Friedrich Wilhelm Hackländer
Märchen
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Von der Prinzessin Morgana.

Vor langen, langen Jahren herrschte über Bagdad der Kalif Harun al Radschid, einer der mächtigsten, reichsten und dabei weisesten Fürsten, die je auf dem Throne saßen. Dafür war er aber geliebt und geehrt sowohl von den Großen seines Reichs, als auch von den Geringsten seiner Unterthanen. Und obendrein schenkte ihm der Prophet auch noch die Gnade, beständig weise und gerechte Männer zu seinen Dienern zu haben: so sein Großvezier Abdallah, in dessen Hände der Kalif die ganze Verwaltung seines Reichs hätte legen können, denn es war nicht leicht ein Mann zu finden, wie dieser; ein gerechter, unbestechlicher Richter und dabei ein sparsamer Mann, der die Schätze seines Herrn beständig, aber stets auf rechtliche Art zu vermehren suchte. Dafür aber liebte ihn der Kalif auch wie einen Bruder und mochte keine Stunde ohne seinen Großvezier Abdallah sein. Sie arbeiteten beständig zusammen, oder sie spielten Schach, worin Beide große Meister waren; selbst wenn der Kalif auf die Jagd ritt, mußte ihn der Vezier begleiten.

Nun aber hatte der Kalif in seiner Weisheit die Gewohnheit angenommen, verkleidet durch die Gassen und Bazare Bagdads zu wandeln, um auf diese Art mancherlei Sachen erfahren zu können, die man ihm sonst wohl verschwiegen hätte. Bei diesen Spaziergängen hörte er alsdann auf die Klagen seiner Unterthanen und forschte denselben genau nach, um, im Falle sie nicht ohne Grund waren, denselben abzuhelfen, wo es möglich sei. Auch wohnte er unerkannt den Gerichtssitzungen bei und gab Acht, ob die Richter auch ohne Ansehen der Person Recht sprächen. Hauptsächlich aber war es in der Stille der Nacht, wo er von seinem Großvezier Abdallah begleitet, durch die Straßen ging, und bei diesen Spaziergängen nicht selten Räubereien oder sonstigen Unfug verhinderte; denn in solchen Stunden betrat er die entferntesten und ärmlichsten Stadtviertel, theils aus der oben angeführten Ursache, theils um arme Leute in ihren erbärmlichen Hütten aufzusuchen, und sie mit Geld oder irgend einem guten Rath zu unterstützen.

So wandelte er eines Abends in der gleichen Absicht mit dem Großvezier aus seinem Palaste und ging an den Ufern des Tigris dahin, sich der schönen Nacht freuend. Der Kalif war lustig und guter Dinge und sprach mit seinem Begleiter über die verschiedenartigen Schicksale der Menschen, wie es dem einen schlecht und dem andern gut gehe, und welche Hoffnungen und Wünsche täglich ein jedes Herz habe, von denen doch so wenig in Erfüllung gingen.

»Ja,« entgegnete Abdallah, der Vezier, »wenn man jetzt einmal in einem großen Spiegel die verschiedenartigen Wünsche und Gedanken der Tausende von Menschen lesen könnte, die sich unruhig aus ihrem Lager herumwerfen und häufig alle ihre Pläne vereitelt sehen!«

Unter ähnlichen Gedanken und Gesprächen kamen die beiden Männer an eines der ärmsten Stadtviertel und traten in eine kleine winkliche Gasse, die sich vielmals hin und her wandte und deren Lauf der Kalif und der Vezier verfolgten, wodurch sie sich bald in einer ihnen gänzlich fremden Gegend der Stadt sahen. Plötzlich blieb der Kalif stehen, denn er hatte aus einem Seitengäßchen das klägliche Geschrei eines Menschen, der vielleicht geprügelt oder auf irgend eine andere Art mißhandelt wurde. Auch der Vezier hörte dies Geschrei, und wenn daran im Allgemeinen nichts Besonderes war, so klangen doch diese Klagelaute so sonderbar und wurden so unaufhörlich fortgesetzt, daß sich die Beiden bewogen fanden, den Tönen nachzugehen. Sie traten zu dem Zweck in ein sehr enges und schmutziges Gäßchen, das sie zu einem alten halbverfallenen Thorbogen führte, durch welchen sie auf einen kleinen Platz gelangten, der aber recht unheimlich und traurig aussah. Die Häuser, die denselben umgaben, waren größtentheils zerfallen und hatten weder Thüren noch Fenster. In die meisten konnte man deßhalb von außen hinein sehen und erblickte in den Zimmern und auf den Gängen, wo früher Menschen gehaust, das Gras fußhoch empor wuchern. Auch waren die Dächer der meisten Gebäude eingefallen und große Bäume, als Platanen, Sykomoren oder Palmen blickten oben über die kahlen Mauern und gaben ein trauriges Zeugniß, daß diese Häuser seit einem Menschenalter nicht mehr bewohnt gewesen seien.

Es war nur ein einziges Haus auf dem ganzen Platze, welches durch einen schwachen Lichtschimmer, der durch einen zerbrochenen Fensterladen drang, verrieth, daß sich Jemand darin aufhalte. Aber zugleich mit dem freundlichen Strahl des Lichtes drangen aus dem Innern desselben jene Schmerzenstöne, die den Kalifen mit seinem Begleiter herbeigelockt. Wenn dies Gebäude auch freilich ein zerfallenes Ansehen, wie alle übrigen auf dem Platze, hatte, so mußte es doch einst viel besser als seine Nachbarn ausgesehen haben; denn es war von Steinen aufgeführt und über der Hausthüre befand sich ein Spruch des Korans ausgehauen, eine Verzierung, die nur bemittelte Leute an ihren Häusern anbringen lassen. Allein auch hier hat der Zahn der Zeit die Mauern geschwärzt und sogar theilweise zerrissen. Der Stein, der die Schriftzüge gebildet hatte, war verwittert und diese dadurch unleserlich geworden, und ebenso hielten die Thüre, sowie die Fensterladen kaum noch zusammen.

Von Zeit zu Zeit hörte man aus dem Innern des Hauses das Klagegeschrei ertönen, und die Beiden näherten sich jetzt, um etwas von den Worten, die es begleiteten, zu vernehmen.

»Ach!« rief eine Stimme von innen; »gib mir doch zu essen und zu trinken; mich hungert und dürstet auf die schrecklichste Art. Bin ich denn nicht schon zu einem Gerippe zusammen geschwunden; ich kann doch schon vier Tage und vier Nächte ohne Speise und Trank zubringen, ohne daran zu sterben! – Oh! – Oh! – Habe es überdies schon so weit gebracht, daß ich täglich meine hundert Stockprügel aushalten kann. Gib mir deßhalb nur wenigstens zu trinken.«

Die Stimme, die diese seltsamen Worte mühsam hervorbrachte, schien einem jungen Manne anzugehören, allein sie klang so matt und schwach, daß man wohl glauben konnte, die Mißhandlungen, von denen er sprach, seien wirklich geschehen und haben ihn so weit herunter gebracht. Jetzt antwortete eine andere Stimme, die aus dem Mund eines ältern Mannes zu kommen schien und nicht so erbärmlich klang, wie die erstere: »Ach, Herr, wenn du doch einmal Vernunft annehmen und wieder leben wolltest, wie andere Menschenkinder. Was nützen dir denn die Qualen, die du dir selbst auferlegst! Bei dem Barte des Propheten, es thut mir weh, dir dies sagen zu müssen, aber es ist die Pflicht eines alten Dieners, wie ich bin, und wiederhole dir deßhalb zum tausendsten Male, daß deine Handlungsweise an Wahnsinn grenzt und daß, wenn du nicht aufhörst, dich so unnöthig zu quälen, du später gewiß deine Tage im Irrenhaus beschließen wirst. Hier ist eine gute Speise und hier ein Krug mit Sorbeth. Iß und trink und kehre wieder zurück unter die Menschen; was können dir deine Phantasien auch nützen!«

»Ha, ha,« lachte darauf der Erste wieder mit seiner heiseren kraftlosen Stimme und knirschte die Zähne zusammen, daß man es draußen hören konnte. »So machst du es mir beständig, ungetreuer Diener. Geh in die Hölle mit deiner Speise und deinem Trank. Ich will hungern, ja, das will ich und ich will auch geschlagen sein, so lang es mir gefällt.«

»Nun, meinetwegen,« entgegnete der Andere, »wenn Ihr denn einmal auf elende Art verhungern wollt, so mögt Ihr in Gottes Namen Speise und Trank von Euch stoßen. Der Prophet weiß, daß ich keine Schuld daran trage. Aber das versichere ich Euch, was mich anbelangt, ich hebe keinen Stock mehr auf, um Euch zu schlagen.«

»Oh, oh,« jammerte der Andere, »du ungetreuer, unredlicher Knecht! Hast du meinem Vater nicht auf seinem Sterbebett mit einem Handschlag beschworen, dich meiner anzunehmen und mich nicht zu verlassen und weißt du denn nicht sehr gut, für wen ich all' die Leiden ertrage? Jetzt willst du, daß ich Alles das umsonst gethan habe. Oh, oh, du bist ein Ungläubiger, der seines gegebenen Wortes vergißt. Ich will geschlagen sein und ich will hungern. Da, nimm den Stock, ich will die Prügel geduldig aushalten.«

Der Kalif und der Vezier vor der Thüre wußten nicht, was sie von diesem sonderbaren Zwiegespräch denken sollten; einer sah den andern voll Verwunderung an, und Abdallah griff an seinen Turban und zwickte sich in die Nase, denn es kam ihm vor, als träume er diese seltsame Geschichte. Der Kalif faßte seinen Begleiter jetzt bei der Hand, und deutete ihm, ruhig zu sein, denn drinnen wurde die Stimme des alten Mannes wieder laut, der in weinerlichem Tone sagte: »O Gott! o Gott! wenn ich doch auch damals mit deinem Vater gestorben wäre! Doch der Prophet kann in mein Herz sehen, daß ich an all' dem Wahnsinn keine Schuld trage.«

Darauf war es eine kurze Zeit lang ruhig, allein bald wurde das Schmerzgeschrei wieder hörbar, begleitet von einem Ton, wie wenn man einen Menschen mit einem Stock schlüge. Dazwischen vernahmen sie zuweilen die Worte: »O weh, o weh! das schöne Bild! das schöne Bild! O die glänzenden Augen! und das rabenschwarze Haar! Der Prophet möge mir gnädig sein und mir helfen!«

Weiter mochte der Kalif diesen unnatürlichen Auftritt nicht mit anhören. Er befahl leise seinem Vezier, sich genau das Haus zu merken und Beide verließen alsdann den unheimlichen Platz, noch eine gute Strecke von dem Klagegeschrei jenes Unglücklichen begleitet.

Am andern Morgen nahm der Großvezier ein paar vertraute Diener mit sich, um sich auf Befehl des Kalifen in das Stadtviertel zu begeben und daselbst das Haus aufzusuchen, an dem der Kalif mit seinem Begleiter in der vergangenen Nacht gehorcht hatten. Sie hatten dasselbe auch bald gefunden und lauschten eine Zeit lang, ob sich nicht wieder das Klagegeschrei wie gestern hören ließe. Doch alles war still und ruhig. Sie klopften an die Pforte, einmal, zweimal, ohne daß sich von innen das Geringste vernehmen ließ. Dann machten sie ein Geräusch an dem geschlossenen Fensterladen und mußten auch hier mehrmal vergeblich pochen, bis sie endlich in dem Zimmer eine Bewegung hörten. Jetzt wurde eine Thüre aufgemacht und ein paar Fußtritte näherten sich der Hauspforte, worauf der Großvezier die Stimme des alten Mannes vernahm, der durch eine Spalte fragte, wer da sei und was man wolle.

»Im Namen des Kalifen aufgemacht!« rief Abdallah von draußen und setzte hinzu, als der Alte drinnen zu zögern schien, »nur gleich aufgemacht, oder ich befolge den Befehl des Kalifen Harun al Radschid und erbreche die Thüre und lasse Euch obendrein wegen Eurem Ungehorsam strenge bestrafen.«

Jetzt wurde der Eingang langsam geöffnet und die Gestalt eines alten Mannes in sehr ärmlicher Kleidung sichtbar, der die Hand an Brust und Stirn legte und mit demüthiger Stimme fragte: »Was befiehlt mein Herr, der Kalif?«

Abdallah trat mit seinen beiden Begleitern in das Haus und wandte sich nach dem Zimmer, aus dem er gestern Abend das sonderbare Gespräch vernommen. Der alte Mann wollte ihm anfänglich zwar den Weg versperren, doch als er die bewaffneten Diener sah, stieß er einen tiefen Seufzer aus und öffnete die Thüre des Gemachs.

Obgleich sich dies in einem sehr ärmlichen Zustande befand, so zeigten doch die Ueberbleibsel der ehemaligen Einrichtung, daß ein wohlhabender Mann hier gewohnt habe. Die Wände waren mit zerbrochenen Schränken von vergoldetem Holz verziert und die Decke mit einem alten persischen Shawl bekleidet, wie man es oft in orientalischen Häusern findet. Die Laden des Zimmers waren verschlossen, weßhalb, man kaum, sehen konnte, daß sich in der Ecke desselben ein Divan befand, ans dem die Gestalt eines Mannes ausgestreckt war. Zufällig warf die Sonne draußen durch ein Loch des Fensterladens einen Lichtstrahl in das Gemach, wodurch dem Großvezier möglich wurde, das Antlitz jenes jungen Mannes genau zu sehen. Wenn man in dies bleiche, eingefallene Gesicht sah, so konnte man keinen Augenblick daran zweifeln, daß er es war, der gestern Abend die Klagetöne ausgestoßen. Er mochte in einem Alter von ungefähr zwanzig Jahren sein und schien sich nicht um die Eingetretenen zu bekümmern. Sein Auge war geschlossen, seine Lippen, die ein leichter schwarzer Bart beschattete, zusammen gepreßt, und abgesehen von der entsetzlichen Magerkeit und Blässe, war der Kopf, den ein dichtes schwarzes Haar bedeckte, von außerordentlicher Schönheit. Seine Kleidung, die zerrissen war, zeigte deutlich, daß sich der junge Mann einst in bessern Umständen befunden. In einer andern Ecke des Zimmers lag ein Haufen großer Bücher, nebst zerbrochenen gläsernen Flaschen und seltsamen Instrumenten, wie sie die Magier oder Zauberer früher zu gebrauchen pflegten.

Nachdem der Großvezier das Innere dieses Gemachs flüchtig übersehen, fragte er den alten Mann, der demüthig an der Thüre stehen geblieben war, wer dieser Jüngling sei, worauf der Alte mit einem ängstlichen Zeichen um Stillschweigen bat und dem Großvezier winkte, das Zimmer mit ihm zu verlassen.

Draußen flehte er ihn auf das Inständigste an, nicht in seine Geheimnisse zu dringen, worauf aber Abdallah erklärte, daß er vom Kalifen den Befehl habe, ihn vor das Antlitz des Herrschers zu führen, damit er ihm Auskunft gebe über das, was gestern Nacht hier vorgefallen sei.

Als der alte Mann den Namen des Kalifen hörte und den Befehl, vor diesen geführt zu werden, vernommen hatte, stürzte er auf seine Knie nieder und schwor bei Gott und dem Propheten, daß er an Allem unschuldig sei und daß er in der That lieber bestraft werden wolle, als noch länger in diesem Hause wohnen. »Doch,« setzte er hinzu, »ich darf meinen jungen Herrn nicht verlassen, und wenn du mich, der ich doch ganz unschuldig bin, in's Gefängniß wirfst, so mußt du dich seiner annehmen, o Herr!«

Der Großvezier versicherte ihm dagegen, es sei von einer Bestrafung nicht die Rede: wenn er nur dem Kalifen die reine Wahrheit sage, so werde dieser in seiner Weisheit über ihn und seinen Herrn das Beste beschließen. Nach diesen Versprechungen trat der Alte noch einmal in das Gemach zu dem jungen Mann und wechselte einige Worte mit ihm, worauf er zurückkehrte und dem Großvezier folgte, nachdem dieser einen seiner Diener zur Bewachung des Hauses zurückgelassen.

