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Achtes Kapitel

»Nur noch drei Tage,« sprach Frau Burton zu sich selbst, als die Abreise ihres Mannes nach New-York und das gleichzeitige Verschwinden der Jungen ihr einige ruhige Minuten verschaffte. »Nur noch drei Tage, dann habe ich Ruhe – und das lebenslängliche Bewußtsein einer Niederlage. Und durch wen? Durch zwei Kinder, recht jung noch an Jahren und doch so reif schon an Lebensweisheit. Ich beging den Fehler, sie nicht einzeln zu nehmen. Wenn sie beisammen sind, ist es unmöglich, ihren Geist lange genug von ihren kindlichen Angelegenheiten abzulenken, um ihnen ernsteren Sinn und bessere Manieren beibringen zu können. Aber ich habe sie nun einmal nicht einzeln genommen, und oh! – ich dümmste aller Frauen habe meinem Manne gegenüber so oft geprahlt und mir Blößen gegeben. Er wird besser mit ihnen fertig als ich und das Aergerlichste bei der Sache ist, daß er das so mühelos zu erreichen scheint. Wie geht das nun zu? Sie hängen an ihn, gehorchen ihm, sitzen oft eine ganze Stunde am Wege, ehe er mit dem Zuge kommt, nur um ihn zuerst begrüßen zu können, während ich – fange ich vielleicht schon an langweilig zu werden? Das geht ja vielen Frauen so, wenn sie verheiratet sind, aber ich glaube doch nicht, daß ich« – hier nahm sie einen kleinen Spiegel aus einer auf dem Kaminsims stehenden Vase zur Hand – »daß ich langweilig geworden bin, weil ich meinen lieben Harry, diese gute, lustige Seele, geheiratet habe.«

Frau Burton forschte aufmerksam in ihren Gesichtszügen, erst argwöhnisch, dann mit unwilligem Erröten, was die Schönheit ihres Antlitzes wunderbar hob.

»Die schlimmste Furie ein verschmähtes Weib,« schrieb einst ein Dichter, aber edle Frauen haben dieses Wort von jeher Lügen gestraft. So geschah es denn auch, daß ein wehmütiger Ernst sich in Frau Burtons Gesicht stahl, während sie es so eingehend besichtigte. Er milderte jeden Zug desselben, legte endlich einen feuchten Schleier über ihre Augen und öffnete ihre Lippen, die stumm zu begehren schienen, wogegen ihre Eigentümerin sich früher gesträubt hatte. Da legte sich plötzlich ein Aermchen um ihren Nacken, und eine Kinderstimme rief, als sie überrascht zusammenfuhr:

»Tante Alice, warum siehst du nicht immer so aus? Da! Jetzt hörst du schon wieder auf. Große Leute sind doch gerade wie kleine Jungen, nich'? Mama sagt, man darf uns nie sagen, daß wir artig sind, weil wir sonst gleich wieder unartig werden.«

»Wann bist du hereingekommen, Willi? Weshalb kamst du so leise? Hast du vielleicht gehorcht? Weißt du nicht, daß es sich nicht für dich schickt, Leute zu belauschen, die nicht zu dir sprechen? Und – wo hast du deine Schuhe und Strümpfe gelassen?«

»Ja sieh,« erwiderte Willi, »ich habe sie ausgezogen, weil ich 'n bißchen Kuchen für 'ne kleine Theegesellschaft holen wollte, un' ich mochte da keinen Lärm um machen. Du sagst immer, unsere kleinen Schuhe machen so 'n furchtbaren Lärm. Aber sag' doch, weshalb thust du es denn nicht?«

»Was meinst du denn?« fragte Frau Burton, deren Traumbilder blitzschnell zerflossen waren.

»Weshalb machst du nicht immer so'n Gesicht wie eine Minute vorher? Wenn du das thätest, so wollte ich gar nich' mehr spielen und lärmen; dann wollte ich ganz still sitzen un' dich immerzu angucken.«

»Was machte ich denn für ein Gesicht, Willi?« fragte Frau Burton, indem sie den Jungen auf ihren Schoß nahm.

»Na – das war so, als ob – als ob – ich weiß nich' so recht – du sahst so aus, wie Papas Bild von Jesus Mama, wenn ich es lange ansehe un' keiner mich dabei stört. Ich habe noch keinen weiter gesehen, der so aussieht, als meine Mama, un' wenn die mal so aussieht, dann sag ich kein Wort, sonst hört sie gleich wieder damit auf.«

»Du kannst den Kuchen kriegen, den du holen wolltest,« sagte Frau Burton.

»Ich mag jetzt keinen Kuchen,« sagte Willi ungeduldig, »ich mag auch keine Theegesellschaft. Ich will jetzt bei dir bleiben, un' ich möchte gern, daß du mit mir sprichst, weil du wieder anfängst, so auszusehen wie vorhin.« Dann erstickte Willi seine Tante nahezu in einer festen Umarmung und küßte sie wiederholt.

