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Es erscheint angebracht, an dieser Stelle zunächst einen Ueberblick über die politischen Ereignisse von der Mitte des vierten Jahrhunderts v. Chr. bis hinab zum Beginn der christlichen Aera zu geben, da man diesen historischen Hintergrund zum rechten Verständnis der geistigen Entwicklung jener Zeit einigermaßen klar vor Augen haben muß. Natürlich kann es sich nur um die Umrisse dieser sehr bewegten und gewaltige Wandlungen herbeiführenden Epoche handeln [R307].
Die letzten zwei Jahrhunderte der Tschou-Dynastie werden in der chinesischen Geschichte bezeichnet als die Zeit der »streitenden Staaten« (gerechnet von ca. 470-250, nach andern von 403-250). Dieser Name kennzeichnet die immer mehr wachsende Anarchie. Die Autorität der Tschou-Herrscher, obwohl von 468 an ihrer noch neun (von 401 an noch sechs) nominell regierten, war tatsächlich dahin. Je mehr aber ihr Einfluß schwand, desto wütender tobte unter den ehemaligen Vasallenreichen der Kampf um die Macht. Dieser Kampf, schon in den Tagen des Konfuzius ein trauriges Zeichen der Zeit, wurde zu voller Heftigkeit entfesselt, seit im Jahre 403 der Reichsbeherrscher Wei Lieh Wang selbst das Signal dazu gab, indem er drei Usurpatoren-Familien (Han, Tschao, Wei), den sog. drei Tchin-Staaten, erlaubte, daß sie das ehemalige Reich Tchin unter sich aufteilten. Neben diese neu auftretenden Räuberstaaten stellten sich nun alsbald die stärksten der andern vielen Vasallenreiche; es waren im ganzen vierzehn, die sich geltend machen konnten, und unter ihnen sieben (die sogenannten sieben Helden), die schnell übermächtig in den Vordergrund traten. Nunmehr beginnen diese ein mit Gewalt und List, mit Waffen und Intrigue, mit allen Mitteln, die irgend nützen konnten, geführtes Ringen, welches in der Tat F. Hirths Ausspruch rechtfertigt, daß wir hier vor der entsetzlichsten Epoche in Chinas Geschichte stehen, einer Epoche, in welcher die allgemeine Moralität ihren äußersten Tiefstand erreichte. Freilich, wie immer in solchen Verhältnissen, fehlte auch hier auf dem dunklen Hintergrunde das Licht nicht völlig, aber es war doch, allgemein gesprochen, ein »Zeitalter des Blutes« (L. Wieger). In den Schlachten zählte man die Gefallenen nach den abgeschnittenen Köpfen, denn für jeden Kopf wurde eine Prämie bezahlt. Die Berichte über diese Kopfbeute erreichen ungeheure Höhen: 40 000, 60 000, 80 000, 150 000, ja einmal 450 000 Köpfe werden als Opfer einzelner Schlachten angegeben. Man kann sich dementsprechend vorstellen, wie es bei Eroberungen von Städten, bei Wegnahme feindlichen Gebietes zuging, mit welcher Grausamkeit persönliche Rache und Bestrafung geübt wurde (langsames Zerstückeln des Körpers, Auseinanderreißen durch Pferde u. ä.). Mehr oder weniger wurden alle Staaten in den furchtbaren Kriegszustand hineingezogen, da für jeden einmal die Stunde schlug, wo er kämpfen mußte, wenn er nicht vertilgt werden wollte. Die meisten Fürsten hatten sich schon lange, bevor der letzte Tschou-Herrscher verschwand, denselben Herrschertitel (Wang) beigelegt, der ehemals nur dem Reichsgebieter zukam, um damit ihren Anspruch auf die höchste Macht auszudrücken. Aber diese Macht praktisch durchzusetzen, das wollte lange keinem gelingen.