Als sie den großherrlichen Palast erreicht hatten, ließ sie der Kalif augenblicklich vor sein Angesicht, um aus dem Mund des alten Mannes eine Auskunft über das sonderbare Gespräch zu vernehmen, welches Harun al Radschid und sein Vezier gestern Nacht gehört. Der alte Mann beugte sich tief vor dem Kalifen zur Erde und sprach: »Beherrscher der Gläubigen, da ich wohl weiß, daß zu deinem erlauchten Ohr nur die reine Wahrheit dringen darf, so werde ich dir ohne alle Umschweife und mit der größten Treue die Geschichte meines jungen Herrn erzählen, der sich in so traurigen Umständen befindet, wie wohl nie vor ihm ein Rechtgläubiger. Wisse denn, o Herr, in jenem Hause, vor dessen zerbrochene Thüre dich der Prophet wahrscheinlich zu unserem Heile führte, wohnte noch vor ein paar Jahren Abu el Deri, ein weiser und gelehrter Mann, von dem deine Hoheit gewiß schon gehört. Dieser konnte die alten geheimnißvollen Bücher der Magier und Zauberer lesen und verstand es, aus den Sternen Vergangenes und Zukünftiges zu enträthseln. Ich war sein Diener, o Herr, und begleitete ihn auf allen seinen Reisen, die er in früheren Jahren nach allen Theilen der bekannten Welt machte. Wie oft durchzogen wir die Wüste kreuz und quer, und es mag nicht leicht eine der größeren Oasen geben, die wir nicht besucht. Auch die Meere sahen wir, die unsern Sand von allen Seiten bespülen; indessen machte mein Herr diese großen Reisen keineswegs, um aus dem Kauf und Verkauf kostbarer Waaren Nutzen zu ziehen, sondern in allen größern und kleinern Städten, die wir besuchten, traf er mit weisen und gelehrten Männern zusammen, mit denen er sich eifrig über Sternkunde besprach und sie belehrte, oder von ihnen zu lernen suchte. Ach, Herr, es war eine Lust, mit Abu el Deri Tage und Wochen lang durch die einsame Wüste zu ziehen. Nie in meinem Leben habe ich Jemand gefunden, der so schöne und anmuthige Erzählungen gewußt hätte, wie er. Tage lang konnte er so fortsprechen und wir Alle hörten ihm mit Vergnügen zu. Wenn er aber auf seinen Reisen noch so redselig und unterhaltend war, so gab es doch Augenblicke, wo er sehr in sich gekehrt und stille wurde, und das waren die Stunden, in welchen sich in der Wüste fern am Horizonte die Fata Morgana sehen ließ. Alsdann wurde er nachdenkend und konnte oft Stunden lang die fabelhaften Bäume, die zierlichen Häuser und das glänzende Wasser anstarren, welche das Wüstengespenst vor das Auge des Wanderers zaubert. Schon öfters hatte ich's versucht, ihn in solchen Augenblicken anzureden, aber er bedeutete mir beständig mit der Hand, ich solle schweigen, und nahm dann gewöhnlich eins seiner geheimnißvollen Bücher vor sich auf's Kameel, worin er eifrig las und in welchem gar sonderbare Zeichen standen, die er mit den Figuren der Fata Morgana zu vergleichen schien.

Einst nach einem solchen Tage lagen wir Abends unter dem Zelte und Abu el Deri war freundlicher als je, weßhalb ich mir, von innerer Neugier getrieben, die Freiheit nahm und ihn fragte, weßhalb er denn dem Wüstengespenst beständig so eifrig und unverwandt zuschaue und sich an einem Anblick zu erfreuen scheine, der doch jedem andern Muselmann abschreckend und unheimlich sei. Da lachte mein Herr und sprach zu mir: höre, Ismael, so ist nämlich mein Name, o Herr, du bist mir lange ein treuer Diener gewesen, weßhalb ich dir deine Neugierde verzeihen will, ja sogar noch mehr, ich will dir, soweit es für deine Verstandeskräfte faßlich ist, mittheilen, was schon viele weise und gelehrte Männer vor mir über das Wüstengespenst gedacht und was ich ebenfalls davon halte. Schon öfter hast du selber gesehen, besonders an heißen Tagen, wenn die weite, weite Wüste vor uns ausgebreitet liegt, daß es plötzlich war, als beginne der Sand am Horizont langsam in die Höhe zu steigen, es scheinen sich da Hügel zu erheben, über deren Gipfel gelbe schwere Wolken langsam hin und her ziehen. Es wogt und brandet, wie ein fernes Meer und dazwischen bricht zuweilen ein Lichtstrahl hervor, wie wenn die Sonne durch schwarze dichte Wolken einen seinen Strahl auf das Wasser wirft. Immer stärker wird die Bewegung auf den Hügeln und die gelben Wolken, die erst dicht zusammen geballt scheinen, wickeln sich wie lange dünne Schleier ab, flattern gegen den Himmel und steigen langsam aufwärts, so daß sie sich wie ein Vorhang von der Erde emporheben, und dein geblendetes entzücktes Auge dort, wo du eben nichts als gelbe Sandhügel sahst, in eine schöne reiche Landschaft blicken lassen. Um dich brennt der heiße Sand, die Sonne wirft glühende Strahlen hinab. Schweigend ziehen Menschen und Pferde in der Hitze dahin und um desto mehr ergreift dich der Anblick der Fata Morgana, mit schattigen Palmenwäldern, rauschenden kühlen Wassern, mit strahlenden luftigen Landhäusern. Bei diesem Anblick zieht der Reisende den Burnus über den Kopf und ruft den Propheten an, indem er sich von dem Anblick wegwendet, denn nicht dorthin, wo jene Palmen rauschen, führt ihn sein Weg, dort ist für ihn nichts als Sand und unfehlbarer Tod.

Indessen trägt die Fata Morgana nicht die Schuld, sie will keinen Menschen verlocken und ist so unschuldig, wie eine Insel im fernen Meere, die der Schiffer nicht erreichen kann, weil ihm der leitende Compaß fehlt, und doch ist es dem muthigen Manne vorbehalten, jenes glückliche Eiland im Sand zu erreichen, das, blühender und fruchtbarer als selbst das Paradies, dem, der es erreicht, die schönste Belohnung gibt. Ja, Ismael, fuhr mein Herr fort, ich kenne dich zu gut, und weiß, daß ich deinen Sinn nicht verwirre, wenn ich dir sage, daß die Fata Morgana mehr ist, als eine bloße Erscheinung, wenn ich dir sage, daß dort die Prinzessin Morgana regiert, ein Weib, so schön und herrlich, wie kein zweites im Himmel und auf Erden. Ihr Antlitz hat zwar noch keine Menschenseele erblickt, obwohl meine Bücher, sowie die weisen und gelehrten Männer bezeugen, daß es einem mächtigen Zauberer gelungen ist, ein Bildniß von ihr zu entwerfen, das aber im Laufe der Zeit spurlos verschwunden, und um dir jetzt Alles zu sagen, der Zweck meines Studiums, sowie meiner Reisen ist, dies gefährliche Bild aufzufinden, – gefährlich, weil es das Menschenherz, das es anblickt, tödtlich erkranken läßt, vor Entzücken und Liebe.

So erzählte mir mein Herr, und du kannst dir denken, daß ich über seine Reden und Mitteilungen nicht wenig verwundert war und zuweilen bedenklich meinen Kopf schüttelte, weil mein Herr so viel Geld und Zeit verschwendete, um ein fabelhaftes Bild auszusuchen. Einige Zeit nach dieser Erzählung zogen wir mit einer Karawane nach Damaskus und Palmyra, auf welcher Reise wir unsägliches Ungemach zu erdulden hatten. Wir wurden vom Sandsturm überrascht, wobei ein großer Theil unserer Karawane umkam, und nur durch die Schnelligkeit unserer Pferde gelang es uns, dem allgemeinen Verderben zu entfliehen. Ach, Herr, es ist ein schrecklicher Anblick, eine Karawane, Menschen und Thiere in der tödtlichsten Angst vor dem Verderben, das hinter ihnen herrauscht, dahin fliehen zu sehen. Kameele und Pferde leisten das Unmögliche und rennen schaumbedeckt über den Sand, bis sie »mitten im Lauf todt dahin stürzen. In unserer Nähe bemerkten wir auf dieser wilden Flucht lange Zeit ein schönes Weib, das auf einem edlen arabischen Pferde dahin jagte; in ihren Schleier gewickelt, hielt sie ihr kleines Kind, das sie erst vor kurzer Zeit geboren, und in dem allgemeinen Lärmen und Sausen der Sandwolken, die uns verfolgten, hatte sie nur Augen für das kleine Wesen und bedeckte es mit ihrem Körper, wenn der Sturm eine Wolke den andern voraus und über uns herjagte. Auch meinen Herrn rührte der Anblick dieses Weibes und wir hielten uns so viel möglich in ihrer Nähe, um sie vielleicht im Falle der Noth retten zu können. Doch der Prophet hatte ihren Tod beschlossen. Ihr Pferd stürzte plötzlich todt dahin und unglücklicher Weise in einem Augenblick, wo uns der Sand dicht auf der Ferse war. Da hielt das Weib ihr Kind flehend empor und konnte nur noch meinem Herrn zurufen: »Rette es, rette es!«

Du kannst dir denken, daß wir trotz der Gefahr unsere Pferde anhielten, ich ergriff hastig das Kind und Abu el Deri wollte der Frau helfen. Doch sie warf ihren Schleier über den Kopf und zeigte in verzweiflungsvoller Angst auf den herannahenden Sandsturm, indem sie uns bei Gott und dem Propheten beschwor, zu entfliehen und nur das Kind zu retten. O Herr, es war ein schrecklicher Anblick. Dicht an unsern Fersen kam die Sandwolke heran, gleich einer feurigen Riesenmauer und bog sich über unsern Häuptern, wie die Wellen im stürmischen Meere, wenn sie, sich überstürzend, weit auf das Ufer hinaufschlagen. »Flieht, flieht,« schrie das Weib, und rettet mein Kind!« worauf unsere Pferde, denen die Gefahr ebenso bekannt, wie uns, ihre letzten Kräfte zusammen nahmen und in großen Sätzen davon jagten. Hinter uns stürzte die Sandwolke zusammen und bedeckte das verlorene Weib, ihr einen riesenhaften Grabhügel bildend.

Wir entkamen durch die Gnade des Propheten und Abu el Deri betrachtete das Kind – es war ein Knabe – das ihm der Prophet so unverhofft geschenkt hatte, als sein eigenes, und ließ es auf's Sorgfältigste erziehen. Trotz dem stellte er seine beständigen Reisen nicht ein, und je älter er wurde, je emsiger forschte er nach dem Bilde, von dem er mir gesprochen. So wurden wir Beide alt und die letzte Reise, die wir zusammen machten, war weit hinter Palmyra nach einer Oase, in der ein überaus weiser und gelehrter Mann wohnte. Ach, es war unsere letzte; denn nach jahrelangen Bemühungen hatte mein Herr doch gefunden, was er so lange gesucht: das Bild der Prinzessin Morgana. Doch was nützte es ihm jetzt, da er am Rande des Grabes stand und keine Kräfte, keine Jahre mehr zu verschwenden hatte, um wenigstens den Versuch zu machen, jenes glückselige Eiland zu erreichen, wofür er Zeit seines Lebens geschwärmt und wonach er sich beständig gesehnt hatte. Wir kehrten hieher nach Bagdad zurück und lebten eingezogen und ärmlich; denn das Vermögen meines Herrn war von seinen vielen Reisen so erschöpft, daß das Wenige, was er noch besaß, kaum bis zum Ende seiner Tage reichte. Endlich kam er zum Sterben und in seiner letzten Stunde stand ich, sowie sein angenommener Sohn, der unterdeß zu einem kräftigen Jüngling herangewachsen war, an seinem Lager. Mit schwacher Stimme gab er diesem zum letzten Mal gute Lehren und ermahnte ihn, wohlgefällig vor Gott und dem Propheten zu wandeln. Darauf händigte er ihm ein Amulet ein, das die unglückliche Mutter vor ihrem Tod in der Wüste um den Hals ihres Kindes gebunden hatte, ertheilte ihm seinen Segen und bat ihn alsdann, auf einige Augenblicke fortzugehen, indem er mir noch etwas Wichtiges mitzutheilen habe.

Ismael, sprach er, als wir allein waren, in einigen Augenblicken werde ich nicht mehr sein, und du wirst deinen Herrn verloren haben, sowie mein Sohn seinen Vater. Versprich mir, deine langjährigen Erfahrungen zu seinem Besten zu benützen und ihm so viel wie möglich zu helfen. Dies gelobte ich ihm mit einem Handschlage, worauf er mir das Versprechen abnahm, jenes Bild, das er mir einhändigte, weder selbst anzuschauen, noch es seinem Sohne zu zeigen; denn, setzte er hinzu, der Anblick desselben wird jedes Menschenherz mit Krankheit erfüllen und es langsam vergehen lassen vor Entzücken und Liebe. Darauf starb er.

Nun war ich allein mit dem jungen Manne, und was uns Abu el Deri hinterlassen, war nicht viel. Kisten und Kasten waren leer und Alles, womit wir unser Leben eine Zeitlang fristen konnten, waren einige alte Waffen, die mit Steinen und Gold reich geschmückt waren, und die ich denn auch alsbald zum Verkauf in die Bazars trug. Unser junger Pflegesohn, er hatte den Namen Saladin empfangen, war ein ungestümes, feuriges und rasches Blut. Abu el Deri hatte ihn bei weisen Meistern seiner Zeit unterrichten lassen und nebenbei, daß er in Schriften wohl bewandert war, verstand er bald die Lanze zu führen und das Roß zu tummeln. Doch, o Herr, du kannst dir leicht denken, daß nach dem Tode des alten Mannes dergleichen zeitraubende und kostspielige Beschäftigungen von selbst wegfielen. Was sollten wir auch anfangen? Das Pferd, das der junge Saladin besaß, mußten wir bald verkaufen; ebenso seine kostbaren Kleider, in denen er geglänzt hatte, wie ein junger Pascha. Oftmals, o Herr, machte ich den Versuch, dem jungen Herrn irgend eine Beschäftigung verschaffen zu können, in welcher er sein Brod auf eine für ihn würdige Art verdiene. Ich empfahl ihn dem Kommandeur der Leibwache, indem ich für den schönen, jungen und gewandten Mann um eine Anstellung bei den Reitern bat; aber da ich keine mächtigen Beschützer hatte, ja nicht einmal das nöthige Pferd und das Rüstzeug anschaffen konnte, so wurde ich überall abgewiesen. Ach, Herr, das war eine traurige Zeit. Ich suchte jetzt den jungen Saladin zu bewegen, eine Beschäftigung minderen Ranges zu ergreifen und brachte ihn endlich so weit, daß er mir versprach, sich eine Stelle als Diener in einem Laden gefallen zu lassen. Aber auch hier hatte ich mir umsonst Mühe gegeben, seinen stolzen Sinn in so weit zu beugen, denn nicht einmal eine solche erhielt ich für ihn. Wenn man auch anfänglich nicht abgeneigt war, ihn anzunehmen, so hörten die alten Kaufleute doch kaum, daß er der Sohn Abu el Deri's sei, des Magier und Teufelbeschwörers, wie sie ihn nannten, als sie sich alle von uns abwandten und uns die Thür verschlossen.

Zu dieser Zeit war das Geld, das wir aus unsern Waffen gelöst hatten, gänzlich verzehrt, und umsonst suchte ich alle Winkel des Hauses, alle Kisten und Kasten durch, um irgend ein verborgenes Kleinod zu finden. Sogar das eiserne Kästchen, in welchem das wundervolle Bild verwahrt war, und das ich nie untersucht hatte, schloß ich auf, ohne etwas Anderes darin zu finden, als nur dies Bild in einem unscheinbaren Futteral. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß mich bei diesem Geschäft die Neugier plagte, auf den kleinen Stahlknopf des Futterals zu drücken, welches das Bild umschloß. Doch zu meinem Glück tönte in diesem Augenblick die Stimme meines alten Herrn vor meinen Ohren und ich unterließ es. Unglücklicher Weise vergaß ich das eiserne Kästchen wieder zu verschließen und ging darauf aus dem Hause, um einen alten Bekannten um ein Darlehen anzusprechen.

