen Gegenstandes als eines Hindernisses entledigen wollte, bis ihm einfiel, daß er denselben wahrscheinlich gebrauchen könnte, um etwaige Ansprüche, die die früheren Bewohner an seine Entdeckung machen würden, zu beseitigen. Er war sich weder einer Treulosigkeit gegen seine Romantik noch einer Unredlichkeit gegen seine Kameraden bewußt, er glaubte, das Glück sei zu ihm gekommen, zu ihm ganz allein. Die ganze Größe der Entdeckung erschien ihm als eigenste That. Er hatte sich einen ungefähren Ueberschlag von dem Reichtum der Ader und ihrem Gehalt durch sein einfaches Experiment gemacht, seine Kenntnis der Geologie lehrte ihn die Länge, Tiefe und Breite des Lagers berechnen, und der Erfolg war über Erwarten groß. Er mußte Kapital beschaffen, um die Arbeit in Angriff nehmen zu können, er mußte andern einen Einblick in die Lage der Mine und die Prosperität des Unternehmens gewähren, aber der eigentliche Leiter wollte er, nur er sein.
Da schrak er plötzlich zusammen von einem Geräusch, Fußtritte näherten sich und kaum 20 Yards von ihm stand Collinson, der gerade vom Maultier gestiegen war. Das Blut stieg in Keys Gesicht.
»Schon wieder zurück?« sagte der Besitzer der Mühle mit seinem müden Lächeln.
»Nein,« sagte Key schnell, »ich ordne nur meine Sachen.« Das Blut rötete bei dieser offenbaren Lüge seine Wangen. Hätte er vorher darüber nachdenken können, würde er Collinson freundlich begrüßt und ihm alles erzählt haben. Aber nun störte ihn die plötzliche Ueberrumpelung. Vielleicht hatte ja sein früherer Wirt gelogen und kannte die Existenz des verborgenen Hauses. Vielleicht – er hatte gestern abend von Silberfelsen gesprochen – wußte er etwas von der Ader. Key wandte sich mit einem ärgerlichen Gesicht an Collinson; aber dessen nächsten Worte zerstörten seine Gedanken.
»Freut mich sehr, Euch zu treffen,« sagte er. »Nachdem Ihr mich verließet, sah ich Euch auf den brennenden Wald zureiten, anstatt denselben zu umgehen. Ich sagte zu mir selbst, daß Ihr vielleicht geradenwegs zu Skinner reiten wolltet. Er ist nicht gut auf mich zu sprechen, nun der leere Schweinekoben da; ich habe ihn auf Euch boys vertröstet, nun wird er nicht das Wagnis auf sich nehmen, mir zu helfen. So legte ich denn meine Beine über Jenny, sah Euch nach, um mit Euch zu Skinner zu gehen und für mich selbst zu sprechen.«
»Gewiß,« sagte Key in ausgelassener Fröhlichkeit und in dem einen Gedanken, Collinson recht schnell wegzuschaffen, »wir wollen zusammen gehen und dafür sorgen, daß der Schweinekoben gefüllt wird.« Er errötete über sein Glück, Collinsons so leicht ledig zu werden. »Laßt uns eilen, sonst könnte das Feuer auch schon die andere Landstraße ergriffen haben.« Mit diesen Worten bestieg er hastig sein Pferd.
»Das kann sein!« sagte Collinson, der mit zäher Ausdauer an seinen Gedanken hing. »Warum auch nicht? Es sieht rings umher klar aus.«
»Das Feuer ist übergesprungen, wir müssen zum Kreuzweg zurück!« sagte Key zweideutig und in seinem Bestreben, seinen lästigen Gefährten möglichst bald zu beseitigen. Noch wenige Schritte, und Collinson mußte an die Trümmer und die von Key angeschlagene »Bekanntmachung« der Besitz-Ergreifung gelangen, und dies mußte verhütet werden bis der Plan vollständig gesichert war. Eine plötzliche Aversion machte sich bei Key gegen den Mann geltend, den er noch vor wenigen Stunden hatte belohnen wollen.
»Kommt schnell!« fügte er deshalb fast rauh hinzu.
Als sie fortritten, sagte Collinson zu Key, der erfreut war, aus der Nähe der Höhle zu kommen: »Ich habe über Eure Frage nach jemandem in dieser Gegend, der mir unbekannt sein sollte, nachgedacht.«
»Gut,« sagte Key aufs neue in nervöser Erregung.
»Nun! Ich wollte Euch nur den Vorschlag machen, uns hier in dieser Gegend etwas nach dem Gegenstand umzusehen, von dem Ihr spracht,« sagte Collinson versuchend.
»Unsinn!« sagte Key schnell. »Wir sahen natürlich nichts, es war alles nur Märchen, und Onkel Dick zog mich auf, weil ich sagte, ich hätte ein Frauengesicht gesehen,« fügte er mit einem gezwungenen Lachen hinzu.
Collinson starrte auf ihn, halb traurig. »Dann habt Ihr nur gescherzt. O, das habe ich nicht gedacht. Ich glaubte aus Onkel Dicks Reden Ernst zu hören.«
Sie ritten schweigend weiter; Key fieberisch, nur mit dem Gedanken, Skinner möglichst schnell zu erreichen. Skinner war nicht nur Postmeister, sondern auch »Registrar« des Distrikts, und der neue Entdecker fühlte sich nicht eher sicher, als bis seine Rechte durch den Registrar eingetragen waren. Dies war keine Veröffentlichung seines gegenwärtigen Geheimnisses noch ein Zeichen von Erfolg, sondern es war nur eine Sicherung seines Besitzes gegen andere sanguinische Unternehmer. Aber er wurde aus seinem Nachdenken plötzlich aufgeschreckt.
»Ihr sagtet, Ihr wäret gerade mit dem Packen Eurer Sachen beschäftigt gewesen,« sagte Collinson langsam.
»Ja,« sagte Key beinahe ärgerlich, »ich war auch.«
»Ihr hieltet also nicht an der Wegkreuzung an, nicht wahr?«
»Es kann sein,« sagte Key nervös, »aber weshalb fragt Ihr?«
»Weil Ihr meine andere Frage nicht verstehen würdet. Weshalb tragt Ihr immer einen Frauenschuh mit Euch herum?«
Key fühlte das Blut in seine Wangen schießen. »Wie meint Ihr?« stotterte er, kaum fähig, seinen Gefährten anzusehen. Aber als er einen Blick auf Collinsons Züge warf, war er erstaunt, daß dieselben ebenso verstört waren wie die seinen.
»Ich weiß, es ist nicht der richtige Ort, Euch zu fragen,« sagte Collinson zögernd, aber es ist alles wie es ist. An der Straßenkreuzung, von wo Ihr kamt, fand ich einen Frauenschuh. Es betrifft mich gewissermaßen. Denn ich sag Euch, seit Wochen ist niemand in meiner Hütte gewesen als Ihr, boys, und jener Schuh kann noch nicht länger als einige Stunden dort gelegen haben, ich weiß, daß hier herum nirgends eine Frau war. Onkel Dick kann sie nicht mit sich gehabt haben, ebenfalls nicht der andere Mann, also nehme ich an, daß Ihr es wart. Und so ist es.« Er zog langsam aus seiner Tasche – was Key vollständig zu sehen vorbereitet war – den Genossen des Pantoffels, den Key in seiner Satteltasche hatte. Der schöne Flüchtling hatte sie beide verloren.
Aber Key war nun besser vorbereitet – vielleicht ist diese Art von Verstellung erfolgreich – und mit Blitzesschnelle erkannte er die Notwendigkeit, Collinson von dieser Fährte abzubringen. Seines Gefährten Einbildung kam ihm dabei zu Hilfe und, wie es schien, wieder ganz durch die Vorsehung bewirkt. Er lachte, als er, vielleicht um seine Lüge besser zu verbergen, halb hysterisch erwiderte: »Habt recht, alter Mann, es war die meine! Es ist verd – einfältig, ich weiß; aber wir sind alle Narren, wenn Frauen in Betracht kommen – ich wollte den Pantoffel nicht hergeben für einen Haufen Geld.«
Er streckte verlangend seine Hand aus, aber Collinson behielt den Pantoffel zurück und betrachtete ihn ernst.
»Ihr wollt mir nicht sagen, wie Ihr ihn erhalten habt?« sagte er nachdenklich.
»Glaubt Ihr, ich würde?« sagte Key mit einem gut gespielten Gemisch von Lust und Zorn. »Was denkt Ihr, alter Spitzbube? Für wen haltet Ihr mich?«
Aber Collinson lachte nicht. »Ihr wollt mir nicht die Gestalt und Größe derjenigen beschreiben, die diesen Pantoffel trug?«
»Entschieden thue ich nicht das, was Ihr wünscht,« sagte Key halb ungeduldig. »Genug, daß er mir von einem recht hübschen Mädchen gegeben wurde. Da! Das ist alles, was Ihr wissen dürft.«
»Euch gegeben?« sagte Collinson, seine Augen erhebend.
»Ja« erwiderte Key scharf.
Collinson überreichte ihm ernst den Pantoffel. »Ich frage Euch nur,« sagte er langsam, aber mit einem so bestimmten Ausdruck, wie ihn Key nie zuvor in seinem Gesicht gesehen hatte, »weil mich die Größe und Gestalt an etwas aus meinem Leben erinnert.« Der Tadel (wenn ein solcher beabsichtigt war) lag ebensosehr in Keys lustiger Artigkeit und seinem Leichtsinn, als in dem bewußten Vorwurf gegen den guten Ruf der ersonnenen Dulcinea. Key fühlte jedoch eine starke Neigung, sowohl die Verleumdung, als auch Collinsons grundlose Moral zu ahnden, und mit einer Rückerinnerung an Onkel Dicks skandalöse Bemerkung vom gestrigen Abend sagte er sarkastisch: »Und das eine Weib, an das Ihr denkt, ist Eure gesetzliche Ehefrau.«
»Es war!« sagte Collinson ernst.
Vielleicht war etwas in Collinsons Art und Weise, oder in seinem eigenen Vorurteil, oder er verfolgte den Gegenstand nicht weiter, deshalb schlief die Unterhaltung ein. Sie näherten sich auch dem Herd des Brandes immer mehr und der auf dem noch vom Feuer verschont gebliebenen Teil des Waldes lagernde Rauch bewirkte, daß sie oft gänzlich den richtigen Pfad verloren. Zu anderer Zeit wieder kam es ihnen durch die ungeheure Hitze so vor, als ob sie sich inmitten des brennenden Waldes befänden. Es war merkwürdig, daß Key mit seinem beginnenden Glück seine gewöhnliche sorgenfreie Furchtlosigkeit verloren hatte und ungeduldig nach seines Gefährten Kenntnis der Umgegend fragte. Endlich gelangten sie an einen Nebenpfad und befanden sich vollständig in Sicherheit und Key war fast durch die unbesiegbare Geduld Collinsons beschämt.
Ein geneigtes Tafelland trennte sie nun von dem Feuer, und bald begannen sie abwärts zu reiten. Auf ihrem Wege erreichten sie eine breite Wagenstraße, und Key sah zum erstenmal seit vierzehn Tagen wieder Wagen. Nun jubelte sein Herz und sein Glück schien vollständig, denn er wußte, daß nun auch Skinner nicht mehr weit entfernt war. Nach kurzer Zeit sahen sie Marysville, das am Abhange des Gebirges lag.
Es bestand aus einem Postgebäude, einer Taverne, einer Grobschmiede, einem » general store«, Allerleiladen, und kaum ein Dutzend Gebäuden, die aber im Gegensatz zu Collinsons Mühle werkthätiges Leben zeigten. Key und Collinson ritten vor die Thür der Expreßoffice, wo die Expreßwagen zur Abfahrt bereit standen. Dies alles schien wieder für Key von großem Vorteil zu sein. Durch seinen Kopf schossen die abenteuerlichsten Gedanken. Skinners Laden lag ihm recht, hier konnte er alles haben, und diese Einsicht machte ihn freundlicher auch gegen Collinson, zu dem er sagte: »Wenn Ihr weitere Vorteile haben wollt, könnt Ihr uns den Wechsel in Zahlung geben, den Ihr von Parker erhalten habt.«
»Ihr meint den Fetzen Papier, den der Bursche zurückließ?«
»Ja.«
»Ich zerriß ihn.«
»Ihr habt ihn entzwei gerissen?« schrie Key auf.
»Könnt Ihr denn nicht hören? Ja!« sagte Collinson.
Key starrte ihn an. Gewiß war es besser, daß er diesem unwissenden Menschen sein Geheimnis nicht anvertraut hatte. Die Gewissensbisse, die er sich wegen der Lüge über die Herkunft der Pantoffeln machte, verschwanden sofort. Diesem Menschen durfte er nicht trauen, er konnte ihm sein Verkaufsrecht schmälern und sich und seine Ansprüche befriedigen. War er ganz sicher, daß Collinson nicht den Ort besuchen würde wenn er gegangen war?
Key hatte beabsichtigt, sein Pferd zur Sicherheit für Collinsons Schulden bei Skinner zurückzulassen, aber Skinners Entgegenkommen machte dies unnötig, deshalb bot er Collinson das Tier an, damit er sich desselben zum Heimschaffen der Waren bediente. Er rechnete sehr richtig, daß Collinson dann die Landstraße als den bequemeren Weg für die beiden Tiere benutzen würde, er ihn infolgedessen aus der Nähe der Höhle verbannt hatte.
»Habt Ihr denn keine Angst vor den Straßenräubern?« warf ein Zuschauer ein, »gerade in dieser Zeit machen sie viel von sich reden.«
»Ach, geht, sie sind jetzt lange nicht so thätig wie sonst,« erwiderte Skinner. »Ihnen kommt's besonders auf die Pferde an,« fügte er mit einem Seitenblick auf Keys Pferd hinzu. Aber Key stand schon im Eilwagen und schüttelte seinem geduldigen Patienten zum Abschied die Hand. Nichtsdestoweniger überkam ihn beim Abfahren der Gedanke an die neue Gefahr, die seinem neuen Besitztum von dieser Seite drohte. Er reflektierte aber gleichzeitig, daß das rohe Erz schwerlich die Raubgier anziehen würde. Ja, wenn es eine Goldmine gewesen wäre! Aber so war hier wieder ein Zeichen der göttlichen Vorsehung zu erkennen.
Nach einer Woche kehrte Key zu Skinner zurück mit Aufseher und zehn Arbeitern, und einem unbeschränkten Kredit, zu ziehen auf Marysville. Unternehmungen dieser Art erweckten nicht Skinners Erstaunen. Wie oft waren schon Gesellschaften in diese Gegend gekommen, die nicht wußten, was oder wie, die Tiefe des Waldes hatte ihre Geheimnisse aufgenommen; dann waren sie verschwunden, niemand wußte, wie und wohin, und oft hatten sie bei Skinner Schulden hinterlassen. Folglich war auch nichts in Keys Unternehmung, was Erstaunen erregen konnte.
In der nächsten Woche schloß sich der Gesellschaft eine herumstreifende, wohlverproviantierte, alles untersuchende Menge an, zwei Wochen später war alles genau untersucht und in drei Wochen hatten die Angestellten der » Sylvian Silver Hollow Company«, der »Sylvian Silberhöhlencompagnie« jeden Fuß Erde umgewälzt. Keiner der früheren Gefährten Keys würde die Höhle und die Umgebung derselben wieder erkannt haben, solche Veränderungen hatte Key vornehmen lassen. Key selbst hatte alles vergessen, nur nicht, daß er den ganzen Erfolg seinem einfachen Experiment zu verdanken habe.
Eines Nachts, als tiefe Stille die Ansiedelung Keys überzogen hatte und die Arbeiter im besten Schlafe lagen, vernahm man plötzlich ein lautes Geschrei und das Stampfen von Pferden vor der Hütte. Alle sprangen auf, ergriffen die Waffen und eilten hinaus ins Dunkle, vor ihnen stand eine bewegungslose Reitermauer. Zwei aus Aesten und Pinien hergestellte Fackeln flammten auf und eine Stimme erteilte in energischem Ton Befehle. In ihrem Erstaunen, halber Ueberraschung und Verwirrung wußten die Ueberfallenen keinen Ausweg.
»Nieder mit den Waffen, Hände hoch!«
Key war kein Feigling, der Mann, obgleich er flüsterte, sprach energisch, sie gehorchten.
»Der Führer trete vor! Er stelle sich dort neben die Fackel!«
Eine von den Fackeln wurde in die Mitte gebracht, und kalt und gefaßt trat Preble Key neben sie.
»Es ist gut!« sagte die Stimme ohne Veränderung. »Nun wünschen wir Jack Riggs, Sydny Jack, French Pete und den einäugigen Charley.«
Eine lebhafte Erinnerung an frühere Scenen in der Höhle kam über Key. Mit einem instinktiven Begriff sagte er sich, daß dieser Einbruch mit den früheren Bewohnern in Verbindung stehe, deshalb erwiderte er kühl:
»Wer wünscht sie?«
»Der Staat Kalifornien!« sagte die Stimme.
»Der Staat hätte früher kommen müssen,« erwiderte Key in seiner früheren angenehmen Stimme, »Leute mit solchen Namen sind nicht in meiner Gesellschaft.«
»Wer seid Ihr?«
»Der Leiter der › Sylvian Silver Hollow Company‹ und die Leute sind meine Arbeiter.«
In dem dichten Haufen entstand eine Bewegung, dann sagte die Stimme:
»Habt Ihr Papiere, um dies zu beweisen?«
»Ja, drinnen. Und Ihr?«
»Ich bin Bevollmächtigter vom Sheriff von Sierra!«
Wieder trat eine Pause ein, dann sagte die Stimme weniger dünkelhaft:
»Drei Wochen. Ich kam hierher am Tage nach dem Waldbrand und errichtete diesen Claim Der Ausdruck »Claim« ist im Deutschen nicht wiederzugeben. Er bedeutet die Besitzergreifung von einem Stück Land, die jedem Ansiedler zusteht. D. Uebers..«
»War hier kein andres Haus?«
»Ruinen waren vorhanden, Ihr könnt sie noch sehen. Möglich, daß es ein niedergebranntes Haus war.«
Die Stimme kam langsam näher.
»Es war eine Diebsbande. Es war hier der Unterschlupfsort für Jack Riggs und seine Horde von Straßenräubern. Seit drei Wochen bin ich ihnen auf den Fersen. Und nun ist alles unnütz.«
Ein Lachen ertönte von Keys Arbeitern, aber es verstummte, als die Stimme näher kam und man neben der Fackel ein ernstes dunkles Gesicht sah, das von einem braven Manne Zeugnis gab.
»Wollt Ihr hineinkommen und etwas nehmen?« fragte Key freundlich.
»Nein, es ist für mich genug Narrenarbeit, Euch gestört und aufgehalten zu haben. So ist es immer in meiner verd – Tagesarbeit. Gute Nacht! Vorwärts!«
Die beiden Fackeln tanzten vorwärts und bald herrschte in der Ansiedelung wieder tiefe Stille.
Als Preble Key allein war, entrang sich ein Seufzer der Erleichterung seiner Brust. Nun war auch der letzte Schatten von seinem Glück verschwunden. Die früheren Bewohner waren outlaws, Gesetzlose, Ausgestoßene aus der menschlichen Gesellschaft gewesen, nun drohte seinem Besitztum keinerlei Gefahr mehr.
Aber dennoch, wenn auch ein Gefühl der Sorglosigkeit über ihn kam, immer wieder mußte er an die Erscheinung und das liebliche Gesicht denken, das er an jenem Abend am Fenster gesehen hatte.
Es schien, als ob Collinson von der Entdeckung der Sylvian Silver Hollow keine Ahnung hatte. Keys Furcht, daß er nach seiner Rückkehr von Skinner den Ort besuchen werde, war vollständig unbegründet, denn Collinson ging nie wieder dorthin. Weder die Nachricht von der Eintragung des Claims, noch die Ankunft der Arbeiter bemerkte er. Die wenigen Reisenden, die bei ihm vorsprachen, wählten immer den weiteren, aber bequemeren Weg über die Landstraße, auch war er zu weit entfernt, um aus der am Sonnabend regelmäßig erfolgenden Heimkehr der Key'schen Arbeiter irgend welchen Vorteil zu ziehen. Seine Abgeschlossenheit von der Civilisation – denn diejenigen, die zu ihm kamen, waren gleich ihm ungebildete Ansiedler – blieb ungestört. Die Einkehr der unternehmenden Gesellschaft in seine einfache Häuslichkeit war für ihn ein Ereignis gewesen, und er ließ es sich nicht träumen, daß die drei durch ihre armselige Stellung dazu gezwungen worden waren. Dies Ereignis war wohl wert, sich zeitweilig desselben zu erinnern, aber die Nimmerwiederkehr störte nicht den unendlichen Gleichmut. Sein Schweinekoben und sein Mehlsack waren für andere Reisende gefüllt; seine eigenen Bedürfnisse waren gering.
Es war einen oder zwei Tage nach dem nächtlichen Besuche des Sheriffs vor der Silberhöhle, als Key das Thal hinab sprengte zu Collinsons Mühle. Es belustigte ihn, in seiner neuen Würde zu erscheinen, aber gleichzeitig war er betrübt, daß Collinson in demselben Stumpfsinne verharrte und daß es erst eines lauten Rufes bedurfte, um ihn vor die Thür zu bringen.