Unter den »kämpfenden Staaten« sind besonders beachtenswert die Reiche Tch'in, Tsch'u und Tschao. Sie bildeten Randstaaten des damaligen China nach Westen, Süden und Norden hin. Tch'in, das Westreich, war ursprünglich im Tale des Weiflusses daheim, hatte sich aber sowohl nach Norden (heute die Ordos-Mongolen, damals die Jung-Stämme) wie nach Süden (heute Provinz Szechuan, damals Man-Stämme) weit ausgedehnt. Tsch'u war der damalige Südstaat Chinas und reichte bis zum Yang tse, wo es eingeborne (Man-)Stämme zu Nachbarn hatte. Tschao (im heutigen Shansi und Chihli) bildete etwas wie ein nördliches Bollwerk des Reiches und grenzte an die Hun yü (Hunnen) und andere barbarische Völker. Die Lage dieser drei Staaten und ihr allmähliches Vordringen in die Territorien der nichtchinesischen Fremdstämme brachte eine Mischung des Blutes und damit einen besonderen Charakter der Bevölkerung hervor. Der rein chinesische Geist und die chinesische Kultur wurden hier durchsetzt mit wilderen Instinkten, roheren Bräuchen, ursprünglicherem Wesen. Spuren dieses Fremdeinflusses sind noch heute für uns nachweisbar [R308]. Leitende Persönlichkeiten waren Mischblut, fremder Aberglaube tritt hervor und führt zu Handlungen, die dem Chinesentum an sich fernlagen, die altchinesische Kleidung wird bewußt geändert, die Kriegsführung erfährt einschneidende Neuerungen (Einführung der Kavallerie). Wieweit dergleichen Einfluß sich auch in andern Teilen Chinas geltend gemacht haben mag, wissen wir nicht; aber die drei großen Grenzstaaten Tch'in, Tsch'u und Tschao sind ganz gewiß stark davon betroffen gewesen. Ed. Chavandes steht nicht an, zu erklären – und F. Hirth stimmt ihm darin zu – daß die Reiche Tch'in und Tsch'u im eigentlichen Sinne nicht als chinesische Staaten aufgefaßt werden dürften, da ihrer Bevölkerung zu viel fremdes Blut beigemischt war. Dieser innere Faktor der Geschichte muß wohl im Auge behalten werden, wenn man den Gang der Dinge verstehen will, zumal von der Zeit an, wo Tch'in die führende Macht in China wird und dem Lande einen neuen Kaiser gibt,
Das letztgenannte Reich zeigte schon früh vor allen andern die Klaue des Löwen und ließ erraten, daß es schließlich als Sieger das Schlachtfeld behaupten werde. Es steht deswegen auch mehr allein, da man sich allgemein vor ihm fürchtet, und gewinnt seine Vorteile mehr durch rücksichtslose Verwendung der eigenen Machtmittel sowie durch allerlei Kabalen. Ihm gegenüber suchen die schwächeren übrigen Staaten ihr Heil mehr in Bündnissen, deren Seele meistens das Reich Tsch'u ist; doch gelingt es Tch'in nicht selten, die Verbündeten auseinanderzusprengen. Charakteristische Gestalten, die durch solche Verhältnisse in den Vordergrund kamen, waren allerlei politische Agenten, bald hier, bald da tätig, bald mehr den Philosophenmantel umhängend, bald den Diplomaten spielend, die entweder im Dienste eines starken Hintermannes oder als Spender eigener Weisheit den großen und kleinen Fürsten und Höfen Rat anboten, nicht selten ihren Standpunkt nach den Umständen beliebig wechselnd.
