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Endlich hatte die mühsam daherschwankende Postkutsche von Boomville nach manchem Ach und Krach den ebenen Bergrücken erreicht. Noch bei dem letzten Ruck wirbelte sie Wolken roten Staubes in die Höhe, dann rollte sie leichter vorwärts. Die ganze Kutsche war inwendig und auswendig mit einer dicken Lage dieses feinen Staubes bedeckt; er war durch die Fenster eingedrungen, die wegen der unerträglichen Hitze weit offen standen. Schon zum dritten- oder viertenmal während des Aufstiegs, hatte einer der ganz mit Staub bedeckten Fahrgäste sich aus dem Buch, das er las, eine Rinne gemacht und hineingeblasen, daß eine dichte Wolke aufstieg. Auch in den Falten des rohseidenen Reisemantels, der die schöne Dame auf dem Rücksitz einhüllte, lag dichter Staub, und als sie ihn abzuschütteln versuchte, umgab er sie mit einem roten Glorienschein. Den andern Insassen beschmutzte er die Taschentücher, mit denen sie sich den Schweiß abwischten und ließ auf ihrer Stirn blutrote Streifen zurück. Gerade als der Wagen langsam die Höhe erklommen hatte, ging die Sonne hinter dem Black-Spur-Gebirge unter, und sobald sie ganz verschwunden war, wehte ein wunderbar kühler Hauch über den Bergrand. Die Fahrgäste holten tief Atem; der Romanleser schloß sein Buch, die Dame lüftete den Schleier ein wenig und fuhr leicht mit dem Tuch über ihre Stirn, auf die ein paar feuchte Haarlocken herabhingen. Selbst der vornehm aussehende Herr auf einem der Vorderplätze, der bisher in unnahbarer, unerschütterlicher Ruhe, wie eine Bildsäule dagesessen hatte, geriet in Bewegung und wandte den gedankenvollen Blick nach dem Fenster hin. Seine scharf geschnittenen Züge und die stark gebräunten Wangen paßten gut zu dem roten Staub, der seinen braunleinenen Reisemantel so dicht bedeckte, daß er einer Bronzestatue glich. Den Herrn kennen wir bereits: es ist niemand anders als Demorest, unverändert, bis auf die Gesichtsfarbe. Wie vor fünf Jahren lag auch jetzt in seinem tief in sich gekehrten Wesen ein gewisses Etwas, das selbst seine nächsten Bekannten abgehalten hätte, ihn durch Fragen zu stören. Von dem plötzlichen Wohlgefühl und der gehobenen Stimmung des Augenblicks hingerissen, redete ihn jedoch der Romanleser an:
»Na, nun sind wir nicht mehr weit von Boomville und der Rest des Wegs geht immer bergunter. Sie werden wohl auch froh sein, wenn Sie sich tüchtig waschen und Ihren äußeren Menschen wieder auffrischen können.«
»So bald wird es bei mir noch nicht dazu kommen,« versetzte Demorest mit ernstem Lächeln; »ich steige am Kreuzweg ab, der nach dem Kieferberg führt.«
»Kieferberg?« wiederholte jener verwundert. »Sie wollen doch nicht nach dem Kieferberg? – Ja, weshalb sind Sie denn nicht direkt mit der Eisenbahn gefahren; da hätten Sie vor vier Stunden schon dort sein können. Von der Zweigbahn führt nämlich eine Seitenlinie direkt bis zum Hotel in Hymettus.«
»Wohin?« fragte Demorest, der seinen Ohren nicht traute.
»Nach ›Hymettus‹. Diesen sonderbaren Namen trägt der neue Badeort auf dem Gebirgsabhang. Sie sind vermutlich fremd in der Gegend?«
»Seit fünf Jahren,« sagte Demorest. »Von der Eisenbahn hatte ich zwar schon gehört, aber ich gehe lieber auf diesem Wege nach dem Kieferberg. Daß droben ein Badeort ist, davon weiß ich nichts.«
»Und was für einer! Die hochmodernste diesjährige Sommerfrische. Alle Leute, die den Nebel von Frisco und die Hitze von Sacramento satt haben, strömen dorthin. Hymettus liegt 4000 Fuß hoch und hat ein Hotel erster Klasse. Jeden Abend spielt ein Musikchor zum Tanze auf. Und das alles hat die Zweigbahn zu Wege gebracht, oder vielmehr ein Narr, Namens Georg Barker. Der hat ein altes Grubengebiet gekauft, eine Seitenlinie hindurchgeführt und sie mit der Zweigbahn verbunden. Man legt jetzt die ganze Strecke von Frisco oder Sacramento mit der Eisenbahn zurück. Es ist ein riesiges Unternehmen!«
»Und doch nennen Sie den Mann, der das alles zu stande gebracht hat, einen Narren?« sagte Demorest nicht ohne Erregung. »Ich würde ihn eher für ein Genie halten.«
Der Fahrgast schüttelte den Kopf. »Das reinste Negerglück! Er hat die Strecke gekauft, als auch noch nicht die leiseste Aussicht war, daß die Zweigbahn je gebaut werden würde – aus purer, unverfälschter Dummheit. Er rechnete so wenig auf Erfolg, daß er keinen schriftlichen Vertrag hatte und das Ding unbezahlt war, als die gesetzgebende Versammlung den Bau der Zweigbahn beschloß, was nie hätte geschehen sollen. Denn wissen Sie, das Urkomische an der Geschichte war, daß der ganze Schwindel mit der Zweigbahn nur losgelassen wurde, um die Gauner von der Pacific-Eisenbahn so ins Bockshorn zu jagen, daß sie den Rummel aufkauften. Kein Mensch hat nur von ferne daran gedacht, daß je eine Schiene der Bahn gelegt werden würde. Sobald man aber erfuhr, daß das Grubengebiet verkauft war, ging der Bau wie mit Dampf, weil jeder glaubte, es müsse Wunder was dahinter stecken. Selbst das Hotel war zuerst nur eine Art anständiges Armenhaus, wo jener Barker heruntergekommene Bergleute aufnehmen wollte.«
»Trotz alledem« warf Demorest lächelnd ein, »geben Sie zu, daß er einen großen Erfolg erzielt hat.«
»Das wohl,« sagte der andere etwas ärgerlich über Demorests selbstgefälliges Lächeln; »aber ihm kommt er nicht zu gute. Narren haben manchmal Einfälle, und weise Leute ziehen Nutzen daraus. Das Hotel hat jetzt Jim Stacys Bank hinter sich und ist gewissermaßen ein ländlicher Ableger vom Brook-Haus in Frisco. Barker wird schwerlich noch etwas damit zu schaffen haben. Er könnte übrigens auch gar kein Hotel bewirtschaften, trotzdem seine Frau, die jetzt eine der ersten Modedamen von Frisco ist, früher im Wirtshaus ihres Vaters die Gäste bedient hat. Wie gesagt, es ist pures Narrenglück: dem einen fällt's in den Schoß und die andern haben den Vorteil.«
»Mir kommt das gar nicht so übel vor,« entgegnete Demorest mit unerschütterlichem Ernst, »und wahrscheinlich ist er selbst auch damit zufrieden.« Diese wunderbare Auffassung verdroß jedoch seinen Gegner höchlich, besonders als er sah, daß die schöne Dame auf dem Rücksitz dem Gespräch aufmerksam folgte und Demorest recht zu geben schien. Der Fahrgast war eigentlich ein gutmütiger Mensch, der für seine Freunde durchs Feuer ging, an andern übte er jedoch gern scharfe Kritik und der Fremde mit dem bronzefarbenen Gesicht war ihm im Augenblick beinahe verhaßt, ja er fand sogar an der schönen Dame allerlei auszusetzen. »Das sind so verdrehte Schrullen aus den Oststaaten,« sagte er in wenig höflichem Ton; »bei uns in Kalifornien denkt man anders über dergleichen, verlassen Sie sich darauf!« Die Neugier mußte indessen wohl schließlich seinen Aerger besiegt haben, denn als die Postkutsche am Kreuzweg hielt und Demorest aussteigen wollte, redete er den scheidenden Reisegefährten mit leutseliger Miene abermals an:
»Wie Sie sagen, sind Sie fünf Jahre lang fort gewesen. Wo denn wohl, wenn man fragen darf?«
»In Europa,« war Demorests höfliche Antwort.
»Das habe ich mir gleich gedacht,« versetzte der andere und warf den übrigen Fahrgästen bedeutsame Blicke zu. »Aber an welchem Ort?«
»O, bald hier bald dort,« meinte Demorest lächelnd.
»Aber wo haben Sie denn zuletzt gewohnt?«
Demorest war abgestiegen, doch hielt er noch die Hand am Kutschenschlag. »Komisch,« sagte er, einen Augenblick stehen bleibend. »Ja wirklich, das trifft sich sonderbar – in Hymettus!«
Er schloß die Thür und die Postkutsche fuhr weiter. Rot vor Zorn und Entrüstung schaute der Fahrgast dem davoneilenden Demorest nach und blickte sich dann argwöhnisch in der Gesellschaft um. Die Dame sah zum Fenster heraus und ein fast unmerkliches Lächeln spielte um ihre Lippen.
»Er hätte mir auch 'ne anständige Antwort geben können,« brummte der Fahrgast und nahm wieder seinen Roman zur Hand.
Als die Kutsche bei Carters Hotel vorfuhr, stieg die Dame aus, und die Wißbegier ihrer teilnehmenden Reisegefährten wurde wenigstens insoweit befriedigt, als sie aus der Passagierliste ersahen, daß sie Hornburg hieß.
Sie ließ sich im Hotel ein Privatzimmer anweisen, und der Zufall wollte, daß man sie in das Gemach führte, welches Frau Barker in ihrer Mädchenzeit bewohnt hatte, in das sie sich zurückzog, wenn ihre tägliche Pflicht, des Vaters Gäste zu bedienen, erfüllt war, und das damals kein Unbefugter betreten durfte. Seitdem war aber auch dieses Heiligtum als Fremdenzimmer gebraucht worden, und nichts erinnerte mehr an seine frühere Bestimmung, außer einigen Kreidezeichnungen aus Kittys Schulzeit, die neben ihrem schwer zu erkennenden Porträt in Oel an der Wand hingen. Letzteres war einst von einem wandernden Künstler gemalt worden und man bewahrte es noch als Quittung für seine unbezahlten Rechnungen auf.
Von alledem wußte jedoch Frau Hornburg nichts, die offenbar mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt war. Sie legte den Reisemantel ab, trat ein, warf einen Blick nach der Standuhr auf dem Kaminsims und sank dann, wie jemand, der sich ins Unvermeidliche fügt, mit abgespannter Miene auf einen Lehnstuhl in der Ecke. Ihr dunkles Reisekleid war geschmackvoll und saß wie angegossen; sie sah nach der ermüdenden Fahrt angegriffen aus, vielleicht machte sie sich auch quälende Gedanken, doch diente die Blässe nur dazu, ihrer Schönheit neuen Reiz zu verleihen. Selbst die verblichene, abgenutzte Zimmereinrichtung erhielt durch ihre Gegenwart ein so vornehmes Ansehen wie sie es schwerlich je besessen, solange Fräulein Kitty hier ihren Wohnsitz hatte. Abermals sah sie auf die Uhr. Jetzt wurde an die Thür geklopft.
»Herein!«
Die Thür ging auf, und ein chinesischer Diener brachte ihr statt der Visitenkarte einen Fetzen Papier, auf dem ein Name geschrieben war.
Frau Hornburg nahm ihn in die Hand, las den Namen und gab dem Diener das Papier zurück.
