Friedrich Wilhelm Hackländer
Humoristische Erzählungen
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Kriegsspiele.

Einberufung der Landwehr. Marsch der Linie.

Bei den großen Manövern, welche in Preußen alle drei bis vier Jahre gehalten werden, wie überhaupt in der ganzen Bewaffnung dieses Militärstaates, spielt die Landwehr eine sehr große Rolle. Jeder Staatsbürger wird in seinem einundzwanzigsten Jahre vor eine Aushebungscommission gestellt, die ihn auf das Gutachten von Aerzten zum Militärdienste körperlich tauglich oder untauglich erklärt. Letzteres kommt viel seltener vor, als man glauben könnte; wer befreit werden will, muß für jede Waffenart, selbst für den Train, untauglich sein. Mit einem fehlenden Auge oder einer verkrüppelten Hand ist es nicht gethan. So erinnere ich mich sehr gut, unter den »Fahrern« der Geschütze schöne starke Leute gekannt zu haben, die an der linken Hand verwachsene unbrauchbare Finger hatten, und doch nach einiger Uebung ihren Zügel ganz gut zu führen wußten und den Dienst auf's Beste versahen. Die Dauer der Dienstzeit für jede Waffenart ist gesetzlich auf drei nach einander folgende Jahre festgesetzt; sie wird jedoch bei der Infanterie auf ein und ein halbes Jahr, bei der Reiterei und Artillerie auf zwei und ein halbes Jahr ermäßigt, nach welcher Zeit die Leute zur Kriegsreserve entlassen werden, von der sie zur Landwehr übergehen, um in diesem Verbande bis zum vierzigsten Lebensjahr zu verbleiben.

Dies klingt hart; eine solche Fessel, welche alle Lebensverhältnisse einzuzwängen scheint, kommt dem Ungewohnten unerträglich vor. Der Preuße macht sich auch im Allgemeinen keineswegs ein Vergnügen daraus, nach der Dienstzeit in der Linie noch eine Reihe von Jahren Landwehrmann zu bleiben; aber jeder erkennt die Nothwendigkeit des großartigen Instituts und bringt gern dem allgemeinen Besten alle drei bis vier Jahre einige mühevolle Wochen zum Opfer. Denn vom Appell, der jährlich zweimal die Landwehr zusammenruft, ist gar nicht zu reden; diese Versammlungen werden von den Leuten meist als Lustpartieen angesehen. Der Appell wird in der Nähe selbst jedes größern Dorfes Compagnienweise abgehalten. Man wählt hiezu gewöhnlich den Sonntag, um keine Arbeitszeit zu verderben. Außer den Landwehrmännern selbst findet sich eine Menge von Zuschauern aller Classen ein, und ein buntes Gewühl bedeckt den Platz. Schenkwirthe und Marketender haben sich ebenfalls eingefunden, und wenn nicht der lustige Ton der Fidel fehlte, könnte das Ganze für ein Volksfest gelten; es wird dabei gelacht, gejubelt und zuweilen etwas geprügelt, gerade wie bei den Kirchweihfesten. Die Soldaten, die hier manchen alten Bekannten treffen, den sie vielleicht im ganzen Jahre nicht gesehen, und sich dabei mancher Streiche aus dem Garnisonsleben erinnern, necken einander, und selbst gesetzte Familienväter gedenken mit Lust der Zeit ihres Rekrutenstandes und lachen und scherzen, als habe ihnen so eben erst der Capitän d'Armes die Exerzierjacke angezogen. Natürlich erscheinen dabei Alle in ihren Civilkleidern, und nur die Lieutenants, die gestern noch mit der Feder hinter'm Ohr ihren heutigen Soldaten die Rechnungen ausgestellt oder fertige Waaren abgenommen, brüsten sich in ihren Uniformen, ohne sich heimisch darin zu fühlen. Bald zwängt sie der steife Kragen, bald kommt ihnen der Degen zwischen die Beine, und so sehr sie sich bemühen, recht militärisch auszusehen, so blickt doch beständig ihr friedliches Gewerbe störend aus dem Waffenschmucke hervor.

