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Anfangs fluchte Joseph bedeutend, als er so aus dem warmen Stalle heraus in den Schnee des November-Nachmittags kam und trotz seines dicken Mantels zusammenschauderte; auch hielt er kleine heftige Monologe über das alte Hundewetter, wie er es zu nennen beliebte, über den alten Gespensterwagen und über die alten Hofdamen, welche es aus lauter Uebermuth hinter ihrem alten Kamin nicht mehr aushalten können und absolut in den alten Straßen herumfahren und alle die alten Läden besuchen müssen, die sie ja schon hundert Mal gesehen. Daß sein Wagen gerade der einzige war, der sich in dem Schneegestöber auf den Straßen bewegte, trug auch nicht zur Verminderung seiner üblen Laune bei.
Jetzt fuhr er vor eines der Schloßportale, hielt die Pferde an; ein Lakai, der aus der Glasthür heraussprang, öffnete den Schlag, warf den Wagentritt herunter und half der Hofdame einsteigen.
So viel man in der Geschwindigkeit von derselben sehen konnte, war es eine ziemlich starke Dame mit sehr blondem Haar, die sich mürrisch in die Kissen warf, dem Bedienten einige Worte sagte, worauf dieser den Schlag zumachte, dem Kutscher ebenfalls einige Worte zuflüsterte, hinten aufsprang, und dann liefen die Pferde mit dem Wagen in scharfem Trabe davon.
Dieses Mal ging es nach dem ersten Gasthofe, und als der Wagen dort hielt und der Lakai an den Schlag trat, reichte ihm die Hofdame eine Karte heraus, welche der Bediente dem Portier des Gasthofes übergab; dann rollte der Wagen weiter und hielt vor einem der ersten Kupferstich- und Bilderläden der Stadt. Die Hofdame stieg aus und verschwand in dem Gewölbe; der Lakai schloß die Ladenthür hinter ihr und trat alsdann so nahe als möglich zu dem Kutscher heran, um einige freundliche Worte mit ihm zu wechseln.
»Heute wird's einmal wieder lange dauern,« sagte der Bediente und hüpfte dabei von einem Beine aufs andere, um sich die Füße zu erwärmen, wobei sein überlanger Rock malerisch in die Höhe wallte; »ich habe da eine schöne Liste von Besuchen in der Tasche, Freund Joseph; ich rathe Euch, laßt nur wacker laufen, sonst haben wir vor dem Balle keine Viertelstunde für uns.«
»Wo geht's zunächst hin?« fragte der Kutscher.
»Wahrscheinlich auf den Domplatz zu dem Hofjuwelier; ich habe schon viermal dahin laufen müssen, und jetzt ist ihm ein hoher Besuch von der gnädigen Frau selbst zugedacht; der Mann kann sich auf eine freundliche Anrede gefaßt machen – wie hat sie getobt! Ueberhaupt war das wieder ein schöner Tag! Sie kam mit rothgeweinten Augen von der jungen Herzogin herauf, das war schon um zehn Uhr, dann wurden Briefe geschrieben und ich und der Garderobediener mußten den ganzen Vormittag herumlaufen. Puh, schlechtes Wetter, schlechtes Wetter!«
»Meint Er hier auf der Straße?« sagte lachend der Kutscher.
»Hier und zu Hause,« entgegnete der Lakai; »Regen, Ungewitter und Sturm, was weiß ich!«
»Und hat's eingeschlagen?« fragte der Kutscher außerordentlich vergnügt.
