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Meinerts Landhaus bei Oliva. Offene Halle mit Garten und Park im Hintergrund. Am Horizont blaues Meer.
Einige Wochen später. Maitag gegen Abend. Järtke Dörings sitzt in reicher Tracht in einem kostbaren Lehnsessel. Sie hat eine Laute im Arm. Meister Jan von Harlem steht vor einer Staffelei und malt an Järtkes Bild. Järtke ist ein blondes Mädchen von zwanzig Jahren. Meister Jan ist ein Fünfziger von untersetzter Gestalt und ausgearbeiteten Gesichtszügen. In seinem Wesen mischen sich äußerer bäuerischer Anstrich mit sinnendem Verlorensein und hoher Überlegenheit.
Järtke rückt unruhig in ihrem Sessel hin und her Wißt Ihr auch, daß ich Hunger habe, Meister Jan? Wie lang' sitz' ich Euch heut' wohl schon?
Meister Jan Halt! Bleibt so, wie Ihr jetzt den Kopf hebt. Die Bewegung such' ich seit Tagen. Er malt eifrig weiter, wirft dazwischen prüfende Blicke hinüber.
Järtke mit selbstvergessenem Lächeln Gefall' ich Euch so, Meister Jan?
Meister Jan brummig zwischen den Zähnen durch Gott hat Euch geschaffen. Auch seid Ihr vom Licht beschienen. Also gefallt Ihr mir. Ob's ein bemooster Gartenzaun ist oder eine faulige Weide oder ein aufgeschnittener Schweinebauch oder ein nackter Mädchenleib ... Einerlei! Es läßt sich aus allem ein Spiel des Lichts machen.
Järtke Nichts weiter seht Ihr hinter einem hübschen Gesicht? Sie zieht einen kleinen Handspiegel aus dem Seitentäschchen, betrachtet sich verstohlen darin So zwei frische Backen, so ein roter Mund, so ein weißer Hals und all das andere, nur ein paar durcheinandertanzende Lichtstrahlen sollen das sein? Sie läßt den Spiegel sinken, lacht Habt Ihr schon immer so gedacht, Meister? Oder erst ... mit denen Jahren?
Meister Jan schüttelt brummend den Kopf Kindisch Wesen! Er hält den Pinsel waagerecht gegen sie, vergleicht daran Da! Da sitzt es! Da um die Mundwinkel! Um die Nasenflügel! Er malt prüfend weiter, brummt vor sich hin Da rackert man sich, und der Zufall muß es bringen. Alles nur Gunst oder Ungunst der Götter!
Järtke nach kurzem Schweigen Meister Jan! Ihr seid mir noch die Antwort schuldig ...
Meister Jan Worauf?
Järtke Ob Ihr auch so häßlich und niedrig von mir denkt, wie die andern?
Meister Jan Bin ich zum Richten und Judizieren auf der Welt oder zum Malen?
Järtke Alle zeigen sie auf der Gasse hinter mir her. Seht das verworfene Ding! Seht des reichen Ratsherrn Liebchen! Nein, sich so wegzuwerfen! Pfui, die Dirne! Und solche freche Nachrede mehr! ... Ich hebe meinen Kopf so hoch ich kann und lasse meinen Rock schleifen. Schnattert nur und reckt die Hälse! denk' ich mir. Der grüne Neid geifert aus euch ... Aber von Euch, Meister, tät's mir weh!
Meister Jan brummend Schon gut.
Järtke Ihr habt so was Großes an Euch, trotz Eurem abgetragenen Wams. Man meint, man muß gleich in die Knie sinken, wo Ihr nur ins Zimmer tretet und einen mit Euren bohrenden Augen durch und durch seht! ... Ist es wahr, was mein Liebster erzählt, daß Ihr ehedem ein reicher und berühmter Meister in Eurer Heimat gewesen seid, danach aber Hab und Gut und Weib und Kinder verloren habt und bettelarm hierher zu uns geflüchtet seid?
Meister Jan Daß ich nicht hierzuland geboren bin, wißt Ihr ja. Und wie's mir sonsten ergangen ist, braucht keinen zu kümmern.
Järtke Auch sogar Euren Namen sollt Ihr abgelegt haben und gar nicht so heißen, wie Ihr Euch hier nennt?
Meister Jan Das mag allenfalls stimmen. Kein Jan von Harlem steht im Kirchenbuch verzeichnet. Ungekannt wie ich in die Welt gekommen, geh' ich wieder hinaus.
Järtke Aber Eure Bilder und Tafeln, so einst von Euch zurückbleiben?
Meister Jan Die soll ein Namenloser gemalt haben. Ihr werdet kein Handzeichen noch Merkmal darauf finden.
Järtke lacht Da werden sie sich aber mal die Köpfe zerbrechen, wenn wir alle längst auf dem Gottesacker liegen.
Meister Jan spuckt schweigend aus.
Järtke nach einem Augenblick Nicht, Meister, Ihr scheltet mich nicht Dirne und Verworfene, nein, Meister? Ihr habt ein Einsehen mit einem armen verliebten Ding, das nicht mit denen andern zum Tisch des Herrn gehen darf?
Meister Jan Ich schelte niemand! Ich male. Ob Ihr als Patrizierfräulein vor mir sitzt wie eben jetzo, oder als geschmückte Türkenbraut oder wie sonst immer nach dem Wunsch Eures Herrn. Und solltet Ihr mir einmal im Kot der Gasse begegnen, arm und ausgespien, Ihr wärt mir noch gerade so viel wert!
Järtke beugt sich in plötzlicher Bewegung über seine Hand, küßt sie Habt Dank!
Meister Jan stirnrunzelnd Laßt das!
Järtke wieder nach einem Weilchen Wie glaubt Ihr wohl, Meister, gefall' ich meinem Herrn am besten?
Meister Jan Wie Gott der Herr Euch geschaffen, nehm' ich an.
Järtke Warum malt Ihr mich dann nicht so?
Meister Jan Wofern Herr Sebald Meinerts mir den Auftrag dazu gibt, will ich mich die Arbeit nicht verdrießen lassen.
Järtke Findet Ihr meinen Herrn nicht verändert in jüngster Zeit, Meister Jan?
Meister Jan Jeder Tag verändert uns. Ihr seid auch nicht mehr die, so gestern vor mir saß. Das Bild wandelt sich von Sonne zu Sonne. Vielmehr durch den Wandel wird es erst zum Bild.
Järtke Mir ahnt nichts Gutes, Meister Jan. Letzte Nacht hab' ich von einer schwarzen Katze geträumt. Das bedeutet Unheil.