»Da liegt ein Irrtum vor,« sagte sie; »ich kenne keinen Herrn Steptoe.«
»Nein, aber mich wirst du wohl kennen,« ließ sich die Stimme eines Mannes vernehmen, der über die Schwelle trat. Gelassen nahm er den Chinesen bei beiden Ellbogen, stieß ihn in den Gang hinaus und schloß die Thür hinter sich. »Steptoe und Hornburg sind ein und dieselbe Person, aber hier nenne ich mich lieber Steptoe. Du hast dich, wie ich sehe, unter dem Namen Hornburg eingetragen. Wahrhaftig, du hast Courage, und es klingt auch nicht schlecht. Du kannst mir nur dankbar sein, daß ich dir immer erlaubt habe, den Namen zu behalten. Für dich ist's übrigens ein Glück, daß ich mich hier Steptoe nenne; da erfährt doch keiner von deinen vornehmen Freunden, daß du hier mit deinem Mann zusammengetroffen bist.«
Sie hatte ihm bei seinem Eintritt einen halb verächtlichen, halb resignierten Blick zugeworfen, welcher keinen Zweifel ließ, daß sie ihn als denjenigen erkannte, um dessentwillen sie hergekommen war. Seit wir ihn vor fünf Jahren an jenem Abend in der Hütte der drei Teilhaber auf dem Kieferberg sahen, hatte er sich nur wenig verändert. Haar und Bart glichen noch wie damals kurzem, krausem Moos, oder flockigem Astrachan. Zwar war er besser gekleidet, aber nach wie vor machte seine ganze Persönlichkeit den Eindruck roher Stärke. Die Frau hatte ihm ohne jedes Anzeichen von Gemütsbewegung zugehört und sagte jetzt voll Geringschätzung:
»Was für eine neue Schmach ist das?«
»Durchaus nichts Neues,« versetzte er. »Vor fünf Jahren habe ich unter dem Namen Steptoe in hiesiger Gegend am Kieferberg gewohnt, und irgend jemand könnte mich wiedererkennen. Ich war gerade hier, als dein Freund, Jim Stacy – der mich nur als Steptoe und nicht als Hornburg kennt und nicht weiß, daß ich dein Mann bin, obgleich er mein Vermögen für dich in Beschlag genommen hat – als Stacy, sage ich, im Verein mit seinen zwei Teilhabern den großen Goldfund machte. Am selbigen Abend habe ich ihn in seiner Hütte aufgesucht und seinen Whisky getrunken. O, es ist damals ganz mit rechten Dingen zugegangen und ich habe alles in bester Ordnung hinterlassen – doch ist es immerhin gut, wenn er nicht weiß, daß ich Hornburg bin. Auch hatte ich dazumal den Knaben zufällig bei mir –« Er hielt inne und sah sie mit bedeutsamen Blicken an.
Ihr Gesichtsausdruck hatte sich plötzlich verändert. Heftiges Verlangen, Besorgnis, sogar Furcht malten sich wechselweise in ihren Zügen, ohne daß sie deshalb ihre Verachtung zu verbergen trachtete. »Wie steht's um den Knaben?« fragte sie, und auch ihre Stimme klang anders. »Du versprachst mir, daß ich alles erfahren sollte. Hörst du – alles!«
»Wo ist das Geld?« entgegnete er und fuhr dann unter rohem Lachen fort: »Mann und Frau sind eins, das weiß ich wohl; aber in diesen Sachen traue ich mir selber nicht.«
Sie nahm aus einem Reisetäschchen, das neben ihr stand, eine Rolle Papiere und einen gemsledernen Sack voll Silbergeld und legte beides vor ihn auf den Tisch. Er untersuchte es sorgfältig.
»Alles in Ordnung,« sagte er. »Ich sehe, du hast die Wechsel auf ›den Ueberbringer‹ ausgestellt, Conny; den Kopf hast du auf dem rechten Fleck, das muß ich sagen. Schade, daß wir nicht miteinander auskommen können.«
»Gleich nach meiner Ankunft war ich auf der Bank drüben,« entgegnete sie kurz. »Ich sagte, ich sei auf dem Weg nach Hymettus und würde vermutlich Geld brauchen.«
Er setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl, stützte seine breiten, derben Fäuste auf die Kniee und betrachtete sie ebenfalls mit unverhohlener Verachtung, in die sich jedoch bei ihm der gemeine Stolz des Herrn und Besitzers mischte.
»Natürlich wirst du auch nach Hymettus gehen, um dich zur Schau zu stellen, wie du das immer thust: Die schöne Frau Hornburg, das hilflose Opfer eines verkommenen, ausschweifenden, nichtswürdigen Mannes, der alles vertrinkt und verspielt! Ein schrecklich trauriges Schicksal – aber was für eine interessante Frau! Könnte sich gleich von dem brutalen Menschen scheiden lassen, wenn sie wollte, aber ihre religiösen Anschauungen verbieten es ihr. So vagabundiert und schwindelt der Kerl denn weiter, bringt sie in Schmach und Schande; muß bald hier vor der Polizei ausreißen, bald dort vor 'nem Lynchgericht in irgend 'ner abgelegenen Gegend. – Inzwischen schauspielerst du in Hotels erster Klasse und in Badeorten herum, gefällst dir in der Rolle der beleidigten Unschuld und läßt dir von allerlei Männern den Hof machen, die mit Vergnügen meine Stelle einnehmen möchten; im Notfall selbst auf Kosten ihres guten Rufs.«
»Schweig!« rief sie plötzlich, so laut, daß der Glaskronleuchter zu klirren begann. Sie richtete sich in die Höhe; auch er war aufgestanden und warf einen raschen, ängstlichen Blick nach der Thür. Ihre Aufwallung ging jedoch schnell vorüber; sie sank wieder in den Stuhl zurück und sagte in ihrem früheren geringschätzigen Ton: »Einerlei. Sprich nur weiter. Du weißt, daß alles erlogen ist.«
Er nahm wieder Platz und betrachtete sie mit kritischen Blicken. »Ja, was dich betrifft habe ich gelogen. Ich kenne deine Art. Aber du weißt auch, daß ich dich ohne weiteres umbrächte, samt dem ersten Mann, den ich in Verdacht hätte. Jeder Gerichtshof in ganz Kalifornien würde mich freisprechen, ja man würde sogar der Meinung sein, daß mich die That reingewaschen hat – Richter und Geschworene würden mir's hoch anrechnen.«
»Ich weiß, was ihr Männer Ritterlichkeit nennt,« sagte sie kalt, »und bin nicht hergekommen, um mir darüber Auskunft zu holen. Es handelt sich um das Kind!« fügte sie rasch hinzu und beugte sich wieder vor, mit dem Blick voll Sorge und Verlangen.
»Ja so, das Kind – unser Kind – das heißt eigentlich sage ich lieber mein Kind,« begann er ohne weitere Umschweife. »Ich werde dir's sagen; aber ich will nicht, daß du thust als müßtest du mir den Bericht abkaufen. Wenn ich früher geschwiegen habe, so war's weil ich dachte, du brauchtest nichts zu wissen. Das Kind habe ich dir nicht anvertraut, weil ich nicht wollte, daß du mit einem dreijährigen Kind herumspaziertest wenn ich –« er hielt inne und fuhr sich mit der Hand über den Mund – »dich eben erst zu 'ner anständigen Frau gemacht hatte – so nennen's ja wohl die Leute.«
»Aber,« sagte sie eifrig ohne auf die beleidigende Rede zu achten, »ich hätte es an einem Ort verborgen, der nur mir allein bekannt war; in einer Schulanstalt hätte ich es als Verwandte besuchen können.«
»Jawohl,« entgegnete er kurz, »um eines schönen Tages alles herauszuschwatzen und den Kohl fett zu machen, wie die Weiber pflegen.«
»In dem Fall,« rief sie außer sich, »wäre ich auch bereit gewesen die Schande auf mich zu nehmen. Habe ich doch schon weit mehr ertragen!«
»Aber das wollte ich nicht,« versetzte er rauh.
»Du bist ja sehr besorgt um meinen guten Ruf.«
»Um den scher' ich mich den Henker; nur an seinem ist mir gelegen. Kein Mensch soll ihn einen Bastard nennen, dafür werde ich schon sorgen!«
Dieser letzte grausame Schlag verstärkte noch ihren Abscheu; doch konnte sie nicht umhin, in seinem rohen Gesicht ein gewisses Etwas zu lesen, das sie früher nie darin gesehen hatte. War es denn möglich, daß in den tiefsten Tiefen seiner gemeinen Natur noch etwas schlummerte, was er Ehrgefühl nannte? Eine krampfhafte Erregung bemächtigte sich ihrer, welche jedoch schon bei seinen nächsten Worten einem unbestimmten Angstgefühl Platz machte. »Nein,« sagte er mit heiserer Stimme, »es ist ihm schon reichlich genug Unrecht geschehen!«
»Was soll das heißen?« bat sie in flehendem Ton. »Oder ist dies nur eine Lüge? Vor vier Jahren sagtest du, er hätte einen Unfall gehabt und nahmst das zum Vorwand, um ihn mir fern zu halten. Hast du damals auch gelogen?«
Sein rauhes Wesen veränderte sich plötzlich und ward weicher; aber nicht etwa aus Mitgefühl für sie, sondern weil seine eigene Stimmung wechselte. »O, das war nichts,« meinte er, eine helle Lache aufschlagend; »jedem frischen Jungen, wie er einer ist, könnte so 'was passieren. Davon brauchst du nichts zu wissen; und was das Unrecht betrifft, das er erlitten hat, so ist das meine Angelegenheit! – Also du willst, ich soll dir berichten, was ich mit ihm gemacht habe, wer für ihn sorgt, und wo er ist? Das verlangst du für dein Geld – mir nicht zuwider! Aber vor allem sollst du wissen – magst du's glauben oder nicht – daß jeder rote Heller, den du mir heute gegeben hast, ihm zugute kommt. Hörst du, merk' es dir!«
Er sprach mit frecher Offenherzigkeit; zwar wußte sie, daß er sie häufig belogen hatte, aus Bosheit, aus Leichtsinn oder zum Spaß; aber Ausflüchte hatte er nie gemacht. Zudem verriet ihr jetzt wieder jenes gewisse Etwas in seinem Wesen, daß er die Wahrheit sagte.
»Du weißt schon, daß ich ihn nach dem Kieferberg mitnahm,« fuhr er fort und lehnte sich auf den Stuhl zurück. »Als ich dich verließ, wollte ich ihn in keine Schule geben – für mich wußte er ganz genug. Nun kam ich aus der Gegend, wo niemand dich kannte, mehr in die Nähe von Frisco, wo sich die Leute unserer vielleicht erinnerten, und da wollte ich nicht mit dem großen Jungen herumreisen und sagen, daß ich sein Vater bin. So verabredete ich denn mit einem jungen Menschen hier, er sollte ihn für seinen kleinen Bruder ausgeben, ihn zu sich nehmen, acht auf ihn haben und ihn verpflegen. Ein hohes Kostgeld habe ich ihm dafür bezahlt, versichere ich dir. Jetzt ist er ein vornehmer Herr; er gehört zur feinsten Gesellschaft, und kein Mensch würde glauben, daß er von 'nem Kerl, wie ich einer bin, einmal für solche Schulmeisterei Geld genommen hat. Aber gethan hat er's, und sein Name ist Van Loo. Bei der Grubengesellschaft war er angestellt.«
»Van Loo!« rief die Frau mit einer Gebärde des Abscheus – »dieser Mensch!«
»Was hast du an Van Loo auszusetzen?« fragte er, sich an ihrem offenbaren Schrecken weidend. »Er spricht französisch und spanisch, und du solltest einmal hören, wie der Junge die Sprachen welschen kann, die er von ihm gelernt hat. Auch auf Manieren versteht er sich, und wie man sich fein anzieht, und der Junge macht Kratzfüße und hat eine Haltung, die sich sehen lassen kann. Van Loo war nicht gerade nach meinem Geschmack; auch verspür' ich keine Sehnsucht nach ihm, aber für meine Zwecke könnt' ich ihn gerade brauchen.«
»Und dieser Mensch weiß – –« begann sie schaudernd.