»Ich habe Euer Pferd gut verwahrt, es hat auf der Wiese oberhalb der Mühle geweidet, und hat sich so herausgemacht, daß es dick und rund aussieht,« sagte er ruhig und begann mechanisch Keys Zaum zu lösen, da dieser abgestiegen war. »Sein Rücken ist vollständig geheilt.«
Key konnte ein Zeichen von Ungeduld nicht unterdrücken. Drei Wochen waren vergangen, seit sie einander verlassen hatten, drei Wochen für ihn voller Aufregung, emsiger Tätigkeit und Glück. Und nun fand er diesen Mann vollständig unverändert. Er wußte in der That nicht, was er von ihm halten sollte. Aber Collinsons nächste Worte waren sehr praktisch.
»Ich glaubte, Ihr würdet an Skinner wegen Eures Pferdes schreiben; daß Ihr jemals zurückkehren würdet, habe ich keinen Augenblick gedacht.«
Aus dieser Aeußerung ging zur Genüge hervor, daß Collinson nichts gehört hatte. Nun war auch für Key die Schwierigkeit größer, dem Wirt die Geschichte seiner Entdeckung mitzuteilen. Er konnte sie bis nach der Ankunft in Marysville zurückdatieren, aber wie sollte er sein Glück erklären? Er war nicht Prahler genug, um vor Collinson mit seinem Scharfsinn glänzen zu wollen, noch die unermüdliche Energie zu rühmen, der es bedurft hatte, um die Gesellschaft zu begründen. Deshalb wurde seine Geschichte unter den ernsten geduldigen Augen seines Gegenübers durchaus mangelhaft. Während der Erzählung verriet Collinson weder stolzes Interesse noch Zorn. Als Key seinen ungeschickten Vortrag beendet hatte, sagte Collinson langsam:
»Dann wissen Onkel Dick und Parker nichts von der Entdeckung, die Ihr gemacht habt?«
»Nein,« sagte Key schnell. »Erinnert Euch doch, daß unsere Teilnehmerschaft an jenem Morgen ihr Ende erreichte und jeder seiner Wege ging. Wißt Ihr denn nicht,« fügte er mit einem gezwungenen Halblachen hinzu, »daß sie mich auf keinen Fall verlassen hätten, wenn wir auch nur eine Unze Blei gefunden hätten?«
»Meint Ihr nicht?« sagte Collinson ernst.
»Gewiß.« Er lachte etwas natürlicher, fügte dann aber mit einem leichten Lächeln hinzu: »Was denkt Ihr, daß sie gethan hätten?«
»Nichts,« sagte Collinson sofort.
Nichtsdestoweniger kam Collinson, als sie mit den Gläsern in der Hand vor dem Feuer saßen, auf den Gegenstand zurück.
»Ihr sagtet, daß sie ihren und Ihr Euren Weg ginget. Aber Euer Weg führte dahin zurück, von wo Ihr gekommen wart.«
Hier fühlte sich Key auf sicherem Boden, deshalb antwortete er freundlich und treuherzig: »Ja, aber ich ging nur zurück nach der Höhle, um mich zu überzeugen, ob da wirklich ein Haus stand, und wenn, die Bewohner vor dem Feuer zu warnen.«
»Und da war ein Haus!« sagte Collinson gedankenvoll.
»Nur die Trümmer.« Er hielt inne und errötete, denn ihm fiel ein, daß er beim früheren Zusammentreffen die Existenz geleugnet hatte. »Das heißt,« fuhr er schnell fort, »ich erfuhr von dem Sheriff, daß dort ein Haus gestanden hatte. Aber,« fügte er hinzu, sich in seine frühere Stellung zurückfallen lassend, »mein Zurückgehen war ein Zufall, ebenfalls ein Zufall war's, daß ich das Erz aufnahm, und hatte nichts mehr mit dem gemeinsamen Unternehmen zu thun als Ihr hattet. Thatsächlich,« fügte er mit einem versichernden Lachen hinzu, »würdet Ihr mehr Recht an meinem Claim gehabt haben, als sie, da Ihr gerade in dem Augenblick kamt. Wenn ich gewußt hätte, was die Geschichte wert ist, hätte ich Euch vielleicht eingesetzt – es gehörte nur Geld und etwas Erfahrung dazu.« Er freute sich, diese Entschuldigung gefunden zu haben, die ihm wieder durch Zufall eingefallen war, und er sah freundlich auf Collinson. Aber dieser Gentleman sagte besonnen:
»Nein, Ihr würdet es nicht gethan haben.«
»Weshalb nicht?« fragte Key halb ärgerlich.
Collinson machte eine Pause. Nach einem Augenblick sagte er: »Weil ich nichts von jenem Ort genommen haben würde.«
Key fühlte sich beruhigt. Wie er Collinsons Launen kannte, glaubte er ihm. Es war klug gewesen, Collinson nicht von Anfang an einzuweihen, denn er würde es für seine Pflicht gehalten haben, andern das Geheimnis mitzuteilen.
»Ich bin nicht so sonderbar,« erwiderte er lachend, »das Silber in der Höhle wurde nie berührt. Aber schweigen wir darüber. Es ist etwas anderes, das ich mit Euch besprechen möchte. Erinnert Ihr Euch des Pantoffels, den Ihr aufnahmet?«
»Ja.«
»Gut. Ich log damals, ich verwahrte ihn nie. Im Gegenteil, ich hatte das Pendant ganz in der Nähe gefunden, und ich wünschte zu wissen, wem er gehöre. Ich nehme nicht Anstand, Euch nun zu sagen, daß ich fest glaube, daß eine Frau in dem Hause war, und zwar dieselbe, deren Gesicht ich am Fenster sah. Ihr erinnert Euch, daß ich von meinem Gefährten ausgelacht wurde, vielleicht beachtete ich nicht, daß auch Ihr lachtet, aber ich fühle über meine Lüge Gewissensbisse, denn ich bemerkte bei Euch einiges Interesse an der Sache und habe Euch vermutlich die Fährte entzogen. Es schien, als ob Ihr 'ne Ahnung hattet, wer es sein könnte, deshalb können wir uns ja jetzt über die Sache unterhalten und Beschlüsse fassen. Ich glaube, Ihr sagtet, wenigstens zog ich den Schluß aus Euren Bemerkungen,« fügte er hastig hinzu, da dieser Schluß seine eigenen Gedanken waren, »daß der Pantoffel Euch an den Eurer Frau erinnerte. Aber wenn Eure Frau tot ist, kann dies nur eine Aehnlichkeit sein, die –« er hielt inne.
»Ja, beide.« Er nahm die Pantoffeln aus einer Tasche seiner Reitjacke.
Als Collinson sie in die Hand nahm, erhielt sein Gesicht einen ernsteren Ausdruck. »Es ist sehr merkwürdig,« sagte er nachdenklich, »aber wenn ich auf beide Pantoffeln sehe, ist die Aehnlichkeit noch größer. Meine Frau hatte einen geraden Fuß und trug nie gleichmäßig ihr Schuhzeug stets auf demselben Fuß, und Ihr seht, dies trifft auch hier zu.«
»Dies mag auch bei anderen Frauen zutreffen,« bemerkte Key.
»So muß es sein,« sagte Collinson ruhig.
Key war angenehm berührt von diesen männlichen Worten, denn nach Onkel Dicks Aussage konnte die Bewohnerin der Räuberhöhle recht gut Collinsons Frau gewesen sein. Er war erfreut, bei diesem Punkt angelangt zu sein und sagte zuversichtlicher:
»Ihr seht, diese Frau war unzweifelhaft in der Nacht vor dem Feuer in jenem Hause. Sie entfloh, und zwar in furchtbarer Eile, denn sie hatte keine Zeit, ihre Pantoffel gegen Schuhe umzutauschen; da sie zu Pferde entfloh, verlor sie sie unterwegs. Was that sie in der Gesellschaft jener Spitzbuben, denn das Gesicht, welches ich sah, war so unschuldig wie das einer Heiligen.«
»Ich habe oft gelesen, daß italienische Briganten Frauen stehlen,« sagte Collinson nachdenklich, »aber das ist bei den kalifornischen Straßenräubern nicht Sitte. Wenn die ein Weib nehmen, gehen sie mit ihm aus dem Staat. Nein, das Weib, das in der Hütte war, kam, um dort zu bleiben.
Keys Gesicht schien weder Ungeduld noch Befriedigung mit der letzten Behauptung auszudrücken, deshalb erwiderte Collinson, nachdem er seinen Gast aufmerksam betrachtet hatte: »Ich sehe, was Euch bewegt. Ihr glaubt, es wäre besser gewesen, wenn Ihr an derselben Stelle, wo Ihr die Pantoffeln fandet, das Weib selbst gefunden hättet, dann wäre es Euch möglich gewesen, sie und jene Männer von den schlechten Wegen zu entfernen.«
Mr. Key hatte nichts derartiges gedacht. Aber etwas anderes, das er hatte sagen wollen, unterdrückte er. Er stand ungeduldig auf.
» Well, da scheint keine Aussicht vorhanden zu sein, um noch etwas zu entdecken, das Haus ist abgebrannt, die Bande zerstreut, und sie ist wahrscheinlich mitgegangen.« Er hielt inne, legte dann drei oder vier Goldstücke auf den Tisch und sagte: »Dies ist für unsere alte Schuld. Wenn Ihr kommt, um mich in der Mine zu besuchen, und ich hoffe Ihr kommt bald, könnt Ihr das Pferd mitbringen. Mittlerweile dürft Ihr's benützen, es leistet bessere Dienste, als das Maultier. Wie geht's Geschäft?« fragte er mit einem schnellen Blick durch den leeren Raum und auf den staubigen Schenktisch.
»Da gehen nicht viele diesen Weg!« sagte Collinson sorglos, als er das Geld aufnahm, »ausgenommen die boys aus dem Thal, und die sind zumeist immer abgebrannt, wenn sie hierher kommen.«
Key lachte, als er bemerkte, daß Collinson ihm keine Quittung gab, umsomehr als er nur Collinsons Wort hatte, daß dieser den Wechsel von Parker zerrissen habe. Aber er sagte nichts. Nach einer Pause verfiel er wieder in seinen leichten Ton. »Ich glaube, Ihr seid hier so ziemlich von aller Welt abgeschlossen. Zuerst hatte ich den Gedanken, Euch Eure Mühle abzukaufen und hier eine Dampfmühle zur Herstellung von Bauholz einzurichten; als ich aber bemerkte, daß das Fortschaffen des Holzes Schwierigkeiten bereiten würde, nahm ich davon Abstand. Sonst hätte ich Euch ein gutes Gebot gemacht.«
»Ich gedenke meine Mühle nie zu verkaufen,« sagte Collinson einfach. Als er dann den erstaunten Blick auf seines Gefährten Gesicht bemerkte, fügte er ernst hinzu: »Wißt, ich errichtete die Mühle mit allem, als ich mein Weib aus den Staaten kommen lassen wollte, und zu seinem Gedächtnis gedenke ich sie zu behalten.«
Key zog seine Brauen in die Höhe. »Aber Ihr habt uns nie erzählt, wie es gekommen ist, daß Ihr die Mühle hier errichtetet, wo die Wasserversorgung eine so mangelhafte ist.«
»Sie war nicht mangelhaft, als ich hierher kam, Mr. Key, der Strom war stark und reißend. Nur das Erdbeben war schuld.«
»Das Erdbeben?« wiederholte Key.
»Ja. Wenn das Erdbeben den Silberfelsen, von dem Ihr an dem Abend erzähltet, als Ihr hierherkamt, und den Ihr später fandet, bloßgelegt hat, weßhalb soll es dann nicht auch einen Mühlstrom versiegen lassen, he?«
»Aber der Ausbruch, von dem ich sprach, ereignete sich vor sehr langer Zeit, als noch niemand eine Ahnung von dieser Gebirgskette hatte,« sagte Key lachend.
» Well, das Erdbeben, von dem ich spreche, war vor zehn Jahren, kurz nachdem ich gekommen war. Ich erinnere mich dessen noch ganz genau. Es war ein schöner Tag, heiß und trocken, als ob da Feuer in den Wäldern sei, kein Luftzug war zu bemerken. Die Blätter hingen senkrecht von den Bäumen herab; weder Strom noch Mühlrad bewegten sich. Auf den Zweigen am Cañon saß kein Vogel, sogar die Eidechsen auf den Felsen lagen still und sahen aus wie chinesische Götzen. Es wurde immer stiller und so drückend, daß ich hinausging. Auf allen Gegenständen schien ein feiner Schleier zu liegen, und die Sonne stand in der Mitte dieses Nebels als stände sie still. Alles schien zu warten, warten, warten. Dann erhob sich ein sonderbares Geräusch, und das ganze Thal schien von einem Wirbel durchzogen zu werden. Bäume wurden niedergeworfen, als wären sie dünne Gerten. Ihr seht jenen Pfahl an der andern Seite des Cañons. Gut! Tausend Fuß von ihm entfernt standen Bäume, über dreihundert Fuß hoch. Ihr kennt unsere Riesenbäume, Ihr habt sie gesehen und wißt, daß sie sich zu einer solchen Höhe erheben. Als ich mich umwandte und zur Mühle zurückgehen wollte, fielen sie krachend um, das Mühlrad aber stand still, und im Fluß waren keine zwei Zoll Wasser mehr!«
»Und was dachtet Ihr in dem Augenblick?« fragte Key trotz seiner Ungeduld aufmerksam.
»Ich dachte – Mr. Key – nein, ich will es Euch nicht sagen, was ich dachte, denn ich wußte es. Ich wußte, daß sich etwas mit meinem Weibe ereignet hatte!«
Key lachte nicht, aber er fühlte einen abergläubischen Schauer, als er auf ihn sah. Nach einer Pause fuhr Collinson fort:
»Einen Monat später erfuhr ich, daß sie gerade zu der Zeit in Texas am gelben Fieber gestorben war. Ihre Leute schrieben, daß sie gleich Fliegen starben und unbesehen und ohne Unterschied gemeinsam begraben wurden. Sie ging von mir, das war das Ende.«
»Sie kann aber geflohen sein!« sagte Key schnell, in seinem Aerger sich selbst vergessend.
Aber Collinson schüttelte nur seinen Kopf. »Dann würde sie hier sein,« sagte er ernst.
Key wandte sich zur Thür, streckte seine Hand aus, schüttelte die seines Gefährten herzlich, sattelte sein Pferd und entfernte sich. Eine Enttäuschung, die von einer Unzufriedenheit mit sich selbst untermischt war, war durch die Unterredung in ihm aufgestiegen. Er machte sich selbst Vorwürfe, daß er sich von seiner Romantik hatte so weit fortreißen lassen. Es war eines Präsidenten der Sylvian Silver Hollow Company durchaus unwürdig, und er war nicht ganz sicher, ob er nicht durch sein Vertrauen zu Collinson die Interessen der Gesellschaft geschädigt habe. Um seine momentane Verirrung zu büßen und seinen traurigen Einfall zu verbessern, beschloß er einige Geschäfte bei Skinner vor seiner Rückkehr abzuschließen, deßhalb bog er bei einer Nebenstraße ab, die die Landstraße durchschnitt. Aber hier begegnete ihm etwas Sonderbares. Er hörte plötzlich Hufschlag hinter sich und hatte kaum Zeit genug, sich durch einen Seitensprung vor dem Wagen, der hinter ihm kam, zu retten. Er sah flüchtig die sechs dampfenden Pferde, aber auch ebenso flüchtig ein weibliches Gesicht, das für einige Augenblicke hinter dem Glasfenster des Wagens erschien. Aber sogar durch diese Wahrnehmung glaubte er das Gesicht zu erkennen, das er am Fenster der geheimnisvollen Hütte gesehen hatte.
Er hielt einen Augenblick in dem Staub der verschwindenden Räder an. Dann, als der Wagen seinen Blicken wieder erschien, schon in ziemlicher Entfernung, setzte er ihm mit plötzlicher Entschlossenheit nach. Seine Enttäuschung, seine Selbstverurteilung, seine praktischen Vorsätze waren vergessen. Nur ein Gedanke erfüllte ihn – die Erscheinung war die Vorsehung! Er mußte folgen! Dennoch besaß er Nachdenken genug, um sich zu sagen, daß der Wagen unterwegs nicht halten würde, um noch einen neuen Passagier aufzunehmen, und daß die nächste Station drei Meilen englisch = 4827 m. unterhalb Skinner sei. Es war für ihn nicht schwer, das Ziel durch eine Abkürzung rechtzeitig zu erreichen, und obgleich der Wagen gefüllt schien, durfte er nicht zweifeln, wenigstens einen Sitz auf dem Bock zu erhalten.
Er gab seinem Pferd die Sporen und gelangte bald neben den Wagen, während er die Fremde genauer beobachtete. Sie hatte ihr Gesicht über ein Buch geneigt, aber unzweifelhaft war es dasselbe Profil, das er in jener Nacht gesehen hatte, aber dies volle Gesicht war gänzlich verschieden in Ausdruck und Erscheinung. Wieder überfiel ihn ein Gefühl der Enttäuschung, wieder sah er hin: es war gewiß ein hübsches Weib, ein hübsches rundes Kinn, eine kurze gerade Nase, schwellende Rosenlippen – aber doch war es nicht das Gesicht, von dem er geträumt hatte. Da erhob die schöne Unbekannte ihre Augenlider und sah auf den beharrlichen Reiter an ihrer Seite, und eine alte Erinnerung, vielleicht Wiedererkennen, kam in die dunklen müden Augen. Die Pupillen waren auf ihn gerichtet, und er glaubte, es sei eine Antwort auf seinen Blick, und doch war dieser Blick gänzlich unverständlich. Einen Augenblick später fand er seine Erklärung. Er war in eine neue Täuschung von Unentschlossenheit und Erstaunen gefallen, als von einem Waldweg zur Rechten ein Reiter in die Straße vor ihm einbog. Es war ein hübsch gebauter Mann auf einem Pferde, weit besser als die gewöhnlichen Klepper der Landstraße. Ohne auf Key zu achten versuchte dieser Reiter neben den Wagen zu gelangen, aber auch Key gab in plötzlicher Entschlossenheit seinem Pferde die Sporen, während die schöne Unbekannte auf den zweiten Reiter blickte und ihm unzweideutig ein Zeichen machte, ein Zeichen, das Key als eine Warnung für sich selbst betrachtete. Er war davon um so mehr überzeugt, als der Fremde, nachdem er einige Schritte voraufgeritten war, den Wagen vorbeiließ und die Gangart seines Pferdes noch mehr verlangsamte, um auch Key vorbei zu lassen. Es schien des Fremden Absicht zu sein, ihn auszuforschen, aber auch er wollte gern wissen, wer der Fremde sei, deshalb heftete er seine Blicke forschend auf dessen Gesicht. Aber der Fremde, der ein braunleinenes Uebergewand trug, das Mode und Eleganz verriet, hatte Gesicht und Kopf wie zum Schutz gegen die Sonne mit einem weißen seidenen Tuch verhüllt, befand sich also Key gegenüber im Vorteil. Dieser sah nur ein Paar strahlende Augen, dann gab der Fremde dem Pferde die Sporen und verschwand vor dem Wagen in einer Staubwolke. Key hatte mittlerweile den Richtweg erreicht. Sogar bei dem Vorsprung des Fremden war das Rennen zur Station ein ungemein spannendes.
Nichtsdestoweniger war er, als er davon sprengte, sich nicht ganz über die Natur seines Unternehmens klar. Wenn seine Annahme sich als richtig erwies, daß zwischen der Dame und dem Fremden ein Signal gewechselt worden war, war es leicht möglich, daß er nicht nur die schöne Bewohnerin der Räuberhöhle, sondern auch einen von der Bande entdeckt hatte, zum wenigsten einen Verbündeten derselben. Aber weit entfernt davon, durch geistreiche Sophistereien seine Romantik zu beseitigen, betrachtete er das Abenteuer nunmehr von der praktischen Seite im Interesse des Gesetzes und der Gerechtigkeit. Es war die Wahrheit, wenn man sagte, daß die Bande sich in letzter Zeit zerstreut habe, denn seit drei Wochen hatte man von keinem Postkutschenüberfall gehört, aber keiner der Desperados war gefangen genommen, und ihre Verbindung, die sehr beträchtlich war, bestand noch. Es war im Interesse der Mine, seiner Teilhaber und Arbeiter, daß die drohende Gefahr abgewendet werde. Der Dame gegenüber, die ihm große Enttäuschung bereitet hatte, konnte er großmütig sein. Sie war vielleicht die Geliebte des fremden Reiters und sie hatte nur durch seine Hilfe aus der verhaßten Gemeinschaft entfliehen können. Eins belustigte ihn ungemein; sie war augenscheinlich noch ziemlich unbekannt mit der Bande und hatte ihn zuerst für ein Mitglied derselben gehalten und erst die Dazwischenkunft des fremden Reiters hatte sie auf ihren Fehler aufmerksam gemacht.
Es war eine große Genugthuung für Key, daß er am Ende des Nichtweges die Staubwolke des Wagens ungefähr eine viertel Meile vor sich sah. Nun hatte er noch Zeit, denn er wußte, daß an der Station die Pferde gewechselt wurden; aber eine plötzliche Furcht überfiel ihn, daß die schöne Unbekannte absteigen oder eine andere Reisegelegenheit wählen könnte, deshalb spornte er sein Pferd. Als er sich der Station näherte, sah er sich nach dem fremden Reiter um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Er hatte wahrscheinlich den Wagen verlassen oder war voraus geritten.
