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Zierenbergs Haus in Danzig. Gemach der Cordula im Stil der Zeit. Braune Eichentäfelung und schwere geschnitzte Schränke, mit einem Anflug polnischer Üppigkeit und Eleganz.
Spätnachmittag des gleichen Tages wie im vorhergehenden Akt. Die Strahlen der sinkenden Sonne fallen von links her durch die offenen Fenster in das hohe, geräumige Gemach. Cordula in halbliegender Stellung auf einem Ruhepolster. Sie trägt ein leichtes weißes durchsichtiges Gewand, das Hals, Nacken und Schultern freiläßt. Das schwere blonde Haar fließt aufgelöst bis zu den Knien herunter. Der linken Hand ist die Bibel auf den Boden entglitten. Mit der rechten Hand hält sie nachlässig einen goldenen Spiegel, in den sie dann und wann einen Blick hinein wirft.
Meister Jan von Harlem steht an der Staffelei, malt mit schneller, aber fester Hand.
Cordula fährt wie von einem Geräusch zusammen, horcht mit der linken Hand am Ohr Still! Die Treppe knarrt! Sind das nicht Schritte?
Meister Jan hält kurz inne, schüttelt den Kopf Eure Sinne fiebern, Herrin. Ihr hört Dinge, die nicht sind.
Cordula läßt die Hand wieder sinken Malt Ihr nicht auch Dinge, die niemand sieht, außer Euch selbst? Habt Ihr mir nicht den Spiegel hier in die Hand gegeben, darein Ihr ein Totengeripp' sich als mein Ebenbild widerspiegeln laßt? Woher habt Ihr das? Aus dem geschliffenen Glas oder aus Euch selbst?
Meister Jan Auch meine Sinne fiebern, Herrin. Das bedenkt!
Cordula So seid Ihr krank wie ich?
Meister Jan sieht auf, sein Gesicht verdüstert sich Ihr lebt und blüht. Und wäret Ihr für den Augenblick auch krank, so werdet Ihr wieder genesen.
Cordula Das werd' ich! So wahr Gott mir gnädig sei!
Meister Jan Von meiner Krankheit aber ist kein Genesen! Dies Fieber währt, solang' noch ein Strahl des Lichts in mein Auge fällt. Dies Fieber bleibt, solang' noch ein Nerv an meiner Hand sich rührt. Ein lebenslanges Fieber, Herrin! Ein Krampf, bestimmt, erst im Tode zu enden! Ermeßt daraus den Fluch, der mein Teil auf Erden.
Cordula sieht ihn an Wie das?
Meister Jan Den Fluch, alles was ist, in Farbe und Licht auflösen zu müssen, nichts um seiner selbst willen zu sehen noch zu genießen, den Dingen der Natur mit der Gier des Raubtiers gegenüberzustehen, immer auf dem Sprung, sie in sich zu fressen! Und doch ewig, ewig unersättigt! Ein anderer Midas, dem sich zu Farbe verwandelt, was ihm auch begegne: Mann und Weib! Freund und Geliebte! Glück und Gut! Wiege und Grab! Alles, alles zu Form und Farbe, nach dem Fluch, so ihm mitgegeben ... Er läßt den Pinsel sinken, starrt vor sich hin.
Cordula betrachtet ihn mit großen Augen Ist das Euer letztes Wort vom Leben und von Eurer Kunst, Herr Jan von Harlem? Wie mögt Ihr dann noch eine Stunde länger atmen?
Meister Jan fängt wieder an zu malen Achtet nicht darauf, Herrin! Es war nur so auf einen Augenblick der Schleier gehoben ...
Cordula Der Schleier ...?
Meister Jan Der uns das wahre Gesicht der Dinge wohltätig verbirgt.
Cordula Und was saht Ihr dahinter?
Meister Jan Der Schleier senkte sich wieder. Forscht nicht weiter.
