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»Es war einmal in der guten alten Stadt Damaskus ein Kameeltreiber, der hatte eine lange Reihe von Jahren diesem Geschäft obgelegen. Schon als Knabe war er mit den Karawanen gezogen und hatte seit der Zeit die Wüste nach allen Richtungen durchwandert. Er war sowohl in Kairo als in Stambul gewesen und hatte mancherlei Merkwürdiges und Sonderbares gesehen und erlebt. Doch wie es bei all diesen Leuten geht, die mühsam und kümmerlich ihr bischen Brod verdienen müssen, so hatten sich wohl seine Erfahrungen bereichert, aber sein Vermögen wollte nie einen rechten Aufschwung nehmen. So oft er freilich von seinen Reisen zurückkam, legte er eine kleine ersparte Summe in die Hände seines Weibes, die ihm zwei Knaben geboren hatte. Doch so einfach und ärmlich er auch lebte, er konnte nie viel erübrigen. Wenn er auch sein ganzes Leben fast nichts auf dem Leibe getragen hatte, als ein grobes Hemd und ein großes Schaffell, um sich gegen Wind und Regen zu schützen, so kam er doch eines Tages zu sterben, ohne seinen beiden Knaben – sein Weib war ihm schon vorangegangen – viel zu hinterlassen.
»Meine Söhne,« sprach er in der letzten Stunde zu ihnen, »suchet euch auf eine redliche und Gott wohlgefällige Art fortzubringen. Strebt darnach, euer Glück zu verdienen und es muß euch gelingen, denn es hat mir einst ein weiser Mann auf meinen Reisen eine Prophezeiung gethan, die ich wörtlich in meinem Gedächtniß bewahrte. Alle Menschen sind nicht dazu bestimmt, glücklich zu werden, sagte der weise Mann zu mir, und du bist einer von denen, die das Glück nie erreichen können. Du wirst dein ganzes Leben in Mühe und Arbeit verbringen und wirst deine Familie ohne Aussicht zurücklassen müssen. Aber sei getrost und glaube meinem Wort, wenn ich dir sage: daß einem deiner Söhne ein großes ungeheures Glück bevorsteht. Dieser ist ein von Gott Auserwählter, und die Ehre und der Reichthum werden ihn mit ihren Gaben überschütten, ohne daß er selbst viel dabei zu thun hat. Ach, meine Kinder, die Prophezeiung, daß ich mein ganzes Leben in Dürftigkeit zubringen solle, hat sich erfüllt. Warum sollen wir also auch nicht glauben, daß die andere, die einem von euch großes Glück verspricht, ebenfalls wahr werden könne. Möge euch Gott schützen und der Prophet segnen.«
Damit starb der Kameeltreiber, und seine beiden Söhne standen weinend um sein Lager und drückten ihm die Augen zu.
Nun aber war zwischen diesen beiden Söhnen ein großer Unterschied. Der eine, der ungefähr achtzehn Jahre zählte, war, was Gestalt und Gesicht anbelangt, gerade nicht schön zu nennen. Desto aufgeweckter aber schien sein Verstand und um so lebhafter seine Einbildungskraft zu sein. Er beschäftigte sich schon seit seiner frühesten Jugend mit dem Gedanken, recht viel Geld zu verdienen, und trieb zu dem Zweck allerlei kleine Geschäfte. Bald lief er in den Karawansereien herum und half für ein Geringes beim Abladen der Kameele, bald strich er durch die Bazars und wußte sich dort durch kleine Gefälligkeiten, die er den Kaufleuten erwies, etwas Geld zu erwerben. Dabei war er sparsam, legte das Erworbene sorgfältig zurück, und wenn der Vater seine beiden Söhne betrachtete, so hatte er, was die Prophezeiung anbelangt, auf diesen seine große Hoffnung gesetzt, besonders da an dem jüngeren Sohn nichts zu entdecken war, was zu dem Glauben berechtigte, daß, wenn ihm selbst das Glück mit vollem Angesicht gelächelt hätte, er im Stande sein würde, es zu verstehen, oder gar festzuhalten. Er war ein träumerischer fauler Junge, der auch wohl, wie sein Bruder, den ganzen Tag in den Karawansereien und Bazars umherging, aber ohne dort eine Hand anzulegen, oder für irgend Etwas ein lebhaftes Interesse zu zeigen. Stunden lang konnte er sich vor das Gewölbe irgend eines Kaufmanns hinstellen, um die fremdartigen und seltenen Waaren zu betrachten, die dort ausgelegt waren, und konnte sich dabei in Gedanken vertiefen, wo diese Sachen herkämen, und wie es dort wohl aussehen möge. Auch auf den Straßen konnte er lange Zeit dem prachtvollen Aufzug irgend eines Pascha zuschauen und dabei mit offenen Augen träumen und sich einbilden, er selbst sitze auf jenem reichgeschirrten Pferde, und er wäre es, vor dem sich alle Köpfe ehrerbietig neigten.
Als nun der Vater gestorben war, sprach der ältere Bruder zu dem jüngeren: »höre mich, Ibrahim, es ist jetzt Niemand mehr da, der für uns sorgt, wo wir Essen und Kleidung hernehmen, und es ist deshalb nötig, daß wir uns um einen Erwerbzweig umsehen. Ich wollte mir schon durch die Welt helfen, wenn ich nur wüßte; was aus dir werden soll. Da du aber keine Lust hast, mit den Karawanen hinauszuziehen und es dir weit besser gefällt, ruhig und träumend zu sitzen, so habe ich für dich eine Stelle in einem Kaffeehaus gesucht, wo du nichts zu thun hast, als den Leuten den Kaffee darzureichen und ihnen die Pfeife zu stopfen und anzuzünden. Willst du dies Geschäft übernehmen, so folge mir.«
Ibrahim willigte gern in diesen Vorschlag ein, und ging mit seinem Bruder in eins der großen Kaffeehäuser, wo er wegen seinem angenehmen Aeußern auch von dem Kaffetschi oder Kaffeewirth gleich aufgenommen wurde. Sein Bruder Ali theilte ihm etwas von seiner kleinen Baarschaft mit, umarmte ihn auf's Zärtlichste, nachdem er ihm erzählt, daß er nun mit einer Karawane in die Welt hinaus wolle, um sein Glück zu suchen.
So schieden die beiden Söhne des Kameeltreibers, und Ibrahim trat sein neues Amt an. Doch wollte es damit gar nicht recht gehen. Anstatt auf die Gäste aufmerksam zu sein und ihrem Verlangen zuvorzukommen, horchte er auf die Erzählungen der Fremden, betrachtete die vorüberziehenden reichen Kaufleute, indem er bei sich dachte, wie angenehm es doch sein würde, wenn er es auch einmal so weit gebracht hätte.
Der Kaffetschi verwies ihm täglich und stündlich sein träumerisches, unaufmerksames Wesen, aber es half Alles nichts. Bald schüttete er einem Gast den Kaffee auf das Kleid, bald reichte er einem Andern eine unangezündete Pfeife, oder er ließ vielleicht einem Dritten eine glühende Kohle auf den Pantoffel fallen. Kurz, sein Herr hatte nichts als Aerger und Noth mit ihm, und nachdem er ihn zum Oefteren vergeblich ermahnt und gewarnt, sagte er ihm eines Tages, es thue ihm leid, daß er ihn nicht länger behalten könne, und hieß ihn seiner Wege ziehen.
Ibrahim, anstatt hierüber betrübt oder niedergeschlagen zu sein, war vielmehr lustig und guter Dinge, und verließ das Kaffeehaus mit dem festen Vorsatz, jetzt augenblicklich ein reicher und vornehmer Mann zu werden. Mit diesem Gedanken trieb er sich in der Stadt umher, und verweilte häufig vor dem Palast des Kalifen, wo er sich die vornehmen Herren betrachtete, ihre Mienen und Geberden, sowie den Anstand, mit dem sie im Vorhof vom Pferde stiegen, und das Alles auf's Beste nachzuahmen versuchte. Das gelang ihm auch wohl, denn die Natur hatte ihn mit einem so günstigen Aussehen beschenkt, daß man ihn bei besserer Kleidung eher für den Sohn eines vornehmen Herrn, als für den Sprößling eines Kameeltreibers hätte halten können. Doch bei diesem Nichtsthun und Umherschlendern war das wenige Geld, das er besaß, bald verzehrt, und er fand es für rathsam, sich nach einem neuen Dienst umzusehen. Er. suchte und fand denn auch bald eine Stelle als Reitknecht bei einem reichen Kaufmann, wo er es denn auch längere Zeit aushielt, als bei seinem früheren Herrn, dem Kaffetschi.
In seiner jetzigen Stellung hatte er nichts zu thun, als neben dem Pferd seines Herrn zu laufen, wenn dieser ausritt, oder ihm die Pfeife nachzutragen, Geschäfte, die er denn auch zur ziemlichen Zufriedenheit vollbrachte.
Da sprach eines Tags sein Herr zu ihm, indem er ihm einen großen Beutel mit Geld einhändigte: »Ibrahim, geh auf den Pferdemarkt. Dort wirst du neben der großen Moschee einen Araber finden, der einen ausgezeichnet schönen Schimmelhengst hat, welchen ich gekauft. Sage ihm meinen Gruß und händige ihm dies Geld ein, er wird dir darauf das Pferd geben, welches du sorgfältig zu mir her geleiten sollst.« Nach diesem Befehl ging Ibrahim mit dem Gelde fort und gelangte bald auf den Markt, wo eine große Menge guter und schlechter Pferde zum Verkaufe ausgestellt waren. Er wandelte zwischen den Verkäufern umher, die ihn für einen reichen jungen Mann hielten und ihm mit vielen Schmeicheleien ihre Pferde antrugen.
Durch diese Reden, die ihm sehr wohl gefielen, vergaß er den Befehl seines Herrn, sich so viel wie möglich zu eilen, und gelangte erst nach geraumer Zeit zur großen Moschee, wo er sich nach dem Araber mit dem Pferde, das er kaufen sollte, umsah.
Unglücklicherweise aber hatte er vergessen, daß es ein Schimmelhengst sei, den er für seinen Herrn abholen solle; und da nebenbei seine Kenntniß über die Schönheit eines Pferdes nicht sehr groß war, so wandte er sich an einen alten Türken, der auf den Treppen der großen Moschee saß und einen alten mageren Rappen am Zügel hielt, der hungrig das Gras zwischen den Steinritzen verzehrte. Aha, dachte Ibrahim, die« ist der Mann, den ich suche, und trat mit dem Gruße des Friedens näher. Der alte Türke, der ein kluges, listiges Gesicht hatte, erhob die Augen und sah gleich an dem kecken leichtsinnigen Benehmen des jungen Menschen, der einen so vollen Beutel im Gürtel trug, daß es hier nicht schwer werden würde, ein gutes Geschäft zu machen. Er stand daher rasch von seinem Sitze auf und näherte sich.