Endlich kommt etwas Ruhe in den bewegten Haufen; man gewahrt den Landwehrmajor, der mit seinem Adjutanten zu Pferde auf dem Appellplatze erscheint. Ihm folgt der Feldwebel, der sich vor seinen Kameraden in der Linie durch ein noch würdevolleres, gemesseneres Benehmen und eine weit stärkere Brieftasche unterscheidet, die zwischen dem zweiten und fünften Knopfe seiner Uniform wie ein Vorgebirge hervorsteht. Daß sich der Feldwebel der Landwehr an solchen Tagen ein großes Ansehen zu geben sucht, ist sehr natürlich; er ist ein entlaubter Stamm, dem innen im Marke die schaffende Gewalt wohnt, die schaffende Gewalt der Landwehrliste, die ihm am Appelltage wie mit einem Zauberschlage eine dreimal größere Anzahl Untergebener zuwirft, als seine Collegen in der Linie commandiren. – Beim Erscheinen des Majors und des Feldwebels ordnet sich der Haufen der alten Soldaten von selbst in drei Glieder und bildet eine Fronte; der Feldwebel liest darauf die Namen Aller ab, die zu seiner Compagnie gehören und demnach auf dem Platze sein müssen. Jeder Gerufene tritt aus dem Gliede und stellt sich einige Schritte abwärts, so eine neue Linie bildend, damit keine Unterschleife vorkommen und etwa einer für drei, vier Bekannte, die es nicht für gut gefunden hätten, beim Appell zu erscheinen, auf ihre Namen mit »Hier« antwortet. Nachdem die Compagnie verlesen und die Fehlenden notirt sind, läßt der Major einen Kreis schließen, theilt der Compagnie mit, was im Laufe des halben Jahrs im Bataillon vorgefallen ist, als da sind Urlaubsbewilligungen, Arrestverleihungen, kurz Alles, was die Soldaten angeht, und entläßt darauf die Mannschaft mit einer Rede voll Salbung.

Etwas ganz Anderes als diese jährlichen Musterungen sind die kleinern und größern Manöver. Schon bei den erstern wird die Landwehr in Regimenter und Brigaden zusammenberufen, erhält Waffen und Montirungsstücke und exerziert vierzehn Tage bis drei Wochen in verschiedenen Bezirken. Alle vier bis sechs Jahre wird nun aber ein sogenanntes großes Manöver abgehalten, an welchem ein oder, wie in diesem Jahre, zwei Armeecorps Theil nehmen.

Wenn es schon bei den gewöhnlichen Appells und kleinen Manövern schwer hält, Urlaub zu erhalten, so ist es dem Landwehrmann fast unmöglich, sich vom Dienst bei den großen Manövern zu befreien. Wer nicht die in's Kleinste eingreifende Pünktlichkeit des Landwehrinstituts kennt, begreift freilich schwer, daß es dem Einzelnen nicht möglich sein sollte, in der Masse zu verschwinden. Aber wie der Herr der himmlischen Heerschaaren die Haare auf unserem Haupte zählt, so weiß der Landwehrfeldwebel genau, wie es um jeden seiner Untergebenen steht. Er hat ihn vielleicht nie gesehen und weiß dennoch von der Farbe seiner Haare bis zum Untergestell des Körpers, die besondern Kennzeichen mit eingeschlossen, ganz genau, wie der Mann aussieht; ja seine Laster und Untugenden sind in den Annalen der Regimenter für ewige Zeiten niederlegt, und diese Zeugen der Vergangenheit können oft recht unangenehm in die Gegenwart hinüber spielen.

Die Landwehr kann unglaublich schnell zusammengezogen werden. Alle Vorräthe sind da; Uniformen, Waffen, Geschirre hängen, Nummerweise geordnet, in den Zeughäusern und sind rasch ausgegeben. Auf dem Bureau des Landwehrmajors liegen gedruckte Einberufungszettel unterschrieben bereit, in denen nur das Datum ausgefüllt zu werden braucht. So kommt denn an einem schönen Morgen mittelst Telegraphen von Berlin der Befehl, die Landwehr dieses oder jenes Armeecorps in kürzester Zeit zusammenzuziehen. Eine halbe Stunde darauf gehen Estafetten an die betreffenden Bataillonscommandanten, welche die Einberufungszettel augenblicklich ausfüllen und den verschiedenen Landräthen übersenden. Diese wissen innerhalb vierundzwanzig Stunden jedem Manne diese geschriebene Ordre zuzustellen und haben außerdem die Verpflichtung, alsbald eine Bekanntmachung zu erlassen, nach welcher alle Pferde des Kreises an einem bestimmten Tage in die Kreisstadt gebracht werden müssen, damit dort die zum Dienst der Reiterei und des Fuhrwesens nöthigen und tauglichen ausgewählt werden. Zugleich sind vom Commando des Armeecorps die Linienoffiziere bezeichnet worden, welche als Hauptleute und Regimentscommandanten bei der Landwehr den Dienst versehen sollen.