Cordula sich ein wenig aufrichtend Einen Totenkopf saht Ihr wohl, Herr Jan von Harlem, gleich dem, der mich hier aus dem Spiegel angrinst und mir die Zähne zeigt? Sie hält den Spiegel vors Gesicht, spiegelt sich darin.
Meister Jan 's ist ja nur ein Spiel der Phantasie, ein Problema, aus dem Augenblick geboren, das mir den Totenkopf auf dem Bilde eingab. So Ihr wollt, übermal' ich's.
Cordula Tut das nicht, großer Meister! Zerstört nicht Eure sinnreichsten Einfälle! Oh, ich versteh' Euch besser, als Ihr annehmt, Herr Jan von Harlem! Vergleicht einmal: Ihr malt, was niemand sieht. Und was doch über ein kurzes sein wird. Nun und ich ... ich höre, was noch nicht ist. Und doch kommen wird. Kommen muß! Sie fährt wieder zusammen, horcht Still, still, still! Wieder die Tritte auf der Treppe! Das Klirren auf dem Flur! Jetzt scharrt's an der Schwelle! Noch einen Augenblick, so öffnet sich die Tür, und herein ... Sie schaudert zusammen, sinkt auf das Polster zurück.
Meister Jan malend, zerstreut Erwartet Ihr jemand zu Gast?
Cordula So ist's, Herr Jan von Harlem. Ich erwarte Gäste vor Abend. Eilt Euch, daß Ihr fertig werdet! Die Sonne sinkt. Seht Ihr nicht, wie sie da von den Dächern herüberblitzt?
Meister Jan Warum treibt Ihr so, Herrin? Seit der Mittagsstunde steh' ich an der Arbeit. Wie sollt' ich's in denen Stunden mehr als im Rohen vollenden? Gebt mir Zeit, es fertig zu bringen, wie sich's gehört. Morgen ist auch ein Tag.
Cordula Aber nicht mehr für mich!
Meister Jan Wie meint Ihr das?
Cordula lächelt gleichgültig Nun ja! Weil's mich langweilt, Euch hier steif wie ein Stock, Modell zu sitzen und Eures verruchten Ketzers, Eures Martinus Luthers Bibelverdeutschung in der Hand zu halten. Sie greift nachlässig nach dem Folianten, blättert darin, sieht wieder auf Weh' mir, wenn's unser hochwürdigster Prälat erführe! Hätt' ich wenigstens einen Tropfen Weihwasser darüber gesprengt! Ach, heilige Maria, Mutter Gottes, unbefleckte Jungfrau, was hätt' ich nicht alles gesollt! Wie hab' ich einst im weißen Kleidchen, mit langen Zöpfen, um ein unschuldig Herz zu dir gebetet! Und wie hast du mich zur Sünderin werden lassen! Zur Sünderin, wie keine andere auf Erden! Und willst mich nun auch büßen lassen, wie noch keine gebüßt! Sie beginnt leise zu weinen, preßt das Gesicht in die Hände.
Meister Jan Herrin! Bergt nicht Euer Gesicht in die Hände! Laßt mich den Ausdruck, gerade diesen, festhalten. Er stünde einer wirklichen Magdalena nicht übel an.
Cordula fährt auf Ihr tragt kein menschlich Herz in der Brust! Ihr seid ein Tiger Eurer Kunst! Ihr geht auf Beute, gleich der Hyäne!
Meister Jan Vielleicht trag' ich einen Panzer um mein Herz. Stoß- und kugelfest. Einen Panzer, den mir das Leben geschmiedet.
Cordula blättert wieder in der Schrift, liest »Ich sahe an alles Tun, das unter der Sonne geschiehet, und siehe, es war alles eitel und Jammer.« Sie sieht auf Wessen Weisheit ist das, Herr Jan von Harlem?
Meister Jan über das Bild wegblickend Des Salomonis, Herrin, der ein König war über Jerusalem.