Zu dieser Stunde kam Saladin zurück und mochte wohl schon längst jenes kleine Kistchen und daß dasselbe beständig für ihn verschlossen sei, bemerkt haben, genug, er benützte meine Abwesenheit, nahm das Futteral heraus und, o Herr, der Unglückliche betrachtete das Bild.

Was darauf mit ihm geschah, weiß ich nicht. Aber als ich nach Hause zurückkehrte, fand ich ihn in den heftigsten Fieberphantasien auf seinem Lager liegen, das Futteral in seinen Händen haltend, das ihm zu entreißen keine menschliche Macht im Stande war. Wohl hörte ich aus den irren Reden, die er in der Fieberhitze ausstieß, daß er jenes Bild geschaut, sowie daß das Wort meines alten Herrn: jedes Menschenherz müsse bei dem Anblick dieses Bildes krank werden vor Entzücken und Liebe, an ihm in traurige Erfüllung gegangen sei. Wochenlang lag er so auf seinem Lager an einem bösen, Mark verzehrenden Fieber und führte dabei beständig die sonderbarsten, unzusammenhängendsten Reden. Gewöhnlich befand er sich in solchen Augenblicken in der Sandwüste und er sah in weiter Ferne das Gespenst der Fata Morgana vor sich schaukeln. Dies beschrieb er denn auch, wie es früher Abu el Deri gethan, mit den glühendsten, lieblichsten Farben und malte es aus als ein Eiland voll Liebe und Entzücken. Ach, und in allen diesen Träumen spielte das unglückselige Bild eine Hauptrolle; denn dies war es, was ihm überall voran schwebte, und dem sein wirrer Geist hastig nachfolgte über schneebedeckte Berge, durch das wilde Meer und durch den glühenden Sand der Wüste.

Endlich ließ die Kraft des Fiebers nach und ich glaubte, jetzt würde der unglückliche Saladin zur Vernunft zurückkehren und das Andenken jenes Bildes aus seinem Herzen verbannen. Doch weit gefehlt. Wenn auch sein Körper genas, so schien ihm Herz und Geist desto kränker zu werden. Das erste Mal, als ich an seinem Lager saß und er mich nach seiner mondenlangen Krankheit wieder erkannte und zusammenhängend mit mir sprach, zeigte er mir mit Entzücken das Futteral und sagte: endlich habe er etwas gefunden, dem er sein ganzes Leben weihen würde und welches er erreichen wolle, wenigstens unablässig darnach streben bis zu seinem Tode – nämlich das Original zu diesem Bilde. Umsonst stellte ich ihm vor, das Bild müsse eine bloße Phantasie des Malers sein, allein er lächelte und sprach mit matter Stimme: »O, Ismael, dein Unglaube thut mir weh, ich versichere dich, es ist das Bild der Prinzessin Morgana, die auf einem paradiesischen Eiland fern in der Wüste herrscht. Wohl weiß ich, daß noch kein Sterblicher das Glück hatte, dasselbe zu erreichen und die Prinzessin zu sehen. Doch warum kann es mir nicht vorbehalten sein, den Weg dorthin zu finden; dies wird mir auch gelingen, Ismael, denn ich habe die Reise dorthin in den Phantasien des Fiebers schon öfters gemacht. Es war zwar ein schrecklicher und mühesamer Weg und die Karawane, der ich mich anschloß, bestand aus sonderbaren Gestalten, aber ich werde das Eiland dennoch erreichen und die Prinzessin sehen; ja, ich werde sie sehen und ihr nahe sein.«

Anfänglich glaubte ich bei diesen Reden, sie seien noch ein Ueberbleibsel des Fiebers, und diese sonderbaren Ideen würden sich mit der Zeit schon geben. Doch weit gefehlt. Saladin genas langsam wieder, ohne aber seinen Vorsatz vergessen zu haben, die Prinzessin Morgana, wie er das Bild nannte, aufzusuchen;– vielmehr hatte er sich in seinen Träumen etwas ausgedacht, das an Wahnsinn grenzte und wodurch er, wie er sagte, seinen Körper an die ungeheuren Mühseligkeiten gewöhnen wollte, die ihm auf jener Reise bevorstehen würden. Er nahm nämlich Tage lang keine Speisen und keinen Trank zu sich, um sich an Hunger und Durst zu gewöhnen, und alle meine Ermahnungen dagegen waren vergebens. Er gerieth sogar in eine unbeschreibliche Wuth, wenn ich ihm das Unsinnige seiner Handlungen vorstellte, und wußte mich durch Bitten und Flehen dahin zu vermögen, ihm seinen thörichten Willen zu thun. Oft hungerte er drei bis vier Tage und obendrein zwang er mich noch, ihn mit einem Stocke zu schlagen, damit er den Mißhandlungen der Menschen, die ihn von seinem Vorhaben abbringen wollten, Trotz bieten könne. Was mein Herz bei diesem Wahnsinn litt, kannst du dir leicht denken, o Herr; doch was sollte ich armer alter Mann machen; wenn ich mir auch zuweilen fest vornahm, ihm seinen Willen nicht mehr zu thun, so konnte ich doch bei diesem Vorsatz nicht lange beharren, denn sein Jammer über meine Untreue, wie er es nannte, seine Klage, daß ich ihm nicht behülflich sein wolle, sein Liebstes auf der Welt zu erreichen, war mir ebenso schrecklich, ja noch schrecklicher, als die Mißhandlungen, denen er sich unterzog. Wenn ich ihn zuweilen befragte, wann und durch wessen Hülfe er gedenke, seine Reise antreten zu können, so antwortete er lächelnd: das Schicksal, das ihm das Bild der Prinzessin Morgana zugeführt, werde es ihm auch, wenn die Zeit zur Reise herangekommen sei, nicht an Mitteln dazu fehlen lassen.

So ist die Erzählung von dem alten Abu el Deri und seinem Pflegesohn, o Herr, und beim Barte des Propheten, ich habe dir nichts verschwiegen, auch hast du in der vergangenen Nacht selbst zugehorcht, wie er mich mit seinem Wahnsinn quälte und wie ich ihn mißhandeln mußte. Bestimme in deiner Weisheit nun, was mit uns geschehen soll.«

Der Kalif, sowie sein Großvezier, hatten dieser sonderbaren Erzählung aufmerksam zugelauscht und Beide saßen nach Beendigung derselben stumm da und wußten nicht, was sie davon denken sollten. »Ei,« meinte der Kalif, »was würdest du dazu sagen, Abdallah, wenn wir uns jenes Bild kommen ließen und es auf alle Gefahr hin auch einmal anschauten.«

»O Herr,« entgegnete Ismael hastig, nachdem er eine tiefe Verbeugung gemacht, »o Herr, beschließe in deiner Weisheit nicht so etwas Schreckliches. Glaube mir, der böse Zauber, der von diesem Bilde ausströmt, würde auch dich Zeit deines Lebens unglücklich machen.«

»Es ist in der That eine seltsame Geschichte,« sagte der Großvezier, »und wenn ich deiner Hoheit einen Rath geben dürfte, der deiner Großmuth sicher nicht verwerflich erscheint, so wäre es der, den unglücklichen jungen Mann mit den nöthigen Mitteln zu versehen, um ihn wenigstens ein Jahr lang mit den Karawanen durch die Wüste ziehen zu lassen. Vielleicht daß ihm der Prophet gnädig ist und daß sich sein Wahnsinn zerstreut.«

»Ja, du hast Recht,« antwortete der Kalif, »triff die nöthigen Anstalten dazu und laß es dem Reisenden an nichts fehlen. Schick ihn mit einer der großen Karawanen fort, die in kurzer Zeit nach Palmyra abgehen, und ertheile ihm den Befehl, nach Ablauf eines Jahres zurück zu kommen und alsdann werde ich ferner für ihn sorgen.«

Ismael stürzte dem Kalifen zu Füßen, und indem er seinen Dank für die hohe Gnade stammelte, wagte er die Bitte, seinen jungen Herrn begleiten zu dürfen, eine Gunst, die ihm der Kalif auch gern gewährte. Darauf befahl Harun al Radschid, den jungen Saladin, wenn er zu der Reise gehörig ausgerüstet sei, vor sein Angesicht zu führen, und entließ den alten Diener, der sich vor Freude zitternd nach seiner Wohnung zurück begab und seinen Herrn durch die frohe Botschaft nicht wenig stärkte.

Saladin lag gerade auf seinem Lager ausgestreckt und hörte anfänglich ziemlich gleichgültig die Erzählung des Dieners, daß ihn der Kalif habe rufen lassen und daß er diesem ausführlich von Abu el Deri habe erzählen müssen. Allein als Ismael im Verlauf des Gesprächs von der Gnade des Kalifen sprach, daß er ihnen die Mittel zu einer Reise in die Wüste geben wolle, da richtete sich der junge Mann von seinem Lager plötzlich in die Höhe und sprach mit funkelnden Augen: »siehst du, Ismael, daß meine Träume nicht Lügen, siehst du wohl – die Zeit ist gekommen, denn der Prophet schickt mir eine unverhoffte Hülfe, die Reise zu machen, nach der sich mein Herz gesehnt und auf der ich finden werde, was ich suche.«

Schon andern Tags brachte man vor das Haus des jungen Saladin einige Kisten mit schönen Kleidungsstücken, mit Waffen und Reisevorräthen aller Art. Auch schickte der großmüthige Kalif mehrere kostbare Pferde, sowie einige schwarze Sklaven, welche den jungen Mann auf seinen Reisen begleiten sollten. Dieser war von dem Augenblicke an, wo ihm Ismael die Gnade des Kalifen verkündigt, wie umgewandelt und man merkte ihm schon nach einigen Tagen gar nicht mehr an, daß er Monate lang krank gelegen, und sich während dieser Zeit mit den größten Mißhandlungen und Entbehrungen, wie sie uns bekannt sind, abgequält hatte. Schon der bloße Gedanke, den heißen, innigen Wunsch seiner Seele in Erfüllung gehen zu sehen, goß ihm neue Lebenskraft durch alle Adern; die Frische seiner Wangen kam wieder, sein Auge glänzte wieder feurig unter seinen schwarzen Brauen, wie die glühende Sonne, wenn sie Abends, von Wolken umgeben, hinter dem Horizonte versinkt. Schon in der ersten Stunde nach des alten Dieners Zurückkunft aus dem Palaste hatte er sein Lager verlassen, und als die Geschenke des Kalifen ankamen, wählte er daraus einen kostbaren, schönen Anzug, schwang sich auf eins der edlen persischen Pferde und ritt, von seinem Diener Ismael begleitet, durch die Bazare und Gassen nach dem Palaste des Kalifen, um sich, dem Befehle Harun al Radschids gemäß, vor dessen erlauchtes Antlitz zu stellen.

Die Leute auf den Straßen, bei denen er vorbeiritt, gingen erfurchtsvoll aus dem Wege und wurden von seiner schönen, stattlichen Gestalt, von seiner Haltung zu Pferde, kurz von seiner ganzen Erscheinung so geblendet, daß sie achtungsvoll zur Seite traten und ihn wie einen mächtigen Emir begrüßten. Auch die Kaufleute in den Bazars sahen ihm erstaunt nach und einer fragte den andern, wer der fremde Prinz sei? So gelangte er an den Palast des Kalifen, wo die Wachen ihn und seinen alten Begleiter auf's Ehrerbietigste begrüßten und sie ohne Verzug in das Innere der Burg ließen. Hier sprangen einige Pagen herbei, die dem jungen Saladin den Steigbügel hielten und ihn nebst seinem Diener Ismael in die Gemächer des Kalifen geleiteten, wo ihn dieser mit seinem Großvezier Abdallah empfing.

Harun al Radschid betrachtete den jungen Mann, der sich tief vor ihm verbeugte, lächelnd und mit Wohlgefallen und erneuerte ihm nochmals die Versprechungen, die er dem alten Ismael gegeben.

»Beherrscher der Gläubigen,« erwiderte Saladin, »du bist in deiner Güte und Großmuth dem Verlassenen wie ein Engel des Himmels erschienen und der Prophet wird dich dafür belohnen. Wie soll ich dir meinen Dank aussprechen für das Unendliche, was du mir gethan. Ich werde finden, was ich lange gesucht, und so es der Wille Gottes ist, glücklich werden.«

Der Kalif, der sich anfänglich vorgenommen hatte, einen Versuch zu machen, ob er den Jüngling nicht von seiner Schwärmerei heilen könne, sah aus den letzten Worten desselben, daß er unabänderlich bei seiner Idee beharre, und beschloß deßhalb, keinen vergeblichen Versuch zu machen. Er entließ ihn hierauf mit seinen besten Wünschen, und Saladin kehrte freudetrunken in seine Wohnung zurück.

Die Einwohner Bagdads, deren Neugier durch die Erscheinung des fremden Prinzen, wofür sie Saladin hielten, sehr erregt worden war, gaben sich alle Mühe, zu erfahren, wer dieser junge Mann denn eigentlich sei, und hatten nicht sobald die Kunde erhalten, daß es der Sohn des alten Magiers Abu el Deri wäre, dem der Kalif die Ausrüstung und die Mittel zu einer weiten Reise geschenkt, als sie die Erzählung von dem Bildniß für ein Märchen erklärten, das der alte Spitzbube, der Ismael, erfunden habe, um den Kalifen mit einer Summe Geldes zu prellen, und die bösen Menschen bedauerten nur, daß des Alten Anschlag so glücklich gelungen war.

Wenige Tage darauf zog die Karawane, der sich der junge Mann mit seinem Diener anschloß, von Kairo hinweg gen Palmyra und die Leute in den Bazars riefen einander lachend zu: »Seht doch den klugen Spitzbuben Ismael, wie er mit seinem Raube davon zieht!«

Wie es gewöhnlich mit Verläumdungen geht, daß sie sich von Stunde zu Stunde vergrößern, sich mit Zusätzen und Thatsachen vermehren und dadurch am Ende so glaublich werden, daß selbst der Unbefangenste nicht weiß, woran er ist, so erging es auch hier. Daß der alte Ismael den Kalifen betrogen habe, war den Leuten ziemlich klar. »Seht,« sagten sie zu einander, »hat doch der alte Abu el Deri nie einen Sohn gehabt, wer weiß, wo Ismael den jungen Menschen aufgefunden und ihn zu seinen Zwecken unterrichtet.« – »Mir scheint es,« sagte ein Anderer, »ich habe den jungen Lügner schon irgendwo gesehen.« – »Richtig,« setzte ein Dritter hinzu, »habt Ihr nicht noch vor einiger Zeit in der Barbierstube an der großen Karavanserei einen Burschen gesehen, der diesem Saladin glich wie ein Ei dem andern?« – »Aha,« fielen alle Andern ein, »richtig, der ist's! O der gute Kalif!«

Bald darauf erfuhr auch Harun al Radschid durch seinen Großvezier diese Gerüchte, und obgleich er ihnen anfangs keinen Glauben schenken wollte, ließ er sich doch durch das Zureden Abdallah's bewegen, den Herrn jener Barbierstube zu hören, der auf die Frage des Kalifen nach jenem jungen Manne mit verschmitztem Lachen antwortete: »Beherrscher der Gläubigen, der Mensch kann sich irren und der Prophet möge mir bezeugen, daß ich einem Mitmenschen nicht gern etwas Böses nachsage. Aber was jenen jungen Mann anbetrifft, so könnte ich denn doch beschwören, daß er noch bis vor wenig Wochen meine Barbierbecken und Messer geputzt und gesäubert hat. Freilich hatte er später, als ich ihn wieder sah, ein ganz anderes Aussehen, aber das machten die kostbaren Kleider und Pferde, die ihm deine Hoheit geschenkt.«

Der Kalif, so schwer es ihm auch wurde, daran zu glauben, auf eine solche Art betrogen worden zu sein, konnte doch nicht umhin, dem alten Mann Glauben zu schenken und sagte später lachend zu seinem Großvezier: »höre, Abdallah, wir wollen uns doch in Zukunft besser in Acht nehmen und die Leute in ihren Häusern schreien und jammern lassen, ohne uns darum zu bekümmern.«

Abdallah zuckte die Achse!»und entgegnete: »In der That, es ist eine durchtriebene Spitzbüberei!«

Die Karawane, der sich Saladin und Ismael angeschlossen hatten, zog indessen ruhig ihres Weges durch die Wüste dahin und die beiden Pilger ahneten nichts von den Verläumdungen, die hinter ihrem Rücken ihren guten Namen zerstört hatten. Der junge Mann war glücklich, endlich den ersten Schritt gethan zu haben, der ihn dem unbekannten Original seines Bildes näher führte, und auf dem Wege zu sein, wo ihn ein glückliches Ungefähr an das Ziel seiner Wünsche führen könne. Ismael dagegen freute sich seinerseits, wieder einmal aus dem stillen Leben hinauszukommen und durch die Wüste schweifen zu können. Es war ihm gerade, als sei er um zwanzig Jahre jünger geworden und als reite er wie ehemals neben seinem alten Herrn Abu el Deri.

