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Die Klinke am Gartenpförtchen von Folinsbee's Rancho klirrte zweimal. Die Pforte selbst lag in dieser lieblichen Nacht so sehr im Schatten, daß der alte Folinsbee, indem er unter seinem Vordache saß, unter den Fichten, die den Eingang bezeichneten, nichts als einen hohen weißen Hut und ein paar flatternde Bänder unterscheiden konnte. Nach einem Zögern von einigen Augenblicken legte er, ich weiß nicht, ob dieser Thatsache halber oder weil er seit dem Klirren der Klinke eine hinreichende Zeit für genaueren Aufschluß verflossen glaubte, ruhig seine Pfeife bei Seite und schritt langsam den gewundenen Pfad nach der Pforte hinab. An der Ceanothushecke blieb er stehen und horchte.
Es war nicht viel zu hören. Der Hut sagte zu den Bändern, daß es eine schöne Nacht sei, und machte im Allgemeinen darauf aufmerksam, daß die Umrisse der Sierras sich klar von dem blauschwarzen Himmel abhoben. Die Bänder hatten, wie es schien, das Alles auf dem Heimwege bewundert und fragten den Hut, ob er wohl je etwas auch nur halb so Reizendes gesehen hätte wie das Mondlicht auf dem Gipfel. Der Hut hatte nie so was gesehen, es erinnerte ihn an einige liebliche Nächte im Süden von Alabama, (»im Süden von Ahlabahm« hörte der alte Mann es aussprechen) aber es gäbe andere Dinge, welche diese Nacht so angenehm erscheinen ließen. Die Bänder konnten unmöglich begreifen, an was der Hut dabei denken möchte. Bei diesem Punkte angelangt, machte das Gespräch eine Pause, die Mr. Folinsbee sich zu Nutze machte, um sehr grimmig und verbissen den Kiespfad hinab und auf die Pforte zuzuschreiten. Darauf wurde der Hut abgenommen und verschwand im Schatten, und Mr. Folinsbee fand sich nur dem halb einfältigen, halb verschmitzten, aber ganz hübschen Gesichte seiner Tochter gegenüber.
Es wurde später in Madroño Hollow bekannt, daß zwischen Miß Jo und dem alten Herrn scharfe Worte gefallen waren, und daß der letztere die Namen eines gewissen Culpepper Starbottle und seines Oheims Oberst Starbottle mit gewissen Eigenschaftswörtern, die keine Complimente sind, verbunden, und daß Miß Jo schneidig Gleiches mit Gleichem vergolten hatte. »Das Blut ihres Vaters kochte vor dem Angesicht ihres Vaters auf und bezeugte, daß sie wirklich von seinem Stamm war«, citirte der Hufschmied, indem er sich an den stolzen Vers Byrons anlehnte. »Sie sah den Stolz des alten Mannes und steigerte ihn«, war der directe Commentar der auf Schulen gewesenen Magister.
Mittlerweile wanderte der Gegenstand dieser Streitigkeiten langsam die Straße entlang bis zu einer Stelle, wo die Wohnung der Folinsbee sichtbar wurde – ein langes, schmales, weißes Gebäude, anspruchslos, aber doch vornehmer als seine Nachbarn. Es trug einige Beweise von Geschmack und feinerer Empfindung an sich, Reben, welche das Vordach überkletterten, Glasthüren und weiße Musselinvorhänge, welche bei Tage die grimmige californische Sonne abhielten und jetzt in dem lieblichen Mondschein mit Silber übergossen waren.
Culpepper lehnte sich gegen den niedrigen Zaun und blickte lange und ernst auf das Gebäude. Dann verschwand das Mondlicht wie ein Geist von einem der Fenster, ein Strahl gröberer Art nahm seine Stelle ein, und eine Mädchengestalt, die eine Kerze hielt, zog die weißen Vorhänge zusammen. Für Culpepper war es eine vestalische Jungfrau, die vor einem geweihten Altare stand, für den prosaischen Beobachter war es, wie ich fürchte, nur ein blondhaariges junges Frauenzimmer, dessen gottlose schwarze Augen noch von unkindlicher Erhitzung glänzten. Wie dem auch sei, als die Gestalt verschwunden war, schritt er munter hinaus in den Mondschein der Landstraße. Hier nahm er seinen vornehmen Hut ab, um sich die Stirn abzuwischen, und der Mond schien ihm voll ins Antlitz.