So kommt denn der Tag, der Alles in der Provinz in die größte Bewegung versetzt. Die Landwehrmänner ziehen von ihren Dörfern oder Städten in großen Haufen nach dem Versammlungsort, und wer nicht weiß, von was es sich handelt, könnte an eine Völkerwanderung glauben. Da fährt nun dem ehrsamen Schmied- und Webermeister der alte muntere Handwerksbursche in die Knochen. Die bestaubten und längst vergessenen Attribute dieses lustigen Standes, das schwere Felleisen und der knotige Wanderstab werden hervorgesucht, hinter dem Ofen hervor langt er eine alte Regimentsmütze, die er während seiner Dienstzeit getragen, und ist der Einberufene ein Reiter, so werden die Stiefeln schon zu Hause mit großen Sporen besetzt, damit man gleich auf dem Marsche sieht, er gehöre zu dem bei den Mädchen weit renommirteren Pferdevolke. Die Zeit vor dem Ausmarsch zu den Manövern ist eine Zeit der Thränen und der Noth, und man könnte wirklich glauben, es gehe gegen den Feind und der Abschied sei auf Nimmerwiedersehen. Da werden alle zarten Verhältnisse noch einmal genau durchgemustert, die schadhaften entweder ausgebessert und für die Ewigkeit prolongirt, oder zerrissen. Wenn sich der Landwehrmann freut, wieder einmal eine Weile mit seinen alten Kameraden lustig zu verleben und ein Glas über den Durst trinken zu dürfen, ohne daß er dafür zu Hause eine Gardinenpredigt erwartet, so sehen die Zurückbleibenden dem Auszug der Soldaten mit weit minder behaglichem Gefühle zu. Weib und Kinder haben daheim nicht selten mit Nahrungssorgen zu kämpfen, und die Geliebte entläßt ihren Jüngling fast mit denselben Gefühlen, als sähe sie ihn den Kugeln des Feindes entgegen ziehen. Ach! und sie hat nicht Unrecht. In was für neue Verhältnisse kann er kommen! und die Angriffe schöner Augen, denen sich sein Herz bloß stellt, sind für ihre Liebe wohl gefährlicher, als das Kleingewehrfeuer.

Die Comptoirchefs und die alten Handwerksmeister sind in diesen Tagen verdrießlicher als je; denn Feder, Elle und Nadel werden nicht mehr gehandhabt wie sonst; die jungen Leute erzählen einander von den Heldenthaten, die sie auszuführen gedenken, singen Kriegs- und Schelmenlieder, und auf mancher Oberlippe erscheint vorwitzig ein, besonders bei den alten Kaufherren hoch verpönter Schnurrbart.

Endlich gerathen die Kreisstädte in die lebhafteste Bewegung. Die Landwehrmänner sind angelangt und umstehen das Rathhaus in allerlei Kostümen. Ein geübtes Auge unterscheidet leicht die verschiedenen Handwerke und Waffenarten. Der Schuster trägt einen kurzen Rock, der Schmied einen langen, der ihm bis auf die Füße reicht, und der Schneider ist nach der neuesten Mode gekleidet. Die Artillerie und Reiterei halten sich gesetzt, so wie sie pflegen, und die Infanterie sucht sich ein Ansehen zu geben, indem sie am meisten lärmt und sich vor den Wirthshausthüren herumtreibt.