»Kann wohl sein,« antwortete der Andere; »die Nelly hatte ein ganz rothes Gesicht und sehr verweinte Augen; unter Anderem,« fuhr der Lakai leiser fort und kletterte behende auf den Fußtritt neben dem Kutscherbock, »unter Anderem mußte ich einen Brief zu meinem früheren Herrn, dem Baron Karl, tragen, und als mir die Nelly den Brief gab, sagte sie: der ist auch an all' den Geschichten schuld, wenn nur der 'mal vor der Stadt draußen wäre! und dann setzte sie mit einer Beziehung auf mich hinzu: alles Männervolk taugt nicht, alle sind schlecht mit einander.«
»Oho!« sagte der Kutscher, »die alte Hexe! ich meine nämlich die Nelly.« Und dann klatschte er zwischen die Pferde hinein, welche ungeduldig scharrten und trippelten, und wiederholte sein Oho! welches sowohl den Thieren wie dem Kollegen Lakaien galt, der bei der heftigen Bewegung nach dem Peitschenschlage und der Erschütterung des Wagens fast von demselben heruntergefallen wäre.
»Ja, der Baron Karl wär' an Allem schuld, sagte die Nelly, und er thäte am Besten, sich gar nicht mehr sehen zu lassen. – Als ich nun meinem frühern Herrn den Brief überbrachte,« fuhr der Lakai fort, nachdem er wieder auf den Tritt geklettert war, – »ich gab ihn dem Jäger und blieb draußen ein Bischen am Kamin stehen, um meine Hände zu erwärmen – da hörte ich, wie der Baron drinnen laut lachte, und dann kam der Kammerdiener heraus und sagte zum Jäger: jetzt geht's doch auf den Ball, und nach drei Viertel auf acht Uhr soll der Brougham bestellt werden.«
»Was sollen aber all' die alten Geschichten heißen?« sagte Joseph, »weiß der Teufel, was Ihr da hinten auf Eurem Wagen nicht allerhand Zeug ausheckt! Da haben wir's vorn auf dem Bock besser – eingespannt, aufgesessen, wohin? dann einen Zungenschlag – und fort geht's.«
Der Lakai lächelte pfiffig und sagte: »Guter Freund, das versteht Ihr nicht; wir im Vorzimmer sehen so allerlei merkwürdige Sachen, und Manches gleitet durch unsere Hand; wißt Ihr, man macht die Augen zu, läßt sich mit der größten Bereitwilligkeit ein X für ein U machen und wird auf diese Art unentbehrlich.«
Jetzt öffnete sich die Thür des Bilderladens, und der Besitzer desselben ersuchte den Lakaien, einen Augenblick herein zu kommen; ehe er aber heruntersprang, sagte ihm der Kutscher eilig:
»Wenn wir von hier auf den Domplatz fahren, Jean, so mache ich einen kleinen Umweg; sollte die Alte deßwegen fragen, so sage Er nur, die gerade Straße dahin wäre so verflucht glatt.« »Ich verstehe,« sagte Jean pfiffig lächelnd; »eine kleine Fensterparade, Herr Joseph, verlaßt Euch auf mich.«
Damit sprang er in den Laden und kam gleich darauf mit einer großen Mappe zurück, die er in die Equipage legte, wonach er der Hofdame ebenfalls hinein half; der Tritt flog herauf, die Thüre zu und Jean rief, indem er hinter den Wagen sprang: »Domplatz Numero vierundsechzig.«
Pluto und Tibull, die einen kräftigen Merks mit der Peitsche bekamen, sausten dahin, daß der Schnee in die Höhe fuhr; fort ging es durch die Straßen und um die Ecken, wobei der Wagen oftmals zur Seite rutschte, so daß die Hofdame zuweilen erschrocken ihre Hand an das Fenster legte und Jean hinten die komischsten Seitensprünge machen mußte, um sich im Gleichgewicht zu erhalten; doch lachte derselbe, denn er war des guten Rosselenkers vorn sicher und freute sich innerlich, wie jetzt die Pferde in der Nähe eines unscheinbaren Häuschens in einen sanften Trab verfielen; dann öffnete sich in dem kleinen Häuschen ein kleines Fenster, und ein hübsches junges Mädchen sah heraus, welches dem Kutscher freundlich mit der Hand winkte und jetzt dem Wagen nachblickte, der nun wieder mit verdreifachter Schnelligkeit davon flog. Jetzt ging es um eine scharfe Ecke herum, so haarscharf an den Mauern eines alten Gebäudes vorbei, daß der Lakai bestürzt zurück blickte, ob nicht etwa ein Rand hängen geblieben sei; dann fuhren sie durch eine enge Gasse voller Kramläden, so eng, daß die Cattunstücke, die Hüte und Mützen, die da herum hingen, sowie Würste und Schinken, fast an die Wagenfenster schlugen, und endlich kamen sie auf den Domplatz und hielten mit einem ziemlichen Ruck vor Numero vierundsechzig.