Cordula Getroffen! Ihr seid ein Kenner! Nun dies! Sie blättert, liest wieder »Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal. Wie ein Apfelbaum unter den wilden Bäumen, so ist mein Freund unter den Söhnen. Er erquicket mich mit Blumen und labet mich mit Äpfeln. Denn ich bin krank vor Liebe.« Krank vor Liebe ... Sie erschrickt, hält inne Nun? Wessen ist's?
Meister Jan Des gleichen Salomonis hohes Liebeslied, zur Zeit, da er jung gewesen. Er malt mit fliegender Hast weiter.
Cordula faßt die Seiten zwischen ihre Finger Hier die Blume zu Saron. Hier alles eitel und Jammer. Nur drei dünne Blättchen dazwischen. Da habt Ihr des Lebens ganzen Gewinn. Ein Stückchen Liebe in jungen Jahren! Der Rest ist Galle und Bitternis!
Meister Jan hält einen Augenblick in der Arbeit inne Der Rest ist Verzichten, Herrin. Wohl dem, der's beizeiten gelernt!
Cordula wiederholt aus dem Buch »Er erquicket mich mit Blumen und labet mich mit Äpfeln, denn ich bin krank vor Liebe.« Sie schlägt die Hände vors Gesicht, schluchzt aus tiefster Brust Ich bin krank vor Liebe ... Krank zum Sterben, vor Liebe! Sie preßt das Gesicht in die Polster. Ihr ganzer Körper bebt in innerer Erschütterung.
Meister Jan läßt den Pinsel sinken, tritt zu ihr Herrin, faßt Euch! Kommt zu Sinnen! Und so's Euch ein Trost ist, so hört auf einen Mann, der das Höchste und das Tiefste erfahren, dem Weib und Kind dahingestorben, dem Hab und Gut zwischen den Fingern zerronnen, der sich aus der Sturmflut nichts gerettet, als seine aufrechten Glieder und den Blick des Auges, die Fertigkeit der Hand. Hört auf ihn und laßt Euch sagen: Wer einmal nur, nur einmal während seiner Tage von einer Kraft, einem Gefühl, einer Leidenschaft sich bis ins Innerste, Letzte entflammt, erfüllt, hingerissen gesehen hat, dem können hinfüro die Farben Himmels und der Erden nimmer verbleichen. Er bleibt geweiht und gesegnet, all seine Zeit, und noch an seiner Totenbahre halten zwölf gute Geister gegen der Hölle Dämonen Wacht. Laßt Euch des trösten, Herrin, und verzweifelt nicht! Er legt die Hand auf ihren Scheitel.
Cordula richtet sich unter seiner Berührung langsam auf, sieht mit großen Augen vor sich hin Ich weiß ein Rätsel, Herr Jan von Harlem, könnt Ihr das deuten?
Meister Jan Verzeiht! Da fällt mir eine Linie auf, die ich zuvor übersehen. Er tritt an die Staffelei, beginnt wieder zu arbeiten.
Cordula Wer ist der Treueste und Falscheste zugleich, der je gelebt? Wer der Göttlichste und der Verworfenste zugleich, den die Erde getragen? Wer ist von Himmel und Hölle gleicherweise enterbt und verstoßen? ... Kennt Ihr den Mann?
Meister Jan unterbricht sich in der Arbeit Herrin, ich begreif Euch. Und doch ... Wüßtet Ihr, was ich weiß, dürft' ich sprechen, wie ich zu schweigen gelobt ... Ihr tut ihm unrecht, Herrin! Bitterstes Unrecht!
Cordula mit schmerzgebrochenen Augen Unrecht? ... Ihm Unrecht! Bitterstes Unrecht, ihm? ... Um den Cordula Belicka ihren armen, sündigen Leib in die Hände des Henkers geben, ihr schuldiges Haupt auf den Richtblock legen wird! Wie unrecht tu' ich ihm!