Einer dieser Leute, Su Tch'in, war es, der im Jahre 333 v. Chr. das große Bündnis der »sechs Staaten« (Tschao, Han, Wei, Tch'i, Tsch'u und Yen) gegen das Reich Tch'in zustande brachte. Das bedeutete für letzteres eine gewaltige Gefahr. Doch ein Nebenbuhler jenes Politikers, namens Tschang I, arbeitet im Dienste des Fürsten von Tch'in der Gefahr entgegen, indem er die Verbündeten wieder zu entzweien sucht [R309]. Minen und Gegenminen dieser zwei schlauen und rücksichtslosen »Staatsmänner«, daneben allerlei Kriege, besonders zwischen Tch'in und Tsch'u sowie zwischen den zeitweise wieder veruneinigten Gliedern des Sechs-Staaten-Bundes begleiten dann einen langsamen aber sicheren Aufstieg des Reiches Tch'in. Sein Herrscher Tschao Hsiang (306 bis 251 v. Chr.) ist besonders erfolgreich. Er bringt den Fürsten von Tsch'u durch Verrat in seine Gewalt und nimmt ihm große Gebietsstrecken ab. Dann teilt er durch seinen bedeutenden, aber rücksichtslos harten General Po Tch'i furchtbare Schläge an andere Staaten aus und erreicht einen solchen Gipfel der Macht, daß er schon den Versuch machen darf, den Kaisertitel zu usurpieren. Doch bewegen ihn die Umstände, diesen Schritt zunächst noch wieder aufzuschieben. Blutige Kämpfe unter den kleineren Staaten folgen, die sie, zu Tch'ins Vorteil, sehr schwächen, während Letzteres vor allem mit seinen stärksten Gegnern, Tschao und Tsch'u, in immer neuen grausamen Schlachten abzurechnen strebt. Die Taten des Generals Po Tch'i sichern Tch'in im ganzen die Oberhand, und die immer zunehmende Annexion benachbarter Landesteile vergrößert das Gebiet dieses Staates unheimlich. Noch einmal wird sein Fortschritt behindert durch einen energischen Zusammenschluß der Gegner, das sogenannte Bündnis der »vier Vornehmen«, führender Männer der Reiche Tschao, Wei, Tsch'u und Tch'i. Da damals der General Po Tch'i, entzweit mit dem leitenden Minister des Tch'in-Staates, vom Oberbefehl zurückgetreten war, erleidet das Heer von Tch'in eine empfindliche Niederlage. Doch das Ende der Regierung des Tschao Hsiang sieht wieder seinen Stern im Steigen, die feindlichen Heere werden mehrfach geschlagen und große Stücke der besiegten Länder fallen an den Sieger. So steht die Sache um das Jahr 256. Jetzt macht der Tschou-Herrscher, Nan Wang, der Scheinkaiser, einen letzten Versuch, in die wirre Lage des Reiches einzugreifen, indem er einige Staaten zum Bunde gegen Tch'in aufruft. Als Antwort fällt der Lehnsmann in das Land seines alten Feudalherrn ein und entreißt ihm den westlichen Teil. Nan Wang überlebte diese Schmach zum Glück nicht lange. Er war der letzte der Tschou-Herrscher. Noch wenige Jahre (bis 249) behauptete ein Verwandter von ihm unter dem Titel eines »Fürsten von Ost-Tschou« den östlichen Teil des alten Reichslandes, bis das Heer von Tch'in ihn eines Tages auch beseitigte.
Der Thron Chinas war jetzt leer. Wer sollte ihn neu besteigen? Daß er dem Tch'in-Reiche schließlich zufallen werde, das sich bereits der uralten Reichsinsignien, der heiligen Dreifüße des Sagenkaisers Yü, bemächtigt hatte, war kaum mehr zweifelhaft, aber es sollte doch noch Jahrzehnte lang dauern, bis das neue Kaisertum wirklich durch Niederwerfung aller Gegner erkämpft war. Dieser Zeitraum (249-221) war es, in dem der Mann auf den Plan trat, dessen Werk die Neugestaltung Chinas recht eigentlich werden sollte. Er war von dunkler Herkunft: seine Mutter eine Tänzerin von großer Schönheit, sein Vater angeblich der Enkel des Tch'in-Herrschers Tschao Hsiang, in Wirklichkeit vielleicht aber ein Juwelenhändler Lü Pu wei, dessen Gattin jene Tänzerin war und der sie dem in sie verliebten Prinzen abtrat. Ganz anderes Blut als das der altchinesischen Herrscher pulsierte also in dem Kinde, das aus dieser Verbindung hervorging und mit der Vaterschaft des Tch'in-Prinzen gedeckt wurde. Sein Name war Tschêng. Schnell trieb ihn der Strom des Geschickes an die Spitze des Tch'in-Staates. Denn nachdem der alte Tschao Hsiang (251) gestorben war, gingen auch dessen Sohn und Enkel, also der angebliche Großvater und Vater Tschêngs, nach kurzer Regierung bald vorüber, und im Jahre 247 vor Christo übernahm Tschêng die Herrschaft des Reiches Tch'in. Er war damals erst dreizehn Jahre alt. Natürlich mußte zunächst ein anderer für ihn der Leiter und Berater sein. Dies wurde jener Kaufmann Lü Pu wei, der infolge seiner Intimität mit den Eltern des jungen Fürsten bereits unter dessen Vater Minister geworden war. Der Begabung dieses bedeutenden Mannes, der auch literarisch hervorgetreten ist als Verfasser (oder doch Veranlasser) des noch heute bekannten Geschichtswerkes Lü schï Tsch'un tch'iû [R310], verdankte Tschêng die Festigung und Förderung seines Landes im ersten Jahrzehnte seiner Regierung. Doch verscherzte sich Lü Pu wei seine einflußreiche Stellung schließlich durch Begünstigung von Ausschweifungen der Königin-Mutter, jener Tänzerin, die er einst selbst besessen; er scheint sogar seinerseits wieder in intime Beziehungen zu ihr getreten zu sein. Das kostete ihn Stellung und Leben. In der späteren Zeit ist die Hauptstütze Tschêngs der Minister Li Szï. Mit seiner Hilfe und durch ungeheure Truppenmacht gelingt es dem Herrscher von Tch'in nun allmählich, einen der früheren Lehnstaaten nach dem andern an sich zu reißen oder doch niederzuschlagen und zu lähmen. Am härtesten war der Endkampf mit den Reichen Tschao und Tsch'u. Verräterkünste und die Leistungen des Generals Wang Tchien taten indes das ihrige.