Es war kein Gesicht, das gegen ihn einnehmen konnte, wenn auch ein wenig zu mager und eingefallen und leberkrank, um ganz angenehm zu sein. Die Backenknochen traten hervor und die schwarzen Augen lagen tief in ihren Höhlen. Glattes schwarzes Haar fiel schräg über eine hohe, aber schmale Stirn und streifte zum Theil eine hohle Wange. Ein langer schwarzer Schnurrbart folgte den senkrechten Krümmungen seines Mundes. Es war im Ganzen ein ernstes, sogar donquichotisches Gesicht, aber bisweilen erweichte es sich durch ein ungewöhnliches Lächeln von so zärtlicher und selbst pathetischer Anmuth, daß man von Miß Jo erzählt, sie habe gesagt, daß sie, wenn es nur so lange wie die Trauung dauerte, seinen Besitzer auf der Stelle heirathen würde. »Ich sagte ihm das einmal,« fügte dieses schamlose junge Ding hinzu, »aber der Mann verfiel augenblicklich in festsitzende Schwermuth und hat seitdem nicht wieder gelächelt.«
Eine halbe Meile unterhalb des Ranchos Folinsbee's senkte sich die weiße Straße und wurde von einem Fußpfade durchschnitten, welcher durch Madroño Hollow lief. Vielleicht weil es ein näherer Weg nach der Niederlassung war, vielleicht aus einem weniger praktischen Grunde, schlug Culpepper diesen Pfad ein, und in einigen Augenblicken stand er unter den außerordentlich schönen Bäumen, welche dem Thale ihren Namen gaben. Selbst in jenem ungewissen Lichte war die zauberhafte Schönheit dieser maskirten Harlekine deutlich zu erkennen: ihre rothen Stämme, ein Erröthen im Mondschein, ein tiefer Blutfleck im Schatten, traten gegen das silberhelle Grün ihres Laubes streng hervor. Es war, als ob die Natur in einem gnädigen Augenblicke die Zigeunererinnerungen des nach Westen verpflanzten Spaniers erfaßt und krystallisirt hätte, um ihn in seiner einsamen Verbannung heiter zu stimmen.
Als Culpepper den Hain betrat, hörte er laute Stimmen. Als er sich einer Gruppe von Bäumen zuwendete, schritt eine Gestalt, so bizarr und charakteristisch, daß es eine hier hausende Daphne hätte sein können – eine Gestalt, überladen aufgeputzt mit karmoisinrother Seide und Spitzen, mit nackten braunen Armen und Schultern, auf dem Kopfe einen Kranz von Geißblatt – aus dem Schatten heraus. Ein Mann folgte ihr. Culpepper ging weiter. Um es kurz zu sagen, er erkannte in dem Manne die Gesichtszüge seines geehrten Oheims, Oberst Starbottle, in dem Weibsbilde eine Dame, die ich kurz als eine solche schildern kann, die absolut keinen Anspruch darauf hat, dem gebildeten Leser vorgestellt zu werden. Um gleich unerfreuliche Einzelnheiten kurz abzuthun, Beide befanden sich offenbar unter dem Einfluß geistiger Getränke.
Aus der aufgeregten Unterhaltung, welche folgte, schloß Culpepper, daß die Dame auf einem öffentlichen Balle, den sie diesen Abend besucht, irgendwie beleidigt worden war, und daß der Oberst, ihr Begleiter, unterlassen hatte, dies in der von ihr gewünschten blutigen Vollständigkeit zu ahnden. Ich bedaure, daß ich, obwohl wir in einem nachsichtigen Zeitalter leben, die treffende und selbst malerische Sprache nicht wiedergeben darf, in welcher dies ihren Zuhörern vorgetragen wurde. Genug, daß sie nach Schluß einer feurigen Ansprache mit weiblicher Launenhaftigkeit auf den tapfern Obersten losfuhr und sein unseliges Haupt mit ihrer verhaltenen Rache heimgesucht haben würde, wenn Culpepper nicht rasch dazwischengetreten wäre.
