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X.
Der nächste Tag.

Am andern Tage hörte man in Birkendorf und der Umgegend kaum ein andres Wort, als Bemerkungen über den Förster, und Vermuthungen und Fragen, wer die schaudervolle That verübt habe. Die Gerichtspersonen hatten sich, begleitet vom Amtmanne, auf den Platz verfügt, wo der Revierförster gelegen hatte. Es war nichts zu sehn, als Fußtritte von Männern und Frauen nebst Blutspuren. In der Capelle war auch Nichts zu finden, als eine leere Weinflasche, doch konnte sie schon länger dagelegen haben, es war eine Korbflasche, wie Reisende sie zu tragen pflegen.

In dem Forsthause auf seinem Bette lag der Förster, der Gerichtsarzt hatte eine Wunde am Hinterkopfe desselben gefunden, doch schien sie dem erfahrenen Manne nicht tief genug, als daß er sie als Ursache des Todes betrachten wollte. Auffallend war es, daß der Kopf Halldorf's, als man ihn gefunden hatte, verbunden war und zwar mit einem feinen Tuche von Battist, wie nur Damen oder vornehme Herren sie im Gebrauche haben. Durch dieses Tuch war offenbar der Blutverlust verringert worden. Halldorf's Gesicht war bleich, aber seine Züge friedlich wie die eines Schlafenden.

Julie knieete an seinem Lager und betete.

»Wenn er nur den Mund öffnete, wenn wir ihm etwas Wein einflößen könnten,« sagte sie endlich zum Arzte.

Dieser betrachtete sie mitleidig und sagte mit erstickter Stimme: »der gute Halldorf wird nie wieder Wein genießen!«

»Aber sie halten ja die Wunde nicht für tödtlich?!«

»Kaum, aber dennoch ist er –«

»Sprechen Sie das Wort nicht aus, ich hoffe noch, Halldorf hat schon zweimal im Leben den Starrkrampf gehabt, könnte er nicht auch jetzt davon befallen sein?«

»Ha! das wäre möglich und da ich die Wunde ausgewaschen und verbunden habe, ist jetzt Nichts zu thun, als daß wir ihren Gatten ruhig liegen lassen bis er entweder –« der Doctor vollendete den Satz nicht.

Die beiden Kinder traten ein und knieten neben der Mutter; innigere Gebete stiegen wohl nie zum Himmel auf, als in diesem Augenblicke, aus den Herzen Juliens und ihrer Kinder.

Ein mitleidiger, besonnener Nachbar hatte einen Boten an Frau Halldorf's Bruder geschickt, damit dieser auf schonende Art dem Sohne mittheile, welch' Unglück sich daheim ereignet habe. Julien's Bruder war durch sein Amt gefesselt, aber Arthur machte sich sofort mit dem Boten auf den Weg nach seiner Heimath.

Eben als Mutter und Geschwister ihre Hände gefaltet zu Gott emporgehoben hatten, trat Arthur herein. Als er die geliebte Gestalt des Vaters leblos vor sich sah, zuckte sein Gesicht, er faßte des Vaters starre Hand und rief: »O wie oft habe ich Deinem edlen Willen nicht gehorcht, aber so wahr mir Gott helfe in meiner letzten Stunde, ich will alle die Lehren befolgen die Du mir gegeben hast, ich will Stütze und Trost für die Mutter und die jüngern Geschwister sein.«

Hierauf ließ er sich Alles, was sich in den letzten Stunden begeben hatte, erzählen, auch das Battisttuch verlangte er zu sehn. Als die Mutter es herbei brachte, erbebte er am ganzen Körper: »Das Tuch kenne ich!« sagte er mit hohler Stimme, »ich sah es in der Hand des Baron von Geyersfels.«

Vor Juliens Augen dunkelte es, sie sank in den Stuhl zurück.

Der Untersuchungsrichter aus der Stadt war mit seinem Actuar und zwei Polizeibeamten eingetroffen, um sofort eine Untersuchung zur Auffindung des Mörders zu beginnen.

»Ein Wildschütz kann diese ruchlose That nicht vollführt haben,« bemerkte der Untersuchungsrichter, denn ein solcher würde auf den Förster geschossen haben. Ein gewöhnlicher Raubmörder ebenfalls nicht, denn die goldne Taschenuhr an goldner Kette, der Siegelring, Pretiosen, welche Halldorf stets trug, waren ihm nicht geraubt, in seiner Börse fanden sich zehn Friedrichsd'or, er hatte in der Stadt Einkäufe machen wollen. Nur persönlicher Haß konnte diese That veranlaßt haben. Wer aber haßte den Revierförster? Die Antwort lautete: Niemand. Halldorf war wegen seinem biedern Charakter überall aufrichtig geschätzt, vom Hause aus wohlhabend, war er im Stande, freigebig zu sein, und laut klagten die Armen des Dorfes um den Verlust des Wohlthäters.

Arthur hatte das Haus verlassen, er ging seinen eigenen Weg, seine Geschwister saßen weinend in ihrem Stübchen bei der treuen Magd. Julie verweilte allein bei ihrem Gatten, sie gab noch immer die Hoffnung nicht auf, daß er nur scheintodt sei, unterhielt das Feuer im Ofen, rieb ihm die Schläfe mit stärkenden Essenzen und küßte das liebe bleiche Antlitz. Niemals war sie sich ihrer Liebe zu Halldorf so bewußt gewesen, wie in diesen schweren Stunden. Seine unveränderte treue Liebe, seine Güte und Sorge für die Kinder, ach, alle die schönen Züge seines Charakters strahlten im hellsten Lichte sie an, und dieser Mann sollte nie wieder zu ihr sprechen, niemals wieder die Worte der Liebe aus ihrem Munde vernehmen?