Schon während des Aussteigens hörte der Kutscher die Hofdame fragen, warum er einen solch' horriblen Weg gefahren sei; doch log der Lakai mit der größten Unverschämtheit und sagte: in den andern Straßen sei an mehreren Stellen wegen der neuen Gasbeleuchtung das Pflaster aufgerissen und deßhalb habe man einen Umweg machen müssen.
Nachdem in dem Hause am Domplatz der Hofjuwelier seine verdienten Vorwürfe empfangen – warum hatte er auch das Unmögliche nicht gethan? – und der Lakai inzwischen die Wagenlaternen angezündet, stieg die Dame wieder ein und Joseph fuhr in mäßigem Tempo davon.
Dieses Mal hielten sie vor einem Privathause, und nachdem Jean sich überzeugt, daß die Dame, welcher der Besuch galt, zu Hause war, begleitete er die gnädige Frau hinauf, kam aber bald darauf die Treppe wieder herunter gesprungen, trat an die linke Seite des Wagens und nachdem er den Kutscher gebeten, ein klein wenig Platz zu machen, schwang er sich neben ihn auf den Bock.
»Da oben wird's lange dauern,« sagte er und zog eine kleine Horndose aus der Tasche, um sich und dem Kutscher zu einer Prise zu verhelfen; »wenn die da oben zusammenkommen, so dauert's eine geschlagene Stunde; 's ist halb fünf, paßt auf, wir sind um halb sechs noch auf dem Platz.
»Ich möchte nur wissen,« brummte der Kutscher, »was die jeden Tag zusammen zu schwätzen haben! Unsereins besucht ja auch hie und da einen Bekannten, und dann sagt man: guten Tag! – Wie geht's? – Gut! – Behüt dich Gott! Und dann fährt man seiner Wege. Aber die haben immer eine alte Wirthschaft zusammen, als hinge das Heil der Welt davon ab. – Brrr, 's wird kalt!«
»Ja, 's wird kalt,« sagte der Lakai und steckte seine Hände in die Taschen seines langen Rockes, »'s wird recht kalt heute Nacht; ich freue mich jetzt schon auf das Warten, wenn der Ball zu Ende ist, und heute ist dasselbe doppelt, für Euch und für mich.«
»Wie so doppelt?« fragte Joseph, »ich werde doch am Ende nicht mit zwei Wagen hinfahren sollen?«
»Wenn auch nicht mit zwei Wagen,« lachte der Lakai, »so doch mit einem Wagen zweimal.« »Macht mir keine alten Geschichten vor, Freund Jean! Ich fahre die alte Hofdame und das alte Hoffräulein, und damit Basta!«
»Allerdings,« entgegnete Jean, »nur mit dem Unterschiede, daß die Beiden heute nicht zusammenfahren, wie sonst, sondern Jede allein, macht zweimal; 's hat ja was gegeben.« – Damit stieß er den Kutscher pfiffig lächelnd an die Rippen.
