Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Siebenzehntes Kapitel. Unter dem Stadtgraben.

Der Herr Dubel hatte sich in seiner neuen Wohnung in dem hübschen Hause des Barons Karl baldigst und sehr angenehm eingerichtet und führte hier ein stilles, beschauliches Leben. Seine Stube ging ins Freie hinaus und war mehr als anständig möblirt; ja, Lukas hatte ihm sogar ein Fauteuil hinaufgestellt und ihn durch dieses Möbel in den Stand gesetzt, des Morgens eine Cigarre, wie ein echter Cavalier, rauchen zu können. In dem Hause war sonst Niemand, als ein alter Diener, der die Appartements in Ordnung hielt. Dubel, der eine Art Oberaufsicht führte, kleine Aufträge besorgte, welche ihm der Jäger schrieb, Briefe und dergleichen beförderte, hatte einen kleinen Gehalt für diese leichten Geschäfte, fast von derselben Größe, wie das, was er sich früher mit seiner Nadel verdient.

Da er demnach sehr gut leben konnte, fühlte sich Dubel außerordentlich glücklich in seinen neuen Verhältnissen und hatte, was seine Kunst anbelangt, nur ein paar Häuser in der Stadt nicht aufgegeben, wo man ihn lange Jahre beschäftigt hatte und wo er aus einem Gefühle der Dankbarkeit nicht wegbleiben mochte; so, wie man sich leicht denken kann, unter andern das Haus der Frau Welscher.

Dubel hatte sich eine elegantere Toilette zugelegt und es würde ihm jetzt nicht mehr passirt sein, daß er bei schlechtem Wetter oder überhaupt bei irgend welchem Wetter im fadenscheinigen schwarzen Frack über die Straßen gegangen wäre.

Es war Sonntag Morgens zehn Uhr, und der ehemalige Flickschneider saß oder lag vielmehr in seinem Fauteuil, vor sich eine Tasse Kaffee, welche ihm der alte Diener bereitet hatte. Dieselben lebten nach dem Lancaster'schen System, welches sich zwar nicht auf gegenseitige Belehrung, aber auf gegenseitige Dienstleistung gründete. Dubel's Leben begann sich recht freundlich zu gestalten, wenigstens nahm er seinen jetzigen Zustand für ein Versprechen des Glückes, daß sein Schicksal von jetzt an eine bessere Wendung nehmen werde; seine glühendsten Wünsche fingen an, sich zu realisiren. Lebte er nicht in einem anständigen Hause, konnte er nicht seine Lebensbedürfnisse befriedigen auf eine elegante Art, wie solches seinem Herzen so wohl that, ohne sich dafür auf einer anderen Seite das Notwendigste abzwacken zu müssen? Durfte er nicht sogar in die Bibliothek hinunter steigen und von den Büchern des Baron gebrauchen, was ihm gerade gefiel?

So saß er, wie gesagt, in seinem Fauteuil, las zuweilen in einem Buche, jetzt zog er einen Zug aus seiner Cigarre, trank darauf einen Schluck Kaffee und schaute alsdann zum Fenster hinaus auf die kahlen winterlichen Aeste der Bäume, welche das Haus umstanden. Jetzt bellte unten im Hofe der Hund, es kam Jemand die Treppen herauf und klopfte an. Es war der Briefträger mit einem Schreiben des Herrn Lukas, worin dem Herrn Dubel einige kleine Aufträge ertheilt wurden; nun entnahm derselbe aus dem Befehle des Barons, eingelaufene Briefe ec wieder nach einer anderen Stadt zu dirigiren, daß derselbe immer noch ohne Ziel umherstreife.

Der Briefträger ging fort, der Hund unten bellte abermals, dann wieder, und es stieg ein neuer Gast die Treppen herauf, welcher anklopfte und gleich darauf die Thür öffnete. Es war der Doctor Stechmaier, der ohne Complimente hereintrat, er war in seinen blauen Paletot gekleidet, hatte seinen fast neuen Hut auf und that wie immer sehr gleichgültig gegen Alles. Nachdem er die dargebotene Cigarre genommen, setzte er sich auf die Fensterbank, mit dem Rücken gegen das Freie und putzte seine Brillengläser ab, welche von der Kälte draußen und der Wärme drinnen angelaufen waren. Sodann erzählte er von den Fortschritten, die er in den verschiedenen Fächern gemacht, um sich in die Höhe zu bringen.