Die Karawane war sehr zahlreich und hatte, da sie viel Gold und Silber bei sich führte, eine große Bedeckung bewaffneter Reiter, um Leute und Waaren vor den Ueberfällen der Beduinen zu sichern. Schon in den ersten Tagen ließen sich diese verwegenen Räuber in weiter Entfernung von der Karawane sehen, um, wie es schien, die Stärke und Beschaffenheit derselben genau auszuforschen. Auch überfielen sie wohl zuweilen kleine Abtheilungen des Zuges, die des Morgens beim Aufbruch zu weit zurückblieben, nahmen die beladenen Kameele mit sich und machten die Mannschaft, wenn sie sich zur Wehre setzte, nieder.

Der größere Theil der Karawane aber zog dahin, ohne daß ihm ein Unglück widerfuhr, und Saladin mit ihm. Anfänglich hatte ihm das Reisen durch die Wüste, die Sonnenhitze und der Sand nicht wenig Beschwerde verursacht. Doch bald gewöhnte er sich daran und erkannte das Schöne und Erhabene, welches in der Stille und Leblosigkeit dieses ungeheuren Sandstrichs liegt, und wenn ihn auch zuweilen die Hitze der Sonne nicht wenig belästigte, so erfrischte ihn wieder der Gedanke an die Fata Morgana, die er noch nie gesehen und deren Anblick er jetzt so sehnlich erwartete. Endlich an einem schönen Abend, nachdem die Sonne den ganzen Tag über mit unerhörter Glut auf den Köpfen der Reiter gebrannt, entwickelte sich fern am Horizonte aus blauen Nebeln, die dort hinten empor zu steigen schienen, das Gespenst der Wüste und die letzten Strahlen der Sonne zitterten herrlich auf jene fabelhaften Gebäude, auf jene unerreichbaren Wälder und auf das glänzende Wasser, das kühlend und erfrischend empor sprudelte und doch noch nie eine menschliche Zunge erquickt hat. Saladin saß voll Entzücken auf seinem Pferde und hing mit glühendem Auge an jenem Zauberbilde, das bald blasser wurde und nach und nach ganz wieder verschwand.

Als die beiden Reisenden Abends unter ihrem Zelte lagen, sagte der junge Mann zu seinem Diener: »Ach, Ismael, ich habe mir genau die Richtung gemerkt; nach welcher ich gestern Abend das Eiland sah, auf dem die Prinzessin Morgana thront. Laß uns dahin aufbrechen, wer weiß, ob wir es nicht schon am Morgen erreichen.«

»Beim Propheten!« entgegnete Ismael traurig lächelnd. »Lieber Herr, du hast gar sonderbare Ideen. Schon unsere Reise an und für sich, um zu einem Bild, welches wahrscheinlich nie existirt hat, das Original zu finden, ist lächerlich genug. Allein der Vorschlag, den du mir eben machst, die Karawane zu verlassen, um auf's Gerathewohl in die Wüste hinauszuziehen, grenzt an Wahnsinn, und glaube mir, du wirst das Gespenst der Wüste, das dir jene schönen Gebäude, jene Palmen und Springbrunnen vormalt, gewiß nie erreichen, denn wenn du dich einen Schritt dem Gebilde zu nähern glaubst, so weicht es zehn Schritte vor dir zurück.«

»Aber,« entgegnete Saladin unmuthig, »auf welche Art soll ich denn meinen Zweck erreichen und zu einem glücklichen Ende kommen, von dem die ganze Ruhe meines künftigen Lebens abhängt. Glaubst du vielleicht, dieser Zug durch die Wüste würde meine Gedanken ändern und jenes Bild in meinem Herzen verschwinden machen?«

»Ich hoffe das, o Herr,« entgegnete Ismael. »Ich hoffe, deine Träumereien werden sich zerstreuen, und wenn wir nach einem Jahre gen Bagdad zurückkehren, wirst du über diese Tage wie über einen seltsamen Traum lächeln.«

Saladin schüttelte traurig das Haupt und legte sich hierauf zur Ruhe nieder. – Solche Gespräche hielten die Beiden häufig zusammen, und so sehr sich auch Ismael bemühte, seinen jungen Herrn zur Vernunft zurückzubringen, so wenig konnte ihm dies gelingen. Saladin verwahrte das Bild sorgfältig, und in mancher Stunde, wenn er allein war, öffnete er das Futteral und schwelgte im Anblick der wundervollen Züge. Aber es konnte auch nichts Schöneres im Himmel und auf Erden geben, als dieses Bild. An einem Springbrunnen, der seinen klaren durchsichtigen Strahl hoch in die Lüfte schleuderte, lehnte die zarte Figur eines Mädchens, den Kopf nachdenkend zur Erde gesenkt, so daß man nur die schöne glänzende Stirne, sowie die halb verdeckten Augen sah. Da dies schon im Stande war, ein Menschenherz vor Liebe und Entzücken erkranken zu lassen, wie unvergleichlich schön mußte nun erst das ganze Gesicht sein, wenn das Mädchen ihren Kopf erhob und freundlich um sich blickte. Ach, wie oft hatte der junge Mann in Stunden, wo er das Bild trunken vor Liebe anblickte, zu dem Propheten gefleht, er möge doch ein Wunder thun und ihn nur ein einziges Mal in jenes Antlitz schauen lassen. Der Unbesonnene! Schon bei dem halben Anblicke dieses schönen Gesichts war ihm fast sein Herz gebrochen. Was würde also aus ihm geworden sein, wenn erst die Glut ihrer Blicke, verzehrender als die Strahlen der Sonne am Mittage sein Blut entzündet hätten!

In einigen Wochen hatte die Karawane Damaskus erreicht, und nachdem sie hier einige Tage gerastet, wandte man sich gen Palmyra. Bald waren die Reisenden wieder in die offene Wüste hinausgekommen, wo sie nichts sahen, als Himmel und Sand. Kein Baum, kein Strauch, sowie kein fließendes Wasser. Die Wasserportionen für Menschen und Vieh wurden jetzt verkleinert, und je mehr man von der Hitze gequält wurde, um so gieriger und verlangender schauten die Menschen das Spiel der Fata Morgana an, das sich hier reizender und größer, als sonst irgendwo allabendlich vor ihren Blicken ausbreitete. Saladin lag ganze Stunden unter seinem Zelte und starrte hinaus in die Wüste und träumte mit offenen Augen, wo er dann öfters glaubte, mit seinen Blicken durch jene phantastischen Wälder dringen zu können, und wo er den Springbrunnen zu erblicken meinte, an dem das wunderschöne Mädchen mit gesenktem Auge saß. Vergebliches Bemühen! wie das Licht der Sonne sank, verschwand auch jenes Zaubereiland, und Saladin warf sich unruhig und fieberträumend auf seinem Lager umher.

Schon öfters hatte er bei sich den Entschluß gefaßt, die Karawane, ja sogar seinen alten Diener heimlich bei Nacht zu verlassen, sich auf sein Pferd zu werfen und in Gottes Namen nach jener Richtung hinzujagen, wo heute die Fata Morgana ihre Zaubergärten aufgebaut hatte. Doch war es immer, als ahnte der alte Diener etwas von diesem Entschlüsse, denn er erzählte ihm die schrecklichsten Geschichten von Reisenden, welche, von heftigem Durste gepeinigt, ihren Zug verlassen, um den betrüglichen Wasserfluthen nachzugehen, die das Gespenst der Wüste vor ihren Augen ausbreitete, und alsdann im weiten Sande elend umgekommen seien. Diese Erzählungen verfehlten nicht, wenn auch nur auf kurze Zeit, einen Eindruck auf das Herz des jungen Mannes zu machen. Allein seine Sehnsucht und Liebe war zu groß, und nach und nach stellte sich wirklich der Entschluß bei ihm fest, die Karawane heimlicher Weise zu verlassen.

Endlich – es war in einer schönen Nacht und beim Schimmer der untergehenden Sonne hatte man die Fata Morgana schöner als je in der Ferne glänzen gesehen, – schlich sich der junge Mann von der Seite seines Dieners, schwang sich auf sein Roß und ritt leise aus den Reihen der Zelte hinaus in's Freie. Er hatte sich die Richtung, nach welcher hin man heute Abend die Fata Morgana gesehen, so genau wie möglich gemerkt, gab seinem Rosse die Sporen und jagte da hinaus. Die Sterne stiegen hell glänzend am Himmel auf und sanken erbleichend wieder herab. In Osten dämmerte der Morgen und der junge Mann jagte auf seinem Rosse anhaltend durch die Wüste der aufgehenden Sonne entgegen. Das Grau der Nacht färbte sich violett und wurde am Horizont immer heller und heller; das Violett ging endlich in dunkles Gelb über und bald erschien die halbe Himmelsdecke mit einem goldenen Reif umzogen, der sich langsam empor zu heben schien und jetzt den ersten Strahl der Sonne hindurch ließ, der die Wüste in ihrer weitesten Ausdehnung vergoldete.

Saladin hielt hier sein Roß an und schaute zuerst in die Sonne, indem er den Propheten in einem kurzen Gebete anflehte, ihm gnädig zu sein und ihm den rechten Weg zu seinem Glücke zu zeigen. Dann schaute er rückwärts' auf die Fläche, wo er hergekommen war, und als er dort, so weit sein Auge reichte, nichts als Sand und wieder Sand erblickte, wurde es ihm leichter um's Herz und er dachte freudig daran, daß er die beschwerliche langsame Karawane verlassen und jetzt frei wie der Vogel seinem Glücke nacheilen dürfe. Alsbald gab er auch seinem Rosse wieder die Sporen und jagte gen Osten, hoffend, die Fata Morgana bald vor sich zu sehen und zu erreichen. Die Sonne stieg langsam am Himmel empor und schien alle ihre Glut auf den einsamen Reiter zu werfen, denn ihm selbst kam die Hitze heute unerträglich vor.

Schon neigte sich die Sonne wieder hinab, als das ermüdete Pferd nicht weiter laufen konnte, weßhalb Saladin abstieg und jetzt erst zu seinem Schrecken einsah, daß er weder Gerste, noch Wasser habe, um das arme Thier nach dem langen Marsche zu erquicken. Glücklicher Weise fand er noch in einem kleinen Futterbeutel ein paar Hände voll Mais, die er dem Thiere gab. Obgleich auch ihn Hunger und Durst nicht wenig quälten, so vergaß er dies doch plötzlich beim Anblick der Fata Morgana, die jetzt vor seinen Blicken langsam aufstieg. Allein er schien ihr nicht viel näher gekommen zu sein, und es war nur seine Phantasie, die ihm einredete, er sähe sie heute deutlicher und näher als gestern. Ach, die zauberhaften Palmenwälder und Gebäude gaukelten in der That ebenso fern von seinen Augen, wie gestern, weit vor ihm am Horizont. So kam die Nacht und der folgende Morgen fand den jungen Mann wieder zu Pferde, wie er durch die einsame Wüste einem Traumbild nachjagte, das mit derselben Schnelligkeit zurückwich. Schon war sein Roß vor Hunger, Durst und Müdigkeit so angegriffen, daß es ihn, als der Abend dieses Tages kam, nicht mehr tragen konnte, weßhalb er abstieg und es am Zügel eifrig nach sich zog; denn vor ihm stieg wieder das Gespenst der Fata Morgana empor; aber ach! er war ihm auch heute um keinen Schritt näher gekommen.

Als die Nacht abermals herabsank, legte er sich neben sein Pferd hin und konnte vor Hunger und Durst kaum das Auge schließen. Doch die Hoffnung, die ihn nicht verließ, stärkte ihn auf's Neue, und als der neue Morgen kam, sprang er kräftiger als je empor, um seinen Ritt fortzusetzen. Aber sein armes Roß, das kein Drang des Herzens vorwärts trieb, das durch keine Hoffnung gestärkt und ermuntert wurde, machte nur einige mühevolle Anstrengungen, sich auf die Beine zu helfen, fiel aber wieder in den Sand zurück, da es wohl fühlte, seine Kraft sei zu Ende.

Jetzt stiegen zum ersten Male einige Zweifel in der Brust des jungen Mannes auf, und als er sein sterbendes Pferd sah, dachte er mit Schrecken, daß auch ihm, wenn er das Ziel seiner Sehnsucht und seiner Mühen nicht erreiche, ein ähnliches Loos bevorstehe. Doch die Hoffnung und der Blick auf das Bild, das er bei sich trug, ließ ihn nicht diesen trüben Gedanken nachhängen. Er sagte deßhalb mit traurigem Herzen seinem treuen Rosse Lebewohl und setzte seinen Weg zu Fuß fort.

Allein zu seinem Schrecken fand er schon in den ersten Stunden dieses Tages, daß seine jetzige Art, vorwärts zu kommen, ungleich langsamer und mühevoller sei, als die, wo er noch hoch im Sattel saß. Auch war es, als wollten seine Glieder nicht mehr recht ihren Dienst versehen und als befände sich etwas in seinem Körper, das ihre Kraft lähme; denn wenn er sich noch so sehr anstrengte, rasch vorwärts zu gehen, so hatte er doch kaum wenige Schritte mit verdoppelter Schnelligkeit gethan, als er wieder in den langsamen müden Schritt zurückfiel. Ach, es waren zwei schreckliche Feinde des Menschen, Hunger und Durst, die den armen Saladin von allen Seiten angriffen, die seine Glieder lähmten und sein Herz krank machten.

Die Sonne senkte sich jetzt wieder langsam am Himmelsbogen hinab und die Erscheinung der Fata Morgana, welche abermals vor seinem Auge auftauchte, gab ihm auf's Neue Kraft und Muth, denn er bildete sich ein, die Erscheinung stehe ihm heute nicht so entfernt, wie gestern, und er sei ihr vielmehr um ein Bedeutendes näher gekommen. Die Müdigkeit streckte ihn bald auf den Sand hin und wenn auch, als er die Augen schloß, der Schlaf über ihn kam, so war es doch kein angenehmer erquickender Schlummer, der ihn stärkte, sondern es lag eine Fieberglut auf ihm, die ihm die Augen gewaltig zudrückte, ohne ihm Ruhe zu gönnen.

Als am andern Morgen die Sonne wieder empor stieg, hatte er schon die vierte Nacht seit seiner Flucht von der Karawane zurückgelegt, ohne während dieser ganzen Zeit auch nur die geringste Speise oder einen Tropfen Wasser zu sich genommen zu haben. Jeder andere Sterbliche würde schon jetzt verschmachtet sein und Saladin dankte es nur den Entbehrungen, denen er sich in Bagdad freiwillig unterworfen, daß er nicht liegen blieb, sondern vielmehr seinen ermatteten Körper, wenn auch gleich sehr langsam, dennoch fortschleppen konnte. Indessen war sein Gang mit dem Kriechen der Schnecke vergleichbar und zum ersten Mal kam ihm die Oede und die Einsamkeit der Wüste schrecklich vor. Die leisen Zweifel über das Gelingen seines Planes, die schon gestern zuweilen in ihm aufgestiegen waren, wurden ihm nun zur Gewißheit und er seufzte nach seinem Diener Ismael und dachte auch jetzt zum ersten Male an den Schmerz, den er dem alten Manne durch seine Flucht verursacht.