»Du lieber, lieber Willi!« sagte Frau Burton gerührt, indem sie seine Liebkosungen erwiderte, »Weißt du auch, weshalb ich vorhin so aussah? Ich dachte darüber nach, wie es wohl kommt, daß ihr Onkel Harry viel lieber leiden mögt als mich, und weshalb ihr ihm stets gehorcht und mir nicht. Sag mal, wie geht das zu, Willi.«

Willi schwieg einige Augenblicke, dann seufzte er und antwortete:

»Weil – weil ....«

»Nun, sag's nur,« ermunterte ihn Frau Burton. »Ich würde mich sehr freuen, wenn du mir das erklären wolltest.«

»Ja, sieh,« sagte Willi, »weil du ganz anders bist.«

»Aber Willi,« wandte Frau Burton ein, »ich kenne recht viele Leute, die ganz verschieden sind, und ich habe sie doch gleich lieb.«

»Sie sind aber doch keine Onkels und Tanten, nich' wahr?« fragte Willi.

»Nein,« erwiderte Frau Burton, »aber was hat das damit zu thun?«

»Und es sind auch keine Leute, denen du zu gehorchen brauchst?« fuhr Willi fort.

»N – ei – n,« antwortete Frau Burton, die in der Ferne ein schwaches Licht aufdämmern sah.

»Wollen die denn haben, daß du alles so machst, wie sie es wünschen?« fragte Willi.

»Einige erwarten das freilich,« erwiderte seine Tante.

»Thust du es denn auch?« fuhr der Neffe in seinem Verhör fort.

»Zuweilen thue ich es.«

»Aber doch nur, wenn du Lust dazu hast, nich' wahr.«

»Allerdings,« antwortete Frau Burton prompt.

»Na ja,« sagte Willi, »so mach' ich's auch. Aber wenn Onkel gern will, daß ich etwas thun soll, na – dann dauert's nich' lange, dann hab' ich selbst Lust dazu. Ich weiß nich', wie das zugeht, aber so ist's. Aber mit dir ist es anders. Ich hab' dich sehr – sehr lieb, wenn du nich' haben willst, daß ich was thun soll. Aber wenn du das willst, dann hab' ich manchmal keine Lust dazu. Das is alles, was ich davon weiß. Außerdem bloß noch, daß er nich' so gräßlich viel Sachen von uns gethan haben will wie du. Er sieht gern, daß wir vergnügt sind, aber manchmal denke ich, du thust's nich'. Wir können nur auf unsere Art vergnügt sein, un' Onkel Harry scheint das zu wissen un' du nich'.«

Frau Burton verlor sich in ernstes Nachdenken, und ihre Lippen zeigten bald wieder die natürlichen stolzen Linien.

»Da! – jetzt hörst du schon wieder auf, so lieb auszusehen,« klagte Willi, indem er sich seufzend aufrichtete. »Ich glaube, ich habe jetzt wieder Lust zu Kuchen und Theegesellschaft.«

»Bleib' doch bei mir, lieber Willi,« sagte Frau Burton, indem sie das Kind fester an sich drückte. »Sag mal, wenn jemand dich etwas lehrt, was du gar zu gern wissen möchtest, macht dich das nicht glücklich?«

»O doch – furchtbar,« erwiderte Willi.

»Nun höre mal, wenn du willst, kannst du vielleicht Tante Alice etwas lehren, was sie gar zu gern wissen möchte.«

»Was!« rief Willi. »Ein kleiner Junge soll 'ner großen, erwachsenen Dame was lernen! Herrjeh! Dann will ich man hier bleiben.«

»Nun höre, ich möchte gern ganz genau Bescheid wissen, worin Onkel Harry und ich so verschieden sind,« fuhr Frau Burton fort. »Glaubst du, daß du vorigen Sommer recht gehorsam gegen ihn gewesen bist?«

»Das is schon zu lange her, das weiß ich nich' mehr,« erwiderte Willi. »Aber das weiß ich, ich habe ihm nur gehorcht, wenn ich wollte oder mußte. Wenn ich aber mußte un' hatte keine Lust dazu, dann hatt' ich ihn auch nich' 'n bißchen lieb. Ich erzählte Papa gleich davon, als er wieder nach Hause kam, un' Papa sagte, daß käme davon, daß Onkel uns noch nich' gut genug kennte, un' auch nich' immer Zeit hätte, sich um uns zu bekümmern. Einmal sprachen sie – ich meine Papa un' Onkel Harry – im Lesezimmer darüber. Sieh, das weiß ich davon, weil ich gerade in 'ner Ecke saß un' Hausbauen spielte, un' ich hörte auf zu spielen un' hörte ihnen was zu. Un' auf einmal sagte Papa: »Der Racker spitzt die Ohren« – was er da nur mit gemeint haben mag? Un' dann sagte er zu mir, ich sollte doch mal zum Kaufmann spazieren, un' ihn 'ne Schachtel Streichhölzer holen. Aber da horchte ich noch 'ne Minute, als ich schon aus der Thür war, un' da hörte ich Onkel Harry sagen: »Ich bin doch ein rechter Esel gewesen.« Aber ich wußte ganz gewiß, daß das nich' wahr war. Deshalb ging ich wieder hinein un' sagte zu ihm, er wäre man bloß Mennascherie-Tiere gewesen aber 'n Esel nich'. Un' da lachten sie beide un' gingen dann gleich spazieren, un' ich weiß deshalb nich', was sie nachher gesprochen haben. Onkel Harry is seit der Zeit immer furchtbar nett gegen mich gewesen, obgleich ich ihn manchmal ärgere, wenn ich auch gar nich' will.«

Frau Burton gab ihren Neffen mit einem Arm frei und stützte ihren Kopf gedankenvoll auf ihre Hand. Willi sah ihr ins Antlitz und rief:

»O, jetzt siehst du wieder so lieb aus. Sag' mal, Tante Alice, hat Onkel Harry dich nich' ganz schrecklich lieb, wenn du so aussiehst?«

Frau Burton erinnerte sich an manche Erfahrungen, welche das offenbar bestätigten, aber ehe sie sich darüber äußern konnte, lugte ein kleines Lockenköpfchen vorsichtig zur Thür herein, ihm folgte Toddi in Lebensgröße und rief entrüstet:

»Du bist aber doch 'n ganz schlechter, ekliger Bruder, Willi. Die Theegesellschaft wartet nu' schon so lange auf dir un' den Kuchen, daß ich schon alle Erdbeeren habe aufessen müssen, weil sonst die garstigen Ameisen es gethan hätten. Un' ich habe auch den Kohlblatt-Teller aufgegessen, wo sie d'rin waren, weil ich nich' noch hungriger werden wollte.«

»Da haben wir's,« rief Willi, indem er von dem Schoß seiner Tante sprang. »So geht's immer! Wenn ich mal jemand recht lieb haben will, dann passiert immer gleich was Schlimmes.«

»Also so wenig machst du dir aus deiner Tante, Willi?« fragte Frau Burton. »Ist dir eine Theegesellschaft mehr wert als ich?

Willi überlegte einen Augenblick: »Hast du etwa nich' geweint,« fragte er dann, »als deine Theegesellschaft verstört wurde vorige Woche an deinem Geburtstag? Na, un' wenn deine Theegesellschaft auch größer war als unsere, dafür bist du auch 'n ganz Ende größer als ich, un' ich hab' doch nich' 'n bißchen geweint.«

Frau Burton fühlte sich getroffen und wußte ihrem Neffen nichts zu erwidern. Sie befand sich auf einmal in der Lage eines Kindes und schien ihre Rolle mit Willi vertauscht zu haben. Jetzt gingen ihr die Augen darüber auf, daß physische oder geistige Selbstsucht fast allen ihren Bemühungen um die Kinder zu Grunde gelegen hatte. Diese Erkenntnis war keineswegs angenehm und wurde immer demütigender, je länger sie sich damit beschäftigte. Um diese Gedanken zu bannen, erhob sie sich von ihrem Stuhl, holte aus einem Schrank im Eßzimmer zwei Stück Kuchen und gab sie den Kindern mit den Worten:

»Ich gönne euch den Kuchen von Herzen, liebe Kinder, aber ich sehe nicht gern, daß ihr ihn zwischen den Mahlzeiten eßt, weil kleine Jungen so schwere Speisen zwischen den Mahlzeiten nicht gut vertragen können. Es giebt viele Erwachsene, die als kleine Kinder gesund und vergnügt waren, die aber jetzt stets krank und verdrießlich sind, weil sie ihre Magen dadurch verdorben haben, daß sie zu unrechter Zeit aßen und obendrein fette, schwere Speisen, die ihr Körper nicht vertragen konnte.«

»Na gut,« murmelte Willi, indem er den Inhalt seines Mundes in seine Backen schob, »dann dürfen wir woll noch etwas Einfaches und Leichtes essen, daß das Schwere in unserem Magen 'n bißchen gemischt wird? Ich glaube, Schlagsahne oder Schaumflocken wäre recht was für uns. Soll ich der Köchin mal sagen, daß sie 's zurecht macht?«

»Nein,« erwiderte Frau Burton, »Bewegung würde euch besser bekommen als alles andere. Ihr thut am besten und macht einen Spaziergang.«

»Nach der Habichtsklippe?« fragte Toddi.

»O ja,« rief Willi. »Un' du gehst mit, Tante Alice, nich? Vielleicht siehst du dann wieder so aus – so lieb, weißt du – un' ich mag das so gern an dir leiden.«

Frau Burton konnte diese höfliche Einladung nicht ablehnen, und bald war das Trio unterwegs. Frau Burton schritt gemächlich seitwärts auf dem Rasen dahin, während sich die Jungen ihren Weg mitten durch den Staub der Landstraße pflügten. Sie spielten dabei Pferde, und es gelang ihnen in der That, eine Staubwolke aufzuwühlen, wie sie kein Pferdegespann dichter hätte hervorbringen können.

»Willi! Toddi!« rief Frau Burton. »Will denn keiner von euch mir Gesellschaft leisten?«

»O doch,« rief Willi. »Ich will dein Herren-Begleiter sein.«

»Un' ich will helfen,« rief Toddi, und beide Jungen eilten an die Seite ihrer Tante.