Es hatte fast den Anschein, als ob das Glück ihm hold sei, denn auf der Station erfuhr er, daß im Innern des Wagens ein Platz frei geworden sei.
Dieser lag dem Platz der Dame diagonal gegenüber, so daß er ihr Gesicht nicht studieren konnte, das über das Buch geneigt war, obschon sie die Seiten kaum umwendete. Nach dem ersten gewöhnlichen Blick voll Neugierde auf den neuen Fahrgast, nahm sie von ihm weiter keine Notiz, und Key begann einzusehen, daß er ihren fragenden Blick falsch aufgefaßt hatte. Nun begann er auch ihr Gesicht aufmerksamer zu betrachten, als bei seinem ersten flüchtigen Blick. Sie war gewiß hübsch; wenn auch die Frische der Jugend fehlte, zeigten ihre Züge doch den eigenen Liebreiz einer Dame von dreißig Jahren und die schönen Linien der reiferen Weiblichkeit und Ruhe. Da waren Linien, besonders um Mund und Augen, die von einem stillen Schmerz vertieft erschienen, und das Kinn zeugte in seiner Vollheit von Entschlossenheit. Ihre Kleidung, die ebenfalls durch einen braunleinenen Ueberwurf fast ganz verdeckt wurde, schien einfach aber geschmackvoll zu sein.
Als der Wagen sich wieder in Bewegung setzte, saß ein den Farmer verratender Mann neben ihr. Er wandte sich an seine schöne Nachbarin und sagte mit einem zwar rohen, aber humoristischen Lächeln: »Entschuldigt, Miß! Weiß nicht, was und wie Ihr denkt, glaube aber nach Euren Blicken, seid hier fremd. Sage Euch, fühle mich nie sicher in dieser Gegend vor den Straßenräubern, bis wir Skinners Station passiert haben. Der ganze Wald wimmelt von ihnen. Aber hinter Skinner Ihr seid all right. Dahin kommen sie nicht. Entschuldigt mich. Miß, daß ich in Eurer Gegenwart meine Stiefel ausziehe und meine Füße einen Augenblick erleichtere.«
Weder die Unverfrorenheit dieser Bitte noch das Gelächter, das sie bei den übrigen Fahrgästen hervorrief, schien die Dame aus ihrer Abgeschiedenheit empor zu schrecken. Sie hob kaum die Augen von ihrem Buch.
» You see, Miss,« fuhr er fort, »Ihr seht, Miß, und Ihr, gents, gentlemen,« fügte er hinzu, indem er alle Fahrgäste durch seine Dreistigkeit belästigte, »ich habe über vierzig Unzen Goldstaub in meinen Stiefeln zwischen der Ober- und Untersohle, und diese Last ist für meine Füße recht schwer.« Er zog einen Stiefel aus und hielt ihn hoch. »Ich brachte den Staub dort der Sicherheit wegen unter, kalkuliere, daß diese Straßenritter, die Taschen und Körper genau untersuchen, nie an die Stiefel denken, oder auch keine Zeit haben daran zu denken.« Er sah mit einem Lächeln des Selbstbewußtseins umher.
Das Beifallsmurmeln wurde durch einen vollbärtigen Miner unterbrochen, der in der Mitte saß.
»Das ist sehr gut, soweit es geht,« sagte er lächelnd, »aber es würde nicht gehen, wenn Ihr laufen wolltet. Ich habe ein einfacheres Mittel, gents; wir sind doch alle Freunde, und die Gefahr ist vorüber, deshalb erzähle ich es euch. Das erste, was die Briganten thun, wenn sie den Führer durch ihre Feuerwaffen niedergestreckt haben, ist, daß sie die Fahrgäste mit offenen Händen herauskommen lassen. Das, Ma'm Ma'm = Madam.,« sich an die Dame wendend, die nur ein mäßiges Interesse zeigte, »ist, um sie vom Hervorziehen der Revolver abzuhalten. Ein Revolver ist das letzte, was ein Straßenräuber sich wünscht, weder in der Hand eines Mannes, noch in seinem eigenen Halfter. Deshalb sagte ich zu mir, wenn ein Sechsläufiger keinen Wert hat, wozu kann er dann gebraucht werden? Deshalb lasse ich meinen Revolver daheim wenn ich reise und fülle meinen Halfter mit Goldstaub. 's ist zwar verteufelt schwerer, als ein Revolver, aber sie fühlen die Schwere nicht, da sie ihm nicht zu nahe kommen. Schon zweimal bin ich in diesem Jahr hier angehalten worden, aber immer kam ich frei durch!«
Der Beifall, der diesen Worten folgte, stellte die Erläuterungen des Farmers nicht nur in den Schatten, sondern er schien auch einen förmlichen Wettkampf unter den Fahrgästen heraufzubeschwören. Andere Methoden zur Sicherung des Eigentums wurden freiwillig erzählt, aber die Mitteilungen gipfelten in der eines Reisenden, der bisher gleich der schönen Unbekannten der ganzen Unterredung wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Seine Kleidung und seine ganze Erscheinung verrieten einen gewöhnlichen Menschen, und seine Stimme und Art und Weise bestätigten die Annahme.
»Ich glaube nicht, Gentlemen,« sagte er mit einem angenehmen Lächeln, »daß jemand von Euch sich gern Feigling nennen hört, aber beim Fechten mit einem Feind, der nie angreift oder erscheint, wenn nicht der Vorteil auf seiner Seite ist, ist meine Meinung, daß man nicht nur sein ganzes Auftreten ihm gegenüber weise einrichten soll, sondern sogar muß. Ihr seid alle offen in der Erzählung Eurer Methoden gewesen. Ich werde ebenso mit der meinigen verfahren, wenn ich auch glaube, daß ich etwas mehr als Ihr zu erzählen habe. Denn ich habe mich nicht allein mit einer wohlbekannten Regel der Räuber bekannt gemacht, die die Kinder und Frauen gänzlich verschonen, eine Regel, an der alle kalifornischen Räuber durchaus festhalten – sondern ich habe auch diese Ritterlichkeit gegen das andere Geschlecht mir zu nutze gemacht.« Er hielt inne und verneigte sich höflich gegen die schöne Unbekannte. »Als ich den Wagen bestieg, hatte ich ein großes Packet bei mir, viel zu groß für meine Tasche, aber doch zu klein und zu wertvoll, um bei dem gewöhnlichen Gepäck zu liegen. Mein schönes Gegenüber sah meine Schwierigkeit, und ihr freundliches und unschuldiges Herz machte mir den Vorschlag, mein Packet in ihr Ränzchen zu legen, das noch nicht voll war. Mit Freuden nahm ich das Anerbieten an. Wenn ich Euch mitteile, Gentlemen, daß mein Packet wichtige Regierungspapiere von beträchtlichem Werte enthält, so thue ich es nicht deshalb, um Euer Lob für meine originelle Idee herauszufordern, sondern um das freundliche Vorgehen unserer Mitreisenden ins beste Licht zu stellen, das mich in vollste Sicherheit vor diesen Straßenräubern bringt.«
Des Erzählers Augen ruhten auf dem Gesicht der Dame, und Key sah, daß das sonst so passive Gesicht sich rötete, was dem lauten Lob des Rechtsanwaltes, denn ein solcher war der gewöhnliche Reisende, zu verdanken war. Key war schmerzlich berührt durch das, was ihm als eine peinliche Lage erschien. Er glaubte eine thätige Complicin der Straßenräuber vor sich zu haben, welche kühl die artigen und kindischen Anerkennungen der Männer in Empfang nahm, die sie zu überlisten suchte. Konnte er in gemeiner Gerechtigkeit gegen seine Mitreisenden, gegen sich selbst oder die Mission, die er zu verfolgen glaubte, von einer Entlarvung zurücktreten, oder die Männer im geheimen warnen? Aber war er auch sicher? War eine schwache Erinnerung eines Profils, das er für einen Augenblick gesehen hatte – und das nun, da er das ganze Gesicht sah, ihm weniger ähnlich zu sein schien – genügend für ein solches Eingreifen? Mehr als dies war der Schutz, den sie augenscheinlich dem Advokaten gewährt hatte, genügend, um sie als Gefährtin hinzustellen.
»Dann, wenn die Gefahr vorüber ist,« sagte die Dame und bückte sich, um ihren Ranzen hervorzuziehen, »kann ich Euch Euer Eigentum zurückgeben.«
» By no means! Auf keinen Fall! Bemüht Euch nicht! Erlaubt mir, Euer Schuldner zu bleiben, wenigstens bis zur nächsten Station,« sagte der Rechtsanwalt galant.
Die Dame warf einen müden Blick umher, dann sank sie zurück und beschäftigte sich wieder angelegentlich mit ihrem Buch. Key fühlte, wie die Nöte der Scham und des Erstaunens in seine Wangen stieg. Hier folgte er einem Weib, vor dem er nicht länger besorgt sein, und für dessen Verfolgung er nicht länger die Entschuldigung »Gerechtigkeit« anwenden durfte.
»Wenn Ihr zweimal die Straßenräuber gesehen habt,« wandte sich der Advokat an den Goldgräber, »war es denn nicht möglich, jemanden zu erkennen?«
» Nary a man! Närrische Frage! Sie sind alle maskiert und nur einer von ihnen spricht.«
»Der Führer oder der Hauptmann?«
»Nein, der Redner!«
»Der Redner?« wiederholte der Rechtsanwalt voll Erstaunen.
»Ja, ich nenne ihn so, denn er ist mächtig gewandt mit seiner Zunge, und alles, was er sagt, strömt so schön von seinen Lippen, als ob es vom Herzen käme. Wenn er glaubt, jemand verbirgt ihm etwas, so beschwatzt er ihn. Er hält einen regelrechten speech. Es ist aber nicht der Hauptmann, sondern nur eins der besseren Mitglieder. Man sagt, daß er niemanden oder Geld anrührt, auch vermutet man, daß er irgend ein verunglückter Advokat ist, hört Ihr?«
»Nicht, daß es ein Advokat ist,« entgegnete der Rechtsanwalt lächelnd. »Aber sollte es nicht möglich sein, den wirklichen Führer festzustellen?«
»Es ist die smarteste Bande, die jemals in den Sierras aufgetaucht ist. Kürzlich hielten sie den Sheriff von Sierra zum besten. Sie teilten ihm mit, daß sich ein Zufluchtsort in den Wäldern befände, wo sie zusammenträfen und ihre Beute aufbewahrten, und – by Jingo – er zog mit seiner ganzen Macht dahin, alles klar zum Gefecht, und traf nur auf eine unschuldige Horde von greenhorns greenhorns werden die Goldgräber spottweise genannt. (Der Uebersetzer.), die dort nach Silber graben, wo die Hütte der Räuber sein sollte.«
Key warf einen schnellen Blick auf die Dame, um die Wirkung dieser Worte zu beobachten. Aber ihr Gesicht – wenn dasselbe, das er im Profil im Fenster gesehen hatte – verriet weder Ueberraschung noch Bestürzung. Er ließ seine Augen auf den kleinen Stiefel gleiten, der unter dem Saum des Kleides hervorsah, um Vergleiche mit dem von ihm aufgenommenen Pantoffel anzustellen, aber auch hier scheiterten seine Versuche. Er sank in seinen Sitz zurück, Ermüdung und die Aufregungen des Tages übermannten ihn und das Zwielicht that ein übriges. Die Gespräche waren verstummt, die Dame hatte ihr Buch fortgelegt und die Augen geschlossen. Auch er schloß die Augen und verfiel in einen Traum, der ihn wieder in jene Höhle und an das Fenster führte. Wieder sah er das Profil, wieder schien das hübsche Weib das Fenster zu öffnen, ein kalter Luftzug streifte seine Augen, aber als er sie aufschlug, bemerkte er, daß die Dame das Fenster an ihrer Seite geöffnet hatte.
Es war fast 8 Uhr, vor einer Stunde konnte der Wagen die nächste Station nicht erreichen. Key schloß deshalb, wie die meisten Reisenden die Augen und verfiel in einen tieferen Schlaf.
Plötzlich hielt der Wagen an.
»Es können noch nicht die drei Pinien sein!« sagte die Stimme eines Reisenden, welchem man noch die Verschlafenheit anmerkte, »oder wir sind über fünf Meilen hinweggeflogen. Ich sehe keine Lichter, weshalb halten wir an?« Die andern Reisenden fuhren in die Höhe. Einer derselben öffnete ein in seiner Nähe befindliches Fenster, sofort wurde ihm eine doppelläufige Flinte entgegengehalten. Durch die Stille hörte man die energisch protestierende Stimme des Führers.
»Was ist das für 'ne Sache von euch Kerlen, mich hier drei Meilen von der »Drei-Pinien-Station« anzuhalten? Vierzig Menschen!«
Die Frechheit des Ueberfalls hatte den gewöhnlich verschlossenen und phlegmatischen Führer in eine heftige Aufregung versetzt.
»Eure gedankenvolle Betrachtung macht Euch alle Ehre!« sagte eine Stimme aus dem Dunkel, »und soll Eurem Meister mitgeteilt werden, wir bemerken aber gleichzeitig, daß wir nicht zögern werden, unser Geschäft zu vollenden. Zur selben Zeit werdet Ihr die Sache beschleunigen und damit Euren Reisenden Gelegenheit geben, den Thee auf der nächsten Station einnehmen zu können. Gebt 'mal den Geldkasten und den Postbeutel herunter. Seid achtsam auf die Blunderbüchse, in der letzten Zeit ging es manchmal unglücklich ab, es könnte leicht einer der Passagiere verwundet werden. Unfälle dieser Art, die die Harmonie und das ganze fröhliche Zusammentreffen zwischen uns zerstören, können nicht sorgfältig genug vermieden werden.«
» By Gosh!« rief ein draußen sitzender Passagier mit lautem Seufzen aus.
»Dank Euch, Sir!« sagte die Stimme sanft, »aber ich habe Euch übersehen, und muß Euch nun bitten, mit den andern herunter zu steigen.«
Die Stimme kam näher und bei dem Schein einer Fackel konnte man bemerken, daß sie einem starken Mann von mittlerer Größe angehörte, dessen Gesicht mit einer schwarzen Maske bedeckt war, die jedoch die untere Hälfte eines weichen bartlosen Gesichtes freiließ. Der Sprecher leitete seine Rede mit dem Gewohnheitshusten der praktischen Redner ein, und indem er sich dem Fenster näherte, begann er in demselben geschäftsmäßigen und rednerischen Stil, von dem der Goldgräber gesprochen hatte:
»Verhältnisse, die stärker sind als wir, zwingen uns, Sie zu bitten, abzusteigen, sich an einer Seite im Bogen aufzustellen und Ihre Hände aufzuhalten. Gentlemen, Sie werden diese Stellung nicht unangenehm finden im Vergleich zu der gedrängten im Wagen, während der Wechsel von seiner dumpfen Luft mit der frischen angenehmen Nachtluft der Sierra erfrischend wirkt. Auch sind wir in den Stand gesetzt, Sie von solchen sogenannten Wertsachen und Schätzen, Goldstaub und Gold zu befreien, die oft in schlechten Händen Verderben anrichten, und die, wie die höchsten Lehren der Moral einstimmig verkünden, die Wurzel alles Uebels sind. Ich vergesse nicht, Gentlemen, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Geschwindigkeit die Sache nur fördern wird, und daß vergebliche Gespräche sie unnötig in die Länge ziehen.«
Er zog sich bedächtig zurück und ließ die Mündungen der Gewehre seiner Gefährten auf die Passagiere richten. Im Vergleich mit deren Erstaunen, Bestürzung und Verwirrung schien die angewandte Frechheit und die Darstellung eines humoristischen Beigeschmacks nicht zu entbehren, und ein oder zwei Reisende lachten hysterisch, als sie bereitwillig den Wagen verließen.
Zwei Masken führten die Reisenden in die Nähe des Lichts, und der Sprecher fuhr fort:
»Es muß konstatiert werden, daß viele sehr beschäftigte Reisende, anstatt ihr Eigentum dem eingesetzten Expreß-Agenten in Verwahrung zu geben, es vorziehen, es bei sich zu behalten, ein Gebrauch, der, ohne die Sicherheit der Gegenstände zu erhöhen, eine Ungerechtigkeit gegen die Expreß-Company ist und derselben Schaden zufügt. Diese üble Angewohnheit wünschen wir zu beseitigen, wohingegen wir Gegenstände für den gewöhnlichen persönlichen Gebrauch, als da sind einfache Schmucksachen und Uhren nicht nehmen, und unser Recht auf Einziehung auf Diamanten und nutzlose goldene Uhrketten beschränken.«
Die Plünderung war beinahe vorbei, doch schien der Redner sich auf einen wirksameren Eingriff vorzubereiten. Nachdem er sich geräuspert hatte und einige Schritte auf die ungeduldigen Reisenden zugegangen war, betrachtete er sie ernst. Dann sagte er mit festem Ton, der ein Gemisch von Schmerz und Entschuldigung zeigte, langsam:
»Wir haben sonst keine weiteren Wünsche, aber wir müssen, zu unserm größten Bedauern von einigen unserer gewöhnlichsten Regeln Abstand nehmen. Wir kümmern uns sonst nicht um den Anzug, den unsere hochgeehrten Klienten tragen, aber der Akt der Menschlichkeit gebietet uns, jenen Herrn dort auf der äußersten Linken um seine Stiefel zu bitten, die ihm großen Schmerz bereiten und ihm die ungehinderte Bewegung erschweren. Auch müssen wir von der Regel Abstand nehmen, daß die Reisenden während der Untersuchung die Hände hoch halten, wir machen diese Ausnahme zu Gunsten des Herrn neben dem an der äußersten Linken und gestatten ihm, uns den allzu schweren Halfter zu übergeben, der ihm auf die Hüften drückt. Gentlemen!« sagte der Redner mit erhobener Stimme und einer beschwichtigenden Gebärde, »Sie brauchen nicht zu erschrecken. Die unschuldige Bewegung unseres Freundes wird nicht gemacht, um den Revolver zu ziehen – denn es ist keiner drin!« Er hielt inne, während seine Gefährten schnell die Stiefel des Farmers und den Halfter des Goldgräbers in Empfang nahmen, und sich dann dem Wagen näherten, in welchem nur die Dame verblieben war, die gerade und starr in ihrer Ecke saß.
»Und nun,« sagte er in scheinbarer Unschlüssigkeit, »kommen wir zu der letzten und für uns peinlichsten Abweichung von unseren Gesetzen. Zu jenen leider seltenen Zeiten, da wir mit der Gegenwart des schönen Geschlechts beehrt werden, ist es für uns feststehende Regel, Damen nicht nur im unbeschränkten Besitz ihrer Kostbarkeiten, sondern auch ihres Privateigentums zu belassen. Mit tiefem Schmerz muß ich mitteilen, daß wir heute zu einer Ausnahme gezwungen sind. Denn im gegenwärtigen Fall hat die Dame in der Großmut ihres Herzens und der Unerfahrenheit ihres Geschlechts sich nicht nur mit dem Gewicht, sondern auch mit der Verantwortlichkeit für das Gepäck eines Reisenden belastet. Wir fühlen und wir glauben, Gentlemen, daß die meisten von Ihnen mit uns darin übereinstimmen, daß eine solche Ueberschreitung der Immunität einer Dame nicht gestattet werden darf. In Ihrem eigenen Interesse, madam, sind wir verpflichtet, Sie um Ihren Ranzen zu bitten, der unter Ihrem Sitz liegt. Er wird Ihnen wieder zugestellt werden, wenn wir ihn untersucht haben.«
»Einen Augenblick!« sagte der Advokat niedergeschlagen, »hier ist ein Mann, welchen Ihr verschont habt, ein Mann, der zuletzt zu uns kam. Ist jener Mann,« sich zu dem erstaunten Key wendend, »einer von Euren Verbündeten?«
»Jener Mann,« sagte der Sprecher lachend, »ist der Besitzer der Sylvian Hollow Mine. Wir haben ihn verschont, weil wir ihm einige Genugthuung schuldig sind für die Störung in jener Nacht, als der Sheriff uns suchte.« Er schwieg, und fügte nach einer Pause in gänzlich veränderter Stimme und vollständig anderer Weise rauh hinzu: »Nun hinein alle, schnell! Und Ihr – Sir,« zu Mr. Key, »ich rate Euch, wegzureiten. Und nun, Führer, fahrt drauf los, was das Zeug halten will, wenn Ihr das Signal hört, oder – bei Gott – Ihr werdet sehen, was folgt.« Er trat zurück und schien in der nächsten Minute in der Dunkelheit aufgeflogen zu sein, aber in dem Licht der Fackeln sah man die Gewehrläufe, die wieder auf den Kutscher gerichtet waren.
Einen Augenblick hörte man aus dem Innern des Wagens ein Stimmengewirr, aber der Ruf: »Ruhe!« aus der Dunkelheit machte alle verstummen.