»Mir scheint's,« sagte der Doctor, »daß von den drei Projekten, die ich habe, nämlich: dem literarischen Klubb, der conservativen Zeitung und dem Theater, wohl das letztere für mich etwas werden könnte; ich habe den Oberregisseur gesprochen, er ist mit meinem Aeußern nicht unzufrieden, auch mein Organ gefällt ihm wohl, und er hat mich dem Intendanten als ein junges strebsames Talent vorgestellt. Der Intendant schien mit seiner Ansicht und meiner Person nicht unzufrieden, und so kann ich mit einigem Stolz sagen, daß mir in einem klassischen Stücke der nächsten Woche bereits eine Rolle zugetheilt wurde.«

»Eine Rolle!« rief der Schneider und sprang von seinem Fauteuil in die Höhe, »eine Rolle in einem klassischen SSSS-tücke? O Sie Glücklicher!«

»Allerdings in einem sehr klassischen Stücke,« versetzte ruhig der Doctor – »Hamlet, Prinz von Dänemark – ich werde den Fortinbras spielen und hoffe ihn darzustellen, wie er bis jetzt noch nicht dargestellt worden. Diese Rolle ist allerdings keine der bedeutenden und wurde deßhalb bis jetzt immer von untergeordneten Subjekten gegeben, von Choristen und dergleichen Leuten, denen alles Verständniß Shakespeare's mangelt; ich aber will als denkender Künstler spielen und hoffe sie dadurch hervorzuheben, das Auftreten in dem Fortinbras ist nicht so übel.« – Hier hüpfte der Doctor von der Fensterbrüstung herunter und machte drei große dröhnende Schritte in das Zimmer, »Fortinbras kommt zu Ende des Stückes in voller Rüstung, um die Krone Dänemarks in Empfang zu nehmen:

Die Niederlage hier schreit Mord! O stolzer Tod,
Welch' Fest ging vor in deiner ew'gen Halle,
Daß du auf einen Schlag so viele Fürsten
So blutig trafst? – –

Dann nehme ich die Krone in Empfang, blicke den Sterbenden, die da liegen, schaudernd ins Antlitz – ungefähr so – trete bis an den Souffleurkasten, blicke gen Himmel – ich kann in diesem Moment auch noch einen Blick rückwärts auf die Todten werfen – und beschließe alsdann das Stück mit den Worten:

Mein Glück umfang' ich trauernd.

Dann fällt der Vorhang und ich glaube auf Applaus rechnen zu dürfen.«

Staunend hatte der Herr Dubel zugesehen und zugehört. – Sein Bekannter, der Doctor Stechmaier, der Mann, welchem er aus seinem Wandkasten in seine eigene Wohnung geholfen, dem er manchen Thee, manche Cigarre gegeben und der ihm deßhalb sehr nahe befreundet – angenommen bei der königlichen Hofbühne, ein dramatischer Künstler– Prinz Fortinbras! Was hätte er nicht alles um ein gleiches Loos gegeben! Wie stand der Doctor Stechmaier in diesem Augenblick erhaben da, nachdem er das erreicht, was Dubel in seinen ausschweifenden Träumen für sich selber ausgemalt!

»Ich werde natürlich im Harnisch spielen,« sagte der Doctor; »ich werde ferner dem Souffleur einen freundlichen Wink ertheilen, den Vorhang nicht zu schnell fallen zu lassen, damit ich vollkommene Zeit habe, mein durchdachtes Spiel vor dem Publikum anzubringen – herausrufen wird man mich nicht, man unterläßt das gewöhnlich bei solch' einer kleinen Rolle und bei einem ersten Debut; doch hoffe ich bald als würdiges Mitglied der Hofbühne dazustehen.«

»Und Sie fühlen keine Angssss-t,« sagte der Schneider, »so hinaus zu treten vor die vielen Menschen? Ich glaube, ich könnte vor Beklemmung kein Wort hervorbringen.«