»He, Alter.« sprach Ibrahim, »seid Ihr es, von dem mein Herr ein Pferd gekauft hat?«
»Ei freilich,« entgegnete der Türke mit listigem Lächeln, »bringt Ihr vielleicht die Kaufsumme und wollt das Thier mit fortnehmen?«
»Ja wohl,« sprach Ibrahim mit einer großthuerischen Nachlässigkeit, indem er den Beutel aus seinem Gürtel hervorzog, den der Alte sogleich mit einem gierigen Blick zu sich nahm. »Zählt nach,« fuhr er fort, »es wird die richtige Summe sein in vollwichtigen Goldstücken.«
Der Alte that, als sähe er in den Beutel hinein und sagte darauf schmunzelnd: »nun ja, es fehlen freilich einige Piaster, aber das macht nichts, dein Herr ist ein so guter Kunde, daß es mir auf die Kleinigkeit nicht ankommen soll. Kommt nur bald wieder, um auf solche Art von mir zu kaufen, und der Prophet wird's euch gesegnen.«
Damit verschwand der Alte eilig in der Menge. Ibrahim aber schwang sich auf sein Pferd und ritt keck und stolz über den Markt dahin. Wohl hörte er die Leute neben sich flüstern und lachen, aber er hielt diese Aeußerungen des Spottes für Zeichen des Wohlwollens und der Freude und bezog sie auf sein stattliches Aussehen.
So gelangte er vor die Thüre seines Herrn, brachte das Pferd in den Hof und sagte darauf zu seinem Gebieter, daß er seinen Auftrag pünktlich erfüllt und das Pferd mitgebracht habe. Eilig ging dieser in den Hof und fragte mit freundlichem Angesicht: »nun, wo ist denn der Schimmel?«
»Der Schimmel, o Herr?« entgegnete Ibrahim fragend, »ich weiß von keinem Schimmel. Der Mann an der Moschee hat mir diesen Rappen für dich mitgegeben und ich habe nichts anderes, als dies Pferd mitgebracht.« »Aber mein Geld?« entgegnete der Kaufmann ängstlich werdend; »aber mein Geld? Der Beutel mit den 10.000 Piastern?«
»Ei Herr,« entgegnete Ibrahim, »befahlst du mir denn nicht, das Geld dem Mann an der Moschee einzuhändigen und das Pferd dafür mitzunehmen?«
»Bei Gott und dem Propheten!« schrie jetzt plötzlich der Kaufmann, dem die Sache klar zu werden begann, indem et sich den Bart zerraufte, »o du ungetreuer und nachlässiger Knecht! Sprich, hast du die ganze ungeheure Summe für diese elende Mähre hingegeben?«
»Ja wohl, Herr,« entgegnete Ibrahim kleinlaut, denn es stieg auch bei ihm eine Ahnung auf, als habe er keinen vortheilhaften Kauf gemacht, sondern sei vielmehr tüchtig betrogen worden.
Jetzt gerieth der Kaufmann in einen unbeschreiblichen Zorn. Er griff nach einem Stocke, und wollte über seinen Diener herfallen. Doch hielt er ein und besann sich eines Andern. »Nein,« schrie er laut, »ich will meine Hand nicht an dir beschmutzen, du schlechter Diener. Nein, ich will dich vielmehr vor den Kadi bringen, der soll dich für deinen schändlichen Streich zu Tode prügeln lassen.«
Hierauf rief er einige von seinen Sklaven, welche den armen Ibrahim in die Mitte nehmen mußten, und fort ging es mit ihm auf den großen Markt, nach dem Platze, wo der Kadi der Stadt Damaskus öffentliches Gericht hielt.
Der Kaufmann, der vermöge seines Reichthums bei diesem Beamten sehr angesehen war, wurde augenblicklich zur Klage vorgelassen und erzählte den ganzen Hergang der Geschichte, indem er dabei nicht undeutlich zu verstehen gab, daß es auch wohl möglich sei, Ibrahim habe dies elende Pferd für einige Piaster gekauft und den andern Theil der Summe unterschlagen. Der Kadi ließ sich den ganzen Verlauf der Sache erzählen und so sehr auch Ibrahim unter Thränen bei Allem, was heilig ist, betheuerte, er habe nur aus Unachtsamkeit gefehlt, aber gewiß von dem Gelde keinen Para unterschlagen, so würde ihm dies doch wenig geholfen haben, wenn nicht zufällig ein paar andere Kaufleute erschienen wären, die dem Handel an der Moschee zugesehen hatten und dem jungen Manne bezeugten, daß er ohne zu zählen, den Beutel jenem alten Manne überreicht habe.
So unlieb auch dieser Ausspruch dem Herrn Ibrahims war; denn er hätte sich in seinem Zorn sehr darüber gefreut, wenn Ibrahim zu einer tüchtigen Gefängnißstrafe wäre verurtheilt worden, so konnte er doch nichts machen und mußte mit dem Urteilsspruch des Kadi zufrieden sein, der dahin lautete, daß Ibrahim seinem Herrn die ganze Summe zu ersetzen habe.
Wenn er aber dies nicht im Stande sei, so dürfe ihn sein Herr auf öffentlichem Markt als Sklaven verkaufen und das Geld, was er für ihn und das Pferd bekomme, als Entschädigung ansehen.
Ibrahim wurde darauf wieder nach Hause zurückgebracht. Der Kaufmann ließ ihm seine guten Kleider ausziehen und dafür ein altes schmutziges und zerrissenes Gewand anlegen, worauf er den Zügel des Pferdes in die Hand nehmen und seinem Herrn folgen mußte.
Umsonst war sein Bitten und Flehen, ihn doch zu behalten, umsonst seine Versprechungen und Betheuerungen, er werde durch Fleiß und gutes Betragen den Schaden wieder einzubringen suchen; es half Alles nichts. Sein Herr war unerbittlich, und nicht genug, daß er ihn auf dem Sklavenmarkt an irgend einen anderen Herrn verkaufte, nein, er ließ ihn sogar auf den Trödelmarkt bringen, wo nur das lumpigste Gesindel seine Sachen einhandelt, und stellte ihn hier zum Verkauf aus.
Lange fand sich aber kein Mensch, der ein Gebot auf Mann und Pferd gethan hätte, und wenn zufälliger Weise ein gut gekleideter Mann über den Platz ging und nach dem Preise dieses Sklaven fragte, so forderte der Kaufmann einen so unmäßigen Preis, daß alle achselzuckend und lachend fortgingen. Kam aber irgend ein zerlumpter Kerl in ihre Nähe, so bot ihm der Kaufmann Mann und Pferd für einen Spottpreis an; denn um den armen Ibrahim empfindlich zu bestrafen, wollte er ihn in recht schlechte Hände bringen. Doch was er anfänglich verlangte, war immer noch zu viel für das Gesindel, was sich hier umher trieb. So mochte es ungefähr Abend geworden sein, als noch ein alter zerlumpter Kerl erschien, der nach dem Preise des Sklaven und des Pferdes fragte, und der Kaufmann, dem das Aussehen dieses Käufers recht passend erschien, forderte eine so niedrige Summe, daß jener zuerst glaubte, nicht recht gehört zu haben.
Als aber der Andere nicht mehr forderte, zog der Alte einen schmutzigen ledernen Beutel hervor, zählte die Summe eilig hin, und befahl alsdann dem Ibrahim, ihm zu folgen. Dieser versuchte noch einmal, den Kaufmann zum Mitleiden zu bewegen, aber umsonst. Er wandte sich lachend ab, indem er ihm sagte, er sei für solche Unachtsamkeit und Nachlässigkeit noch viel zu gelinde bestraft.
Traurig folgte der arme Sklave seinem neuen Herrn, der ihn mit sich in ein ärmliches und abgelegenes Stadtviertel führte, und dort vor einem der schlechtesten und zerfallensten Häuser hielt. Er öffnete eine kleine Thür und befahl seinem Sklaven, ihm mit dem Pferde zu folgen. Beide kamen durch einen dunkeln Gang auf einen kleinen Hof, wo sich ein schlechter Stall befand, den der Alte öffnete und wieder verschloß, nachdem Ibrahim mit dem Pferde eingetreten war. Hier in dem Stalle war es ziemlich finster und außer einem hölzernen Trog befand sich nichts in demselben. Ibrahim setzte sich auf die Erde hin und überdachte sein trauriges Schicksal. Er dachte an seinen Bruder, wo der in der Welt herumschwärmen möge, und ob er vielleicht schon sein Glück irgendwo gemacht habe. Jedenfalls aber war er überzeugt, daß es demselben besser erginge, als ihm.
Nach einer kleinen Weile kam der Alte wieder in den Stall, warf ein Bund Stroh an den Boden hin und schüttete einige Hände voll Gerste in den Trog für das Pferd. Auch gab er seinem neuen Sklaven ein Stück hartes Brod und einen kleinen Krug Wasser zum Abendessen, wünschte ihm darauf eine gute Nacht und verschloß die Thür wieder.