Bange Minuten folgten, alle waren atemlos. Dann klang ein deutlicher Pfiff aus einiger Entfernung an das Ohr der Reisenden, das Licht erlosch plötzlich, die Gewehrläufe verschwanden. Der Kutscher ließ die Peitsche auf den Rücken der Pferde niederfallen, und der Wagen flog vorwärts. Der Stoß warf Key fast hinab, aber im nächsten Augenblick war es noch schwerer, sich zu halten, da die Eile geradezu rasend wurde. Wieder und wieder fiel die Peitsche auf die ermatteten Tiere nieder. Aus dem Innern kamen energische Protestrufe und Angstschreie, aber der Kutscher achtete nicht darauf. Ein Fenster wurde heruntergelassen und die Stimme des Rechtsanwaltes rief: »Weshalb das? Wir werden nicht verfolgt! Ihr gefährdet unser Leben durch diese wahnsinnige Schnelligkeit.« Der Kutscher antwortete nur: »Will nicht einer diesen verd – Narren erdrosseln?« und jagte unbekümmert weiter. Die Bäume an der Seite tauchten auf und verschwanden, ohne Zügel schossen die Pferde dahin und der Wagen folgte mit lawinenartiger Schnelligkeit. Bald war die Drei-Pinien-Station erreicht. Hier brach der Kutscher in ein solch gellendes Geschrei aus, als wolle er die Schnelligkeit der Tiere übertreffen. Lichter erschienen, und vom äußersten Ende der Ansiedlung kamen Leute, die mit verwunderten Gesichtern auf den Kutscher, den Wagen und die Fahrgäste blickten.
»Wir sind auf offener Straße aufgehalten worden,« sagte der Führer, »keine drei Meilen von dem Ort entfernt, an welchem ihr gähnend sitzt. Vorwärts, ehe sie ganz in den Büschen verschwinden.« Nach diesen Worten, die er sich zu sagen verpflichtet fühlte, und mit welchen er alle Verantwortlichkeit seinen feigen Mitangestellten überließ, verfiel er wieder in seinen gewöhnlichen Stumpfsinn, und fuhr ruhiger an die Station heran, wo er seine zerschlagenen Passagiere absetzte. Key konnte bemerken, daß weder des letzten »Redners« Vorschlag zur Wiedererlangung der geraubten Gegenstände, noch die Bestärkung seiner eigenen Ehrenhaftigkeit die Reisenden beruhigte. Ihn belästigte die Sache, aber gleichfalls war er ein wenig gekränkt, daß die schöne Unbekannte so wenig Teilnahme zeigte, und seine erste Höflichkeit machte einer kühlen Gleichgültigkeit Platz. Alle vorher gefaßten Meinungen und Gedanken lebten bei ihm wieder auf. Hatte der Redner der Räuber durch die Entdeckung der Sachen nur seinen Scharfsinn bewiesen? Oder waren ihm die Geheimnisse der Fahrgäste verraten worden? War es möglich, daß sie während sie im Wagen saß, sich mit den Räubern in Verbindung gesetzt hatte? Plötzlich fiel ihm ein, daß sie das Fenster geöffnet hatte. Da konnte sie leicht ein Zeichen gegeben haben. War dies der Fall, so war sie nur eine Gehilfin der Räuber, und zu ihrer eigenen Sicherheit mußte sie den Verdacht auf jemand anders zu lenken suchen.
Sein sterbendes Interesse belebte sich aufs neue, und wenn es vor einigen Augenblicken in seiner Absicht gelegen hatte, nach der Station zurückzukehren, so beschloß er nun, der Dame bis ans Ende zu folgen. Einen Moment dachte er daran, Wiedervergeltung zu üben und den Verdacht auf sie zu lenken, er verwarf aber diesen Gedanken.
Als der Wagen wieder abfuhr, nahm er einen Deckplatz und blieb hier, bis man Jamestown erreicht hatte. Hier stieg eine Anzahl der zerschundenen Gefährten ab, um auf ein Zusammentreffen mit ihren Freunden zu warten. Die ihm widerfahrene Schonung, die seine Reisegefährten aufgebracht hatte, gestattete ihm, ohne eine volle Börse weiter zu reisen. Er war zufrieden, vom Deckplatz aus dann und wann einen bescheidenen Blick auf die Dame werfen zu können.
Bei der Ankunft in Stockton wurde diese Beobachtung schwieriger. Hier war der Ort, wo sich die Wege trennten, man konnte mit der Eisenbahn oder dem Dampfboot weiter reisen. Wenn er glücklich genug war zu erfahren, welchen Weg die Dame einschlug, würde doch seine Gegenwart hervorgetreten sein und ihren Verdacht erregt haben. Aber wieder trat ein Umstand ein, den er als Vorsehung bezeichnete, der ihn unterstützte. Als das Gepäck heruntergebracht wurde, hörte er, wie der Agent zum Gepäckträger sagte, das Luggage der Dame nach San Louis zu expedieren. Es gab zwei Wege nach San Louis, der eine benützte die Straße, der andere Eisenbahn und Dampfschiff über San Francisco. Wenn sie diesen Weg benützte, war für Key weniger Gefahr, entdeckt zu werden, wählte sie aber den Landweg, so erreichte er auf dem andern Wege San Louis eine Stunde früher. Er beschloß deshalb, den Weg mit dem Dampfboot zu wählen. Eine genaue Beobachtung vom Fenster des Warteraums aus sagte ihm, daß sie die Reise mit der Postkutsche vorgezogen hatte. Es lag freilich die Gefahr vor, daß sie ihm auf diesem Wege entfliehen könnte. Aber eine reifliche Ueberlegung, die ihn beeinflußte – nach seiner gewöhnlichen, romantischen, abergläubischen Mode – veranlaßte ihn zu diesem Schritt. Er war augenblicklich bewegt, als er hörte, daß San Louis die Bestimmung der Dame sein würde, denn es war seiner Meinung nach der unangemessenste und unverträglichste Zufluchtsort, den sie wählen konnte. Er bot keine günstige Gelegenheit zum »Verschärfen« der Beute oder für die Verbindung mit der Bande. Es war weniger eine sichere als eine bevölkerte Stadt. Er kannte sie sehr gut, es war die Amme seiner Romantik gewesen, denn hier hatte er die ruhigsten Jahre seiner Jugend verlebt, und die breiten Doppelstraßen von alten Bäumen, welche die Alameda mit dem Kloster Santa Luisa verbanden, waren seine besten Jugenderinnerungen. Es belustigte ihn, daß die Ironie des Schicksals ihn in seiner reiferen Männlichkeit in einer solchen närrischen Angelegenheit an diesen Ort zurückbrachte, von der er mehr angegriffen wurde, als er selbst glaubte.
Er war in größter Sorge über den Ausgang seines Abenteuers, daß er sofort nach seiner Ankunft von einem Balkon des Hotels San José auf die Ankunft der Postkutsche wartete. Sein Herz schlug schneller, als er den Wagen erblickte. Sie war da! Als sie ausstieg, bemerkte er an ihrer Seite den geheimnisvollen Reiter von der Landstraße. Key konnte sich nicht irren, denn wenn auch die Kleidung eine andere war, die wohlgebaute Gestalt war dieselbe. In das Erstaunen dieser Entdeckung mischte sich eine Befriedigung über seinen Entschluß, nicht auch den Wagen benutzt zu haben. Seine Gegenwart würde ohne Zweifel den Fremden gewarnt haben. Es war möglich, daß ihr Gefährte durch Extrapost ihr gefolgt und mit ihr in Stockton zusammengetroffen war. Aber zu welchem Zweck? Der Koffer der Dame konnte doch unmöglich Beute enthalten haben, die in dieser vergessenen Stadt untergebracht werden sollte.
Das Fremdenbuch des Hotels wies nur den einfachen Namen Mrs. Barker aus Stockton auf, gab aber keine Auskunft über ihren Gefährten, der ebenso geheimnisvoll verschwunden zu sein schien, wie er gekommen war. Er wußte nur, daß sie ein Zimmer in demselben Stockwerk wie er erhalten hatte, und daß sie sehr wahrscheinlich während des Restes des Tages bleiben würde. Niemand sonst schien sie zu kennen. Key fühlte beinahe das Bedürfnis, die Dienerschaft nach der geheimnisvollen Fremden auszufragen, verwarf aber diesen Plan wieder. Als er einmal bei ihrer Thür vorbeiging, hörte er solch unschuldiges und herzliches Lachen, das so im Gegensatz zum Ernst der Situation und seinen eigenen Gedanken zu stehen schien, daß es ihn befremdete. Aber er wurde noch mehr gestört durch ein späteres Ereignis. Da er seine Nachbarin scharf überwachen wollte, mußte er auch auf seine eigene Sicherheit sehr bedacht sein, deshalb hatte er nicht nur nicht seinen Namen eingetragen, sondern auch den Wirt, den er kannte, um Bewahrung seines Geheimnisses gebeten. Aber am Morgen nach seiner Ankunft, als der Hausknecht auf sein Läuten nicht sofort erschien, vergaß er sich soweit, an das Treppenhaus zu gehen, das in der Nähe des Zimmers der Dame lag, und rief über die Brüstung nach dem Diener. Als er noch über das Geländer lehnte, hörte er das Knarren einer Thür, er fühlte sich beobachtet, und dies veranlaßte ihn, sich langsam umzuwenden. Aber in diesem Augenblick wurde die Thür geschlossen und er hörte nur noch das Rauschen eines Kleides. Nun erst kam ihm seine thörichte Handlungsweise zum Bewußtsein – aber es war zu spät. Hatte der geheimnisvolle Flüchtling ihn erkannt? Vielleicht nicht, denn ihre Augen hatten sich nicht begegnet und sein Gesicht war abgewendet gewesen.
Er veränderte seine Spionage durch allerlei List, deren Anwendung ihm durch seine Kenntnis der alten Stadt leicht gemacht wurde. Er bewachte den Ausgang des Hotels, selbst ungesehen von dem Fenster eines gegenüberliegenden Billardsaales, wo er früher verkehrt hatte. Doch war er erstaunt, als er an demselben Nachmittage, während er in seinem sicheren Versteck wartete, sie das Hotel wieder betreten sah, da er doch sicher glaubte, sie erst vor wenigen Augenblicken verlassen zu haben. Hatte sie einen andern Ausgang benützt, oder war sie verkleidet gewesen? Aber als er am Abend in sein Zimmer eintrat, war er durch einen Vorfall verwirrt, der ihn von der Identität der Dame zu überzeugen schien, obgleich der Schluß etwas kühn war. Auf seinem Bette lagen einige Blätter einer wohlriechenden Blume, die nur in den Sierras bekannt war. Sie waren mit einem schmalen blauen Band zusammengebunden und waren augenscheinlich hingelegt, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Als er sie in seine Hand nahm, fiel ihm der eigenartige Duft auf, der in der Höhle am Hügel seine Aufmerksamkeit erregt hatte, und es kam wie Erleuchtung über ihn. Er läutete dem Zimmermädchen, es wußte von nichts, auch nicht von jemandem, der das Zimmer betreten hatte. Er ging in den Saal; Mrs. Barkers Thür stand offen – das Zimmer war leer. Die Bewohnerin, sagte das Mädchen, sei am Nachmittage fortgezogen. Nun hielt er den Beweis ihrer Identität in der Hand, sie selbst war verschwunden. Daß sie ihn erkannt hatte, unterlag keinem Zweifel; hatte sie die wirkliche Absicht seiner Verfolgung erkannt und glaubte sich nun vor ihm sicher, oder hatte sie seine Anwesenheit nur als eine sentimentale Galanterie gegen sie aufgefaßt? Auf jeden Fall war er der Dupierte. Er wußte nicht, ob er gekränkt oder ärgerlich sein sollte.
Nichtsdestoweniger verbrachte er den Rest des Zwielichts mit fruchtlosem Wandern durch eine der langen Straßen der Stadt, bis er in die Nähe der Alameda und der sie mit Santa Luisa verbindenden Allee kam. Nach und nach war seine Enttäuschung und sein Aerger vergessen durch die Gedanken an die daselbst verlebten schönen Tage. Der Mond war langsam aufgegangen und goß sein Silberlicht auf den Fahrweg zwischen den herrlichen alten Bäumen. Das leise Klingeln der Glocke eines Pferdebahnwagens rief ihn aus seinen Träumen in die Wirklichkeit zurück. Der Wagen kam näher, überholte ihn und fuhr vorbei, beim Schein der hellerleuchteten Fenster sah er das Profil derjenigen, die er für immer verloren glaubte.
Er hielt einen Augenblick an, nicht um seine Zeit einzuteilen, sondern um einen grimmen Entschluß zu fassen, daß sie ihm nicht entfliehen könne. Der Wagen fuhr langsam, nun war es leicht, ihn einzuholen. Er beschleunigte seine Schritte – eine Dame stieg aus, sie war es! Sie ging in eine Querstraße, die von den Schatten einer vorstädtischen Häuserreihe verdunkelt wurde, und er folgte hastig. Er war entschlossen, ihr Geheimnis zu entdecken, und sie sogar, wenn es nötig sein sollte, zu diesem Zweck anzureden. Er war sich vollständig klar über das, was er zu thun im Begriff war, er hatte alle Folgen wohl erwogen; er kannte die Kühnheit des Unterfangens, aber er fühlte in der Tasche an seiner linken Seite den Zweig, der eine Entschuldigung für ihn bildete; er kannte die Gefahr, der Vertrauten von Straßenräubern zu folgen, aber er unternahm es. Er näherte sich dem Kloster und dem ältesten und zerfallensten Teile der Stadt. Als die Straße rauh und uneben wurde und die düsteren Umrisse der sich beugenden Dächer sich über den lauernden Schatten der zerstörten Thorwege emporstreckten, war er auf das Schlimmste gefaßt. Als die zerfallene, aber noch massive Mauer in Sicht kam, wandte sich die Figur, der er folgte, in den Schatten derselben. Er beschleunigte seine Schritte, damit sie ihm nicht wieder entfliehe. Da blieb sie stehen und verharrte bewegungslos. Auch er stand still. In demselben Moment war sie verschwunden.
Er rannte schnell vorwärts zu der Stelle, wo sie gestanden hatte und befand sich vor einem großen eisernen Thor mit einem kleineren in der Mitte, das sich just in seinen rostigen Angeln bewegt hatte. Er rieb seine Augen – der Platz, das Thor, die Mauer, alle waren ihm sehr bekannt. Dann ging er zum Straßeneingang zurück. Er hatte sich nicht geirrt: er stand vor der Wohnung des Pförtners am Kloster zum »heiligen Herzen«.
Der Tag, der dem Postkutschenraub folgte, fand Collinson wie gewöhnlich in seiner Abgeschiedenheit. Keine Kunde von den Ereignissen des gestrigen Abends war zu ihm gedrungen. In gewohnter Weise verging ihm der Tag. Gegen Abend erhob sich der Wind – zuerst ein leises Murmeln auf der Hügelseite, dann stärker und immer stärker, gefolgt von dem eigentümlichen Geräusch, das vor wenigen Wochen Onkel Dick und seine Gefährten vor die Thür getrieben hatte. Aber ihn störte dies nicht, er fiel in tiefen Schlaf.
Ungefähr um Mitternacht erwachte er durch ein neues heftiges Geräusch, das die Straße herunter zu kommen schien. Nie zuvor hatte er etwas ähnliches gehört, aber er glaubte, es sei dieselbe Erscheinung, die er schon so oft bemerkt hatte, deshalb wandte er sich um, weiter zu schlafen. Aber die Thür wurde eingeschlagen, und vor ihm stand eine Gestalt, die eine geladene Flinte an seinen Kopf hielt.
Er sprang seitwärts, um sein Gewehr zu ergreifen, das am Herd stand. Aber die Flinte wurde von einem zweiten Mann nach oben geschlagen, und der einzige Schuß ging unschädlich in das Dach. Seine Arme wurden ihm auf den Rücken gelegt, und durch den Rauch sah er, daß der Raum von maskierten und bewaffneten Menschen angefüllt war. Im nächsten Augenblick waren ihm Handfesseln angelegt und er in den leeren Armstuhl geworfen. Auf ein Signal verließen drei Männer das Zimmer, und er konnte hören, wie sie die andern Räumlichkeiten durchsuchten. Zwei von den Männern, die neben ihm gestanden hatten, gingen mit einer gewissen Disziplin auf einen Mann zu, der soeben zur Thür eingetreten war. Er ging an die Schenke, füllte ein Glas mit Whisky und trank es langsam aus; stellte sich dann Collinson gegenüber und lehnte seine Schultern gegen den Schornstein, während seine Hand sich leicht auf seine Hüfte stützte. Wäre Collinson ein Beobachter gewesen, so hätte er bemerkt, daß die beiden Männer ihre Augen hoben und ihre Füße ungeduldig bewegten. Hätte er an dem Postkutschenüberfall passiven Anteil genommen, so würde er in dem einen Mann mit dem weichen Gesicht sofort den »Redner« wieder erkannt haben. Aber so starrte er auf ihn nur mit seiner unerschöpflichen Geduld.
»Wir bedauern außerordentlich, einem Gentleman gegenüber in seinem eigenen Hause Gewalt angewendet zu haben,« begann der Redner sanft, »aber wir halten es für unsere Pflicht, damit sich der unglückliche Vorfall nicht wieder ereignen kann, der bei unserm Eintritt stattfand. Wir wünschen, daß Ihr einige Fragen beantwortet, und sind sehr dankbar, wenn Ihr die Güte habt, welches vor einigen Augenblicken noch nicht der Fall zu sein schien.« Er hielt an, hustete und lehnte sich gegen den Schornstein zurück. »Wie viele Personen wohnen hier noch bei Euch?«
»Keine!« sagte Collinson.
Der Frager sah auf die andern Männer, die soeben wieder eingetreten waren. Sie nickten zustimmend. »Gut,« sagte er, »Ihr spracht die Wahrheit. Eine gute Angewohnheit, erleichtert die Arbeit. Ist hier irgend ein Raum mit einer Thür, die schließt? Eure Hausthür thut's nicht.«
»Nein!«
»Kein Keller oder sonst etwas?«
»Nein!«
»Das bedauern wir; es entspricht durchaus nicht unseren Wünschen, Euch gebunden zu lassen, wie Ihr augenblicklich seid. Die Sache ist einfach die: Umstände sehr dringender Art veranlassen uns, von diesem Hause auf einige Tage, vielleicht für längere Zeit Besitz zu ergreifen. Wir respektieren die heiligen Gesetze der Gastfreundschaft zu sehr, um Euch einfach an die frische Luft zu setzen. Wir müssen Euch deshalb als Gefangenen behandeln, aber wir machen Euch einen Vorschlag. Es ist dieser: wir zahlen Euch 500 Dollars für das Besitztum, so wie es hier steht, vorausgesetzt, daß Ihr es verlaßt und morgen früh einen Gepäckzug durch Thompsons Paß begleitet. Ihr verpflichtet Euch, den Staat auf drei Monate zu verlassen und diese Sache geheim zu halten. Drei von diesen Männern werden mit Euch gehen. Sie werden Euch an Eure Pflicht erinnern, ihre Gewehre werden jede Abweichung von derselben verhindern. Was sagt Ihr dazu?«
»Wer spricht eigentlich mit mir?« sagte Collinson mit matter Stimme.
»Ihr erinnert uns,« sagte der Redner anklagend, »daß wir noch nicht das Vergnügen haben, einander zu kennen.«
»Mein Name ist Seth Collinson.
Totenstille herrschte im Zimmer, jedes Auge war auf die beiden Männer gerichtet. Des Redners Lächeln erstarrte.
»Woher?« fragte er sanft.
»Missouri!«
»Das ist ein sehr guter Platz, um dorthin zurückzukehren durch – Thompsons Paß. Aber Ihr habt unsern Vorschlag noch nicht beantwortet!«
»Ich beabsichtige mein Haus weder zu verkaufen, noch es zu verlassen,« sagte Collinson einfach.
»Ihr wollt uns doch nicht das Glück bedauern lassen, daß Euch vorhin kein Unfall betroffen hat, Mr. Collinson,« sagte der Redner lächelnd. »Darf ich fragen, weshalb Ihr nicht verkaufen wollt?«
»Das Haus gehört mir nicht,« sagte Collinson. »Ich baute es für mein Weib, das ich in Missouri ließ. Es ist ihr's. Ich behalte es und lebe darin, bis es kommt! Wenn ich Euch sage, daß meine Frau tot ist, werdet Ihr ermessen können, welche Aussichten Ihr auf seinen Besitz habt!«
Eine plötzliche Stille trat ein, so tief, daß man das Stöhnen des Windes deutlich hören konnte. Ein wohlgebauter Mann mit einer Maske, die kaum seinen starken Schnurrbart verdeckte, der bisher in halb höhnischer Geduld hinter dem Redner gestanden hatte, machte plötzlich einen Schritt vorwärts, als ob er zwischen Frager und Befragten treten wollte. Eine Stimme aus der Ecke rief »Bei –«
»Ruhe!« sagte der Redner scharf. Dann wandte er sich noch heftiger an die andern. »Nehmt ihn, bringt ihn hinaus und stellt eine Wache neben ihn. Und dann alle hinaus!«
Der Gefangene wurde hinausgebracht, im nächsten Augenblick war das Zimmer leer. Nur der Redner und der Mann, der vorwärts gegangen war, blieben zurück. Gleichzeitig nahmen sie die Masken vom Gesicht und standen einander gegenüber. Des Redners Gesicht war weich, die vollen, sinnlichen Lippen umspielte Humor; der Mann, der ihm gegenüber stand, schien physisch und moralisch sein Vorgesetzter zu sein. Er warf einen raschen Blick umher, um sich zu versichern, daß sie allein seien, dann zog er seine Augbrauen hoch, als er an den Schornstein zurückging und sagte:
»Verd–, wenn ich dies liebe, Chivers! Es ist Eure Angelegenheit, aber eine ziemlich schmutzige für einen Mann.«
»Ihr hättet es leichter gehabt, wenn Ihr nicht Brycés Flinte in die Höhe geschlagen hättet. Das würde die Sache beendet haben, obschon ich nicht vermutete, daß der Hund ihr Mann ist,« sagte Chivers hitzig.