Von hier aus zieht jede Compagnie nach der Stadt, wo sich der Major aufhält und wo sich die Kammer befindet, von der der Landwehr die Uniformen und Waffen abgegeben werden. Auch die Pferde sind hier versammelt, und von den dazu commandirten Reiterofficieren der Linie werden von den tauglichen so viele ausgesucht, als für die Escadron nöthig sind. Jeder Eigenthümer erhält sodann für sein Pferd einen Empfangschein, worauf die Summe bezeichnet ist, die er während der Dauer der Manöver täglich für sein Pferd erhält. In einigen Kreisen beträgt die tägliche Miethe einen preußischen Thaler, in andern sogar einen Thaler und zehn Groschen, und außerdem versteht es sich von selbst, daß jeder Schaden, der dem Pferde zustößt, sei es, daß das Thier bei der Zurückkunft lahmt oder gedrückt ist, dem Eigenthümer besonders vergütet wird. Welch große Kosten dem Staate schon hieraus erwachsen, ermißt sich leicht, wenn man bedenkt, daß oft die Escadronen und Regimenter, die sehr weit zum Sammelplatz haben, mit Einschluß der Manöverzeit, zwei Monate im Dienst sind. – Die Mannschaft wird sofort equipirt und vom Gewehr bis zum Ueberzug des Kochgeschirrs mit allem Nöthigen versehen. Alle Landwehrmänner erhalten nun ihre Quartierbillets und haben für morgen Stunde und Ort erfahren, wann und wo das Exerzieren beginnen soll.

Am Einzug und dem Zusammentreten der Landwehr nimmt Alles in den Kreisstädten, von dem Alten, der das eiserne Kreuz auf der Brust trägt, bis zum kleinsten Schulknaben, den lebhaftesten Antheil. Die Hauseigentümer haben lieber Landwehr im Quartier als Liniensoldaten und die Buben laufen den ankommenden Soldaten entgegen, um ihnen Tschako und Waffen nachzutragen, was äußerst possierlich aussieht. Jetzt beginnen die Exerzitien, und nachdem sich die Leute erst wieder in der entwöhnten Kleidung etwas zurecht gefunden haben, erlangen sie in kurzer Zeit ihre frühere Fertigkeit im Gebrauch der Waffen. Da die Landwehr meistens aus ältern, kräftigern Leuten besteht und gewissermaßen mit der Linie rivalisirt, so bemüht sich Alles, die Handgriffe und Bewegungen auf's Pünktlichste auszuführen. Gewöhnlich weiß es auch die Militärbehörde so einzurichten, daß auf demselben Platze ein Linienregiment neben der Landwehr exerziert, wo dann letztere ihr Möglichstes thut, um nicht hinter den Rekruten zurückzubleiben. Beide Theile schielen eifersüchtig zu einander hin und jeder sucht den andern an Genauigkeit zu überbieten. Der Haufe der Zuschauer, die sich immer sehr zahlreich einfinden, ist in gleicher Erregung und tritt bald zu diesem, bald zu jenem Corps, je nachdem da oder dort das Exerzitium exacter und prompter ausgeführt wird. Wie bei einem Wettrennen feuert der Volkshaufe beide Parteien durch lautes Geschrei zu immer größerer Anstrengung an, und das Regiment, das nach der Ansicht des Demos am besten exerziert hat, wird mit lautem Jubel nach der Stadt zurückbegleitet. Die Menge, in der die Meisten selbst Soldaten waren, irrt sich selten, und wenn der Sieg gewöhnlich der Landwehr zuerkannt wird, so ist dies nicht Parteilichkeit; man muß im Allgemeinen wirklich anerkennen, daß die gesetzten ruhigen Männer der Landwehr nach wenigen Tagen besser exerzieren, als die jungen Leute der Linie.

Mit der Reiterei hält es freilich etwas schwerer wegen der fehlerhaften, kaum gerittenen Pferde. Diese Thiere kommen vom Wagen des Fiakers, vom Pfluge des Bauern, aus den Ställen der Vermiether und haben alle möglichen Untugenden an sich, hauptsächlich die, daß sie neben fremden Pferden nie ruhig gehen und einander vorauseilen wollen, wodurch ein beständiges Anprellen, Vorspringen und so ein Zerreißen der Fronte entsteht. Doch schon während der Vorübungen, welche etwa vierzehn Tage dauern, gewöhnen sich die Pferde, mit einigen Ausnahmen, an einander, und es wird bald möglich, selbst in schnellerer Gangart mit dem Regimente vorzugehen. In diesem Zeitpunkte ist, was die Haltung und das militärische Aussehen betrifft, der Landwehrmann von dem Liniensoldaten nur dadurch zu unterscheiden, daß ersterer viel kräftiger und energischer auftritt und einen größern Bart trägt als dieser, der kaum erst in das Alter getreten ist, wo uns die Natur diesen Gesichtsschmuck bewilligt.