Ibrahim, der den ganzen Tag nichts gegessen hatte, fühlte einen heftigen Hunger und nahm sogleich sein karges Nachtmahl zu sich, und nachdem er einen guten Schluck aus seinem Wasserkruge gethan, stand er auf und sah nach seinem Pferde, das in der Gerste umherwühlte, ohne davon zu fressen, Ibrahim glaubte, es sei vielleicht krank und nahm eine Handvoll davon, die er ihm vor das Maul hielt. Als es auch jetzt nichts davon anrührte, nahm er seinen Wasserkrug und feuchtete die Gerste ein wenig an, indem er dachte, das Futter sei dem Thier etwas zu trocken. Doch anstatt davon zu fressen, merkte Ibrahim zu seiner größten Verwunderung, daß das Pferd den Kopf schüttelte und ihn mit einem sonderbaren Blicke ansah. »Aha,« dachte er, »mein armes Thier. du fühlst auch wohl, daß wir in schlechte Hände gefallen sind. Nun, wir wollen sehen, was zu machen ist und du kannst dich darauf verlassen, daß der Alte, dir nichts zu Leide thun soll. Ich will schon dafür sorgen, daß du nicht so viel zu arbeiten brauchst.« Nach diesen Gedanken legte sich Ibrahim auf das Stroh nieder und Dank seinem leichten Sinn und seiner Ermüdung, die ihm heute das lange Stehen auf, dem Markte verursachte, schlief er ein, und erwachte erst, als der Tag am Himmel aufzudämmern begann. Jetzt erhob er sich wieder von seinem harten Lager und trat an den Trog hin, um zu sehen, ob das Pferd während der Nacht nichts gefressen habe. Doch wer beschreibt sein Erstaunen, als er sah, daß an der Stelle der Gerste ein ganzer Haufen Gold lag, lauter schöne gangbare Münzen, nagelneu und glänzend, als seien sie eben erst aus der Münze des Kalifen gekommen. Stumm vor Erstaunen stand Ibrahim einen Augenblick da, und wußte nicht, was er davon zu halten habe und was hier wohl zu thun sei? Doch als er jetzt plötzlich die Schritte des Alten hörte, nahm er eilig das Geld aus dem Troge und verbarg es in einem dunkeln Winkel des Stalles. Das Pferd schaute ihm zu und nickte mit dem Kopfe, als bezeuge es seine Zufriedenheit darüber.
Der Alte trat in den Stall und nachdem er seinem Sklaven wieder ein Stück Brod gegeben hatte, befahl er ihm, das Pferd hinauszuführen. Draußen gab er ihm einen alten schlechten Sattel, sowie einen Zaum, und als der Rappe damit angeschirrt war, schickte ihn der Alte in die Stadt hinaus mit der Weisung, sich auf einem der öffentlichen Plätze aufzustellen und dort zu warten, bis Jemand kommen würde, der ein Pferd zu einem Ritt durch die Stadt miethen wolle. Auch gab er ihm einen vorläufigen Preis an, wie viel er für die Stunde zu fordern habe, und entließ ihn mit der Weisung, nur ja recht viel Geld mitzubringen.
Ibrahim zog mit seinem Pferd von dannen und schlenderte langsam durch die Straßen, wobei er sich nach allen Seiten umschaute, ob nicht Jemand sein Pferd zu miethen verlange. Doch wenn auch hie und da Jemand des Weges kam, der sich nach einem Rosse umsah, so hatte man nicht so bald die armselige Gestalt des Pferdes betrachtet, als die Leute achselzuckend und lächelnd weiter gingen.
So gelangte Ibrahim an den großen Markt, auf dem Spezereien und wohlriechende Sachen aller Art verkauft werden. Hier sah und roch man alles, was nur eine Nase erfreuen konnte, vom feinsten Rosenöl bis zum geringen Aloeholz herunter, welches der Rechtgläubige des Wohlgeruchs halber auf seine Pfeife legt. An einer Ecke dieses Markts blieb das Pferd plötzlich stehen, blähte seine Nüstern auf und schien mit Begier die guten Gerüche einzusaugen, die aus den Buden hervorströmten. Da es dem jungen Manne gleichviel war, wo er mit seinem Pferde stand, so blieb er hier an dem Markte halten, lehnte sich an einen Stein und sah ruhig der hin und her laufenden Menge zu.
»Ach,« dachte er bei sich, als er die vielen reichen jungen Leute sah, die in prächtigen Gewändern daher ritten und gingen, »wer es doch auch so gut haben könnte!« Und er begann wieder Luftschlösser zu bauen, wie er es immer zu thun pflegte. Anfänglich wollte er sich mit einem Pferd und einem Anzuge begnügen, bald aber mußten es mehrere sein, und nach Verlauf einer Viertelstunde, in der er fortgeträumt hatte, sah er sich schon als Pascha von drei Roßschweifen, wie er über unzählige Sklaven und einen ganzen Marstall gebot. Es wollte indessen immer Niemand kommen, der zu seinem Pferde Lust getragen hätte, was dem jungen Manne eigentlich ganz recht war; denn er stand lieber müßig da und hing seinen Träumereien nach. Jetzt dachte er auch mit Entzücken an all das Geld, das er zu Haus im Stalle verscharrt hatte, und was damit wohl zu machen sei. Wenn er auch anfänglich bei sich überlegte, auf welche Art er es am besten für sich verwenden könne, so sprach doch seine Ehrlichkeit dagegen, und rief ihm zu: »all das Gold gehöre von Rechts wegen dem Herrn des Pferdes und er dürfe es ihm nicht vorenthalten.«
Nach langem Ueberlegen, wie er sich des einmal gefundenen Glücks bedienen könne, ohne seinem Herrn Schaden zu thun, fiel ihm plötzlich ein Ausweg ein, den er auch gleich am Abend desselben Tags, als er mit leeren Händen zu dem Manne zurück kam, einschlug. Er klopfte leise an die Thür der Hütte und machte, als ihm der alte Mann öffnete, ein sehr verdrießliches und niedergeschlagenes Gesicht. »Ach, Herr,« sagte er darauf, »du hast an mir und dem Pferde einen schlechten Handel gemacht. Ich stand den ganzen Tag an dem belebtesten Theile der Stadt, an dem Gewürzmarkte, und wenn auch viele Leute vorbeikamen, die sich nach Reitpferden umsahen, so hatte ich das meinige gut anbieten, kein Mensch wollte es nehmen. Seht die Mähre, riefen sie, was ist das für ein Thier? Der Prophet möge uns schützen. So sagten Alle und gingen lachend bei mir vorbei.«
Der alte Mann, der gehofft hatte, das Pferd würde ihm eine reiche Erwerbsquelle sein, sah sich unangenehm getäuscht und murmelte einen tüchtigen Fluch zwischen seinen Zähnen.
»Nun, nun,« sagte er darauf, »wer weiß, es wird morgen besser gehen. Wir wollen es morgen wieder versuchen.«
Aber es ging morgen nicht besser. Ibrahim stand den ganzen Tag vergeblich an dem Gewürzmarkte, und wenn er auch am Abende, als ihm der Alte die Thür wieder aufmachte, mit Freude strahlendem Gesichte eintrat, so geschah dies nur, weil es zur Vollendung seines Planes, seine Freiheit wieder zu erlangen, nöthig war, denn seine Taschen waren leer wie gestern.
»Ach, Herr,« sagte er, »wenn ich abermals mit leeren Händen zu dir komme, so bringe ich dir doch eine Hoffnung mit, daß du die Summe, die du für mich und das Pferd ausgegeben, doppelt wieder erlangen kannst. Es ist nämlich heute mit einer leeren Karawane ein Verwandter meines Vaters zurückgekommen, den ich von meinem traurigen Schicksal in Kenntniß setzte. Da ihn nun der Prophet auf seinen Reisen mit Glück gesegnet hat, so will er mir eine Wohlthat erzeigen und bittet dich deßhalb, o Herr, die Summe anzugeben, die du für mich und das Pferd verlangst.«
Der arme Mann machte bei diesen Worten ein freundliches Gesicht, und sagte seinem Diener, er wolle sich bis morgen darüber bedenken.
Ibrahim ging in seinen Stall zurück, und schlief zufrieden bis an den hellen Morgen, wo er abermals wie auch gestern und vorgestern eine Menge Goldstücke in dem Trog fand. Er scharrte sie alle zusammen, und verbarg sie sorgfältig in seinem Gürtel.
Als ihm der Alte die Thür öffnete, nannte er ihm eine Summe, für welche er ihm die Freiheit geben wolle, die allerdings sehr groß war, die ihm aber Ibrahim, da sie seinen Schatz nicht überstieg, im Herzen mit Freuden bewilligte. Doch nahm er eine betrübte Miene an, und sagte zu dem Alten: »du. verlangst viel von mir, o Herr, und ich fürchte fast, ob mein Verwandter eine solche Summe bestreiten kann.« Damit ging er mit dem Pferde fort, um, wie er sagte, seinen Vetter aufzusuchen. Anstatt aber wie gestern, sich an dem Gewürzmarkt aufzustellen, ging er in ein anderes sehr entlegenes Stadtviertel und miethete dort einen kleinen Stall, in welchem er seinen Rappen einstellte. Daraus kehrte er eilig zu seinem alten Herrn zurück und sagte ihm mit freudiger Miene, daß sein Verwandter freilich die verlangte Summe etwas stark gefunden habe, sie aber dennoch für seine Freiheit geopfert. Der Alte strich schmunzelnd die Goldstücke ein und wünschte dem jungen Mann Glück und Gesundheit.
Ibrahim hatte am Tage, wo er frei geworden war, nicht sobald das Gold, was er wieder in der Krippe fand, zusammengescharrt, als er eilig auf den Kleiderbazar ging, sich seines alten schlechten Gewandes entledigte und einen seidenen Kaftan, weite golddurchwirkte Hosen und einen schneeweißen Turban kaufte. Darauf ging er in eine Barbierstube, ließ sich den Kopf sorgfältig scheeren und in Ordnung bringen und sah nunmehr so stattlich aus, daß man ihn für den Sohn eines mächtigen Paschas hätte halten können.
Als er in seinen Stall zu seinem getreuen Rappen zurückkehrte, sah ihn dieser an, und es war, als freue sich das Pferd über den neuen stattlichen Anzug seines Herrn nicht besonders, denn es schüttelte den Kopf und stampfte unwillig mit dem Fuße. Auch versuchte es, so oft Ibrahim in den Stall kam, durch allerhand Bewegungen bemerklich zu machen, daß es gern hinaus ins Freie möge. Doch wollte der junge Mann diese Bewegungen nicht verstehen. »Ei,« dachte er in seinem Leichtsinn, »ich werde jetzt doch nicht die Stadt verlassen sollen, nachdem ich Geld genug habe, um glänzend und prächtig leben zu können. Ich will anfangen, um mich für die frühere Zeit, die ich in der Armuth verlebte, zu entschädigen.«
Das that er denn auch, so viel in seinen Kräften lag. Er kaufte sich ein paar schöne Pferde, nahm Diener an und miethete ein schönes Haus. Bald begannen die Leute von dem Reichthum des unbekannten jungen Mannes zu sprechen.