»Wißt ihr nicht, Kinder,« sagte Frau Burton mit sanftem Vorwurf, »daß Mama und Papa euer Vergnügen, den Staub aufzuwühlen, teuer bezahlen müssen. Seht eure Anzüge mal an! Die müssen erst in eine Reinigungs-Anstalt geschickt werden, ehe ihr euch damit vor anständigen Leuten wieder sehen lassen könnt.«

»Dann,« sagte Willi, »taugen sie wunderschön zu Geschenken für arme Jungen. Un' denk nur mal, was die sich freuen werden, wenn sie sie kriegen. Ich glaube, die danken dem lieben Gott, daß wir sie dreckig gemacht haben.«

»Die armen kleinen Jungen würden sich noch mehr freuen,« erwiderte Frau Burton, »wenn sie die Anzüge bekämen, so lange sie sauber sind. Und das würde eure Eltern keinen Pfennig mehr kosten.«

»Na, dann – dann – dann glaub' ich, wir sprechen lieber von was anderem,« sagte Willi, »un' gehen lieber durch den Wald un' nich auf der Landstraße. Oh – h!« fuhr er fort, indem er mit einem Fuße in dem Grase unter einem am Wege stehenden Kastanienbaum umherstöberte, hier ist 'ne Kastanie! Ist die Kastanienzeit schon wieder da?«

»Nein, bewahre,« erwiderte Frau Burton, das ist noch eine Kastanie vom vorigen Jahr.«

»Natürlich,« rief Willi. »Das hätte ich auch allein wissen können, sie ist schrecklich altmodisch.«

»Altmodisch?« fragte Frau Burton.

»Na ja, sie is voll Runzeln, siehst du nich? Grad so wie Frau Müller ihr Gesicht, un' du hast doch selbst gesagt, die wäre altmodisch.«

»Tante Alice,« sagte Toddi an, »Birken sind doch die einzigen Bäume, die Sonntagszeug anhaben, nich? Die haben immer weiße Kleider an, wie Willi un' ich, wenn wir zur Sonntagsschule gehen. Herrjeh,« rief er dann, während er sich gegen eine Birke lehnte, um ihr äußeres Gewand zu untersuchen, »die Sonntagsbäume sind furchtbar spaßig – dieser hier singt 'n Lied. Komm un' horche mal!«

Betroffen über Toddis lebhafte Einbildungskraft, wollte Frau Burton gern wissen, was dieselbe so angeregt haben könne, und näherte sich dem Baum. Da hörte sie den Wind sanft in den Zweigen säuseln und hatte die Lösung des Rätsels gefunden. Als sie Toddi erklärte, wie das Geräusch entstände, da meinte der junge Mann: O, dann is der liebe Gott gewiß runtergekommen un' singt im Baum, weil er Sonntagszeug anhat, nich' wahr?«

»Nein, Toddi,« erwiderte Frau Burton. »Es ist weiter nichts als der Wind.«

»Ach, un' ich habe immer gedacht, wenn der Wind so heulte, es wäre der liebe Gott, der spräche.«

Während Frau Burton gemächlich den Gebirgsweg hinanstieg, untersuchten ihre Neffen jeden größeren Stein, jeden Felsblock, jeden Baum, jedes Erdloch. Dieser Forschungstrieb wurde endlich belohnt, denn als Toddi mit einem Stock in einer Höhlung unter einer Baumwurzel herumstocherte, kam plötzlich eine kleine Schlange herausgeschnellt, die geneigt schien, ihren Wohnsitz zu verteidigen.

Toddi lief schreiend zu seiner Tante, während Willi das Reptil so lange mit seinem Stock bearbeitete, bis es tot war.

»A – h – h – h!« heulte Toddi. »Das garstige Tier! Weshalb kommen denn Schlangen nich' mehr un' bieten kleinen Jungens Aepfel an, wie es die Schlange im Paradiese machte? Dann würden sie kleine Jungens doch nich' so erschrecken.«

»Schlangen mögen sich von kleinen Jungen nicht gern stören lassen,« erwiderte Frau Burton und bemühte sich, das erschrockene Kind zu beruhigen.

»Wenn die Schlange mir bloß zeigen wollte, wie ich auf der Erde auf mein' Magen rumlaufen kann, so wie sie, dann wär' ich zufrieden,« sagte Toddi. »Weshalb wird sie denn nich' schmutzig, wenn sie läuft? Sieh nur mal, wie rein un' weiß ihre allerunterste Seite is! Ich wollte, wir hätten sie erst gefragt, wie sie sich so schön rein hält, ehe Willi sie totmachte.«

»Aber Toddi, Schlangen können ja doch nich' sprechen,« antwortete Frau Burton.

»Nich?« fragte Toddi. »Aber die Schlange im Paradiese sprach doch.«

»Das war eigentlich gar keine Schlange – da war der Teufel hineingefahren,« sagte Frau Burton.

»Kroch er denn in die Schlange, um im Staube spielen zu können, ohne daß er sein Zeug schmutzig machte?« fragte der wißbegierige Junge.

»Nein, er wollte nur Unheil stiften,« antwortete seine Tante.

»Das war ja gar nich' nötig,« sagte Toddi. »Er konnte ja schon Spaß genug haben, wenn er sich hin- und herschlängelte.«

Der Gipfel der Anhöhe war endlich erreicht, und mit einem Ausruf der Bewunderung ließen sich die beiden Jungen auf Felsblöcke nieder und blickten entzückt auf das Bild zu ihren Füßen. Nach längerem Stillschweigen fragte Willi:

»Sag mal, Tante Alice, glaubst du, daß unsere Freunde im Himmel alle diese Städte un' Hügel un' Flüsse ebenso sehen können wie wir?«

»Wahrscheinlich,« erwiderte Frau Burton.

»O, dann können sie aber viel weiter sehen als wir. Kriegen denn unsere Seelen neue Augen eingesetzt, wenn sie in den Himmel kommen?«

»Ich weiß nicht, wie das ist,« erwiderte Frau Burton. »Vielleicht wird nur ihr Blick geschärft.«

»Wie so? Nehmen denn die Seelen ihre alten Augen mit in'n Himmel un' lassen alles andere unten im Grab?« fragte Toddi.