Hiermit abgewiesen, warf sie sich auf den Erdboden und verfiel dann in wenig malerische hysterische Krämpfe. Es lag eine schöne moralische Lection nicht blos in dieser grotesken Vorstellung eines Geschlechts, welches das Groteske nicht verträgt, sondern auch in der lächerlichen Aufregung, in die sie die beiden Männer versetzte. Culpepper, für den das Weib mehr oder weniger ein Engel war, empfand Schmerz und Mitleid, der Oberst, für den es mehr oder weniger unsauber war, war außerordentlich erschrocken und verlegen. Indeß war der Sturm bald vorüber, und nachdem Fräulein Dolores einen kleinen Dolch wieder in seine Scheide gesteckt (in ihr Strumpfband nämlich), machte sie sich ruhig aus Madroño Hollow fort und glücklicherweise auch für immer aus diesem Buche.
Die beiden Männer, allein geblieben, unterhielten sich in leisem Tone. Die Morgendämmerung beschlich sie, bevor sie sich trennten, der Oberst ganz ernüchtert und im vollen Besitz seines gewöhnlichen leichtfertigen Selbstgefühls, Culpepper mit einem unheimlichen Glühen auf seinen hohlen Wangen und einem aufflammenden Feuer in seinen dunkeln Augen.
Den nächsten Morgen war das Ohr der öffentlichen Meinung von Madroño Hollow voll von Gerüchten über das Mißgeschick des Obersten. Es wurde behauptet, daß man ihn eingeladen, seine Begleiterin aus dem Ballsaal im Independence Hotel wegzuführen, und daß, als er das nicht gethan, Beide hinausgeworfen worden wären. Es ist zu bedauern, daß im Jahre 1854 die öffentliche Meinung in Betreff der Angemessenheit dieses Schrittes getheilt war, und daß es einigen Streit hinsichtlich der vergleichsweisen Tugend der nicht hinausgeworfenen Damen gab. Aber man gestand allgemein zu, daß der eigentliche casus belli ein politischer war.
»Ist das ein vermaledeites Puritaner-Conventikel?« hatte der Oberst wüthend gefragt.
»Es ist kein Gerammel wie in Pike County,« hatte der Ballvorsteher fröhlich geantwortet.
»Sie sind ein Yankee!« hatte der Oberst geschrien, indem er das Wort im verächtlichen Sinne brauchte.
»Fort mit Ihnen, Sie Grenzhallunke!« war die Antwort.
So wenigstens lautete die Hauptsache der Berichte von der Geschichte. Da in jener aufrichtigen und einfachen Epoche Ausdrücke wie die obigen gewöhnlich rasches Handeln zur Folge hatten, so erwartete man zuversichtlich einen Bruch und Knall.
Indeß begab sich nichts. Oberst Starbottle erschien am folgenden Tage mit etwas von seinem üblichen pompösen Auftreten, ein wenig zurückgehalten durch die Gegenwart seines Neffen, der ihn begleitete, und der, als allgemeiner Liebling, auch auf die Neugierigen und Zudringlichen einen gewissen zurückhaltenden Einfluß ausübte. Aber Culpeppers Angesicht trug eine Miene der Aufgeregtheit, die sehr von seiner gewöhnlichen ernsten Ruhe abstach.
»Der Don scheint es nicht freundlich aufzunehmen, daß sie den Alten an die Luft gesetzt haben,« bemerkte der Mitleid fühlende Grobschmied.
»Vielleicht hatte er selber ein Auge auf Dolores,« vermuthete der skeptische Briefträger der Eilpost.
Es war ein heller Morgen eine Woche nach diesem Vorfall, als Miß Jo Folinsbee aus ihrem Garten auf die Straße hinaus trat. Dieses Mal klirrte die Klinke nicht, da sie vorsichtig die Pforte hinter sich schloß. Nachdem sie einen Augenblick unschlüssig gewesen, was sein Unbehagliches gehabt hätte, wenn der Augenblick nicht nach Art ihres Geschlechts auf reizende Weise verwendet worden wäre, indem sie sich eine Schleife unter ihrem mit einem Grübchen geschmückten, aber ziemlich hervorstehenden Kinn zurechtrückte und die Finger eines sauber passenden Handschuhs herunterzog, trippelte sie auf die Niederlassung zu.