So standen die Sachen, als eines Tages der Kaufmann, welcher Ibrahim an jenen alten Mann verkauft hatte, diesen Letzteren zufällig auf der Straße traf. Der Alte sah weit besser aus, als das erste Mal, als er den Handel mit ihm abgeschlossen; er hatte sich bessere Kleider angeschafft und überhaupt ein stattliches Ansehen gewonnen, weßhalb der Kaufmann bei ihm stehen blieb und lächelnd zu ihm sagte: »ei, ei, mein Alter, siehst du, ich habe dir wahrscheinlich einen tüchtigen Sklaven verschafft, der dir viel Geld einbringt. Wie undankbar, daß du nicht einmal zu mir gekommen bist, um mir ein gutes Wort dafür zu sagen, und mich zu benachrichtigen, wie sich jener junge Mensch aufführt.«
»Freilich,« entgegnete der Andere, »habe ich durch jenen Sklaven viel Geld verdient; doch nicht auf die Art, wie Ihr wohl glaubt. Er war nur wenige Tage bei mir, als ihn ein Verwandter, der mit einer Karawane zurückkam, für eine gute Summe von mir losgekauft hat, für eine wackere Summe versichere ich Euch, die er mir in blanken Goldstücken ausbezahlt hat.«
»Was, Ihr sagt, in blanken Goldstücken!« antwortete der Kaufmann, plötzlich nachdenkend werdend. »Habt Ihr nicht zufällig eine von diesen Münzsorten bei Euch?«
Der Alte griff statt der Antwort in den Gürtel und holte zwei von den Goldstücken heraus, die ihm Ibrahim gegeben, und bei dessen Anblick der Kaufmann plötzlich ausrief: »beim Barte des Propheten, seht doch den Spitzbuben! das sind von denselben Goldstücken, mit denen ich ihn auf den Markt geschickt habe, und die er mir also dennoch entwendet hat.«
Darauf erzählte er in aller Kürze dem Alten, wie sich die Sache verhalte und Beide gingen auch eilig zum Kadi hin, um gegen den jungen Mann einen Verhaftsbefehl auszuwirken, den er alsbald einigen Soldaten des Kadi übergab, um ihn in Kraft zu setzen, wenn Ibrahim noch in der Stadt sei.
Dieser machte aber, in seinem Leichtsinn gar keinen Hehl aus seiner Anwesenheit und es wäre ihm nicht eingefallen, daß er Ursache hätte, sich zu verbergen, vielmehr lebte et nach wie vor auf einem großen Fuße und gab täglich das Geld aus, was er des Morgens in der Krippe seines Rappen fand. Auch lag er fast den ganzen Tag in den Kaffeehäusern oder lief in den Bazars umher, weßhalb es denn auch nicht lange dauerte, bis ihn die Leute des Kadi entdeckt hatten, und sie nahmen ihn zur großen Verwunderung der Leute auf öffentlichem Markte als einen Betrüger gefangen.
Man kann sich leicht denken, wie unangenehm seine Ueberraschung war, als er vom Pferde gerissen und vor den Kadi geschleppt wurde, wo er nicht wenig erstaunt war, seine beiden Herren zu finden.
»Ja, er ist es,« rief der Kaufmann bei seinem Anblick freudig au«. »Ja, er ist es, o Herr, ich schwöre, daß es mein Diener Ibrahim ist, der mir jenen Beutel mit Goldstücken entwendet hat.«
Ibrahim stand bei dieser neuen Anklage bestürzt da, und wußte nicht, was er zur Antwort geben sollte.
»Warst du es,« fuhr ihn der Kadi an, »der bei diesem Herrn als Reitknecht diente, der von ihm mit einem Beutel voll Goldstücken auf den Markt geschickt wurde, um ein kostbares Pferd zu erhandeln, und der dafür einen schlechten mageren Rappen mit nach Hause brachte, der vorgeblich diese ganze große Summe gekostet haben soll?«
»Ja, Herr, das war ich,« entgegnete Ibrahim, »aber beim Augenlichte des Propheten schwöre ich, daß jene ganze Summe« – »Schweig,« fuhr der Kadi fort, »und antworte auf meine Fragen. Darauf hat dich der Kaufmann diesem alten Manne verkauft, bei welchem du zwei Tage bliebest, und ihm alsdann versichertest, einen Verwandten gefunden zu haben, der dich loskaufen wolle. Nenne mir deinen Verwandten und sage, wo er zu finden ist?«
Natürlicherweise konnte der arme junge Mensch diesen Vetter nicht nennen, und da in der ganzen großen Stadt Damaskus keine lebende Seele war, die ihn kannte, so war er auch nicht im Stande, einen andern Menschen anzugeben, der ihm durch sein Zeugniß hätte helfen können. Doch gewann hierdurch die Anklage des Kaufmanns an Glaubwürdigkeit und als der Kadi einige Male vergeblich nach dem Namen dieses Vetters gefragt, zeigte er ihm die Goldstücke vor, die der Alte bei sich hatte, und fragte ihn, ob er sie für dieselben erkenne, die er jenem für seine Freiheit bezahlt.
Da Ibrahim dies nicht leugnen konnte, so mochte er seine Unschuld so viel wie möglich betheuern, es war Alles vergebens. Der Kadi verurtheilte ihn zu einer großen Anzahl von Hieben auf die Fußsohlen und zu vielen Jahren Gefängniß, im Fall es ihm nicht möglich sei, glaubwürdige Männer zu bringen, die ihm bezeugen können, daß er das Geld auf rechtmäßige Weise erworben.
Was sollte Ibrahim nun machen? So fest er sich anfänglich vorgenommen hatte, nichts von dem Geheimnisse seines Pferdes zu sagen, so sah er doch jetzt wohl ein, daß dies das einzige Mittel wäre, sich vor einer schmählichen Strafe zu bewahren, worauf er dann nach einiger Ueberlegung dem Kadi, sowie den beiden andern Männern die ganze Wahrheit erzählte, wie er zu jenem Geld gekommen. Erstaunt aber ungläubig hörten sie ihn an und schüttelten die Köpfe, denn wenn auch in damaliger Zeit ein solches Wunder nichts Seltenes war, so glaubte der Kadi doch viel eher, Ibrahim habe es ersonnen, um sich zu retten. Doch als er mit thränenden Augen die Wahrheit seiner Aussage beschwor, entschied der Richter dahin, Ibrahim soll während der kommenden Nacht zu seinem Rappen in den Stall eingesperrt und strenge bewacht werden. Alsdann könne man sich am nächsten Morgen leicht davon überzeugen, ob er die Unwahrheit gesagt.
Mit Freuden nahm Ibrahim diesen Ausspruch an und wurde auf Befehl des Kadi sogleich zu seinem Rappen in den Stall gebracht, und dort von einigen Dienern der Gerechtigkeit aufs Sorgfältigste bewacht. Freudig athmete er hier wieder auf und sah sich im Geiste schon wieder in Freiheit gesetzt. Er war lustig und guter Dinge und die einzige Bekümmerniß, die ihn zuweilen anwandelte, war nur die Furcht, man möge ihm am andern Tage, beim Anblick des vielen Goldes, sein kostbares Pferd nehmen.
So kam die Nacht heran und Ibrahim warf sich auf sein Strohlager, wo er alsbald in einen festen Schlaf verfiel. Da träumte ihm, daß das Pferd seinen Kopf zu ihm niedersenkte und leise anfing zu reden. »Unbesonnener junger Mensch!« schien es zu ihm zu sprechen, »dein Leichtsinn ist Schuld, daß sich das Glück, welches dich verfolgt, beständig in Unglück umwandelt. Warum hast du nicht die Stadt verlassen und etwas gethan, um dich der Gaben würdig zu machen, die du empfangen? Glaube mir, der Müßige und Unbesonnene kann nie das Glück an sich fesseln. Wehe über dich.« So träumte Ibrahim und wälzte sich unruhig auf dem Stroh umher. Doch als der Tag endlich anbrach, wachte er heiter und guter Dinge, und sprang auf, um das Gold aus der Krippe zu nehmen. Doch wer beschreibt seinen Schrecken, als die Gerste unangerührt wie gestern in dem Troge lag, ohne daß nur die Spur eines Goldstücks darunter gewesen wäre. Im ersten Augenblicke stand Ibrahim regungslos da, dann aber wühlte er verzweiflungsvoll in der Krippe umher, suchte unter derselben, warf sein Strohlager auseinander, aber umsonst, es war nichts zu finden. Laut jammernd zerriß er seine Kleider und schrie in seinem Schmerze so laut, daß die Wachen eilig herbeistürzten, indem sie glaubten, es sei ihm ein Unglück widerfahren. Doch als sie sahen, wie sich die Sache verhielt, zuckten sie die Achseln und rissen den jungen Mann erbarmungslos von seinem Lager auf, und brachten ihn auf's Neue vor den Kadi.
Dieser gerieth über die Lüge Ibrahims in einen heftigen Zorn, schalt ihn einen abgefeimten Betrüger und befahl, man solle ihn augenblicklich in's Gefängniß abführen.
Das Roß aber, welches seines schlechten Aussehens halber Niemand annehmen wollte, wurde vor die Stadt gebracht, und man ließ es laufen, wohin es ihm beliebte.
In einen tiefen sumpfigen Thurm hatte man den unglücklichen jungen Mann geworfen, und als er sich hier allein befand, dachte er über sein vergangenes Leben nach, und über den letzten schrecklichsten Tag, der ihn von der Höhe des Glücks so tief hinabgestürzt hatte. Dabei fiel ihm auch der Traum ein, den er in der vergangenen Nacht gehabt und er gestand sich selbst, daß seine Unbesonnenheit und sein Leichtsinn grenzenlos und unerlaubt sei. Ach, dachte er, wenn mir das Glück noch einmal lächeln sollte, ich würde es ganz anders benutzen. Wie undankbar bin ich nicht gegen meinen Wohlthäter, das arme Pferd gewesen, indem ich ihm nicht gefolgt, als es durch seine Bewegungen den Wunsch aussprach, seinen Stall und wahrscheinlich die Stadt zu verlassen. O wär' ich ihm doch gefolgt. Ich wäre jetzt wahrscheinlich ein freier und glücklicher Mensch. Doch schien seine Reue zu spät zu sein und sein Kerker war und blieb verschlossen. Er wand sich in Kummer und Betrübniß auf seinem Lager umher und da er von den Vorfällen des Tages an Leib und Seele erschöpft war, kam alsbald der mitleidige Schlaf und schloß ihm die Augen.