»Wenn Ihr wünschtet, daß die Sache diesen Verlauf nimmt, ist es noch Zeit!« entgegnete der andere mit einem leichten Hohngelächter. »Ihr braucht ihm nur zu sagen, daß Ihr der Mann seid, der mit seiner Frau durchging, dann werdet Ihr seine Meinung kennen lernen. In der That,« fügte er mit tieferem Hohngelächter hinzu, »das ist's, glaube ich, was unsere Burschen erwarten.«
»Danke Euch, Mr. Jack Riggs,« sagte Chivers sarkastisch. »Ich glaube, es ist noch andern Leuten angenehm so kurz vor der Verteilung der Beute, wenn ich durch einen Büchsenschuß niedergestreckt würde. Aber ich betrachte es nicht in diesem Sinne, weder als Mann, noch als Euer Teilhaber. Ich glaube nicht, daß Ihr mich ganz versteht, mein teurer Jack. Wenn Ihr den Mann nicht schätzt, der in ganz Kalifornien als der Führer dieser Bande gilt, den Mann, dessen Stil und Rede sie volkstümlich gemacht hat – ja, volkstümlich, bei Gott, für jeden, Mann, Frau und Kind, die je von ihm hörten; von dessen Thaten und Reden die Zeitungen reden, zu dem Leute meilenweit laufen, um ihn zu sehen – wenn Ihr den Nutzen eines solchen Mannes nicht seht, ich sehe ihn. Ueber unsern letzten Raub finden sich im »Sacramento Union« 1½ Spalten, ich werde der ›Claude Duval‹ der Sierras genannt; von meiner Höflichkeit gegen Damen wird gesprochen! Eine Dame! sein Weib! Bei Jingo – unsere Verbündete. Mein teurer Jack, Ihr scheint nicht nur keine Ahnung vom Geschäft zu haben, sondern auch von Humor nichts wissen zu wollen.«
Ueber allem cynischen Leichtsinn war eine unverkennbare, sogar klägliche Eitelkeit in seiner Stimme und eine Selbstzufriedenheit, die seine breiten Wangen überzog und seinen vollen Mund verzog, aber das Stirnrunzeln auf Riggs Gesicht vertiefte.
»Ihr wißt, das Weib haßt es und würde damit herausplatzen,« sagte Riggs eifrig. »Bedenkt, was sie thun würde, wenn sie wüßte, daß ihr Mann hier ist. Ich sage Euch, sie hält unser Leben in ihrer Hand.«
»Das ist Euer Fehler, Mr. Jack Riggs, Ihr brachtet Eure Schwester mit ihrer klösterlichen Unschuld und Einfachheit in unsere Hütte in der Höhle. Sie war vorher freundlich genug. Aber dies ist reiner Unsinn. Ich habe keine Furcht vor ihr. Die Frau lebt nicht, die nicht zu Godfrey Chivers zurückkehren würde. Außerdem ging sie nur, um Eure Schwester im Kloster zu sehen. Denkt an ihre Reise mit dem verd – Advokaten, den ganzen Weg bis Stockton und seine Staatspapiere, der die ganze Zeit neben ihr saß, mit ihr plauderte und ihr den Brief gab, den sie für ihn auf die Post bringen sollte! Wir haben Zeit genug, ihren Mann an die Seite zu bringen, ehe sie zurückkommt. Wenn er nicht freiwillig geht – gut –«
»Nichts davon, Chivers, Ihr versteht, einer für alle!« unterbrach Riggs bestimmt. »Wenn Ihr nicht einseht, daß Eure Art, den Mann jener Frau beiseite zu schaffen, uns unsern guten Namen nehmen würde, von dem Ihr soviel Aufhebens macht, und jeden Menschen gegen uns aufbringen müßte, ich sehe es ein; ich gestatte es deshalb nicht. Es ist schon ein schlechtes Geschäft, daß wir auf diese Weise hier eingedrungen sind, und wenn es nicht der einzige sichere Ort wäre, an dem wir unsere Beute ungestört teilen können, ich würde sofort von hier gehen.«
»Dann laßt sie im Kloster bleiben,« sagte Chivers rauh. »Sie wird sich freuen, mit Eurer Schwester zusammen sein zu können, und dort kommt sie mit niemandem in Berührung.«
»Aber ich wünsche dem Verhältnis ein Ende zu machen!« entgegnete Riggs scharf. »Ich liebe es nicht, daß meine Schwester länger unter dem Einfluß unserer Verbündeten oder Eurer Herrin steht. Nichts mehr davon – habt Ihr mich verstanden?«
Die beiden Männer standen Seite an Seite am Schornstein. Nun warf Chivers einen Blick auf das Gesicht seines Gefährten und ein tückisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
»Ich glaube Euch zu verstehen, Mr. Jack Riggs oder – bitte um Entschuldigung – Rivers oder wie Euer wirklicher Name sein mag,« begann er langsam. »Lady Collinson, die Herrin von Judge Godfrey Chivers, früher in Kentucky, war gut genug zu Eurer Gesellschaft, als Ihr eines Tages in unser kleines Haus in der Höhle kamt. Wir lebten dort ein stilles, friedliches Leben, war's nicht so? verborgen vor dem kritischen Auge der menschlichen Gesellschaft und vor Collinson; wir gehorchten nur der Stimme der Natur und den kleinen Vögeln. Es war eine glückliche Zeit,« fuhr er mit erregter Stimme fort, ohne sich um die ungeduldige Miene seines Gefährten zu bekümmern. »Ihr wart damals jung, wagtet den Kampf gegen die Gesellschaft, und frisch – ungewöhnlich frisch will ich sagen – von Eurer ersten Heldenthat. Es war eine sehr dumme, plumpe Heldenthat, Mr. Riggs, wenn Ihr mir meine Freiheit verzeiht. Ihr wünschtet Geld und wart in schlechter Laune. Ihr hattet beides im Spiel verloren, deshalb beraubtet Ihr die Postkutsche, und tötetet zwei Menschen, um Eure lumpigen tausend Dollars wieder zu erhalten. Ihr erschrecktet eine vollbesetzte Postkutsche und ließet doch den Geldkasten von Wells, Fargo und Co. mit 5000 Dollars entschlüpfen. Es war ein dummer, ein grausamer Akt, Mr. Riggs, und ich glaube, ich habe es Euch auch damals gesagt. Die That machte Euch nicht zum Helden, sondern zum Verbannten. Ich glaube, ich hielt Euch dies vor und zeigte Euch auch gleichzeitig, wie Ihr es hättet machen müssen.«
»Hört auf damit!« unterbrach Riggs ungeduldig, »Ihr botet mir an, mein Teilhaber zu werden, und Ihr wurdet es auch.«
»Bitte um Entschuldigung! Beachtet, mein stürmischer Freund, meine Ansicht ist, daß Ihr, ja Ihr, unser ungestörtes Eden in der Höhle zerstörtet, daß Ihr unsere Schlange wart, und daß diese Lady Collinson, über die Ihr Euch so erregt, die Ihr als meine Herrin kanntet, unsere Verbündete werden mußte. Ihr fragtet sie nicht, als Ihr die Bande begründetet, ihr Haus wurde unser Zufluchtsort. Ihr benutztet ihren Verstand und ihr Benehmen, um unsere Beute zu verschärfen. Ihr benutztet sie ebenso wie mich – Euren unterthänigen Diener –, als Euer eigenes Gesicht dem Sheriff bekannt und Eure Methode als brutal und gemein verschrieen wurde. Entschuldigt, aber ich mußte auf diese Umstände zurückkommen, und daß Ihr auf mich und Lady Collinson genau so herabgesehen habt, wie auf ihren Mann.«
»Genug!« sagte Riggs ärgerlich, »das Weib ist Teilnehmerin der Bande und erhält ihren Anteil, oder Ihr erhaltet ihn für sie,« fügte er höhnisch hinzu – »aber dies giebt ihr kein Recht, sich in meine Familienangelegenheiten zu mischen.«
»Entschuldigt wieder!« unterbrach Chivers sanft, »Euer Gedächtnis, mein teurer Riggs, ist vollständig defekt. Wir wußten, daß Ihr eine junge Schwester in den Bergen hattet, von der Ihr Eure gesellschaftliche Stellung wiedererlangen wolltet. Wir ehrten, und ich werde es immer thun, Eure edle Abstammung. Aber erinnert Euch der Nacht, als wir Eure Schwester auf die Schule zu Santa Clara brachten, es war zwei Tage vor dem Feuer – als wir auf der Landstraße entdeckt wurden und um unser Leben fliehen mußten, und sie zu uns brachten – Euren beiden alten Freunden – Mr. und Mrs. Barker aus Chicago – die ein stilles Haus im Walde hatten. Ihr erinnert Euch, daß wir sie aufnahmen, freundlich aufnahmen und Euer Geheimnis bewahrten. Erinnert Euch auch dieses Weibes, meiner Herrin, unserer Verbündeten, welche während des Feuers, als wir fort waren, Eure Schwester auf unserem einzigen Pferd vor dem Feuer rettete, die Postkutsche abwartete und sie ins Kloster brachte.«
Riggs ging ans Fenster, wandte sich um, kam zurück und streckte seine Hand aus. »Ja, sie that es, und ich dankte ihr, wie ich Euch danke.« Er hielt inne, während der andere seine Hand nahm. »Aber bedenkt, Chivers, Alice ist ein junges Mädchen, und diese Frau – Ihr wißt was ich sagen will. Jemand könnte sie entdecken, dies wäre schlimm für Alice, so schlimm, als wenn man erfahren würde, wer Alicens Bruder war. Gott! Wenn diese beiden Dinge zusammen kommen würden, wäre das Mädchen für immer ruiniert.«
»Jack!« sagte Chivers plötzlich: »Ihr wünscht dies Weib aus dem Wege. Gut – sie hat uns beinahe getrennt; ich will offen zu Euch sein wie ein Mann gegen den andern. Ich will sie aufgeben. Es giebt genug Weiber auf der Welt. Wir sind Gefährten und wollen es bleiben.« – »Dann wollt Ihr ihr entsagen?« fragte Riggs langsam und heftete seine Augen auf seinen Gefährten. – »Ja. Sie ist mir übrigens in letzter Zeit recht albern geworden. Es wird ein schweres Stück Arbeit werden, denn sie weiß zu viel, aber es wird gehen. Hier ist meine Hand.«
Riggs nahm nicht nur keine Notiz von der angebotenen Hand, sondern der frühere Blick der Unzufriedenheit erschien wieder, diesmal deutlich untermischt mit Zeichen des Abscheus und Ekels. »Wir wollen diesen Gegenstand verlassen,« sagte er kurz, »wir haben uns nun lange genug darüber unterhalten. Unsere Leute warten auf uns.« Er wandte sich nach dem Innern des Zimmers. Chivers blieb am Schornstein stehen, wandte sich dann zur Schenke und goß sich noch ein Glas Whiskey ein, das er langsam austrank.
Die Leute, mit Ausnahme der Wachen und des Mannes, der bei Collinson geblieben war, saßen inmitten eines Haufens Satteldecken und Manteltaschen und verteilten die bei ihrem letzten Raubzuge gemachte Beute. Die meisten ihrer Anteile bestanden in Päckchen Goldstaub, und es schien ein heftiger Streit ausgebrochen zu sein, wie sie ihre Anteile in den nächsten Gebirgsstädtchen am besten unterbringen könnten. Der Plan lief darauf hinaus, die Beute durch einen Maultiertransport in das Thal zurückzubringen und dann sie mit einem Auswandererzug in die südlichen Staaten zu schaffen. Nur ein Kasten mit barem Geld hatte sich zwischen den Beutestücken befunden, der Inhalt desselben war sofort unter die Mitglieder verteilt worden. Wechsel, Rechnungen und Wertpapiere wurden »Charles«, einem Agenten eines obskuren Maklers in Sakramento, übergeben, der die Rolle eines »Schutzengels« der Bande spielte. Es war Chivers' Pflicht, das delikate Geschäft zu beaufsichtigen, wie es gleichfalls seine Pflicht war, alle Briefe und Dokumente zu öffnen. Er hatte dies immer mit sarkastischen und humoristischen Bemerkungen über den Inhalt gethan. Der rauhe, schlechtgeschriebene Brief des Goldgräbers an sein Weib, der einen Wechsel enthielt, oder die sentimentalen Ergüsse eines Auswanderers an seine Geliebte hatten immer in der Hand dieses eleganten Humoristen Aufmerksamkeit erregt. Aber heute wurde die Beschäftigung mit geschäftsmäßiger Einfachheit und Stille erledigt. Die beiden Führer saßen einander gegenüber, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, während die Bande glaubte, ihre Meister beschäftigten sich mit dem Plan eines neuen Unternehmens. Als die Verteilung und Prüfung vorüber war und man die wertvolleren Stücke beiseite geschafft hatte, wurden die vernichteten Briefe ins Feuer geworfen. Hell flammten sie auf und veranlaßten einen heftigen Ausruf.
»Das ist eine närrische Handlungsweise!« sagte French Pete über seinen Karten.
»Weshalb?« fragte Chivers scharf.
»Weshalb? Weil man die Papierfunken irgendwo sehen und damit einen Weg zu uns angeben kann.«
»Wir sind vier Meilen von irgend einer Landstraße entfernt,« erwiderte Chivers empfindlich, »und derjenige, der den Schein sehen und den Rauch riechen würde, wäre schon auf dem Wege hierher.«
»Das erinnert mich daran, daß der Bursche, den Ihr fesseln ließet, daß Collinson Euch zu sprechen wünscht,« fuhr French Pete fort.
» Mich zu sehen?« wiederholte Chivers, »Ihr meint den Anführer!«
»Nein, er meint Euch!« entgegnete French Pete, »er sagte, den Mann, der mit ihm sprach.«
Die Männer sahen sich in einem Vorgefühl kommender Ereignisse lächelnd an und legten ihre Karten beiseite. Chivers ging zur Thür, zwei oder drei machten Miene ihm zu folgen, aber Riggs hielt sie auf. »Setzt euch!« sagte er rauh, und rief dann Chivers, der bei ihm vorbeiging, leise zu: »Erinnert Euch!«
Chivers trat hinaus. Collinson war unter das überhängende Dach gebracht worden, mehr zur Bequemlichkeit seines Wächters, als zu seiner eigenen. Den Mann mit einer Gebärde entlassend, trat Chivers vor seinen Gefangenen.
»Wir bedauern tief, dear sir, daß Eure unglückselige Antwort uns des Vergnügens Eurer Gesellschaft beraubt hat und Euch Eure Freiheit kostete, aber wir dürfen nun wohl die Hoffnung hegen, daß Eure Meinung sich zu unsern Gunsten geändert hat.«
»Ich danke,« sagte Collinson und hob seine Augen zu seinem Besieger auf, der einen Schein von Bewunderung bemerkte, »es kommt weniger auf dies an, was Ihr sagt, sondern wie Ihr es sagt. Deshalb habe ich bei mir selbst gedacht: »Collinson, es giebt kein anderes Haus zwischen Bald Top und Skinner, wo die armen Burschen einen Bissen essen oder einen Schluck trinken können, und du wirst ihnen dies nie mehr anbieten. Es ist deine Pflicht, so lange du dies Haus besitzest, so für Wanderer zu sorgen! Ich habe nicht Eure sanfte Sprache mir gegenüber vergessen, als Ihr vorhin kamt. Ich sandte zu Euch, um Euch zu sagen, daß Ihr und Eure Leute dies Haus und alles, das in ihm ist, solange bewohnen mögt, als Ihr wollt. Ich habe Euch gesagt, weshalb ich das Haus nicht verkaufen kann, und weshalb ich es nicht verlassen will. Aber Ihr könnt es benützen, und wenn Ihr hier seid, und wenn Ihr geht, Collinson wird es niemandem verraten. Ich weiß nicht, was Ihr meint mit Eurem ›binden, nichts zu verraten‹, wenn Collinson etwas sagt, so hält er es, und wenn er jemandem sein Wort giebt, oder jemand giebt ihm das seinige, so bedarf es wahrlich keines Fetzen Papiers.«
Ein Zweifel an die Wahrheit dieser Worte war unmöglich. In dem ernsten Gesicht seines Gefangenen las Chivers, daß er diesem Manne vollständig vertrauen konnte, mehr, als jedem von den Männern, die das Haus augenblicklich in Besitz hatten. Aber diese Gewißheit, bei aller Sicherheit für ihn, erfüllte ihn nicht mit Gewissensbissen, sondern mit einem Gefühl von einer unerklärlichen Macht, die er bisher nicht gekannt hatte. Er bedauerte den Mann nicht, der ihm vertraute, er fühlte auch keine Scham, von ihm etwas zu empfangen, er fühlte ihm gegenüber sogar etwas wie intellektuelle Ueberlegenheit, aber doch fühlte er sich geschlagen, beleidigt und erschreckt. Zuerst, wie alle Schurken, hatte er den Mann nach sich selbst beurteilt, er war auf Widerstand gefaßt, aber das ernste Vertrauen in Collinsons Augen machte ihn hilflos. Er war gebeugt durch einen unbekannten Faktor. Das Rechte, das ringen und kämpfen muß, reizt oft den Gegner, aber das Recht, das gewährt, läßt den Sieger unbefriedigt. Chivers hätte in seinem Aerger Collinson töten können, aber ein unbestimmtes Etwas sagte ihm, daß er diesen Weg nicht einschlagen dürfe. Das war's, weshalb der abgefeimte Schurke seine schlaffen Wangen erröten und seine geschmeidige Zunge vor seinem Gefangenen straucheln fühlte.
Aber Collinson, der viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, nahm von allem keine Notiz, und Chivers fand seinen alten Witz, wenn auch nicht seine alte Künstlichkeit wieder.
» All right,« sagte er mit einem schnellen Blick auf die Thür hinter ihm, »nun, da Ihr besser über den Vorschlag denkt, will ich ganz offen zu Euch sein, und Euch sagen, daß ich Euer Freund bin. Ihr versteht – Euer Freund. Sprecht nicht zu viel zu diesen Menschen, gebt Euch ihnen nicht hin; sprecht nicht von Eurer Frau und von diesem Haus, sondern sagt, daß Ihr die Sache mit mir geordnet habt, mit mir, hört Ihr, und ich werde Euch helfen.« Der Gedanke, daß er den offenen Collinson für seine eigenen Zwecke benützen könne, stimmte ihn heiter, aber diese Freude wurde durch Collinsons nächste Worte bedeutend erhöht.
»Wenn ich nicht gefesselt wäre, würde ich Euch dafür die Hand schütteln. Ihr seid der freundliche Mann, Mr. Chivers, für den ich Euch vom ersten Augenblick an gehalten habe. Wenn dies Haus nicht das ihrige wäre, würde ich auf Euren Vorschlag eingehen, oder bei Euch bleiben, denn Eure Art und die meinige scheinen zu einander zu passen. Wir brauchen für unsere Abmachung kein Papier, keinen Händedruck. Eure Geheimnisse und die Geheimnisse Eurer Leute sind die meinigen, und nie werde ich dieselben verraten.«
Eine plötzliche Eingebung zwang Chivers, die Stricke, mit welchen Collinson gefesselt war, zu durchschneiden. Als der befreite Mann sich zu seiner ganzen Größe ausgestreckt hatte, hielt er Chivers seine starke rechte Hand entgegen, die dieser nahm.
Ob da irgend eine geheimnisvolle Macht in dem ernsten Gesicht des ehrlichen Wirtes lag, oder ob sonst etwas Chivers beeinflußte, genug, er hatte plötzlich den Gedanken, daß er sich seiner Herrin Lady Collinson am leichtesten dadurch entledigen könne, indem er sie in die Arme und das Haus ihres Gatten zurückführe, und durch diese Idee fühlte der Schurke etwas wie Tugend sich in seine Brust senken.
Das Erstaunen Preble Keys, als er bemerkte, daß die geheimnisvolle Dame im Thorweg verschwunden war, war zuerst so groß, daß er glaubte, seine erregte Phantasie habe ihm einen Streich gespielt. Daß die Verbündete einer Räuberbande ein Versteck im Kloster mit solcher Vertraulichkeit aufsuchen könnte, die Familiarität verriet, war schier undenkbar. Wieder und wieder sah er die lange Mauer hinab, die im tiefen Schatten dalag. Aber sie zeigte keine Stellen, wo sich jemand verbergen konnte, und der Thorweg war der einzige. Die gegenüberliegende Seite der Straße, die im hellen Mondlicht dalag, war leer. Nein! Sie mußte hier eingetreten sein.