Im Jahre 221 vor Christo waren alle Rivalen unfähig gemacht, und nun nahm Tschêng die Kaiserwürde an und zwar unter dem pompösen Titel eines »Schï Huang Ti«, »Ersten kaiserlichen Herrschers«. Da man gewöhnlich den Namen des Tch'in-Reiches als Bezeichnung seiner Fürstenlinie davorsetzt, so lautet sein voller Titel » Tch'in Schï Huang Ti«. Mit diesem Regierungsnamen hat er von 221-209 das altgewordene und erschöpfte chinesische Reich in andre Bahnen zu leiten versucht.
Alles, was uns von der Wirksamkeit dieses Kaisers berichtet wird, atmet einen neuen, vieles einen geradezu unchinesischen Geist.
Das alte Feudalsystem fällt für immer: der Kaiser nimmt das ganze Reich unmittelbar unter sein eigenes Regiment. Er teilt es ein in 36 »Tchün« (Gouvernements oder Provinzen), die ihrerseits wieder in »Hsien« (Kreise) zerfallen. Kaiserliche Beamte handhaben die Verwaltung. Der alte Anspruch des Herrschers, Eigentümer des gesamten Bodenbesitzes zu sein, den er den Untertanen nur gegen Abgabe zur Bewirtschaftung überläßt, wird aufgehoben. Der Bebauer wird Eigentümer, ein Steuersystem wird zur Bestreitung der Staatsunkosten eingeführt. Das chinesische Volk erhält eine neue Bezeichnung: das schwarzhaarige Volk. Posthume Ehrennamen, wie sie früher den Herrschern verliehen wurden, werden abgeschafft. Die Schreibung der Schriftzeichen, die bis dahin mancherlei Varianten gezeigt hatte, wird durch Einführung eines neuen Schriftduktus vereinfacht und vereinheitlicht. Anlage von Kolonien, wobei teils Soldaten als Kolonisten verwendet, teils größere Bevölkerungsgruppen in neue Umgebung versetzt werden, dient zum Ausgleich von Verschiedenheiten des Blutes und der Lebensweise. Ein einheitliches System von Maß und Gewicht (gegründet auf die Sechs als Einheitszahl) wird durchgeführt, ebenso wie die Gesetze vereinheitlicht werden. Heerstraßen werden in großer Ausdehnung angelegt und auch sonst wird der Verkehr gefördert. Die Zustände im ganzen Reiche sucht der Kaiser genau unter Augen zu bekommen, indem er Beschreibungen von Landesteilen herstellen, Statistiken aufnehmen läßt und sich auch persönlich durch Inspektionsreisen orientiert. Die Waffen der Bevölkerung werden nach der Hauptstadt eingefordert und das Metall umgegossen (nur das Heer wird bewaffnet geblieben sein). Daß man den Kalender änderte, indem der bisherige zehnte Monat zum Anfangsmonat des Jahres gemacht wurde, war ein auch früher schon bei Dynastiewechsel gepflogener Brauch, ebenso wie die Wahl eines neuen Schutzelementes (jetzt Wasser, gegen das Feuer der Tschou) und einer neuen Dynastiefarbe (Schwarz). Aber daß der Kaiser die bisherige demütige Selbstbezeichnung des Reichsoberhauptes Yü (töricht, einfältig) in Tschên (hervorragend) änderte, verstieß nicht nur gegen die alte Zeit, sondern auch gegen chinesische Art.