In der Mitte der Nacht wurde er plötzlich durch ein Geräusch geweckt, und es schien ihm, als wenn eine Maus an seinem Kopfe im Stroh umher raschelte. Er öffnete die Augen und sah verdrießlich um sich her. Doch wie ward ihm plötzlich, als er dieselbe Stimme wie in der vergangenen Nacht vernahm, welche zu ihm sprach: »noch einmal kehrt das Glück zu dir zurück, doch sei diesmal weiser und folge mir.«
Erstaunt und erfreut blickte er auf und sah wirklich eine Maus, aus deren Munde die Worte zu kommen schienen. Rasch sprang er auf und folgte dem Thierchen, das in eine Ecke des Gefängnisses lief, wo ein starkes Eisengitter eine große Oeffnung verdeckte. Kaum berührte die Maus dasselbe, so öffnete es sich und Ibrahim säumte nicht, eilig hindurchzuschlüpfen. Glücklich befand er sich nun im Freien und sah, daß er an einem tiefen Graben war, der das Gefängniß umgab. Auf der andern Seite kletterte die Maus empor, er folgte ihr eilig und befand sich alsbald auf der freien Straße. Hier sah er, daß das Thier plötzlich verschwunden war, aber wer beschreibt seine Freude, als er dagegen sein altes Pferd erblickte, das ihm leise entgegen wieherte. Er säumte keinen Augenblick, sich auf den Rücken desselben zu schwingen und alsbald jagte das treue Roß mit ihm von dannen.
Unaufhaltsam lief es mit ihm durch die langen Gassen von Damaskus; wo sich eines der Thore befand, die in der Nacht geschlossen werden und die Straße versperren, öffnete es sich selbst und ließ den Reiter hindurch. So gelangten sie in wenig Augenblicken vor die Stadt und nach kurzer Zeit in den Sand der Wüste, die nicht weit vor den Thoren von Damaskus anfängt und sich in unendlicher Weite gen Osten ausbreitet. Bald stieg der Tag empor und ohne Aufhören jagte das Roß mit einer unglaublichen Schnelligkeit von dannen. Ibrahim, der sehr erfreut war, seinem Gefängnisse so glücklich entronnen zu sein, war doch nicht wenig erstaunt, und es befremdete ihn, daß das Pferd in die Wüste hinausjagte, und er dachte schon darüber nach, was wohl den Abend, ganz ohne Lebensmittel, wie sie waren, zu machen sei. Doch war er zu sehr von der Klugheit des Pferdes überzeugt, als daß sich ernstliche Besorgnisse seiner hätten bemächtigen können.
So ritt er dahin den ganzen Tag und als die Sonne am Himmel hinabzusinken begann, quälte ihn der Durst heftig und er sah sich begierig nach einer Quelle um. Doch es war, als wenn das Pferd seinen Wunsch ahnete, denn es wandte sich alsbald nach einer andern Seite hin und in kurzer Zeit sah der junge Mann einen kleinen, mit Stein eingefaßten Brunnen vor sich, an dem er seinen Durst löschte. Wunderbar erfrischte ihn das Wasser und er fühlte seinen Körper von einer ungewöhnlichen Kraft durchdrungen, es regte sich eine Sehnsucht in ihm, ein unbekanntes Gefühl, etwas zu erreichen, was aber noch weit, weit von ihm lag. Er bestieg sein Roß wieder und ritt mit erneuerter Schnelligkeit dahin. Gegen Abend sah er fern am Horizont Gegenstände auftauchen, die er für eine große Stadt hielt, bei deren Anblick sein Herz heftiger schlug, wobei ihm eine innere Stimme zu sagen schien, er finde dort, was er suche. Als er aber näher kam, sah er zu seinem größten Erstaunen, daß das, was er vorhin für eine Stadt gehalten, nichts anders als eine Menge seltsam geformter Felsen war, die aber auch in der Nähe sonderbarer Weise kleinen und großen Häusern glichen.
Es trennte ihn noch eine kleine Anhöhe davon, und als er diese erstiegen, sah er von oben herab, wie die ganze Ebene vor ihm mit solch seltsam geformten Felsen bedeckt war.
Zu seinen Füßen sah er andere Steine in großer Menge, die das Ansehen von Zelten hatten; es war ein eigener Anblick, und wenn nicht an diesen grauen Massen die Oeffnungen für die Fenster und Thüren gefehlt hätten und wenn nicht Alles todtenstill gewesen wäre, hätte man glauben können, es sei wirklich eine Stadt von Menschen bewohnt, die sich ihre Wohnungen aus dem Fels gehauen.
Das Pferd wieherte beim Anblick dieses Thales laut und freudig und lenkte in eine der Gassen hinein, die sich vor den Blicken Ibrahims öffnete. Seltsam klang hier der Hufschlag des Pferdes und der Jüngling schaute betroffen um sich her, denn es war ihm gerade, als müsse jetzt hinter einem dieser Felsstücke Jemand hervortreten, der nach seinem Begehren fragte. Doch Alles blieb still wie zuvor. Schon hatte Ibrahim eine Menge langer Gassen durchritten und das Pferd lenkte jetzt auf einen Platz, an dessen Ende sich ein mächtiger und großer Fels erhob, der in seiner äußern Gestalt einer mächtigen Königsburg glich. Da waren kolossale Thürme und breite Treppen, hohe Bogengänge mit schlanken Säulen, ausgedehnte Gebäude, aber Alles schien von der Natur selbst hervorgebracht zu sein, denn wenn man diese Werke sah, so schien es fast unmöglich, daß Menschenhände so etwas hervorbringen können.
An einer der großen Treppen dieser Burg hielt das Pferd und da es dem jungen Mann schien, als sei er hier am Ziel seiner Reise angelangt, so stieg er ab, ohne zu wissen, was nun zu beginnen sei. Da aber die Nacht schon mächtig hereingebrochen war, er sich auch von dem langen Ritt etwas ermüdet fühlte, so folgte er dem Beispiel des Pferdes, das sich auf den Boden niedergestreckt hatte, und legte sich unter eine der Treppen, wo er alsbald in einen tiefen Schlaf versank.
Am andern Morgen, als kaum der erste Strahl des Tages die Felsen beleuchtete, wurde Ibrahim durch das Wiehern seines Pferdes erweckt, rieb sich die Augen und als er ebenso wie gestern um sich die seltsamen Steingebäude erblickte, war er versucht, Alles anfänglich für einen Traum zu halten. Doch bald überzeugte er sich, daß er wache und Alles wirklich sehe. Er sprang empor und folgte dem Pferde, welches langsamen Schrittes und oft nach ihm umschauend, die Mauern der Burg entlang wandelte. Endlich blieb es vor einem kleinen Bogen stehen, und der Jüngling bemerkte mit Erstaunen eine schmale Treppe, die ungemein steil an der Wand empor führte. Hier blieb das Pferd stehen und sah auf, was Ibrahim alsbald für ein Zeichen nahm, daß es ihn bitte, einen Versuch zu machen, da hinauf zu klettern. Rasch war er hierzu entschlossen und stieg die schmale Treppe empor. Doch war's, als wollte dieselbe fast kein Ende nehmen. In allen möglichen Wendungen führte sie über Thürme und Bogengänge hinweg, und oftmals blieb der junge Mann stehen, um rückwärts schauend die Felsenstadt zu übersehen, die todt und stille zu seinen Füßen ausgebreitet lag.
Jetzt führte die Treppe vor eine schmale Pforte, durch welche Ibrahim in ein gewölbtes Gemach trat, in dessen Mitte sich ein viereckiger Stein erhob, auf welchem der junge Mann zu seinem größten Erstaunen ein mächtiges Schwert liegen sah. Wenn es ihm auch nicht in den Sinn kam, daß er stark genug sei, dies Schwert zu schwingen, so trieb ihn doch die Neugierde, den Griff mit der Hand anzufassen. Er zog die Klinge aus der Scheide und als er sie empor hob und ihr Funkeln und Leuchten sah, schien das Schwert ganz für seine Größe zu passen, und es war ihm, als habe er es von jeher geführt.
Nachdem er sich eine Zeit lang in dem Gemache vergeblich umgeschaut, um sonst noch vielleicht etwas zu entdecken, suchte er einen Ausgang, um seinen Weg fortzusetzen. Bald fand er auch die Treppe wieder, und als er auf ihr das Gemach verließ, sah er, daß er sich auf einem der höchsten Thürme der Burg befand, auf dessen Spitze die Treppe führte. Wer beschreibt aber sein Erstaunen, als er auf die Zinne dieses Thurmes gelangt war und dort einen Adler erblickte, der aber ebenso wie alle Gebäude in Stein ausgehauen zu sein schien. An einem seiner Fänge befand sich eine goldene Kette, die mit ihrem anderen Ende an die Mauer des Thurmes befestigt war. Ibrahim ging mehrere Male um den Adler herum, und je öfter er ihn betrachtete, je seltsamer schien ihm der gefesselte Vogel. Auf dem Kopfe trug derselbe eine große goldene Krone, und in seinen Fängen hielt er Reichsapfel und Scepter.
»Das arme Thier!« dachte Ibrahim bei sich; »warum mag es wohl mit dieser goldenen Kette festgeschlossen sein!« Obgleich der Adler nur von Stein war, schien ihm dies sehr unpassend, und es kam ihm plötzlich die Idee, die goldene Kette zu lösen und die Figur des Adlers von diesem lästigen Schmucke zu befreien. Er faßte sie an, und versuchte, sie aus dem Gemäuer herauszuziehen, aber vergebens: sie schien mit dem Stein zusammengewachsen. Auch von dem Fänger des Adlers wollte sie sich nicht abstreifen lassen, weshalb der Jüngling nach vielen vergeblichen Bemühungen, kurz entschlossen, sein Schwert zur Hand nahm und mit einem gewaltigen Hieb die Kette löste.
Kaum war dies aber geschehen, so hob der Adler seinen Kopf empor, schlug mit den Flügeln und schwang sich langsam in die Luft. Ueberrascht blickte ihm der Jüngling nach, doch sein Erstaunen vergrößerte sich, als der Adler jetzt hoch in den Lüften das Scepter, sowie den Reichsapfel in seine Hand fallen ließ, und darauf durch eine Bewegung seines Kopfes ebenfalls die Krone herabwarf, die genau auf das Haupt des jungen Mannes fiel und da sitzen blieb.
Noch war dieser nicht zu sich selber gekommen, als er von unten herauf aus der vor wenigen Augenblicken noch so stillen Felsenstadt ein lautes Getümmel vernahm. Er blickte von der Zinne des Thurmes hinab und sah, wie sich plötzlich an den Häusern Fenster und Thüren öffneten und festlich geschmückte Menschen zum Vorschein kamen.