Aber die Jagd war zum mindesten nicht aussichtslos. Er hatte zum wenigsten eine Spur von ihr, die sich nicht verwischen ließ. Es war kein Hotel, kein Gasthaus, welches sie jeden Augenblick unbeobachtet verlassen konnte. Obgleich er ihr nicht folgen und in ihren Zufluchtsort nicht eindringen durfte, konnte er doch später – dank seiner alten Verbindung mit den Patres der Schule – unter irgend einem Vorsatz zu der Aebtissin gelangen. Für diese Nacht war sie sicher. Er ging mit einem Gefühl der Erleichterung fort. Er erinnerte sich früherer Abenteuer und bei dem Gedanken an dieselben lächelte der fünfunddreißigjährige, frühzeitig ergraute, vom Glück übergangene Mann.
Am nächsten Morgen war er frühzeitig im Gymnasium San José. Pater Cypriano, ein wenig mehr mit Tabak besudelt und gealtert, erinnerte sich mit Freude seines alten Schülers. »Ah, es war also wahr, daß er Präsident einer Mine geworden war, und darum war sein Haar wohl so grau. So, er hatte einige Verwandte aus den Staaten zu sich genommen und wollte uns eine Nichte ins Kloster bringen. Das war gut und weise. Jawohl, wenn man Bildung in dem neuen Lande haben wollte, mußte man sich nur an die Kirche wenden. Er hatte nicht das Kloster und die jungen Señoritas vergessen. Es war ein Glück für die junge Dame, daß Vater Cypriano noch nicht ins Grab getragen war.« So meditierte der ehrwürdige Vater, und als er nun eine neue Prise nahm, wußte Key, daß er ihn am Mittag nach dem Kloster begleiten würde.
Die Aebtissin war heute ungemein freundlich.
O ja, es sei eine Eigentümlichkeit der amerikanischen Caballeros – die kein Haus und keine Zeit hätten sich um jemanden zu bekümmern – ihre Schwestern, Mündel und Nichten hierher zu bringen und – mit einem taubenähnlichen Seitenblick auf Key – auch die jungen Señoritas, die sie zu ihren christlichen Bräuten zu machen wünschten. Den Caballeros unähnlich gäbe es viele Geschäftsleute, die keine Zeit hätten, sich persönlich von den Vorzügen des Konvents zu überzeugen, die aber dem guten Ruf des Klosters und seiner Freunde trauten und die jungen Damen in Begleitung einer vertrauten Gesellschafterin nach dort senden. Dies sei auch der Fall mit Señor Rivers, – ob Don Preble ihn kenne – einem großen Geldmann in den Sierras, dessen süße junge Schwester, ein naives, lebhaftes Geschöpf, der Stolz des Konventes sei. Es wäre auch besser so. Die junge Dame sollte hier ein Heim finden. Die Bestimmungen für die Besucher seien sehr streng. Es sei selten – ausgenommen einen Fall aus letzter Nacht, – daß sogar einer Dame die Gastfreundschaft im Gebäude zugestanden werde. Und diese Dame sei die Freundin der Schwester jenes Kapitalisten, aber sie habe damals das junge Mädchen hierher gebracht. Nein, sie sei nicht eine Verwandte. Vielleicht habe Don Preble von einem Mr. Barker gehört – dem Freund Rivers' aus der Sierra. Es war eine seltsame Verbindung von Namen Anspielung auf die Namen: Rivers = Flüsse, to bark = bellen; Sierra = Gebirge. (Anm. d. Uebers.). Aber was er wolle? Die Namen der Amerikaner sagen garnichts. Und Don Preble kenne sie nicht. Ah! Möglich? – Gut. Der Dame würde er sich erinnern, groß, dunkel und von feinem Aeußeren, aber traurig. Wenige Stunden früher, und er hätte die Dame sehen können, als sie durch des Besuchers Zimmer ging. Sie war gegangen, um mit der Postkutsche abzureisen. Sie habe ein Telegramm erhalten – in der Regel öffne sie, die Aebtissin, alle Briefe, um sie in eine christliche Sprache zu übersetzen – dies hätte sie abberufen, sonst hätte sie Don Preble selbst mitteilen können, was für ein guter Aufenthalt das Kloster für junge Damen sei.
Key konnte mit Mühe seine Ruhe wieder gewinnen. »Der Caballero ist müde von der langen Erklärung,« sagte die Aebtissin zuvorkommend. »Wir wollen im Wartezimmer ein Glas Wein trinken.«
Sie ging mit Key zum Zimmer hinaus, hielt aber an, als sie nähernde Fußtritte hörte. »Die zweite Klasse geht aus,« sagte sie, als eine hübsche Prozession von weißen Kleidern, geführt von zwei Nonnen, auf dem Wege zum Thor stand. »Wir wollen warten, bis die vorüber sind, aber der Señor kann sehen, daß meine Kinder nicht unglücklich aussehen.«
Sie sahen gewiß sehr hübsch aus, obgleich sie mit jener Ungeduld warteten, die man bemerken kann, wenn sich jemand von einer Autorität beobachtet weiß, und sich eng aneinander geschmiegt hatten. Um etwas zu sagen, bemerkte Key: »Ich bin besorgt, daß ich Ihnen zu viel Mühe mache,« verstummte dann aber plötzlich.
Denn als seine Stimme die ernste Stille unterbrach, wandte eine der nächsten – ein junges Mädchen von vielleicht 17 Jahren – sich nach ihm um, ging auf ihn zu und wich ebenso plötzlich wieder zurück. Das Gesicht zog Key an, nicht wegen seiner Schönheit und seiner Frische, sondern wegen einer unbestimmten Erinnerung. Immer wieder zwang es ihn, dies schöne Gesicht mit den dunklen Augen und dem unschuldigen Ausdruck anzusehen. Endlich war er zum Schlusse gekommen. Dies war das Gesicht, das er in der Höhle gesehen hatte.
Die Bewegung des jungen Mädchens war zu lebhaft gewesen, um von der Aebtissin übersehen zu werden, deshalb sagte sie: »Ihr müßt nicht glauben, Don Preble, daß alle unsere jungen Mädchen diesem gleich sind; unser teures Kind hat nur noch einige Freiheiten des Gebirges beibehalten. Dies ist Señor Rivers' Schwester. Aber wer weiß, vielleicht hat sie in Euch einen Gefährten ihres Bruders erkannt.«
Glücklicherweise trafen diese Worte Key nicht unvorbereitet, sonst hätten sie ihn in Verlegenheit gesetzt. Nun aber sagte er kühl und gleichgültig:
»Ich bedaure sehr, ich habe bisher noch nicht das Vergnügen gehabt, diese junge Dame zu sehen.« Er hatte kaum auf die Worte der Aebtissin geachtet, ihn beschäftigte immer wieder die Vision jener Nacht und das Gesicht, das er soeben vor sich gesehen hatte. Bei allem, was er wußte oder zu wissen glaubte, wollte er zart genug sein, keine weiteren Fragen zu stellen, er fürchtete sie bloßzustellen, und eine Ungeduld mit seiner gegenwärtigen Lage ergriff ihn; sogar seine ganze Verfolgung erschien ihm als eine Profanierung, für die er ihre Verzeihung erbitten mußte. Sobald er konnte, entfernte er sich. Er dankte der freundlichen Aebtissin, versprach ihr, sich später mit ihr in Verbindung zu setzen, und fand sich bald darauf auf der Straße.
Wer war sie? Was war sie? Was bedeutete ihr ganzes Benehmen? Die letzte Frage erregte ihn am meisten, nun, da er fühlte, daß er sie vom ersten Augenblick an geliebt hatte. Hatte sie ihn früher gesehen und war ebenso geheimnisvoll berührt worden, als er? Er hatte die andere Frau als ihre Gefährtin in der Höhle in jener Nacht erkannt, aber es war ihr Profil, das er gesehen hatte. Der geheimnisvolle Bruder Rivers konnte einer von den Räubern sein, vielleicht derjenige, der Mrs. Barker nach San José begleitete. Aber es war klar, daß das junge Mädchen mit der Bande keine Gemeinschaft hatte. Mit der Allwissenheit eines treuen Liebhabers wußte er, daß ihr die Bande unbekannt war. In ihren Augen war keine Spur von Verbrechen, sie würden längst das Geheimnis verraten haben. Würde es aber nicht weiser und männlicher sein für ihn – einen Mann doppelt so alt als sie – sie mit ihrem Geheimnis allein zu lassen und so aus ihrem jungen Leben zu scheiden, so aussichtsvoll er auch in dasselbe eingetreten war? Aber waren seine Aussichten gute?
Endlich erreichte er sein Hotel, unzufrieden mit sich, doch vollkommen glücklich. Der Clerk gab ihm im Vorbeigehen einen geschäftsmäßig aussehenden Brief. Ohne ihn zu öffnen ging er auf sein Zimmer, und warf sich in einen Stuhl am Fenster und versuchte zu denken. Aber die Atmosphäre erinnerte ihn an die sonderbare Gabe, die er am Tage vorher auf seinem Bett gefunden hatte. Nun fühlte er, daß sie von ihr sein mußte. Aber wie war sie hierher gekommen? Vielleicht hatte sie Mrs. Barker besucht! Er rief sich die Thatsachen ins Gedächtnis zurück, daß er Mrs. Barker nach jenem Zwischenfall mit der offenen Thür allein in das Hotel hatte eintreten sehen, während er über das Geländer geneigt war. Sie war damals allein gewesen und hatte seine Stimme erkannt, er hatte es nur nicht gewußt. In plötzlicher Erregung nahm er den Brief und öffnete ihn. Er enthielt nur die drei Zeilen:
»Ich hörte Ihre Stimme heute zum drittenmal. Ich wünsche sie wieder zu hören. Ich werde mit der Dämmerung kommen. Gehen Sie nicht vorher aus.«
Er saß betäubt. War es Tollheit, Frechheit oder ein Trick? Er läutete dem Kellner. Der Brief war durch einen Knaben aus dem Konfektionsgeschäft an der Ecke gebracht worden. Er erinnerte sich des Ladens aus alter Zeit, die jungen Damen aus dem Kloster kauften dort. Nichts war leichter, als einen Brief in dieser Weise zu befördern.
War er der lächerliche Gefährte eines Schulmädchens oder das Opfer eines infamen Komplotts einer Räuberbande? Er konnte beides nicht glauben, doch konnte er ebensowenig einen Rückschlag in den Gefühlen für sie verhindern, was ihm noch einen Augenblick vorher unmöglich erschienen war.
Was aber auch immer ihr Zweck war, er mußte ihr Kommen abwarten. Ihr Besuch war entweder der Gipfel ihrer Narrheit oder der Erfolg eines Komplotts. Eben weil er sich vollkommen der Wirkung der Gefahr von ihr bewußt, gerade, weil er auf ihre unerwartete Kühnheit erbittert war, war er ungewöhnlich erregt darüber, daß sie seiner Hilfe bedürfe.
Sie durfte nicht kommen.
Aber wie sollte er dies verhindern? Es fehlte noch eine Stunde an der Dämmerung. Ins Kloster durfte er zu dieser ungewöhnlichen Zeit nicht gehen, wie konnte er sich sonst mit ihr in Verbindung setzen? Er konnte sie auf dem Wege zu treffen suchen und sie zur Rückkehr veranlassen, aber vom Eintritt ins Hotel mußte er sie abhalten.
Er setzte seinen Hut auf und ging hinunter. Aber hier fiel ihm eine andere Schwierigkeit ein. Es war leicht, die gewöhnliche Straße zu wählen, aber würde sie dasselbe thun? Konnte sie nicht die Prozession heute morgen verlassen und bis zum Eintritt der Dunkelheit gewartet haben? Er beschloß, die Stunde in der Nähe des Hotels spazieren zu gehen und sie vom Eintritt abzuhalten. Er schleuderte vor den Fenstern auf und ab, beobachtete aber unausgesetzt die Straße.
Die Schatten wurden schon länger, als er eine schlanke geschmeidige Gestalt im Konfektionsgeschäft erscheinen sah. In seiner übergroßen Vorsicht hatte er diese Stelle für ein Zusammentreffen ganz und gar vergessen. Er eilte näher und trat ein, aber sie war nicht dort. Im Erfrischungssalon saß eine Dame, die wohl die zuletzt eingetretene sein mochte, aber die Gesuchte war nicht zu finden. Er eilte wieder auf die Straße, er hatte einen kostbaren Augenblick verloren, die Sonne war untergegangen. Ein Blick auf seine Uhr überzeugte ihn, daß das Angelus schon geläutet war und die Schatten die Alameda bedeckten. Sie war nicht gekommen.
Vielleicht hatte sie sich besonnen, vielleicht war das Ganze nur ein Streich übermütiger Mädchen gewesen, die nun hinter einem Fenster über den Gefoppten lachten. In demselben Maße, als er die Gewißheit erlangte, daß sie nicht gekommen war, verfinsterten sich seine Gedanken, und als er endlich das Hotel wieder betrat, war er in der denkbar schlechtesten Stimmung.
Der Hausknecht lief ihm eilig nach.
»Schwester Serafine vom ›Heiligen Herzen‹ war hier, um Sie in einer Sache von höchster Wichtigkeit zu sprechen,« sagte er und sah dabei Key merkwürdig an. »Sie wollte nicht im allgemeinen Zimmer warten, da sie sagte, ihr Auftrag sei geheim, deshalb führte ich sie in Ihr Privatzimmer.«
Key fühlte, wie das Blut aus seinen Wangen entwich. Das Geheimnis war trotz aller Vorsicht verraten. Die Aebtissin hatte entweder die Flucht des Mädchens bemerkt oder ihre Absicht erraten. Eine der Schwestern war hier, um ihn davon zu unterrichten und einem offenen Skandal zuvorzukommen. Schnell eilte er hinauf in der Absicht, alles für des Mädchens Sicherheit zu thun, und sich selbst anzuklagen.
Sie stand im Zimmer am Fenster. Das Licht fiel auf das einfache Sergekleid mit seiner weißen Einfassung, auf das große Kruzifix, das bis auf die Kniee herunterhing und auf die weißgeflügelte Haube. Sein Haupt neigte sich in knabenhafter Verehrung, als sie einen kurzen Segensspruch murmelte und die Thür schloß, die er hatte offen stehen lassen.
Dann mit einer schnellen Bewegung, so, daß er ihr kaum folgen konnte, hatte sie Haube, Schleier, Rosenkranz und Kruzifix abgeworfen – das junge Mädchen aus dem Kloster stand vor ihm.
Key fand sie hübscher als am Morgen, dennoch sagte er schnell:
»Das ist thöricht! Sie hätten verfolgt und in diesem Kostüm entdeckt werden können!« Trotzdem nahm er die beiden kleinen Hände und drückte sie fest und mit größerer Vertraulichkeit, als er noch einen Augenblick vorher gedacht hatte.
»Aber ich wurde doch nicht!« sagte sie einfach. »Ich wohne mit Schwester Serafine in demselben Zimmer, sie schläft immer schon zwei Stunden nach dem Angelus, deshalb bin ich, ohne daß jemand mich kennt, in ihren Kleidern ausgegangen. Ich sehe, was es ist,« sagte sie plötzlich mit einem schnellen Blick auf ihn, »Sie mögen mich in diesem Kleid nicht leiden, aber es war der einzige Weg, um fort zu kommen.«
»Sie mißverstehen mich,« sagte er ärgerlich. »Ich liebe es nicht, daß Sie sich in diese Gefahr begeben für –« Er wollte sagen »mich«, fügte aber in plötzlichem Entschluß hinzu »für nichts«. »Hätte ich nur ahnen können, daß Sie mich zu sehen wünschten, so hätte ich schon einen andern Weg gefunden. Jeder Augenblick, den Sie noch länger hier bleiben, ist schlimm, jede Minute, die Sie vom Kloster abwesend sind, kann Ihnen Gefahr bringen. Daran haben Sie nicht gedacht.«
»Gewiß dachte ich daran,« sagte sie ruhig. »Ich dachte daran, dann aber auch wieder glaubte ich, daß Sie mich, falls Schwester Serafine meine Flucht entdeckte, mit sich nehmen würden in jene kleine Höhle am Hügel, wo ich zuerst Ihre Stimme hörte. Erinnern Sie sich daran? Das war das erstemal. Das zweitemal hörte ich Sie, hier in der Halle. Ich war allein in dem andern Zimmer, denn Mrs. Barker war ausgegangen. Ich wußte nicht, daß Sie hier seien, aber ich erkannte Ihre Stimme. Das drittemal war vor dem Klosterthor, und da wußte ich, daß Sie mich erkannt hatten. Von diesem Augenblick an dachte ich an nichts anderes, als zu Ihnen zu kommen, denn ich wußte, daß Sie mich zurückbringen würden zu meinem Bruder, wenn jemand mich entdecken sollte. Vielleicht hätten Sie auch meinem Bruder Nachricht gegeben, wo wir seien, und dann –« Sie hielt plötzlich inne und sah in Keys erhitztes Gesicht. Auch ihr Antlitz wurde rot, die Freude wich aus ihren Augen, und sie zog ihre Hände aus den seinen.
»Hören Sie zu,« sagte Key geduldig. »Ich denke nur an Sie. Ich will Sie vor Beschämung bewahren. Noch ist es Zeit. Ich will sofort mit Ihnen zum Kloster zurückkehren. Sie sollen mir alles, und ich will Ihnen auf dem Wege alles erzählen.«
Sie hatte ihr Kostüm schon in Ordnung gebracht und band nun den Schleier vors Gesicht. Mit der Vervollständigung ihres Anzuges schien sie auch die Fröhlichkeit der Jugend abgelegt zu haben, denn sie ging ernst zur Thür. Schweigend gingen sie die Treppe hinab. Diejenigen, die sie sahen, machten mit einer ehrerbietigen Verbeugung Platz.
Als sie auf der Straße waren, sagte sie sanft:
»Geben Sie mir nicht Ihren Arm – Schwestern thun das nicht.« An der Straßenecke sagte sie: »Dies ist der kürzeste Weg!«
Nun war es Key, der zurückhaltend und ungeschickt war. Das Feuer und die Leidenschaft, die er noch einen Augenblick vorher gefühlt hatte, waren verschwunden. Er sagte endlich gedrückt: »Wie lange wohnten Sie in der Höhle?«
»Nur zwei Tage. Mein Bruder brachte mich hierher zur Schule, aber in der Postkutsche war jemand, mit dem er Streit gehabt hatte und infolgedessen nicht zusammentreffen wollte. So stiegen wir bei Skinner aus und kamen in die Höhle, wo die alten Freunde Mr. und Mrs. Barker wohnten.« In ihrer Stimme war keinerlei Aufregung zu bemerken.
»Und Ihr Bruder? Lebten Sie bei ihm?«
»Nein. Ich ging in Marysville zur Schule, bis er mich fortnahm. Ich sah während der letzten zwei Jahre wenig von ihm, da er Geschäfte im Gebirge hatte, wohin er mich nicht mitnehmen konnte. Ich glaube, er hatte etwas mit dem Vieh zu thun, denn er hatte oft ein anderes Pferd. Ich war immer allein, denn ich habe keine anderen Verwandten, auch keine Freunde. Ich sah niemanden, den ich gern hatte, ausgenommen Sie, und bis gestern hörte ich Sie auch nur.«
Ihre vollständige Naivetät erfüllte ihn mit Schmerz und Zweifel. In seiner Tölpelhaftigkeit wurde er roh.
»Ja, aber Sie müssen hier doch andere Männer getroffen haben, wenn Sie mit Ihren Mitschülerinnen ausgingen oder vielleicht auf ein Abenteuer wie dies!«
Ihr weißes Häubchen wandte sich ihm schnell zu. »Ich wünschte nie jemand anders zu kennen. Ich wünschte nie jemand anders zu sehen. Nie wäre ich diesen Weg gegangen, wenn nicht für Sie!« fügte sie schnell hinzu. Nach einer Pause sagte Key mit angenommener Heiterkeit: »Aber waren Sie auch sicher, meine Stimme zu kennen? Es waren in jener Nacht noch zwei andere Männer mit mir in der Höhle.«
»Ich weiß auch das. Aber ich wußte sogar, was Sie sagten. Sie warnten den andern, ein brennendes Streichholz in das trockene Gras zu werfen. Sie dachten an uns. Ich weiß es.«
»An uns?« sagte Key schnell.
»An Mrs. Barker und mich. Wir waren allein im Hause, denn mein Bruder und ihr Mann waren beide ausgegangen. Was Sie sagten, schien mich zu warnen, und ich sagte es ihr. Deshalb waren wir vorbereitet, als das Feuer näher kam, wir entflohen beide auf demselben Pferd.«
»Und Sie verloren auf Ihrer Flucht Ihre Pantoffeln,« sagte Key lachend, »ich nahm sie auf, als ich am anderen Tag kam, um nach Ihnen zu sehen. Ich habe sie noch.«
»Das waren ihre Schuhe,« sagte das Mädchen. »Ich konnte die meinigen in der Eile nicht finden, ihre waren zu groß, deshalb verlor ich sie.« Sie schwieg und sagte dann mit der alten Freundlichkeit: »Dann kamen Sie zurück?«
»Ich würde geblieben sein, aber wir bekamen keine Antwort, als wir riefen. Weshalb nicht?«
»O, uns war verboten, mit Fremden zu sprechen, oder jemanden zu sehen, weil wir allein waren,« sagte das Mädchen einfach.
»Aber warum?« warf Key ein.
