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XV.
Christabend.

Es war Christabend. In einem, den Wohlstand und Geschmack der Bewohner verrathenden großen Gemache stand eine schöne Frau. Sie hatte den letzten Blick auf die lange Tafel gerichtet, welche mit Weihnachtsgeschenken bedeckt war, und schien mit dem Ganzen zufrieden. Auch den Tannenbaum, den ihre Hände zierlich geschmückt und mit Kerzchen versehen hatten, betrachtete sie lange. Ein leiser Seufzer entschlüpfte ihren Lippen, sie dachte der Zeit, in welcher sie täglich die Tannen des Waldes geschaut, ihren würzigen Duft eingeathmet hatte.

Jetzt trat sie an das Fenster und schaute auf den großen Platz, auf welchem es durch die Gasbeleuchtung und die vielen Lampen und Lichter in Läden und Buden ganz hell war. Dieses Schauspiel war ihr neu, sie freute sich der rasch vorwärtsgehenden mit Sachen beladenen Menschen, welche ihrer Heimath zu eilten, die Ihrigen zu erfreuen.

Julie, denn sie war die Bewohnerin dieses Zimmers, hatte erst vor Jahresfrist, kurz nach Weihnachten mit ihrer Familie die Residenzstadt bezogen. Halldorf war an die Stelle des alten Oberforstmeisters befördert worden. Er verdiente diesen ehrenvollen Posten, weil er aber noch jung war, hatte er sein Amt, wie es offiziell in den Zeitungen hieß, laut allerhöchsten Beschlusses bekommen.

Julie erfreute sich jetzt des Glückes, alle ihre Kinder um sich zu haben, und ihre alten Freunde, den Geometer und seine Gattin.

Ihrem regen Sinn für alles Schöne that es doch wohl, daß sie in der Hauptstadt edle Kunstgenüsse kennen lernte und sich in Räumen befand, welche für ihre Schönheit und ihr ganzes Wesen geeigneter waren, als das einfache Forsthaus, obgleich sie oft und gern an dieses Asyl im Grünen dachte.

Jetzt öffnete sich leise die Thür, Julie blickte auf und sah Hand in Hand mit ihrem Gatten Wilfried eintreten.

Der Baron von Geyersfels verbeugte sich ehrerbietig vor Julien und sagte: »es ist heute ein allgemeiner Freudentag, wo man Geschenke giebt und empfängt, auch ich komme heute mit des Oberforstmeisters Erlaubniß, ein Geschenk Ihnen zu bringen und eins für mich zu erbitten, wollen Sie dies gestatten, gnädige Frau?«

»Was Halldorf Ihnen versprochen hat, Exzellenz, werde ich natürlich anerkennen«, entgegnete Julie.

»Ich bitte, gnädige Frau, verschonen Sie mich mit diesem Titel, ich verdiene als Ihr aufrichtigster Freund und Bewunderer einen minder kalten Ton.«

Der Oberforstmeister neigte bei diesen Worten zustimmend sein Haupt, Geyersfels fuhr fort, »hören Sie mich an, meine lieben Freunde. Wie tief ich Ihr schönes Bild im Herzen trug, wie treu ich dasselbe bewahrte, ist Ihnen Beiden bekannt. Jahre lang durchstreifte ich die Welt, als ein finstrer Menschenhasser, welcher die Frauen mied. Als ich vor zwei Jahren nach Birkendorf kam, meine arme Schwester zu besuchen, deren heißes Herz bei der Pyramide des Cestius Ruhe gefunden hat, sah ich Sie, verehrte Frau, wieder, schöner als jemals. Ich bekenne offen, ich liebte Sie damals mit glühender Leidenschaft, und, so seltsam geartet ist das Menschenherz, zuweilen peinigte mich die heftigste Rachsucht gegen Sie, in welcher ich die Zerstörerin meines Lebensglückes sah. Ich wollte Ihnen Ihren Sohn, den Ihnen sprechend ähnlichen, schönen Arthur entziehn, ihn an mich fesseln, ihm Genüsse kennen lehren, welche Ihr einfaches Haus ihm nicht bieten konnte. Dann suchte ich Sie zu gewinnen, Sie, die Treue, die Reine! Ich denke noch mit Beschämung daran und bitte: »vergeben Sie mir, verehrte Frau.«