»Alle Donnerwetter!« fluchte Joseph, »was kümmert uns das, wenn's was gegeben hat! Ich fahre, wie mein Befehl lautet, einmal mit dem alten Gespensterwagen vor das alte Schloß und dann nach dem alten Ball; einmal nur, sage ich Euch, und dann spanne ich aus und fahre um zwölf Uhr zum Abholen, aber auch nur einmal.«
»Das ist bald gesagt,« meinte der Lakai; »doch habe ich von der gnädigen Frau den Auftrag an Euch und muß es also ausrichten: sie will allein auf den Ball fahren, und wenn das Hoffräulein auch hin will, so fahrt Ihr nochmals und holt auch die ab.«
»Das ist doch die infamste Thierquälerei!« entgegnete der Kutscher; »doch nun muß ich's schon thun, denn wenn ich's auf eine alte Strafwache ankommen ließe und nur einmal führe, so hätte Niemand anders den Schaden davon, als das Hoffräulein, und die mag ich wohl leiden.«
»O, eine scharmante Dame!« entgegnete der Lakai, »so freundlich, so liebenswürdig, und was sie sagt, das meint sie auch, und verklagen thut sie auch Niemanden, hat's aber auch nicht nöthig; denn wenn sie zum tölpelhaftesten Schloßknecht sagt: wollt Ihr so gut sein, mein Freund? so ginge er durch's Feuer für sie, – gebildeterer Leute, wie wir sind, nicht zu gedenken.«
»Ja wohl, ja wohl,« bekräftigte der Kutscher.
»Ich glaube, die hat in ihrem ganzen Leben nicht gelogen. Wenn die Andere – die da droben – zufällig sagt: Jean, ich bin mit Euch zufrieden, so kann man drauf rechnen, daß es alsdann bei der Tafel zum Hofmarschall heißt: der Jean wird mit jedem Tage dümmer und unbehülflicher; und es ist gefährlich, wenn sie was Böses über einen sagt: die Herzogin selbst glaubt ihr in allweg, und da man das bei Hofe weiß, so hat sie einen Anhang, der merkwürdig ist; und die haßt das Hoffräulein nun seit heute, und wie haßt sie sie!«
»Aber weßhalb?« fragte der Kutscher, »sie muß doch, beim Blitz! eine Ursache haben!«
Der Lakai stieß ihn abermals freundschaftlich in die Rippen und sagte mit pfiffigem Lächeln: »Ei, mein früherer Herr, von dem ich Euch vorhin erzählte, der Baron Karl, und das Hoffräulein.«
Der Kutscher nickte fragend mit dem Kopfe und der Lakai antwortete durch dieselbe Bewegung.
»Ich habe schon lange bemerkt,« setzte der Lakai wichtigthuend hinzu, »daß Baron Karl dem Fräulein die Cour macht, unsereins bemerkt das augenblicklich.«
Joseph hatte einen Augenblick nachgedacht und gab alsdann das Resultat seiner Betrachtungen Preis, indem er sagte: »Hört, alter Jean, das gäbe ein merkwürdig schönes altes Paar – ein schönes Paar, wollt' ich sagen; was der Mann für einen Geschmack in Pferd und Wagen hat! wenn ich nicht königlicher Kutscher wäre, oder auch meinetwegen so, so würde ich 'mir wahrhaftig eine Ehre daraus machen, – ja, eine Ehre, ich hab' es gesagt, – das Paar zur Trauung in die Kirche zu fahren, im großen Staatswagen, ich auf einer reichgestickten Bockdecke, sehr schöne Uniform mit weißer Perrücke und spitzem Hut, vor mir die zwei prachtvollen englischen Braunen, die er hat, – ich sage Euch, alter Jean, ich will nicht Joseph heißen, aber die Leute schauten mehr auf Kutscher und Geschirr, wie auf den Bräutigam, der drinnen sitzt.«
»Dahin hat's noch weit,« sagte der Lakai und nahm äußerst wehmüthig eine Prise Taback, »ja, wenn die da oben wollte!«
»Ja, was geht's denn die Alte da oben an?« fragte der Kutscher.
