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8

Abercron saß in dem Sessel, der in der Ecke stand. Steegen bemerkte, daß der Großindustrielle schlechter Laune war. Das konnte ihm gelten, weil er sich verspätet hatte, es konnte sich aber auch auf die Hochzeit im ganzen beziehen. Man war nicht sicher, daß er nicht plötzlich aufstand und hinausging. Arme Dorette! dachte Steegen. Ihm fielen ihre Worte ein: »Wenn es in der nächsten Woche nicht zur Heirat kommt, weiß ich nicht, wie es werden soll!«

Dorette schien sich nicht sonderlich um die Laune ihres Verlobten zu kümmern. Besondere Festfreude war auch ihr nicht anzumerken. Sie sah eher ein wenig gelangweilt aus, aber das war wohl an diesem Abend die einzig mögliche Haltung für sie. Sie stritt sich mit Herrn Schwarzer über eine Schauspielerin, die gestern bei einer Premiere einen beispiellosen Erfolg gehabt hatte. Die Theater hatten seit acht Tagen zu spielen begonnen. Herr Schwarzer saß schwerknochig und unbeweglich auf dem schmalen Stuhl. Sein breiter brauner Scheitel bewegte sich nicht, während er sprach. Die kräftigen Kiefern mahlten die Worte heraus. Dieser Herr Schwarzer war also Abercrons bester Freund. Steegen fand ihn ungemein scheußlich.

Eigentlich hätten sie nach der Verabredung allein sein müssen. Aber man hatte noch Fräulein Strauch dazugeladen. Die junge Susanne Strauch, die nach Kinorollen suchte. Und noch ein Herr war anwesend, den Steegen nicht kannte. Ein großer bildhübscher Junge mit einer riesigen weißen Geranie im Knopfloch des tadellosen Smokings. Vielleicht hatte Fräulein Strauch ihn mitgebracht. Er schien den andern fremd zu sein. Abercron machte ihn als Dr. Will bekannt.

Steegen verbeugte sich und brachte einen kurzen Glückwunsch vor. »Ach du mein lieber Gott!« brummte Abercron und reichte ihm die große fleischige Hand über den Tisch. »Wem gratulieren Sie? Mir oder Frau Blankenhorn? Und überhaupt ist die Trauung noch nicht vollzogen!« Steegen warf einen Blick zu Dorette hinüber. Sie hatte bei Abercrons Bemerkung nur einen Augenblick in ihrem Gespräch ausgesetzt und redete sofort weiter. Aber es zuckte um ihren Mund. Steegen fühlte, daß sie nahe daran war, aufzuweinen und hinauszustürzen. Susanne Strauch verkniff sich ein Lächeln.

Steegens Platz war zwischen Herrn Schwarzer und Herrn Dr. Will. Der Kellner servierte ihm Hummer nach. »Ist das wahr, daß Sie 26. Husar waren?« fragte Abercron geräuschvoll über den Tisch. Abercron saß zwischen den beiden Damen, ohne sich sonderlich um sie zu bekümmern.

»Jawohl. Oberleutnant bei den 26. Husaren.«

»Und weshalb sind Sie nun Stallmeister?« Es war klar, daß Abercron seine schlechte Laune an jemandem auslassen wollte.

»Es wird nicht lange dauern. Ich werde in einigen Wochen die Leitung eines Privatgestüts übernehmen.« Steegen fühlte die Karte an Engelke in der Tasche. Er hatte sie noch nicht abgeschickt.

»Wo?«

»Oben in Ostpreußen. Fünftausend Morgen. Bis jetzt sind zweihundert Pferde da.«

»Also große Sache!« sagte Abercron anerkennend.