Meister Jan Im Würfelspiel fallen nicht bloß die hohen Augen. Wartet ab!
Järtke Nein, nein, mit meinem Herrn steht's nicht, wie es sollte! Er sieht bleich und übernächtig aus. Er schläft auch nicht wie sonst. Sicher steckt ein Weib dahinter.
Meister Jan Unsinn! Euer Herr ist von Geschäften bedrängt. Ein Schiff mit kostbarer Ladung wird in Seenot sein. Oder die Zeitläufte machen ihm zu schaffen. Habt Ihr noch nichts von der Polengefahr gehört, so im Anzug ist?
Järtke Soll ich Euch verraten, von wannen meinem Herrn das krankhafte Wesen angeflogen ist? Seit er aus dem Kriegslager zurück ist. Dreißig Tage sind's. Wer weiß, welch Wunder sich da mit ihm begeben! Hat nicht der neue Feldobrist eine polnische Gräfin zur Frau?
Järtke Mein Herr kennt sie aus früherer Zeit her, da er noch nicht auf Reisen gegangen war ...
Meister Jan Hat er Euch das anvertraut?
Järtke Sie soll von besonderer, von unvergeßlicher Schönheit sein ...
Meister Jan Wohl möglich!
Järtke ballt die Fäuste Wenn er mir gestohlen wird ... Wenn ich ihn verlieren soll ... Lieber ihn tot im Sarge vor mir sehen! Sie besinnt sich Gott verzeih' mir die Sünde! Aber hab' ich ihn dann nicht auf ewig?
Von rechts her treten Sebald Meinerts und Doktor Prätorius ein. Letzterer ist von unbestimmtem Alter, bartlos, mit langem, gescheiteltem Haar, trägt Halskrause und schwarze Gelehrtentracht. Er verneigt sich gemessen vor Järtke und Meister Jan.
Meinerts Wie? Noch an der Arbeit, Meister Jan? Die Sonne steht ja schon über der olivischen Heide.
Meister Jan Das Bild ist auf des späten Nachmittags Beleuchtung angelegt. Auch geht mir's um die Stunde am frischesten und sichersten von der Hand.
Doktor Prätorius langsam nähertretend Das ließe auf spätes Nachtwachen und dito Aufstehen schließen, wie's ja bei denen Künstlern und Poeten die Regel.
Meinerts Und wie würdet Ihr den Schluß argumentieren, gelehrtester aller Ärzte?
Doktor Prätorius Sanguinisch oder musisch Temperament bedarf zur Arbeit der Stunde des Gleichgewichts zwischen Körper und Seele, der innern Mittagshöhe sozusagen, als welche gar sehr verschieden von der sichtbaren äußern am firmamento coeli und je nach Aufstehen und Tagesbeginn früher oder später anzusetzen, so daß zu konkludieren, wer gegen Abend erst zur vollen Arbeitskraft, id est zum höchsten Gleichgewicht corporis et animi gelang, sei als ein unverbesserlicher Spätaufsteher zu erachten.
Meinerts lachend Vortrefflich, Großmeister der Tier- und Menschenheilkunde! Und um so weniger bestreitbar, als Euch ja die persönliche Erfahrung dabei zur Seite steht.
Doktor Prätorius Fern sei es, solches zu negieren. Haben wir beide doch, Herr Jan von Harlem und ich, so manches Mal bis nach dem zweiten Hahnenschrei über das Problema Lebens und des Todes miteinander disputiert.
Meister Jan Und erzähltet mir Wunderdinge von dem großartigen Lebenselixier, so Ihr zu erfinden und steinreich damit zu werden gedenkt. Viel Glück dazu!
Doktor Prätorius Nur gemach! Wer weiß, ob sich dem forschenden Auge nicht doch irgendwo ein Schlupfloch der Natur entdecke, als durch welches die Flucht aus der Mausefalle des Todes hiebevor noch keinem gelungen!
Meinerts Seid Ihr dem Schlupfloch bereits auf der Spur, scharfsinniger Todfeind des Todes?
Doktor Prätorius Theoretisch und logisch seit langem. Empirisch hapert's leider noch hier und da.
Meinerts mit schwachem Lächeln So eilt Euch ein wenig, mein Freund, damit auch wir Heutigen noch davon profitieren. Was hilft uns das schönste Lebenselixier in der Theorie, sobald wird in praxi begraben sind!
Järtke die sich solange im Hintergrund gehalten und ängstlich forschend vom einen zum andern gesehen hat, läuft zu Meinerts, schlingt die Arme um seinen Hals Ach, Herr! Herr! Dazu habt Ihr noch lange Zeit! Noch lange! Lange! Sie gibt ihm einen schnellen Kuß.
Meinerts Wildfang! Quecksilber! Schämst dich nicht vor denen beiden Herren?
Järtke leichtsinnig I, dem einen ist's ja nur ein Spiel des Lichts, und der andere sieht's nicht, dieweil er an sein Lebenselixier zu denken hat.
Doktor Prätorius Spottet nur, Jungfer Järtke! Vielleicht werdet Ihr dereinst noch froh sein, so ich Euch ein Fläschchen davon abtrete.
Järtke Wüßte nicht wie! Für mich selbst brauch' ich keins. Und für einen andern ... Sie bricht ab, sieht Meinerts unruhig an Was habt Ihr nur, Herr? Ihr seht wieder so blaß!
Meinerts Einbildung, Kind! 's wird das Abendlicht sein. Wie Ihr nur dabei arbeiten könnt, Meister! Er tritt neben Jan an das Bild Oh! Etwas Neues! Ihr habt ihr ein Instrument gegeben. Die Lautenspielerin könnte man's heißen oder einfach, das Mädchen mit der Laute. Er sieht Meister Jan über die Schulter, vertieft sich in die Betrachtung des Bildes.
Järtke wendet sich zu Prätorius Ist denn einer im Hause krank, daß man Euch noch so spät herausberufen, würdiger Herr?
Doktor Prätorius mit vorsichtigem Blick zu Meinerts hinüber Nichts von Bedeutung, Jungfer.
Järtke Er ...?
Doktor Prätorius legt den Finger auf den Mund Pst! Schweigt!
Järtke flüsternd Doch nicht Gefahr?
Meinerts sieht von dem Bilde auf, klopft Jan auf die Schulter Die Farben glühen wie in des späten Septembers Reife, 's wird Euer Meisterwerk. Mit Wendung zu Järtke und Prätorius Nun, was habt ihr zu tuscheln, ihr beiden?
Järtke Ach nichts, Herr! Nichts! ... Oder doch! Nach der alten Trine fragt' ich, ob's mit dem Bein noch mal wird?