»Ach,« seufzte er bei sich, »wäre ich doch seinen Ermahnungen gefolgt, so könnte ich jetzt glücklich und vergnügt heimziehen, ich könnte eine bessere Zeit abwarten, um dem Originale meines geliebten Bildes nahe zu kommen und brauchte hier nicht elend im Sande zu verderben.«

Fürchterlich brannte die Sonne auf ihn herab und drückte seinen ermatteten Körper gewaltig darnieder. Rings, so weit sein entzündetes Auge umher streifte, nichts als Sand und abermals Sand; kein rauschendes Palmendach zeigte sich seinem Blick, kein Murmeln einer frischen Quelle traf sein Ohr, und die Stille, die ihn rings umgab, die fürchterliche Stille; – selbst kein wildes Thier floh neben ihm vorbei, kein Vogel durchschnitt die Lüfte über seinem Haupte und dabei sah der Himmel so drohend und erzürnt aus und hing glühend gelb wie ein flammendes Schild über seinem Haupte.

Saladin legte sich jetzt in dem Sand nieder, denn seine Beine vermochten ihn nicht mehr zu tragen. Er nahm das Bild hervor, öffnete das Futteral und schaute das Gemälde zum letzten Male an. Ach, das Mädchen saß ruhig wie immer am Brunnen und blickte nicht in den kühlenden klaren Wasserstrahl, der hoch vor ihr empor sprang und wovon der kleinste Theil ihm, dem unglücklich Verschmachtenden, das Leben gefristet hätte. Noch einmal übte das Bild seinen Zauber auf sein Herz und flößte seinem Geiste neue Hoffnung und neue Kraft ein. Er wollte sich erheben, um sich weiter fortzuschleppen, allein seine Glieder versagten ihm gänzlich den Dienst. Er sank in den Sand zurück, schloß die Augen und wähnte zu sterben.

So stieg langsam die Nacht empor, und ein leiser Wind, der über den Sand der Wüste strich, kühlte seine erhitzten Wangen ab und küßte ihm sanft das geschlossene Auge. Zum letzten Mal blickte der arme junge Mann um sich und sein ganzes vergangenes Leben trat reger und lebendiger als jemals vor seine Seele. Er erinnerte sich der Erzählungen Abu el Deri's, auf welch' sonderbare Art der Prophet ihn vor dem Sandsturm errettet habe, und jener Tag, wo ihn sein Pflegevater aus den Armen der sterbenden Mutter genommen, trat lebendiger als je vor seine Seele.

»Warum,« seufzte er, »wurde ich damals gerettet, um jetzt hier in demselben Sande unterzugehen, ohne durch mein Leben auf irgend eine Weise genützt zu haben? Warum das?« fragte Saladin mit schwacher Stimme zum Himmel empor. Doch es war Niemand da, der ihm Antwort gegeben hätte.

Der Tag war jetzt gänzlich verschwunden und mit der dunkeln Nacht, den freundlichen Sternen und dem glänzenden Monde kam zugleich die letzte bange Stunde des armen jungen Saladin. Das Fieber raste noch einmal mit gewaltigen Schlägen durch seinen Körper, dann wurde sein Herz ruhiger und immer ruhiger, seine Hände kreuzten sich unwillkürlich über seine Brust und droben am Himmelsgewölbe fuhr ein erlöschender Stern hernieder und verschwand unter dem Horizont.

Wer da glaubt, daß die Wüste, die vor unserm Auge so leer und öde daliegt, nicht ebenso gut, wie alles übrige Land, in gewissen Stunden der Nacht und zu gewissen Zeiten von höchst seltsamen und räthselhaften Gestalten bevölkert werde, der irrt gewaltig. Nur sind die Genien und Phantome, die in dem Sand ihr Wesen treiben, dem ganzen Charakter der Wüste gemäß, ernsterer und traurigerer Natur, als die Dschinns und Kobolde, die allnächtlich um die gesegneten Fluren des Nils schwärmen.

Mitten in der Nacht, wenn der Mond sich abwärts neigt, steigen seltsam geformte Nebel in die Höhe und verdecken das Gestirn der Nacht, indem die traurigen Geister, die aus dem Staub und Sande der Wüste emporsteigen, die graue Dämmerung dem hellen Schein des Mondes vorziehen. Ueber seltsam geformte Sandhügel, die in langer Strecke neben einander liegen, fährt ein leiser Wind, der Sand und Staub von diesen Hügeln hoch empor wirbelt. Doch sonderbar: diese Sand- und Staubwolken fallen nicht wieder hinab, sondern heben sich höher und höher und wogen und gleiten seltsam durch einander. Dort werden sie heller, hier dunkler und Alle nehmen gar sonderbare Formen an; sie ballen sich zusammen und bilden Gestalten von Menschen und Thieren, welche stumm und emsig durch einander schweben. Jetzt steigen aus den Sandhügeln weiß gebleichte Knochen empor und verschwinden zwischen den Gestalten, die sich langsam in Bewegung setzen und einen langen Zug bilden; – dies ist die Geisterkarawane. Alle, die in der Wüste starben, Alle, die das Schwert oder die Kugel des Beduinen niederwarf, so wie Alle, die der Samum bedeckte und tödtete, sind hervorgekommen aus ihren Sandgräbern und reihen sich dem Zuge an, der bei dem dumpfen Ton einer kleinen Pauke langsam durch die Wüste dahin zieht. O; es ist für ein menschliches Auge nicht gut, die Geisterkarawane zu erblicken; denn wer sie gesehen, dem erkrankt Leib und Herz; er wird dann auch bald nachher sterben und vielleicht schon in den nächsten Nächten der Karawane folgen. Manche haben sie schon gesehen und erzählten vor ihrem Tode, daß der Anblick schrecklich sei. Die ruhig einherschreitenden Kameele mit stieren leblosen Augen, auf denen regungslose Männer sitzen, deren Turban wie in tiefer Trauer herabwallt, und deren lange Mäntel schauerlich im Winde rauschen. Die todten Weiber bei der Karawane sitzen zusammengebeugt auf ihren Pferden und verhüllen den Kopf in ihren langen Schleier, wie sie es bei Annäherung des Sandsturmes zu thun pflegen. Zuweilen erkennt dieser oder jener, der das Unglück hat, die Karawane zu sehen, einen Freund oder einen Verwandten, der ihm zuwinkt, und dann wehe dem, der den Gruß empfing, das Ende seiner Tage steht alsdann nahe – der Prophet möge ihn schützen!

So lag in jener Nacht der junge Saladin auf dem Sande und rang mit dem Tode, wobei allerlei seltsame Gebilde vor sein inneres Auge traten. Es war ihm, als öffne sich das Futteral, das neben ihm an der Erde lag, und das Bild der Prinzessin Morgana steige langsam daraus empor mit dem grünen Palmenwald, unter dem sie saß und mit dem springenden Wasser, dessen Murmeln der Unglückliche deutlich zu hören glaubte. Unverwandt schaute er auf die schöne Gestalt und sein Herz schien sich auf's Neue zu beleben, denn sie hob langsam den Kopf, und der himmlische Blick, den sie ihm zuwarf, goß neue Kraft in seine Glieder. Doch umsonst! Ihr Bild erblaßte wieder, wurde undeutlich und verschwamm allmälig in die Luft. Saladin lag wieder allein da und fühlte, wie sein Herz hastig und ängstlich klopfte. Es war ein Ton, der zuerst kaum hörbar anfing und immer lauter und lauter wurde. Jetzt däuchte es dem Sterbenden, als sei es nicht sein Herz, das so schlüge, sondern ein anderes Geräusch, das aus weiter Ferne zu ihm herdringe; er hatte sich nicht getäuscht; und wirklich, dem war auch so. Deutlich hörte er den dumpfen Ton einer Pauke, auf der man regelmäßig schlug, weithin durch die Nacht hallen und langsam näher kommen. Plötzlich durchzuckte ihn der Gedanke, ob es vielleicht Menschen seien, die zu seiner Rettung daher kämen; aber gleich darauf verschwand ihm diese Hoffnung wieder, denn eine Karawane setzt ihren Weg nie bei Nacht fort; und doch kam das Geräusch, welches er vorhin gehört, immer näher. Schon vernahm er den leisen regelmäßigen Tritt der Kameele und das Rauschen und Flattern der Turbane und langen Mäntel der Reiter. Mühsam öffnete er jetzt die Augen, schloß sie aber schaudernd wieder, denn er sah die Geisterkarawane dicht bei sich vorbeiziehen. Leise schwebten die gespenstigen Reiter vorbei und er sah sie alle, trotz der fest verschlossenen Augen. Es schien ihm auch, als winkten sie ihm, und ein todter Neger, der ebenfalls vorbei ritt, zeigte ihm grinsend die weißen Zähne und deutete auf ein lediges Pferd, das er an der Hand führte. In großer Menge zogen Kameele und Pferde vorbei, auf welchen die Reiter schweigend und tief in ihre Mäntel und Schleier gehüllt saßen, und Niemand bekümmerte sich weiter um den, der sterbend im Sande lag.

Da erschien eine neue Abtheilung des Zugs. Es waren große schwer beladene Kameele, denen eine Menge Sklaven zu Pferde folgten, die eine Frau umgaben, welche ein edles arabisches Roß ritt. Die Frau hatte den Schleier ebenfalls um ihr Haupt gewickelt und starrte düster vor sich auf den Sattel. Plötzlich fing sie an, sich zu bewegen, hob den Kopf empor und blickte erschreckt und verwundert um sich. Ach, dieses Gesicht kam dem jungen Manne so freundlich und bekannt vor, obgleich er sich nie erinnerte, dasselbe gesehen zu haben. Es war ihm wie die Melodie eines Liedes, die er einst in frühester Zeit gehört und die jetzt wieder vor seinem Ohre erklang. Die Frau richtete fest das Auge auf ihn. der im Sande lag, und ihr blasses, regungsloses Gesicht verzog sich plötzlich zu einem freundlichen Lächeln. Hastig warf sie den Schleier von ihrem Kopf, wandte das Pferd aus der Reihe auf die Stelle zu, wo er lag, sprang herunter und kniete neben ihn, wobei sie ihre Hand auf sein Herz und seine Stirne legte.

Saladin wußte nicht, wie ihm geschah und öffnete jetzt das Auge, um im das Gesicht der freundlichen Frau zu sehen, die über ihn gebeugt, seine Mienen mit der gespanntesten Freundlichkeit betrachtete. »Ja, er ist's,« sagte sie darauf mit leiser tonloser Stimme, »es ist mein Sohn, der Sandsturm hat ihn verschont und ich sehe ihn wieder.« Bei diesen Worten durchströmte ein unnennbar süßes Gefühl die Adern des Sterbenden und so schauerlich ihm im Anfang der Anblick der Geisterkarawane gewesen war, so fühlte er sich doch jetzt nicht mehr so verlassen, als wie er vorhin einsam im Sande lag. Die Sklaven, in deren Mitte die Frau geritten war, wandten gleichfalls ihre Pferde aus der Reihe und umstanden den jungen Mann, ihn mit stieren Blicken anschauend. Hierauf löste die Frau eine Flasche von ihrem Gürtel, aus der sie ihm einige Tropfen in den Mund goß, die wie flüssiges Feuer durch seinen ganzen Körper zu laufen schienen und alle seine Glieder mit neuer Kraft erfüllten. Bald war er im Stande, sich aufzurichten, und seine letzten Stunden kamen ihm wie ein Traum vor. Er ließ seine Blicke über die Geisterkarawane hinschweifen, die sich in langem Zuge unaufhörlich bei ihm vorbei bewegte. Dann schaute er in das bleiche Gesicht der Frau, die ihn mit inniger Liebe ansah, und zum ersten Mal in seinem Leben sprach er einen Namen aus, dessen süßer Klang ihm bisher fremd gewesen war. »Mutter,« sagte er, »bist du es? Bist du meine Mutter, die ich in frühster Kindheit verlor, und die jetzt erscheint, mich vom Tode zu retten?«

Statt aller Antwort nickte die Frau traurig mit dem Kopfe, und sagte: »Ja, wenn ich es vermag.« Plötzlich blickte sie rasch empor, der vorausgeeilten Karawane nach und warf einen fragenden Blick auf ihre Begleiter, die theilnahmlos um sie her standen.

Da kehrte auf einmal der Mohr zurück, den Saladin vorhin schon bemerkt und der ihm so seltsam zugelächelt hatte. Er ritt ein Pferd von schwarzer Farbe und führte ein ähnliches an der Hand, das er dem jungen Manne, ohne ein Wort zu sprechen, anbot.

Saladin richtete sich am Arm seiner Mutter empor und ließ sich an das Pferd des Negers begleiten, das er willenlos bestieg. Im gleichen Augenblick bestieg die Frau auch das ihrige, und der Zug setzte sich schweigend, aber eilig, auf's Neue in Bewegung.

Obgleich Saladin wohl fühlte, was in der letzten Zeit mit ihm vorgegangen sei, und trotz dem, daß er seine Mutter erkannt hatte, die ihn von dem Verschmachten gerettet, so kamen ihm doch diese seltsamen Ereignisse nur wie ein angenehmer Traum vor. Er sah die Frau an seiner Seite reiten, wie sie in liebend und mit Innigkeit anblickte und ihm zuweilen die Hand auf seinen Arm legte. Aber ach, was er schon früher gefühlt hatte, empfand er auch jetzt wieder, ihre Hand war kalt, und jede Berührung derselben zuckte ihm schmerzend durch den Körper. Auch ihr Gesicht, so freundlich es ihn anblickte und so angenehm ihm die Züge der Mutter erschienen, die er heut zum ersten Male sah, so waren sie doch leblos und starr.

Wenn es auch schien, als bewegten sich die Pferde und Kameele der Karawane nur langsam vorwärts, so flogen sie doch in der That mit einer unglaublichen Schnelligkeit dahin. Kaum tauchte vor dem Blicke Saladin's fern am Horizont eine neue Hügelreihe auf, so hatten sie dieselbe auch schon erreicht.

Nachdem sie auf diese Art eine Zeitlang fortgezogen, erblickte Saladin plötzlich am Horizont prachtvolle zierliche Gebäude, umgeben von schlanken Palmen, die wie durch Zaubermacht auf einmal aus dem Boden hervorgestiegen zu sein schienen.

Dies Alles bot selbst bei Nacht einen wundervollen prächtigen Anblick. Die Paläste schienen von innen erleuchtet und glänzten im Strahle der Lichter in den schönsten buntesten Farben. Die dichten Wälder von Orangen, Sykomoren und Palmen, welche die Gebäude umgaben, waren ebenfalls mit bunten Flammen erleuchtet, die aus den zahlreichen Quellen und Springbrunnen, mit welchen der grüne Rasen fast bedeckt war, aufzusteigen schienen, oder es war vielmehr das Wasser selbst, das einen wunderbaren Glanz in allen Farben ausströmte.

Geblendet von dem Schimmer bedeckte Saladin die Augen mit seiner Hand beim Anblick dieses prächtigen Eilandes mitten in der Wüste, und indem er seine Mutter fragte, welchem mächtigen Fürsten dort jene Paläste seien, durchzuckte eine seltsame freudige Ahnung seine Seele.

»Ach, mein Sohn,« entgegnete die Frau, »es ist kein mächtiger Fürst, der dort haust; alle jene Pracht und Herrlichkeit, die uns hier entgegen leuchtet, dient zum Aufenthalt der unglücklichen Prinzessin Morgana.«

Ihr könnt Euch leicht denken, welchen Eindruck diese Worte auf das Herz des jungen Mannes machten, und mit welchen Empfindungen er jetzt das Eiland wenige Schritte vor sich liegen sah, nach dessen Erreichung er sein ganzes Leben getrachtet, und wofür er fast den Tod erlitt.