Nicht sehr zu verwundern, daß ein vorübergehender Fuhrmann seine sechs Maulthiere in den Straßengraben trieb und seine Fracht in Gefahr brachte, um ihre fleckenlosen Kleider nicht voll Staub werden zu lassen. Kein großes Wunder, daß der Wagen der Eilpostgesellschaft »Blitz« sein Vorüberjagen mäßigte, um sie vorbeizulassen, und daß der Postillon, von dem man niemals bemerkt hatte, daß er mit seinen Mitmenschen etwas Anderes als rasche Einsilbigkeiten ausgetauscht hätte, ihr mit athemloser Bewunderung nachblickte. Denn sie war wirklich eine anziehende Erscheinung. In einem Lande, wo das Geschlecht, welches unsere Zierde sein soll, dem Beispiel der jugendlichen Natur folgte und geneigt war, sich zu sehr zu putzen und zu grell gefärbten Blumen zu werden, trug der einfache und geschmackvolle Anzug Miß Jo's viel zu dem natürlichen Liebreiz ihrer Erscheinung bei, wenn er nicht geradezu eine Aeußerung über dieselbe eingab. Es heißt, daß Euchre-Deck Billy, der in der Goldgrube beim Straßenübergang arbeitete, Miß Folinsbee niemals sah, ohne im Ton der Entschuldigung zu seinem Kameraden zu bemerken, »er glaubte, daß er einen Brief nach Hause schreiben müsse«. Selbst Bill Masters, der sie in Paris der günstigen Kritik jenes anspruchsvollsten Mannes, des verstorbenen Kaisers vorführen sah, sagte, daß sie bezaubernd, aber doch bei Weitem nicht das gewesen wäre, was sie in Madroño Hollow sei.
Es war noch früher Morgen, aber die Sonne hatte mit ihrer californischen Extravaganz bereits begonnen, heiß auf den kleinen Spanhut und die blauen Bänder niederzubrennen, und Miß Jo war genöthigt, den Schatten eines Nebenpfades aufzusuchen. Hier empfing sie gnädig die schüchternen Annäherungsversuche eines herumschweifenden gelben Hundes, bis er, durch seinen Erfolg kühn gemacht, darauf bestand, sie zu begleiten, und, indem er mit seiner feuchten Schnauze zudringlich wurde, ihren fleckenlosen Kleiderschweif mit seinen staubigen Pfoten zu beschmutzen drohte, worauf sie ihn mit einigen ziemlich ärgerlichen Worten und einem Steine von sich trieb, der glücklicherweise fünfzig Fuß weit von dem ihm bestimmten Ziele niederfiel.
Nachdem sie auf diese Weise ihr Vermögen, sich zu vertheidigen, bewiesen hatte, empfand sie in charakteristischer Wandelbarkeit der Stimmung einen kleinen Schrecken und lief, indem sie ihre weißen Röcke mit der einen Hand zusammenfaßte und mit der andern sich den Rand ihres Hutes über die Augen hielt, wenigstens hundert Schritt weit, bevor sie innehielt. Dann begann sie einige Farnzweige und ein paar wilde Blumen zu pflücken, die auf den versengten Feldern verschont geblieben waren, und dann ergriff sie ein plötzliches Mißtrauen in Betreff ihrer schmalen Fußknöchel, und sie untersuchte sie sorgfältig nach jenen Erdflöhen, Waldwanzen und Schlangen, von denen man glaubt, daß sie nach dem hülflosen Frauenzimmer auf der Lauer liegen. Dann pflückte sie wieder einige goldne Aehren von wildem Hafer und steckte sie nach einer plötzlichen Inspiration in ihr schwarzes Haar, und dann gerieth sie ganz unbewußt auf den Pfad, der nach Madroño Hollow führte.
Hier zögerte sie. Vor ihr lag der kleine Pfad, der zuletzt in den buschigen Tiefen unten verschwand. Die Sonne schien sehr heiß. Sie mußte sehr weit weg von Hause sein. Warum sollte sie nicht ein Weilchen unter dem Schatten eines Madroño ausruhen?
Sie beantwortete diese Fragen dadurch, daß sie sofort dahin ging. Nachdem sie den Hain gründlich untersucht und sich vergewissert hatte, daß er kein anderes lebendes menschliches Wesen enthielt, setzte sie sich mit einem befriedigt klingenden kleinen Seufzer unter einen der größten Bäume. Miß Jo liebte den Madroño. Es war ein reinlicher Baum, niemals lag Staub auf seinen Blättern, die wie lackirt aussahen, sein unbefleckter Schatten hatte, wie man wußte, niemals Raupen oder Insecten Herberge gegeben.