Meinerts nachdenklich Nach der alten Trine! So so! Ich weiß die Zeit, da sie die junge Trine hieß ... Ja, ja, auch die Trinen werden alt. Die Vorreiter dero sensenschwingender Majestät melden sich auch bei den Trinen an, Zipperlein, Podagra und die melancholische Wassersucht ...
Järtke Spaßt nicht so schrecklich, Herr!
Meinerts Geh'! Sorge für ein gutes Abendessen. Herr Prätorius hat eine ebenso spitze wie feine Zunge. Mach' sie dir zur Bundesgenossin, Järtke, wenn er nach Danzig zurückkommt und die Vetternschaft ihn ausfragt. Wenigstens in dem Punkt wollen wir, groß dastehen, da wir ihnen sonsten schon Anstoß genug geben.
Doktor Prätorius Was verschlägt es einem Herrn wie Euch, der auf seinen Weltreisen die Bedingtheit aller Sitten erfahren, ob man ihn in unserer hyperboräischen Reichsstadt als einen modernen Alkibiades verklatsche oder nicht!
Meinerts Sie sollen die Hände von fremden Töpfen lassen! Die Zeiten sind zu ernst dazu. Er beherrscht sich, wendet sich zu Prätorius Nehmt Ihr die Einladung an, Herr Magister?
Doktor Prätorius mit Verbeugung Mit vielen Freuden, Herr Ratsherr! Erlaubt mir nur zuvor einen kleinen appetitreizenden Spaziergang auf der Waldhöhe angesichts des blauen Meeres und der langsam sinkenden Sonne. Begleitet Ihr mich, Herr Jan von Harlem?
Meister Jan hat schon vorher mit der Arbeit aufgehört und zusammengepackt Meinethalben! Aber bleibt mir mit Eurem Lebenselixier vom Leibe!
Doktor Prätorius Und Ihr mir, so's gefällig ist, mit Eurer morgenländischen Rätselweisheit! Beide verbeugen sich und gehen nach dem Garten zu ab.
Kurze Pause. Goldenes Abendsonnenlicht fällt von links her durch die Fenster in die Halle.
Meinerts geht durch den Saal, bleibt an einem Fenster links stehen, schaut versunken hinaus. Nach einer Weile wiederholt er murmelnd Angesichts des blauen Meeres und der langsam sinkenden Sonne ...
Järtke läuft zu ihm hin, schmiegt sich halb knieend an ihn Herr, Ihr macht mir Sorge!
Meinerts ohne auf sie zu hören So eine große, leuchtende Frühlingssonne! Als ob sie nicht untergehen, als ob's nie dunkel werden könnte! ... Und in einer kurzen Stunde ist sie hinab, und aus der Heide dort, aus dem düsterheiligen Buchenhain kriecht unaufhaltsam die uralte Nacht heran ...
Järtke Herr, es wird ja gar nicht so richtig Nacht in dieser Maienzeit! Sahen wir nicht erst neulich den hellen Dämmerschein herumwandern vom späten Abend bis zum frühen Morgen? Erst stund er ganz klar und gelb da hinten über der Heide, dann immer blasser gen Mitternacht zu, bis wo der Strand den großen Bogen macht. Und schließlich graute das Frühlicht über der See. Wir saßen im Garten und sahen's wandern. Erinnert Ihr Euch nicht? Als noch die Apfelbäume blühten. Sie umfaßt ihn stürmisch, drückt seinen Kopf an ihre Brust Ach, Herr, Frühling ist's! Frühling ist's! Kommt! Ich streich Euch die Sorgen und Falten von der Stirn. Huh! Was für schwarze Gedanken mögen da sitzen und nisten! Weh uns! Weh mir ärmsten Kreatur! ... Ich glaube gar, Herr, Ihr macht Euch nichts mehr aus mir? Ihr wollt mich fortschicken?
Meinerts Es gab 'ne Zeit, da du mir fremd warst, wie ich dir, da keiner des andern Leben kannte. Wer bürgt uns, daß sie nicht wiederkommen wird, die Zeit! Aus Dunkelheiten liefen unsere Wege zusammen. In Dunkelheiten werden sie sich wieder verlieren. Am Ende ist's, als wäre nie etwas gewesen. Keiner hätte je vom andern gewußt. Zwei Tropfen verronnen im blauen Meer dort drüben. Das ist der Schluß, Mädchen. Der Schluß von Weinen und Lachen.
Järtke Also ist's wahr, Herr? Ihr mögt mich nicht mehr? Ihr sehnt Euch nach einer andern?
Meinerts Järtke! Kein Wort von so etwas!
Järtke Soll ich mit ansehen, wie Ihr Euch in Sehnsucht und Unrast verzehrt? Eure goldnen Tage finster verbrütet, Euer schönes, großes Leben für nichts achtet? Und nicht zureden, nicht helfen können! Einer andern, einer Fremden niedrige Platzhalterin sein! Sie stampft mit dem Fuß auf Ich mag nicht! Ich will nicht! Lieber schickt mich fort! Sie sieht ihn an, erschrickt Herr, was habt Ihr mit eins? Ihr seid ja kreideweiß!
Meinerts mit der Rechten an der Stirn, mit der Linken auf der Brust, taumelt einen Augenblick Was ... ist ... das? Er stützt sich mühsam gegen die Wand.
Järtke Um Christi Barmherzigkeit willen ...! Sie bemüht sich um ihn, läuft zum Tisch, holt Wasserkrug und Glas, schenkt ihm ein Trink', Liebster! Trink'!
Meinerts trinkt, von ihr gestützt, kommt langsam wieder zu sich.
Järtke Liebster! Einziger! Ist dir besser? Komm, setz' dich! Ich führ' dich! Sie begleitet ihn zum Sessel, streichelt ihm die Stirn.
Meinerts sitzt im Sessel, mit wiederkehrender Erinnerung Das ... war doch ... seltsam!
Järtke Still sein! Still sein! Erst dich erholen! So! So! Sie wiegt seinen Kopf an ihrer Brust, dann nach einem Weilchen Ist Euch wieder besser, Herr?
Meinerts kräftiger Ja, ja, besser! Besser!
Järtke Was war denn nur, Herr? Mich so in Angst zu setzen!
Meinerts Ja, was war's? ... Aus dem Dunkeln kam's! Aus dem Unbekannten! Eine Knochenhand war's und griff nach dem Herzen. Einen Atemzug lang war's Nacht.
Järtke Schaurig, Herr, schaurig! Wollt Ihr nicht, daß ich den Doktor Prätorius aus dem Wald rufe?
