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X.

Am Tage darauf, am Sonntag, kam der Schloßherr in höchsteigener Person zu dem Müller und bat ihn, sich um die Mittagszeit einzustellen und die Leiche des Lieutenant Otto nach dem Dampfschiff zu fahren. Der Müller verstand ihn nicht und starrte ihn an; der Schloßherr aber erklärte ihm, daß alle seine Leute einen freien Tag hatten, sie seien alle zur Kirche gegangen, es sei keiner der Diener zu Hanse.

Der Schloßherr hatte sicher die ganze Nacht nicht geschlafen, er sah aus wie eine Leiche, auch war er unrasiert. Trotzdem schwenkte er den Spazierstock auf seine gewöhnliche Weise und hielt sich aufrecht.

Der Müller zog seine beste Jacke an und machte sich auf den Weg. Als er die Pferde angespannt hatte, war ihm der Schloßherr selber behilflich, die Leiche auf den Wagen zu tragen. Alles ging still, beinahe geheimnisvoll vor sich, niemand war zugegen und sah zu.

Der Müller fuhr nach der Brücke. Hinterher kamen der Kammerherr und die Kammerherrin und außer ihnen die Schloßherrin und Victoria. Sie gingen alle ausnahmslos zu Fuß. Der Schloßherr blieb allein auf der Treppe stehen und grüßte mehrmals; der Wind zauste in seinem grauen Haar.

Als die Leiche an Bord gebracht war, ging das Gefolge hinterdrein. Von der Reeling aus rief die Schloßherrin dem Müller zu, er solle den Schloßherrn grüßen, und Victoria bat ihn um dasselbe.

Und dann dampfte das Schiff von dannen. Der Müller stand noch lange da und sah ihm nach. Es wehte stark und das Wasser war sehr bewegt; erst nach einer Viertelstunde verschwand das Schiff hinter den Inseln. Der Müller fuhr nach Hause.

Er zog die Pferde in den Stall, gab ihnen Futter und wollte hineingehen, um dem Schloßherrn die ihm aufgetragenen Grüße zu überbringen. Die Küchenthür erwies sich indessen verschlossen. Er ging rund um das Haus herum und wollte durch den Haupteingang hineingehen; aber auch die Hauptthür war verschlossen. Es ist Mittagszeit, und der Schloßherr schläft, denkt er. Da er aber ein gewissenhafter Mann war, der ausrichten wollte, was er übernommen hatte, so ging er in die Gesindestube, um jemand zu finden, dem er seine Grüße übergeben konnte. In der Gesindestube war kein Mensch. Er ging wieder hinaus, suchte ringsumher und kam sogar in das Mägdezimmer. Auch hier war niemand. Der ganze Hof war ausgestorben.

Er wollte gerade wieder hinausgehen, als er den Schimmer eines Lichts im Keller des Schlosses gewahrte. Er blieb stehen. Durch die kleinen, vergitterten Fenster konnte er deutlich einen Mann sehen, der mit einem Licht in der einen und einem rotseidenen Polsterstuhl in der andern in den Keller herein kam. Es war der Schloßherr. Er war rasiert und trug einen schwarzen Frack, als wolle er zu einem Fest gehen. Ich könnte vielleicht an das Fenster klopfen und ihn von der gnädigen Frau grüßen, dachte der Müller, blieb aber stehen.

Der Schloßherr sah sich um, leuchtete umher und sah sich abermals um. Er zog einen Sack hervor, in dem Heu oder Stroh enthalten zu sein schien, und legte ihn vor die Eingangsthür. Darauf goß er etwas Flüssiges aus einer Kanne über den Sack. Er schleppte darauf Kisten, Stroh und einen umgefallenen Blumentritt vor die Thür und übergoß auch dies aus der Kanne; der Müller bemerkte, daß er hierbei sorgfältig bemüht war, seine Finger oder seine Kleider nicht zu beschmutzen. Er nahm einen kleinen Kerzenstummel und brachte ihn oben auf dem Sack an, dann umgab er ihn vorsichtig mit Stroh. Darauf setzte sich der Schloßherr in den Stuhl.

Immer entsetzter starrte der Müller diese Anstalten an, seine Augen waren gleichsam an das Kellerfenster festgenagelt und eine finstere Ahnung drang in seine Seele. Der Schloßherr saß ganz still in seinem Stuhl und beobachtete das Licht, wie es tiefer und tiefer herunterbrannte; er hielt die Hände gefaltet. Der Müller sieht, wie er ein Staubkörnchen von seinem schwarzen Frackärmel wegknipst und abermals die Hände faltet.

Da stößt der alte, entsetzte Müller einen Schrei aus.

Der Schloßherr wendet den Kopf um und sieht zum Fenster hinaus. Plötzlich springt er auf und kommt ganz an das Fenster heran, wo er stehen bleibt und hinausschaut. Es war ein Blick, in dem sich alle Leiden der Welt abspiegelten. Sein Mund ist wunderlich verzerrt, er streckt seine beiden geballten Fäuste nach dem Fenster aus, drohend, stumm; zuletzt droht er nur noch mit der einen Hand und geht rücklings in den Keller zurück. Als er an den Stuhl stieß, fiel das Licht um. Im selben Augenblick schlug eine gewaltige Flamme in die Höhe.

Der Müller schreit auf und springt hinaus. Er läuft einen Augenblick ganz sinnlos vor Entsetzen auf dem Hof herum und kann keinen Rat finden. Er läuft an das Kellerfenster, stößt die Fensterscheibe ein und ruft; dann beugt er sich herab, umfaßt die eisernen Stäbe mit seinen Fäusten und rüttelt daran, verbiegt sie, reißt sie aus.

Da vernimmt er eine Stimme aus dem Keller heraus, eine Stimme ohne Worte, ein Stöhnen wie von einem Lebendigbegrabenen, es ertönt zweimal, und der Müller flieht von Schrecken übermannt über den Hof, den Weg entlang und nach Hause. Er wagte nicht, sich umzusehen.

Als er einige Minuten später zusammen mit Johannes zurückkehrt, stand das ganze Schloß, das alte, große hölzerne Gebäude in hellen Flammen. Ein paar Männer von der Brücke waren auch herbeigekommen; aber auch sie konnten nichts machen. Alles war verloren.

Der Mund des Müllers aber war verschwiegen wie das Grab.

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