Nach den Vorübungen wird die Landwehr in Brigaden und Divisionen zusammengezogen. Jedes Infanterieregiment besteht aus drei Bataillonen und einem Reservebataillon und wird von einem Major der Linie commandirt. Auch jedes Reiterregiment zu drei Escadronen hat eine Reserveescadron. Die Bataillone und Escadronen werden von dem betreffenden Landwehrmajor, der auch den jährlichen Appell abhält, befehligt; aber die Compagnieführer sind meist Offiziere aus der Linie, zuweilen aber auch avancirte Landwehrlieutenants. Für und wider dieses Einschieben der Subalternoffiziere der Linie in die Landwehr ist besonders in neuerer Zeit viel gesprochen und geschrieben worden. So viel ist gewiß, daß der Landwehrmann eine kameradschaftlichere Behandlung von seinen Offizieren verlangt, als sie die Subalternoffiziere den Soldaten der Linie meistens angedeihen lassen.

Die Landwehrreiterei besteht nur aus Lanzenreitern, zu welchen Alle übergehen, die in der Linie als Husaren, Dragoner und Kürassiere gedient. Ihre Bewaffnung besteht in der Lanze, dem Säbel, der Pistole, und außerdem ist der vierte Zug jeder Schwadron, die Flankeurs, mit Karabinern versehen. Die Landwehrartillerie hält nur ihre jährlichen Schießübungen, zu welchen ihr Geschütze und Pferde von der Linie gestellt werden. Da die Artilleriebrigaden der Linie stark genug sind, um bei den großen Manövern zu markiren, und da es dem Staate zu große Kosten machen würde, der Landwehrartillerie ebenfalls die nöthigen Pferde zu stellen, so wird diese nicht herangezogen, sondern von ihren besondern Schießübungen nach Hause entlassen.

Das gleichzeitige Zusammenziehen der Linie zu Brigaden, Divisionen und Armeecorps ist natürlich mit weit weniger Schwierigkeiten verbunden und kann rascher bewerkstelligt werden; doch werden auch hiezu große Vorbereitungen gemacht. Auf den Kammern wird Alles revidirt, bei der Reiterei und Artillerie Pferde und Geschirre sorgfältig gemustert und überall fleißiger als je exerziert. Beim Appell, wo früher nach fehlenden Knöpfen oder zerrissener Uniform gespäht wurde, müssen jetzt Mantelsäcke und Tornister, kriegsmäßig gepackt, vorgezeigt werden, und dies geschieht oft, ehe der Soldat im Stande ist, die vielerlei vorgeschriebenen und nöthigen Sachen in das enge Behältniß hinein zu zwängen. Bei Tag und bei Nacht werden Marschübungen gehalten, wobei Alles mit vollständigem Gepäck und Waffen ausrückt, damit sich die Mannschaft vorläufig etwas daran gewöhne, die schwere Rüstung halbe Tage lang, oft in brennender Sonnenhitze, mit sich herumzuschleppen. Auch die Soldaten ordnen ihre kleinen Privatangelegenheiten, als ginge es in Krieg und Tod, das heißt, sie rechnen mit den Marketendern und Commisweibern ab und bezahlen ihre Schulden, um auf dem Marsche und im Lager neue machen zu können. Endlich werden aus den Unteroffizieren und Gemeinen ein paar tüchtige Leute ausgesucht und zum Quartiermachen vorausgeschickt. Sie erhalten eine Marschroute, worin die Dörfer verzeichnet sind, durch welche das Regiment kommt, so wie einen Etat der Stärke desselben, welchen sie den betreffenden Ortsbehörden vorzuzeigen haben.