Meinerts Nein, nicht! Ich befragt' ihn schon.
Järtke Ihr befragtet ... Also geschah's Euch nicht zum erstenmal so?
Meinerts Vielleicht nicht so. Vielleicht war's anders. Oder ... Was quälst du mich, Järtke! 's ist alles wieder gut.
Järtke Und er? Was gab er Euch zur Antwort?
Meinerts Es habe nichts auf sich. Ein plötzliches Nachlassen des Lebensquells sei es, ein kurzes Versiegen, um desto stärker wieder zu sprudeln ... Ja, er hat recht! Er richtet sich auf, reckt die Arme Wie's mir wieder heiß und jung durch die Adern braust!
Järtke sucht ihn auf dem Stuhl zu halten Herr! Schont Euch! Schont Euch! ... Mein Gott! Wenn Ihr krank wäret und anders, ganz anders, als ich gedacht!
Meinerts entzieht sich ihr, steht auf Järtke! Vor meinen Ohren nichts von Krankheit und Tod! 's ist mein Wille, zu leben! Mein Wille ist's! Mit großen Schritten auf und ab Hab' ich nicht noch immer gekonnt, was ich gewollt? Wie oft als Knabe ersehnt' ich mir irgend ein Spielzeug, so einem andern zugehörig! Ich sprach kein Wort, nannte keinen Wunsch. Nur im Innern begehrt' ich's, umfing ich's, riß ich's an mich. Und siehe da! Der Spielgefährte selbst kommt und bringt mir's als zärtlich Angebinde. Ein andermal stehen wir zum Wettsprung da, wir halbwüchsigen Jungen. Ich messe des Grabens Breite mit den Augen, ich weiß, nie käm' ich hinüber, stünd' ich allein hier. Aber jetzo, vor der Nebenbuhler Augen, jetzo will ich! Jetzo muß ich! Und also kann ich! Ein Satz, und drüben bin ich, so weit und weiter als die andern! ... Später als Jüngling, als Mann, immer das gleiche! Ein waghalsig Handelsgeschäft, ein wildes Spiel mit gefahrvoll hohem Einsatz, ein tolles Abenteuer um eines schönen Weibes wegen, dem Willen fast unerreichbar ... und doch gewonnen, doch errungen, sobald ich's nur hier innen, hier, hier er schlägt auf seine Brust mit inbrünstig heißem Wunsch, mit loderndem Begehren umschlungen und durchdrungen! Er macht ein paar Schritte, richtet sich auf Und nun, Freund Mors, nun steh' ich dir so gegenüber! Zum letzten Zweikampf Aug' in Aug' wir beide! Ich will dich noch nicht! Verstehst du wohl? Nicht du sollst mich, ich muß dich wollen, und ich will noch nicht! Geh! Und wann ich rufe, komm! Er wendet sich mit einer entschlossenen Gebärde zu Järtke, die am Tisch steht und seine Bewegungen ängstlich verfolgt Nun, Järtke, Mädchen, kleine, weizenblonde Freundin, warum so traurig? Warum den Kopf auf der Brust? Munter, Kind, munter an diesem schönsten aller Maienabende! Er faßt sie unters Kinn Wie, Tränen, Järtke? Pfui! Doch nicht um mich? ... Und keinen Kuß?
Järtke fällt ihm um den Hals Zwei, Herr! ... Ein ganzes Dutzend, so Ihr wollt!
Meinerts hält sie im Arm Hab' Dank, Mädel, für deine treue Sorge!... Und jetzt erzähl' mir was Schönes, derweil draußen der Flieder duftet und die Nachtigall schlägt. Er führt sie zum Diwan, setzt sich.
Järtke kauert sich vor ihm nieder Was mögt Ihr hören, Herr?
Meinerts zerstreut Von Orangengärten und Rebenlauben, von Springbrunnen und Marmorhöfen ...
Järtke sieht ihn groß an Wie, Herr?
Meinerts erwacht, lächelt Ich war aus der Zeit.
Järtke Das seid Ihr so oft, Herr!
Meinerts Im Welschland war ich. Doch das ist vorbei. Erzähl' mir vom nordischen Meer, Järtke. Bist doch ein Schifferskind!
Järtke Wird's Euch nicht langweilen, Herr?
Meinerts Gewiß nicht! Ich hör' deine Stimme gern, 's ist, als säße man unter einem blühenden Kirschbaum, müd' vom langen Wandern, und die Blüten rieseln herunter, weiß und lind, viel hunderte und tausende, ein einziger weißer Regen, und decken einen sachte, sachte zu.
Järtke Herr, Ihr seid müd'! Wollt Ihr nicht ruhen?
Meinerts Und die Kirschblüten rieseln hören! ... Nun, Mädchen?
Järtke Also, es war einmal ein großer, großer Butt ... Aber nein, das ist dumm! Etwas anderes! Wüßt' ich nur, was Ihr am liebsten hört!
Meinerts Vom Fischfang auf hoher See oder von wilden Sturmtagen im Herbst, wann die Brandung über die Dünen rollt, oder vom Tanzen der Mädchen am Strand in der Johannisnacht. Oder auch vom heiligen Hain Romowe, wo dein Ältervater noch dem alten Gott Perkuhn geopfert ...
Järtke Auch heut' noch tun sie's, Herr, wann's niemand sieht und hört.
Meinerts Nimm deine Laute und sing mir vom heiligen Hain Romowe.
Järtke nimmt die Laute und greift ein paar Töne.
Bastian erscheint in der Tür links, verbeugt sich Gnädiger Herr?
Meinerts sieht unmutig auf Was gibt's? Wer erlaubt sich ...?
Bastian flüsternd 's ist Besuch da, gnädiger Herr.
Meinerts Ah! Der Feldobrist! Führ' ihn herein!
Bastian immer mit Flüsterstimme Der nun grade nicht!
Meinerts aufspringend Eine Dame?
Järtke steht auf Herr, ich geh' schon. Sie geht zur Tür rechts.
Bastian 's ist keine Dame, 's ist ein Mann.
Meinerts gelangweilt So schick' ihn fort!
Bastian Ich werde nicht mit ihm fertig, gnädiger Herr.
Meinerts halb lachend Du nicht mit ihm fertig, glattester aller Kammerdiener?
Bastian Er hat die Kapuze übers Gesicht gezogen, aber man erkennt ihn an der scharfen Stimme und auch ... am runden Rücken.
Meinerts betreten Jobs Hamel! ... Gut! Ich erwart' ihn. Oder nein! Ich hol' ihn selbst. Er geht schnell zur Tür links.