Meister Jan Herrin! Was habt Ihr vor?
Cordula Die Häscher zu erwarten, deren Füße schon vor der Tür! Jobs Hamel hat sie mir noch vor Abend verheißen, und Jobs Hamel hält Wort. Eilt Euch, großer Meister! Der Abend naht. Und wenn Ihr mein Bild noch vollenden wollt, so ist es Zeit!
Meister Jan Ich hab' ihm Schweigen gelobt, aber hier geht's ums Leben, und Eile tut not! Er wendet sich zu Cordula Herrin! Rettet Euch, so schnell Ihr könnt! Um eines Phantasmas willen wollt Ihr Euch opfern. Herr Sebald Meinerts ist kein Verräter, wie Ihr's ihm zuschreibt. Herr Sebald Meinerts ist ein von schwerer Todeskrankheit unheilbar Befallener, ein Gezeichneter und Verlorener, dem sein Arzt das nahe Ende vorausgesagt.
Cordula Barmherziger Gott! Willst du die Schale deines Zorns bis zum letzten Tropfen über mich ausgießen? ... Mann! Mann! Warum habt Ihr mir das verschwiegen? Und da Ihr's verschwiegt, warum schweigt Ihr nicht bis zum Ende? Ihr habt's ihm gelobt, wie Ihr sagt? Warum brecht Ihr Euren Eid und brecht mir das Herz, noch eh' die Augen gebrochen?
Meister Jan richtet sich auf Ich will nicht, daß noch jemand sich sinnlos opfere! Ich will nicht, daß rotes heißes Menschenblut für einen Liebeswahn den Erdboden tränke! Ist's nicht genug an den Strömen von Blut, die tausend anderen Phantasmen zum Opfer fließen müssen? Wie ich ihn hasse, den Blutgeruch dieser Tage! Er fährt sich über die Stirne, faßt Cordula bei der Hand Büßt, was Ihr zu büßen habt, durch das Leben und nicht durch den Tod! Wo Ihr nicht klüger tätet, Euch glücklich zu schätzen, daß es Euer war! ... Kommt, Gräfin! Ich will Euch behilflich sein. Will Euch in Sicherheit bringen. Nur fort aus der Stadt! Fort! Fort!
Cordula ohne auf ihn zu hören So war's nicht Verräterei! ... Verzweiflung war's, was ihn fortgetrieben!
Meister Jan Wohl möglich, daß der Augenblick ihn übermannt, daß er in Trotz und Verachtung sich von den Menschen abgekehrt und in die Verlassenheit geflüchtet. Aber die Zeit verrinnt. Ihr sollt, Ihr müßt Euch retten!
Cordula springt auf Ja, zu ihm! Ihn suchen! Ihn finden! Mit ihm sterben!
Meister Jan Unmöglich, Herrin! Wie seinen Schritten auf die Spur kommen? Die Welt ist weit. Und wer ein Plätzchen zum Sterben sucht, der mag's wohl finden, wo keine Menschenseele es ahnt.
Cordula Wer ein Plätzchen zum Sterben sucht ... Reicht mir doch von dem Wasserkrug dort. Mein Gaumen ist wie vertrocknet. Während Meister Jan zum Tisch geht und aus dem Krug einschenkt, zieht sie ein Fläschchen aus dem Busen, setzt es mit kurzem Entschluß an den Mund Gott! Gott! Sei mir gnädig! Sie trinkt das Fläschchen leer, läßt sich auf das Polster zurücksinken.
Meister Jan bringt ihr den Becher mit Wasser Da, trinkt Herrin! Trinkt Euch Kraft für das, was kommt!
Cordula Die will ich mir trinken! Habt Dank! Sie nimmt den Becher, trinkt ihn langsam aus.
Meister Jan Und jetzt kein Säumen länger!