»Ich glaube kaum, daß ich Angst habe,« sagte der Doctor zuversichtlich, und drückte die Brille fester an die Nase; »ich bin schon mehrere Mal vor einem größeren Publikum aufgetreten, wenn auch nicht als dramatischer Künstler, und habe meine öffentlichen Reden beständig mit ziemlichem Beifalle gehalten.«

»Ach ja,« seufzte der Herr Dubel, »Sie haben gediegene Kenntnisse, die unser einem abgehen, haben Vorssss-tudien gemacht; Sie sind vollkommen befähigt zu einer künssss-tlerischen Laufbahn.«

Der Doctor zupfte geschmeichelt an seiner Halsbinde und erkundigte sich danach, wo der Herr Dubel heute zu Mittag speise.

»Ich denke in meinem gewöhnlichen Kossss-thause,« antwortete derselbe, »in der Krähengasse.«

»Man speist da nicht schlecht?«

»Sehr gut und billig!« sagte der Herr Dubel; und da ihm die Idee kam, es könne seinem Rufe nur nützen, wenn er mit einem angehenden Künstler zu Tische käme, so lud er den Doctor zum Diner ein, was derselbe auch annahm, nachdem man sich vorher über die Straßen geeinigt hatte, auf welchen man in das Kosthaus in der Krähengasse gelangen wollte. Da der Doctor zugestand, im Hinblick auf seine eben beginnende glänzende Carriere, und weil er sich durch einen Spaziergang mit dem Oberregisseur neuen Credit verschafft, noch einige weitere Schulden contrahirt zu haben, so waren die Beiden genöthigt, um zu der Krähengasse zu gelangen, einen Spaziergang um beinahe die ganze Stadt zumachen, was, wie der Doctor versicherte, sehr appetiterregend und außerordentlich angenehm sei.

Sie gingen demgemäß zusammen fort, speisten mit einander zu Mittag, dann nahmen sie von einander Abschied und der Herr Dubel begab sich unter den Stadtgraben zu der Frau Welscher, um mit dieser würdigen Frau gemeinschaftlich zur Jungfer Kiliane hinzugehen, welche die Beiden zu einem Kaffee bei sich eingeladen hatte.

Jungfer Kiliane wohnte am andern Ende des Stadtgrabens im dritten Stock eines anständigen Hauses, und ihr Appartement bestand aus zwei Zimmern und einer kleinen Küche. Die Möbel der alten Büglerin, womit diese Zimmer geziert waren, noch ein Erbtheil ihrer Mutter, hatten ein durchaus ehrwürdiges Ansehen und paßten vollkommen zu der Besitzerin, nur war die Besitzerin rüstiger auf ihren Beinen, als man dieß von sämmtlichen Möbeln sagen konnten. Die Stühle mit den hohen Lehnen waren etwas wackelig und litten am Beinfraß, die Commoden und Tische standen vor Alter auf die Seite gebeugt, und nur die große Schwarzwälderuhr, die ebenfalls ein halbes Jahrhundert alt war, pickte lustig und unverdrossen darauf und schlenkerte den Perpendickel verwegen hin und her, als wollte sie im Takte sagen:

Seht mich an, ihr alt Gerümpel,
Seht mich an, wie jung ich bin.

Dabei müssen wir leider gestehen, daß die Möbel, überhaupt die Geräthschaften des Appartements, nicht so in Ordnung gehalten waren, wie die Person der Jungfer Kiliane selbst; das heißt, sie waren im Zimmer nicht ordentlich aufgestellt, obgleich auf den Tischen kein Stäubchen zu sehen war und die Kissenüberzüge der Stühle frisch gewaschen und sehr reinlich waren. Es sah in dem Zimmer aus, als sei die Besitzerin eben erst eingezogen, so provisorisch standen alle Möbel umher; ja die Bettlade war noch nicht einmal zusammengefügt, und Jungfer Kiliane schlief auf ihren Matratzen am Boden. Man hätte glauben können, sie sei erst seit einer halben Woche eingezogen und doch wohnte sie schon seit sechs Jahren in diesem Quartier; aber sie fand platterdings keine Zeit, ihre Einrichtung zu machen, wie sie Willens war. »Sonntags,« so sagte sie, »kann ich doch eine solche Arbeit nicht vornehmen; der Sonntag ist zum Ausruhm und Beten da, und bis jetzt habe ich immer darauf gewartet, daß ich einmal ein Bischen unwohl sein würde und deßhalb zu Hause bleiben müßte.« – Aber dieser Tag war bei der vortrefflichen Gesundheit der vierundachtzigjährigen Dame immer noch nicht erschienen, und so blieben Möbel und Bett stehen und liegen, wie die Lastträger sie ins Zimmer gebracht. –