Bastian Und falls zur gleichen Stunde der Feldobrist, wie erwartet, einträfe?
Meinerts Der Syndikus darf nichts von seinem Hiersein erfahren!
Bastian Aber der gnädige Herr wird's wissen wollen. Da meld' ich einfach, das erwartete Fohlen sei angekommen.
Meinerts So tu, Juwel eines Haushofmeisters! Er geht hinaus.
Bastian folgt ihm behutsam.
Järtke ist an der Tür rechts stehen geblieben, sieht ihm kopfschüttelnd nach Er ist krank! Schwerkrank! Und will's nicht wissen! Will's nicht wahr haben! Sie faltet die Hände Lieber Herrgott im Himmel! Du weißt, ich hab's ihm selbst angewünscht, aber daß ich's nicht so gemeint hab', das weißt du doch auch. Also verzeih' mir die Sünde, lieber Herrgott, und nimm mich nicht beim Wort! Laß dich erbitten! Nimm mich nicht beim Wort! Rechts ab.
Gleich darauf treten von links her Meinerts und Hamel ein.
Hamel trägt einen schwarzen Mantel und schwarze Kapuze, die er zurückgeschlagen hat. Er bemerkt Järtkes liegengebliebene Laute und sonstiges Gerät, lächelt säuerlich Es scheint, ich habe gestört. Frau Venus beherrschte die Stunde, nicht?
Meinerts Jupiter oder Jupiters Boten haben stets den Vortritt. Er deutet auf einen Sessel, setzt sich in den andern Was bringst du mir, Jobs Hamel?
Hamel setzt sich ebenfalls Sebald Meinerts! Man wundert sich, daß du so selten bei den Ratssitzungen erscheinst. Man fragt sich, wo und wie du denn eigentlich deine Tage verbringen mögest?
Meinerts Sag' denen Vettern und Basen, ich verschlampe Zeit und Geld zwischen Venus und Bacchus, und was etwa noch übrig bliebe, ginge für die neun Musen drauf. Er weist auf die Staffelei mit dem Bild.
Hamel Sollte ein Mann wie du seine kostbare Lebenszeit wirklich in lauter niedrigen und alltäglichen Vergnügungen vergeuden?
Meinerts Im übrigen ruht ja auch noch so etwas wie die oberste Leitung eines nicht unbeträchtlichen Handelshauses auf mir.
Hamel Warum also entfremdest du dich Geschäftsfreunden und Standesgenossen? Seit Wochen bist du nicht auf dem Rathaus gewesen!
Meinerts Es langweilt mich, euer ewiges Gegreine über die zunehmende Aufsässigkeit des gemeinen Mannes mitanzuhören.
Hamel starrt nachdenklich vor sich hin Auch ich habe einmal für Freiheit und Tyrannenmord geschwärmt. Auf der hohen Schule in Wittenberg! ... Ich bin längst davon zurückgekommen. Der verwilderten Menschheit tut mehr denn je eine befestigte Autorität not.
Meinerts Mich dünkt, du verwechselst Autorität mit Despotie.
Hamel Hüte dich, derlei Ansichten öffentlich zu kommunizieren! Die Zeiten sind nicht dazu angetan.
Meinerts Was drängst du mich dann zu Euren Ratssitzungen? Sei zufrieden, daß ich bei meinen Penaten bleibe und mich von der holden Frau Venus regieren lasse.
Hamel Es geht nur leider die Fama, daß von deinen Penaten, alias aus deinem Kontor unterirdische Kanäle in die Werkstätten gewisser Zunftmeister und Volksaufwiegler und ... auch noch anderswohin führen.
Meinerts Über Fama und Stadtklatsch, mein lieber Jobs Hamel, fühlt sich ein Sebald Meinerts erhaben.
Hamel steht auf, geht nachdenklich durch den Saal, bleibt mit auf dem Rücken gekreuzten Händen vor Meinerts stehen Ich will dir nicht unrecht tun, Sebald Meinerts. Der eigentliche Urheber der Unruhe und Turbulenz, so über die Volksmassen gekommen, sitzt nicht hier vor mir im Sessel. In unserem Kriegslager ist der Herd der Pestilenz zu suchen. Der neue Feldobrist ist der Urquell alles Bösen, was uns bedroht.
Meinerts lächelnd Was habt Ihr ihm denn für crimina vorzuwerfen?
Hamel Er steckt mit den Rädelsführern von der dritten Ordnung unter einer Decke und verhandelt im stillen obendrein mit dem Polenkönig.
Meinerts Behauptet das abermals Frau Fama?
Hamel Nicht umsonst weicht er Schritt um Schritt vor dem Feind zurück. Mit jedem Schritt, den er sich der Stadt nähert, wächst die Frechheit des Pöbels drinnen und der Soldateska draußen. Fast sieht's wie abgekartet Spiel aus. Fehlt nur noch, daß im Augenblick, wo der Polenkönig uns seine ersten Brandkugeln über die Wälle schickt, der innere Aufruhr sein Haupt erhöbe. Dann wären die Trümpfe alle in der Gegenhand und wir könnten die Karten hinwerfen.
Meinerts Setzt ihn doch ab!
Hamel Und wenn er uns trotzt? Auf seine Söldner kann er sich verlassen. Das pappt wie die Kletten zusammen. Er schweigt einen Augenblick, richtet sich auf Sebald Meinerts! Der Feldobrist strebt nach der Tyrannis! Er will sich zum Diktator aufwerfen! Ein Herzogshut gaukelt ihm vor! Vielleicht gar eine Königskrone!
Meinerts Wie gut er dich in seine Pläne eingeweiht hat!
Hamel Dich nutzt er ja auch nur aus! Dich braucht er, weil der gemeine Mann auf dich schwört! Du sollst ihm die Sackträger von der Speicherinsel und die Schiffer vom Grünen Tor zuführen. Auch deine wohlgefüllten Kassen sind nicht zu verachten. Zum Steigbügelhalten bist du ihm gut genug.
Meinerts sieht ihn lange an, verschränkt die Arme Jobs Hamel! Was für grauenvolle Nächte mußt du haben!
Hamel stirnrunzelnd Woher weißt du das? ... Vielmehr, wie kommst du darauf?
Meinerts Wenn du schon im Wachen von solchen Neidgedanken verfolgt wirst, wie mag's dir erst im Traum ergehen! Ich seh' ihn leibhaftig vor mir, den giftgrünen Molch, wie er sich Nacht für Nacht auf deine Bettkante kauert, daß du im Schlaf aufschreist und nach Atem ringst!