Sie blickte hinauf in die rosigen Zweige, die sich über ihrem Haupte verschlangen und wölbten. Sie blickte nieder auf die zarten Farnkräuter und Kryptogamen zu ihren Füßen. Da glitzerte etwas an der Wurzel des Baumes. Sie hob es auf: es war ein Armband. Sie sah sorgfältig nach, ob es eine Marke oder Inschrift habe, aber es war nichts der Art vorhanden. Sie konnte dem natürlichen Wunsche nicht widerstehen, es um ihren Arm zu legen und es von diesem vortheilhaften Gesichtspunkte zu betrachten. Dies nahm ihre Aufmerksamkeit für einige Augenblicke in Anspruch, und als sie wieder aufblickte, bemerkte sie in geringer Entfernung Culpepper Starbottle.
Er stand, wo er mit instinctmäßigem Zartgefühl innegehalten, als er sie zuerst entdeckt hatte. In der That, er hatte sich sogar überlegt, ob er nicht weggehen sollte, ohne sie zu stören. Aber eine Art Zauber hielt ihn an der Stelle fest. Wunderbare Bedeutsamkeit der Menschheit! Jenseits in der Ferne stieg ein vorgeschobener Gipfel der Sierra empor, gewaltig, massig, schweigend. Kaum hundert Schritt weg senkte eine meilenlange Schlucht ihre kahlen Granitmauern tausend Fuß tief hinunter. Auf jeder Seite erhoben sich die geschlossenen Reihen von Fichtenbäumen, in deren dichtgedrängte Glieder Jahrhunderte voll Sturm und Wechsel keine Lücke hineingeschroten hatten. Aber dies Alles schien Culpepper nur von einer allweisen Vorsehung ersonnen zu sein, um der Gestalt eines hübschen Mädchens in einem gelben Kleide als natürlicher Hintergrund zu dienen.
Obschon Miß Jo zuversichtlich erwartet hatte, Culpepper auf ihrem Ausfluge zu begegnen, so war sie doch jetzt, wo sie plötzlich auf ihn stieß, enttäuscht und verlegen. Auch war sein Benehmen ernster und feierlicher wie gewöhnlich und schien mehr als jemals in Disharmonie mit der kecken Leichtfertigkeit, welche die Macht und Sicherheit dieses sorglosen Mädchens in einer Gesellschaft war, wo jedes Gefühl gefährlich war.
Als er sich ihr näherte, erhob sie sich auf ihre Füße, aber schier ehe sie es wußte, hatte er ihre Hand ergriffen und sie auf einen Sitz neben sich gezogen. Das war nicht, was Miß Jo erwartet hatte, aber nichts läßt sich so schwer voraussagen, als die genauen Präliminarien zu einer Liebeserklärung.
Was sagte Culpepper? Ich fürchte nichts, was die Weisheit des Lesers irgendwie vermehren wird, nichts, was Miß Jo nicht schon in der Hauptsache von Andern gehört hätte. Aber es lag in der Art, wie er sprach, eine gewisse Ueberzeugung, feurige Hast und Furie, die der jungen Dame köstlich neu war. Es war gewiß etwas werth, sich im neunzehnten Jahrhundert mit aller Leidenschaft und Uebertreibung des sechzehnten den Hof gemacht zu sehen, es war etwas werth, mitten unter Leuten mit der gemeinen Sprechweise der Grenzgegenden sich die Sprache der irrenden Ritter von diesem Abkömmling der Cavaliere mit seiner braunen Stirn und dem hagern Gesicht, dem die Sonne durch die Backen schien, ins Ohr träufeln zu lassen.
