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Hinter Menzius und Hsün tse, diesen markanten Köpfen Konfuzianischen Gepräges, treten die sonstigen Konfuzianischen Philosophen der letzten vorchristlichen Jahrhunderte sehr zurück. Am meisten fordert unsere Aufmerksamkeit noch heraus Tung Tschung schu, ein Mann, der, abgesehen auch von seinen philosophischen Gedanken, die Entwicklung der chinesischen Staatseinrichtungen sehr beeinflußt und unter anderm das staatliche Prüfungssystem, das bis in unsre Tage bestand, ins Leben gerufen hat [R371].
Tung Tschung schu ist ungefähr um 170 v.Chr. im Süden der heutigen Provinz Chihli geboren und mag um 90 v. Chr. gestorben sein. Seine Gelehrsamkeit verschaffte ihm die Gunst der Han-Kaiser Tching Ti und Wu Ti, doch mußte er auch die Wirkung der kaiserlichen Ungnade verspüren. Im ganzen führte er ein stilles Gelehrtenleben, aus dem heraus er allerdings durch Denkschriften und Ratschläge nicht wenig in den Gang des öffentlichen Lebens eingegriffen hat. »Bis an sein Lebensende kümmerte er sich nicht um Besitz, sondern sein Lebensberuf war, die Wissenschaft zu pflegen und Bücher zu schreiben«, sagt Szï-ma Tch'ien in seiner Biographie von ihm [R372]. An Tung nun tritt deutlich zutage, in welche Richtung sich der Konfuzianismus von jetzt an wendet. Tungs Hauptinteresse dreht sich um die erläuternde Ueberlieferung des Konfuzianischen Tsch'un tch'iû. Es ist bereits oben (vgl. S. 90 f.) über die durch O. Franke uns wieder erschlossene richtige Auffassung jenes Werkes das Nötige gesagt. Die Formeln des trocken-einförmigen Textes waren von Anfang an auf eine mündlich von den Schülern tradierte Auslegung angewiesen gewesen, die dem Texte erst seinen Wert gab, jenen Wert, welchen der große Weise nach Menzius' Angabe so tief empfand, daß er sagte: »Mich verstehen wird man nach dem Tsch'un tch'iû« (Menzius III 2, IX 8). Die den geheimen Sinn des Textes wiedergebende Erläuterung existierte zu Tungs Zeiten schon in zwei Fassungen [R373]. Die eine dieser Fassungen ist sehr wahrscheinlich in Tungs Tagen und unter seiner Mitwirkung von seinem Freunde und Studiengenossen Hu wu Schêng schriftlich festgelegt worden. Das ist bezeichnend. Hu wu Schêng und Tung Tschung schu galten nach einer Notiz des Szï-ma Tch'ien [R374] als die damaligen Hauptlehrer und Wahrer der Ueberlieferung zum Tsch'un tch'iû. Die Versenkung in die Konfuzianische Tradition, die Beleuchtung aller Fragen und Vorfälle von dieser Tradition her, die ehrerbietige Erhaltung und Pflege dieser Tradition, das war die Lebensaufgabe, die Tung beherrschte. Er hat eine ganze Reihe von Abhandlungen geschrieben (über hundert waren es ursprünglich), in denen er sein Verständnis des Tsch'un tch'iû auf allerlei Gebiete und Gegenstände anwandte, daneben auch aus dem Tsch'un tch'iû eine systematische Lehre abzuleiten suchte. Ein großer Teil dieser Abhandlungen ist später (nicht schon von dem Autor selbst) zu dem Werke »Tsch'un tch'iû fan lü« zusammengearbeitet, das als Hauptwerk des Tung gilt [R375].
Es ist begreiflich, daß Tung zur Grundlage seiner ganzen Lebensanschauung eine Theorie über das Tsch'un tch'iü macht, dieses Buch, das ihm die höchste Autorität und alleinige Quelle aller tieferen Weisheit ist. Eingehend setzt er auseinander, was Konfuzius mit dem Buche gewollt, wie er es angelegt hat, wie es zu benutzen ist, wobei es an Künsteleien und gezwungenen Auffassungen nicht fehlen kann. Dem Tsch'un tch'iû, so wie er es versteht, entnimmt Tung nun seine weitere philosophische Lehre, in der O. Franke metaphysische, ethische, staatstheoretische und religiöse Ideen unterscheidet. Neue Gedanken von Bedeutung treten dabei wenig ans Licht, wenn auch hie und da neue Auffassungen oder Ausdeutungen. Der Gesamteindruck ist, daß Tung, obwohl in seinem Bewußtsein durchaus Konfuzianer und den Auffassungen des Menzius zugetan, doch unwillkürlich auch allerlei Eigentum anderer Schulen, so des Mê Ti und der Taoisten, mit Konfuzianischen Gedanken verschmilzt.