Hamel finster Meine Nächte sind nicht gut, das ist wahr. Aber du irrst dich über den Grund, 's ist das alte Gebrechen, was sich in der Nacht meldet und mich nicht schlafen läßt. Das alte Gebrechen, das ich jenem ... Treppensturz verdanke. Darum bleibt mir mehr Zeit, denn andern, nach- und vorzudenken. Darum hab' ich für jeden Zug, den er auf dem Schachbrett tut, schon den Gegenzug ersonnen. So schlägt ihm, was er mir einst im blinden Jähzorn angetan, nun zum eigenen Verderben aus. Gott ist gerecht!
Meinerts Ein finsterer Gott, vor dem du kniest!
Hamel Gedenke meines Worts, Sebald Meinerts. Nie wird Andreas Zierenberg in sein erträumtes Eden einziehen, nie, nie! Denn ich, Jobs Hamel, ich bin durch Gottes ewigen Ratschluß als Wächter davor aufgestellt. Und eher fällt er in sternenloser Nacht, ehe ich ihn als meinen Herrn anerkenne!
Meinerts Wie? Du wolltest selbst ...?
Hamel streicht sich über die Stirn Nimm's wie du magst!
Meinerts steht auf, geht ein paar Schritte, wendet sich lächelnd zu Hamel zurück Weißt du, wie's mir soeben vorkam, da ich die Augen schloß und deine Worte klingen hörte? Als lustwandelten wir selbzweit an einem Sonntagnachmittag in den Auen bei Wittenberg und sähen die Wogen des Elbstroms zu unsern Füßen vorüberziehen.
Hamel Was soll das?
Meinerts Und du blicktest zu den Türmen der Domkirche hinüber und peroriertest von Cäsar und Brutus und von Harmodios und Aristogeiton. Fast erschrak ich, so deutlich klang's mir im Ohr, und sind doch zwanzig Jahre seithero dahin.
Hamel rüttelt ihn an der Schulter Erwache, Sebald Meinerts! Wir sind keine Knaben in den Auen von Wittenberg mehr! Wir sind Männer. Um die Wirklichkeit geht's! Nicht wie einst um wohltönende Worte! Auf schwankem Steg über dem Abgrund stehen sich zwei gegenüber! Er muß hinunter, wo er nicht umkehrt!... Du bist sein Freund, wie du meiner bist. Reiß' ihn zurück, Sebald Meinerts! Reiß' ihn zurück! 's ist seine, 's ist unser aller Sternenstunde. Werde sein guter Engel, wie jenes Weib, jene Polin, sein böser geworden ist!
Meinerts der ihn nicht ohne Bewegung angehört hat, fährt bei den letzten Worten auf Was soll's mit ihr?
Hamel ihn scharf beobachtend Sie ist's, die seine Schritte lenkt. Die ihn in sein Verhängnis treibt. Um ihretwillen reckt er sich höher und höher und um ihretwillen wird er fallen. Sein Schicksal hat er sich in ihr anvermählt.
Meinerts Jetzo träumst du, Jobs Hamel! Was war es denn, was ihn als unbärtigen Knaben schon umtrieb? Was ihn auf dich losstürzen ließ, dazumal an der Brandstelle? Was war's, was ihn durchs Leben gehetzt hat? Du solltest das wissen, Jobs Hamel! Ehrsucht war's! Wilde, ungebändigte Ehrsucht! Mußte erst ein Weib kommen und ihn vergiften? Am Ende hat sie ihm gar einen Zaubertrank eingegeben.
Hamel mit scharfer Betonung Derlei mag es wohl sein. Man sagt ja, Liebe sei nichts als Zauberei.
Meinerts Wohl dir, daß sie dir unbekannt geblieben!
Hamel mit bösem Blick Man lernt wohl auch vom Hörensagen. Oder vom Anblick fremden Zaubers. Hättest du ihn beobachtet wie ich, damals im Lager, als sie das Zelttuch zurückschlug und in gleißender Schönheit dastund, ich meine, hättest du da ihn ins Auge gefaßt, wie er von ihrem Zauber gebannt schien, du müßtest mir zustimmen.
Meinerts Ich gab nicht acht.
Hamel sich mit seinem Blick an ihm festsaugend Nicht acht auf ihn! Das ist richtig! Wie ja auch ihre Blicke nicht ihm galten oder gar meiner unscheinbaren Wenigkeit. Und dann die plötzliche Schwäche! Das Schwinden der Sinne! ... Nun ja, ganz begreiflich bei so unvermutetem Wiedersehen nach so langen Jahren! Man hätte sie vorbereiten sollen ... Ihm schien's doch aufzufallen.
Meinerts Jobs Hamel ...!
Hamel Später fanden sich wohl Ort und Stunde zur Aussprache, nicht? Es traf sich gut, daß die Reise beiderseits gen Danzig ging. Man verirrte sich in Sturm und Ungewitter ein wenig seitab von der Gesellschaft ... Man wird's nicht bereut haben ... Es gab so dies und das zu verhandeln, was nicht für fremde Ohren getaugt hätte. Der nachträgliche Kommentar zu einem längst verfaßten und halb vergessenen Text!
Meinerts dicht an ihn heran Jobs Hamel! Was du mir einstmals in trunkener Mitternachtsstunde entlockt, so unbedacht es auch von mir war, es war doch dem Freunde anvertraut.
Hamel erwidert seinen Blick Und dem Freunde werd' ich es bewahren. Beacht' es wohl! Dem Feinde gegenüber sprech' ich mich von jedem Eide los.
Meinerts Wie? Drohungen, Jobs Hamel?
Hamel Mit schönen Worten hast du mich lang' genug abgespeist. Die Stunde ist da, da ich Taten von dir verlange. Beweise mir, daß du mein Freund bist so gut wie seiner. Beweis es mir, Sebald Meinerts! Und eher soll man mich in Stücke reißen, ehe ich mit einem Hauch den Schleier des Vergessens lüfte! Doch täusch' ich mich in dir ...
Bastian erscheint links vorn Gnädiger Herr!
Hamel streift rasch seine Kapuze über Du wirst abgerufen.
Bastian Der gnädige Herr haben Meldung gewünscht, falls das Fohlen anlangen sollte ...
Meinerts erhebt sich Ich komme sogleich.
Bastian hält sich abwartend in der halboffenen Tür.
Hamel Familienzuwachs im Marstall! Ich will nicht länger stören. Er wendet sich zur Tür.
Meinerts zu Bastian Führe den Herrn zur Hinterpforte hinaus, Bastian.