In den Straßen und besonders auf dem Platz vor der Burg wimmelte es bunt durch einander und alle Köpfe richteten sich empor und sahen nach der Spitze des Thurmes, wo Ibrahim stand, so daß er verlegen zurücktrat und nicht wußte, was er davon denken sollte. Draußen vor der Stadt, auf dem Felde, wo er die Steine erblickt hatte, die wie Zelte aussahen, erhob sich ein lautes kriegerisches Getümmel. Da öffneten sich die Vorhänge der Leinwandhäuser und glänzende gewappnete Krieger traten heraus, um sich auf die Pferde zu schwingen, die alsbald, wie aus dem Boden hervorgestiegen, erschienen waren. Es strahlte und glänzte dort durcheinander, daß einem die Augen fast erblindeten, und lustige Musik erscholl, Trompetenwirbel und Hörnerklang.
Ibrahim schüttelte den Kopf und fuhr mit der Hand über die Augen, denn es war ihm, als habe er einen seltsamen Traum. Er besah Scepter und Reichsapfel in seinen Händen und befühlte die Krone auf seinem Haupte, aber Alles war und blieb wirklich da, schwer mit Gold und reich mit Steinen besetzt, eines mächtigen Königs würdig.
Immer mehr Volk wälzte sich auf den Platz heran, wo die Burg stand, und ihr freudiges Geschrei, ihr Plaudern und Jauchzen durch einander klang wie das Brausen des Meeres, wenn es die felsigen Ufer bespült.
Nachdem Ibrahim allem diesem noch einige Minuten zugehört und zugeschaut, stieg er die schmale Treppe wieder hinab und gelangte bald in das Gemach, aus dem er vorhin das Schwert mitgenommen. Doch war es nicht mehr leer, wie vor kurzer Zeit sondern es befand sich hier eine Versammlung alter ehrwürdiger Männer mit weißen Bärten, die sich tief vor ihm verneigten und, die Worte sprachen: »Gott und der Prophet möge unsern neuen König segnen und ihm eine lange glückliche Regierung schenken.«
Der Jüngling, der nicht wußte, was dies alles zu bedeuten hatte, schaute die Männer fragend an, worauf einer vortrat und zu ihm sprach: »Ehr' und Preis sei dir, o Herr und König, und Dank dem Propheten, daß er dich auswählte, um über diese Stadt und dieses Land zu regieren. Du hast den Zauber gelöst, der auf uns ruhte und sollst fortan unser Herrscher sein. Folge mir, o König, um dich deinem Volke zu zeigen, das dich mit Sehnsucht erwartet.«
Ibrahim folgte dem Greise, der würdevoll voranschritt und durch eine andere Thür, die sich jetzt in dem Gemach zeigte, in hohe prachtvolle Säle des nun entzauberten Schlosses trat. Sie wandelten durch eine lange Reihe derselben, von denen einer immer reicher und schöner ausgeschmückt war, als der andere, und traten endlich auf eine große Altane hinaus, wo das Volk, seinen neuen König kaum gewahr werdend, ihn mit einem tausendfachen Lebehoch empfing, und in dies donnernde Geschrei mischte sich der Klang der aufgestellten Musikchöre.
So war denn aus Ibrahim, dem Sohne des alten Kameeltreibers, ein reicher mächtiger König geworden, und er regierte lange Jahre in Glück und Freude. Sein Bruder, der mit der Karawane hinausgezogen war, hatte sich ein kleines Vermögen erworben und glaubte darnach, er sei es, an dem die Prophezeiung, er werde ein großes Glück machen, in Erfüllung gegangen. Doch wie wunderte er sich, als er später seinen Bruder wiederfand, und ihn dieser auf dem Königsstuhle sitzend, mit der Krone auf dem Haupte empfing! Beide lebten darauf noch lange Jahre vergnügt mit einander.
»Und hiermit,« schloß der alte Mann, »ist mein Märchen zu Ende.« Er stieß die Asche in seiner Pfeife zusammen und sah seine Zuhörer an, die aufmerksam seiner Erzählung gelauscht hatten.
»Aber das Märchen kann noch nicht ganz zu Ende sein,« nahm darauf der Emir el Hadsch das Wort; »denn was ist eigentlich aus dem Zauberpferde geworden, das ja anfänglich eine zu große Rolle spielte, als daß es so plötzlich verschwinden könnte.«
»Ei,« entgegnete der alte Mann, »das hätte ich fast vergessen. Ihr könnt euch denken, daß sich der junge König gleich nach dem Schicksal seines treuen Rosses erkundigte. Doch in der That, es war nirgends mehr zu finden. Als er darauf die Weisen seines Landes zusammenberief, waren sie einstimmig der Meinung, das Pferd sei der Genius ihres Königs gewesen, der ihn dem Willen des Propheten gemäß zu seinem Glücke geführt. Da ich nichts Besseres darüber zu sagen weiß,« schloß der Alte seine Rede, »so müßt ihr schon mit dieser Auslegung zufrieden sein.«
Die Erzählung des alten Mannes hatte für eine kurze Zeit die trüben Gedanken verscheucht, welche das Herz des Emir el Hadsch erfüllten, doch als er jetzt von dem Feuer aufstand und allein seinen Zelten zuschritt, war er trauriger als je gestimmt, denn er konnte nicht absehen, wie das Gewitter, welches sich über seinem Haupte zusammenzog, abzuleiten sei. Es herrschte heute Nacht nicht wie sonst zu so später Zeit eine allgemeine Ruhe und Stille in dem Lager, sondern die meisten der Feuer brannten noch, und fast überall sah man, daß die Leute in den Zelten noch wachten, und eifrig zusammensprachen. Die Kunde von dem Ueberfall der Araber hatte sich mit Blitzesschnelle durch das ganze Lager verbreitet und erregte die mannigfaltigsten Bewegungen. Hier war es Hoffnung auf eine bessere Zeit, welche diesen und jenen antrieb, sich für die Zukunft die glänzendsten Luftschlösser zu bauen. Dort hielt die Furcht die Leute zusammen, und sie erzählten sich von dem Unheil, das durch einen dauernden Krieg mit den Arabern herbeigeführt würde. Am lebhaftesten und unruhigsten ging es aber heute Nacht in den Zelten der Derwische zu, und besonders in dem ihres Oberhauptes, der sich mit einigen seiner Untergebenen berathschlagte, was in dieser drohenden Gefahr zu thun sei; denn wie der alte Mann am Feuer heut Abend erzählt, hatte ihm jener Mameluk, der auch dem Emir den Befehl des Kalifen, augenblicklich zurückzukehren, überbracht, heimlich einen Ferman überreicht, worin ihm befohlen wurde, alle Schritte des Emirs zu bewachen, und im Fall derselbe nicht augenblicklich gehorche, zu den äußersten Mitteln zu greifen, und ihn gefangen zu nehmen, oder im Nothfalle sogar zu tödten.
Ueber diesen Ferman beratschlagte sich das Oberhaupt der Derwische und dieser, der einen unersättlichen Ehrgeiz besaß, und gern das Komando der Karawane an sich gerissen hätte, setzte seinen Untergebenen gerade in einer langen Rede auseinander, wie nothwendig es sei, den Emir noch in dieser Nacht von seinem Posten zu entfernen, da er keine Miene mache, die Karawane zurückzuführen. »Der Prophet sei mein Zeuge,« sprach der Imam, »es sind die augenscheinlichsten Beweise da, daß der Emir auf Verrath gegen unsern Herrn, den Kalifen, sinnt. Hat mir doch der eigene Haushofmeister und Leibdiener desselben, der Neger Hassan, die Mittheilung gemacht, daß er einen vornehmen Araber von dem Stamme Almansor, unsers mächtigsten Feindes, bei sich verborgen hält. Warum sollten wir also zögern, um einen Mann unschädlich zu machen, der uns, in das Verderben führen wird. Ich stimme für seine Gefangenschaft oder seinen Tod.«
»Und auch wir,« sagten die anderen Derwische. »Gefangenschaft oder Tod!«
In diesem Augenblick öffnete sich langsam der Vorhang des Zeltes und das schwarze Gesicht des Negers Hassan blickte herein. Er verbeugte sich tief vor dem Imam und sprach dann hastig aber mit leiser Stimme: »verzeih mir, o Herr, daß ich euch störe, aber ich komme nur, um dir eine neue Meldung zu machen, die dich, in Schrecken versetzen wird. Schon heute Nachmittag bemerkte ich am fernen Horizont leichte Staubwolken, die von Zeit zu Zeit aufstiegen, aber anfänglich achtete ich nicht darauf. Doch als die Sonne sank und ihre letzten Strahlen über die Ebene hinwarf, zuckten ans jenen Sandwolken einzelne Blitze empor, die meinem geübten Auge verriethen, daß sich zahlreiche Reiterschaaren der Karawane nähern. Ich blieb auf meiner Hut und hörte auch bald nachher, als die Nacht heraufgestiegen war, in der Ferne deutlichen Hufschlag, der immer näher kam. O Herr, meine Vermuthung hat sich nicht getäuscht, denn soeben rückten in aller Stille zwei große Züge Beduinen heran, die sich, als sei es verabredet, geräuschlos bei unsern Zelten lagerten.«
Diese Nachricht des Negers brachte bei den Derwischen keine geringe Bestürzung hervor, und als gleich darauf die Berathschlagung über den Emir fortgesetzt wurde, beschloß man einstimmig seinen Tod, der noch in dieser Nacht erfolgen sollte, und Hassan, der ungetreue Diener, sollte diesen Beschluß ausführen.
Während sich dies begab, schritt der Emir el Hadsch seinen Zelten zu, und da er wohl wußte, daß in der jetzigen Zeit eine verdoppelte Wachsamkeit nöthig wäre, ging er um seine Zelte herum, um nach den ausgestellten Wachen zu sehen; doch wie erstaunte er, als er sah, daß hinter denselben eine große Menge Beduinen gelagert war. Er bemerkte trotz der Dunkelheit ihre weißen Mäntel und das Leuchten ihrer Säbel und Lanzenspitzen. Eilig wandte er sich um und trat in das Zelt, wo jener junge Araber bewacht wurde.