Es war vorauszusagen, daß die kaiserlichen Maßnahmen, eingegeben durch den rein sachlichen Gesichtspunkt der Wohlfahrt und Hebung des Landes, jedoch ohne alle Rücksicht auf Ueberlieferung, Herkommen und alte Lehre, im Reiche eine gespannte Situation schaffen würden. Ein Fremdes drang hier rücksichtslos in das chinesische Leben ein, durchkreuzte schroff die gewohnten Bahnen und brach mit altgeheiligten Forderungen. Es konnte nicht ausbleiben, daß sich eine geschlossene Reaktion bildete, die das überlieferte echt chinesische Kulturideal verteidigte. So wird die Regierung des ersten Tch'in-Kaisers zutiefst gekennzeichnet durch den Gegensatz dieser zwei Strömungen. Gewiß ist der Gegensatz auch in einzelnen Handlungen und Tatsachen zum hellen Ausbruch gekommen, doch hat sich die Sage solcher Vorgänge zu einseitig und zu hartnäckig bemächtigt, als daß wir heute noch imstande wären, Wahrheit und Dichtung überall sicher zu scheiden. Zuerst trat die Opposition zutage, als der Kaiser die Ausschweifungen seiner Mutter entdeckte und gegen sie sowie die Familie des Liebhabers mit rücksichtsloser Schärfe vorging. Er verbannte dabei die eigene Mutter. Das war ein grober Verstoß gegen die Konfuzianische Lehre von der Pietät, die der Sohn den Eltern unter allen Umständen schuldete, und entschlossen setzten die Reaktionäre hier ein. Die Legende erzählt von siebenundzwanzig Männern, die einer nach dem andern ihre Mahnungen beim Kaiser mit dem Leben büßten. Der achtundzwanzigste aber drang durch; die Kaiserin-Mutter wurde zurückgerufen. Der Gegensatz zwischen dem Herrscher und den chinesischen Konservativen blieb indessen bestehen. Er erreichte seinen Höhepunkt in dem Ereignis, welches die Sage die Bücherverbrennung nennt und den Chinesen bis auf den heutigen Tag als äußerste Schandtat des ersten Tch'in-Kaisers und seines Ministers Li Szï ins Gedächtnis prägt. So wie die Darstellung dieser Sache unter den Chinesen umläuft, hätte im Jahre 213 auf einer Art Reichstag der Minister in öffentlicher Rede den Kaiser auf die Gefahr hingewiesen, welche dem neuen Reiche durch den Dünkel und die Agitation der Gelehrten drohe. Sie untergrüben die Autorität des Kaisers, indem sie immer das Altertum priesen und alte Vorbilder gegen die heutigen Einrichtungen und Gesetze ausspielten. Daher möge der Kaiser ihrem Treiben mit einem Schlage radikal ein Ende machen, indem er die alte Literatur, auf die jene Gelehrten sich immer stützten, vernichte. Der Minister schlage vor, daß die Bücher aller öffentlichen Archive mit Ausnahme des Archivs von Tch'in auf kaiserlichen Befehl verbrannt würden, daß ferner alle Bücher in Privatbesitz, – ausgenommen die Schriften über Medizin und Arzneikunde, über Wahrsagen mit Schildpatt und Schafgarbe, über Ackerbau und Baumpflege – vom Kaiser eingefordert und gleichfalls verbrannt würden, daß endlich alle, die sich der Bücherauslieferung widersetzten, ferner alle, die in Zukunft die proskribierten Texte noch irgendwie anführten und benutzten, ebenso alle Beamten, die dergleichen nicht unnachsichtlich verfolgten, mit den härtesten Strafen belegt würden. Der Kaiser, heißt es, habe diesen Vorschlag genehmigt und mit äußerster Strenge durchgeführt. Ein furchtbares Vernichtungsgericht sei über die alte Literatur ergangen und nicht minder über die Gelehrten, die ihr anhingen. Viele hätten mit dem Leben büßen müssen, andre mit Degradation und Verbannung [R311].