Cordula Herr Jan von Harlem! Nehmt Euren Pinsel und bringt mein Bild zu Ende. Ich bleibe, wo ich bin.
Meister Jan Auch Ihr ein Opfer Eures Wahns, Herrin? Wie ich so viele, viele sah!
Cordula Mein Bild, Herr Jan von Harlem, mein Bild! Ihr seid es seinem und meinem Gedächtnis schuldig!
Meister Jan tritt zur Staffelei, nimmt den Pinsel, übersieht seine Arbeit Es bleibe, wie es ist. Unvollendet und doch nachglühend von dem Fieber dieser Stunden. Nur noch wenige Pinselstriche an Mund und Augen! Ehbevor es dämmert.
Cordula Ein Sommerabend, süß wie Kinderträume! Sie schweigt einen Augenblick, fährt dann auf Wo nur er bleibt? Warum er mich nur warten läßt?
Meister Jan wieder in die Arbeit vertieft Wer, Herrin?
Cordula Daß doch die Menschen einander so spät, zu spät verstehen! Jedes Wort von ihm klingt mir nun, da es für immer verklungen! Jeder Blick seiner Augen ist mir nun klar wie das Himmelslicht! Und da er mich bat, ihm zu folgen, da er sich an mich klammerte in letztem Verzweifeln, wie war ich taub! Wie war ich blind! Daß doch wir Menschen einander so spät verstehen!
Meister Jan hat mehrmals unruhig nach ihr hingeblickt Herrin! Ich weiß nicht! Ist es das Licht oder was sonst, mir will scheinen, als verfärbten sich Eure Züge ...?
Cordula lächelnd So denkt, es seien die Züge einer Sterbenden, die Ihr malt!
Meister Jan Wie meint Ihr das, Herrin?
Cordula Setzt Eure höchste Kunst an das Bild, Herr Jan von Harlem! Ihr werdet nie wieder seinesgleichen machen! Oder wüßtet Ihr einen, der je vordem das Sterben nach der Natur gemalt? Sie läßt das Fläschchen aus der Hand zu Boden fallen.
Meister Jan Herrin? ... Gift ...?
Cordula So ist's! Und mich dünkt, es wirkt!
Meister Jan nach einer Pause Keine Hilfe?
Cordula Rascher, du schleichender Todessaft! Rascher! Rascher! Soll ich ihn warten lassen am Tor der Ewigkeit? Zuvorkommen will ich ihm! Ihn empfangen, in die Arme ihn schließen! Verschlungen mit ihm an die eherne Pforte klopfen! Verschlungen mit ihm vor den goldnen Thron! ... Sie fährt auf Wie ist mir? ... Gott! Gott! Und so ganz verlassen ...!
Meister Jan sie stützend Herrin! Ein Mensch ist bei Euch! Fürchtet Euch nicht!
Cordula sieht ihn mit großen Augen an Warum malt Ihr mich nicht, unsterblicher Meister? ... Das wahre Gesicht, wonach Ihr gesucht, hier habt Ihr's gefunden!
Meister Jan verhüllt sein Haupt. Kurzes Schweigen. Dann dröhnen von draußen her auf Treppe und Flur schwere Tritte. Er schrickt auf, horcht Hört Ihr? Hört Ihr? Sie kommen! Sie kommen!
Cordula schüttelt schwach den Kopf Ich höre nichts. Alles ist still.
Zunehmender Lärm draußen.
Meister Jan Sie sind vor der Tür! Noch einen Augenblick ...! Ich schütz' Euch mit meinem Leben!
Cordula mit erlöschender Stimme Seid getrost! Ich bin außer Gefahr ...
Die Tür wird aufgerissen.
Zierenberg stürzt herein, erblickt Cordula Metze! Hab' ich dich gefunden? Metze!
Hamel ist hinter ihm auf die Schwelle getreten, wendet sich zu den ihm folgenden Stadtknechten Im Namen des Gesetzes, nehmt diese Frau gefangen!