Der Kaffee, der beiläufig gesagt, sehr gut war und welcher aus alten soliden Porcellantassen getrunken wurde, war in der Absicht arrangirt, um in Betreff der kleinen Marie eine Art Familienrath zu halten, und zu diesem Zwecke waren der Herr Winkler und seine Frau Mutter ebenfalls eingeladen, indem sich der Hofkutscher durch die Spendung der beiden Dukaten und durch sonstige mannigfaltige Freundschaftsbezeugungen gegen das alte Kind ein Recht erworben hatte, über ihr künftiges Schicksal ein Wort mitzusprechen.

Frau Welscher hatte nämlich, als sie die einzige Verlassenschaft der verstorbenen Marie, den kleinen Koffer, der unter dem Bette der Verstorbenen stand, genau untersucht und unter mehreren Briefen, von dem Vater des kleinen Mädchens an die arme Marie geschrieben, ein Papier gefunden, welches mit einer Oblate versiegelt war und auf welchem geschrieben stand: »Für den, der sich meines armen Kindes annimmt.«

In diesem Packet fanden sich Aufklärungen über den Stand und die Verhältnisse des Vaters – eine Geschichte, wie sie oft vorkommt: – ein junger, reicher Mann hatte das arme schone Mädchen kennen gelernt, da er einen Zeitvertreib für einige Tage oder Wochen suchte; angezogen von der Herzensgüte, der Fröhlichkeit und der Gemüthstiefe des Mädchens, wurde dieses Verhältnis; dauernder und löste sich erst mit einer traurigen Katastrophe, als nämlich jener junge Mann die Residenz verlassen mußte und von einer Scheidung für immer, aber von einer Versorgung für sie und das neugeborene Kind sprach. Da sah sich die Aermste an einem Abgrund stehen, den sie sich aber selbst mit den trügerischsten Hoffnungen, mit Bildern einer glänzenden, ja ehrenvollen Existenz verdeckt. Wenn sie auch an eine Verbindung mit jenem Manne nur in ihren Träumen und zitternd gedacht, so hatte sie doch daran gedacht, und wenn in einsamen, traurigen Augenblicken, deren sie viele hatte, ihre heißen Thränen auf das holde Gesicht des kleinen hülflosen Wesens in ihrem Schooße fielen, so sprach die Hoffnung in ihr: Dies ist das Band, das uns zusammenhält, das nie zerrissen werden kann. – Und doch wurde es zerrissen, jenes Band, und ihr Herz zerriß mit und die rosenfarbenen Nebel über dem tiefen Abgrunde zerrissen ebenfalls, und da stand sie am Rande der gähnenden Kluft, sie mit ihrem Kinde diesseits, er jenseits. Wohl streckte er zum letzten Male die Arme nach ihr aus, aber sie waren getrennt für immer; sie konnte und wollte nichts mehr von ihm wissen, sie strengte sich an in harter Arbeit für sich und ihr Kind – auch für sein Kind – und wies alle Briefe, alle Unterstützungen, die Jahre lang an sie kamen, zurück. – –

Bei diesen Papieren fand sich eine Schrift der Mutter, worin sie bat, man möge das kleine Mädchen eine Tänzerin werden lassen, denn sie habe die feste Ueberzeugung, daß sie nur auf diese Art zu einer guten und glänzenden Existenz gelangen könne. »Sie hat ja keinen Vater,« schrieb sie, »und so leider einen Mackel an sich, der ihr in Manchem, was sie ergreift, hinderlich sein wird; auch hat mein kleines Mädchen ein großes Talent zum Tanzen, ich habe das schon vor ihrer Geburt gewußt, daß sie es haben würde.«