Beim Eintritt des Emirs erhob sich dieser rasch von seinem Lager und sagte zu ihm: »Dank sei dem Propheten, o Herr, daß er dich zu mir gesandt. Ich war in großer Sorge und Bekümmerniß, und habe umsonst heute Abend versucht, zu dir zu gelangen; doch verhinderten mich die Wachen daran. Bei dem Propheten flehe ich dich an, o Herr, laß mich mit dir in dein Gezelt treten und in deiner Nähe bleiben. Vielleicht daß ich ein Unheil, das dir droht, von deinem Haupte abwenden könnte.«
Der Emir el Hadsch, der von den Vorfällen dieser Tage sehr bestürzt war, bewilligte dem jungen Araber gern seine Bitte und nahm ihn mit sich in sein Zelt. Hier ließ er ihn niedersitzen und klatschte dreimal in die Hände, worauf auch alsbald der Leibneger Hassan erschien und sich tief verneigend in dem demüthigsten Tone fragte, was zu seines Herrn Befehl wäre? Der Emir verlangte Pfeife und Scherbet und Hassan entfernte sich augenblicklich, um Beides zu besorgen.
Mit funkelnden Augen hatte der junge Araber unablässig in das Gesicht des Negers gespäht, und als dieser jetzt wieder mit den verlangten Pfeifen und dem Scherbet eintrat, folgte er mit der größten Aufmerksamkeit, allen seinen Bewegungen. Der Emir nahm seine Pfeife und der junge Araber, der nahe zu ihm hingerückt war, lehnte die seinige neben sich hin, indem es schien, als sei er begierig, zuerst einen Schluck von dem Trank zu nehmen, den ihm der Neger darreichen würde.
Hassan verbeugte sich vor seinem Herrn, indem er ihm die Scherbetschaale darreichte, und der Emir nahm eine davon. Doch kaum hatte er eine Bewegung gemacht, sie an seine Lippen zu setzen, als der junge Mann plötzlich emporsprang, den Neger ergriff und ihn unter dem Ausrufe: »Trink nicht, o Herr, trink nicht, es ist vielleicht Gift darin!« zu Boden warf. Leichenblaß ließ der Emir die Hand mit der Schaale niedersinken, so daß der Scherbet herausfloß. Doch sein Gesicht nahm einen noch größeren Ausdruck des Schreckens an, als er jetzt in dem Gefäß einen weißen zuckerartigen Stoff erblickte, den sein an solche Sachen gewohntes Auge sogleich als Gift erkannte. »Gestehe.« rief der Araber dem Neger zu, der sich unter der mächtigen Faust des jungen Mannes wand, »gestehe, warum hast du deinen Herrn vergiften wollen?«
Obgleich Hassan bei dieser Frage die Lippen auf einander biß und dumpf vor sich hinstarrte, so wußte ihn doch der Araber so mit Drohungen in die Enge zu treiben, daß er nach wenig Augenblicken Alles gestand, und zähneklappernd erzählte, daß ihn das Oberhaupt der Derwische zu diesem Schritt überredet, daß des Emirs Tod beschlossen sei, und wenn auch sein Anschlag mißglückt wäre, so möge er sich doch ohne Zögern durch eine schnelle Flucht retten, denn es fänden sich bald andere Mörder, die ihn nicht verfehlen würden.
Der unglückliche Emir konnte kein Wort hervorbringen, denn wenn er sich auch das Schlimmste vorgestellt hätte, so wäre es ihm doch nie in den Sinn gekommen, daß ihn der Kalif so ohne Recht und Ursache in die Hände seiner bittersten Feinde geben würde. Vor Schmerz zerriß er sein Gewand von oben bis unten, und indem er Gott und den Propheten anrief, sagte er sich feierlich von seinem Herrn dem Kalifen los.
Der junge Araber hielt den Neger noch immer mit der Hand fest und als er alles, was er wußte, gestanden, drückte er ihn mit der rechten Hand auf den Divan nieder, während er mit der linken langsam den Dolch aus seinem Gürtel zog. Hassan, der diese Bewegung wohl sah und zu deuten wußte, versuchte in gräßlicher Angst ihm den Arm festzuhalten und wandte sich mit flehenden Worten an seinen Herrn, indem er ihn laut schreiend bat, er möge ihn doch von dem gewissen Tode erretten. Doch der Emir, von dem Verrath eines Dieners, den er beständig hoch gehalten und gut behandelt hatte, aufs Tiefste erschüttert, verhüllte das Haupt in seinen Mantel und wandte das Gesicht ab. So lang hatte der junge Mann gewartet, und als er durch diese Bewegung des Emirs sah, daß er den ungetreuen Diener seinem Schicksal überlassen wolle, führte er mit unglaublicher Schnelligkeit einen Stoß gegen die Brust des Negers, der darauf ohne einen Laut von sich zu geben, auf den Boden des Zeltes fiel.
Der junge Mann warf seinen reich mit Steinen besetzten Dolch über ihn, zum Zeichen, daß hier kein gewöhnlicher Mord geschehen sei; darauf faßte er die Hand des Emirs und rief ihm zu: »Auf, Herr, erhebe dich, komm und folge mir. Du darfst keinen Augenblick länger hier säumen. Wir müssen noch in dieser Nacht von dannen. Glaube nur, was der Sklave dort sagte, daß der Imam Hände genug finden wird, die nach deinem Leben trachten. Wer weiß, ob nicht schon der Tod in einer andern Gestalt über deinem Haupte schwebt.«
Willenlos erhob sich der Emir, aber an der Zeltwand blieb er stehen, indem er die Hände vor das Gesicht hob und den Namen seiner Tochter Zemire aussprach. Bei diesem Worte blitzte das Auge des Arabers mit einem ungewöhnlichen Feuer und er wandte sich rasch nach der Seite, wo der Eingang in ihr Zelt war. »O eile,« sagte er zum Emir, »eile, deine Tochter zu holen, wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Rasch ging der Emir in das anstoßende Zelt und kehrte nach wenig Augenblicken mit dem Mädchen zurück, das überrascht, zu so später Stunde aus dem süßen Schlaf geweckt zu werden, kaum ihren Augen traute, als sie jenen jungen Araber erblickte, dessen Gestalt so schön war und dessen Auge so feurig blitzte. Noch größer war aber ihre Ueberraschung. als ihr der Vater verkündigte, daß sie augenblicklich entfliehen müßten. Doch brauchte er keine lange Ueberredung bei ihr anzuwenden, und als der junge Mann ehrerbietig ihren Schleier faßte, und einen feurigen Kuß darauf drückte, wobei sich ihre Augen begegneten, faßte sie den Arm ihres Vaters und alle drei verließen eilig und schweigend das Zelt.
Langsam schritten sie durch die Wachen, bis zu dem Platz, wo die Beduinen gelagert waren, die heut Abend angekommen, und hier nahm der Araber eine kleine silberne Pfeife aus seinem Gürtel mit der er einen einzelnen seltsam klingenden Ton angab, worauf die Beduinen, die in tiefem Schlaf zu liegen schienen, plötzlich in die größte Bewegung geriethen. Leise erhoben sich alle und man vernahm kaum das Klirren ihrer Waffen, als jeder zu seinem Pferde trat. Im gleichen Augenblicke erschienen einige von ihnen, die mehrere Pferde an der Hand führten, auf die sich der Emir. Zemire und der junge Araber schwangen. Zugleich erhoben sich alle Beduinen in ihre Sättel und es sah aus, als hebe sich eine gewaltige weiße Wolke von der Erde empor. Nun setzte sich der Zug in Bewegung, erst langsam und leise, dann mit größerer Schnelligkeit und als sie das Lager der Pilgerkarawane eine Strecke hinter sich hatten, griffen die Pferde lustig aus und flogen dahin, wie vom Sturmwind gejagt.
Der junge Araber ritt beständig neben Zemire und sagte ihr hie und da bei dem scharfen Ritt ein freundliches Wort oder er führte zuweilen ihr Pferd und leistete ihr alle kleinen, nur möglichen Dienste, die das junge Mädchen gerne anzunehmen schien. So ritten sie die ganze Nacht fort und als der erste Strahl des Tages im Osten aufzudämmern begann, sahen sie vor sich in der Ferne eine Menge Zelte erscheinen und Waffen blitzten auf der ganzen Ebene empor. Bald hatten sie jenes Lager erreicht und ritten durch die Zeltgassen durch und der Emir sah, daß sie sich bei einem mächtigen Araberstamme befanden. Die Beduinen, die neben ihren Pferden auf der Erde lagen, erhoben sich beim Herannahen des Zuges und alle legten ihre Hand ehrerbietig an Brust und Stirn beim Anblick des jungen Arabers und des Emirs.
So gelangten sie zu einem großen prachtvollen Zelte, wo der junge Mann vom Pferde sprang, um den Emir, sowie dessen Tochter ehrerbietig in das Innere desselben zu geleiten. Hier wurden sie von einigen Sklaven empfangen und einer derselben reichte dem jungen Mann knieend einen Ferman dar, den dieser hastig öffnete und aufmerksam las.
Bei jeder Zeile, die er durchflog, nahm sein Gesicht einen freudigeren Ausdruck an, und als er zu Ende war, überreichte er das Pergament mit dem Ausruf: »der Prophet sei gelobt!« dem Emir, der es in die Hand nahm und mit dem größten Erstaunen die Worte las:
»Mein Sohn Abdallah!
Die Gnade Gottes und des Propheten hat mich beschützt und mir geholfen, und dein Vater, der Kalif, schreibt dir diese Worte vom Throne seiner Väter, den er rechtmäßig in Besitz genommen. Wenn ich auch mit den Waffen in der Hand bis an die Kalifenstadt Kairo drang, um das Unrecht und die Schmach zu vergelten, die mein Bruder an mir und meinen unglücklichen Brüdern gethan, so hat doch die Gnade des Propheten es nicht zugelassen, daß ich die Hand gegen meinen Bruder erhob.
Der Kalif Abdallah, der in Gott ruhen möge, lebt nicht mehr, und da er ohne Nachkommenschaft zurück zu lassen zu den Freuden des Paradieses einging, so nahm ich von dem erledigten Throne Besitz und ich kann mit Stolz sagen, daß mich das ganze Volk mit Jubel und Freude empfing. Kehre eilig zu mir zurück und der Prophet möge dich beschützen. So geschrieben in meinem Palaste zu Kairo.
Dein Vater der Kalif Almansor.«
Nachdem der Emir el Hadsch diese Zeilen gelesen, konnte er vor Verwunderung kein Wort hervorbringen und beugte sich tief und ehrerbietig zur Erde nieder. Doch leuchtete Freude und Glück aus seinen Augen. Nicht so erging es der armen Zemire, und sie hatte kaum erfahren, daß ihr junger unbekannter Beschützer durch die Gnade des Propheten ein mächtiger Prinz geworden, als ihr Herz von einer Betrübniß und einem Kummer erfüllt war, deren Ursache sie sich nicht erklären konnte.