»Jawohl, große Sache!«

Dorette sprach weiter mit Herrn Schwarzer, Fräulein Strauch mit Dr. Will. Steegen und Abercron saßen sich schweigend an den beiden Enden des Tisches gegenüber. Sie waren mit dem Essen beschäftigt, manchmal aber blickten sie sich an. Abercron schien reden zu wollen und schwieg weiter. Diese Haltung barg Gefahren in sich. In Abercron konnten sich unvermutet Entschlüsse verdichten. Dorette entging das nicht. Manchmal wandte sie sich nach der andern Seite, um das Wort an ihren Verlobten zu richten, aber eine stärkere Kraft schien sie zu lähmen. »Wenn man etwas will, dann gehorcht einem auf einmal nichts mehr!« hörte Steegen ihre Stimme wieder vor sich. Er fühlte, was in Dorette vorging, er nahm teil an dem stummen Kampf, den sie führte. Übrigens war ihr nichts anzusehen. Wie ein verwöhntes wolkiges Geschöpfchen, dem diese Umgebung nicht ganz zu behagen schien, saß sie zwischen den beiden Herren. Sie hat Mädchenarme, stellte Steegen fest, entzückende, unberührte und ein wenig rührende Mädchenarme!

Auf einmal schob Abercron seinen Teller zurück und erhob sich. Dorette und die kleine Strauch waren viel zu gewandt, um auch in diesem Augenblick ihr Gespräch zu unterbrechen. Abercrons Bewegung schien die selbstverständlichste Sache von der Welt, aber wie sein schwerer großer Körper nun über den Tisch wuchtete, war alles möglich. Er konnte einfach hinausgehen und die Gesellschaft sitzen lassen. Vielleicht war er sich selbst noch nicht über den Zweck seines Erhebens klar.

»Du vermissest wohl dein Telefon?« fragte Dorette und löste den Bann. In ihren Worten lag etwas von Spott, aber zugleich schwang eine liebevolle Besorgnis mit. Ein Gott hatte ihr die Frage und den Ton eingegeben. Alle mußten lachen, da das Bild des ewig telefonierenden Abercron sich einstellte.

»Was Telefon!« brummte der Großindustrielle. »Ihr seid mir zu langweilig in dieser Ecke!« Er machte einige Schritte, zog einen Stuhl herbei und ließ sich neben Steegen nieder. Das Gespräch ging weiter. Man überließ den seltsamen Bräutigam in dieser Krisenstimmung am besten sich selbst. Herr Schwarzer griff von Zeit zu Zeit nach dem Glas. Er suchte vergeblich nach dem richtigen Augenblick, den offiziellen Toast auf das junge Paar auszubringen. Ein unrichtiges Wort zur falschen Zeit konnte immer noch Opposition von ungeahnter Heftigkeit auslösen.

»Wenn Sie alter Husarenoffizier sind, ist das etwas anderes«, sagte Abercron zu Rolf Steegen. »Man hat vertrauten Boden unter den Füßen.« Wieder sah es aus, als wollte er ein langes Gespräch beginnen, wie vor einigen Tagen, als er während des Reitens nach Dorette zu fragen anfing. Aber er zündete sich nur eine Zigarette an und verstummte wieder. Dr. Will erzählte eine Anekdote, die Gelächter auslöste. Er hatte eine besondere Art, mit einer leisen und schüchternen Stimme gewagte Sachen zu sagen. Der Kellner trug eine neue Platte auf. Weil sich Abercron zwischengeklemmt hatte, drängten sich auf dieser Seite des Tisches die Teller, aber niemand wagte es, hinaufzurücken und Abercrons verlassenen Platz einzunehmen. Zu dem saftigen Hirschrücken, der in Sahne schwamm, füllte man die Gläser mit einem schweren Bordeaux.