Frau Burton sah ein, daß sie sich mit ihrer Kenntnis der Geisterphysiognomien etwas voreilig gebrüstet hatte; sie suchte deshalb einzulenken und sagte:

»Geistige Augen und körperliche Augen sind verschieden.«

»Kommt denn in geistige Augen auch Staub un' Schmutz von Puff – Puff – Loketiven un' macht kleine Engel weinen un' große Engel fluchen?« fragte Toddi.

»Nein, bewahre,« antwortete Frau Burton. »Im Himmel giebt's weder Weinen noch Fluchen.«

»Na, was machen denn aber die Engel mit dem Wasser, das ihnen in die Augen kommt, wenn sie Musik hören un' vor Freude weinen müssen?« fragte Willi.

Frau Burton versuchte jetzt die Unterhaltung auf ein Gebiet hinüberzuspielen, auf welchem sie besser zu Hause war, und fragte Willi, ob er wohl wisse, daß es Berge gäbe, die hundertmal so hoch wären wie die Habichtsklippe.

»So? Wirklich?« rief Willi. »Na, dann glaub' ich aber, wenn man da oben draufsteht, kann man gerade in den Himmel reingucken, nich?«

»Nein,« erwiderte Frau Burton, die über den Mißerfolg ihres Ablenkungsversuches etwas ungeduldig wurde. »Außerdem sind die Gipfel dieser Berge beständig mit Schnee bedeckt, und deshalb kann niemand hinaufklettern.«

»Dann können die kleinen Engeljungen da oben drauf Schneeballen spielen, ohne daß 'n ekliger Mensch kommt un' sagt: ›Müßt nich‹,« sagte Toddi.

Frau Burton machte noch einen Ablenkungsversuch.

»Seht doch mal, wie hoch der Vogel da oben fliegt,« sagte sie, auf einen Habicht zeigend, der hoch über dem Hügel in der Luft kreiste.

»O,« sagte Willi, »der kann in den Himmel hinaufstiegen, wenn er nur will, nich' wahr? Er hat ja doch Flügel. Ich möchte nur wissen, weshalb Vögel Flügel haben un' kleine Jungen nich'.«

»Kleine Jungen sind so schon schwer genug zu finden, wenn sie gesucht werden,« antwortete Frau Burton, »wenn sie auch noch Flügel hätten, würden sie stets unsichtbar sein. Aber weshalb sprecht ihr beiden denn heute so viel vom Himmel?«

»O, ich denke, weil wir viel näher am Himmel sind, und auf einem so hohen Hügel stehen,« antwortete Willi.

»Meint ihr nicht, daß es bald Frühstückzeit ist?« fragte Frau Burton, die in ihrer Verzweiflung auf ein Ablenkungsmittel verfiel, welches bei gesunden Kindern stets anzuschlagen pflegt.

»Na sicher,« antwortete Willi. »Da denk' ich immer dran. Komm Toddi, wir gehen den kürzesten Weg!«

Der kürzeste Weg bestand in zahlreichen Richtwegen, mit denen die Jungen vollständig vertraut zu sein schienen. Einer derselben bildete eine sehr steile Fläche, und Willi, der in der Ferne vielleicht das Frühstück witterte, stieg so eilig hinab, daß er das Gleichgewicht verlor, vornüber fiel und nach einem vergeblichen Versuch, sich wieder aufzurichten, rasch einen schmalen Pfad hinunterrutschte, um schließlich in einer den Weg durchkreuzenden Wasserrinne liegen zu bleiben.

»Au!« rief der junge Mann, als er sich wieder aufgerichtet hatte, und spuckte einen Mundvoll Mudde aus. »Haste woll gesehen, Toddi, wie ich meinen Rücken nach oben kehrte un' auf meinem Mund den Berg hinunterspazierte? Das macht mir keine Schlange nach, so leicht wie's aussieht. Ich hab's gar nich' erst probiert, das ging eins – zwei – drei, da war ich unten.«

»Un' hast nich' mal Schelte gekriegt, weil du dein Zeug schmutzig gemacht hast,« sagte Toddi. »Laß uns 'n Loblied singen.«

Inzwischen suchte Frau Burton zu der Frage des Zeugbeschmutzens auf philosophischem Wege Stellung zu nehmen. Konnte es möglich sein, daß Kinder ein natürliches Recht hatten, weniger saubere Kleidungsstücke zu tragen als erwachsene Leute? War Unreinlichkeit sündhaft? In gewissem Sinne ja – das heißt, sie war widerwärtig; und alles Widerwärtige war in Frau Burtons Augen noch schlimmer als Sünde. Aber war es Kindern auch möglich, so reinlich zu sein wie Erwachsene? Besaßen sie den erforderlichen Reinlichkeitssinn, die Gabe, auf ihre äußere Erscheinung zu achten und sich sauber zu halten? Frau Burton verlor sich in tiefe Grübeleien, während die Kinder sich ihre Geistesabwesenheit zu Nutze machten und allerlei Dummheiten ausführten, die ihrer Tante schrecklich vorgekommen sein würden, ihnen selbst aber viel Vergnügen machten. Endlich jedoch langten die beiden am Burtonschen Frühstückstisch an und beeilten sich, den ganzen Vorrat der aufgetischten Speisen in rascher Reihenfolge ihrem innern Menschen einzuverleiben!