Prinz Abdallah ließ dem Emir el Hadsch und seiner Tochter die prächtigsten Zelte einräumen, worauf er sich von ihnen beurlaubte und mit einer großen Anzahl Reiter nach der Pilgerkarawane zurückkehrte, wo er Alles in der größten Unruhe und Aufregung antraf.
Schon hatte sich dort durch einige Reiter, die in der Nacht von Kairo angekommen waren, die Nachricht von der Thronbesteigung des neuen Kalifen Almansors verbreitet, und der größte Theil der Karawane war über diese Nachricht in Freude und Entzücken ausgebrochen. Hiezu kam aber plötzlich die Schreckenskunde, daß der Emir el Hadsch in der Nacht verschwunden sei, daß man seinen Leibneger Hassan ermordet gefunden habe und wie ein Blitz durchlief ein Gerücht das Lager, daß das Oberhaupt der Derwische auf Befehl des verstorbenen Kalifen den Emir el Hadsch gefangen genommen habe.
Das Volk, das den Emir wegen seiner Großmuth und sonstiger guten Eigenschaften sehr liebte, gerieth darüber in Aufruhr und versammelte sich schaarenweise vor den Zelten der Derwische, indem es mit wüthenden Worten und schrecklichen Drohungen die Herausgabe des Emirs verlangte. Umsonst betheuerte der Imam, er wisse nichts von ihm und bot dem empörten Volke an, man solle seine Zelte durchsuchen. Vergebens, denn auch schon unter den Sklaven des Imams hatte sich ein Verräther gefunden, der ausgesagt, daß man gestern den Tod des Emirs beschlossen und daß Hassan, der Neger, abgeschickt worden sei, um seinen Herrn zu vergiften.
Diese Kunde brachte das Volk in vollkommene Empörung. Man riß das Zelt des Imams und aller der Derwische, welche bei jener Verhandlung zugegen gewesen waren, in Stücke, und wenn sich nicht einige angesehene Männer auf's Eifrigste und Nachdrücklichste für die Derwische selbst verwendet hätten, so würde es ihnen ebenso ergangen sein.
Doch so sehr sich auch Prinz Abdallah bemühte, das Volk zu beruhigen, indem er versicherte, daß dem Emir kein Leides geschehen sei, so konnte er doch nicht verhindern, daß aus einem der dichten Haufen, welche die Zelte der Derwische umstanden, ein Pistolenschuß auf das Oberhaupt derselben geschah, der den Imam todt zu den Füßen des Prinzen niederstreckte.
Wie es denn nun gewöhnlich bei solchen Sachen geht, daß oft mit dem Tod eines einzigen Menschen seine ganze Partei auseinanderfällt, so auch hier. Kaum war der Imam todt, der den Versuch gemacht hatte, das Volk gegen den Emir el Hadsch aufzuwiegeln, so wandte sich die kleine Partei, die noch als eifrige Anhänger an den Kalifen da war, auch zu dem neuen Herrn und das Lager erdröhnte von dem Rufe:»Heil unserm neuen Kalifen, Heil dem Kalifen Almansor!«
Prinz Abdallah versammelte die mächtigsten und weisesten Männer der Karawane um sich und ließ aus ihrer Mitte einen Mann wählen, den er mit der Würde eines Emir el Hadsch bekleidete, und der die Pilger vollends nach Mekka führen sollte; denn er kannte wohl den Widerwillen, mit welchem der Oberschatzmeister Mustapha jenen Posten angenommen hatte, und er wollte ihn, und besonders seine Tochter Zemire, nicht neuen Widerwärtigkeiten oder gar neuen Gefahren aussetzen.
Als die Karawane darauf am andern Morgen wieder gen Mekka aufbrach, blieben viele Reiter zurück, die sich dem Prinzen Abdallah anschlossen und mit ihm gen Kairo heimkehren wollten. Kaum graute der Morgen, so brachen beide Schaaren auf, die Karawane zog gen Osten und Prinz Abdallah mit seinen Reitern gen Westen, dem Lager seines Stammes zu, das er auch mit sinkender Nacht erreichte. Er theilte dem Emir el Hadsch mit, was er auf Befehl seines Vater«, des Kalifen, bei der Karawane angeordnet, worauf sich der Oberschatzmeister lächelnd den langen grauen Bart strich, und ihm entgegnete: »der Prophet hat dich mit seiner vollen Weisheit erleuchtet, o Herr, und du hast das Beste erwählt. Sieh, ich bin ein alter Mann, und möchte dereinst gerne an den Ufern des Nils begraben werden, das heißt,« setzte er lachend hinzu, »nachdem ich noch einige Jahre unter der weisen Regierung des Kalifen, deines Vaters, mich meines Lebens gefreut habe. Auch Zemire wird lieber gen Kairo zurückkehren, als aufs Neue eine weitere Reise durch die Wüste antreten.«
Zemire antwortete hierauf nichts, sah aber den jungen Mann mit einem vielsagenden Blicke an, den dieser dadurch erwiederte, daß er die Hand auf sein Herz legte und ihr leise zunickte.
Am andern Morgen brach der ganze Stamm gen Kairo auf, und in seiner Mitte ritt Mustapha, der Prinz Abdallah und Zemire. Da man jetzt größere Märsche machte, als es die Karawane gethan, so erreichte man nach einigen Tagen Kairo, wo sich schon das Gerücht von der Ankunft des Prinzen Abdallah verbreitet hatte. Die Straßen waren mit zierlich geputzten und geschmückten Menschen angefüllt und es herrschte in der alten Kalifenstadt fast ein größeres Leben, als damals, wo die Pilgerkarawane ausgezogen. Das Volk Kairos feierte nämlich große Feste zur Feier der Thronbesteigung ihres neuen Kalifen Almansors, dessen Güte und Großmuth bei allen älteren Leuten noch in frischem Andenken stand und den deßhalb Alt und Jung auf das Herzlichste liebte.
Daher war auch alles Volk nicht wenig begierig, seinen Sohn, den Prinzen Abdallah zu sehen, und eine große Menge Reiter kam ihm schon weit vor der Stadt entgegen, denen sich eine unzählige Menge Volks anschloß, welche die Ankommenden im Triumph zu dem Thor begleitete. Auf den Straßen stand das Volk in dichten Haufen und rief dem Prinzen Abdallah, sowie dem Oberschatzmeister Mustapha ihre freudigen Grüße entgegen.
»Der Prophet sei gelobt!« riefen die Männer, »und Gott sei gepriesen, daß er dem Kalifen einen Sohn geschenkt, der durch seine Klugheit und Umsicht einen so würdigen und tapferen Mann rettete, wie Mustapha, der Oberschatzmeister ist.«
»Gelobt sei der Prophet!« schrieen die Weiber an den Fenstern, indem sie ihre langen Schleier herabflattern ließen, »gelobt sei der Prophet, daß er den Prinzen Abdallah glücklich heimbegleitete. Seht was für ein schöner Mann es ist und wie stattlich er zu Pferde sitzt!«
So gerührt auch die Ankommenden bei dieser Freude des Volks waren, so hielten sie sich doch nicht länger in den Straßen auf, als eben nöthig war, um durch die dichte Volksmenge zu dringen, und begaben sich gleich nach dem Palaste, des Oberschatzmeisters, wo sie alsbald neue Pferde bestiegen, um sich zur Burg des Kalifen zu begeben, der sie erwartete. Abdallah bestand darauf, daß auch Zemire bei der Begrüßung seines Vaters nicht fehlen dürfe, weßhalb alle Drei nach dem Serail ritten, in dessen Thor ihnen zahlreiche Sklaven entgegen kamen, die sie nach den Gärten führten, wo sich der Kalif gerade aufhielt.
Dem Oberschatzmeister Mustapha klopfte gewaltig das Herz, als er jetzt wieder unter diesen Gängen wandelte, die er vor kurzer Zeit unter so traurigen Verhältnissen verlassen, und es war eben so sehr der Gedanke an die Art, wie ihn der verstorbene Kalif entlassen, als seine Erwartung, wie ihn der neue Kalif empfangen, was ihm die Brust bewegte. Prinz Abdallah richtete seine Schritte nach derselben Laube hin, wo Mustapha damals die letzte Audienz gehabt, und mit gesenkten Augen trat der Oberschatzmeister, sowie Zemire, vor ihren neuen Herrn. Doch wer beschreibt sein Erstaunen, als ihn eine bekannte Stimme anredete, und er aufblickend in dem Kalifen Almansor den Schech Harun erkannte, der ihm in der Wüste angeblich von seinem Bruder die Grüße des Friedens überbrachte.
Man kann sich leicht denken, daß Mustapha mit aller Herzlichkeit empfangen wurde, und es versteht sich von selbst, daß ihm die Aemter, die er unter dem früheren Kalifen besessen, alle wieder ertheilt wurden. Er dankte dem Kalifen gerührt für seine Gnade und wußte sich vor Freude über den glücklichen Ausgang seines Pilgerzugs kaum zu fassen. Doch wer beschreibt sein Entzücken und seinen Stolz, als Prinz Abdallah jetzt die Hand Zemirens ergriff und den alten Mann bat, sie seinem Vater, dem Kalifen, als seine geliebte Braut vorstellen zu dürfen.
Alle priesen Gott und lobten den Propheten und kurze Zeit darauf wurde die Vermählung des glücklichen Paars mit unerhörter Pracht gefeiert.
Als nach einigen Monaten die Karawane glücklich aus Mekka zurückgekehrt, hatte der Oberschatzmeister Mustapha, der sich lebhaft der Märchen erinnerte, die ihm in der Wüste jener alte Mann am Feuer erzählt, nichts Eiligeres zu thun, als ihn aufsuchen zu lassen. Glücklicherweise war er auch nicht den Mühseligkeiten der Reise erlegen, und erhielt zu seinem nicht geringen Schrecken einen Befehl, vor dem Oberschatzmeister des Kalifen zu erscheinen. Doch wie groß war seine Freude, und wie erstaunte er, als er in Mustapha jenen fremden Mann wieder erkannte, den er für einen Kameeltreiber gehalten und dem er seine Märchen erzählt.
Mustapha behielt ihn bei sich und noch lange Jahre versammelten sich Prinz Abdallah und Zemire bei ihrem Vater in der schönen Halle am Nil, wo ihnen der alte Mann noch manch schönes Märchen erzählte, von denen ich vielleicht später noch einiges meinen Lesern mittheilen werde.