Ich weiß nicht, ob noch etwas drin war. Die Thatsachen indeß zeigen, daß an einem gewissen Punkte Miß Jo ihren Handschuh fallen ließ, und daß beim Aufheben desselben Culpepper sich zuerst ihrer Hand und dann ihrer Lippen bemächtigte. Als sie aufstanden, um zu gehen, hatte Culpepper seinen Arm um ihre Taille gelegt, und ihr schwarzes Haar mit seiner Aehre von Goldhafer ruhte an der Brusttasche seines Rockes. Aber selbst dann war, glaube ich, ihre Phantasie nicht gänzlich gefangen. Sie empfand bei dieser Kundgebung eine gewisse Befriedigung über Culpeppers prächtige Länge und verglich sie im Geiste mit einer früheren Flamme, einem gewissen Lieutenant Mac Mirk, einem tapfern, aber untermäßigem Hektor, welcher später als Opfer der unvorsichtig stark gebrauten und einförmigen Getränke einer Grenzgarnison fiel. Auch war sie nicht so sehr von der Sache in Anspruch genommen, daß ihre raschen Augen nicht selbst, als sie Culpeppers Blicke einsogen, im Stande gewesen wäre, die Gestalt eines sich nähernden Mannes in der Ferne zu entdecken. In einem Augenblicke schlüpfte sie aus Culpeppers Arm, und indem sie ihre Hände hinter sich zusammenschlug, sagte sie: »Da ist dieser gräßliche Mann!«
Culpepper blickte auf und sah, wie sein verehrter Oheim keuchend und schnaubend über den Berg kam. Er runzelte die Stirn, als er sich an Miß Jo mit der Frage wandte: »Sie mögen meinen Oheim wohl nicht?«
»Ich hasse ihn!« Miß Jo hatte den Gebrauch ihrer rasch bereiten Zunge wiedererlangt.
Culpepper erröthete. Er wäre gern auf einige Einzelnheiten in Betreff des Stammbaums und der Thaten des Obersten eingegangen, aber es war keine Zeit dazu. Er lächelte nur traurig. Dieses Lächeln rührte Miß Jo. Sie hielt ihm rasch die Hand hin und sagte mit mehr als ihrer gewöhnlichen Keckheit: »Lassen Sie sich von diesem Mann nicht ins Unglück stürzen. Nehmen Sie sich in Acht, Liebster, daß Ihnen nicht was passirt.«
Miß Jo meinte mit dieser Rede pathetisch zu sein; der Lebensgang ihrer Liebhaber war bisher sehr unsicher gewesen. Culpepper wendete sich zu ihr, aber sie war bereits im Dickicht verschwunden.
Der Oberst kam keuchend heran. »Ich habe mich in der ganzen Stadt nach Dir umgesehen, daß Dich der Blitz! Wer war das da bei Dir?«
»Eine Dame.« (Culpepper log nie, war aber verschwiegen.)
»Hol' sie alle der Teufel! Hör' mal zu, Culp, ich habe den Menschen touchirt, der neulich Abends Befehl gab, mich aus dem Tanzsaal zu bringen.«
»Wer war es?« fragte Culpepper achtlos.
»Jack Folinsbee.«
»Je nun, der Sohn von jenem verteufelten Nigger anbetenden, Psalmen singenden Puritaner-Yankee. Wie steht es nun? Horch her, Culp, Du willst doch Dein Blut nicht im Stich lassen, nicht wahr, nicht? Du willst doch Dein Wort nicht zurücknehmen? Du willst Dich diesem Pack nicht zu Füßen werfen wie ein gepeitschter Hund?«
Culpepper schwieg. Er war sehr blaß. Bald aber blickte er auf und sagte ruhig: »Nein.«
*
Culpepper Starbottle hatte Jack Folinsbee herausgefordert, und die Herausforderung war angenommen worden. Die angebliche Ursache war die Austreibung von Culpeppers Oheim aus dem Ballsaal auf Befehl Folinsbee's. So viel wußte man in Madroño Hollow und konnte man beschwören. Aber es gingen noch andere seltsame Gerüchte, die der Grobschmied geschickt auszulegen wußte.