»Tante Alice,« fragte Willi, als er seine Mahlzeit beendet hatte, »hast du schon was ausgedacht, wo du uns heute nachmittag mit glücklich machen kannst?«

»Ich werde euch wohl erlauben müssen, euch allein zu amüsieren,« erwiderte Frau Burton. »Ich muß das Backen beaufsichtigen und habe keine Zeit. Unsere Köchin ist erst kurze Zeit im Dienst, wie du weißt, und ich werde ihr wohl etwas helfen müssen.«

»Ich dachte, es würde nur morgens gebacken,« sagte Toddi. »Mama sagt, nur faule Leute backen nachmittags.«

»Die Köchin hatte heute Morgen zu viel zu thun, Toddi,« erwiderte Frau Burton. »Außerdem backen viele Leute des Morgens, weil sie müssen; denn, wenn sie des nachts Brotteig aufgehen lassen, so müssen sie ihn am andern Morgen backen. Aber es giebt jetzt einen neuen Gäscht, mit dem man innerhalb einiger Stunden jederzeit backen kann.«

»Weißt du woll, Tante Alice, daß wir auch backen können?« fragte Willi. »Ganz gewiß – wunderschön. Wir haben Mama schon ganz viele Male geholfen, Kuchen und Torten zu backen – bloß, daß ihre groß sind un' unsere klein.«

»Soll ich das vielleicht als einen Wink auffassen, daß ihr mir helfen wollt?« fragte Frau Burton. »Wenn ihr auf's Wort gehorchen wollt, dürft ihr mit in die Küche kommen. Aber hört! – sobald ihr mir oder der Köchin im geringsten lästig werdet, werdet ihr an die Luft gesetzt.«

»O wie schön, wie schön!« rief Toddi. »Un' dürfen wir auch Theegesellschaft auf dem Küchentisch halten, wenn wir mit Backen fertig sind?«

»Das dürft ihr,« antwortete Frau Burton.

»Na, denn man zu, aber flink!« rief Toddi. »Meine Hände sind schon ganz unruhig – so gern will ich mit helfen. Wieviel Sorten Torte willst du denn backen?«

»Gar keine,« antwortete Frau Burton.

»Ach nein!« rief Toddi. »Das kannst du doch gar keinen Backtag nennen. Willst du denn weiter nichts backen als altes garstiges Brot?«

»Na, vielleicht kann ich es einrichten, daß ihr einen kleinen Kuchen backen könnt – oder noch besser ein paar Zuckerplätzchen,« sagte Frau Burton nachgiebig.

»Schön,« rief Toddi erfreut, »dann is es doch wenigstens so wie Backtag, aber meine Hände werden jetzt schon wieder ganz ruhig.«

Frau Burton ging mit den beiden Kindern in die Küche, und die Köchin nahm die Zubereitung des Brotes, dieses Hauptnahrungsmittels, in Angriff. Die beiden Jungen gingen ihr dabei in der Weise an die Hand, daß sich jeder unter einen ihrer Ellbogen klemmte und mit neugierigem Gesicht über den Rand des Backtroges guckte.

»Das sieht noch gar nich' nach Kuchen aus,« sagte Willi. »Sie hat ja gar kein Backpulver hineingethan.«

»Zu dieser Sorte Brot braucht man auch keins,« antwortete Frau Burton. »Backpulver nimmt man nur zu Theekuchen.«

»Wenn Theekuchen in den Ofen kommen, sind es nur ganz kleine, dünne Dinger,« bemerkte Toddi; »aber wenn sie wieder raus kommen, sind sie furchtbar dick und fett. Was macht sie denn so dick?«

»Zu dem Zweck kommt ja gerade das Pulver hinein,« erwiderte Frau Burton. »Es würden kleine, harte Dinger ohne jeden Geschmack bleiben, wenn das nicht der Fall wäre. Brigitte, mengen Sie doch etwas Teig mit Zucker an, dann können sich die Jungen ein Paar Zuckerbrote backen.«

Die beiden Kinder begleiteten die Köchin, als sie den Zucker holte, bis an den Speiseschrank und wieder zurück an den Tisch; dann steckten sie ihre Nasen so dicht wie möglich unter die Walze, womit der Zucker zermalmt wurde und beaufsichtigten das Einkneten desselben in den Teig. Dann fand Frau Burton einige ganz kleine Backpfannen, in deren Mitte die Jungen ihre Plätzchen legten, welche sie mit der Erlaubnis ihrer Tante selbst geformt hatten. Dann holte Frau Burton, einer glücklichen Eingebung folgend, einige Rosinen aus dem Speiseschrank, steckte mitten auf jedes Plätzchen, das geformt wurde, eine Rosine und wurde dafür durch ein Jubelgeschrei ihrer beiden Neffen belohnt.

»Halt Toddi!« rief Frau Burton, die plötzlich bemerkte, daß Toddi seinen Teig in der Weise formte, daß er ihn kräftig zwischen den Händen rollte, wie es kleine Jungen mit Lehm machen, wenn sie Marmeln backen wollen. Wenn du den Teig so fest zusammenrollst, kannst du sicher sein, daß er nie im Leben aufgehen wird.«

»Du meinst woll, daß er im Ofen nicht dick wird?« fragte Toddi.