»Höre mich, mein Sohn,« fuhr die Mutter fort, »was du jetzt dort zauberhaft beleuchtet vor dir siehst, ist die Erscheinung, welche die Sterblichen in der Wüste oft am Horizonte auftauchen sehen, und die bei Annäherung der Menschen beständig zurückweicht und entschwindet. Es ist die Fata Morgana; ein Paradies, das die Gnade des Propheten für die Unglücklichen erstehen ließ, zu denen auch deine Mutter gehört, für jene nämlich, die in der Wüste starben, die der Sand bedeckt und denen deßhalb kein Begräbniß zu Theil werden kann, wie es dem Rechtgläubigen zukommt. Ach, für uns ist deßhalb auch nicht die fortdauernde Lust des Paradieses, denn so lange die Sonne am Himmel steht, liegen wir regungslos unter dem Sande und erst, wenn die Nacht aufsteigt, verlassen auch wir unsere Gräber und ziehen in großen unabsehbaren Schaaren gen Osten, in das Reich der Prinzessin Morgana, wo alsdann die Nacht in wilder Lust und Fröhlichkeit zugebracht wird.«

Saladin hörte kaum auf die Worte seiner Mutter, denn sein Herz eilte dem Zuge voran und schwebte schon, von den kühnsten Wünschen umgeben, unter jenen Palmen und Orangenbäumen; sein Auge suchte schon die Stelle auf, wo der Springbrunnen wohl sein könne, an dem er die Prinzessin finden würde.

Jetzt hatten die ersten der Karawane das Eiland erreicht, und die stillen regungslosen Gestalten stiegen langsam von ihren Pferden und Kameelen herab und verschwanden darauf unter den Bäumen und zwischen den Gebäuden in das Innere der Oase, woher jetzt eine sanfte, fröhliche Musik ertönte.

So rückten nach und nach alle Züge der Geisterkarawane ein, bis auf den, bei welchem sich Saladin befand, der sich schon lange vor Ungeduld kaum auf seinem Pferde zu halten vermochte. Jetzt hatten auch sie den Rasen erreicht und die Sklaven stiegen stillschweigend von ihren Rossen, um ihrer Herrin, sowie ihrem Sohne den Bügel zu halten. Hastig warf sich letzterer vom Pferde und wollte rasch in das Gebüsch stürzen, allein seine Mutter hielt ihn an der Hand zurück.

»Wo willst du hin, mein Sohn?« fragte sie ängstlich. »Was treibt dich so rasch vorwärts? O bleibe zurück von den lustigen Tänzen, die meine Unglücksgefährten aufführen. Bleibe ihnen fern, denn sie sind für kein Auge, aus dem noch der Glanz des Lebens strahlt.«

»Ach, meine Mutter,« entgegnete der Jüngling ungeduldig, »was kümmert mich Tanz und Musik? Etwas Anderes, ein süßes schönes Bild trieb mich hinaus in die Wüste und hätte mich dem sichern Tode entgegen geführt, wenn dich der Prophet nicht zu mir gesandt und mich dadurch errettet hätte. Doch jetzt, o Mutter, bin ich dem Original dieses Bildes nah, drum halte mich nicht länger zurück, denn ich muß sie selber sehen, muß mich der Prinzessin Morgana zu Füßen werfen.«

Bei der Nennung dieses Namens verhüllte die Frau ihr Gesicht mit dem Schleier und sagte leise und traurig: »Wehe, wehe, mein Sohn, was ist mit dir geworden? Wer hat den schrecklichen Gedanken in deine Brust gelegt, die Prinzessin Morgana aufzusuchen? O mein Kind, bleibe zurück, folge nicht dem Zuge dieser Unglücklichen, welche die paar ärmlichen Stunden, die ihnen der Prophet allnächtlich vergönnt, in wilder Lust zubringen; denn es könnte dir leicht nach deinem Wunsch geschehen, daß du die Prinzessin Morgana sähest; alsdann würde der Tod plötzlich dein Auge bedecken, und auch du würdest keine Ruhe haben und müßtest bis in ewige Zeiten jede Nacht dein Grab verlassen, und dich auf's Pferd schwingen, um der Geisterkarawane zu folgen.«

Mit den Bitten einer Mutter hat es eine eigene Bewandtniß. So mächtig sich auch Saladin nach dem zauberhaften Eiland gezogen fühlte, so war es ihm doch nicht möglich, seine Mutter zu verlassen, die ihn mit flehenden Worten beschwor, sich nicht in jenes bunte Gewühl zu mischen. Willenlos folgte er ihr und ließ sich an einen stillen Ort der Oase führen, wohin der Glanz des Lichtes nicht drang und wohin sich kein Ton der Musik verirrte. Die Mutter führte ihn zu einer Rasenbank, neben der ein kleiner Quell floß, den hochstämmige Sykomoren und Palmen umstanden, über der Bank und dem ganzen Platz mit ihren Zweigen eine große Laube bildend.

Hier setzte sich die Frau nieder und zog ihren Sohn neben sich auf die Bank, indem sie um Aufschluß bat, was er von dem Dasein der Prinzessin Morgana wisse, und was ihn getrieben habe, dieselbe aufzusuchen.

Mit möglichster Umständlichkeit und mit der größten Begeisterung erzählte Saladin darauf seine Schicksale, erzählte, wie ihn Abu el Deri erzogen, wie sein Pflegevater endlich gestorben und ihn mit dem alten Ismael allein gelassen habe. Dann sprach er in den glühendsten Worten von dem Bilde, das er zufällig gefunden, wie er nach dem Anschauen desselben schwer erkrankt sei und wie ihn von da eine unnennbare Sehnsucht, sich dem Originale desselben, der Prinzessin Morgana, zu nahen, nicht mehr verlassen habe; wie er darauf in Armuth und Elend versunken sei, bis ihn der Kalif Harun al Radschid ausgerüstet und mit der Karawane fortgeschickt habe, die er aber nach einigen Tagen verlassen und, allein umherirrend, beinahe verschmachtet wäre, wenn ihn in dieser Nacht die Mutter nicht gefunden und gerettet hätte.

Bei diesen letzten Worten zog er aus seinem Gürtel das Bildniß, worauf seine Mutter dasselbe betrachtete und ihm entgegnete: »Mein Sohn, mir ist unerklärlich, welche Zaubermacht im Stande gewesen ist, dies Bildniß zu entwerfen; wirklich, es sind die getreuen Züge der Prinzessin Morgana.«

»Siehst du, Mutter,« entgegnete der junge Mann in freudigem Tone, »stehst du, daß meine Träume nicht gelogen, siehst du, daß ich meinen Wünschen nahe bin. Drum halte mich nicht länger zurück, den letzten Schritt zu thun, sie zu sehen, vielleicht ihre Liebe zu erwerben und glücklich zu sein.«

Der Jüngling wollte bei diesen Worten aufspringen, aber die Mutter zog ihn sanft zu sich nieder und bat ihn, aufmerksam zuzuhören, was sie ihm über das Wesen der Prinzessin Morgana mitzutheilen habe.

»Daß es dir gelang, mein Sohn,« sprach sie, »in den Besitz dieses Bildnisses zu kommen, ist keine Gnade, die dir Gott und der Prophet erwies. O es ist vielmehr ein großes Unglück. Denn wenn du schon beim Betrachten dieses Gemäldes krank vor Entzücken und Liebe wurdest, so würde dich, wie ich dir schon gesagt, der Anblick der Prinzessin selbst, deren Schönheit dieses Bild noch tausendfach übertrifft, unfehlbar tödten. Ach, die Glut ihres Auges strahlt so mächtig, daß sie selbst unsere todten Herzen erwärmen und uns das Leben wieder geben könnte, wenn nicht der mächtige Wille des Propheten uns beim aufsteigenden Morgenlicht wieder in unsere Gräber zurückkehren hieße.

»Die Prinzessin Morgana ist die Tochter einer Fee, welche vor der Geburt dieses Kindes die Königin der Feen um eine Gnade bat. Als ihr diese gewählt war, flehte sie thörichter Weise in ihrem Stolz für die Tochter um eine solche Schönheit, die kein menschliches Auge anschauen könne, ohne vor Entzücken und Liebe zu sterben. Ihr Wunsch wurde gewährt, und als die Prinzessin Morgana erwachsen war, richtete diese Gabe sowohl unter den Menschen, als auch unter den Geistern, das schrecklichste Unheil an. Wenn letztere auch beim Anblick der Prinzessin nicht starben, so versanken sie doch in tiefe Schwermuth, weil es keinem gelang, in dem Herzen der Prinzessin Gegenliebe zu erwecken; denn als die Königin den thörichten Wunsch der stolzen Fee erfüllte, fügte sie, um die Prinzessin zu demüthigen, hinzu, daß nur ein Sterblicher im Stande sein solle, ihr Liebe einzuflößen, ein Ausspruch, der nie in Erfüllung gehen konnte, weil alle Menschen, die sie erblickten, von dem Strahl ihrer Schönheit getroffen, plötzlich starben. Ach mein Sohn,« schloß die Mutter, »so würde es dir auch ergehen und ich könnte nichts zu deiner Rettung thun.«

Nachdem Saladin diese Erzählung gehört, fühlte er in seinem Herzen wohl die Wahrheit derselben und überlegte eine Zeitlang, in traurige Gedanken versenkt, was wohl das Schlimmste für ihn sein würde, ob es Wohl trauriger wäre, wenn er sein ganzes Leben in ungestillter Sehnsucht und Liebe verbrächte, oder wenn er mit einem Male durch den Anblick der Geliebten eines plötzlichen, aber doch schönen Todes stürbe.

Während dieser Zeit war indessen die Nacht vorgerückt und die Sterne begannen am Himmel zu erbleichen. Die Pferde, die draußen im Sande zusammen standen, fingen an unruhig zu werden, warfen die Köpfe in die Höhe und scharrten mit den Füßen; denn der Morgenwind, der sich jetzt erhob und langsam über die Fläche dahin strich, durchkältete sie und ließ sie vor Frost erzittern.

»Meine Zeit ist um,« sprach jetzt die Frau zu Saladin, »und ich muß mit der Karawane hinaus in die Wüste flüchten bis zu der Stelle, wo mich der Sandsturm erreichte und bedeckte. Willst du mir folgen, mein Sohn, und bei meinem Grabe warten, bis wir in der nächsten Nacht wieder unsere Reise hieher antreten, oder willst du hier bleiben und auf meine Zurückkunft harren?«

So gern der junge Mann seiner Mutter gefolgt wäre, so kann man sich leicht denken, daß es ihm doch weit lieber war, wenigstens in der Nähe der Geliebten zu bleiben; wobei er seiner Mutter gelobte, daß er keinen Versuch machen werde, die Prinzessin zu sehen. Diese lächelte ihn mit trüber Miene an und entgegnete: »Wenn auch dein Wille gut ist, mein Sohn, so möchte doch deine Sehnsucht, die Prinzessin zu erschauen, meine Worte vergessen machen, deßhalb nimm meinen Schleier, decke ihn über dein Gesicht und er wird dich vor Allem bewahren.«

Darauf drückte sie ihm noch einmal die Hand und schwebte leise hinweg, oftmals zurückblickend und ihm zuwinkend, er möge ihr nicht folgen.

Saladin hatte den Schleier aus ihrer Hand genommen und breitete ihn, ihrem Befehl gemäß, über sein Haupt aus; doch wie ward ihm, als er plötzlich eine unwiderstehliche Müdigkeit in seinem ganzen Körper fühlte. Er mußte sich auf die Rasenbank niederlassen und nachdem er einige Augenblicke vergebens gegen eine Erstarrung angekämpft, die sich aller seiner Glieder bemächtigte, lag er regungslos wie ein Todter da. Es war kein Schlaf, der ihn gefesselt hielt, denn er sah und hörte deutlich Alles, was um ihn her vorging, doch so, als wenn sich Alles, was sich um ihn bewegte, nicht in der Wirklichkeit, sondern nur in seinen Gedanken vorhanden wäre. Er sah, wie seine Mutter zur Karawane zurückging, wie sie sich auf ihr Pferd schwang und von ihren Dienern umgeben dahin flog; wie schwarze und graue Schleier schwebten die Gestalten über den Sand, den die anbrechende Morgendämmerung schon heller färbte, und es dauerte nicht lange, so war der ganze Zug der Geisterkarawane am fernen Horizont und verschwand allmälig seinen Augen. Er lag ruhig da, und ermüdet, wie er nach der durchwachten Nacht war, hieß er den Schlaf herbeikommen, der ihn auch alsbald in seine Arme nahm.

Unterdessen wurde es Tag. Die Sonne stieg am Himmel empor, vergoldete die Spitzen der Palmen und Sykomoren, unter denen Saladin schlief. Obgleich sein Schlaf ein sehr fester war, so fühlte er doch mitten in demselben eine Bewegung, als sei er auf einem großen Schiffe, das von den Wellen getrieben, sanft auf dem Meere schaukelte. Ach, er schwamm ja auch auf einem Meere, freilich bestanden die Wellen nur aus Sand und sein Schiff war eine Oase, aber es war ja die Fata Morgana, auf welcher er sich befand, die am Tage geisterhaft über den Sand dahin gleitet und, wie das Menschenherz, nie einen Ruhepunkt hat.

Plötzlich war es dem jungen Manne, als hör er mitten im Schlaf ein leises Geräusch in den Zweigen der Gesträuche, die sein Lager umgaben, sowie leichte Fußtritte, die näher zu kommen schienen. Er versuchte es, die Augen zu öffnen, und wenn ihm dies auch gelang, so erwachte er doch nicht, wie sonst ein Mensch, aus einem gesunden Schlaf zu vollkommenem Wachen, sondern er befand sich in demselben sonderbaren Zustande, in welchem ihn die Mutter zurückgelassen, nachdem er ihren Schleier über den Kopf gezogen. Er sah Alles in einem gemilderten Lichte. Die grelle Farbe des Sandes draußen kam ihm wie ein leichtes Gelb vor, und er konnte sogar in die glühende Sonne schauen, ohne von ihrem Glanz geblendet zu werden.

Doch wer beschreibt sein Erstaunen und sein Entzücken, als er jetzt um sich schaute und die Gestalt eines Mädchens gewahrte, die sinnend unter den Bäumen umher wandelte und auf ihn zukam, sein Entzücken, sage ich euch, denn er erkannte in der reizenden feenhaften Gestalt die Prinzessin Morgana, wie sie auf dem Bilde gemalt war. Auch jetzt hatte sie den Kopf zur Erde gesenkt und wenn gleich Saladin der Worte seiner Mutter gedachte, daß der Blick des schönen Mädchens tödtlich sei, so vergaß er doch Alles und bat im Stillen den Propheten, er möge ihm nur einmal den vollen Anblick in dies himmlische Gesicht gewähren, er wolle alsdann gern sterben.

Jetzt war die Prinzessin ganz nahe zu ihm herangekommen, hob plötzlich ihren Kopf empor und blieb mit einem erstaunten Blick stehen, als sie hier den fremden jungen Mann gewahrte.

Was sich auch Saladin von ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz gedacht und was er auch davon aus dem Bildnisse entnommen hatte, es wurde unendlich übertroffen von der Wirklichkeit. Bei dem Blick, mit dem ihn die Prinzessin ansah, schien sein Herz auf's Neue erkranken zu wollen. Das Blut tobte wild in seinen Adern und es war ihm, als könne nur der Tod das Feuer, das ihr Blick in ihm entzündet, auslöschen. Doch Dank dem Schleier der todten Mutter, er brach, wie die Glut, die Sonne, auch den Glanz dieser Schönheit, der auf ihn einströmte, und bewahrte ihn so vor dem Tode, der ihn sonst wie jeden andern Menschen getroffen haben würde.

Die Prinzessin ihrerseits war nicht wenig betroffen als sie sah, daß der schöne junge Mann regungslos liegen blieb. Zwar entfernte sie sich nach wenigen Augenblicken wieder, doch nicht, ohne im Weggehen sich noch einige Male nach ihm umzusehen; nur in der Absicht, um sich zu überzeugen, ob der junge Mann nicht vielleicht todt sei, da er sich gar nicht bewege.