Das Quartiermachen hat, wie Alles im Leben, seine Licht- und Schattenseite. Der Infanterist darf gewöhnlich hiebei nicht den schweren Tornister schleppen; er wird ihm auf dem Wagen der Compagnie nachgeführt; er, wie der Reiter, braucht nicht im unerträglichen Staube, den das Regiment beim Marsche emporwirbelt, dahin zu ziehen; er kann sich beim Ausruhen den schattigsten Platz auf der Bank vor einem Wirthshause aussuchen und braucht sich nicht, wie seine Kameraden, in voller Sonnenhitze auf den Rand der Landstraße zu setzen, und endlich verwehrt ihm Niemand, sich in das beste Quartier zu legen. So weit ginge Alles gut; aber jetzt, statt sich, müde vom Marsch, auf sein Lager hinzustrecken, muß er Stunden lang auf dem Rathhause stehen, bis die Quartierbillets ausgefertigt und ihm zugestellt sind; dann hat er Brod und Fourage für die ganze Batterie oder Compagnie zu empfangen, hat die Quartierbillets für die Corporalschaften, Beritte oder Geschütze zu ordnen, und muß die Quartiere des Capitäns, der Lieutenants und des Feldwebels besichtigen, damit nicht einmal einer dieser gestrengen Herren zufälliger und entsetzlicher Weise ein Unterkommen findet, das nicht besser ist, als das jedes seiner Untergebenen. Dabei hat der Quartiermacher noch allerlei Privataufträge zu besorgen. Der Capitän wünscht nicht zu weit vom Feldwebel und seinem Lieblinge, dem Lieutenant X., zu liegen, der Lieutenant Y. hofft einen guten Trunk in der Nähe zu finden, und der Lieutenant Z. besteht auf einem Quartier, in dem sich wenigstens ein hübsches Mädchen befindet. Wehe dem Quartiermacher, wenn es ihm nicht gelingt, diese Forderungen einigermaßen zu befriedigen. Man mag sich noch so große Mühe gegeben haben, man geht am andern Morgen immer mit Zittern und Zagen der anrückenden Truppe entgegen; denn man kann sicher darauf rechnen, daß man es Niemanden recht gemacht hat. So erinnere ich mich, daß ich eines Tages, weil auf meinem Zettel stand, die Fourage für die Pferde der Herren Offiziere werde auf einem Wagen nachgeführt, in die Quartiere derselben keine hinlegen ließ, worauf mir mein Herr Hauptmann, mit dem ich ohnehin nicht im besten Vernehmen stand, die Bemerkung machte, ich müsse auf dem Marsche sehr stark gefrühstückt haben, und mir allergnädigst einen Arrest von vierundzwanzig Stunden zukommen ließ. – Der Quartiermacher empfängt das einrückende Regiment, übergibt seine Zettel, nimmt, wie gesagt, seine Verweise in Empfang, und bricht alsbald nach dem nächsten Orte auf, wo dieselbe Geschichte mit andern Variationen wiederkehrt.

Da die Infanterie nur vier bis fünf, die Cavallerie nur sechs bis sieben Stunden täglich zurücklegt, so dauern die Märsche zum Lager, bei etwas entfernter Garnison, sehr lange. Trotz dieser kleinen Etappen leidet die Mannschaft auf dem Marsche häufig sehr bedeutend. Die Manöver werden meist im August oder September gehalten, wo die Hitze und noch mehr der Staub die Leute quält. Offiziere und Unteroffiziere haben an solchen Tagen genug zu thun, um die erhitzten Menschen vom voreiligen Wassertrinken abzuhalten. Arrestverheißungen helfen da nicht mehr, und wir haben oft unsere Säbel, wenn auch nur zur Drohung, brauchen müssen. Wegen dieser Mühseligkeiten sieht der Soldat sehnsüchtig dem letzten Marschtage entgegen und betritt freudig die Zeltstadt, die sich vor seinen Blicken ausbreitet. Reiterei und Geschütze beziehen, so wie die Landwehr, die umliegenden Dörfer, und ein allgemeiner Ruhetag, der auf den Einzug in's Lager folgt, wird dazu benutzt, um Waffen und Kleider wieder in gehörigen Stand zu setzen.

Das Lager bei Grimlinghausen.

Wenn einer vor Kurzem die Ortschaften an beiden Ufern des Unterrheins noch so genau kannte, so wußte er vielleicht doch nicht, wo Grimlinghausen liegt, ein Dörfchen, aus wenigen schlechten Häusern bestehend, das durch das Lager des preußischen siebenten Armeecorps auf einmal eine, wenn auch rasch vorübergehende Bedeutung erlangt hat. Früher war hier kaum eine Nachenstation, wo die Dampfboote die allenfallsigen Passagiere ein- und ausluden, und wenn nicht zufällig hinter dem Dorfe die große Chaussee von Cöln nach Holland vorbeiführte, wäre der Weg zum Ort zu Lande nicht praktikabel gewesen. Das Alles hat sich seit Kurzem bedeutend geändert. Am Rhein erhebt sich eine Landungsbrücke, wo Dampfboote vier- bis sechsmal im Tage anlegen; denn Grimlinghausen ist ein Punkt geworden, nach welchem aus dem ganzen Gebiet des Rheins Tausende von Zuschauern strömen, um das große Lager anzuschauen. Oberhalb der Landungsbrücke der Dampfschiffe haben die Pioniere eine Schiffbrücke über den Rhein geschlagen, um die Communikation mit dem andern Ufer zu erleichtern. Dort halten zahlreiche Omnibus, die den Reisenden nach Düsseldorf bringen, von wo er zu Wasser, zu Land und zu Eisen in alle Welt gehen kann.