»Er weiß etwas von Steptoe und seinem Knaben, aber von Hornburg und dir ahnt er nichts. Du brauchst gar keine Angst zu haben. Auch ist er der letzte Mensch, der wünschen würde, mich oder den Jungen wiederzusehen; vor aller Welt würde er es leugnen, daß er uns kennt. Himmel, was für ein unverschämtes Gesicht würde er machen, wenn Eddy und ich eines schönen Tages bei ihm und seiner hochnäsigen Mutter und Schwester hereinspaziert kämen – ich seh' ihn ordentlich vor mir!« Er warf sich in den Stuhl zurück und brach wieder und wieder in ein lautes, höhnisches Gelächter aus, das weit mehr Schadenfreude über den Verdruß anderer verriet als eigenes Vergnügen und Behagen. Oft hatte er auch so über sie gelacht.
»Und wo ist er jetzt?« fragte sie, die Lippen zusammenpressend.
»In der Schule. Wo sage ich dir nicht; du weißt warum. Aber ich sorge für ihn, und er hat's verdammt gut, so wahr ich lebe!«
Sie gewann ihre Fassung wieder, nahm eine gelassene Miene an und schaute zum Fenster hinaus in die anbrechende Dämmerung. Nach einer Pause sagte sie langsam und mit einem gewissen Nachdruck:
»Und seine Mutter? Erzählst du ihm jemals von ihr? Fragt er zuweilen nach mir?«
»Was meinst du wohl?« sagte er, sich behaglich im Stuhle dehnend. »Rate einmal! Du kannst nicht, he? – So will ich dir's sagen: Nein! Niemals! Hörst du – niemals. Er ist mein Freund und hält zu mir durch dick und dünn. Wenn alle mich flohen, ist er mir nachgelaufen und hat sich mit mir vor den Wächtern versteckt. Hand in Hand haben wir zusammen im Walde gelegen, während die Polizei mir auf den Fersen war; keinen Laut hat er von sich gegeben und die Zähne fest zusammengebissen; und doch hätte er bloß einmal zu schreien brauchen, um auch als armes Opferlamm gestreichelt und bedauert zu werden, wie du.«
Die Frau kannte den Mann, der vor ihr saß, gut genug, um neben seiner boshaften Roheit, die ihn trieb, mit ihrem Schmerz zu spielen, noch ein anderes Gefühl zu unterscheiden, dessen sie ihn nie für fähig gehalten hätte – eine große Zärtlichkeit für sein Kind, die ihn mit maßlosem Stolz erfüllte. Aber ihr machte das nur einen um so hoffnungsloseren Eindruck, weil es auf keinem edleren Triebe beruhte, sondern auf dem rein sinnlichen Instinkt der Vaterschaft. Schrecklich war ihr der Gedanke, daß die einzige Frucht jener wilden jugendlichen Leidenschaft, die sie einst dem Wüstling in die Arme getrieben hatte, in dieser Liebe bestand; denn während er sprach, kam es ihr mehr und mehr zum Bewußtsein, daß auch ihr Verlangen nach dem Knaben gar nichts anderes war als der angeborene Naturtrieb des Muttergefühls.
Schon im nächsten Augenblick war diese Anwandlung verflogen und sie wieder ganz Weltdame geworden. »Es ist mir etwas völlig Neues,« sagte sie und drehte gelassen an ihren Fingerringen, »dich in der Rolle eines liebenden Vaters zu sehen. Darf ich wohl fragen, seit wann du diese liebenswürdige Schwäche hast, und wie lange sie dauern wird?«
Mit weiblicher Schadenfreude bemerkte sie zu ihrer Ueberraschung, daß er dunkelrot im Gesicht wurde, bis in seinen schwarzen, ungepflegten Bart hinein. Schon hoffte sie, alles sei nur Lüge gewesen; aber wie groß war ihre Verwunderung, als er verlegen zu stottern anfing: »Die letzten fünf Jahre ist es über mich gekommen – seit der Zeit, als ich mit ihm allein war.« Nun hielt er inne, hüstelte ein paarmal, stellte sich dann breit vor sie hin und sagte mit großem Nachdruck: »Wie lange es bei mir dauern wird, willst du wissen? – Na, du kennst doch deinen guten Freund Jim Stacy, den großen Millionär und Börsenspekulanten, der den Geldmarkt in Kalifornien um die Ohren haut, daß man das Geheul bis New York hört – der nur zu niesen braucht, um die ganze Fondsbörse ins Wackeln zu bringen? Ich sage dir, es wird dauern, bis der Mann zum Bettler wird; bis er sich ein paar Cents zum Frühstück borgen muß und zu Mittag eine Portion Rattengift speist, oder sich eine Kugel durch den Kopf jagt. Dauern wird es, bis sein alter Teilhaber Georg Barker, der Schwachkopf, sein Narrenglück verbraucht hat und als Zeitungsschreiber ein elendes Dasein fristet, oder an fremder Leute Tisch herumschmarotzert, während sein flatterhaftes Weib mit einem andern Mann durchgeht! Es wird nicht aufhören, bis der hochnäsige Demorest, der letzte der drei kleinen Goldgötzen vom Kieferberg, gleich mir im Staube liegt und fühlen muß, wie mir zu Mute gewesen ist, bis er wünscht, er wäre lieber zur Hölle gefahren, statt den großen Goldfund zu thun! – So steht's mit mir; hörst du wohl! In alle Welt will ich's schreien: so lange wird's dauern! Vielleicht kommt der Krach schon nächste Woche, vielleicht erst nächsten Monat, oder nächstes Jahr. Aber kommen wird er. Dann sollst du's erleben, wie ich mit Eddy hereintanzen werde; wir beide nehmen die besten Plätze in der ganzen Bude ein. Du kannst dir's ansehen so lange du willst – ohne Eintrittsgeld.«
War es weil dies Zukunftsbild erfüllter Rache ihn allzusehr berauschte, oder weil bereits Dämmerung im Zimmer herrschte, daß er nichts davon gewahr wurde, wie bei seiner Anspielung auf Barker ein flüchtiges Rot die Wangen seines Weibes färbte und ihre schönen Züge gleich darauf einen Ausdruck von ebenso eiserner Entschlossenheit annahmen wie seine eigenen? Nach der Ursache seiner blinden Wut gegen die drei Teilhaber forschte sie nicht; aber wie groß sein Haß war, erkannte sie nur zu deutlich. Ein Prahlhans war er nie gewesen; seine Feindschaft hatte sich nur immer in Hohn und Spott Lust gemacht. Es gehörte zweifellos Mut dazu und ein starkes Kraftgefühl, um einen so wilden Kampf gegen Macht und Reichtum als Einzelner aufzunehmen. Daß er diese Kraft besaß, flößte ihr einigermaßen Achtung ein, ja es erklärte ihre eigene Schwäche und die ihr jetzt unbegreifliche Leidenschaft, welche sie in den Tagen ihrer Jugend für ihn empfunden hatte. Kein Wunder, daß sie unterlegen war.
»So hast du mir also weiter nichts zu sagen?« fragte sie nach einer Pause, indem sie sich zugleich erhob und an das Kaminsims trat, wo die Leuchter standen.
»Meinetwegen brauchst du kein Licht zu machen,« versetzte er. »Ich gehe schon. Aber vielleicht meinst du, man könnte es unpassend finden, daß die schöne Frau Hornburg mit einem fremden Mann im Dunkeln allein gesessen hat!« Er schlug wieder seine rohe Lache auf, während sie den Leuchter mit verächtlicher Gebärde hinsetzte und das Streichholz, ohne es anzuzünden, in den Kamin warf.
»Nein, ich habe dir nichts mehr zu sagen,« fuhr er fort. »Der Junge ist ein bildhübscher Bursche, und frühreif. Man könnte ihn für einundzwanzig halten, obgleich er erst sechzehn Jahre zählt; schlank gewachsen und ohne Tadel – bis auf einen Umstand.« – Er hielt inne und begegnete ihrem raschen, fragenden Blick mit hartnäckigem Schweigen. Als er jedoch ihre hohe Gestalt bei dem Dämmerlicht, das durch das Fenster fiel, näher ins Auge faßte, spielte ein höhnisches Lächeln um seinen Mund. »Er gleicht dir übrigens ganz und gar,« sagte er zögernd; »das heißt – auch bis auf einen Zug.«
»Und der wäre?«
»Er schämt sich meiner nicht,« entgegnete er lachend. –
Die Thür hatte sich hinter ihm geschlossen; sie hörte ihn mit schweren Schritten die krachende Stiege hinabgehen. Jetzt war er fort. Sie eilte ans Fenster und öffnete es weit, als wollte sie die Luft von seiner Gegenwart reinigen. Die Macht seiner Persönlichkeit über sie war so groß gewesen, daß sie mit Entsetzen fühlte, wie sie während der letzten fünf Minuten nur mit der größten Anstrengung ihre Fassung bewahrt hatte. Selbst der Gedanke an ihr Kind flößte ihr jetzt Abscheu ein, gerade als hätten seine Mitteilungen die alten vertraulichen Bande zwischen Mann und Weib aufs neue geknüpft. Ein Seufzer der Erleichterung entrang sich ihrer Brust, als sie vom Fenster aus auf die starken Schultern, den breiten Hals, das krause ungekämmte Haar ihres Gatten herabsah, der jetzt in der Finsternis verschwand – sie war befreit, aber nicht von ihm allein, auch von dem Gefühl ihrer eigenen Schwäche, das er mit fortnahm in die alles verhüllende Nacht.
Nachdem sie das Fenster wieder geschlossen hatte, sank sie in ihren Stuhl zurück; das im Zimmer herrschende Dunkel erschien ihr als eine wahre Wohlthat. War dies wirklich der Mann, den sie geliebt hatte, um dessentwillen ihr junges Leben Schiffbruch gelitten? Und war, was sie damals für ihn empfand, denn überhaupt Liebe gewesen? Wenn nicht, dann war sie ja nicht besser als er – im Gegenteil schlechter. Sie hatte das Kind unter Gefahr und Schmerzen geboren und fühlte doch nichts, als den blinden Naturtrieb der Mutter, während er sich den Mühen und Pflichten unterzogen hatte und sogar Vaterliebe für seinen Sprößling empfand. Doch dann gedachte sie auch wieder, wie er sie, die kaum der Schule entwachsen war, durch seine alles beherrschende Kraft an sich gefesselt hatte. Durch die Einsprache ihrer Eltern gegen den rohen, gemeinen Menschen, war sie zu geheimen Zusammenkünften mit ihm gedrängt worden, die damit endeten, daß sie sich ihm gänzlich unterwarf. Die Geburt des Kindes vor ihren Eltern und Freunden zu verbergen, war ihm durch schlaue Ränke gelungen, dann hatte der Mann, den sie schon anfing zu fürchten und zu verabscheuen, ihr als späte Sühne die Heirat angetragen, während sie überzeugt war, daß er es nur noch auf ihr Vermögen abgesehen hatte. Aus feiger Angst vor Schmach und Schande, hatte sie eingewilligt, sein Weib zu werden. Stürmische Auftritte waren der unheilvollen Verbindung gefolgt, schließlich hatte sie ihren Mann verlassen, und nur mit Mühe hatten Freunde und Verwandte den Rest ihres Vermögens seinen Händen zu entreißen vermocht. Sie war froh, daß ihr das jetzt alles einfiel, seine Grausamkeit, seine Roheit und Gemeinheit, bis sie die geheime Quelle, der seine Zärtlichkeit für das Kind entsprang, klar zu erkennen meinte. Mochte es ihr auch äußerlich ähnlich sehen, dem Wesen nach war es sein Ebenbild. Vater und Sohn hatten die gleiche rohe Natur und er liebte in dem Sprößling sein eigenes Selbst. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß das Kind nichts nach ihr, seiner leiblichen Mutter fragte? Daß sich das so verhielt, daran zweifelte sie nicht; in seinen triumphierenden Blicken hatte sie gelesen, daß er die Wahrheit sprach. Und doch würde sie eine liebevolle Mutter gewesen sein – hatte doch Barkers Söhnchen ihr gleich seine Zärtlichkeit zugewendet! – Sie lächelte, als sie daran zurückdachte und errötete zugleich. Als ihr Gatte so heftig gegen Frau Barker zu Felde zog und dabei seinem blinden, wütenden Haß gegen Barker selbst Ausdruck gab, hatte es ihr eine wonnige Befriedigung gewährt, daß das seltsame Gefühl für Barkers einfache, offene Natur, das sie im Herzen trug, dadurch eine gewisse Berechtigung erhielt. Wie sollten auch Menschen wie Hornburg oder Frau Barker einen so durch und durch edlen Charakter verstehen können! Die verächtlichen Reden ihres Gatten klangen ihr noch in den Ohren und sie empfand es fast wie eine heilige Pflicht, dem arglosen Barker eine Art mütterlicher Beschützerin zu sein. Sie hatte ihren Sohn verloren und stand ganz verlassen in der Welt. Da schickte ihr die Vorsehung zum Ersatz diesen herrlichen Freund, dessen unzerstörbare Jugendfrische das köstlichste Labsal für sie war. Unwillkürlich mußte sie lächeln, als sie an ihn dachte.