»Merkt Ihr denn gar nichts, Joseph! habt Ihr denn nie gesehen, wie der Baron Karl halbe Stunden lang am Wagenschlag der gnädigen Frau stand und mit ihr schwätzte, während er das Hoffräulein, die auch drinnen saß, kaum fragte, wie es ihr gehe?«
»Nun ja, was weiter?«
»Was weiter?« sagte Jean; »und im Schlosse macht er's gerade so; Ihr wißt doch, das Hoffräulein, das nicht Vater und Mutter mehr hat, ist von der alten Herzogin erzogen worden und hat sich gewöhnt, sowohl den Befehlen derselben, als auch denen der ersten Hofdame, unserer gnädigen Frau, unbedingt zu gehorchen; sie ist jetzt achtzehn Jahre alt und wird natürlicher Weise noch immer wie ein kleines Mädchen behandelt; daß sie sich die Cour machen ließe, oder daß die überhaupt jetzt schon ein Herz hätte, das ist keiner von den alten Damen eingefallen. Also im Schlosse macht er's gerade so: da konnte er wohl Stunden lang der Hofdame die lächerlichsten Geschichten erzählen und sagte dem Fräulein nur hie und da ein einziges Wort; aber für mich, der ich meinen früheren Herrn wohl kannte, war dieses einzige Wort vollkommen verständlich – der gnädigen Frau brachte er die prachtvollsten und seltsamsten Blumen und dem Fräulein gab er höchst selten eine einfache Blüthe, aber Joseph, ich verstand das Alles, die Frau aber ...«
»Nun?« sagte der Kutscher und es schien ihm ein Licht aufzudämmern, »die Alte ...«
»Hat natürlich geglaubt ...« lachte der Lakai.
»Hat geglaubt, der Baron ...« sagte der Kutscher, ebenfalls lachend und nickte mit dem Kopfe.
»Sei in sie selbst verliebt!« platzte der Lakai laut lachend heraus und der Kutscher lachte nun so heftig, daß Tibull und Pluto erschreckt zusammenfuhren.
Nachdem sich Jean durch eine neue Prise restaurirt, fuhr er fort: »Heute ist nun die Geschichte an den Tag gekommen, und Ihr könnt Euch denken, wie man bei der alten und jungen Herzogin den Baron als ein Ungeheuer und das Fräulein als eine ausgelassene Person dargestellt hat; der Brief, den ich heute Morgen habe hinbringen müssen, hat ihm wahrscheinlich den Besuch des Schlosses untersagt und ihn auch wohl ersucht, nicht auf den Ball zu gehen, weßhalb es mich freut, daß er doch hinfahren wird – ha, der würde sich um des Teufels Hofdamen nichts bekümmern.«
»Unter diesen Verhältnissen,« entgegnete der Kutscher, »werde ich wahrscheinlich nicht zwei Mal zu fahren haben, wie Ihr gemeint habt, Jean; denn es ist doch sonnenklar, daß das Hoffräulein heute Abend zu Hause bleibt und nicht auf den alten Ball geht.«
»Ja, das kann sie aber nicht, denn die Prinzessin Eugen, welche den Ball gibt, hat das Fräulein außerordentlich lieb, und die würde nicht nachlassen, bis sie erführe, weßhalb sie zu Hause geblieben wäre, und dann käme die ganze Geschichte zu früh an den Tag; nein, das geht nicht! Aber jetzt wollen wir noch eine Prise nehmen, und dann will ich mich hinauf verfügen, es könnte bald an der Zeit sein, daß die gnädige Frau herabkäme.«
So war es auch in der That, und Jean war eben ins Haus gegangen, so kam er auch wieder heraus, riß den Schlag auf, hob die Hofdame hinein und fort rollte der Wagen.
Jetzt ging es zu einem großen Modewaarenmagazin – weniger um Einkäufe zu machen, vielmehr wollte die Hofdame eine ihrer Bekannten treffen, die dorthin gefahren war.