»Ich denke«, sagte Herr Schwarzer und erhob ein wenig sein Glas, »es ist nunmehr an der Zeit, der besonderen Veranlassung dieser Sitzung zu gedenken.« Er sah fragend zu Abercron hin. Der winkte ab. »Wir wollen keiner besonderen Veranlassung gedenken, Kinder!« sagte er. »Noch ist nicht morgen.«

Sie fühlten alle, daß das einfach nicht so weiterging. »Herrschaften!« fuhr Herr Schwarzer auf. »Ich denke, wir sind hier zu einem Hochzeitsschmaus eingeladen. Hol Sie der Teufel, Abercron, wenn Sie uns die Stimmung verderben. Denken Sie, man hat seine Abende gestohlen? Nehmen Sie Ihr Glas in die Hand, Menschenskind, und tun Sie uns Bescheid. Sie kriegen da ein bezauberndes Geschöpf zur Frau, und die gnädige Frau bekommt einen der tadellosesten Gentlemen. Ich glaube, das ist eine glatte Sache!« Auch jetzt stand der breite braune Scheitel unbeweglich über Stirn und Ohren, und die Unterkiefer mahlten die Worte heraus. Herr Schwarzer war ungeheuer geschickt. Hinter den burschikosen Worten verbarg sich eine Angst, dem Industriellen irgendeine verhängnisvolle Pointe zuzuschieben, die er ergreifen könnte. Um Gottes willen nichts über den Abschied vom Junggesellenleben und kein Wort, das auf Vergangenes hindeutete! Man konnte eigentlich überhaupt nichts sagen, ließ am besten das Standesamt gänzlich unerwähnt und spielte nicht einmal auf die bewährte Gastfreundschaft des Hauses Abercron an. Die Sätze gingen wie auf Eiern.

Dorette sah aufmerksam zu dem Sprecher hin. »Nun bin ich aber neugierig!« sagte sie, als Herr Schwarzer eine kleine Pause machte. »Das sind wir alle!« fing der Redner das Wort auf. »Man ist immer neugierig, wenn sich zwei Menschen gefunden haben und nun gemeinsam durchs Leben weitertanzen wollen. Also Kinder, wir grüßen euch und sagen euch unsere herzlichsten und aufrichtigsten Glückwünsche. Abercron und Frau Dorette!« Er hielt erst Dorette das Glas hin. »Das ist schrecklich feierlich!« sagte sie und stieß mit ihm an. Dann beugte sie sich über den Tisch zu ihrem Verlobten hinüber und suchte sein Glas. In diesem Augenblick sah sie wieder wie ein kleines Mädchen aus, das an ihrem Hochzeitstag alles Glück der Erde vom Himmel erflehen möchte. Steegen konnte nicht anders als sie anstarren.

»Abercron«, hörte er ihre Stimme, »ich denke, es wird schön zwischen uns werden!« Der Industrielle sah sie an. Die andern konnten glauben, daß er mit diesem Blick nochmals alles überflog, ihr Gesicht, ihre Schultern, ihr Kleid, und Besitz von ihr ergriff. Aber Steegen entdeckte in Abercrons Augen wieder diese heimliche Angst, eine kaum zu meisternde Angst, die er schon mehrmals an ihm beobachtet hatte. »Glaubst du das wirklich?« fragte er zurück. »Nun denn, Dorette!« Sie stießen miteinander an. Dorettes Glas lag fest in der Hand, das Glas Abercrons zitterte, und an drei Seiten lief die dunkle ölige Flüssigkeit über, auf das Tischtuch, in Dr. Wills Teller, in Abercrons Ärmel hinein.

»Komm her, du Bär!« sagte Dorette und wischte ihm mit ihrem Taschentuch das Handgelenk ab.