Hamel tritt noch einmal zu Meinerts Ein zweideutig Tränklein, jener bewußte Zaubersaft der Liebe, mein Sebald Meinerts! Des Lebens höchstes Gut dem einen! Und doch wieviel Weiterung und peinlichen Nachgeschmack erspart sich der andre, dem sie unbekannt geblieben! Er nickt ihm zu, folgt dem wartenden Bastian zur Tür hinaus. Beide ab.
Meinerts allein, geht langsam durch die Halle, sieht nach der sich schließenden Tür Drohungen? ... Stehen wir schon so? Hm! Er macht ein paar Schritte Vernunft und eigner Wille gebieten mir Vorsicht, Zurückhaltung. Und er? Was war die Absicht? Mich zur Wahl zu zwingen? Dies geistlose Entwederoder? Warum denn immer Partei ergreifen müssen? Warum immer schwarz oder weiß sagen, wo's doch auch rot und grün, gelb oder blau und tausend Übergänge gibt? Nirgend eine Freistatt für den Einzelnen, den Besonderen, den Auserlesenen? Er bleibt vor der Staffelei stehen, zieht den Vorhang zurück Hier, hier ... hier sind sie, die tausend Farben und Schattierungen! Hier, hier zeigt es sich, der Dinge wahres Gesicht! Dem Meister Jan von Harlem, dem ward's zuteil. Wir andern alle, wir nachtwandeln nur so hin. Er richtet sich langsam auf, lächelt Wie er mich anfunkelte mit seinen grünen Katzenaugen! Ein schön geflecktes Pardeltier, mein alter Jobs Hamel ... Und der andre der grimme Bär der Vorzeit! Ein prickelnd gewagtes Spiel so zwischen Bär und Pardeltier! ... Und wenn's mißlingt? Nun so oder so! Steh' ich nicht unter dem Schwert? Ist's nicht immer nur eine Gnadenfrist? ... Wir sitzen am Lebensfolianten und buchstabieren ein paar Blätter voll fremder Zeichen, unbekannter Laute. Ein Weilchen länger oder kürzer gesessen, ein Kapitel mehr oder weniger buchstabiert ... Einerlei! Der Sinn des Ganzen bleibt geheimnisvoll.
Zierenberg erscheint von Bastian geführt links hinten.
Bastian verschwindet geräuschlos.
Meinerts geht Zierenberg entgegen, reicht ihm die Hand Sei willkommen!
Zierenberg seinen Gruß erwidernd Mein Bote erreichte dich?
Meinerts In der dritten Nachmittagsstunde! Er schien Eile zu haben.
Zierenberg Sebald Meinerts! Meine Regimenter stehen seit heute früh keine zwei Stunden von hier bei der Münde.
Meinerts betroffen Und der Polenkönig?
Zierenberg Vorvergangene Nacht hat er sein groß Reiterlager mir vor den Augen angesteckt und ist auf Flößen und Kähnen über die Weichsel gesetzt. Ich bin ihm diesseits nachgerückt und hab' mich grad' gegen ihm über gelegt.
Meinerts Ist's in der Stadt schon bekannt?
Zierenberg Sie werden's bald genug zu spüren bekommen, wo nur erst der König den Handel und die Fahrt auf der Weichsel sperrt und ihnen die Zufuhren ausbleiben.
Meinerts Das sind ja Fakta von höchster Wichtigkeit! Er geht mit großen Schritten durch die Halle.
Zierenberg tritt dicht an ihn heran Sebald Meinerts! Dich wird's am härtesten treffen, wenn der König von der Mündung aus den Hafen blockiert und euren Handel lahmlegt.
Meinerts mit wiedergefundener Haltung Unser Haus hat schon schlimmere Stürme überdauert.
Zierenberg Ich habe in Antwerpen, derweil die Spanier vor der Schelde lagen, die stolzesten Handelshäuser zusammenbrechen sehen.
Meinerts Das ist das Wagespiel des Kaufmanns. Krieg trifft ihn als Elementarereignis, gleich Erdbeben und Pestilenz. Dagegen sind wir machtlos.
Zierenberg Du weichst mir aus, Sebald Meinerts! Wozu schriebst du mir dann?
Meinerts schweigt nachdenklich.
Zierenberg Spiele nicht Versteckens! Ich weiß, daß du auch mit Balthasar Krüger und andren Zunftmeistern in Verbindung stehst. Willst du die ebenso wie mich, willst du alle Welt zum Narren halten?
Meinerts Was hast du vor, Andreas Zierenberg? Wozu willst du mich brauchen?
Zierenberg Das Regiment der Stadt muß von Grund aus reformiert werden. Gleichzeitig damit wäre Frieden mit dem Polenkönig zu schließen.
Meinerts setzt sich Wie? Du, der Soldat, willst Frieden schließen?
Zierenberg setzt sich ebenfalls, senkt den Kopf Ich bin des ewigen Dreinhauens und Niederbrennens müd'. Mein halbes Leben lang hab' ich's geübt. Jetzt möcht' ich aufbauen und weiterpflanzen.
Meinerts 's ist der Bauernsohn in dir, so wieder zum Vorschein kommt.
Zierenberg starrt vor sich hin Früher lebt' ich wohl auch in den Tag und tat wie die andern. Das Handwerk stumpft ab. Aber wie die Jahre mir verrinnen und das Haar an den Schläfen ergraut ...
Meinerts Auch du schon so weit, Andreas?
Zierenberg fährt sich über die Stirn 's kommt vom währenden Helmtragen. Nein, ich weiß mir ein besser Denkmal denn eingestürzte Dorfkirchen und umgeworfene Leichensteine. Ich will euch den Frieden bringen.
Meinerts Du uns den Frieden? Und der Rat von Danzig? 's ist Ratssache, Frieden zu schließen oder nicht.
Zierenberg Der Rat hat sich als unfähig erwiesen! Drum fort mit ihm!
Meinerts So ist es wahr, was man dir nachsagt, daß du auf die Diktatur lossteuerst?
Zierenberg In bedrängten Zeiten wie diesen hilft nur ein fester und entschlossener Wille. Das Regiment der Stadtjunker hat sich als unfähig dazu erwiesen. Ihre Stunde ist um. Junges, frisches Blut drängt in die Welt. Ein Retter tut uns not. Hier steht er! Er richtet sich in voller Höhe auf Willst du mit mir sein?
Meinerts senkt den Kopf Ich bin nicht, der ich dir scheine, Andreas.
Zierenberg ohne auf ihn zu hören Wir teilen uns in die Geschäfte. Du nimmst den Handel und die freien Künste. Ich das übrige. Wir stehen einer für den andern.
Meinerts senkt abermals den Kopf Ich bin ein morscher Stamm, Andreas.