Eine Viertelstunde vom Rhein, wo die großen Flächen des Jülicher Landes beginnen, ist das Lager aufgeschlagen. Ich sah es zum erstenmal am 31. August 1842. Am Morgen war Manöver des ganzen Armeecorps mit markirtem Feinde, und schon in Düsseldorf hörte man deutlich das Knattern des Gewehrfeuers und das Rollen der Geschützsalven.

Ohne sehr ausführlich, ja für manchen Leser langweilig zu werden, ist es nicht möglich, den Verlauf eines Manövers zu erzählen, auch war ich keineswegs zu strategischen Studien aufgelegt. Ich ergötzte mich naiv am massenhaften Auftreten der einzelnen Truppentheile und am weißlichen Pulverdampf, der in dicken Wolken über die Ebene hinzog. Auf den Höhen war das Geschütz in Thätigkeit und lange Infanterielinien schienen die feuerspeienden Bastionen gleich glänzenden Courtinen zu vereinigen. Der Generalstab sah wie ein blitzender Stern aus; man sah da nichts als Goldstickereien und weiße Federbüsche. Das Manöver beschloß ein großer Cavallerieangriff, und es war wirklich ein großartiger Anblick, wie acht Reiterregimenter mit donnerähnlichem Getöse über die Ebene hinjagten. Als Alles vorbei war, zogen einige Reiterregimenter und reitende Batterien über die Schiffbrücke auf das jenseitige Ufer des Rheins, wo sie ihre Quartiere hatten. Der schmale glänzende Streif über dem grünen Flusse nahm sich sehr gut aus; an beiden Ufern standen zahlreiche Zuschauer, unterhalb harrte ein Dampfboot auf die Oeffnung der Brücke und von obenher kam ein großes Floß mit einförmigem, taktmäßigem Ruderschlag.

Die Stadt der Zelte war heute nicht so belebt wie an den vorhergehenden Tagen; die dunkeln Regenwolken, die den Himmel bedeckten, schreckten Manchen zurück. Indessen hatte ich so besser Gelegenheit, Alles in der Nähe zu besehen. Das Lager bildet ein großes, längliches Viereck, dessen Fronte vom Rheine abgekehrt ist. Die Zelte der Soldaten stehen in gleichen Reihen nebeneinander, und jede solche Reihe der schmalen Seite ist von einer Compagnie bewohnt. Die Zelte sind von grauer Leinwand und mit einer grünlichen Spitze versehen. Zwischen den Zelten und in derselben Reihe befinden sich kleinere, worin die Gewehre der Soldaten aufbewahrt werden, die sogenannten Gewehrmäntel. Die Zelte der Offiziere zeichnen sich durch eine kleine weiße Flagge aus, welche je nach ihrem Range mit schwarzen Streifen versehen ist; die des Capitäns hat zwei Streifen, die des Oberlieutenants nur einen. An der hintern Seite des Lagers befinden sich die Kochöfen, aus einem großen Schornstein bestehend, der an jeder Seite einen Heerd hat, worin drei große Kessel eingemauert sind. Jedes Bataillon hat seinen Kochheerd und jedes Regiment seinen Pumpbrunnen, die ein überaus gutes und klares Wasser liefern. Diese Anstalten sind von Backsteinen auf's Sorgfältigste aufgeführt und werden stehen bleiben, um später bei einer ähnlichen Gelegenheit wieder zu dienen. Auch die große Commisbrodbäckerei des Lagers befindet sich mit vielen Oefen einige hundert Schritte hinter dem Lager und ist ebenfalls massiv aus Steinen und wohl auf länger als die Dauer des Manövers errichtet. Vor der Fronte der Lagerseite stehen die Zelte der Stabsoffiziere, vor welchen die Fahnen des Regiments aufgepflanzt sind.