Vor dem Magazin stand ein herrschaftlicher Wagen, und kaum war Jean von dem seinigen heruntergesprungen und hatte den Schlag geöffnet, als die Thür des Ladens aufgerissen wurde und eine junge Dame heraustrat, dicht in ihren Shawl gewickelt, die eben in ihre Equipage steigen wollte, als Jean mit abgezogenem Hute naher trat und gehorsamst meldete, hier sei die Frau von C., welche die Frau Gräfin einen Augenblick sprechen und deßhalb aussteigen wolle. Sogleich eilte die junge Dame im Shawl auf die Hofequipage zu; nachdem einige Komplimente gewechselt waren, da Frau von C. unter allen Umständen aussteigen wollte (sie war nämlich fest überzeugt, daß die Gräfin dies nicht zugeben würde), sprang letztere in den Wagen, Jean drückte den Schlag sanft zu und blieb an demselben horchend stehen.
Der Kutscher auf seinem Bock hatte das wohl bemerkt und dachte bei sich: der infame Schlingel! er muß schon wieder wissen, was die Zwei da drinnen sprechen! Damit wickelte er leise seine Peitsche los und schwang sie herum und traf mit derselben Geschicklichkeit den lauschenden Jean auf denselben Theil des Körpers, wie früher die schlafende Stallwache.
Nachdem im Wagen selbst die ersten Begrüßungen vorüber waren, nachdem die Hofdame geklagt, daß sie entsetzliche Migräne habe, leitete sie die fernere Unterhaltung so gut und zweckmäßig ein, daß die Gräfin im nächsten Augenblick vollkommen überzeugt war, es laste ein schwerer Kummer auf dem Herzen der Hofdame; bald hatte sie auch die Ursache dieses Kummers entdeckt und erfuhr zu ihrem großen Erstaunen, daß Baron Karl, einer der liebenswürdigsten, elegantesten Cavaliere, sowohl bei der alten wie bei der jungen Herzogin in die vollkommenste Ungnade gefallen sei.
»Das ist ja unglaublich!« rief die Gräfin. »Natürlich kann und darf ich nicht in Sie dringen, eine Ursache dieses schrecklichen Ereignisses zu erfahren; ich kenne den edlen und liebenswürdigen Charakter der Frau Herzogin vollkommen und bin fest überzeugt, daß der Baron sich ein bedeutendes Vergehen gegen die hohen Herrschaften hat zu Schulden kommen lassen; denn wegen einer Kleinigkeit, wegen einer pikanten Salongeschichte allenfalls ist die Frau Herzogin nicht im Stande, Jemanden nur finster anzusehen. Ja, ja, diese jungen Leute!«
Die Hofdame seufzte aus tiefem Herzen.
»Ich weiß, was Sie dabei leiden, liebe Freundin,« fuhr die Gräfin fort; »aber ist es nicht möglich, etwas Näheres über diese Geschichte zu erfahren, einen kleinen Wink, nm die Ursache zu errathen? Hat vielleicht der junge Herzog die, wie man allgemein sagt etwas leichten Gesellschaften des Barons zu häufig besucht?«
Die Hofdame schwieg und seufzte abermals.