»Sehen Sie, meine Herren,« sagte er zu der um seinen Amboß versammelten Menge, »ich habe mir keine Theorie über diese Geschichte gebildet, ich gebe Ihnen nur ein paar Thatsachen, die zu meiner Kenntniß gekommen sind. Culpepper und Jack treffen sich rein zufällig in Bobs Salon. Jack geht auf Culpepper zu und sagt: »Auf ein Wort.« Culpepper verbeugt sich und tritt bei Seite – so – Jack nämlich ungefähr hier.« (Der Grobschmied demonstrirte die Stellung der Parteien mit zwei alten Hufeisen auf dem Amboße.) »Jack zieht ein Armband aus der Tasche und sagt: Kennen Sie dieses Armband? Culpepper sagt: Ich kenne es nicht – ganz kühl und unbefangen. Jack sagt: Sie gaben es meiner Schwester. Culpepper sagt, mit Erlaubniß immer noch kühl: Ich habe es ihr nicht gegeben. Jack sagt: Sie sind ein gottverdammter Lügner! und langt sein Derringer-Pistol heraus. Culpepper springt nach vorwärts, etwa hierher,« (er verweist auf das Diagramm) »und Jack feuert. Niemand getroffen. 's ist doch ein höllisch curioses Ding, meine Herren,« fuhr der Grobschmied fort, indem er plötzlich in das Gebiet des Abstracten verfiel und sich sinnend an seinen Amboß lehnte, – »'s ist ein höllisch curioses Ding, daß so oft niemand nicht getroffen wird. Sie und ich, wir leeren unsre Revolver gemüthlich auf einander über einem Spielchen, und die Stube ist voll Leute, und niemand wird getroffen. Das giebt mir zu denken.«
»Laß Dich das nicht bekümmern, Thompson,« fiel Bill Masters ein, »es giebt eine andere und bessere Welt, wo wir das Alles wissen und – bessere Schützen sein werden. Weiter mit Deiner Geschichte.«
»Na denn, ein paar kriegen Culpepper und ein paar kriegen Jack zu packen und trennen sie so. Dann erzählt ihnen Jack, daß er seine Schwester ein Armband habe tragen sehen, von dem er gewußt, daß es eins gewesen wäre, welches Oberst Starbottle der Dolores gegeben hatte. Daß Miß Jo nicht sagen wollte, wo sie's her hätte, aber zugäbe, Culpepper diesen Tag gesehen zu haben. Dann das Curioseste bei der Sache noch: was thut Culpepper? Steht der auf und nimmt Alles zurück, was er gesagt hat, und gesteht ein, daß er ihr richtig das Armband gegeben hat. Nun ist meine Meinung, Ihr Herren, daß er das log; es ist nicht zu glauben, daß jemand einem Mädchen, das er achtet, irgend etwas von dem Mensche, der Dolores, giebt. Aber 's ist jetzt ganz einerlei, und jetzt ist nur Eins noch zu thun.«
Die Art und Weise, auf welche dieses Eine gethan wurde, gehört zur Chronik von Madroño Hollow.
Der Morgen war hell und klar, die Luft war ein wenig kalt, doch kam das von dem Nebel, der am Ufer des Flusses aufstieg. Um sechs Uhr früh war die Stelle, wohin man sich bestimmt hatte, eine kleine Lichtung in dem Madroño-Hain, von Culpepper Starbottle, Oberst Starbottle, seinem Secundanten, und dem Arzte occupirt. Der Oberst trug den Kopf sehr hoch und war sehr aufgeregt, obwohl in einer ziemlich imponirenden, würdevollen Weise, und setzte dem Arzte die Vortrefflichkeit der Stelle auseinander, die zu dieser Stunde gänzlich vor der Sonne geschützt war, deren starrer Blick den Duellanten mehr oder weniger aus der Fassung zu bringen pflegt. Der Arzt warf sich in das Gras und rauchte seine Cigarre. Culpepper lehnte ruhig und nachdenklich an einem Baume und sah flußaufwärts. Seltsam, man konnte bei der Gruppe an ein Picnick denken, ein Eindruck, der sich steigerte, als der Oberst aus seinem Rockschooß eine Flasche zog, einen präliminarischen Zug that und sie dann den Andern bot.
»Cocktails, Herr Doctor,« erklärte er mit würdevoller Genauigkeit. »Ein Gentleman, Herr Doctor, sollte nie ohne sie ausgehen. Hält einem den Morgenfrost vom Leibe. Ich weiß noch, wie ich dreiundfünfzig mit Hank Boompirater hinausging. Guter Gott, der Mann mußte seinen Ueberrock anziehen und wurde drin erschossen. Thatsache.«
Aber das Geräusch von Rädern machte den Erinnerungen des Obersten ein Ende, und ein rasch daherfahrender Buggy, in welchem Jack Folinsbee, Calhoun Bungstarter, sein Secundant, und Bill Masters saßen, lenkte auf die Stelle ab. Jack Folinsbee sprang heiter heraus.
»Ich hatte verteufelte Mühe, wegzukommen, ohne daß mein Alter es hörte,« begann er, indem er die Gruppe vor ihm mit der größten Zungenfertigkeit anredete. Calhoun Bungstarter berührte seinen Arm, und der junge Mann erröthete. Es war sein erstes Duell.