Die Tischrede hatte einen Bann gebrochen. Susanne Strauch war die erste, die ausgelassen wurde. Dr. Will sekundierte ihr. Herr Schwarzer wollte zum Champagner übergehen. Über der Lustigkeit der drei merkte man kaum, daß Abercron, Dorette und Steegen schweigsam blieben. Noch immer stand der Platz zwischen den beiden Frauen leer. Rolf Steegen mußte von Zeit zu Zeit dorthin sehen. Es schien ihm wie aus einer magischen Fernwirkung heraus, daß sich niemand auf diesen Stuhl zu setzen wagte. Saß dort vielleicht schon jemand, unbemerkt von allen? Blankenhorns Schatten? Hatte Rolf Steegen nicht in jedem Augenblick, seit er an den Tisch getreten war, an Blankenhorn denken müssen? Dort, hinter jenem verhängten Fenster, hatte der Rechtsanwalt ihm soeben den Hergang der Mordtat geschildert. Genau so war sie verlaufen! Niemand wußte es besser als er selber. Er sah die alte Mauer in dem verwachsenen Winkel vor sich, aus der man die verwitterten Mauersteine herausbrechen konnte. Das wurmstichige Brett, das die Hinterwand des alten Bücherregals bildete. Die lange Reihe der vergilbten Bände von Varnhagens Erinnerungen. Die Spuren waren entdeckt. Es waren die richtigen Spuren.

»Sie sind also Offizier gewesen«, fing Abercron noch einmal neben ihm an. Er sprach merkwürdig leise, nicht nur, um von den andern nicht gehört zu werden, sondern weil ihm jedes Wort eine Qual schien. »Sagen Sie, was war Blankenhorn für ein Mensch? Ein furchtbarer Patron, nicht wahr?« Es schien ihm daran zu liegen, daß Blankenhorn ein wahrer Teufel gewesen war. »Einer, der vor den Augen seiner Familie die tollsten Weibergeschichten machte, das Geld durchbrachte, während seine Familie Not litt, nicht wahr? Er schlug mit der Reitpeitsche auf den Tisch, nicht wahr? Kein Scharwerkmädel soll vor ihm sicher gewesen sein. Er verweigerte den Töchtern das Geld zu ihrer Ausbildung. Sie durften kaum in die nächste Kleinstadt fahren, um sich die notwendigsten Dinge zu kaufen. Und seine Frau kommandierte er einfach in seine Schreibstube, wenn er nach ihr verlangte, und wenn sie sich weigerte, bedrohte er sie. Ist das alles wahr?''

»So ist er wohl gewesen«, gab Steegen bedächtig zu. Einige Dutzend ähnlicher Szenen fielen ihm ein, bei denen Blankenhorn mit der Reitpeitsche in der Hand durch das Haus gerannt war, und jene eine Stunde, da der Gutsherr ihn selber angeschrien und mit der Reitpeitsche bedroht hatte. Zu niemandem hatte Steegen darüber gesprochen, nicht einmal zu Dorette. Aber Monate hindurch war er von Zeit zu Zeit rot geworden, urplötzlich mitten in einem Gespräch oder auch, wenn er für sich allein durch die Felder ritt. Er war dem furchtbar starken Mann gegenüber machtlos gewesen, und der andre hatte seine Überlegenheit mit einem wollüstigen Behagen ausgekostet.

Zum erstenmal seit Monaten dachte er wieder daran, und auch diesmal würde kein Wort davon über seine Lippen kommen. Wenn er erzählte, wie Blankenhorn mit ihm verfahren war, dann blieb kaum eine andre Annahme übrig, als daß er, Steegen, ihn erschossen hatte. Aber war dieser Mann nicht mit allen Menschen so umgegangen? Und weshalb hatten sie es ertragen? Weil sie es ertragen mußten! Das war gerade das Furchtbare an diesem Mann gewesen, daß er alle in der Hand hielt und sie zappeln ließ. Es gab da kleine gemeine Listen, mit denen er sich zum Herrn über sie machte.

»So ist er wohl gewesen«, sagte er noch einmal. »Man kann sich kaum eine Vorstellung von einem solchen Menschen machen.«

»Er soll aber doch, solange seine erste Frau noch lebte, ein durchaus einwandfreier Mann gewesen sein? Ich habe gehört, daß der Teufel ihn erst ritt, als diese Frau gestorben war.«

Steegen warf einen Blick zu Dorette hinüber. Vielleicht wollte Abercron sagen, daß Blankenhorn erst vom Teufel geritten war, seit er Dorette geheiratet hatte. War es das, wovor Abercron sich fürchtete: man heiratete diese Frau und auf einmal veränderte man sich, brachen verdeckte Triebe hervor, wurde man von einem tollwütigen Wahnsinn übermannt?