Zierenberg springt ihm mit erhobenen Fäusten in den Weg Zurück hier! Dies ist meines Amts! Mit Wendung gegen Cordula Auf die Knie vor mir, Metze!
Cordula richtet sich beim Ton seiner Stimme noch einmal auf. Ihre Hände tasten nach der Bibel. Sie blickt mit brechenden Augen um sich Ich bin eine Blume zu Saron ... Ich bin eine Rose im Tale ... Sie sinkt zurück, stirbt.
Zierenberg Was ist ... das?
Meister Jan tritt vor die Leiche Entblößt Euer Haupt, ihr Herren! Ein Größerer denn ihr hat Einzug gehalten! Er breitet einen Flor über sie.
Zierenberg Tot? ... Tot? ... Mir aus der Hand entschlüpft? Einen Atemzug zu spät! Er ballt die Fäuste vor der Stirn, seine ganze Gestalt bebt in innerer Erschütterung.
Hamel Ich hab's gewußt, Ihr holt sie nicht ein. Der Sensenmann hat ihr sein schnellstes Kurierpferd geliehen.
Zierenberg Oder wär's ein äußerster Betrug? Verstellung und Maske auch noch ihr letztes Gesicht? ... Er stürzt an das Lager Fort mit dem Schleier! Zu Meister Jan Und weh' ihr ... weh' Euch ... treff' ich sie diesseits der Todespforte! Er will den Flor fortreißen.
Meister Jan vertritt ihm den Weg Die Pforte fiel ins Schloß. Ihr rüttelt vergebens daran. Er hebt den Schleier Da! Kennt Ihr den Meister, der sich hier eingeschrieben?
Zierenberg senkt finster den Kopf Aus mancher Bataille! 's ist Wahrheit in dem Gesicht! Der Trug entwich!
Hamel tritt ebenfalls zur Leiche Andreas Zierenberg! Zwei Worte mit Euch allein! Schickt Eure Leute hinaus, wie ich die meinen. Und Ihr, Mann ... er wendet sich zu Meister Jan Ihr werdet uns Rechenschaft abzulegen haben, wie diese Tote starb.
Meister Jan weist auf den Boden Das sagt Euch diese Phiole!
Hamel Hütet Euch, daß man Euch nicht der Mitschuld und Beihilfe bezichtige!
Meister Jan richtet sich in königlicher Würde auf Tut, wozu Ihr die Macht habt! Mein Tribunal ist vor einer anderen Zeit und Welt. Er geht durch die unwillkürlich Platz machenden Soldaten und Stadtknechte hinaus, ab.
Zierenberg in den Anblick Cordulas versunken Wie sinnverwirrend schön sie ist! Welch Glanz um Mund und Augen! Welch eine Hoheit auf der reinen, weißen Stirn! Ein Dämon der Unterwelt, darüber noch im Tode alle Verführung der Hölle ausgegossen! Er streckt die Fäuste gegen die Leiche Verruchtes Blendwerk! Willst du mich noch aus dem Jenseits narren? ...
Hamel nach rückwärts sprechend Geht hinaus!
Söldner und Stadtknechte ziehen sich auf den Gang zurück. Die Tür bleibt halb angelehnt.
Zierenberg in Cordulas Anblick Allmächtiger Tod! Großsiegel-Bewahrer im Reich der Vernichtung, der du dein wächsernes Siegel ihr auf Lippen und Augen gedrückt! Tu's wieder von ihr! Auf eine Stunde nur gib sie mir wieder heraus! Allmächtiger Tod! Eine Stunde nur! Ich werfe dir aller meiner kommenden Jahre volles Gewicht als Bezahlung hin! Er reckt seine Fäuste gen Himmel auf.