Zierenberg Du bist aus besserem Holz als deine Sippschaft, Sebald Meinerts. Von Jugend auf hast du zu uns, zum Volk gehalten. Damals, als sie mir den Prozeß machten, um Jobs Hamels willen, damals hast du als einziger für mich gebeten, bist für mich eingestanden. Dir allein verdank' ich, daß es noch glimpflich abging. Er streckt ihm die Hand hin.
Meinerts sie bewegt festhaltend Du gehst einen gefährlichen Weg, Andreas Zierenberg!
Zierenberg Ich bin mein Lebtag gefährliche Wege gegangen.
Meinerts Noch nie einen gefährlicheren als diesen! Sei gewarnt!
Zierenberg So geh ihn an meiner Seite! Zwei sind stärker denn einer. Die Dinge treiben zur Entscheidung. Jeder Tag, jede Stunde kann den Funken ins Pulverfaß schleudern. Die Tür links vorn wird geöffnet.
Bastian erscheint etwas außer Fassung Gnädiger Herr! ... Eine Dame verlangt stürmend Eintritt!
Meinerts Eine Dame?
Bastian Sie ist tief verschleiert. Der grobe Landsknecht von heute nachmittag ist bei ihr.
Cordula ist hinter ihm eingetreten, schiebt ihn zur Seite Geh Er! Die Gräfin Belicka wird sich selber anmelden. Sie schlägt den Schleier zurück.
Zierenberg Cordula ...!
Meinerts Gnädige Frau ...?
Bastian verschwindet auf Meinerts Wink.
Cordula Es scheint, ich verstehe mich auf Überraschungen. Wie die Salzsäulen lassen sie sich an, die beiden Herren!
Zierenberg Mort de ma vie! Du kommst wie vom Himmel gefallen!
Cordula lächelnd Riefst du mich nicht durch meinen Freund Lorenz zu dir ins Lager? Zur Vesperstunde klopfte er an unserm Hause an. Jetzt ist es um Sonnenuntergang. Ich bin pünktlich, mein Herz!
Zierenberg Erkläre mir, woher wußtest du ...?
Cordula Daß du hier anzutreffen? Doch ebenfalls von deinem Herrn Lorenz, dem Getreuesten deiner Getreuen, der mich hieher begleitet. War er denn nicht, eh' er zur Stadt kam, hier vorbeigeritten und hatte Botschaft von dir überbracht, du wollest zum Abend vorsprechen? Nun also! So erfuhr ich's.
Meinerts Nehmt Platz, Gräfin! Ihr seid ermüdet. Ein Imbiß ...
Cordula Ich danke von Herzen, Herr Ratsherr. Es wird sich nicht lohnen. Sie tritt dicht an ihn heran, flüstert hastig Hab' ich Wort gehalten oder nicht?
Zierenberg steht abgewandt, grübelt kopfschüttelnd Daß der Kerl, der Lorenz, so ein Waschweib, dacht' ich nicht! Als strengstes Geheimnis hatt' ich's ihm auf die Seele gebunden, meinen Ritt hierher. Man wird ihm im Krummholz das Maulhalten beibringen.
Cordula lächelnd Beruhige dich! Er hätte sich schwerlich verplappert, wäre nicht der Aufruhr in der Stadt gekommen.
Zierenberg fährt an seinen Degen Der Aufruhr in der Stadt?
Cordula wie vorher Ja, Liebster, es ist ein Aufruhr ausgebrochen. Eine Empörung. Wie sagt man? Eine Rebellion.
Zierenberg Rebellion? Von wem?
Cordula Von den Zünften! Von den Handwerkern! Die dritte Ordnung nennt Ihr's wohl? Sie haben sich vor dem Rathaus zusammengerottet. Es läuft das Gerücht, unser König habe den Hafen gesperrt. Einer ruft's dem andern zu. Es war ein Toben und Johlen vor dem Rathaus, die Ohren haben mir gegellt. Schrecklich!
Zierenberg schlägt an seinen Degen So hat's also eingeschlagen!
Cordula Der Rat hat sie durch die Stadtknechte auseinandertreiben wollen, da ist das höllische Heer erst recht losgebraust, und als es gar geheißen hat, die Stadtknechte haben einen von den Zunftmeistern abgeholt und in den Turm geworfen, da sind die Flammen lichterloh aufgeschlagen! Zu den Waffen! haben sie geschrieen, zu den Waffen! ...
Zierenberg ergreift ihre Hand Und das alles ... das alles berichtest du uns erst jetzo, Cordula?
Cordula lächelt ihn an Es muß doch Überraschungen auf dieser Welt geben. Ich habe immer meine Freude daran gehabt, jemanden so recht zu überraschen. Diesmal scheint's mir gelungen.
Meinerts hat bis jetzt in stummer Erregung zugehört Wißt ihr den Namen des Zunftmeisters, den sie abgeführt haben, Gräfin?
Cordula Der Bäckermeister Krüger soll es sein.
Meinerts Balthasar Krüger!
Zierenberg Dem du schriftlich Botschaft geschickt hast!
Meinerts Sie werden sein Haus absuchen, seine Briefschaften durchstöbern ... Erkenn' ich Jobs Hamels Hand? Ich muß auf der Stelle nach der Stadt!
Cordula zu Zierenberg Und du, mein Freund?
Zierenberg Mein Platz ist jetzo im Feldlager, an der Spitze meiner Regimenter!
Cordula mit halbverschleierten Augen Und wann reitest du an der Spitze deiner Regimenter in die Stadt ein und empfängst aus unsres großen Königs Hand den Ritterschlag und den Burggrafenhut?
Zierenberg Das warte ab, wie die Würfel fallen. Er wendet sich zu Meinerts Sebald Meinerts! Die Stunde ist da, früher als ich gedacht. Sobald deine Geschäfte in der Stadt beendigt, erwarte ich dich bei mir im Feldlager an der Münde.
Meinerts Laß mich nur erst zur Besinnung kommen, Andreas! Laß mich überlegen!
Zierenberg Zu spät! Jetzt heißt es handeln. Balthasar Krüger hat Schriftliches von dir. Schriftliches besonderer Art. Das bedenke!
Meinerts steht in schwerem Nachdenken da.
Cordula tritt dicht an ihn heran Fühlt Ihr den Flügelschlag des Geschicks, Herr Ratsherr? Hört Ihr hoch aus den Lüften den Ruf des Glücks? Ihr seid ins Feldlager gebeten. Kommt Ihr?
Meinerts sieht sie an, dann mit entschlossener Gebärde Dank für die Mahnung, Gräfin! Ihr werdet mich zur Stelle sehen!
Vorhang.