Plötzlich schallte Pferdegetrappel und ein Gewirr vieler Stimmen von der Straße herauf. Frau Hornburg wußte, das war die Abendpost, die hier Vorspann nahm; in wenigen Minuten würde die Post weiter fahren und sie von ihrem Gatten befreien. Sie atmete erleichtert auf als endlich der Ruf: »Alles einsteigen!« ertönte und das schwerfällige Fuhrwerk in die Finsternis hinein rollte, während der Schein seiner brennenden Laternen drinnen über Wand und Decke huschte. Doch jetzt hörte sie Schritte auf der Treppe; vor ihrer Zimmerthür hielten sie an, Stimmen flüsterten, die Thür öffnete sich und eine weibliche Gestalt erschien auf der Schwelle, während ein Mann offenbar versuchte, ihr in das Zimmer zu folgen. »Nein, nein, ich sage Ihnen, es geht nicht!« ließ sich eine Frauenstimme in hastigem Flüsterton vernehmen. »Es darf nicht sein; hier kennen mich alle Leute. Sie müssen warten und sich vom Hausmeister melden lassen; jetzt dürfen Sie nicht mit mir hereinkommen. Still! Gehen Sie doch!« Die Frau versuchte, sich des Mannes zu erwehren, man hörte einen raschen Kuß, dann gelang es ihr, die Thür zu schließen. Langsam, als bewege sie sich in einem ihr bekannten Raum, schritt sie nach dem Kaminsims und zündete ein Licht an, dessen Schein auf ihre erregten Züge und blitzenden Augen fiel – es war Kitty Barker. Frau Hornburg, welche noch regungslos auf dem Stuhle saß, hatte übrigens ihre Stimme und diejenige ihres Gefährten schon beim ersten Laut erkannt. Jetzt trafen sich ihre Blicke.
Frau Barker fuhr zurück, doch stieß sie keinen Schrei aus. Sie sah ein vielsagendes Lächeln um Frau Hornburgs Lippen spielen und alles Blut schoß ihr in die Wangen.
»Dies ist mein Zimmer!« rief sie voller Entrüstung.
»Wohl möglich,« lautete Frau Hornburgs ruhige Antwort; »aber man hat mich hier hineingewiesen; offenbar wurden Sie nicht erwartet.«
Frau Barker sah ihren Mißgriff ein. »O nein, nein,« sagte sie, »natürlich nicht.« Sie hatte Platz genommen und sprach mit nervöser Hast, während sie an ihren Handschuhen zupfte. »Wissen Sie, ich bin nur rasch einmal von Marysville herübergekommen, um auf dem Weg nach Hymettus mein altes Vaterhaus wieder aufzusuchen. Hoffentlich habe ich Sie nicht gestört. Vielleicht schliefen Sie gerade, als ich die Thür aufmachte.«
Kitty blickte in gespannter Erwartung auf Frau Hornburg. »Nein,« versetzte diese, »ich habe weder geschlafen noch geträumt; ich hörte Sie hereinkommen.«
»Manche Männer sind wirklich zu dumm,« sagte Kitty mit gezwungenem Lachen. »Sie glauben, wenn eine Frau die geringste Gefälligkeit von ihnen annimmt, so haben sie das Recht, sich Vertraulichkeiten zu gestatten. Der Mensch wird wohl nicht übel verwundert gewesen sein, als ich ihm die Thür vor der Nase zumachte.«
»Ohne Zweifel,« entgegnete Frau Hornburg trocken. »Doch möchte ich Herrn Van Loo nicht dumm nennen. Er steht wenigstens im Ruf eines sehr gewandten Geschäftsmanns.«
Kitty biß sich auf die Lippen; ihr Gefährte war erkannt worden! Sie raffte ihr Kleid zusammen und stand auf. »Ich muß mich nun wohl nach einem Zimmer umsehen; es war niemand im Bureau, als ich ankam. Seit mein Vater die besten Leute mit nach Hymettus genommen hat, ist hier alles in Unordnung geraten.« Mit gut gespielter Gelassenheit schritt sie nach der Thür.
»Weshalb wollen Sie denn nicht bleiben?« fragte Frau Hornburg, ohne sich vom Stuhl zu erheben.
Kittys Züge erhellten sich einen Augenblick. »O, ich könnte nicht daran denken, Sie vom Platze zu verdrängen,« entgegnete sie mit rücksichtsvoller Höflichkeit.
»Das war auch nicht meine Meinung,« erwiderte jene. »Lassen Sie uns hier beieinander bleiben, bis Sie mit mir nach Hymettus fahren, oder bis Herr Van Loo das Hotel verlassen hat. Er wird schwerlich wagen, dies Zimmer zu betreten, solange ich da bin.«
Frau Barker nahm unentschlossen und mit verlegenem Lachen wieder Platz, offenbar war sie in dergleichen Dingen noch wenig bewandert. Doch seltsamerweise diente diese Unerfahrenheit nicht dazu, Frau Hornburgs Herz milder für sie zu stimmen; sie betrachtete die jüngere Frau nur neugierig. Nach einer peinlichen Pause stand Frau Barker wieder auf. »Es ist wirklich sehr freundlich von Ihnen – ich will nur einmal hinunterlaufen, mir die Hände waschen und den Staub abschütteln – dann komme ich wieder.«
Auch Frau Hornburg erhob sich und trat dicht an sie heran. »Nein,« sagte sie, »zu allererst müssen Sie sich von Herrn Van Loo losmachen und das Rendezvous aufgeben. Sie brauchen ihm nur zu sagen, wenn Sie ihm zufällig unten im Vorsaal begegnen, daß Sie mich hier drinnen fanden und daß ich alles gehört habe. Er wird Sie dann nicht mehr belästigen, verlassen Sie sich darauf.«
Aber mochte Frau Barker auch in Liebessachen unerfahren sein, so verstand sie es jedenfalls, sich ihrer Haut zu wehren. Sie warf sich in einen Schaukelstuhl und wiegte sich auf und nieder, dabei abermals an ihren Handschuhen zupfend. »Es fällt mir gar nicht ein, Herrn Van Loos albernem Betragen so viel Wichtigkeit beizulegen,« sagte sie; »und was Sie mit dem Rendezvous meinen, verstehe ich einfach nicht! Uebrigens,« fuhr sie mit steigender Wärme fort, indem sie plötzlich zu schaukeln aufhörte, so daß sich das Gestell hinter ihr in die Höhe richtete, während sie die Ellbogen auf die Armlehnen stützte und herausfordernd zu Frau Hornburg aufsah. »Uebrigens möchte ich wissen, wie eine Frau in Ihrer Stellung – die getrennt von ihrem Manne lebt, es wagen darf, so mit mir zu reden!«
Es entstand eine Stille vor dem Sturm. Frau Hornburg war näher getreten, hatte die Hand auf die Stuhllehne gelegt und sagte jetzt mit bleichen Lippen, während ihre Stimme einen harten Klang annahm: »Gerade wegen meiner Stellung thue ich es. Weil ich nicht mit meinem Manne lebe, kann ich Ihnen am besten sagen, wie es sein wird, wenn Sie von dem Ihrigen getrennt sind – denn das muß die unausbleibliche Folge Ihres jetzigen Handelns sein. Ich habe es erlebt, daß derselbe Mann, der Sie heute verfolgt, weil er glaubt, Sie wären nicht glücklich mit Ihrem Gatten, sich einst für berechtigt hielt, mich zu verfolgen, weil ich den meinigen verlassen hatte. Sie sind hier allein mit ihm, ohne Wissen Ihres Gemahls; ob Leichtsinn, Laune oder Eitelkeit Sie treibt, gilt gleich – das Ende vom Liede wird sein, daß Sie an meinem Platze stehen und jeder den es gelüstet, sich für berechtigt hält, Sie als leichte Beute anzusehen. Sie können den Mann dort sofort auf die Probe stellen und die Wahrheit erfahren, wenn Sie ihm sagen, ich hätte alles gehört.«
»Vielleicht ist es ihm aber ganz gleichgültig, was Sie gehört haben,« sagte Frau Barker keck. »Vielleicht ist er der Ansicht, daß niemand Ihnen glauben würde, wenn Sie die Geschichte erzählen! Wer sagt Ihnen, ob er nicht ein Freund meines Mannes ist und dieser meinen guten Ruf in seinem Schutz besser geborgen weiß, als in der Gesellschaft einer Frau wie Sie? Möglich, daß mein Mann zu allererst aus seinem Munde erfährt, welche abscheuliche Verleumdung über ihn Sie ersonnen haben.«
Einen Augenblick war Frau Hornburg ganz verblüfft über Kittys Kühnheit. Sie kannte Barkers arglosen Sinn, und wußte, daß er seiner Frau unbedingt vertraute. Sein Glaube würde schwer zu erschüttern sein, obgleich man merken konnte, daß das Ehepaar zuweilen auf etwas gespanntem Fuße war. Sie beabsichtigte übrigens durchaus nicht, ihm Kittys Geheimnis zu verraten, wenn Sie auch die ganze Scene um seinetwillen herbeigeführt hatte. Im Gegenteil, sie wünschte ihren guten Ruf zu schützen, doch konnte sie sich dabei einer gewissen Genugthuung nicht erwehren, daß sich jene, ihr gegenüber, in ihrer ganzen Schwäche gezeigt hatte. Kitty würde keinerlei Schwierigkeiten haben, den Gatten von ihrer vollkommenen Unschuld zu überzeugen, wenn sie jetzt unmittelbar zu ihm zurückkehrte, das stand fest. Noch sicherer zählte Frau Hornburg jedoch auf Van Loos Angst vor jedem ärgerlichen Aufsehen und auf sein durchaus unmännliches Wesen. Daß er Kitty nicht liebte, war außer Zweifel, und sie fragte sich vergebens, weshalb er sich wohl jetzt einer augenscheinlichen Gefahr aussetzen möge. Von alledem stand jedoch in Frau Hornburgs Gesicht nichts zu lesen. An das Kaminsims gelehnt sagte sie in gelassenem Ton und mit einer anmutigen Handbewegung nach der Thür: »So gehen Sie denn, um mit jenem arg verleumdeten Herrn zu verabreden, daß er Sie zu Ihrem Gatten begleitet und wieder mit ihm versöhnt – unter welchem Vorwand Sie wollen. Wenn es mir gelungen ist, Sie vor den Folgen Ihrer Thorheit zu bewahren, will ich mir selbst seinen Tadel gefallen lassen.«
»Jedenfalls will ich unter keiner Bedingung noch einen Augenblick länger hier bleiben, um mich von Ihnen beleidigen zu lassen!« rief Kitty, entrüstet aufspringend. Sie stürmte zum Zimmer hinaus und in das Bureau hinunter. Hier fand sie den überbürdeten Hausmeister, von dem sie mit roten Wangen und funkelnden Augen zu wissen begehrte, was das heißen sollte, daß sie in ihres Vaters Hotel ihr eigenes Wohnzimmer besetzt gefunden habe, und weshalb man sie eine halbe Stunde warten lasse, ohne ihr auch nur einmal einen anständigen Raum anzuweisen, wo sie Hut und Mantel ablegen könne. Selbst der Herr, welcher die Freundlichkeit gehabt hätte, sie zu begleiten, wäre außer stande gewesen, ihr die geringste Bedienung zu verschaffen. Sie sagte das alles mit erhobener Stimme; es hätte das Ohr des in Rede stehenden Herrn erreichen müssen, wäre er in der Nähe gewesen. Das war jedoch nicht der Fall und sie mußte sich wohl oder übel an den etwas verwirrten Entschuldigungen des Hausmeisters genügen lassen, der sie nun schleunigst nach einem Zimmer geleitete, das nur wenige Schritte von demjenigen entfernt lag, welches sie soeben verlassen hatte. Hier nahm sie hastig ihre Sachen ab, wusch sich die Hände, betrachtete ihre aufgeregten Gesichtszüge im Spiegel und lauschte dabei fortwährend, ob sich nicht durch die halboffene Thür Schritte im Korridor vernehmen ließen. Endlich setzte sie sich auf den ersten besten Stuhl und wartete. Es vergingen fünf – es vergingen zehn Minuten, aber kein Fußtritt ward laut. Nun trat sie auf den Gang hinaus und horchte. Sie strich sich die Falten aus der Stirn und schlüpfte dann leise an jenem ihr verhaßten Zimmer vorbei die Treppe hinunter. Mit etwas bleichem, aber freundlichem Gesicht stand sie wieder vor dem Hausmeister.