Diese Gedanken mochte die Prinzessin Morgana im Lauf des Tages noch öfters hegen, denn Saladin bemerkte zu seiner höchsten Freude, daß sie mehrere Male in die Nähe der Laube kam und aufmerksam nach ihm blickte. Auch war es ihm sehr beruhigend, an den Schlägen seines Herzens zu fühlen, daß der wilde Schmerz, der ihn beim Anblick der Prinzessin fast getödtet hatte, sich jedesmal verminderte, so oft er sie wieder sah und am Abend dieses Tages nur in einem gelinden Stechen bestand, wie es auch andere Menschen in der linken Seite fühlen, wenn sie sich dem Gegenstand ihrer Liebe nahen.

So sank die Sonne hinab und die Nacht stieg langsam herauf, und wie die Dunkelheit sich über die Wüste, sowie über die Oase, in welcher Saladin lag, ausgebreitet hatte, begann in letzterer dasselbe glänzende und bunte Leben wieder, wie in der vergangenen Nacht. Das Wasser in den Springbrunnen und Quellen glänzte in den mannigfaltigsten Farben und zeigte die Bäume und Gebäude in einem zauberhaften Lichte. Musik erscholl von fern her und zugleich fühlte Saladin, wie die unsichtbaren Bande, die seinen Körper gefesselt hielten, allmälig lockerer wurden und er sich wieder bewegen konnte. Er sprang von seinem Lager auf und sein erster Gedanke war, sich in das Innere der Oase zu begeben, sich der Prinzessin Morgana zu Füßen zu werfen und ihr seine Liebe zu gestehen. Allein er erinnerte sich noch zur rechten Zeit an die Worte seiner Mutter und beschloß daher, ihre Rückkehr vorerst abzuwarten.

Bald gewahrte er auch fern in der Wüste die Geisterkarawane, wie sie heranzog und wenig Augenblicke darauf wogten die gespenstigen Reiter in dichten Schaaren heran, verließen eilig ihre Pferde und Kameele und begaben sich in das Innere der Insel, um wie gestern die Nacht in toller Lust zuzubringen. Auch die Mutter Saladin's erschien wieder und eilte freudig auf ihren Sohn zu, als sie sah, daß er sich noch wohlbehalten an dem Orte befand, wo sie ihn gestern verlassen. Er erzählte ihr eilig den Verlauf des verflossenen Tages, daß ihm die Prinzessin mehrere Male erschienen sei, daß seine Liebe zu ihr sich noch tausendmal vergrößert hätte, und daß ihn keine Macht der Erde abhalten würde, sie morgen aufzusuchen, um sich ihr zu Füßen zu werfen.

»Ach, Mutter,« fügte er hinzu, »wer weiß, ob es mir nicht vom Schicksal bestimmt ist, ihre Gegenliebe zu erlangen und der glücklichste Mensch auf Erden zu werden. Wenn mich auch wahrscheinlich dein Schleier bei ihrem Anblick vor einem plötzlichen Tode bewahrt hat, so hat sich mein Auge doch schon an den Strahl ihrer Schönheit einigermaßen gewöhnt und ich will morgen wenigstens den Versuch wagen, sie anzuschauen, sollte ich auch dabei zu Grunde gehen.«

Umsonst waren alle Bitten und alles Flehen der Mutter; die Liebe für die schöne Prinzessin war in der Brust des jungen Mannes zu mächtig geworden, und er fühlte wohl, daß es sich hier auf alle Fälle um Leben oder Tod handle, und als die Nacht vergangen war und die Mutter beim Abschied wieder ihren Schleier zurück ließ, nahm er ihn zwar an, hütete sich aber wohl, ihn wie gestern über sein Haupt auszubreiten.

Hoffend und erwartend saß er da, dem Anbruch des Tages entgegenschauend. Die Sonne stieg jetzt wieder empor und so sehr es ihn auch gedrängt hatte, die Prinzessin aufzusuchen, so zögerte er doch jetzt, als der Augenblick wirklich gekommen war, von Minute zu Minute, und es dauerte eine geraume Zeit, bis er sich endlich erhob und in das Innere der Oase ging.

Wie hoch und herrlich waren hier die Bäume und mit welch' frischem Grün der Rasen bedeckt. Er hatte nie etwas Aehnliches gesehen, die Quellen rieselten so klar über weißen Silbersand dahin und kühlten die Luft ringsum ab. Ach, und wie schön waren erst die schlanken zierlichen Lusthäuser, bei denen er vorbei kam! So konnte es nur im Paradiese sein. Wohin er auch den Blick wenden mochte, beständig zeigte sich ihm eine neue entzückende Aussicht. Licht und Schatten, Bäume und Wasser, verbunden mit den glänzenden Gebäuden wechselten beständig auf die reizendste Art ab. Auf einmal fühlte Saladin an dem ängstlichen Pochen seines Herzens, daß er sich dem Gegenstände seines Suchens nähere; er stand einen Augenblick still, tief Athem schöpfend. Ja, er sah jetzt durch die Bäume den Springbrunnen, den er auf seinem Gemälde so tausendmal angeschaut, und an dem Brunnen saß die Prinzessin, den Kopf in die Hand gelegt, ganz so, wie auf dem Bilde.

Mit leisen zögernden Schlitten nahte er sich, und war es eine plötzliche Schwäche, die ihn anwandelte, oder seine übergroße Liebe, denn er ließ sich ehrerbietig auf ein Knie nieder und wagte es kaum, die Augen zu erheben. Eine Zeit lang blieb er ihr so gegenüber, bis die Prinzessin mit einem Mal das Gesicht in die Höhe hob und einen lauten Schrei ausstieß, als sie den jungen Mann zu ihren Füßen knieen sah. O hätte er doch in diesem Augenblicke den Schleier der Mutter zur Hülfe gehabt, daß derselbe den Strahl ihrer Schönheit etwas gemildert hätte! Wenn er sich auch gestern schon ziemlich an ihren Anblick gewöhnt hatte, so konnte er heute doch den Glanz ihren Schönheit nicht ertragen und sank verwirrt und halb besinnungslos zu den Füßen der Prinzessin.

Als er nach einigen Augenblicken wieder zu sich kam und die Augen öffnete, erblickte er zu seinem unaussprechlichen Entzücken, daß sie sich über ihn gebeugt hatte und mit schmerzlichem Blick aufmerksam auf ihn nieder sah. Obgleich er seine Augen wieder schloß, so fühlte er jetzt statt der verzehrenden Glut, die vorhin sein Herz bedroht, eine sanfte angenehme Wärme durch seinen Körper ziehen. Er faßte die Hand der Prinzessin, drückte sie an sein Herz und konnte kaum die Worte hervorstammeln: »ach, mög' mir der Prophet nur noch wenige Augenblicke schenken, damit ich dir sagen könne, wie sehr ich dich liebe.«

Die Prinzessin schien aber nicht weniger erfreut, als Saladin, und wie man so sah, wie ihr Auge in seines schaute, so konnte man leicht auf den Gedanken kommen, daß eine plötzliche Liebe zu dem schönen Manne in ihrem Herzen Eingang gefunden und der Ausspruch der Feenkönigin erfüllt sei. Denn wenn auch die Schönheit der Prinzessin Morgana so ausgezeichnet war und blieb, daß es nichts Aehnliches mehr auf der Welt gab, so verwandelte sich doch die verzehrende Glut ihrer Augen von dieser Stunde an, wo sie dem jungen Manne ihr Herz geschenkt, in eine angenehme behagliche Wärme, die jedem wohl that, der ihr in's Auge sah.

Ja, Beide liebten sich innig und herzlich, und welch' glücklichen Tag sie heute in der schönen Oase verlebten, kann man sich leicht denken. Unter Scherzen und Spielen ging der Tag vorbei, und als der Abend heraufstieg, erhob sich die Prinzessin von der Seite ihres Geliebten, um sich, wie sie sagte, in ihre Gemächer zurückzuziehen.

»O mein Geliebter,« sprach sie, »von dem Glücke, das mir der Prophet gegeben, indem ich dich fand, muß ich meine Mutter, die über das Schicksal ihrer Tochter beunruhigt ist, in Kenntniß setzen. Der Bote, den ich ihr schicke, ist schnell, und obgleich sie tausende von Meilen entfernt wohnt, wird er doch noch vor Anbruch des Tages zurückkommen und mir die Erlaubniß bringen, diese einsame Oase verlassen zu können und ferner mit dir vereint zu leben.«

Nach diesen Worten entwand sie sich sanft den Armen des jungen Mannes, der es nicht wagte, ihr zu folgen und verschwand zwischen den Gebüschen.

Ungeduldig erwartete Saladin den Eintritt der Nacht, sowie seine Mutter, um sie von dem Glück, das ihm widerfahren, in Kenntniß zu setzen. Es dauerte auch nicht lange, so schwebte die Geisterkarawane heran und die Mutter des jungen Mannes eilte nach der Laube, nicht wenig erfreut, auch heute ihren Sohn wieder zu finden. Noch größer aber war ihr Entzücken, als Saladin ihr die Begebenheit des vergangenen Tags mittheilte, und wie es ihm gelungen sei, die Liebe der Prinzessin Morgana zu erhalten. Er erzählte ihr, daß er wahrscheinlich schon morgen die Oase verlassen werde, um mit seiner Geliebten unter die Menschen zurückzukehren, und sprach dabei seinen Schmerz aus, die Mutter heute zum letzten Male zu sehen. Doch diese tröstete ihn, und bat zugleich, ihrer nicht zu vergessen und ihrem Andenken eine Todtenfeier zu halten, wie sie dem Rechtgläubigen zukomme, damit ihre Seele zu den Freuden des Paradieses eingehen könne und sie nicht mehr jede Nacht der Geisterkarawane zu folgen brauche.

Saladin versprach dies unter häufiger Vergießung von Thränen, und als der Morgen kam, segnete ihn die Mutter, und trennte sich beruhigt von ihm. Sie schwang sich auf ihr Pferd und schwebte zum letzten Mal mit der Karawane dahin. Lange blickte ihr Saladin nach und bat in einem brünstigen Gebete den Propheten, ihrer Seele gnädig zu sein.

Kaum röthete die aufsteigende Sonne die Gipfel der Bäume und spielte auf den vergoldeten Dächern der zierlichen Lusthäuser, so vernahm der Jüngling im Innern der Oase ein verwirrtes Geräusch von menschlichen Stimmen und dazwischen das Wiehern muthiger Pferde, sowie das laute Geschrei der Kameele, welches diese auszustoßen pflegen, wenn man sie bepackt. Erstaunt erhob er sich von der Rasenbank und wandte seinen Schritt gegen das Gebüsch. Er glaubte im ersten Augenblicke, es sei die Geisterkarawane, die noch einmal zurückkehre; allein seine Freude war um so größer, als er jetzt, auf einen freien Platz hinaustretend, der sich in der Mitte der Oase befand, eine andere Karawane, die aus lebendigen Menschen, Kameelen und Pferden bestand, erblickte. Noch größer aber stieg sein Entzücken, als mit ihm zu gleicher Zeit von der andern Seite des Platzes her, die Prinzessin Morgana erschien, umgeben und gefolgt von einer Menge dienender Frauen und Sklaven, zwischen welchen sie schöner hervorstrahlte, als der leuchtende Mond unter den Sternen.

Sie trat dem Jüngling entgegen, reichte ihm die Hand und wandte sich mit folgenden Worten an ihre Dienerschaft, sowie an die ganze Karawane: »seht hier euren Herrn!« worauf die Weiber freudig ihre Schleier wehen, und die Männer ein donnerndes Hussah! erschallen ließen.

»Geliebter,« sprach darauf die Prinzessin zu Saladin, »meine Mutter freut sich über das Glück ihrer Tochter und die Kameele, die du hier mit Schätzen beladen siehst, hat sie zu meiner Ausstattung gesandt. Jedes von ihnen ist reich mit Gold und Silber beladen, und seine unermeßlichen Schätze würden allein für ein ganzes Menschenleben ausreichen.

Darauf winkte die Prinzessin mit der Hand, und schwarze Sklaven brachten zwei prächtige arabische Pferde herbei, welche Saladin und die Prinzessin bestiegen. Sie begaben sich an die Spitze der Karawane, die nun alsbald in die Wüste hinauszog. Als sie die schöne Oase mit ihren frischen grünen Bäumen und dem klaren Wasser hinter sich hatten, wandte die Prinzessin mit ihrem Gemahl ihre Pferde herum und Beide sagten mit leiser Stimme dem Orte Lebewohl, an welchem sie sich gefunden und so glücklich geworden waren. Ach, sie mußten ihm auf ewig Lebewohl sagen. Denn wie ihr Fuß einmal diesen grünen Rasen verlassen hatte, konnte er nie mehr dahin zurückkehren. Sie sahen mit Erstaunen und Ueberraschung, wie sich die Oase von ihnen entfernte, und über den Sand immer weiter und weiter dahin schwebte. Bald erblickten sie sie fern am Horizonte, ganz in derselben Gestalt, wie sie alle Reisenden an schönen Tagen sehen. Die Palmen zittern und schwanken hin und her, das Wasser hebt sich und fällt und die Enden der Fata Morgana verschwimmen allmälig im Sande, so daß man nicht mit Bestimmtheit sagen kann: hier fängt sie an oder dort hört sie auf – ein Bild der Liebe im Menschenherzen. –-

Unter dem Schalle der kleinen Pauken und dem Schmettern großer krummer Hörner zog nun die Karawane ihres Wegs durch die Wüste dahin. – –

Kehren wir nun zu dem alten Ismael und der Karawane zurück, mit der Saladin in die Wüste hinausgezogen war.

Als auf die Nacht, in welcher Saladin sein Zelt verlassen hatte, und seiner Karawane sowie dem alten Diener entflohen war, der Morgen heraufdämmerte, erwachte Ismael aus einem festen und gesunden Schlaf, Er schaute verwundert um sich, als er das Lager seines Herrn leer, erblickte, dachte aber anfänglich nichts Arges dabei, sondern glaubte vielmehr, Saladin sei hinaus vor die Zelte gegangen, um den frischen schönen Morgen zu genießen. Doch als er nach Verlauf einer Stunde noch immer nicht zurück war, trat der Alte vor das Zelt und bemerkte, daß auch das Pferd seines Herrn fehle. Als sich die Karawane endlich zum Aufbruch rüstete und Saladin noch immer nicht erschien, wurde Ismael unruhig und lief in den Reihen umher, und forschte bei den Wachen, ob Niemand etwas von dem Jüngling gesehen habe.

Allein Niemand wollte etwas von Saladin wissen, und somit konnte keiner den armen Ismael aus seiner tödtlichen Angst reißen. Ach, dachte dieser bei sich, wo mag er hin gerathen sein? wer weiß, was ihn verblendet hat, hinaus in die Wüste zu ziehen, wo er gewiß seinen Tod finden wird! Der Gedanke, daß Saladin im Wahnsinn seiner Liebe die Karawane heimlich verlassen, um allein in der Wüste nach dem Original jenes unglückseligen Bildes umherzuschweifen, erfüllte den getreuen Diener mit bangem Schrecken, und als der Jüngling im Lauf dieses und des folgenden Tages nicht zurückkehrte, ward es Ismael zur Gewißheit, daß Saladin allein in der Einöde umherirre. Wie gerne wäre er ihm gefolgt, doch wohin sollte er seine Schritte wenden. Wer hätte ihm können den Weg angeben, den der unglückliche junge Mann genommen? So mußte denn der treue Diener bei der Karawane bleiben, mit der er traurig und niedergeschlagen wieder nach Damaskus zurückkehrte, in welcher Stadt ihn ein neues Unglück betraf, indem die Sklaven, die ihm der Kalif mitgegeben, überdrüssig, einen zu bedienen, der, wie sie glaubten, ihres Gleichen war, an einem frühen Morgen mit sämmtlichen Pferden und allem Geld verschwanden, so daß dem armen Ismael nichts blieb, als der Anzug, den er auf dem Leibe trug, und einige wenige Goldstücke, die er in seinem Gürtel verwahrt hatte.

Was sollte er jetzt machen? Das Räthlichste schien ihm, mit der Karawane nach Bagdad zurückzukehren, denn er glaubte mit Bestimmtheit, daß sein junger Herr, im Falle er mit dem Leben davon komme, ebenfalls dahin zurückkehren werde, um seinen Diener aufzusuchen. Er miethete deßhalb ein altes Kameel, und kehrte nach einer mühevollen und traurigen Reise nach Bagdad zurück.