»Weil da so viele Pferderäuber in den Wäldern sind. Sie hatten schon mehrfach die Postkutsche überfallen. Auch noch einen oder zwei Tage vorher, ehe Mrs. Barker hier ankam.«
Key unterdrückte mit Mühe einen Fluch. Einige Augenblicke gingen sie schweigend weiter, er wagte kaum seine Augen zu ihr aufzuschlagen.
»Ich muß Ihnen ein Bekenntnis ablegen. Miß Rivers,« begann er endlich mit der angstvollen Eile eines gescholtenen Knaben, »das ist –« er stotterte mit einem halben Lachen, »das heißt – ein Bekenntnis, als ob Sie eine Schwester oder ein Priester wären – eine Art Vertrauen zu Ihnen, zu Ihrer Kleidung. Ich habe Sie gesehen, oder glaubte Sie vor mir zu haben. Dies brachte mich hierher, dies ließ mich Mrs. Barker folgen, bis an die Thür des Klosters. In jener Nacht sah ich in der Höhle am Fenster ein Profil, welches wie ich glaube das Ihrige war.«
»Ich war nie am Fenster,« sagte das junge Mädchen rasch, »es muß Mrs. Barker gewesen sein.«
»Nun weiß ich es, aber ich glaubte. Sie wären es gewesen,« entgegnete Key, »und es war meine Absicht, Sie zu suchen.«
»Ich weiß nicht, wie es kommt, daß Sie an jemanden denken, den Sie nie sahen,« entgegnete sie mit einem leichten Zittern in ihrer Stimme. »Aber,« fügte sie hinzu, »die meisten Profile sehen gleich aus.«
»Es war das nicht,« protestierte Key, noch unentschlossen, »es war, als ob ich etwas bemerkte, vielleicht nur ein Traum.«
Sie erwiderte nichts, und beide setzten ihren Weg still fort. Die graue Klostermauer ward schon sichtbar. Key fühlte, daß er nichts erreicht habe, er war dem jungen Mädchen keinen Schritt näher gekommen, und seine Zukunft lag ebenso düster vor ihm wie sonst. Hatte er überhaupt weise gehandelt? Aber er wurde in seinen Betrachtungen unterbrochen.
»Dann war es Mrs. Barkers Profil, das Sie hierherbrachte?« sagte sie. »Sie wissen, daß sie zurückfuhr. Ich vermute, daß Sie ihr folgen werden.«
»Sie verstehen mich nicht!« sagte Key enttäuscht. »Aber,« fügte er leiser hinzu, »ich werde solange hier bleiben, wie Sie bleiben.«
Er ging etwas näher an ihre Seite.
»Dann dürfen Sie nicht mehr so nahe neben mir gehen,« sagte sie, sich leicht abwendend, »es kann vom Thor aus gesehen werden. Dann dürfen Sie auch nicht bis an jene Ecke mit mir gehen. Wenn ich schon vermißt wurde, werden Sie entdeckt.«
»Aber wie soll ich wissen?« sagte er, indem er versuchte ihre Hand zu ergreifen. »Lassen Sie mich bis zum Thor mitgehen. Ich kann Sie nicht in dieser Ungewißheit verlassen.«
»Sie werden es bald genug wissen,« sagte sie ernst und entzog ihm ihre Hand. »Sie dürfen nicht weiter mit mir gehen. Gute Nacht.«
Sie stand an der Ecke der Mauer still. Er streckte wieder seine Hand aus, und langsam legte sie ihre zarten Finger hinein.
»Gute Nacht, Miß Rivers!«
»Halt!« sagte sie plötzlich, den Schleier zurückschlagend und ihre blauen Augen zu ihm erhebend. »Sie dürfen das nicht sagen, es ist nicht die Wahrheit. Ich kann es nicht ertragen, diesen Namen von Ihren Lippen, in Ihrer Stimme zu hören. Mein Name ist nicht Rivers!«
»Nicht Rivers? – Weshalb?« fragte Key erstaunt.
»Ich weiß nicht, weshalb!« entgegnete sie, »mein Bruder wünschte, daß ich unsern Namen hier nicht gebrauche und ich gehorchte. Mein Name ist Riggs. Aber dies ist ein Geheimnis, das Sie nicht verraten dürfen. Ich kann es nicht ertragen, daß Sie eine Lüge sagen!«
»Gute Nacht, Miß Riggs!« sagte Key traurig.
»Nein, auch das nicht!« sagte sie sanft, »sagen Sie Alice.«
»Gute Nacht, Alice!«
Sie ging und erreichte das Thor. Einen Augenblick stand sie vor demselben, dann war sie verschwunden.
Vergessen war bei Key alle Vorsicht, er ging vorwärts und erreichte das Thor. Kein Laut war zu hören. Sie war in Sicherheit.
Das Wiedererscheinen von Chivers in der Mühle mit Collinson, und die Bekanntmachung, daß der Gefangene sich zu einem befriedigenden Vergleich herbeigelassen habe, wurde von der Gesellschaft zuerst mit einem halb ungläubigen Lächeln ausgenommen. Unter diesen Umständen wurde Chivers' halb satirischer Vorschlag, daß Collinson den draußen stehenden Wachen eingereiht werden solle, von Riggs unterstützt und von allen anderen angenommen. Chivers selbst erklärte sich bereit, Collinson auf den Posten zu führen, und die beiden verließen gemeinschaftlich die Mühle.
Aber wie sehr Chivers auch der Treue seines Gefährten vertraute, er ließ die schurkische Vorsicht nicht außer acht. Er stellte deshalb Collinson an einen Ort, wo ihm weder von Freund noch Feind besondere Aufgaben gestellt wurden. Dann zog Chivers eine Cigarre aus der Tasche und gab sie Collinson. »Ihr könnt nun rauchen, bis ich gehe, Mr. Collinson, sogar noch nachher, nur müßt Ihr dann die Cigarre hinter einen Felsen halten, damit Euer Mitwächter es nicht sieht. Ihr sagtet, daß Ihr aus Liebe zu Eurem Weibe für sie diesen Platz ausgesucht habt, obgleich Ihr von ihrem Tode überzeugt wart?«
»Ich glaube, daß ich so etwas sagte, Mr. Chivers,« sagte Collinson ausdrucksvoll, »ich wußte nur nicht, was es mit Eurer Benutzung des Hauses zu thun hat.«
»Ich wollte nicht darauf anspielen, Collinson,« sagte Chivers mit einer rhetorischen Handbewegung, »aber es kam mir vor, als ob Eure Bemerkung Zweifel an dem Tod Eurer Frau ausdrücken sollte, und ich weiß, daß diese Zweifel berechtigt sind.«
» Wot's that? Was ist das?« sagte Collinson mit einem eigenartigen Glanz auf seinem Gesicht.
Chivers blies den Rauch seiner Cigarre nachlässig in die stille Luft. »Hört,« sagte er. »Seit unserer Unterredung vor einigen Augenblicken habe ich einige Entdeckungen gemacht, die Euch interessieren dürften, und ich fand, daß Ihr jede Spur von Eurer Frau im Jahre 1852 in Texas verlort, wo eine Anzahl ihrer Mitauswanderer am gelben Fieber starb. Ist es so?«
»Ja,« sagte Collinson schnell.
»Gut, es ereignete sich, daß einer meiner Freunde,« fuhr Chivers langsam fort, »in dem Zug war, der diesem ersten folgte, und einige der Ueberlebenden aufnahm und mit sich brachte.«
»Das war der Zug, der die Nachricht brachte,« sagte Collinson in seinen alten Zustand verfallend. »Dadurch bekam ich zu wissen, daß sie hatte kommen wollen.«
»Hörtet Ihr je die Namen von einigen der Passagiere?« sagte Chivers mit einem scharfen Blick auf seinen Gefährten.
»Niemals! Ich bekam nur zu hören, daß es ein kleiner Zug von nur zwei Wagen war, und daß er auf einem südlichen Paß in Kalifornien eindringen wollte, ich habe nie wieder etwas von ihm gehört, das war alles.«
»Das war nicht alles, Collinson,« sagte Chivers gleichmütig. »Ich sah den Zug am Südpaß anlangen. Ich wartete auf einen Freund und seine Frau. Da war eine Dame bei ihnen, eine von den Ueberlebenden. Ich hörte ihren Namen nicht, aber ich glaube meines Freundes Frau nannte sie ›Sadie‹. Ich erinnere mich ihrer als eines hübschen Weibes, groß, blond, mit einer geraden Nase, einem vollen Kinn und sehr kleinen Füßen. Ich sah sie nur einen Augenblick, denn sie war auf dem Wege nach Los Angelos, um, wie ich glaube, ihren Mann irgendwo in den Sierras zu suchen.«
Der Spitzbube hatte mit Befriedigung die dunkle Glut in Collinsons Gesicht zurückkehren sehen, deshalb wollte er fortfahren, mit einer teuflischen Befriedigung seine Herrin ihrem Ehemanne zu beschreiben, ganz abgesehen von dem Vergnügen, das es ihm bereitete, diesen Riesen, aus seiner Ruhe aufzuschrecken. Doch sein Triumph war von kurzer Dauer. Das Feuer wich plötzlich aus Collinsons Augen, ebenso die Glut von seinem Gesicht, und der schlaffe Blick der unüberwindlichen Geduld kehrte zurück. »Das ist alles sehr gut und freundlich von Euch, Mr. Chivers,« sagte er ernst, »Ihr habt meiner Frau Erscheinung sehr genau beschrieben. Aber sie war es nicht, denn wenn sie gelebt hätte, oder noch leben würde, so wäre sie jetzt hier.« Dieselbe Furcht und das Wiedererkennen eines unbekannten Etwas in diesem treuen Menschen kam wie früher über Chivers. In seiner ärgerlichen Stimmung hätte er leicht die Untreue der Frau vor ihrem Mann beweisen können, aber er wußte, Collinson würde ihm nicht glauben, und er verfolgte nun einen anderen Zweck. Er verzog seine Lippen in ein süßes Lächeln.
»Ich will nicht falsche Hoffnungen in Euch erwecken, Mr. Collinson,« sagte er sanft, »mein Interesse für Euch zwingt mich, Gegengründe anzuführen. Es giebt tausend Dinge, die Euer Weib vom Kommen haben abhalten können: Krankheit, vielleicht das Resultat ihrer schlechten Lage, Armut, Unbekanntsein mit dem Platze Euch zu treffen, vielleicht die falsche Nachricht von Eurem Tode. Habt Ihr je daran gedacht?«
»Was sagt Ihr?« fragte Collinson in unbestimmter Erwartung.
»Was ich denke. Ihr glaubt Euch zu der Annahme berechtigt, daß Eure Frau tot ist, weil sie Euch hier nicht aufsuchte; kann sie nun nicht dasselbe von Euch denken, da Ihr sie nicht aufsuchtet?«
»Aber wir hatten uns geschrieben, daß sie hierher kommen sollte, und ich wartete auf jeden Auswandererzug!« sagte Collinson mit neuer Ungewißheit.
»Ausgenommen einen, mein teurer Collinson!« bemerkte Chivers und hob lächelnd den Zeigefinger. »Nun hört!« Es giebt noch einen Weg, ihr zu folgen, wenn Ihr wollt. Der Name meiner Freunde war Mr. und Mrs. Barker. Ich bedaure,« fügte er mit einem eigentümlichen Husten hinzu, »daß der arme Barker tot ist. Er war ein ebenso ausgezeichneter Ehemann, als Ihr seid, mein lieber Collinson, er hinterließ mir nicht Mrs. Barkers gegenwärtige Adresse. Aber sie hat eine junge Freundin, die im Kloster zu San Louisa lebt und deren Name Miß Rivers ist, welche die Verbindung mit ihr herstellen kann. Nun eine andere Sache: Ich kann Eure Gefühle verstehen und mir denken, daß Ihr Eure Sehnsucht sofort zu befriedigen wünscht. Ihr habt hier freilich einen wichtigen Posten,« er. sah sich nach allen Seiten um, »aber wenn ich Euch später nicht finden sollte, so weiß ich, weshalb Ihr gingt, und werde Euch in Schutz nehmen.« Weder Scham noch Bedauern zog bei Chivers ein, als er diesen Vorschlag machte, aber die alte Furcht erschien wieder, denn Collinson sagte ernst:
»Ihr habt mir ein neues Leben gegeben, Mr. Chivers, und ich danke Euch. Aber ich habe Euch, dem Kapitän und den Leuten mein Wort gegeben, daß ich hier wachen will, und ich werde es halten. Ich muß und ich werde meine Sadie finden, aber sie würde weniger gut von mir denken, wenn ich, nach diesen langen Jahren der Trennung, wegen einer Nacht mein Wort brechen würde, das Haus zu bewachen, in welchem ich ihrer in Treue gewartet.«
»Wie Ihr wollt,« sagte Chivers, seine Lippen zusammenbeißend. »Dann haltet aber auch Euer Versprechen, denn es kann sein, daß andere Euch von Eurem Posten weglocken wollen. Ich lasse Euch in dem herrlichen Mondschein allein, Ihr könnt Euch ganz Eurer Naturschwärmerei hingeben, Adios, amigo, adios!«
Er lief auf einen großen überhängenden Felsen und winkte mit der Hand.
»Ich würde das nicht thun, Mr. Chivers,« sagte Collinson mit einem besorgten Gesicht, »die Felsen sind sehr schlüpfrig und jener besonders.«
Chivers ging schnell herunter, winkte nochmals mit der Hand und verschwand.
Aber Collinson war nicht länger allein, denn er beschäftigte sich mit seinem fernen Weib und der Hoffnung eines baldigen Wiedersehens. Nun mußte er sie suchen, anstatt daß sie zu ihm kam; es würde nie dasselbe Zusammentreffen für ihn sein fern von dem Hause, das er für sie gebaut hatte. Er ging hin und her und sah auf das Haus hinab, das zu seinen Füßen lag. Das weiße Mondlicht spielte auf seinen Fenstern, aber die Töne von Gelächter und Singen, die sein Ohr trafen, störten ihn in seinen Gedanken. Er begann vor dem dichten Walde auf und ab zu gehen. Plötzlich blieb er stehen und horchte.
Für jeden andern, der nicht so wie er mit den Geheimnissen des Waldes vertraut war, würde das Geräusch gegenstandlos gewesen sein, er bemerkte aber an den gleichmäßigen Intervallen das Näherkommen eines Pferdes. Er nahm die Büchse von seiner Schulter und untersuchte das Schloß. Aber es war keine Ursache vorhanden, Alarm zu schlagen, denn nur ein einzelner Reiter erschien und diesem war er an Stärke gewachsen. Als das Pferd näher kam, erkannte er eine Reiterin auf ihm. Er fiel in die Zügel. Das Pferd stand still. »Was soll's?« hörte er sie rufen.
Bei dem Ton der Stimme fuhr Collinson zusammen und wandte sich zur Sprecherin: »Sadie!« rief er aus.
»Seth!« sagte sie halb flüsternd.
Sie standen und sahen einander an. Aber Collinson war schon wieder er selbst. Der Mann der biederen Geradheit ohne Einbildung sah nur sein Weib vor sich – etwas atemlos vom schnellen Reiten, wie er sie auch früher zuweilen gesehen hatte, sonst aber unverändert. Sein ernstes Gesicht verzog sich zu einem Lachen, als er ihre Hände in den seinigen hielt. »Ja, sie ist's, Lordy! morgen wäre ich gekommen um dich zu suchen!«
Sie sah schnell umher. »Mich – mich zu suchen?« sagte sie ungläubig.
»Gewiß! Ich wollte gehen, um nach dir zu fragen – im Kloster.«
»Im Kloster?« wiederholte sie in erschrockenem Erstaunen. »Ja, Sadie, Liebling! Du dachtest, ich sei tot, und ich dachte, du seist tot, das ist die Sache. Aber ich glaubte nie, daß du etwas derartiges denken könntest, bis Chivers mich darauf aufmerksam machte.«
Ihr Gesicht erbleichte im Mondlicht. »Chivers?« sagte sie fragend.
»Natürlich, aber du kennst ihn nicht, Süße. Er sah dich nur einmal. Er sagte mir, daß du glaubtest, ich sei tot, auch teilte er mir mit, wo ich dich finden könne. Er meinte sogar, es wäre besser, wenn ich noch heute nacht aufbrechen würde.«
»Chivers?« wiederholte sie, ihren Mann mit blutlosen Lippen ansehend.
»Ja, du sollst ihn kennen lernen, Sadie, er ist hier mit einigen seiner Leute. Du siehst –«
»Ja, ja, ja!« unterbrach sie; »und dies ist die Mühle?«
»Ja, Liebling, meine Mühle – deine Mühle – das Haus, das ich für dich baute, meine Teure. Ich würde sie dir zeigen, Sadie, aber du siehst, ich muß hier Wache halten.«
»Bist du einer von ihnen?« sagte sie, seine Hand verzweifelnd drückend.
»Nein, Teure,« sagte er sanft, »nur gab ich mein Wort, als ich ihnen mein Haus überließ, für sie zu wachen und sie zu beschützen. Ich weiß, Sadie, du würdest dasselbe gethan haben – für Chivers.«
»Ja, ja!« sagte sie, ihre Hände zusammenschlagend. »Er war so freundlich, mich zu dir zurückzubringen. Du würdest mich ohne ihn nie gefunden haben.«
Sie brach in ein hysterisches Lachen aus, während Thränen über ihr blutloses Gesicht liefen.
»Was ist dir?« sagte er, mit plötzlicher Furcht ihre Hände ergreifend, »das Lachen ist nicht deins, die Stimme ist nicht die deinige. Bist du die alte Sadie, oder bist du es nicht? Hast du etwas gegen mich? Glaubst du, ich verberge etwas?«
»Nein,« sagte sie schnell. Dann fügte sie nach einem leichten Lachen hinzu, »wir haben uns eine solche lange Zeit nicht gesehen, es kommt alles so plötzlich, so unerwartet.«
»Aber du kamst doch jetzt um mich zu finden,« sagte Collinson ernst.
»Ja, ja!« sagte sie, seine Hände noch fest haltend, während ihr Kopf sich in der Richtung der Mühle abwandte.
»Aber wer sagte dir, wo du die Mühle finden würdest?« fragte er mit frommer Geduld.
»Ein Freund,« sagte sie schnell. »Vielleicht,« fügte sie mit einem leichten Lächeln hinzu, »ein Freund von dem Freund, der dir's erzählte.«
»Ich sehe,« sagte Collinson mit einem gläubigen Gesicht und mit einem breiten Lachen, »es ist eine Art Märchen. Ich will wetten, es war Barkers Frau, die Chivers kannte.«
Ihre Zähne preßten sich aufeinander. »Ja,« sagte sie trocken, »es war Barkers Frau. Sage, Seth,« fügte sie langsam hinzu, »bewachst du diesen Platz allein?«
»Es ist noch eine Wache ausgestellt, aber sie kann uns nicht hören.«
»Hörtest du nicht deinen Freund Chivers sagen, daß der Sheriff mit seiner Mannschaft heute unterwegs ist, um die Bande aufzuheben?«
»Nein, du?«
»Ich glaubte, etwas derartiges bei Skinner zu hören, aber es sollte wohl nur eine Warnung für mich sein, nicht allein zu reisen.«
»Das ist so,« sagte Collinson mit einer zarten Rücksicht. »Aber keiner dieser Straßenräuber hat je einem Weibe etwas zu leide gethan. Und dieser Chivers ist gewiß nicht der Mann, eine zu insultieren.«
»Nein,« sagte sie, und verfiel wieder in ihr hysterisches Lachen. »Wohin gehst du?« sagte sie plötzlich, als sie sah, daß Collinson sich schnell entfernen wollte.
»Ich werde in einer Minute zurück sein, ich will sie nur warnen.«
»Du willst nun gehen und mich verlassen, nachdem wir uns nun eben wiedergefunden haben nach diesen langen Jahren der Trennung?«
»Nur für einen Augenblick. Dann werden wir zu Skinner oder sonst wohin gehen, denn mein Haus habe ich Chivers überlassen.«
»Gehe jetzt nicht,« sagte sie, »störe sie nicht. Du sagst, da ist noch eine andere Wache, die kann sie warnen. Ich bin ermüdet – und krank – sehr krank. Setze dich zu mir, Seth, und warte! Wir können hier zusammen warten – wir haben so lange gewartet, Seth – und nun ist das Ende gekommen.«
»Was fehlt dir, Sadie? Du bist kalt und krank. Höre, laß uns zu Skinner gehen.«
»Warte,« sagte sie sanft, »warte.«
»Oder zur Silberhöhle, sie ist nicht weit.«
Sie hatte seine Hand wiedergenommen, ihr erregtes Gesicht sah in das seine. »Welche Höhle? Sprich,« sagte sie atemlos.
»Die Höhle, wo einer meiner Freunde Silber gräbt, er wird dich aufnehmen.«
Ihr Kopf sank gegen seine Schulter. »Laß mich hier bleiben und warten.«
»Hörtest du etwas, Darling?« sagte er mit betrübtem Gesicht.
»Nein, alles ist totenstill,« sagte sie mit einem erschreckten Flüstern.
Es war alles sehr still. Der Schlaf schien sich über die ganze Landschaft ausgebreitet zu haben, kein Geräusch tönte von der Mühle herauf; geheimnisvolle Ruhe herrschte über dem Walde, sogar das Mondlicht schien regungslos in der Luft zu hängen.