Ein leises Lächeln glitt über Juliens edle Züge, um schnell wieder heiligem Ernste zu weichen. Sie reichte dem Baron die Hand, er küßte sie ehrfurchtsvoll, dann sprach er weiter: »zurückgewiesen von Ihnen gnädige Frau, verließ ich Birkendorf. Ich bekenne jetzt, denn ich muß die Last von meiner Seele wälzen, daß ich niemals daran gedacht habe, Halldorf mit eigener Hand zu tödten, aber – und dunkle Gluth überzog bei den nachfolgenden Worten des Barons Gesicht – ich würde mich über seinen Tod gefreut haben. Eine Thatsünde beging ich nicht, aber eine Gedankensünde. Können Sie mir vergeben, meine Freunde?«

»Wer ist gänzlich frei von Gedankensünden?« fragte Julie.

»Auch ich, Exzellenz, dachte nicht immer mit christlicher Liebe an Sie, aber That und Gedanken sind zweierlei und wir haben gegenseitig zu vergeben und zu vergessen,« sagte Halldorf.

Nach einer Pause sagte Geyersfels: »ich ging mit meiner kranken Schwester nach Rom, die Sorge um diese schwächte meine Leidenschaft für Sie, gnädige Frau. Eine junge liebenswürdige Dame, Gräfin Ellerndorf, des Grafen Nichte, begleitete Sidonien. Im nähern Umgange mit diesem sanften Mädchen zog allmählig Frieden und endlich Glück in meine Jahre lang glücklos gewesene Seele ein. Unser Fürst Waldemar kam nach Italien, um die letzten Tage der armen Sidonie zu verschönern. Er hat schwer an meiner Schwester gesündigt, er liebte sie und wird sie nie vergessen, allein ich will ihn nicht verdammen. Es gehörte ein eiserner Charakter dazu, um des geliebtesten Weibes willen Vaterfluch auf sich zu laden. Im näheren Umgange mit dem Landesherrn, wurde ich sein Freund. Er und ich, wir hatten Beide an Sidoniens Sarge geweint. Sterbend hatte die Verklärte uns zugeflüstert: »seid Freunde fortan!«

Julie blickte den Baron mit feuchten Augen an, er fuhr fort: »so bin ich denn auf Waldemar's Wunsch Minister des Innern, und hoffe, daß ich noch Zeit genug behalte, um begonnene Reformen glücklich durchzuführen. Jetzt, wo ich überzeugt sein kann, daß Sie mir verziehen haben, frage ich Sie, wollen Sie mein Geschenk annehmen?«

»Gewiß, o gewiß, mit Freuden!« riefen Halldorf und Julie.

»Wohl, ich habe Ihr Wort. So schenke ich Ihnen denn in meiner jungen Gattin eine Freundin, ich habe oft zu ihr von Ihnen gesprochen, verehrte Julie, und werde sie Ihnen in einer halben Stunde zuführen, wenn ich die Erlaubniß dazu erhalte, bei Ihnen den Christabend feiern zu dürfen.«

»Wir werden glücklich sein, Baron, diese liebenswürdige Dame kennen zu lernen,« sagte Julie.

»Das Geschenk, welches ich von Ihnen erbitte, ist: Ihr Arthur! Ich will Ihnen den Sohn nicht rauben, nur lassen Sie ihn oft bei mir sein, mich mit für die Ausbildung seiner glänzenden Naturgaben sorgen und ihm dereinst eine Stellung bereiten, so wie sie sich für sein reich und poetisch angelegtes Naturell ziemt. Arthur würde in einfachen Verhältnissen ein unzufriedner Mensch sein, vielleicht untergehen, aber in glänzenden wird er Herz und Geist zum Besten seiner Mitmenschen benutzen. Schenkt mir der Himmel keinen Sohn, erbt Arthur mit Zustimmung des Landesherrn die Geyersfelsischen Besitzungen, im Gegenfall wird er dennoch gut gestellt, denn seit ich ihn kenne, habe ich angefangen für ihn zu sparen. Ich habe Ihr Wort, lieber Halldorf, theure Frau,« er hielt inne, und sah das Elternpaar fragend an.

»Sie haben es, Herr Minister! Sie beurtheilen unsern Sohn Arthur ganz richtig.«

Julie neigte nur zustimmend das Haupt, zu sprechen vermochte sie nicht.

Glockengeläute, zur Christmette rufend, durchschallte die Stadt. Julie und die beiden Männer falteten die Hände, und durch das Gemach schwebte der Engel des Friedens.

 


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