»Ja.«

Das is aber schlimm – das is wirklich ganz furchtbar schlimm,« sagte Toddi. »Dann is er ja nichts an zu essen. O, ich weiß was – schütte mal 'n bißchen Pulver dran, daß sie besser dick werden.«

»Ich fürchte, das wird nichts helfen,« sagte Frau Burton.

»Wollen's mal versuchen,« schlug Toddi vor.

»A – h – h – h,« heulte er dann. »Willi hat welche von mein' Kuchen kahlköpfig gemacht.«

»Was in aller Welt meinst du damit?« fragte Frau Burton.

»Er nimmt die Rosinen weg, die oben drauf sitzen und das macht sie kahlköpfig.«

»Ich wollte gern, daß die Plätzchen 'n bißchen verschieden aussehen,« erklärte Willi, indem er die Rosinen geschwind an einen Platz beförderte, wo sie vor allen weiteren Nachforschungen gesichert waren. »Siehst du nich', Toddi? du hast jetzt zwei Sorten Plätzchen.«

»Will keine zwei Sorten,« schrie Toddi. »Ich möchte dich am liebsten aufschneiden und alle Köpfe wieder aus deinem Magen nehmen.«

Willi erhielt einen Verweis von seiner Tante, und Toddi wurde dadurch zufriedengestellt, daß die Rosinen von den Plätzchen seines Bruders auf seine eigenen versetzt wurden. Dann wurden einige kleine Pfannen in den Ofen geschoben, und während der nächsten 15 Minuten wurde Frau Burton wenigstens zwanzigmal beschworen, nachzusehen ob die Plätzchen noch nicht gar seien. Als das Backen endlich vorbei war, waren die Kuchen Toddis so klein und beinahe so hart wie Flintenkugeln.

»Ach Tante, mach doch 'n bißchen Pulver in die andern, die noch nich' gebacken sind,« bat Toddi.

»Das würde nicht das geringste nützen, lieber Toddi,« erwiderte Frau Burton.

Weiteres Bitten und Betteln führte zu einem Konflikt zwischen Toddis Eigensinn und der Autorität seiner Tante, der damit endete, daß Toddi schmollend abzog und eine seiner kostbaren Pfannen mitnahm. Als er nach einigen Minuten zurückkehrte, war das Backen vorüber und die Ofenthür stand offen.

»Diesen einen will ich aber doch wenigstens noch backen – nu' grade,« sagte Toddi, indem er die einzige übrig gebliebene Pfanne in den Ofen schob und die Thür zumachte. »Du, Tante Alice,« wandte er sich dann versöhnt an seine Tante, »mach uns doch jetzt die Theegesellschaft zurecht, die wir von unseren eigenen Kuchen haben sollen. Du darfst auch mit an den Tisch kommen, wenn du willst?«

»Aber meinst du nich' auch, Toddi, daß sie eigentlich etwas mitbringen müßte?« fragte Willi. »So ist's immer bei Theegesellschaften, die kleine Jungen draußen geben.«

Frau Burton entschied diese Frage in befriedigender Weise dadurch, daß sie einen kleinen Krug Limonade bereitete. Der Tisch wurde der Herdwärme wegen so nahe wie möglich an die Thür gerückt. Dann führte Willi seine Tante an den Ehrenplatz, und, als alle sich gesetzt hatten, fragte er:

»Meinst du woll, daß wir Sachen genug haben, um 'n Tischgebet darüber zu halten? Manchmal thun wir's un' manchmal nich', das richtet sich danach, wie viel wir haben.«

Frau Burton entwarf in Gedanken rasch eine kleine Standrede, um ihre Neffen darüber aufzuklären, aus welchem Grunde man vor Tische beten müsse, aber welche Vorzüge dieselbe auch haben mag, die Jungen kamen niemals in die Lage, sich ein Urteil darüber bilden zu können, denn plötzlich wurde die ganze Gesellschaft durch einen lauten Knall erschreckt, der wie ein Flintenschuß dröhnte. Ein Stück des Kochherdes wurde quer durch die Küche geschleudert und krachte gegen die Wand, die Herdteile wurden heftig erschüttert, die Herdthüren flogen auf; die Feuerzange, die auf dem Herde lag, tanzte wie toll umher, und eine kleine Pfanne mit Fett, von der Art, wie sie viele Köchinnen unsinniger Weise immer vorrätig halten, ohne jemals irgend welchen Gebrauch davon zu machen, wurde ausgeschüttet und ihr schwellender Inhalt begann einen ekelhaften Geruch zu verbreiten. Die Köchin fiel auf ihre Knie und bekreuzte sich. Die Theegesellschaft sprang auf, Willi heulend, Toddi kreischend und Frau Burton totenbleich.

»Heilige Mutter Gottes,« rief die Köchin, »Der Wasserbehälter ist geplatzt!«

Frau Burton machte sich von ihren sie fest umklammernden Neffen los und trat vorsichtig an den Herd. Da war keine Spur von Wasser zu sehen und der Wasserbehälter war unversehrt; sogar das Feuer war in bester Ordnung.