»Sie haben mir ein hübsches, behagliches Zimmer gegeben,« sagte sie, »doch weiß ich noch nicht, ob ich zur Nacht hier bleibe, oder nach Hymettus weiterfahren werde. Hat nicht jemand nach mir gefragt? Ich wollte hier mit Bekannten Zusammentreffen. Ist mein Begleiter – der Herr, mit dem ich hergekommen bin – vielleicht im Billardzimmer, oder in der Schenkstube?«
»O nein. Er ist fort,« erwiderte jener.
»Fort?« wiederholte Frau Barker. »Unmöglich! Vor – einer Minute war er doch noch hier.«
Der Hausmeister zog stark an der Klingel, worauf der Stallknecht erschien.
»Haben Sie mir nicht gesagt, daß der große fremde Mann mit dem glatten Gesicht, der die Dame herbegleitet hat, fort ist?«
»Jawohl,« lautete die Antwort.
»Irren Sie sich auch nicht?« rief Frau Barker mit ihrem strahlendsten Lächeln, hinter welchem sie eine gewisse Herzbeklemmung zu verbergen suchte, die sie plötzlich befiel.
Aber der Stallknecht war seiner Sache ganz sicher. »Der Herr kam in den Hof,« sagte er, »und verlangte einen Einspänner, um nach der Bahn zu fahren, aber wir hatten keinen; da ging er zu dem andern Lohnkutscher und ist nicht wiedergekommen. Ich kann mich nicht irren, denn Steptoe stand gerade noch im Hof, weil er die Postkutsche versäumt hatte. Kaum war der Herr einen Augenblick fort, da sah ich Steptoe im Einspänner vorbeifahren und wunderte mich, warum sich der Herr ihm nicht angeschlossen hatte, denn er wollte auch zur Bahn.«
»Und hat er nichts für mich hinterlassen – keine Botschaft?« fragte Frau Barker noch immer lächelnd, in atemloser Spannung.
»›Ist das nicht Steptoe da drüben‹, hat er zu mir gesagt, weiter nichts; er sprach so ein bißchen hastig. Dann fragte er nach dem Wagen. Gewiß hat er darüber die Botschaft vergessen,« fügte der Mann gutmütig hinzu, als er sah, wie enttäuscht sie war.
Kitty wandte sich ab und stieg wieder die Treppe hinauf. Sie fand es nicht schwer, die Gründe zu durchschauen, welche Van Loo bewogen hatten, sie zu verlassen: selbstsüchtige Menschen haben einen scharfen Blick für die Selbstsucht anderer. Ihm bangte vor Entdeckung, das lag auf der Hand; vielleicht kannte Steptoe ihren Gatten; vielleicht hatte jemand Van Loo mitgeteilt, daß Frau Hornburg oben im Zimmer war, oder er hatte sie selbst erkannt, als er mit Kitty, die ihm den Eintritt wehren wollte, zum Scherz an der Thüre rang. Der Feigling hatte die Flucht ergriffen und die abscheuliche Frau Hornburg behielt recht: Kitty war aufs elendeste betrogen worden.
Ihre Wangen glühten, als sie das Zimmer wieder betrat, das sie eben erst verlassen hatte. Sie sank auf einen Stuhl am Fenster und preßte zornig ihre Lippen aufeinander. Wie war nur das alles so gekommen? Ganz allmählich hatte sie während der letzten drei Monate den schmeichlerischen, wenn auch stets vorsichtigen Bitten Van Loos nachgegeben. Im Hotel zu San Francisco hatte sie sich von ihm den Hof machen lassen, ihm dann eine Zusammenkunft auf der Straße bewilligt; auch war sie einmal mit ihm vom Theater nach einer flotten Restauration zum Abendessen gefahren. Das thaten auch andere reiche und vornehme Frauen, wie Van Loo ihr versicherte. Vornehme Frauen pflegten auch an der Börse zu spielen, wo irgend ein John oder Jack ihre Privatgeschäfte besorgte. Warum sollte also Frau Barker nicht einen Paul zu ihrem Börsenmakler wählen, umsomehr als diese neueste Manie Anlaß zu geheimen Zusammenkünften gab? Dergleichen Geschäfte ließen sich nun einmal nicht öffentlich betreiben; sie gestatteten der spekulierenden Schönen ohne Furcht und Tadel, den Makler in seinem Privatbureau aufzusuchen. Bei ihrer Eitelkeit, ihrer Neigung zur Vornehmthuerei, ihrer Vorliebe für äußerliche Artigkeiten, fühlte sich Frau Barker durch die Galanterien des feinen Herrn mit dem fremden Namen, der sogar einen adeligen Beigeschmack hatte, unendlich geschmeichelt. Er stand auf, sobald sie ins Zimmer trat, und wenn er ihr den Fächer überreichte, that er es stets mit einer höflichen Verbeugung. Wie hätte sie auch bei ihrer mangelhaften Schulbildung Van Loo nicht bewundern sollen, der fließend französisch sprach und ihr den Text einer etwas zweideutigen opéra bouffe mit großem Zartgefühl übersetzte. So hatte sie denn schließlich eingewilligt, in Gesellschaft ihres Maklers ein paar Bergwerksdistrikte außerhalb San Francisco zu besuchen – nur zum Zwecke der Börsenspekulation. Dies war der kühnste Schritt, den sie bisher gewagt – Van Loo hatte ihr selbst den Vorschlag gemacht; er meinte, das würde bei vornehmen Damen jetzt auch bald Mode werden. Allerdings ein großer Schritt – denn von Natur fehlte es Frau Barker nicht an sittlichem Gefühl; sie hatte als Kitty Carter zur Zeit, da sie ihres Vaters Gäste bediente, instinktmäßig darauf bestanden, daß sie ein eigenes Wohnzimmer zu ihrer Verfügung bekam, welches niemand betreten durfte. So trieb ihr natürliches Anstandsgefühl sie auch jetzt, die Bedingung zu stellen, daß der Ausgangspunkt der gemeinsamen Reise ihres Vaters Hotel, die Heimat ihrer Jugend sein sollte. An der Thüre ihres früheren Mädchenzimmers war dann jenes Gefühl in ihr noch lebendiger erwacht.
Während sie jetzt ihre Lage überdachte, ging ihr plötzlich ein neues Licht auf. Daß Van Loo sie freiwillig und auf immer verlassen haben sollte, war doch ein zu schwerer Schlag für ihre Eitelkeit. Hatte nicht vielleicht jenes verhaßte Weib die Hand dabei im Spiele? Sie wäre imstande gewesen, ihn durch eine geheime Botschaft, oder irgend eine andere List fortzulocken, nur damit sich ihre Prophezeiung erfüllte! Vielleicht – wie abscheulich wäre das – hatte sie gar ein Anrecht an ihn; behauptete sie doch, er habe sie mit Zärtlichkeiten verfolgt. Oder bestand nicht am Ende ein heimliches Einverständnis zwischen den beiden, und sie – Kitty Barker – war das betrogene Opferlamm? Entsetzlicher Gedanke! Was hatte die Frau denn gerade in diesem Augenblick hier im Hotel zu suchen? die Fabel, daß sie auf dem Weg nach Hymettus sei, war ja die durchsichtigste aller Lügen, das wußte Kitty am besten. Qualen der Eifersucht, welche ebenso oft der Antrieb zur Leidenschaft als deren Folgen sind, begannen sie zu verzehren. Sie hatte vermutlich bisher noch gar keine glühende Liebe für Van Loo empfunden, aber mit dem Gedanken, daß er sie treulos verlassen habe, stellte sich bei ihr auch der gefährliche Wunsch ein, ihn zu besitzen und festzuhalten. Konnte er nicht eben jetzt in jenem Zimmer sein, das sie vorhin im Zorn verlassen hatte, um sich keinen weiteren Beleidigungen auszusetzen? So waren die beiden sicher vor ihr – vielleicht lachten sie gerade jetzt zusammen über sie. Entrüstet wollte sie von ihrem Sitz aufspringen, da vernahm sie den Hufschlag eines Pferdes unten im Hofe. Sie eilte ans Fenster, kauerte dort nieder und lauschte angestrengt hinaus. Jetzt hörte man nichts mehr als die Stimme des Stallknechts, der mit jemand sprach. Plötzlich klangen die Worte: »Frau Barker ist hier,« deutlich an ihr Ohr; das Herz hüpfte ihr vor Freude – kein Zweifel, Van Loo war zurückgekehrt!
Doch jetzt tönte die Antwort des Reiters hell und klar zu ihr herauf: »Ist das auch ganz gewiß? Ich weiß nichts davon, daß sie San Francisco verlassen hat.«
Kitty war einer Ohnmacht nahe, das Zimmer schien sich mit ihr im Kreise zu drehen. Das war ja die Stimme Georg Barkers, ihres Gatten! »Wissen Sie was,« sagte er zum Stallknecht, »stellen Sie mein Pferd noch nicht zur Nacht in den Stall. Vielleicht fahre ich etwas später mit meiner Frau im Wagen zurück.«
Schon im nächsten Augenblick stürzte Kitty wie wahnsinnig den Gang hinunter und in das andere Zimmer, wo Frau Hornburg mit einem Buch in der Hand am Tische saß. Erschreckt fuhr diese empor, als die Eintretende die Thür hinter sich abschloß und mit flehender Gebärde vor ihr auf die Kniee sank.
»Mein Mann ist hier!« stieß Kitty keuchend hervor. »Was soll ich thun? Ums Himmels willen, stehen Sie mir bei!«
»Wo ist Van Loo,« fragte Frau Hornburg rasch.
»Fort. Gleich nach meiner Ankunft ist er weggefahren.«
Frau Hornburg nahm sie bei der Hand und blickte forschend in ihr angsterfülltes Gesicht. »Dann haben Sie doch nichts von Ihrem Gatten zu fürchten,« sagte sie mit Entschiedenheit.