»Ich weiß nicht, wie das war«, sagte er. »Herr Blankenhorn hat vor seiner ersten Frau vielleicht Angst gehabt. Er hatte alle seine Triebe zurückdämmen müssen, und sie brachen dann hervor, als er frei war. Ich kann mir denken, daß es so gewesen ist.«

»Es kann auch anders gewesen sein«, sagte Abercron. Er meinte offensichtlich, daß Dorette ihren Mann zum Wahnsinn getrieben hatte. Er nahm einen tiefen Zug aus dem Rotweinglas. Die andern waren zu Sekt übergegangen, er aber blieb bei dem Bordeaux, der seiner Stimmung entsprach.

Das ist doch alles gleichgültig, dachte Steegen. Der Rechtsanwalt hatte die Spuren entdeckt. In einigen Wochen mußte alles anders aussehen. Dorette war Mitwisserin und vielleicht Anstifterin. Man würde ihn und sie verhaften. Oder wartete man wirklich noch darauf, daß auch Abercron zum Opfer wurde? Er wandte sich um. Rechtsanwalt van Holten und seine Gesellschaft waren noch da. Es schien sehr lustig bei ihnen herzugehen. Holten hatte sich so gesetzt, daß er Abercrons Tisch im Auge behielt.

»Entschuldige!« hörte man plötzlich Dorettes Stimme. »Ich bin furchtbar müde und möchte nach Hause.«

Abercron wachte wie aus tiefen Gedanken auf. Ist er betrunken? fragte Steegen sich. Abercron war von den wenigen Flaschen natürlich nicht betrunken, aber auf eine besondere Weise der Gegenwart entrückt. Der Bordeaux hatte seinen Körper eingeschläfert, und sein Geist trieb in gesteigerter Klarheit im Weltraum.

Er winkte mit der Hand und erhob sich schwerfällig, als ob er sich von irgend etwas losreißen müßte. »Verzeih«, sagte er. »Ich bin heute ein schlechter Gesellschafter. Es soll besser werden. Schwarzer, Sie bringen Frau Blankenhorn nach Hause, nicht wahr? Für den Bräutigam schickt sich das nicht, was? Und ihr geht auch, Kinder!« Das galt »Susannchen« und Dr. Will. Steegen aber, der sich gleichfalls erhoben hatte, drückte er auf den Stuhl zurück. »Sie bleiben noch ein bißchen, mein Junge!«

»Gern!« sagte Steegen und stand auf, um Dorette zum Abschied die Hand zu küssen. Er wunderte sich, wie heiß und trocken ihre Hand war. Dorette war im Kampf. Noch immer konnte eine ungeschickte Bewegung von ihr alles verderben. Es war kein besonderer Druck, der von dieser Hand ausging. Dorette warf ihm auch keinen bedeutungsvollen Blick zu. Nicht einmal, daß sie es vermied, ihn zum Abschied anzusehen. Dennoch wußte er, daß sie ihn in der »Vitrine« erwarten würde.

Die vier Personen schritten durch das Lokal dem Ausgang zu. Steegen sah ihnen nach. Vor zwei Stunden war er mit Holten zusammen durch die Tür hereingetreten. Jetzt ging Dorette an Holtens Tisch vorüber. Der Rechtsanwalt konnte jeden ihrer Schritte beobachten, und sie wußte genau, daß dort der Feind saß. Steegen wartete auf ein Aufblitzen in Holtens Augen oder auf eine kleine Abweichung in Dorettes Gang, aber nichts erfolgte. Ohne Anteil gingen sie aneinander vorüber. Abercron konnte nicht ahnen, daß diese beiden Menschen sich auf Tod und Leben bekriegten. Holten und Dorette, die von morgen ab seine Frau sein würde.