Wenn auch hier die Leute in den Bazars und auf den Straßen, die damals Uebles von dem alten Ismael und dem jungen Manne gesprochen, diese Geschichte nach deren Abreise bald vergessen hatten, so war denn doch die Karawane kaum zurückgekehrt, als hie und da einer fragte, was denn eigentlich aus jenem alten Spitzbuben geworden sei, und mit welchem Frohlocken vernahmen sie alsdann die Antwort, daß dem Alten unterwegs der junge Mann entlaufen, und Ersterer arm und nackt auf einem schäbigen Kameel allein zurückgekommen sei.

»Seht Ihr es wohl!« rief laut lachend der Barbier an der großen Karavanserei, »seht Ihr es wohl, wie recht ich gehabt! Ja, so geht's! Der Prophet ist so gnädig und schlägt oft die Sünder durch ihre eigene Thaten. Hat doch der Alte geglaubt, den Kalifen zu prellen, und ist nun von dem jungen Schlingel selbst betrogen worden. Gott möge unsern Kalifen Harun al Radschid beschützen! Aber er wird sich für die Zukunft schon in Acht nehmen.«

Der arme Ismael, der von den üblen Nachreden, die sich über ihn verbreitet und sogar bis zum Ohr des Kalifen gedrungen waren, keine Ahnung hatte, sah sich nicht so bald wieder in Bagdads Mauern, als er sich Freitag Morgens in den innern Palasthof begab, um sich dem Kalifen, wenn dieser in die Moschee reiten wollte, zu Füßen zu werfen.

Er hatte hier noch nicht lange gewartet, als der Großvezier durch das Thor ritt, um sich zum Kalifen zu begeben. Kaum wurde dieser den Alten gewahr, als er die Augenbrauen zusammenzog und den Wachen des Schlosses befahl, ihn augenblicklich fest zu nehmen; ein Befehl, der zu Ismails größtem Schrecken auch pünktlich befolgt wurde. Zwei Soldaten nahmen ihn in die Mitte und brachten ihn vorläufig in eines der Gefängnisse des Palastes, wo er bis zum folgenden Tag sitzen mußte.

Der arme Ismael, der in der letzten Zeit schon viel Unglück erfahren hatte, nahm auch diese Gefangennehmung als ein Schicksal hin, womit ihn der Prophet prüfen wolle. Ueberdies glaubte er nicht anders, als daß man ihn mit einer andern Person verwechselt habe, weil er sich keines Unrechts bewußt war. Nachdem er die Nacht unter sehr traurigen Betrachtungen in seinem Gefängniß zugebracht, wurde er am andern Morgen vor den Kalifen geführt, der sich mit seinem Großvezier allein in einem Saale befand, aber Beide hatten ganz und gar nicht das freundliche Aussehen, wie das erste Mal, als Ismael vor das Antlitz des Beherrschers der Gläubigen getreten war.

Harun al Radschid runzelte bei seinem Eintritt die Stirn und der Großvezier befahl ihm, näher zu treten.

»Wer bist du?« begann der Letztere; eine Frage, welche Ismael freudig also beantwortete: »Ach, Herr, ich habe die Gnade, von dir gekannt zu sein, ich bin Ismael, der Diener Abu el Deri's.« Der Aermste glaubte nämlich immer noch, daß mit ihm eine Verwechslung vorgegangen sei, und mau habe ihn für einen Anderen eingesteckt. Aber wie sehr erschrak er, als ihn der Vezier mit zornigem Tone anfuhr! »Wie, du wagst es noch, vor dem Angesicht deines Herrn und Kalifen auf deiner Lüge zu beharren. Abu el Deri war ein rechtgläubiger Muselmann, und hat nie Diebe und Betrüger zu seinen Dienern gehabt.«

»Ach, Herr,« entgegnete Ismael, was sagst du da? Ich bin ein armer alter Mann, den das Unglück hart darniedergebeugt hat, aber so wahr mir der Prophet helfen soll, ich habe niemals auch nur den Werth eines Piasters gestohlen oder veruntreut, auch niemals die Unwahrheit gesprochen.«

»Höre, Ismael,« sagte der gutmüthige Kalif, »dein Läugnen kann zu nichts führen, gestehe lieber dein Unrecht ein, damit ich dir ein gnädiger Herr sein kann.«

»Aber was soll ich denn eigentlich gestehen?« jammerte der Alte, indem er sich vor dem Kalifen auf die Knie warf.

»Zuerst,« begann der Großvezier wieder, »wer war der junge Mensch, den du für den Pflegesohn Abu el Deri's ausgabst, und wo ist er geblieben?«

»Ach, Herr, der junge Saladin,« entgegnete der alte Mann, »es war ja der Pflegesohn Abu el Deri's. Aber wo er geblieben ist, das weiß nur Gott und der Prophet.«

»So,« entgegnete der Vezier, »also beharrst du bei deinen Lügen; nun so muß ich an deiner Statt dir selber die Wahrheit sagen, damit du auch weißt, daß wir hinter deine Schliche gekommen sind, und nicht etwa glaubst, man habe dich widerrechtlich gefangen gesetzt. Der junge Spitzbube, den du als den Pflegesohn Abu el Deris bezeichnetest, und den mein großmüthiger Herr, der Kalif, auf dein klug ausgesonnenes Märchen reichlich beschenkte, ist ebenso wenig der Pflegesohn Abu el Deri's, als du dessen Diener. Auch ward er nicht als Kind im Sande der Wüste gefunden und von dir auferzogen, sondern du fandest ihn in einer Barbierstube, woraus du ihn mitnahmst und abrichtetest, um deinen Herrn den Kalifen zu betrügen.«

Ismael wußte bei dieser Anklage nicht, was er sagen sollte; so etwas hatte er nicht erwartet, und als er aus seinem ersten Schrecken wieder zu Worte kommen konnte, betheuerte er bei dem Barthe des Propheten und bei Allem, was sonst noch heilig, daß sich der Großvezier irre, und daß Saladin wirklich der Pflegesohn Abu el Deri's sei. Allein was halfen ihm seine Betheuerungen und Schwüre, was half es ihm, daß er ausführlich seine Reise beschrieb bis zu dem Augenblicke, wo er seinen jungen Herrn verloren hatte. Der Großvezier glaubte ihm ebensowenig wie der Kalif, und als Ismael geendigt hatte, klatschte der Vezier in die Hände, und ließ den Barbier von der großen Caravanserei herbeiführen.

Dieser wiederholte seine Aussage, daß der junge Mensch, der unter dem Namen Saladin vom Kalifen so reichlich beschenkt worden war, einer seiner Gehülfen gewesen, der ihm vor ein paar Monaten davon gelaufen sei. Auch fügte er mit einem Seitenblick auf Ismael hinzu: »Beherrscher der Gläubigen! Kein Mensch ist im Stande zu behaupten, daß er sich nicht irren könne, allein es ist mir, als hätte ich gerade zu jener Zeit diesen Alten mit dem jungen Menschen oft im Gespräche gesehen, wahrscheinlich als sie sich darüber beriethen, wie es am besten anzufangen sei, die Großmuth deiner Hoheit zu mißbrauchen.«

Der Kalif hörte diesen Verhandlungen mit finsterm Blicke zu, und als der Barbier geendigt hatte, sagte er zu dem alten Manne: »Höre, Ismael, es thut mir leid, dich auf dieser Untreue ertappt zu haben, und wenn meine Gnade dich auch gerne ungestraft entließe, so bin ich es doch der Gerechtigkeit schuldig, deinen Betrug zu ahnden. Da ich aber nicht Richter und Ankläger in einer Person sein will, so sollst du vor den Kadi meiner Stadt Bagdad gebracht werden, welcher nach genauer Erwägung aller Umstände Recht über dich sprechen wird.«

Danach wurde Ismael wieder in's Gefängniß zurückgebracht und am andern Tage vor den Kadi geführt, bei dem der Barbier seine Aussage von gestern wiederholte, worauf der Oberrichter der Stadt Bagdad dahin urtheilte, daß Ismael sich des Verbrechens schuldig gemacht, den Kalifen durch eine erdichtete Erzählung betrogen zu haben, und ihm als Strafe fünfhundert auf die Fußsohlen, sowie zehn Jahre Gefängniß zuerkannte. Als Vergünstigung gab ihm der Oberrichter noch eine Frist von drei Tagen, binnen welcher Zeit der junge Mann vielleicht zurückkehren könne, um seine Unschuld zu beweisen.

Die Gnade des Kalifen erließ ihm zwar die fünfhundert Hiebe auf die Fußsohlen, als aber die drei Tage verstrichen waren, ohne daß Saladin zurückgekommen, wurde Ismael an die Gefängnisse abgeliefert und mit Spitzbuben und Mördern dazu gebraucht, auf dem Tigris Schiffe zu ziehen und ähnliche schwere Arbeiten zu verrichten.

So weit war der Unglückliche nun gekommen, durch die Anhänglichkeit an seinen alten und seinen jungen Herrn, sowie durch den Leichtsinn des Letztern. Ach, Ismael freute sich nur, daß er nach dem Laufe der Dinge doch nur noch wenige Jahre dazu bestimmt sei, unschuldiger Weise diese harte Strafe zu erleiden. Jetzt erst freute er sich recht seines Alters, und sah dem Tod als einer Wohlthat entgegen, der ihn alsdann von allem Unglück befreien würde. Es schmerzte ihn tief, daß ihn der gütige Kalif in der That für einen Betrüger hielt, und er würde sich gern noch einer härteren Strafe unterworfen haben, wenn er nur den Kalifen Harun al Radschid, sowie dessen Vezier von seiner Unschuld hätte überzeugen können. Freilich blieb ihm noch eine schwache Hoffnung, sein Herr könne doch noch wiederkehren, ja vielleicht glücklich wiederkehren, um seine Unschuld auf's Glänzendste zu bezeugen. Doch verfloß Tag um Tag, und Woche um Woche – und Ismael hatte immer vergebens gehofft, und in das Land hineingeschaut.

Da traf es sich eines Morgens, daß er mit mehreren andern seiner Mitgefangenen beschäftigt war, ein großes Schiff den Fluß hinaufzuziehen. Die Hitze des Tages war drückend und schwül, deßhalb durften die armen Gefangenen hin und wieder von der Arbeit ablassen und sich in den Schatten der Bäume legen, die am Ufer standen. Hier lag denn Ismael und schaute betrübt hinaus in die Ferne, als er von Weitem eine große und reiche Karawane erblickte, die gen Bagdad zog. Beim Anblick der beladenen Kameele und der zahlreichen Sklaven dachte er lebhaft an seine früheren Zeiten, wie er mit seinem Herrn Abu el Deri froh und munter durch die Welt gezogen sei.

Indessen kam die Karawane näher und Ismael, sowie die andern Gefangenen gestanden sich, in langer Zeit keinen so prächtigen Zug gesehen zu haben. Die Kameele waren alle von ungewöhnlicher Schönheit und Stärke, und auf's Sorgfältigste und Reichste beladen. Die Menge der Sklaven war kaum zu zählen und alle ritten kräftige und schöne Pferde, und ihre Anzüge waren so reich, daß man sie alle für Herren hätte halten können, wenn nicht die Besitzer der Karawane selbst in der Mitte des Zuges durch den Glanz ihrer Gewänder und die Pracht ihrer Rosse alle Blicke auf sich gezogen hätten. Hier sah man auch eine große Menge Sklavinnen, die eine schöne Frau umgaben, und den Glanz der goldgestickten Gewänder und Schleier konnte das Auge kaum ertragen.

Ismael wandte sein Auge ab und ging seufzend wieder an seine harte Arbeit, indeß die Karawane stolz und prächtig in die Mauern Bagdads einzog.

Obgleich der arme Sklave schon viele Karawanen bei sich hatte vorbeikommen sehen, so hatte doch keine seine Einbildungskraft in so hohem Grade erregt, wie die von heute Morgen, und als er nach mehrstündiger Arbeit mit seinen Mitgefangenen am Ufer des Tigris im Schatten ausruhen durfte, baute er sich die angenehmsten und schönsten Luftschlösser und dachte: »Ach, wenn dein junger Herr auch einst in solch prächtigem Aufzuge zurückkäme und dich erlöste, wenn er zurückkäme und vor den Kalifen Harun al Radschid hinträte, um ihn zu fragen, was denn aus seinem treuen Diener Ismael geworden sei, und wenn er an seiner Hand die wunderschöne Prinzessin führt, ein lebendiges Zeugniß, daß ich nicht gelogen, sondern die Wahrheit gesprochen habe.« –

So lag er da und verzehrte sein hartes Brod, als plötzlich der Oberaufseher der Gefangenen, von zwei Sklaven begleitet, eiligst daher geritten kam, und dem alten Manne befahl, ihm zu folgen.

Ismael, der anfänglich fürchtete, der Oberrichter der Stadt Bagdad lasse ihm nachträglich die geschenkten fünfhundert Hiebe auf die Fußsohlen noch auszahlen, indem er sonst nicht wußte, was man von ihm, dem armen unbekannten Menschen wolle, begleitete er den Oberaufseher traurig in seine Wohnung und war nicht wenig erstaunt, als man ihm hier seine alten schlechten Kleider abnahm, und ihm dafür einen guten Kaftan und einen reinen Turban anzog. Auf seine Fragen sagte ihm der Aufseher der Gefangenen nur: er wisse nichts weiter, als daß er Befehl habe, ihn augenblicklich vor das Angesicht des Kalifen zu bringen. Ach, schon diese Botschaft erfüllte den alten Mann mit freudigem Schrecken; denn was konnte der großmüthige Kalif anders von ihm wollen, als ihn begnadigen. Vielleicht, dachte er, ist deine Unschuld an den Tag gekommen oder am Ende gar dein junger Herr zurückgekehrt. Doch dieser letzte Gedanke war ihm zu groß und herrlich, als daß er es vermocht hätte, ihn ferner auszumalen.

So gelangten sie zum Palaste des Kalifen und Ismael wurde in eine Vorhalle geführt, wo ihm der Großvezier Abdallah in eigener Person entgegen kam, ihm die Hand reichte und mit bewegter Stimme sagte: »Ismael, wir haben in unserer Verblendung dir unrecht gethan; aber der Prophet, der deine Unschuld an den Tag kommen ließ, wird dir dafür eine glänzende Belohnung geben. Folge mir nun zum Kalifen.«

Der alte treue Diener zitterte vor Freude und Entzücken und folgte dem Großvezier in das anstoßende Gemach. Hier blieb er mit gesenktem Aug' an der Thür stehen und vermochte es im ersten Augenblicke nicht, dem Kalifen in's Gesicht zu schauen. Doch als ihn dieser freundlich bei Namen rief, blickte er empor und wer beschreibt sein Erstaunen und seine unendliche Freude, als er seinen jungen todtgeglaubten Herrn erblickte, der ihm jetzt entgegen kam und ihm weinend um den Hals fiel.

Fast wäre der alte Mann dem Uebermaße der Freude erlegen, als ihm Saladin mit kurzen Worten seine Geschichte erzählte; und als er ihn darauf bei der Hand nahm und vor seine Gemahlin, die Prinzessin Morgana führte, ward Ismael von all' dem Gehörten, sowie von der Schönheit der Prinzessin so überrascht, daß es ihm dunkel vor den Augen ward, und er sich auf den Divan niederlassen mußte, um nicht umzufallen.

Jetzt war Freude überall, der junge Saladin baute sich einen prächtigen Palast am Ufer des Tigris und lebte hier mit seiner schönen Gemahlin und seinem treuen Diener, wegen seiner Freigebigkeit und seinem Reichthum von allen Menschen geliebt, und wegen seinem edlen Herzen und seinen guten Eigenschaften von dem Kalifen hoch geehrt.

Da aber durch den Austritt Ismaels bei den Gefangenen eine Stelle frei wurde, beförderte der Kalif den spitzbübischen Barbier dahin, nachdem er vorher die fünfhundert Hiebe wohlgezählt auf die Fußsohlen erhalten hatte, die dem getreuen Diener bestimmt gewesen waren.


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