Die Entstehung der Welt und des Menschen wird auf das Zusammenwirken des Himmels und der Erde und der Doppelkräfte Yin und Yang zurückgeführt. Letztere beide in ihrer gegenseitigen Bezogenheit repräsentieren das Tao, ein Ausdruck, der hier im taoistischen Sinne als das Lebensprinzip der Welt verstanden wird. Es wird aber dem »Himmel« nicht übergeordnet, sondern entströmt ihm. Im Yang äußert sich die schaffende, im Yin die zerstörende Kraft des Himmels. Ihr verschiedenes Verhältnis zueinander bewirkt die Verschiedenheit des Naturlebens in den Jahreszeiten. Aber auch durch die sonstigen Lebenserscheinungen hin wird der Doppeleinfluß von Yin und Yang verfolgt, ausmündend in den Beziehungen von Mann und Frau, Vater und Sohn, Fürst und Minister. Ebenso wirken die beiden Doppelkräfte durch des einzelnen Menschen Seelenleben hin. Die ethischen Fragen konzentrieren sich für Tung um das Problem von der ursprünglichen Wesensart des Menschen. Nach Tung ist diese weder gut, wie Menzius gelehrt hatte, noch böse, wie Hsün tse behauptete, sondern noch keins von beiden. Das Gute oder Böse ist von Hause aus noch nicht im Menschen vorhanden, sondern erst des Himmels Bestimmung verleiht dem Menschen, daß er gute Handlungen hervorbringen kann; im Menschen selbst liegt nur die Anlage, die Möglichkeit dazu vor. »Der Stengel bringt zwar die Reiskörner hervor, aber deshalb kann man den Stengel doch nicht Reiskörner nennen. So bringt auch die Anlage zwar das Gute hervor, aber deshalb kann man die Anlage doch nicht gut nennen.« Es ist die bildende und erziehende Macht des Himmels, die das Gute erst hervorruft. In der Theorie der sittlichen Kräfte schließt sich Tung an Menzius an: Menschenliebe, Rechtlichkeit, Einsicht und Schicklichkeit sind die Grundtugenden.
Noch am meisten eigene Gedanken stecken wohl in der Staatslehre des Tung Tschung schu, doch machen sie sich nicht in den Grundanschauungen geltend, die vielmehr durchaus älteren Vorstellungen entsprechen: die Welt (China als das Weltreich betrachtet) wird beherrscht durch den »Himmelssohn«, dem der Himmel diese Herrschaft übertragen hat, als eine Art Vermittler zwischen Himmel und Erde. Die Herrschaft erstreckt sich sowohl über das »Mittenreich« China, wie über die anschließenden Staaten benachbarter Völker und über die wenig zivilisierten Außenvölker, die »Barbaren«. Die Lehnsfürsten der Feudalstaaten stehen unter dem Himmelssohne und empfangen von ihm ihre Weisungen, wie er sie vom Himmel empfängt. Fürst und Volk verhalten sich zueinander wie das Herz zum Körper. Die Sittlichkeit ist das Band, das sie verbindet. Als wichtigste Tugenden werden Pietät und Brüderlichkeit, Schicklichkeit und Rechtlichkeit, Menschenliebe und Lauterkeit genannt. Die Einwirkung des Herrschers auf das Volk wird ganz in den Formeln der früher erörterten mythischen Denkweise dargestellt: er wirkt einfach durch sein Dasein, gleich dem alten Schun, der »sein Gewand lose fallen ließ, die Hände zusammenlegte, nicht handelte, und das Weltreich war in Ordnung«. Die Zustände der alten Zeit werden dementsprechend als durchaus ideal und in wahrhaft paradiesischen Farben geschildert. Mit absichtlich tiefsinnigen Worten wird das Geheimnis einer solchen untätig-wirksamen Regierung angedeutet, und man spürt aus den Worten noch etwas wie einen Nachhall des mythischen Denkens heraus: »Ein erleuchteter Herrscher schaut hin auf das Dunkle und lauscht auf das Lautlose, wie der Himmel alles deckt und die Erde alles trägt. Die Myriaden von Staaten im Weltreich wagen nicht, irgendwann und irgendwo ihren Pflichten sich zu entziehen – – – Die Urhauche (Yin und Yang) befinden sich in echter Harmonie, Winde und Regen kommen zu ihrer Zeit, glückbedeutende Gestirne erscheinen, der gelbe Drache steigt herab.« So war es einst in dem vollkommenen Altertum, und so soll es bleiben. Aenderungen der Einrichtungen (etwa beim Auftreten einer neuen Dynastie) können nur in unbedeutenden Aeußerlichkeiten gestattet sein, wie etwa in Verlegung der Residenz, Aenderung der Reichsfarbe, des Jahresanfangs, der Reichsbenennung u. dgl. Aber die Hauptsache ist ein für allemal festgelegt.