»Mir ist das genug,« fuhr die Gräfin eifrig fort, »ich will der Frau Herzogin beweisen, daß ihre Feinde auch die meinigen sind, – darf man die Geschichte einigen Bekannten anvertrauen?«
»Leider kann man sie nicht verschweigen,« entgegnete die Hofdame. »Liebe Clara, was mein Herz dabei leidet, können Sie sich denken. Gott im Himmel! wie ich heute den jungen Mann in Schutz nahm. Sie hätten das hören sollen! ja es war meine Schuldigkeit, er hat sich ja gegen mich beständig so aufmerksam, so liebevoll benommen; ich versichere Ihnen, Gräfin, ich hatte mit der Herzogin eine heftige Scene, aber ich mußte ihn fallen lassen.«
»Sollte hier eine andere Ursache zu Grunde liegen, meine gute, innig geliebte Freundin?« sagte die Gräfin und faßte beide Hände der Hofdame, »vertrauen Sie's mir an, liebe Adelaid; wir haben alle wohl bemerkt, wie der junge Mann beständig in Ihrer Nähe war, sollte er vielleicht – Sie verzeihen meine freundschaftliche Zudringlichkeit – sollte er vielleicht von Leidenschaft verblendet – ja, es kann nicht anders sein!« rief sie aus, »sollte er Ihnen eine Deklaration gemacht haben? O, diese jungen Leute sind so unvorsichtig, ich kenne das!«
»Schweigen Sie, Clara!« rief die Hofdame mit gebrochener Stimme und drückte ihr Taschentuch an die Augen.
»O läugnen Sie nicht!« rief die Gräfin dringender, »ich kenne Ihr edles Herz, ich kenne Ihr Pflichtgefühl, Sie haben ihn zurecht gewiesen, Sie haben dem jungen Leichtsinn eine tüchtige Lektion gegeben.«
»Clara!« bat die Hofdame mit bewegter Stimme.
»Jetzt durchschau' ich die ganze Geschichte!« rief die Gräfin triumphirend. »Sie durften das Ihrer hohen Freundin, der Herzogin, nicht verschweigen, und der Befehl, das Schloß nicht mehr zu besuchen, wird nun in der Gesellschaft durch die Ungnade der Frau Herzogin vollkommen motivirt.«
»Ich bitte Sie, liebe Gräfin!« entgegnete die Hofdame mit einer Stimme, die überzeugend klingen sollte, »Sie haben mich vollkommen mißverstanden, die Sache ist ganz anders, ich versichere es Ihnen, ganz anders! Wer das je gedacht hätte!« setzte sie hinzu und brach in wirkliche Thränen aus.
Die Gräfin, ebenfalls tief bewegt, faßte abermals ihre Hände und sagte mit leiser Stimme: »Fassung, theure Adelaid! Wir wollen diesen jungen Leuten zeigen, was es heißt, so leichtsinnig und unüberlegt zu Werke zu gehen; noch hab' ich Zeit, einigen meiner Bekannten den Baron als vollkommenes Ungeheuer zu schildern. Adieu, liebe Freundin, in zwei kleinen Stunden habe ich wieder das Glück, Sie zu sehen.«
Damit hauchte sie einen Kuß auf die Stirn der Hofdame und hüpfte aus dem Wagen.
»Ja,« sprach sie zu sich selber, als sie ihrer Equipage zueilte, »dieser leichtsinnige junge Mensch, er verdient es vollkommen, daß man ihn für eine Zeit lang schlecht behandelt; geht da her – ich begreife die Welt nicht mehr – und macht der armen Adelaid den Hof, einer Frau hoch in den Dreißigen, als wenn es sonst keine schönen Frauen in der Gesellschaft gäbe! Aber er soll schlecht behandelt werden!«
Damit warf sie hastig die Thür ihres Brougham zu und fuhr davon.
Jean hatte ebenfalls den Wagenschlag geschlossen, rief dem Kutscher einen erhaltenen Befehl zu – nach Hause! – und sprang hinten auf; er hatte von der Unterhaltung keine Sylbe verloren, und während er so an der Equipage an seinen beiden Quasten hing und hin und her wackelte, machte er sich allerhand seltsame Ideen und meinte, es wäre so übel nicht, wenn er heute Abend seinen ehemaligen Herrn, den Baron Karl, auf einige Augenblicke besuchte.
Sobald sie vor das Schloß fuhren, war dieser Vorsatz bei ihm zur Reife gelangt; er verabschiedete sich von Joseph, welcher Pluto und Tibull ausspannte, und ging lustig pfeifend durch die Nacht davon.