Hamel steht mit gekreuzten Armen vor ihm Maßlos wütet Ihr gegen die Tote, Andreas Zierenberg! Wie Ihr Euch an der Lebendigen maßlos berauscht! Maßlos Eure Pläne und Wünsche! Euer Sinnen und Trachten! Euer Hoffen und Verzweifeln von Kindesbeinen an! Maßlos in Liebe und Haß! In Ehrsucht und Gier nach Besitz und Macht! Maßlos als ergrauender Mann, wie einstens als flaumbärtiger Knabe! ... So steht Ihr an der Bahre dieser Toten. Erkennt in ihr Eures eigenen zertrümmerten Lebens Gleichnis und wahres Gesicht.
Zierenberg Zertrümmert heißt Ihr mein Leben? Noch nicht! Noch hält es sich gerade und aufrecht wie je! An der Spitze meiner Regimenter, die Sturmfahne in der Hand, will ich's Euch beweisen! Mein Leben zertrümmert? Nun wohl! So zertrümmert wie dazumal, da sie mich um Euretwillen von der Schulbank und aus dem Stadtbann jagten und mir für ewige Zeiten die Tore verschlossen! Schlechte Propheten, ihr alle zusamt! Er richtet sich hoch auf Zu den Toten geworfen heute wie einst! Und wiedererstanden morgen wie ehedem!
Hamel Andreas Zierenberg! Als einen Cäsar und Alexander habt Ihr Euch geträumt. Kehrt in Eures Wesens gottgewollte Begrenzung zurück! Nicht zum Welteroberer seid Ihr geboren. Euren wackeren Degen für Eure Vaterstadt zu führen ist Eures Amts und Berufs. Zum Feldobristen habt Ihr die Statur! Zum Herrschen und Staatsmann fehlt's am Maß und inneren Gesetz.
Zierenberg Wohlan! Soll mir Pflanzen und Aufbauen verwehrt sein, so will ich mich am Niederreißen ersättigen! Nicht umsonst hab' ich mich dem Polenkönig in die Hand verschrieben!
Hamel Nach dem, was zwischen Euch und Eurem Weibe vorgefallen, wie wollt Ihr noch Vertrauen in die Polen setzen? ... Wie Euresteils Vertrauen bei ihnen finden? Ein schwankend Rohr im Winde wär't Ihr, ohne Wurzel und Erdreich. Ein Überläufer und stets Verdächtiger, den der erste Anstoß stürzen müßte.
Zierenberg Wollt Ihr mir die Wege ringsum verlegen? Mir die Luft zum Atmen abschneiden? So könnt' es mich zu sterben gelüsten! Und als Scheiterhaufen, der durch die Zeiten flammt und meinen Namen auf die Nachwelt bringt, zünd' ich mir die freie Reichsstadt Danzig an! Dies meine Rache an Euch!
Hamel nestelt an seinem Wams, tritt näher an ihn heran Die Rache ist mein, spricht der Herr ...
Zierenberg Ihr habt mein Lebenswerk zu Fall gebracht, zum Ausgleich falle nun auch das Eure! Er wendet sich gegen die Tür, hinter der schwere Tritte und Lärm ertönen.
Hamel Eh' das geschieht, eher will ich selbst ... In diesem Augenblick betritt
Lorenz das Gemach, bleibt auf der Schwelle stehen, senkt finster den Kopf. Söldner und Stadtknechte treten hinter ihm herein. Er schweigt einen Augenblick.
Zierenberg sieht ihn an, runzelt die Stirn Kommst du mit leerer Hand, Lorenz?
Lorenz reißt die Partisane von der Schulter Feldobrist! Ihr habt mir mal in den spanischen Niederlanden das Leben geschenkt. Ich leg's in Eure Hand zurück. Stoßt zu! Er will ihm die Partisane in die Hand drücken.
Zierenberg Schon gut! Er wendet sich ab, dreht sich dann wieder zu Lorenz Und keine Spur von dem Ratsherrn?