»O, Sie verstehen mich nicht! Er wußte ja nicht, daß ich hier bin; er glaubte, ich wäre in San Francisco.«
»Weiß er es jetzt?«
»Ja; von dem Stallknecht; ich habe es mit eigenen Ohren gehört. – Könnten Sie nicht sagen, daß ich mit Ihnen hergekommen bin, daß wir zusammen hier sind, daß wir uns nur einen kleinen Spaß machen wollten? O bitte, thun Sie es doch!«
Frau Hornburg überlegte einen Augenblick. »Gut,« sagte sie, »wir wollen ihn zusammen hier empfangen.«
»O nein, nein!« rief Kitty in angstvollem Ton, während sie sich flehend an sie schmiegte und ganz verstört nach der Thüre sah. »Das kann ich nicht. Jetzt kann ich ihn nicht sprechen! Sagen Sie, ich sei krank – übermüdet – ich wäre auf mein Zimmer gegangen.«
»Aber über kurz oder lang werden Sie ihn doch sehen müssen,« entgegnete Frau Hornburg verwundert.
»Vielleicht reitet er wieder fort. Er hat sein Pferd nicht in den Stall bringen lassen.«
»Nun gut; gehen Sie auf Ihr Zimmer und schließen Sie die Thür zu. Ich komme dann später zu Ihnen. – Doch halt! Glauben Sie, daß Herr Barker Ihre Ruhe stören würde, wenn ich ihm sagte. Sie wünschten allein zu sein.«
»O nein, das thut er nie. Ich habe ihm das schon oft gesagt.«
»Dann beeilen Sie sich,« versetzte Frau Hornburg mit kaum merklichem Lächeln; »wer weiß, ob er nicht zuerst hierher kommt.«
Sie machte die Thür auf und sah in den nur matt erleuchteten leeren Korridor hinaus. »Rasch! laufen Sie hinüber!« Bald vernahm sie das Rascheln von Frau Barkers Kleid nicht mehr auf dem Gang; eine Thür öffnete sich und ward wieder geschlossen, dann blieb alles still und sie kehrte in ihr Zimmer zurück.
Gerade zur rechten Zeit. Schon im nächsten Augenblick hörte sie Barkers Stimme: »Danke,« sagte er, »ich finde den Weg schon allein.« Mit raschen Schritten kam er die Treppe hinauf, sie sah seinen braunen Lockenkopf über dem Geländer erscheinen. Das Licht, welches durch die offene Stubenthür in die düstere Halle strömte, blendete und verwirrte ihn zuerst; wer beschreibt jedoch seine Verwunderung, als ihm ganz unerwartet Frau Hornburg mit strahlenden Augen und lächelndem Gesicht auf der Schwelle entgegentrat.
»Sie haben uns doch richtig ertappt,« sagte sie mit anmutiger Schalkhaftigkeit. »Ich hatte gar nicht übel Lust, Sie noch eine Weile im Hotel herumirren zu lassen. Bitte kommen Sie herein!« Barker folgte ihr mechanisch, sie schloß die Thür und fuhr in heiterem Ton fort: »Nun setzen Sie sich und erzählen Sie mir, woher Sie wissen, daß wir hier sind, und weshalb Sie uns noch zu so später Stunde überraschen?«
Barker hatte die Eigenheit leicht zu erröten, und auch diesmal stieg ihm alles Blut ins Gesicht, wie immer, wenn er mit Frau Hornburg zusammentraf, die ihm nicht nur ehrerbietige Bewunderung, sondern zugleich auch, wegen ihrer höheren gesellschaftlichen Bildung, eine gewisse Ehrfurcht einflößte. Er verbeugte sich und sah sich darauf ganz verdutzt bald in dem ihm wohlbekannten Zimmer um, bald starrte er den Stuhl an, von dem Frau Hornburg aufgestanden war, und dann wieder die Handschuhe seiner Frau, welche jene kurz zuvor absichtlich auf den Tisch geworfen hatte. Jetzt ergriff sie dieselben rasch, wie um sie zu verbergen.
»Ich hatte keine Ahnung, daß meine Frau hier ist,« brachte Barker endlich hervor. »Als der Knecht es mir sagte, war ich höchlich erstaunt, da sie mir kein Wort davon geschrieben hat.«
Während er sprach, erhellten sich seine Züge; Frau Hornburg bemerkte zum erstenmal den zerstreuten Ausdruck in seinen Augen, die sonst immer so treuherzig blickten, und die leichte Sorgenfalte auf seiner offenen Stirn. »Noch weniger rechnete ich auf das Vergnügen, Sie hier zu sehen,« fuhr er fort. »Ich kam nur her, um mich nach meinem alten Teilhaber Demorest zu erkundigen. Er ist vor einigen Tagen aus Europa zurückgekehrt und hätte heute nachmittag in Hymettus eintreffen sollen. Jetzt höre ich aber, daß er die ganze Strecke nicht mit der Bahn, sondern in der Postkutsche zurückgelegt hat und am Kreuzweg ausgestiegen ist. So mußten wir uns natürlich verfehlen, und ich wäre ganz umsonst hergeritten, wenn ich nicht jetzt die Freude haben könnte, Sie und Kitty nach Hymettus zu begleiten. Wir werden eine herrliche Fahrt bei Mondschein haben.«
Nach dieser Erklärung ward es Frau Hornburg nicht schwer, einen scherzhaften und äußerst witzigen Bericht von dem Streich, den sie mit Frau Barker ausgeführt hatte, zum besten zu geben, der jedoch – wie ich leider gestehen muß – vollständig aus der Luft gegriffen war. Sie waren von den Herren in San Francisco allein gelassen worden, während diese sich zusammen in Hymettus vergnügen wollten. Da beschlossen sie denn, auf eigene Faust einen kleinen Ausflug zu unternehmen, teils um einige Privatgeschäfte – wegen ihrer Bergwerksaktien – zu besorgen, teils um sich einen Extraspaß zu machen. Sie hatten höchst komische Erlebnisse gehabt; zuletzt noch in der Post, wo ein schrecklich neugieriger Mensch einen der Mitreisenden, der aus Europa kam, mit Fragen schier zu Tode gequält hatte. Als er denn endlich auf die Erkundigung, an welchem Ort er zuletzt gewesen sei, geantwortet habe, ›in Hymettus,‹ hätte der Frager gemeint, er wolle sich über ihn lustig machen, und –«
»Aber,« unterbrach sie hier Barker lachend, »jener Fahrgast ist vielleicht Demorest gewesen, der eben aus Griechenland kommt. Kitty hätte ihn doch aber wiedererkennen müssen!«
Frau Hornburg sah sofort ihren Mißgriff ein; doch verstand sie es trefflich, ihn wieder gut zu machen, ja sogar Nutzen daraus zu ziehen. »Ohne Zweifel,« erwiderte sie; »doch war die arme Kitty von der langen, ungewohnten Reise und der Hitze so angegriffen, daß sie auf dem Rücksitz fest eingeschlafen war; sie selbst aber hätte man in ihrem Staubmantel und dem dichten Schleier unmöglich erkennen können. Die Aermste,« fügte sie hinzu, »sei zu ihrem Leidwesen überdies bei der Ankunft von so rasendem Kopfweh befallen worden daß sie gleich zu Bett gegangen wäre und gebeten habe, man möchte sie ganz in Ruhe lassen.«
Barker hörte Frau Hornburgs lebhafter Rede mit dem größten Interesse zu; er machte ein Gesicht, als sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen. Darüber hätte sie füglich Gewissensbisse haben sollen, doch war dies durchaus nicht der Fall und sie sagte in aller Seelenruhe: »Ich habe zwar versprochen, sie nicht zu stören, aber natürlich nun Sie – ihr Gatte – gekommen sind, ändert das die Sache und ich will– –«
»Um nichts in der Welt,« fiel ihr Barker eifrig ins Wort. »Ich weiß nur zu gut, was Kittys Kopfweh zu bedeuten hat und lasse ihr stets völlige Ruhe – zuweilen vergesse ich es leider.« Dabei sah sie dieser rücksichtsvollste aller Ehemänner mit seinen wunderschönen, treuherzigen Augen so freundlich an, daß die arge Heuchlerin nur mit Mühe das Lachen unterdrücken konnte, während sie vor Schuldbewußtsein über und über errötete. »Wissen Sie,« fuhr er seufzend fort, »ich denke oft, daß ich für eine so verständige und scharfsichtige Frau die reinste Plage sein muß. Sie durchschaut die Menschen soviel besser als ich, und paßt so gut für die Welt, während ich nichts weiter als ein Glückspilz bin – wenigstens sagen das die Leute. Ein solcher Glücksfall war es auch für mich, daß ich sie damals bekommen habe. Es ist mir sehr lieb, daß sie sich mit Ihnen befreundet hat, denn bis jetzt habe ich mir immer eingebildet, Sie machten sich nichts aus ihr und hätten beide kein Verständnis für einander. Komisch, daß zwei hübsche, treffliche Frauen sich oft nicht leiden können! Kitty in Ihrer Gesellschaft zu finden, freut mich doppelt, denn zuerst bin ich ordentlich erschrocken, als man mir sagte, sie sei hier. Ich konnte es mir gar nicht erklären. Anfangs glaubte ich, die Sorge um unser Söhnchen, das mit der Wärterin und mir in Hymettus ist, hätte sie hergetrieben. Sie behauptet zwar immer, sie gehöre nicht zu den schwachherzigen Müttern; aber es würde mich gar nicht wundern, wenn sie es langweilig gefunden hätte ohne den Kleinen, obgleich sie selbst gewollt hat, daß ich mit ihm in irgend eine Sommerfrische gehen sollte, weil er eine Luftveränderung braucht.«
Frau Hornburg sah jetzt ein, daß ihre Lage viel schwieriger war, als sie glaubte. In der ersten Erregung hatte es sie gereizt, ihren Takt und Mut bei dieser Gelegenheit zu beweisen; auch war sie von dem – wie sie meinte – uneigennützigen Wunsche beseelt gewesen, Sorge zu tragen, daß das Verhältnis zwischen Mann und Frau womöglich nicht geschädigt werde. Auf Barkers harmlose Mitteilungen war sie jedoch nicht gefaßt und konnte deren Wirkung auf sie selbst nicht voraussehen. Sie war der Meinung gewesen, Kitty habe sich in einem Augenblick thörichter Uebereilung zu dem unsinnigen Streich bereden lassen, aber jetzt hatte es ganz den Anschein, als sei die Flucht lange vorher sorgfältig geplant gewesen. Schon vor drei Wochen hatte sie Mann und Kind fortgeschickt. Da steckte etwas dahinter. Die Sache spielte vielleicht bereits wer weiß wie lange. Wenn der kaltherzige Van Loo sie heute verlassen hatte, so war das möglicherweise das erbärmliche Ende der Intrigue, und nicht erst ihr Anfang. Hatte sich Frau Hornburg von jenem Weibe etwa ebenso leicht hinters Licht führen lassen, wie ihr Gatte? Einen Moment war sie außer stande ihm in die ehrlichen Augen zu sehen; die entgegengesetztesten Empfindungen stürmten auf sie ein: teils schämte sie sich Ihrer Mitschuld an dem Betrug, teils erbebte sie vor wilder Freude bei dem Gedanken an eine Krisis, die ihn auf immer von seiner Frau trennen könnte.