»Es ist wie die Stille vor dem Sturm,« sagte sie mit ihrem fremden Lachen. Dann schrie sie plötzlich auf: »Da! sie sind gekommen, sie sind gekommen!«
»Wer ist gekommen?« fragte Collinson, auf sie starrend.
»Der Sheriff und seine Mannschaft, sie umzingeln sie nun, hörst du?«
Von der Mühle her vernahm man Geräusch wie von Schüssen und wildes Geschrei. Collinson sprang auf seine Füße, aber im nächsten Augenblick wurde er heftig gegen sein Weib geschleudert, und beide flogen hilflos gegen den Baum.
Sie sprang auf ihre Füße und stieß einen Schrei aus, dann lief sie gegen den felsigen Abhang. Collinson rannte ihr schnell nach und rief: »Komm zurück, um Gottes willen, Sadie, komm zurück!«
Aber es war zu spät, sie war bereits verschwunden. Als Collinson an den Felsen kam, vor dem er erst vor wenigen Stunden Chivers gewarnt hatte, fühlte er, daß der Boden unter ihm wich.
Kein Laut schien aus dem Thale heraufzudringen; als die Rauchwolke sich von der Stelle hob, wo die Mühle stand, fand man nur einen leeren Platz. Die Wälder rauschten, und das noch vor einigen Stunden trockene Flußbett zeigte glitzernde Wellen.
Preble Key kehrte vom Kloster in sein Hotel zurück nicht mit der Befriedigung, die man empfindet, wenn man eine gute That vollbracht hat. Er war keineswegs sicher, daß er das gethan hatte, was für das junge Mädchen das beste war. In seiner fieberischen Eile hatte er keine Wahl, seine wirklichen Gefühle zu erkennen. Im Halbschlaf wälzte er sich in der Nacht auf seinem Lager umher, in seinen Träumen erschien das liebliche Bild. Er wartete die nächsten Tage auf den Gruß, den sie versprochen hatte, und welchen sie nach seiner Meinung leicht schicken konnte. Aber keine Botschaft kam. Der Tag ging vorüber, er wurde unruhig. Die Furcht, daß ihre Flucht bemerkt worden sei, peinigte ihn. Wenn sie unter strenger Aufsicht war, konnte sie nicht zu ihm, auch konnte er sie nicht seiner Teilnahme versichern, wie sein Herz es ihm eingab. In ihrer kindlichen Befangenheit konnte sie die ganze Wahrheit verraten haben, und dies würde ihm die Thür des Klosters verschließen, und sie noch mehr bloßstellen, wenn er vorsprechen würde. Er erwartete die Prozession, aber sie war nicht dabei. Die wildesten Pläne, um sie zu sehen, schossen durch seinen Kopf, aber immer wieder verwarf er sie. Er kehrte herzkrank und niedergeschlagen in sein Hotel zurück. Der Hausknecht begegnete ihm auf der Treppe und sagte: »Schwester Serafine wartet im Wohnzimmer auf Sie!«
Es unterlag für ihn keinem Zweifel, daß die Sache entdeckt sei, und mit diesem Gefühl ging er die Treppen hinauf. Er rannte ins Zimmer, vergaß aber diesmal nicht, die Thür hinter sich zu schließen. Aengstlich schaute er nach dem Fenster, wo er sie das vorige Mal gesehen hatte, aber nun stand sie auch schon vom Sofa auf. Er flüsterte leise den Namen, den sie ihm gesagt hatte, und wollte auf sie zugehen, als sie den Schleier lüftete, und er in ein blasses, kindliches Gesicht blickte. Es war nicht Alice, die wirkliche Schwester Serafine stand vor ihm.
Seiner bittern Enttäuschung war der jähe Schreck gefolgt, daß alles entdeckt sei, und er stand vor ihr, jammernd, aber ohne ein Wort zu sagen.
Zum Glück für ihn begann sie zu sprechen: »Ich fürchte, daß ich Euch überrascht habe, aber es war keine Zeit, erst lange ein Zusammentreffen zu besprechen, und Schwester Aebtissin meinte, daß es besser sei, wenn ich mit Euch persönlich reden würde. Pater Cipriano gab uns Eure Adresse.«
Erstaunt und verwundert bot Key ihr einen Stuhl an.
»Ihr werdet Euch erinnern,« begann sie sanft, »daß die Aebtissin von Euch eine Information wünschte über den Bruder einer unserer Schülerinnen, die wir durch die Vermittelung einer – Gefährtin oder Bekanntin – einer Mrs. Barker erhielten. Da sie durch einen Brief von dem Bruder autorisiert war, trugen wir kein Bedenken, sie als Repräsentantin anzusehen. Wir waren daher erstaunt, diesen Morgen von ihm einen Brief zu erhalten, in welchem er jede weitere Einmischung, Korrespondenz oder Verbindung seiner Schwester mit dieser Mrs. Barker verbietet. Es war notwendig, das Kind von diesem Befehl sofort in Kenntnis zu setzen, zumal es im Begriff war, an jene Frau zu schreiben. Wir waren aber über die Wirkung unseres Eingriffs erschrocken: heute mittag entfloh sie aus dem Kloster!«
Key, der ihr mit Interesse gefolgt war, sprang bei diesem unerwarteten Ausgang auf.
»Entflohen!« rief er aus, »unmöglich! Ich denke,« fügte er schnell, sich selbst verbessernd, hinzu, »Eure Disziplin und Eure Beaufsichtigung ist eine so ausgezeichnete!«
»Das arme thörichte Kind benutzte für seine Flucht ein Sacrilegium Ordensgewand. und zwar mein eigenes.«
»Aber dies würde doch gerade ihre Entdeckung erleichtern,« sagte Key.
»Nicht im geringsten, denn es gehen viele von uns im Missionsdienst fort, alle tragen gleiche Kleidung. Um jedes unnötige Aufsehen zu vermeiden, haben wir Privatagenten nach allen Richtungen ausgesandt, bisher ohne den nötigen Erfolg.«
»Und Ihr kamt,« sagte Key, der zu seiner ersten Vermutung zurückkehrte und der das Gespräch kurz abzubrechen wünschte, »zu mir, beinahe einem Fremden?«
»Nicht ein Fremder,« entgegnete die Schwester, »denn Ihr seid mit den Verhältnissen der Heimat des unglücklichen Kindes und seines Bruders bekannt. Wir kommen vom Pater Cypriano, und Ihr werdet am besten wissen, was es heißt, Verwandte zu haben – Ihr, die Ihr gestern selbst kamt, um –«
»Genug!« unterbrach Key sie schnell, »ich werde sofort gehen. Ich kenne diesen Mann nicht, werde aber mein möglichstes thun, um ihn zu finden. Und dies – dies – junge Mädchen, kann sie nicht noch hier sein?!«
»Nein! wir fürchten, sie ist schon weit weg von hier. Wenn Sie sofort nach San Louis ging, kann sie leicht den Zug nach San Francisco benutzt haben, ehe wir ihre Flucht bemerkten. Vielleicht ist sie zu ihrem Bruder gegangen, vielleicht auch, um ihre Freundin zu suchen.«
»Diese Freundin reiste gestern morgen ab?« sagte er schnell. »Gut, Ihr könnt auf mich rechnen. Nun, da wir keine Zeit verlieren dürfen, will ich meine Vorbereitungen treffen, um mit dem nächsten Zuge abfahren zu können.« Er schwieg, streckte seine Hand aus und sagte mit beinah kindlichem Vertrauen: »Bittet Gott für mich um Schnelligkeit, Schwester Serafine!«
»Möge die heilige Jungfrau Euch beschützen!« sagte sie. Dann ging sie fort.
Key blieb allein und dachte über das Gehörte nach. Er verfiel wieder in seine alten Reflexionen, als ein Diener mit einer Depesche ins Zimmer trat. Er eröffnete sie hastig, aber sie enthielt nur eine einfache Nachricht von seinem Aufseher. Er las: »Kommt sofort, wichtig.«
Er setzte sich sofort auf den Zug. Er glaubte mit Schwester Serafine, daß das junge Mädchen sofort zu seinem Bruder zurückgekehrt sei, ebensogut hätte Alice aber Mrs. Becker aufsuchen können. Der letzte Brief, welchen die Aebtissin erhalten hatte, war aus Bald Top abgesandt, eine Ansiedlung in der Nähe von Skinners.
Unter mancherlei Gedanken kam er endlich bei Skinner an, seine halb sorglose Frage, ob kürzlich ein weiblicher Passagier angelangt sei, rief auf dem Gesicht des Wirts ein breites Lächeln hervor.
»Ihr seid der zweite Mann, der jene Frage stellt, Mr. Key,« sagte er.
»Der zweite Mann?« rief Key nervös aus.
»Ja, der erste war der Sheriff von Sierra. Er wünschte eine große, gutaussehende Frau, ungefähr dreißig Jahre alt, mit schwarzen Augen, zu finden. Ich hoffe, das ist nicht die Sorte Mädchen, die Ihr sucht.«
Key protestierte mit einem lauten Lachen, beschrieb aber doch Alice, und vermutete, daß die andere Dame Mrs. Barker gewesen sein müsse.
Skinner fuhr fort: »Ihr wißt, daß der Sheriff kürzlich den Wald nach der Straßenräuberbande durchsucht hat, die zwischen Bald Top und Collinson ihr Lager aufgeschlagen haben sollte. Aber das Weib war eine ihrer Spione und gab ihnen ein Zeichen, daß sie entschlüpfen konnten. Das große Erdbeben hat dem Sheriff schwere Arbeit gemacht. Sie sagen, das Thal nahe dem Canon sei voll von Felsen und Schlamm, welcher herunterfloß.«
»Was meint Ihr vom großen Erdbeben?« fragte Key mit Erstaunen.
»Great Scott, Ihr hörtet nichts davon, Ihr hörtet nicht, daß das Erdbeben uns vorige Nacht aufrüttelte? Ja, so seid Ihr, Ihr glaubt immer, daß im Gebirge sich nichts ereignen kann!«
Das eigentümliche Telegramm beschäftigte Keys Geist. Skinner sah sein nachdenkliches Gesicht und sagte: »Eurer Mine ist nichts passiert, Mr. Key. Einer von Euren Leuten war schon hier und hat nichts gesagt.« Aber dies befriedigte Key nicht und in wenigen Minuten hatte er sein Pferd gesattelt und sprengte der Höhle zu. Wenige schnelle Anfragen an seinen Aufseher befriedigten ihn über das Schicksal der Mine.
»Was ich Euch telegraphierte, Mr. Key, hatte nichts mit dem Erdbeben zu thun, sondern bezog sich auf eine gesetzliche Bekanntmachung des Claims durch die letzten Besitzer.«
»Aber die letzten Besitzer waren Diebe, Räuber, Gesetzlose, die die Höhle als einen Aufbewahrungsort für ihre Beute betrachteten,« erwiderte Key hitzig, »sie haben gesetzlich keinen Anspruch.«
»Aber der Claim ist nicht in ihrem Namen,« erwiderte der Aufseher ruhig, »sondern der Führer ergriff von der Höhle Besitz vor seiner Gesetzesübertretung, und stellte den Claim aus auf den Namen seiner jungen Schwester Alice Riggs oder sonstwie.«
Von den vielen Gedanken, die durch Keys Hirn schossen, blieb nur der eine zurück, daß Mr. Riggs die Zukunft seiner Schwester hatte sichern wollen. Wenn er auch den wahren Charakter der Höhle erst erkannt hatte, so blieben Minengesetze doch Minengesetze, und es war keine Aussicht vorhanden, daß er eine Aenderung herbeiführe.
Doch daran dachte Key in diesem Augenblick weniger, seine Gedanken waren bei dem jungen Mädchen. Er mußte sie finden, deshalb beschloß er, zu Collinson zu gehen und von hier aus mit seinen Nachforschungen zu beginnen.
Er saß schon im Sattel, als der Aufseher ihm zurief: »Wenn Ihr zu Collinson reitet, so fragt ihn, ob er ein Pferd verloren hat. Am Morgen nach dem Erdbeben fanden Knaben einen Mustang mit einem Damensattel.«
Key ritt ab. Es war nicht unmöglich, daß Alice das Pferd benutzt hatte, es hätte aber auch die andere Frau sein können.
»Stelltet Ihr keine Untersuchung an? Es kann irgend ein Unfall stattgefunden haben.«
»Ich meine, es war kein Unfall,« erwiderte der Aufseher kühl, »denn das Pferd schien ausgebrochen zu sein.«
Ohne ein weiteres Wort gab Key seinem Pferde die Sporen und ritt weg.
Nach zwei Stunden hatte er den dichten Wald erreicht, von dem aus sich der Weg zu Collinsons Mühle abzweigte. Aber die überhängenden Felsen, die er so oft bewundert hatte, waren verschwunden, von der Mühle fand sich keine Spur mehr und die stolzen Pinien waren niedergebrochen. Wenn dies Naturereignis vor Alicens Ankunft stattgefunden hatte, so war sie gerettet, im andern Fall aber mochte er an das Unglück nicht denken. In wilder Verzweiflung rief er: »Alice!«
Die Wälder gaben das Echo wieder; eine kurze Pause trat ein, dann folgte eine Erwiderung. Es war ihre Stimme. Er rannte in der Richtung vorwärts und rief wieder; die Stimme schien näher zu kommen. Dann sah er sie kommen, hastig, obgleich sie strauchelte und hinkte, wie ein verwundetes Reh. Ihr Gesicht war blaß und angegriffen. Die Strähnen ihres hellen Haares hingen über die Schulter herab und einer der Aermel ihres Kleides war voll Blut und Staub. Er faßte die weißen, zitternden Hände, die sich ihm ängstlich entgegenstreckten.
»Du bist es!« rief sie aus, »ich bat, daß jemand kommen möchte, aber glaubte nicht, daß du es sein würdest. Und dann hörte ich deine Stimme und glaubte zu träumen, bis ich sie zum zweitenmal hörte.«
»Aber du bist verwundet,« sagte er leidenschaftlich, »ist dir ein Unfall zugestoßen?«
»Nein, nein,« sagte sie ängstlich, »nicht ich – ich fand einen armen, armen Mann auf der Spitze der Klippe liegen, ich konnte ihm nicht viel helfen, aber ich habe ihn nicht verlassen Keiner kam! ich bin mit ihm allein gewesen den ganzen Morgen, komm schnell, er wird sonst sterben.«
Er legte seinen Arm um ihre Taille; er trug sie halb, während sie vorwärts eilten.
»Er ist durch irgend etwas verwundet worden und konnte weder sich bewegen, noch sprechen,« begann sie, »ich zog ihn fort gleich einem Baum, es kostete mich Stunden, um ihn zu bewegen, denn er war so schwer. Ich brachte ihm etwas Wasser aus dem Strom und wusch ihm sein Gesicht, daher kommt auch das Blut an meinem Aermel.«
»Aber was thust du hier?« fragte er.
Eine zarte Röte bedeckte ihre Wangen, sie sah schnell weg. »Ich war im Begriff, meinen Bruder zu suchen,« sagte sie endlich schnell, »aber frage mich jetzt nicht, komm nur.«
»Ist der verwundete Mann bei Besinnung, sprachst du mit ihm, weißt du, wer er ist?« fragte Key.
»Nein, er murmelte nur etwas und öffnete seine Augen, als ich ihn zog. Ich glaube nicht, daß er weiß, was sich ereignete.«
Sie eilten wieder vorwärts. Der Wald lichtete sich plötzlich. »Hier!« sagte sie halb flüsternd und zog ihn ins offene Licht. Nur wenige Fuß von dem verhängnisvollen Abhang, mit ihrem Shawl bedeckt, lag der verwundete Mann.
Key fuhr zurück – es war Collinson.
Sein Kopf und seine Schultern schienen unverletzt, aber als Key den Shawl aufhob, fand er am Leib viele kleine Wunden. Key beugte sich über den Verwundeten, horchte auf seinen schnellen Atem und das Schlagen seines Herzens. Dann setzte er eine Trinkflasche an seine Lippen. Das Getränk schien ihn zu ermuntern, er öffnete langsam seine Augen. Diese richteten sich auf Key, und ihr Glanz sagte deutlich, daß sie ihn erkannten.
»Ich kann nicht aufstehen, Mr. Key,« sagte er mit leiser Stimme, »auch meine Arme nicht bewegen, aber gestattet mir, Eure Hand zu drücken.«
»Wie kam es?« fragte Key.
»Zuweilen weiß ich es, zuweilen nicht; es schien mir, als ob ich mich überstürzte beim Versuch, mein Weib zu retten, aber wenn ich dann sah, daß mein Weib nicht da war, glaubte ich mich getäuscht. Immer dachte ich an mein Weib, bis dies junge Mädchen als Engel zu mir kam und mich vom Abhang fortzog.«
»Dann wart Ihr nicht im Hause, als der Erdstoß kam?« fragte Key.
»Nein. Wißt, die Mühle war voll von ihnen, als der Sheriff kam und sie angriff – und ich – –
»Alice,« sagte Key mit einem weißen Gesicht, würdest du die Güte haben, nach meinem Pferd zu gehen, das du irgendwo in der Nähe finden wirst, und mir aus der Satteltasche einen Medizinkasten bringen?«
Das unschuldige Mädchen warf einen schnellen Blick auf seinen Gefährten, sah die Veränderung in seinem Gesicht, und ging sofort, da sie eine große Gefahr für den verwundeten Mann fürchtete. Als sie außer Hörweite war, lehnte Key sich über den Verwundeten und sagte: »Collinson, ich muß Euch ein Geheimnis anvertrauen. Dies arme Kind, das Euch half, ist die Schwester des Führers der Bande, die der Sheriff verfolgte. Sie ist in vollständiger Unkenntnis der Verbrechen ihres Bruders aufgewachsen. Sie darf sie nie kennen lernen, auch nicht sein Schicksal. Wenn er durch diese Katastrophe zu Grunde gegangen ist, wie es scheint, so ist es Gottes Wille. Ich sage Euch dies, um Euch zu warnen, etwas zu ihr zu sagen. Sie mag glauben, er sei, in die Staaten zurückgegangen und dort gestorben.«
» I see – I see – ich sehe, Mr. Key,« murmelte der Verwundete, » That's wot I've b'sayin' to myself lyin' her'll night. Das ist es, was ich zu mir selbst sagte, als ich heute nacht hier lag, das ist es, was ich von meinem Weib Sadie sagte, von dem ich annahm, daß es meinetwegen zurückgekommen war. Ich war ein Narr, und ihre Untreue – ich glaubte sie treu für eine Minute. Mir träumte, sie käme zu mir durch die Wälder. Zuerst glaubte ich, es sei meine Sadie – aber als ich sah, daß sie nicht wie früher war, als ihre Stimme mir fremd und ihr Lachen mir fremd erschien – da wußte ich, daß ich träumte. Ihr habt recht, Mr. Key – besser nichts wissen, als wissend getäuscht worden zu sein.«
»Habt Ihr Schmerzen?« fragte Key nach einer Pause.
»Nein, ich fühle mich bedeutend leichter.«
Key sah auf ihn. »Erzählt mir alles, was sich ereignete, alles, was Ihr wißt. Es ist ihretwegen.«
Collinson erzählte von seiner Zuneigung zu Chivers, von seinem blinden Vertrauen in sein schlechtes Weib. Er unterbrach sich häufig.
Alice kam wieder und das Gespräch verstummte. Die Medizin schien eine recht gute Wirkung auszuüben. Collinson fuhr fort:
»Ich danke Euch, Mr. Key, und auch Euch, Miß. Nehmt seine Hand, Ihr thut ein gutes Werk.«
Die beiden thaten, wie er es wünschte, sie standen an seiner Seite und sahen in die schmerzvoll bewegten Züge eines Sterbenden.
»Da war ein junger Bursche,« sagte Collinson mit klarer Stimme, »er kam in meine Hütte, zwei Tage, bevor er in – in – das – Thal ging. Collinson, sagte er zu mir, ich muß heute abend nach den Staaten gehen, wichtige Geschäfte rufen mich dorthin. Ihr kennt Mr. Key in der Höhle. Geht zu ihm und sagt ihm, daß Rivers – habt Ihr den Namen verstanden, Mr. Key, und auch Ihr, Miß? – daß Rivers nach den Staaten gegangen ist – er habe keine Zeit gehabt, seinen Freunden Lebewohl zu sagen, sagt ihm, er möge dies seiner geliebten kleinen Schwester sagen. Und sagt ihm – sagte er – dieser Rivers – nach ihr zu sehen, wenn sie allein steht. Habt Ihr es verstanden, Mr. Key? Auch Ihr, Miß? Ihr seht, ich hab es behalten bis –« er machte eine Pause – »bis nun.«
Dann war er still. Diese unschuldige Lüge war die erste und einzige in seinem Leben gewesen, denn als sie Hand in Hand neben ihm standen, verklärten sich seine Züge. Er sah die Berge um sich her, er sah die grünen Wälder, und die beiden Menschen, die er glaubte glücklich gemacht zu haben. In Frieden zog seine Seele hinüber in ein besseres Jenseits.
*
»Ihr lachtet, Don Preble,« sagte die Aebtissin einige Wochen später zu Key, »als ich Euch sagte, daß viele Caballeros ihre zukünftigen Bräute dem Schutze der heiligen Kirche anvertrauen, doch das ist die Wahrheit, ich meinte Euch nicht. Und doch – nun, wir werden sehen.«