Lorenz Herr! Wenn Ihr das eine Spur nennt, daß ich ihn in einer alten wackligen Hütte am Strand dicht bei unserem Feldlager aufgefunden ...
Zierenberg Ihn aufgefunden? Den Schurken gepackt? ... Wohl ihn erschlagen?
Lorenz Herr, ich wünschte, ich könnt's Euch melden. Aber der glatte Fuchsschwänzer war fixer denn ich. Ich fand ihn tot ...
Zierenberg prallt zurück Tot ...
Lorenz Tot auf der Bank! Die stieren Augen durchs offene Fenster nach der See gerichtet! Er muß irgend so was geschluckt haben, irgend so was Giftiges. Der Körper war noch warm. Eine halbe Stunde früher und ich schlepp' ihn Euch lebendig her! Hätt' ich mich nicht erst mit langem Fragen und Suchen und Auskundschaften auf seine Spur pürschen müssen ... Ich hab' mir die Haare gerauft! Aber was hilft's? Er ist mir zuvorgekommen.
Hamel tritt näher Und kein Wort noch letztes Zeichen von seiner Hand?
Lorenz Nichts, Herr! Der hat sich gründlich ausgeschwiegen!
Zierenberg starrt vor sich hin Entronnen? Entronnen, er wie sie? Beide mir entronnen? ... Er schlägt die Hände vors Gesicht, schüttelt sich in innerem Krampf.
Kurze Pause.
Hamel ernst, aber ohne Schärfe Andreas Zierenberg! Erkennt Ihr jetzt die Grenzen Eurer Macht und Selbstherrlichkeit? Erkennt Ihr das Walten eines höheren Gesetzes als das Eure?
Zierenberg Jobs Hamel! Ich räume das Feld. Das lebenslange Spiel zwischen uns ist aus. Ihr habt gesiegt!
Hamel mit zusammengekniffenen Lippen Ihr irrt, Andreas Zierenberg. Der Sieger seid Ihr. Denn wie Ihr jetzo hier vor mir steht, so habt Ihr das einzige, das letzte von mir genommen, was mir das Leben noch köstlich gemacht.
Zierenberg Und das ist ...?
Hamel Der Vorgeschmack der Vergeltung. Der Traum, Euch die einstens verlorene Partie an Eurem eigenen Leben heimzuzahlen. Nun ist auch das dahin. Vergangenheit, was mich bis heute aufrecht erhalten! Wie werd' ich das Leben weiter ertragen ...!
Zierenberg sieht ihn lange und groß an Sofern das Euer wahres Gesicht ist, Jobs Hamel, so habt Ihr die Partie gegen mich in Wahrheit verspielt. Denn mein ist noch immer die Zukunft. Bis zum letzten Atemzug wird die Zukunft mein sein... Lebt wohl! Er reicht ihm die Hand.
Hamel Wo wollt Ihr hin?
Zierenberg Fort! Irgendwohin! Nur fort aus Eurer Welt!
Hamel Halt! Bleibt! Denkt an Euer Amt als Schützer der Stadt!
Zierenberg Es gibt bessere Männer dafür.
Hamel Denkt an Euren Soldateneid! Denkt Eures Ursprungs als einer deutschen Mutter Sohn! Soll's von Euch heißen, Andreas Zierenberg verriet sein Volk in letzter Not? ... Denkt Eurer ungesühnten Haft im Polenland! Brennt Euch die alte Wunde nicht?
Zierenberg mit Seitenblick zu Cordulas Leiche Tod und Teufel!
Hamel Haben wir umsonst auf Euch gebaut? Umsonst unser Wohl und Wehe in Eure starke Hand gelegt? Murmeln und Bewegung bei den Söldnern.
Lorenz Herr! Schlagt ein!
Zierenberg richtet sich auf Landsknechte! Kampfgenossen! Macht Eure Zeche fertig! Wir stürmen noch heute vor Mitternacht das polnische Lager!
Vorhang.