Das Zeugnis des Szï-ma Tch'ien verbürgt uns (er war nur durch ca. 100 Jahre von den Ereignissen getrennt), daß der Kern dieser Erzählung historisch ist, obwohl die Ueberlieferung viel Ausmalung hinzugetan hat. Der Gegensatz des neuen Reiches gegen eine das Altertum verherrlichende Gelehrtenschule erreichte hierin seine Spitze. Die Geschichtswerke von Tch'in werden von der Vernichtung ausdrücklich ausgenommen. Ebenso werden von der Pflicht der Auslieferung ihrer Schriften ausdrücklich ausgenommen gewisse Gelehrte, die den Titel von »Literaten ungeheuren Wissens« führten. Dahingegen werden das Schï tching und das Schu tching namentlich hervorgehoben als schädliche Bücher, ebenso »die Erörterungen der hundert Schulen«, d. h. die philosophischen und staatstheoretischen Bücher all der verschiedenen Gedankenströmungen der vergangenen Jahrhunderte [R312]. Daran sieht man deutlich, wohin die Absicht des Kaisers eigentlich ging. Nicht auf eine völlige Vernichtung der alten Literatur als solcher wird es ihm angekommen sein, sondern auf die Entwurzelung einer bestimmten Klasse von Menschen und ihres Einflusses im Volke. Im wesentlichen waren es die seit Menzius und durch Menzius erstarkten Konfuzianer, welche getroffen werden sollten. Wir werden weiter unten sehen, wieweit die Entwicklung des chinesischen Geisteslebens in dieser Zeit dem Bestreben des Kaisers Anlaß und Rechtfertigung bot.
Ueber die kriegerischen Taten des »ersten Kaisers« und die damit zusammenhängende Erbauung der »großen Mauer«, auch eine der gewaltigen Machttaten dieses Herrschers, die unser Staunen wecken muß, ist in diesem Zusammenhang, wo es uns auf die Beziehung zur Geistesgeschichte Chinas ankommt, nicht weiter zu reden. Wohl aber möge bemerkt werden, daß Tch'in Schï Huang Ti schon bei Szï-ma Tch'ien als ein Anhänger taoistischer Ideen gilt, die freilich nicht tieferen philosophischen Zusammenhängen angehören, sondern dem taoistischen Volksglauben [R313]. Dabei erlitt er freilich arge Enttäuschungen und spielte deswegen auch den Zaubergelehrten des Taoismus einmal in seinem Zorn sehr übel mit: etwa 460 mußten ihr Leben lassen [R314].
Im Jahre 209 v.Chr. starb Tch'in Schï Huang Ti. Mit seinem Tode geriet auch seine Schöpfung alsbald in Verfall. Der zweite Sohn, den eine Hofintrigue statt des ersten zur Regierung brachte, war unfähig, das Reich zusammenzuhalten, zudem eine Puppe in der Hand eines Eunuchen und von blutdürstiger Grausamkeit. Allenthalben regte es sich von Aufständischen. Nach drei Jahren war die Verwirrung so groß, daß der Eunuch, dem der Kaiser sich völlig überlassen hatte, diesen selbst töten ließ, um durch einen Regentenwechsel Luft zu schaffen. Doch der neu eingesetzte Herrscher, ein Neffe des vorigen, hielt sich nur 64 Tage, er wurde ein Opfer eines feindlichen Heeres, das die von Tch'in Schï Huang Ti neugegründete Hauptstadt eroberte und verbrannte. Die Tch'in-Dynastie war damit vorüber (206 v. Chr.).
Vier Jahre wütet nun wieder ein blutiger Bürgerkrieg. Die meisten der ehemaligen Vasallenstaaten leben neu auf und suchen jeder für sich die höchste Macht zu gewinnen. Aus der Wirrnis dieser Kämpfe taucht der Herrscher des Han-Staates als Sieger auf. Er war ein Mann aus dem Volke, ursprünglich Liu Pang geheißen, den die Umstände zur Empörung gegen den zweiten Tch'in-Kaiser gezwungen hatten und der, von kriegerischen Erfolgen getragen, die Würde eines »Fürsten von Han« (Han Wang) usurpierte. Die starke Unterstützung, welche er bei tüchtigen Staatsmännern, vor allem aber bei seinem großen Feldherrn Han Hsin fand, ermöglichte es ihm, in einem erbitterten Streit gegen seinen Hauptfeind Hsiang Yü schließlich zu siegen. Das Land war zu Tode erschöpft. Die rivalisierenden Fürsten erkannten, daß sie gegen Han Wang nicht mehr aufkommen würden, und so bot man ihm, der in der Verwaltung seines Teilreiches schon Beweise von Tüchtigkeit gegeben hatte, die ihm die Achtung vieler versicherten, schließlich die Kaiserwürde an. Unter dem Namen Kao Tsu ergriff er (202 v. Chr.) die Zügel der Regierung und führte damit die Han-Dynastie auf den Thron, deren lange Herrschaft eine der glänzendsten Epochen in der chinesischen Geschichte bedeuten sollte. Sie nimmt die Jahre 202 v. Chr. bis 220 n. Chr., also reichlich vier Jahrhunderte ein, in der Mitte 9-23 n. Chr. kurze Zeit durch die Regierung eines Usurpators unterbrochen, weswegen man von einer früheren und späteren Han-Dynastie redet.