Nun war aber dieser Zustand der Dinge schon sehr lange nicht mehr vorhanden. Schon zur Zeit des Konfuzius war das Reich in völligem Zerfall, und seitdem war es noch schlimmer geworden. Es hätte also längst eine neue, wahrhaft würdige Dynastie den Thron besteigen sollen. Diese Lage scheint Tung zu einer eigenartigen Idee veranlaßt zu haben, die er dem Geheimsinn des Tsch'un tch'iû entnahm, daß nämlich Konfuzius eigentlich die Tschou-Dynastie als abgesetzt und seinen eigenen Heimatstaat Lu als den wahren Herrscherstaat angesehen habe. Der wahre, obwohl äußerlich verborgene Herrscher sei Konfuzius selbst als ein neuer »Wên Wang« (Gründer der Tschou-Dynastie) [R376]. Hier liegen recht sonderbare eigene Vorstellungen unsres Philosophen, die freilich rein theoretischer Art waren.
Auch die Lehre von den rechten Bezeichnungen ( Tschêng ming, vgl. oben S. 50 und 152), der Tung viel Gewicht beilegt, wendet er speziell auf die Herrscherwürde an, und es ist dabei bemerkenswert, daß er jenen Titel Huang Ti, den sich der »erste kaiserliche Herrscher« aus dem Hause Tch'in als neue Bezeichnung seiner Würde beilegte (oben S. 168), bereits als rechten Titel des »Himmelssohnes« kennt und charakterisiert [R377].
Die Konfuzianer, welche nach Tung Tschung schu in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten sich einen Namen machten, haben als selbständige Denker keine Bedeutung. Der Konfuzianismus schrumpft mehr und mehr zusammen. Man streitet noch über die ursprüngliche (gute oder böse) Natur des Menschen, man registriert und kommentiert die älteren Werke, hebt einzelne Ideen daraus hervor und sucht sie auf das Leben der Zeit anzuwenden. Das alles hat für die Dauer keinen Wert. Immerhin mögen hier noch einige dieser Schriftsteller kurz erwähnt werden.
Lu Tchiâ [R378], geboren gegen den Ausgang des dritten Jahrhunderts, war ein Staatsmann, der den ersten Kaisern der Han-Dynastie gute Dienste erwies. Er hat dabei den damals noch wenig bekannten Süden Chinas (die Provinzen Kuangtung und Kuangsi) bereist und seine Erlebnisse nachher beschrieben. Als Philosoph verfaßte er zwölf Abhandlungen, die unter dem gemeinsamen Titel »Hsin yü« erhalten sind. Er scheint mehr zu Hsün tse als zu Menzius hingeneigt zu haben. In der Natur des Menschen sah er von vornherein gute Anlage sowohl wie böse.
Wenig jünger als Lu tchiâ war Tchiâ I [R379], der in hervorragender Stellung unter dem Kaiser Wên Ti (179-156) wirkte. Ihn fesselten besonders Fragen der Musik und des Li (»Zeremoniell«), und er hinterließ bei seinem frühen Tode (er starb im 33. Jahre) ein Werk, »Hsin schu«, über Gegenstände der Konfuzianischen Lehre. Sein Denken war eklektisch und suchte taoistische Gedanken mit dem Konfuzianismus zu verbinden.
Ein vielseitig begabter Gelehrter der Zeit vor und nach Christi Geburt, der noch unter Kuang Wu Ti (25-58 n. Chr.) von der späteren Han-Dynastie Ehren gewann, war Huan Tan [R380]. Er hat 29 Abhandlungen über Fragen der Musik und des Staatswesens geschrieben, die den gemeinsamen Titel »Hsin lön« erhielten. Er bekämpfte den Aberglauben und trat dabei selbst dem Kaiser entgegen, was ihn in Ungnade fallen ließ. Verbannt starb er auf dem Wege nach seinem Bestimmungsort.
Mehr als die genannten bedeutete vielleicht Yang Hsiung (53 v. Chr. bis 18 n. Chr.) [R381]. Unter dem Kaiser Tsch'êng Ti (32-6 v. Chr.) wurde er an den Hof gezogen und bekleidete auch unter dem Usurpator Wang Mang (9-23 n. Chr.) einen Ministerposten. Seine beiden berühmtesten Werke waren das »T'ai hsüen tching«, worin er das I tching erläuterte, und das »Fa yen«, eine Bearbeitung der Gespräche (Lön yü) des Konfuzius, die großen Eindruck machte. Seine Urteile waren selbständiger als die seiner meisten Zeitgenossen. Auch als Dichter ist er hervorgetreten. In der Frage nach dem guten oder bösen Charakter der menschlichen Anlage nahm er einen ähnlichen Standpunkt wie der soeben erwähnte Lu Tchiâ ein.