Da ich das Lager in der Mittagsstunde sah, wo die Soldaten gerade beschäftigt waren, ihre Suppe zu verzehren, und die fallenden Regentropfen fast alle Zuschauer verjagt hatten, war der Anblick desselben sehr einförmig, ohne alle Poesie. Nur hie und da standen einige Nachzügler um die Kochheerde und ließen sich in ihre blechernen Kochgeschirre die Suppenportionen einmessen. Die Soldaten hatten ihre Zelte verschlossen, um sich vor dem hereindringenden Regen zu schützen. Die weißen Zelte auf dem gelben Sandgrunde unter dem trüben Himmel blickten mich sehr melancholisch an, weßhalb ich meinen Rückzug antrat, um die Stadt der Buden in der Nähe zu besehen.

Diese umgibt die hintere Seite des Lagers in einem Dreieck und bietet alle möglichen Genüsse des Geistes und des Herzens. Was mich bei dergleichen Anstalten am meisten interessirt, sind die Aushängeschilder, in deren Epigrammen die Eigentümer gewöhnlich all ihren Witz verschleudern. Die Wirthe des Grimlinghauser Lagers hatten aber vorzugsweise auf das Gefühl für die süße Heimath, das in der Brust eines jeden lebt, speculirt; die Buden führten gewöhnlich als Aufschrift den Namen irgend eines Ortes, von dem sich Landwehrmänner hier befanden, als: Schützenzelt aus Mettmann, oder noch bündiger und anziehender, zur Schwelmer oder Gott weiß welcher Landwehr. Man sieht da unzählige Schenkbuden neben kleinen Boutiken, wo die Soldaten allerlei Nothdurft einkaufen können. Die erstern theilen sich von selbst in gewisse Classen. Hier findet man guten Branntwein und ein Glas schlechten Biers; dort ist das Bier besser und man kann schon eine Flasche sauern Wein haben; höher hinauf findet man Speise- und Weinkarten, doch ist besonders den letztern nicht zu trauen. Um die Oberherrschaft der Schenkbuden streiten sich zwei Anstalten, von denen es jedoch schwer zu entscheiden ist, wo man am schlechtesten und theuersten bedient wird. Ich begab mich in eine dieser Buden, um zu Mittag zu speisen; ich setzte mich auch mit diesem Vorsatz an eine der Tafeln, wo vielleicht schon vierhundert Personen saßen, und that mein Möglichstes, konnte aber meinen Zweck nicht erreichen. Von den Dingen, die da servirt wurden, war das Meiste für die Meisten nur Schaugericht. Das einzige Genießbare war die Musik eines Militärchors, das mit guter Auswahl und vieler Präzision spielte. Während wir so bei Tische saßen, verfinsterte sich der Himmel noch mehr und sandte endlich solche Regenschauer hernieder, daß sie das schlechtgebaute Zelt nicht mehr abhalten konnte. An den Wänden herab lief das Wasser zuerst,

Und dann und wann ein schwerer Tropfen
Fiel in den Messineser Wein.

Bald entstand allgemeine Verwirrung im Saal. Büffet und Küche wurden von den Regenfluthen zuerst überschwemmt, und wir mußten es geduldig mit ansehen, wie die ohnehin genug gewässerten Saucen und Gemüse noch mehr verdünnt wurden. Obendrein spielte die Musik, wie zum Hohne: »O welche Lust, Soldat zu sein!«

Feierlich ist der Zapfenstreich, wie er jeden Abend im großen Lager abgehalten wird. Durch die Zeltgassen hindurch wirbeln die Trommeln auf und ab und rufen jeden in den Bezirk des Lagers. Vor den Zelten der Stabsoffiziere spielen die verschiedenen Musikchöre, worauf die Soldaten compagnieweise zusammentreten. Das Signal zum Gebet erschallt, und während dieser Ceremonie sang heute Abend das Sängerchor: »O Sanctissima.«

Ich verließ bei einbrechender Nacht das Lager und sah noch lange den Schein der erhellten Buden durch die Nacht glänzen und hörte noch fernhin den schreienden Ton der Violinen und Clarinetten. – Noch drei Tage, und das ganze bunte Getümmel ist gleich einem Zauberspuke verschwunden. Der Herbstwind streift über die öde Fläche und irgend ein vagabundirender Marder erkiest sich einen der Kochheerde ohne obrigkeitliche Erlaubniß zum Schlupfwinkel.


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