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Vorwort

Am Schlusse meiner wissenschaftlichen Lebensarbeit angelangt, sehe ich mich – wider Erwarten – veranlaßt, noch einmal in Sachen der monistischen Naturphilosophie das Wort zu ergreifen. Die unmittelbare Veranlassung dazu geben mir zahlreiche Briefe, welche seit fünfzehn Jahren von wißbegierigen Lesern der »Welträtsel« und »Lebenswunder« an mich gelangt sind. In diesen »Gemeinverständlichen Studien« hatte ich versucht, meine allgemeinen Anschauungen über die höchsten Fragen der Menschheit, über Gott und Welt, Seele und Mensch, welche ich als Naturforscher im Laufe fünfzigjähriger Denkarbeit gewonnen hatte, einem weiteren Kreise Gebildeter zugänglich zu machen. Daß ich damit einem wirklichen Bedürfnis der Zeit entgegengekommen war, bewies der ungewöhnliche, mir selbst ganz unerwartete Erfolg dieser Bücher.

Die moderne monistische Philosophie ist das natürliche Produkt einerseits aus den beispiellosen Fortschritten der gesamten Naturerkenntnis im neunzehnten Jahrhundert, anderseits aus dem stetig wachsenden Bedürfnis der Vernunft, sich in dem Labyrinthe der dadurch gewonnenen Tatsachen zurechtzufinden und zu einem klaren einheitlichen Weltbilde zu gelangen. Da diese Weltanschauung aber mit den hergebrachten, durch tausendjährige Tradition geheiligten Überzeugungen der Religion vielfach in Widerspruch gerät und die heftigsten Angriffe der herrschenden dualistischen Philosophie hervorrief, entspann sich alsbald ein lebhafter »Kampf um die Welträtsel«. Einerseits wurde dieses bescheidene »Skizzenbuch« als völlig wertlos und irreführend geschmäht, anderseits als bahnbrechend und aufklärend über Gebühr gelobt. Dabei ergaben sich so zahlreiche Widersprüche und Mißverständnisse auf beiden Seiten, daß ich mich fünf Jahre später bewogen fand, in dem Buche über die »Lebenswunder« einen Ergänzungsband der »Welträtsel« folgen zu lassen. Im Vorwort zu diesen »Gemeinverständlichen Studien« über »Biologische Philosophie« habe ich bereits das Wichtigste darüber mitgeteilt und in den begleitenden 22 »Synoptischen Tabellen« die wesentlichsten Lehrsätze der neuen Weltanschauung übersichtlich zusammengefaßt.

In beiden Büchern war ich bemüht, möglichst klar und einfach auf Grund der neuen Entwicklungslehre die wichtigsten von jenen schwierigen Hauptfragen der monistischen Philosophie darzustellen, deren Grundzüge ich bereits 1866 in der »Generellen Morphologie der Organismen« festgelegt und bald darauf in der »Natürlichen Schöpfungsgeschichte« (1868) einem größeren Leserkreise zugänglich zu machen versucht hatte. Allein die unermeßliche Ausdehnung des modernen Erkenntnis-Gebietes, die Unmöglichkeit, alle Seiten desselben gleichmäßig zu durchdringen, außerdem die Unvollkommenheit meiner persönlichen Kenntnisse und Darstellungsgabe, hinderten mich trotz des ehrlichsten Strebens, alle Teile der gestellten Aufgabe gleichmäßig und befriedigend zu lösen. So kam es, daß immer wieder Tausende meiner wißbegierigen Leser Anfragen über verschiedene, sie beunruhigende Unklarheiten und Zweifel an mich richteten. Besonders wurde vielfach gefragt, in wieweit die Sicherheit meiner Anschauungen wirklich begründet und einwandfrei sei, auch wurde getadelt, daß ich meine Hypothesen nicht scharf genug von den feststehenden Tatsachen gesondert habe, ferner, daß die naturwissenschaftlichen und philosophischen Lehren die Grenzen ihrer gesonderten Gebiete überschritten hätten. Namentlich betrafen diese Bedenken diejenigen Probleme, welche an den Grenzen der Philosophie und Religion, der Biologie und der Physik sich vielfach kreuzen und berühren. Auf diese Fragen, die in zahlreichen Briefen gleicherweise wiederkehrten, versuche ich in diesen Blättern eine gedrängte Antwort zu geben.

Was nun die gewünschte Sicherheit der Erkenntnisse betrifft, so muß ich freilich meine freundlichen Leser bitten, stets im Sinne zu behalten, daß dieselbe immer subjektiv bleibt. Ich bin ein unvollkommener Mensch und daher auch bei ehrlichstem Streben nach objektiver Wahrheit immer der Möglichkeit des Irrtums ausgesetzt. Die relative Sicherheit meines hier erneuerten » Glaubensbekenntnisses « beruht also darauf, daß ich sechzig Jahre hindurch die Welt und den Menschen mit lebhaftestem Interesse durchforscht und bei dem ehrlichen Streben nach möglichst klarer Erkenntnis der Wirklichkeit stets im Sinne von Goethe » Gott in der Natur« gesucht habe; – ferner darauf, daß eine stetig wachsende Zahl von bedeutenden Naturforschern und Philosophen zu denselben Ergebnissen gelangt ist.

Jena am 12. Februar 1914.


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