»Es gibt hier noch einen Bordeaux, wie ich ihn nicht im Keller habe«, sagte Abercron mit schläfriger Zunge. Er lallte bereits ein wenig, aber nur, weil ihm seine Zunge gleichgültig geworden war. »Ober, diese Nummer!«

Es war seltsam, mit diesem Mann jetzt allein an dem verlassenen Tisch zu sitzen. Noch immer schien der Platz, auf dem Abercron ursprünglich gesessen hatte, auf eine ganz besondere Weise leer. Die andern Stühle waren einfach verlassen. Dort hatte Dorette gesessen, dort Susanne Strauch, dort Herr Will, den niemand kannte, dort dieser sehr scheußliche Herr Schwarzer, dem man dennoch die diplomatische Geschicklichkeit und den guten Willen nicht absprechen konnte. Ohne ihn wäre vielleicht die ganze Hochzeit nicht zustande gekommen. Aber auf dem breiten Stuhl in der Ecke faß schon seit einer Stunde niemand, und doch schien er noch immer auf eine merkwürdige Art besetzt zu sein.

»Steegen!« fing Abercron noch einmal mit dem gleichen Motiv an. »Sie sind alter Kavallerieoffizier, was? Sie kennen Dorette lange, was? Sie haben Blankenhorn und die ganze Geschichte durchgemacht, was? Sagen Sie, halten Sie es für möglich, daß Dorette mich liebt? Mich richtig liebt?«

Steegen sah ihn erstaunt an.

»Sehen Sie, viele Weiber haben mir aus durchsichtigen Gründen Avancen gemacht. Ich habe nie sonderlich viel darauf gegeben. Aber diese Frau hat mir geschworen, daß sie mich liebt. Verrückt, was? Und sie hat mich durch tausend kleine Anzeichen davon überzeugt. Durch eine geradezu grenzenlose Einfühlsamkeit in mich. Einfühlsamkeit ist natürlich Blödsinn, aber es war so. Noch nie hat mich ein Mensch so verstanden wie sie. Verstehen Sie das? Alles ganz schön und gut, was? Ich werde sie heiraten, Sie selbst werden Trauzeuge sein. Aber dann wird es sich herausstellen. In drei Tagen oder in drei Wochen werde ich dahinterkommen, daß sie mich irgendeines durchsichtigen Zweckes wegen heiratete. Weil sie meinen Namen oder mein Geld braucht. Ich bin ein gerissener Hund Steegen. Ich werde es sofort bemerken, bei der leisesten Andeutung. Finden Sie nicht auch: sie hätte das nicht tun dürfen! Halten Sie es für möglich, daß sie mich wirklich liebt? Sie kennen sie doch. Sie haben die Geschichte ihrer Ehe miterlebt.«

»Wenn Frau Blankenhorn Ihnen bewiesen hat, daß sie Sie liebt?«

»Sie hat es bewiesen. Sie hat mich in tollen Situationen gesehen und immer den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie hat mit einem Wort Lösungen herbeigezaubert, bei denen ich erschauerte. Aber dennoch wird es kommen, Steegen. Todsicher wird es kommen, daß ich auf einmal alles durchschaue. Und das wird mein Ende sein. Glauben Sie mir: mein Ende!«

Abercron legte sich in den Stuhl zurück und schlürfte den Wein hinunter, den der Kellner gebracht hatte.

»Sie hätte mir sagen sollen, daß sie Geld braucht oder auch meinen Namen!« fing er noch einmal an. »Aber sie hätte mir nicht sagen sollen, daß sie mich liebt. Denn man liebt mich nicht, Steegen. Glauben Sie mir, man liebt mich nicht. Ich hätte sie auch so geheiratet!«


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