Der Eindruck des Werkes von Tch'in Schï Huang Ti läßt sich in der Han-Dynastie deutlich verspüren. Politisch geht man in seinen Bahnen weiter, wenn auch gemäßigter. Das Reich soll ein einheitlich regiertes sein, und wenn dem alten Feudalsystem auch zunächst noch längere Zeit Zugeständnisse gemacht wurden, so waren sie doch nur nominell; von selbständiger Regierung eines Vasallenfürsten war nicht mehr die Rede. Verschiedene Aufstandsversuche wurden mit Strenge unterdrückt. Der ehemalige Großadel schwindet so mehr und mehr dahin, und eine gelehrtenmäßig ausgebildete Beamtenschaft tritt an seine Stelle. Aber in einer Hinsicht schlagen die Han-Kaiser freilich eine ganz andere Bahn ein als ihr Vorgänger: während Tch'in Schï Huang Ti sich mit aller Macht loszureißen versucht hatte von dem Zusammenhang mit den altchinesischen Zeiten und ihren Vertretern, den Konfuzianern, so strebt die Han-Dynastie vielmehr nach einer engen Verbindung mit ihnen. Hatte man nun jenen Bruch aus der gemachten Probe als unheilvoll und unmöglich erkannt, oder geschah es aus persönlicher Neigung und Ueberzeugung, – jedenfalls schließen die Han-Herrscher mit dem Konfuzianismus die festeste Gemeinschaft, indem sie seine Lehren zur Grundlage ihrer ganzen Staatstheorie, man kann sagen: zur geheiligten Staatsphilosophie machen. Gleich der Begründer der Han-Dynastie besuchte im Jahre 195 v. Chr. das Grab des Konfuzius, brachte dort Huldigungsopfer dar und ließ einen Tempel bauen, ein deutliches Zeichen, wohin er zu steuern gedenke. Das berüchtigte Bücheredikt des Tch'in-Kaisers wurde zwar erst 191 offiziell aufgehoben, aber praktisch war es längst beiseite gesetzt. Die alten verehrten Schriften durften wieder offen studiert und angewendet werden, die Gegenwart wurde danach gemodelt. Besonders stark tritt diese Strömung hervor unter Wu Ti (140-86 v. Chr.), der die »Akademie des hohen Studiums« begründete, um darin die Kenntnis der Klassiker vorbildlich zu pflegen. Er selbst erörterte mit seinen Gelehrten Fragen der alten Geschichte und des Zeremoniells sowie der »freien Künste«, und auf ihn wird der Anfang der öffentlichen Prüfungen zurückgeführt, die bis in die neuste Zeit den Nerv des Beamtenwesens bildeten. Konfuzianisch ist von jetzt an Trumpf. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß Wu Ti persönlich taoistischen Phantastereien sehr zugänglich war. Dergleichen lag jetzt schon auf ganz anderm Niveau, dieser Taoismus war kein Rivale des Konfuzianismus mehr.
Wenn die Wendung der Han-Zeit zu Konfuzius hin für alle späteren Dynastien maßgebend geblieben ist, so hat dazu gewiß auch nicht wenig die in so vieler Hinsicht glänzende und erfolgreiche Regierung der Han-Kaiser beigetragen. Denn das Reich nahm in der Tat damals einen Aufschwung und gewann eine Ausdehnung, die den Späteren für immer staunenswert und ruhmwürdig blieb. Solche Erfolge rechtfertigten in den Augen der Nachwelt aufs kräftigste die neue Grundlage, die dem Reichsgebäude durch die Han-Herrscher gegeben war.