»Der Wasserbehälter ist es nicht,« sagte Frau Burton, »und das Feuer ist in Ordnung. Was mag es nur gewesen sein?«

»Mit Respekt zu melden, Madame,« sagte die Köchin, »ich glaube ganz sicher, es war der Teufel. Alle Heiligen mögen uns beistehen! Zu Hause hab' ich schon gehört, daß der Teufel die neumodische Art, zu kochen, haßt; weil da keine Ecke im Herd is, wo er drin sitzen kann, der arme Kerl. Es war ganz sicher der Teufel, Madame,« versicherte die Köchin nochmals und bekreuzte sich von neuem. »Haben Sie schon mal so'n Teufelsgestank gerochen?«

Frau Burton zog ihre Nase zu Rate und mußte zugeben, daß trotz des unangenehmen Geruchs von verbrennendem Fett ein starker Schwefelgeruch sich bemerklich machte.

»Un' mein letztes Plätzchen hat der Teufel auch mitgenommen«, jammerte Toddi, der sich ganz vorsichtig dem Herde genähert hatte, um nach seiner Backpfanne zu sehen. »Alter, böser Teufel! Ich dachte immer, er äße bloß gebackene Menschen, wenn er Theegesellschaft hält.«

Alle Anwesenden waren zu sehr erregt und mystifiziert, um ihre Nachforschungen weiter fortzusetzen. Man ließ das Feuer ausgehen, und Frau Burton eilte mit den Kindern nach oben in die vorderen Wohnzimmer, nachdem sie der Köchin die dringend erbetene Erlaubnis erteilt hatte, unverzüglich ihren geistigen Berater aufsuchen zu dürfen.

Auf dem Heimwege wurde Herr Burton von seiner Frau und seinen beiden Neffen in Empfang genommen und mit einer Erzählung überrascht, die in ihren Einzelheiten geradezu haarsträubend war. Nur ungern erlaubte ihm seine Frau, zu dem Schauplatz der schaurigen Begebenheit hinabzusteigen. Es gelang ihm auch nicht die Ursache des Unfalles zu ermitteln, dagegen machte er sich die Hände schauderhaft schmutzig. Er eilte in seine Kammer, um sie zu waschen, aber einen Augenblick später dröhnte seine Stimme die Treppe herunter: »Jungen, wer von euch ist heute in meiner Kammer gewesen?«

Eine Zeitlang war alles still, dann rief Willi hinauf: »Ich nich.«

Frau Burton sah Toddi fragend an, derselbe wich jedoch ihren Blicken aus. Dann eilte Herr Burton die Treppe hinunter, sah sich die beiden Jungen an und fragte: »Was hast du denn mit meinem Pulverhorn gemacht, Toddi?«

»Ja – na – ich,« stammelte Toddi, »ich wollte gern Pulver an meine Plätzchen haben, daß sie aufgehen sollten, weil ich sie zu fest gerollt hatte, un' Tante Alice wollte keins dran thun un' sagte, es nützte zu gar nichts. Aber mein Papa sagt immer, ein Versuch kann ja nicht schaden, deshalb ging ich hin und nahm etwas Pulver aus der Flasche, die an deiner Flinte hängt, un' ich sagte da keinem was von, weil ich euch alle überraschen wollte. Un' nachher hab' ich gewartet, daß der Kuchen gar werden sollte – da kam auf einmal der böse Teufel un' stahl ihn weg. Ich denke, der Kuchen muß ganz furchtbar gut gewesen sein, sonst hätt' er ihn nich' gestohlen. Denn er ist ein so schlauer Dieb, daß er die schönsten Sachen stehlen kann, wenn er will, un' wenn's auch ein ganzes Ladenfenster voll Kuchen is.«

»Wie hast du denn das Pulver mit dem Teig angemengt?« fragte Frau Burton. »Und wie viel hast du genommen?«

»Hab gar nichts gemengt,« antwortete Toddi. »Ich hab' bloß so viel Pulver aus der Flasche auf die Pfanne geschüttet, wie drin war. Wenn du mal meine Plätzchen probiert hättest, wo kein Pulver drin war, dann hättest du sehen können, daß das nötig war. Ach nein, was die hart waren! Die könnt' ich gar nich' beißen, die hab' ich heil hinuntergeschluckt.«

»Hm!« brummte Herr Burton. »Und weißt du jetzt auch wohl, wer der Teufel, der kleine Teufel war, der ...« »Harry!« verwies ihn seine Frau.

»Nun, mein Schatz, der Sachverhalt ist offenbar folgender. Dein Neffe – «

»Ihr Neffe, Herr Burton.«

»Nun gut, mein oder unser Neffe hat heute eine Quantität Pulver in den Ofen geschüttet, die genügt haben würde, eine Kanone damit zu laden, und die Hitze ist dem Pulver nach und nach zu viel geworden.«

Toddi hatte diese Unterredung mit ängstlich forschender Miene angehört und fragte jetzt schüchtern:

»War es denn die rechte Sorte Pulver nich? Ich dachte, es wäre die rechte, weil es alle Sachen so leicht macht, wenn es losgeht.«

»Glaubst du, daß du mit deiner Erziehungsmethode jemals etwas gegen die Logik dieses Jungen ausrichten wirst, liebe Frau?« fragte Herr Burton. »Und wenn nicht – was dann?«

»Das nächste Mal will ich nich' so viel Pulver dran thun,« sagte Toddi. »Das is doch gar nich hübsch, wenn einer was probiert un' das Probierzeug geht los un' nimmt alles mit fort und wird so toll, daß es den Ofen entzwei reißt un' kleine Jungens und Tante Alice beinahe totschreckt.«


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