»Wenn Sie bereit sind, meine Herren,« sagte Mr. Bungstarter, »so thäten wir gut, zum Geschäfte zu schreiten. Ich glaube, es ist ausgemacht, daß keine Entschuldigung angeboten oder angenommen wird. Wir werden gut thun, sofort uns über die Präliminarien zu verständigen, sonst giebt's, wie ich fürchte, eine Störung. Es geht ein Gerücht durch die Stadt, daß der Ueberwachungs-Ausschuß unsre Freunde, die Starbottles sucht, und ich glaube, daß ich als ihr Landsmann die Ehre habe, in ihren Verhaftsbefehl eingeschlossen zu sein.«
Bei dieser Wahrscheinlichkeit einer Unterbrechung befiel die Gruppe jene Würde, welche ihr bis jetzt gefehlt hatte. Die Präliminarien waren bald geordnet und die Gegner in Position gebracht. Dann folgte ein Schweigen.
Für jemand, der vom Berge zugeschaut hätte und unter dem Eindruck gewesen wäre, daß es hier ein Picnick gäbe, unterbrach ein Knall, der von der Entkorkung zweier Flaschen Champagner zu kommen schien, die Stille.
Culpepper hatte in die Luft geschossen. Oberst Starbottle stieß einen leisen Fluch aus. Jack Folinsbee verlangte verdrießlich einen zweiten Schuß.
Wieder standen sich die Parteien gegenüber. Wieder fiel das Commandowort, und was der gleichzeitige Knall beider Pistolen zu sein schien, stieg in die Luft empor. Aber nach einer Zwischenzeit von einigen Secunden waren Alle erstaunt, zu sehen, wie Culpepper langsam seine nicht abgeschossene Waffe erhob und sie harmlos über seinen Kopf abschoß. Dann warf er das Pistol auf den Boden hin, schritt auf einen Baum zu und lehnte sich schweigend an denselben.
Jack Folinsbee gerieth in Wuth. Oberst Starbottle raste und fluchte. Mr. Bungstarter war billig entsetzt über ihr Benehmen. »Wirklich, meine Herren, wenn Mr. Culpepper Starbottle sich weigert, noch einen Schuß zu thun, sehe ich nicht, wie wir fortfahren können.«
Aber das Blut des Obersten war in Wallung, und Jack Folinsbee war ebenso unversöhnlich. Eine heftige Berathung folgte, die damit endigte, daß Oberst Starbottle die Stelle seines Neffen als Gegner einnahm und Bill Masters als Secundant für Mr. Bungstarter eintrat, welcher ablehnte, irgend noch etwas mit der Sache zu thun zu haben.
Zwei deutlich von einander zu unterscheidende Schüsse hallten durch die Senkung. Jack Folinsbee ließ sein rauchendes Pistol fallen, that einen Schritt vorwärts und fiel dann schwer hinschlagend auf sein Gesicht.
In einem Augenblick war der Arzt an seiner Seite. Die Verwirrung wurde durch Hufgetrappel und die Stimme des Grobschmieds erhöht, der sie bei Gefahr ihres Lebens vor dem kommenden Sturm fliehen hieß. Noch ein Augenblick, und die Stelle war leer, und der Arzt sah aufblickend nur, wie das bleiche Gesicht Culpeppers sich über ihn beugte.
»Können Sie ihn retten?«
»Ich kann's nicht sagen. Halten Sie seinen Kopf einen Moment in die Höhe, während ich nach dem Buggy laufe.«
Culpepper schlang seinen Arm zärtlich um den Hals des bewußtlosen Mannes. Bald nachher kam der Arzt mit einigen Reizmitteln zurück.
»Da, das ist genug, Mr. Starbottle, dank' Ihnen. Jetzt ist mein Rath, machen Sie sich fort von hier, so lange Sie noch können. Ich werde nach Folinsbee sehen. Hören Sie wohl?«
Culpeppers Arm war immer noch um den Hals seines früheren Feindes geschlungen, aber sein Haupt war umgesunken und auf die Schulter des Verwundeten gefallen. Der Arzt blickte nieder, und als er seines Gesichts ansichtig wurde, bückte er sich und hob ihn sanft in seine Arme auf. Er öffnete seinen Rock und die Weste. Es war Blut an seinem Hemde und ein Kugelloch in seiner Brust. Er war beim ersten Feuer zu Tode getroffen worden.