Glücklicherweise merkte er nichts von dem, was in ihr vorging. Er hatte sich, wie von einem Alp befreit, in seinen Stuhl zurückgelehnt, ließ den Blick wohlgefällig in dem ihm so vertrauten Raume umherschweifen und brach in sein jugendlich sorgloses Lachen aus. »Du meine Güte,« sagte er, »wie genau erinnere ich mich noch an dies Zimmer aus alter Zeit! Es war ja Kittys Wohnstube, die mir immer so hübsch und frisch vorkam, wie sie selber. Ihre Kreidezeichnungen fand ich ganz wundervoll, aber noch merkwürdiger schien es mir, daß sie überhaupt ein so unnötiges Talent hatte. Für mich brauchte sie nur Kitty zu sein – das war mehr als genug. Sie wissen doch, wie einem in solcher Zeit zu Mute ist? Man fühlt sich selig in dem Bewußtsein, wie hoch über uns – –« Er hielt plötzlich inne, denn ihm fiel ein, daß ja Frau Hornburgs Ehe ausnehmend unglücklich gewesen sei. »Natürlich,« fuhr er mit verlegenem Lachen fort und bemühte sich, etwas Schmeichelhaftes zu sagen, eine Absicht, die bei seiner geraden Natur nur allzu durchsichtig war; »natürlich meine ich nur unsere eigene Unwürdigkeit, die ihr Frauen uns arme Kerle so grausam fühlen laßt. – Dort auf dem Kaminsims stand damals ein Bild von Oberst Brigg in voller Uniform, mit der Widmung: ›Für Kitty‹ von seiner eigenen Hand. Himmel, wie eifersüchtig war ich darauf! Denn Kitty nahm sonst nie Geschenke von Herren an, sie ließ auch niemand hier herein. Doch half sie sonst ihrem Vater überall im Hotel, so viel sie konnte. In jener Zeit war sie furchtbar streng,« sagte er nachdenklich und seufzte, »aber damals war sie auch noch unverheiratet. Hier im Zimmer habe ich ihr den Antrag gemacht. Was hatte ich da für Angst! –« Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann in fast schüchternem Tone fort: »Würde es Sie langweilen, wenn ich Ihnen noch mehr davon erzählte!«
Frau Hornburg war auf derartige persönliche Mitteilungen durchaus nicht vorbereitet, doch lächelte sie verbindlich, obgleich sie eine etwas ungeduldige Gebärde nicht zu unterdrücken vermochte. Sie sah wohl, daß dies Barker nicht entging; allein zu ihrer Ueberraschung rückte er seinen Stuhl etwas näher zu ihr hin, und es klang beinahe wie eine Bitte, als er sagte: »Nicht wahr, ich darf es Ihnen anvertrauen? Denken Sie nur, zuerst hat sie meine Hand ausgeschlagen!«
Frau Hornburg verzog den Mund zu einem etwas spöttischen Lächeln. »Ich glaube, das thun sie alle, wenn sie ihrer Sache sicher sind.«
»O nein – Sie verstehen mich nicht,« entgegnete Barker eifrig. »Ich hielt um sie an, weil ich glaubte, ich wäre reich. Thörichterweise hatte ich mir eingebildet, daß ein paar alte Aktien, die ich besaß, fabelhaft im Preise gestiegen seien. Sie glaubte das auch, und weil sie dachte, ich wäre nun ein reicher Mann und sie ein armes Mädchen – eine bloße Magd für ihres Vaters Gäste – so wies sie meinen Antrag ab. Sie wies mich ab, weil sie meinte, ich könnte es später bereuen; weil es nicht heißen sollte, sie hätte mich nur des Geldes wegen genommen!«
Frau Hornburg blickte zu Boden. »Nun, und dann?« fragte sie ungläubig.
»Kaum eine Stunde später entdeckte ich meinen Irrtum: die Aktien waren wertlos, und ich ein armer Schlucker nach wie vor. Obgleich ich mir keine Hoffnung machte, hielt ich es doch für ehrlich, Kitty davon zu unterrichten. Da that ich ihr leid, sie brach in Thränen aus und versprach, mich zu heiraten.« Barker rückte Frau Hornburg noch etwas näher und legte seine Hand ganz vertraulich in die ihrige: »Nicht wahr, Sie sprechen mit niemand davon,« bat er, »vielleicht halten Sie es für unrecht, daß ich es Ihnen gesagt habe; aber ich wollte doch, daß Sie wüßten, wie gut und brav sie war.«
Im ersten Augenblick konnte sich Frau Hornburg zwar der Ueberraschung und Verwunderung nicht erwehren, doch besaß sie einen zu feinen weiblichen Instinkt, um sich täuschen zu lassen, und zwischen der Kitty von damals und der Kitty, die jetzt hier im Hotel ihre Schmach vor den Augen des Gatten zu verbergen suchte, einen wesentlichen Unterschied zu finden. Sicherlich hatte sie nicht ohne guten Grund so großmütig gehandelt. Daß Barker anders urteilen und geneigt sein würde, Kitty um jener That willen die spätere Uebertretung zu verzeihen, ließ sich freilich erwarten. Welcher Hohn des Schicksals lag doch darin, daß die erste unbewußte Zärtlichkeit, die er ihr erwies, nur aus seiner Liebe zu der ungetreuen Gattin entsprungen war!
»Sagten Sie nicht soeben, daß Ihre Frau eine praktischere Natur wäre als Sie?« fragte Frau Hornburg in trockenem Ton. »Was haben Sie für Gründe zu dieser Annahme? Hat ihr unabhängiges Wesen Sie davon überzeugt, oder vielleicht ihre Börsenspekulationen?«
Barker war plötzlich ernst geworden. »O nein, darin ist sie durchaus nicht praktisch – gerade so wenig wie ich selbst, scheint mir. Ich bin aber froh, daß Sie die Rede darauf bringen, denn da Sie an den gleichen Geschäften beteiligt sind, kann ich im Vertrauen zu Ihnen sprechen. Vielleicht würde Kitty, was ich zu sagen habe, weniger schwer empfinden, wenn Sie es ihr mitteilen wollten, als ob es Ihre eigene Ansicht wäre – dann braucht sie es nicht aus meinem Munde zu hören. Ich fürchte nämlich, sie setzt ein zu unbedingtes Vertrauen auf Van Loos Einsicht als Makler. Ich halte ihn zwar für vollkommen ehrenhaft, aber von seiner Geschäftskenntnis hat man im allgemeinen keine sehr hohe Meinung. Seine Firma – das heißt eigentlich Van Loo selbst – hat in letzter Zeit so unglücklich spekuliert, daß er wohl hätte lernen können, vorsichtiger zu sein. Wer in einem Vierteljahr zwanzigtausend Dollars verliert –«
»Zwanzigtausend!« wiederholte Frau Hornburg erstaunt.
»Jawohl. Aber das wissen Sie doch natürlich. Sie steckten in dem Bergwerk, das Sie mit Kitty besichtigt haben – oder hat sie Ihnen vielleicht nichts davon gesagt?« fügte er hastig hinzu und wurde rot, weil er fürchtete, aus der Schule geplaudert zu haben.
»O ja, ich weiß, ich weiß,« entgegnete Frau Hornburg schnell – »die Summe war mir nur eben entfallen.«
»Solcher Verlust würde einen Mann sicherlich abschrecken,« fuhr Barker fort, »aber Frauen sind immer waghalsiger. Natürlich hätte Van Loo das übrige Geld rechtzeitig herausziehen müssen; meinen Sie nicht auch? – Mit ihm konnte ich nicht davon reden, das hätte so ausgesehen, als wollte ich mich über meine eigene Frau beklagen. Auch Kitty gegenüber mußte ich schweigen, weil das Geld ja ihr gehörte.«
»Ich wußte nicht, daß Ihre Gemahlin eigenes Vermögen gehabt hat,« versetzte Frau Hornburg.
»Das nicht; aber sie hat es von mir geschenkt bekommen,« sagte Barker mit himmlischer Einfalt; »und eben deshalb konnte ich erst recht nichts dagegen einwenden.«
Frau Hornburg verstummte. Ihr war plötzlich ein neues Licht aufgegangen, das die so unverständliche Angelegenheit mit einemmale aufklärte: Van Loo gab sich den Schein eines Liebhabers, während sein eigentlicher Zweck war, in den Besitz von Frau Barkers Vermögen zu gelangen. Deshalb setzte er sich den Gefahren aus, welche die Entführungsgeschichte für ihn haben konnte, was sonst gar nicht in des Schurken feiger Natur lag. Er rechnete darauf, daß man ihn der Unterschlagung wegen nicht gerichtlich verfolgen würde, um den öffentlichen Skandal zu vermeiden. Ob von Kittys Seite bei dieser erbärmlichen Komödie nur die Eitelkeit mitspielte und sie im Grunde ziemlich unschuldig war, kümmerte Frau Hornburg wenig. Das einzige, was für sie dabei in Betracht kam, war die Frage, welche Wirkung die schließliche Enthüllung der Intrigue auf den Mann haben konnte, der ihr jetzt so arglos gegenüber saß. Daß er die Geschäftsunkenntnis und das übergroße Vertrauen seiner Frau nicht tadeln würde, verstand sich von selbst – das glich zu sehr seinem eigenen blinden Glauben. Selbstlose Menschen verfallen immer in diesen Fehler, bei dem sich die Grenze zwischen Gut und Böse nur schwer unterscheiden läßt. Frau Hornburg preßte die Lippen fest aufeinander und heftete den Blick auf das Tischtuch; doch spielte ein Lächeln um ihren schönen Mund.
»Ich will thun was ich kann, um Kitty für Ihre Ansichten zu gewinnen,« sagte sie endlich; »nur fürchte ich, daß ich wenig ausrichten werde, wenn ich sie für meine eigenen ausgebe. Ich glaube, Sie überschätzen meinen Einfluß.«
Dabei senkte sie den hübschen Kopf so bescheiden und demütig, daß Barker ihr unwillkürlich noch näher rückte. Er war gewohnt, allen mit denen er sprach, offen in die Augen zu sehen, und sie hatte ihre dunkeln Wimpern während der letzten Minuten gar nicht mehr emporgehoben.
»Bewahre,« sagte er eifrig, »wie wäre das möglich. Sie kann ja nicht umhin, Sie lieb zu haben und alles zu thun, was Sie wünschen. Sie glauben gar nicht, wie glücklich ich bin, daß Sie mit meiner Frau so befreundet sind. Ihre Schönheit habe ich immer bewundert, und weil Sie so klug sind, habe ich mich sogar ein wenig vor Ihnen gefürchtet – daß Sie aber auch so gut wären, habe ich bisher noch nicht gewußt. Aber halt – das ist ja nicht wahr! Erinnern Sie sich noch, wie ich Sie einmal mit meinem kleinen ›Sta‹ auf dem Schoß im Empfangszimmer fand? Da habe ich es gesehen, Sie wollten mir weißmachen, Sie spielten nur aus Langeweile mit ihm, um sich die Zeit zu vertreiben. Aber ich ließ mich nicht hinters Licht führen. Ich wußte auch, was Sie damals dachten. Soll ich es Ihnen sagen?«
Noch immer lächelte ihr Mund und sie hielt den Blick gesenkt. In seinem Bestreben ihr in die Augen zu schauen, kam sein Gesicht dem ihrigen ganz nahe. Er glaubte, denselben Ausdruck zu erkennen, den er schon einmal darin gesehen hatte.