Diese Bitte hatte der Frau Welscher viel zu denken gegeben, und wenn sie auch eine aufgeklärte Frau war, aufgeklärter, als viele Damen sämmtlicher Rangklassen, und wenn sie auch vollkommen überzeugt war, daß jedes Geschäft den, der es ordentlich ausführt, ehrt, so hatte sie doch ein starkes Aber gegen das königliche Ballet und hielt bei dem heutigen Kaffee eine feierliche Rede, bei deren Schluß sie den Wunsch der verstorbenen Mutter aussprach, wonach das kleine Mädchen eine Ballettänzerin werden sollte.

Die alte Kiliane schüttelte bedächtig mit dem Kopfe, hustete bedeutend und räusperte sich sehr stark, ehe sie ihre Meinung von sich gab, welche dahin ging, daß der Stand einer Ballettänzerin ein sehr leichter, beweglicher sei und daß man fest auf seinen Füßen stehen müsse, um sich seinen Füßen ganz allein anvertrauen zu wollen. Doch hatte die alte Jungfer, welche selbst so nahe am Grabe stand, einen gewaltigen Respekt für alle Stimmen von jenseits, wie sie Testamente und letzte Willen zu nennen pflegte, weil sie hoffte und wünschte, daß auch ihr letzter Wille in allen seinen Theilen erfüllt werden würde, so daß sie es nicht wagte, viel gegen den letzten Wunsch der Verstorbenen zu sagen.

Die Frau Welscher ging von der vernünftigen Ansicht aus: wenn das Kind Lust habe, eine Tänzerin zu werden, und wenn die Leute, die es verständen, Talent an ihr entdeckten, so solle man demselben nicht in den Weg treten, und es könne ja in seinen Freistunden noch alles Mögliche erlernen. »Eine geringe, unbedeutende Tänzerin ist ein ärmliches Geschöpf, aber wenn man an große Tänzerinnen denkt, ja, das ist schon was Schönes; ich habe damals für die Taglioni gewaschen und kann euch versichern, keine Prinzessin ist besser versehen, als es jene Dame war.«

Die Winklere trank sehr viel Kaffee, aß sehr viel Mürbes dazu und war bei einer jedesmaligen Ansicht mit der Majorität so vollkommen einverstanden, wie man es nur von einem unbedeutenden Mitglied eines Familienrathes verlangen kann.

Auch der Herr Dubel und der Herr Winkler, namentlich der Erstere, sprachen sich sehr für den letzten Willen der Verstorbenen aus, und Dubel war entzückt mit dem Gedanken, daß das kleine Kind zu gleicher Zeit mit seinem Freunde, dem Doktor Stechmaier, eine glänzende Laufbahn auf den Brettern beginnen sollte. Der Hofkutscher, der weniger die Kunst im Auge hatte, freute sich absonderlich auf das Vergnügen, das der alte Vicarier Steinle haben würde, wenn er das Kind der Marie eines Tags in dem alten Theaterwagen nach Hause führen könne. Er lud den Teufel ein, ihn gelegentlich zu holen, wenn er eine Lüge sage und wenn es ihm nicht selbst Spaß machen würde, einmal dasselbe zu thun; doch erlaube es ihm sein Rang nicht, indem kein Hofkutscher, sondern nur Vicariere und Maulthierknechte die oben genannte Equipage zu fahren pflegten.

Es ist wohl selten ein Familienrath über das Schicksal eines Pflegebefohlenen so bald einig geworden, wie der unsrige. Nicht so bald war die Kaffeekanne geleert und von dem Backwerk nichts mehr übrig, so war auch beschlossen, daß der Herr Dubel am andern Tage sich mit der kleinen Marie zu dem königlichen Balletmeister begeben solle, um mit ihm das Nähere zu besprechen. Die Briefschaften und Papiere der kleinen Marie verschloß Jungfer Kiliane in eine alte Schublade.


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