Hatte Gott sie für ihre phantastischen Gedanken gestraft, welche vor einiger Zeit Geyersfels in ihr erweckt hatte? Was war ihre einstige Kinderliebe zu dem leidenschaftlichen Manne gegen die gleichbleibende, immer wahre Neigung zu Halldorf? Geyersfels hätte sie auf die Dauer nicht beglückt, ihre Lebensstellung und Erziehung war zu verschieden von der seinigen.

»Herr, strafst Du nicht nur Thaten, sondern auch vorübergehende Gedanken?« fragte sie. Indeß saß der Untersuchungsrichter in einem Zimmer des stattlichen Dorfgasthofes, dessen Besitzer der Richter von Birkendorf war. Er hatte erst mit dem Richter und dem Gerichtsarzte gesprochen, dann bat der junge Halldorf um geheimes Gehör bei dem Untersuchungsrichter und zuletzt Pater Cölestin aus dem Kloster Gnadenort.

Zu derselben Zeit hielt ein gewöhnlicher Frachtwagen vor dem Ellernburgschen Hause, der Fuhrmann und ein Diener des Baron von Geyersfels beluden das Fuhrwerk mit Kisten und Mobilien. Als der Wagen voll war, fuhren Kutscher und Diener mit demselben fort. Wilfried von Geyersfels in Reisekleidern trat aus dem Hause und schloß es zu, dann schlug er den Weg nach Birkendorf ein, um sich auf dem Postamte Wagen und Pferde bis zur nächsten Stadt zu bestellen.

Kaum hatte er die Grenze überschritten und die ersten Häuser Birkendorfs erreicht, als zwei bewaffnete Polizeibeamte auf ihn zu traten mit den Worten: »Herr Baron von Geyersfels, Sie sind unser Gefangener.«

Geyersfels trat einen Schritt zurück, entrüstet rief er aus, »Sind Sie toll?« Die Männer jedoch versicherten, wenn er Widerstand leisten würde, müßten sie Gewalt anwenden, denn sie hätten den Befehl, ihn zum Untersuchungsrichter zu führen.

Geyersfels hielt es jetzt für klüger, sich in sein Schicksal zu ergeben, da er unbewaffnet war; »Gut, so lassen Sie uns rasch gehn, es muß sich ja sofort Alles aufklären,« sagte er.

Der Untersuchungsrichter ließ den Baron sogleich vor sich führen. Ohne des Richters Anrede abzuwarten, fragte Geyersfels etwas herrisch: »was dem Herrn Criminalrathe denn das Recht gebe, ihn verhaften zu lassen.«

»Ich wünsche, Sie zu befragen, was Sie von dem Tode des Revierförster Halldorf wissen?« sagte der Criminalrichter und faßte den Baron scharf in das Auge.

»Tode? Ist Halldorf todt?« stammelte Geyersfels. Sein Gesicht sah bleifarben aus, »wann starb der Mann?« fragte er.

»Sollten Sie wirklich nicht wissen, daß man ihn gestern Nachts nach zehn Uhr leblos im Walde gefunden hat?«

»Nein, wie sollte ich –«

»Und doch begegnete Ihnen der Lindenbauer kurz nach halb zehn Uhr im Walde, der Mann ging heim, Sie aber schritten auf die Kapelle zu. Er bot Ihnen guten Abend, nannte dabei ihren Namen und Sie erwiederten seinen Gruß.«

»Das ist Wahrheit.«

Der Actuar schrieb indeß jedes Wort des Sprechenden nieder, der Untersuchungsrichter fuhr fort: »vielleicht reuete Sie diese That, der verwundete Kopf des Revierförster war mit einem Tuche verbunden; der älteste Sohn des Revierförsters behauptet, dasselbe bei Ihnen gesehen zu haben, und allerdings ist es mit den in einander geschlungenen Buchstaben W. G. bezeichnet, darüber ist in feiner Stickerei ausgeführt eine Krone.«

»Arthur hält mich für einen Mörder,« murmelte der Baron, »und Julie, ich wollte sagen Frau Halldorf? –« er hielt inne.

»Frau Halldorf hat bisher das Gemach nicht verlassen, was diese Dame jetzt von Ihnen denkt, weiß ich nicht, wohl aber habe ich aus glaubwürdigem Munde ein Gespräch wiederholen gehört, das Sie im September des vorigen Jahres auf dem hiesigen Friedhof geführt haben, mit Frau Halldorf, es spricht stark gegen Sie.«

Geyersfels schwieg, nach einer langen Pause fragte er: »Wer hat Ihnen jenes Gespräch mitgetheilt? Ich sprach mit Frau Halldorf, aber ohne ihren Willen und nimmer werde ich dulden, daß der Ruf einer Frau, welche ich hoch achte, verunglimpft wird. Sie soll ihren Wittwenschleier, wie sie es verdient, mit Ehren tragen.«

»Wenn Frau Halldorfs Name nicht in das Spiel kommen soll, so können Sie das am Leichtesten verhindern, wenn Sie die That sofort gestehn.«

»Das kann ich nicht, Herr Criminalrath, ich bin aber jetzt noch zu sehr erschüttert, um klar zu wissen was ich zu thun habe. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nicht entfliehen will, lassen Sie mir Zeit bis Morgen.«

Der Criminalrath ließ dem Baron ein Zimmer im Gasthofe anweisen, welches von den Polizeibeamten bewacht wurde.

Zu sich selbst sagte er: »Alles spricht gegen diesen Mann, aber dennoch wird es mir schwer an seine Schuld zu glauben.«


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