»Sie dachten, das arme Knäblein wäre ganz allein und verlassen,« fuhr er zögernd fort – warum mochte nur seine Stimme plötzlich so sonderbar zittern? – »Sie fühlten Mitleid mit ihm – gestehen Sie es nur – weil es der sorgenden Liebe entbehrte, deren es bedurfte – weil man es in dem großen Hotel einer gemieteten Wärterin anvertraute. Sie dachten daran, wie lieb Sie es haben würden, wenn es Ihnen gehörte, und wie grausam es sei, daß einem Menschen die Liebe ins Herz gegeben ist, und er doch keinen Gegenstand hat, dem er sie zuwenden kann. – Das alles stand in Ihrem Gesicht zu lesen. – Habe ich nicht recht?«
Bei dieser Frage hob sie plötzlich die Augen und sah ihn mit einem Blick an, der ihn gefangen nahm und nicht wieder losließ. Einen Moment versank seine ganze Seele in dieser leuchtenden Tiefe; dann wandte er erschreckt und verstört die Augen ab. Was er dort geschaut, das kam ihm nicht klar zum Bewußtsein, aber mochte es auch sein was es wollte, jedenfalls veränderte es mit einem Schlage alle seine Beziehungen zu ihr, zu dem Raum der sie umgab, zu seinem Weibe, zu der ganzen Welt draußen. Es versetzte ihn in eine ihm unbekannte Welt. Wohl hatte er schon andere hübsche Frauen freimütig und bewundernd angeblickt, auch ihr selbst in die Augen geschaut, aber niemals mit solchen Gefühlen. Nun kam ihm auf einmal die Erkenntnis, daß was darin zu lesen war, durch ihn wachgerufen war, daß es die Antwort auf eine Frage sei, die er noch nicht einmal klar gedacht hatte. Die Gewißheit, daß sie jetzt beide durch ein geheimes, unwiderrufliches Einverständnis mit einander verbunden waren, kam über ihn. Unbeholfen stand er auf und trat ans Fenster. Auch sie erhob sich, aber viel langsamer und ruhiger. Sie legte ein Buch auf dem Tische zurecht, strich die Falten ihres Kleides glatt und nahm dann auf einem kleinen Sofa Platz. Nach solchen peinlichen Momenten findet die Frau ihre Fassung immer weit rascher und leichter wieder.
»Bei Ihrer Rückkunft werden Sie gewiß ein frohes Wiedersehen mit Ihrem Freunde Demorest feiern,« sagte sie in heiterem Ton; »denn er wartet natürlich schon in Hymettus auf Sie.«
Er wandte sich rasch um beim Klange des Namens, doch fühlte er zugleich, daß Demorest nicht mehr so große Wichtigkeit für ihn hatte. Auch traute er seiner Stimme noch nicht ganz, ja er wußte nicht einmal recht, was er sagen sollte. Da er noch zauderte, fuhr sie scherzhaft fort: »Es ist recht ärgerlich für Sie, daß Sie den Weg hierher so ganz unnützerweise machen mußten. Und Sie haben noch nicht einmal Ihre Frau zu sehen bekommen.«
Seltsam! Was Demorests Name nicht bewirkt hatte, brachte die Erwähnung seiner Frau zu stande: sie rief ihn in die Wirklichkeit zurück. Doch mit dem Unterschied, daß ihn in seiner Verworrenheit instinktmäßig das Gefühl ergriff, er könne sie jetzt nicht sehen. So schritt er denn nach dem Sofa hin, nahm neben Frau Hornburg Platz und sagte ohne sie anzuschauen, den Blick auf den Boden geheftet:
»Ich müßte morgen jedenfalls sehr früh aufbrechen und da scheint es mir doch kaum der Mühe wert, ihre Nachtruhe zu stören. Es wird wohl am besten sein, wenn sie gehörig ausschläft und morgen ganz still mit Ihnen bis zur Abfahrt der Post hier bleibt. Dann fahren Sie beide zusammen hinüber. Mein Pferd steht gesattelt da und ich kann Hymettus noch erreichen, ehe Demorest zu Bett gegangen ist.«
Als er aufstand war er genötigt, sie anzusehen. Frau Hornburg saß hoch aufgerichtet da und sah so strahlend schön aus, wie selbst er sie noch nie erblickt hatte. Sein Entschluß hatte sie plötzlich von einer schweren Last befreit – die gefährliche Begegnung der Ehegatten am andern Morgen, deren Folgen sich unmöglich voraussehen ließen, war dadurch in aller Ruhe abgewendet. Zudem erfüllte sie die ganze Art und Weise, wie er ihr sein Vorhaben mitteilte, mit einer halb ängstlichen Freude. Es lag eine gewisse Beklommenheit darin; sein offener Freimut, dem gegenüber auch sie sich schon oft so machtlos gefühlt hatte, war verschwunden.
»Ich glaube, so wird es wirklich am besten sein,« sagte sie, sich gleichfalls erhebend. »Dadurch bietet sich mir auch die Gelegenheit mit ihr zu reden, wie Sie es wünschten.«
»Mit ihr zu reden, wie ich es wünschte?« wiederholte Barker zerstreut.
»Nun ja – über Van Loo, meine ich,« fügte Frau Hornburg lächelnd hinzu.
»Versteht sich, über Van Loo,« fiel er ihr rasch ins Wort.
»Und dann will ich ihr sagen – das heißt nein – warum brauche ich es überhaupt zu erwähnen, daß Sie hier gewesen sind? Vielleicht macht ihr das nur Verdruß, wie Sie selbst vorhin äußerten.« Sie hielt erwartungsvoll inne; ihr Atem kam und ging.
»Es hätte gar keinen Zweck,« murmelte Barker zögernd – das alles vertrug sich so wenig mit seiner sonstigen Wahrheitsliebe, er kam sich selbst ganz fremd vor.
Frau Hornburg bemerkte nur zu gut, was in ihm vorging. »Sie können es ihr ja auch später mitteilen, wenn Sie es für nötig halten,« sagte sie und fügte mit reizender Schalkhaftigkeit hinzu: »Da sie Ihnen nichts davon gesagt hat, daß sie herkommen wollte, sehe ich nicht ein, weshalb Sie verpflichtet sind, ihr zu erzählen, daß Sie hier waren.«
Diese Spitzfindigkeit gefiel Barker, obwohl er nie von selbst daran gedacht hätte, seiner Frau Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Wie Frau Hornburg die Sache darstellte, sollte sie ja auch nur einen Scherz bedeuten.
»Sie haben ganz recht,« versetzte er; »sagen Sie ihr nichts davon.«
Er ging der Thüre zu, den weichen, breitkrempigen Filzhut in der Hand. Zum erstenmal fiel ihr auf, daß er in seinen Reitstiefeln und dem langen mexikanischen schwarzen Shawl um die Hüften viel größer aussah und auch weit eher wie der Held eines verliebten Stelldicheins als Van Loo. »Ich weiß, Sie sehnen sich danach, Ihren alten Freund zu begrüßen,« sagte sie in munterm Ton. »Es wäre sehr eigennützig von mir, wollte ich suchen, Sie noch länger zurückzuhalten. Für Sie ist der Abend recht langweilig gewesen, aber mir ist er dadurch verschönt worden, daß ich erfahren habe, was Sie von mir denken. Ehe Sie fortgehen muß ich Ihnen noch sagen, daß ich stets danach trachten werde, mir Ihre gute Meinung zu erhalten.« Sie sprach mit vollster Offenheit, während in Barkers Wesen eine gezwungene Höflichkeit lag; es war, als hätten Sie die Charaktere ausgetauscht.
Nun reichte sie ihm die Hand, die er, ohne aufzusehen, mit einer tiefen Verbeugung ergriff. Wieder schien jenes geheime Einverständnis zwischen ihnen obzuwalten; selbst ihre Pulse schlugen im gleichen Takt. Ob er unbewußt ihre Hand gedrückt und sie den Druck erwidert hatte, vermochte er nicht zu sagen, aber als ihre Hände sich lösten, war es, als sollten sich zwei voneinander trennen, die an Leib und Seele eins geworden sind.
Sie blieb an der offenen Thüre stehen, bis sein Fußtritt auf der Treppe verhallt war. Dann trat sie ins Zimmer zurück und schloß sich ein. Gewiß würde Frau Barker wieder zum Vorschein kommen, sobald er fort war und sie wollte gern einen Augenblick allein sein, um sich zu sammeln. Bald öffnete sie jedoch abermals die Thüre und lauschte hinaus. Im Hofe entstand ein Geräusch, aber es klang mehr wie Räderrollen, als wie der Hufschlag eines Pferdes. Bei dem Gedanken an das unglückliche Weib, das sich noch immer vor ihrem Gatten verbarg, überkam Frau Hornburg plötzlich das tiefste Mitgefühl; eine edelmütige Regung bemächtigte sich ihrer. War sie wirklich so ›gut‹, wie Barker glaubte? Fühlte sie sich deshalb so beseeligt, weil sie der unwürdigen Kitty soeben eine große Wohlthat erwiesen hatte? – Sollte sie ihren Lohn in dem Bewußtsein finden, daß das Glück und die Versöhnung der Ehegatten ihr Werk sei? Seltsamerweise füllten sich ihre schönen Augen mit Thränen bei dem Gedanken an dies erfreuliche Ergebnis ihrer Bemühung; aber sie schluckte sie rasch hinunter und eilte in den Korridor hinaus. Es war ganz dunkel; nur an dem äußersten Ende glaubte sie einen schwachen Lichtschimmer zu sehen, als hätte Frau Barker die Schlafstubenthür ein wenig geöffnet, um ängstlich auf jeden Laut zu horchen. Sie lief dorthin, von wo der Schein kam und stieß die Thüre auf – das Zimmer war leer – von Kitty keine Spur – auch ihre Handschuhe und ihr Shawl verschwunden – sie war fort.
Frau Hornburg traute ihren Augen kaum. Hatte sich Kitty vielleicht aus Angst in ein anderes Zimmer geflüchtet, als sie die Thüre gehen und ihren Gatten herauskommen hörte? Sie leise beim Namen rufend ging sie den Korridor entlang; ja, sie drang sogar in das schwach erleuchtete allgemeine Gastzimmer, um zu sehen, ob sie nicht dort in irgend einer Ecke kauere. Plötzlich fiel ihr ein, die Aermste könne vielleicht ihre Handlungsweise bereut und es vorgezogen haben, unten im Bureau auf ihren Gatten zu warten. Eine neue Lüge zu erfinden war ihr ein leichtes gewesen; dann hatte sie Barker gebeten, sie mitzunehmen, und er that ihr natürlich den Willen. So kam es auch, daß sie Wagenräder gehört hatte, statt des Hufschlags, auf den sie horchte. Vermutlich war das Ehepaar im Einspänner fortgefahren, wie Barker zuerst beabsichtigt hatte.
Rasch schlüpfte Frau Hornburg die Treppe hinunter und betrat das Bureau. Der Hausmeister war sehr beschäftigt und kurz angebunden. Er konnte doch den Frauenzimmern unmöglich auf ihre endlosen Fragen Rede stehen. – Jawohl, Herr Barker war fort.
»Ist er mit seiner Frau im Einspänner weggefahren?«
»Nein – geritten – ganz wie er ankam. Frau Barker ist schon seit einer halben Stunde fort.«
»Allein?«
Jetzt schien die Langmut des Mannes erschöpft. Er hob die Augen zur Decke empor und antwortete langsam und nachdrücklich, indem er bei jeder Silbe mit dem Bleistift auf sein Pult schlug: »Die Frau von Georg Barker – ist von hier – mit ihrem Begleiter – dem Herrn – nach dem – sie beständig – gefragt hat, Punkt 9 Uhr 35 Minuten – im Einspänner fort–ge–fahren.« Hiernach vertiefte er sich wieder in seine Arbeit.
Frau Hornburg stürmte die Treppe hinauf in das Wohnzimmer; dröhnend fiel die Thür hinter ihr zu. Sie war allein in dem verlassenen Hotel – in dem leeren Raum.
Atemlos, hoch aufgerichtet, stolz und drohend stand sie mitten im Zimmer. Durch diese Thür war ihr Mann mit einer Roheit auf den Lippen von ihr gegangen. Von hier aus war die Thörin und Lügnerin, die sie hatte retten wollen, in ihr Verderben geeilt. Und aus diesem Zimmer war auch – verstört, belogen und betrogen – der einzige Mann in der Welt fortgegangen, der ihr je teuer gewesen. Jetzt wußte sie, daß sie ihn hätte festhalten und trösten können – aber es war zu spät.