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Frauen, die nie gelächelt zu haben scheinen, Frauen, die immer nur thätig und handelnd ins Leben griffen, wird man darum noch nicht männlich zu nennen brauchen. Ihre Frauenart bewahren sie in eigenthümlichen, ihrem Geschlecht allein angehörenden Zügen.
Gräfin Erdmuthe von Salem-Camphausen war eine Norddeutsche, eine geborne Freiin von Hardenberg. Ihr Gatte wählte sie, angezogen von ihrer imponirenden Gestalt und untadelhaften Schönheit, bei einem Badeaufenthalte in Böhmen. Beide waren sich im lutherischen Glaubensbekenntnisse gleich, wenn auch die strenge Form, in welcher das ihrige die Gräfin bekannte, vom lebensfrohen, leichtblütigen Grafen nicht getheilt wurde. Diese besondere Strenge trat bei der Gräfin auch erst hervor, als sie, wie Monika unlängst von sich an Angelika Müller geschrieben, sich selbst zu erziehen anfing. Der Graf lebte meist in Ungarn, wo unter so vielen Protestanten keine Veranlassung gegeben war, sich in der so schwierigen Geisteskraft auszubilden, mit Ueberzeugung in der Minorität zu stehen. Die Gräfin dagegen, die größtentheils allein in Schloß Salem bei Wien lebte, war mehr in der Lage, ihre Besonderheit zu kräftigen, ja zuletzt bedurfte sie eines Anhalts gegen den General-Feldzeugmeister, ihren Gatten selbst. Nie herrschte eine Verstimmung zwischen ihnen, doch – 25 wo fängt die Bildung des Charakters im Menschen an? Von dem Tage, wo man in seinen Wünschen und Hoffnungen eine Lücke fühlt, von dem Tage, wo man irgend worin eine große Niederlage erlitt. Graf von Salem-Camphausen hatte auf das Zufallen eines Vermögens an seine Gattin gehofft. Diese Hoffnung scheiterte. Kein Wort des Vorwurfs kam über seine Lippen – die Lücke war aber da, der Zartsinn der Gattin empfand sie und sie mußte diese Lücke auszufüllen suchen. Schätze eines frivolen Geistes, die etwa die Welt blenden konnten, besaß sie nicht; ihre Erscheinung hatte durch ihr erstes Kindbett gewonnen, durch spätere Fehlgeburten verloren; ihr einziger Sohn erforderte eine Erziehung und so fing sie an, aus sich selbst zu schöpfen, ihr Inneres zu belauschen und zu pflegen. Ein alter Grund von Religion war in sie gelegt worden, eine pietistische Lebensauffassung. Ihre Erzieher waren Herrnhuter gewesen, zu welcher Sekte sich auch einige Zweige ihrer Familie bekannten. Diese später zurückgedrängte, nicht ganz verklungene Bildung ihres Innern sammelte sich wieder in ihr und wurde ihr nun zum Ersatz für eine Welt, welche die Verlegenheiten des großen Hauses zu bemerken anfing, für die Zerstreuungen, welche sie nie geliebt hatte, für die Hülfsmittel der Bildung, welche man ihr für ihren Sohn anbot und die ihr nicht gefielen, für den Gatten selbst, der trotz seiner hohen Stellung ein sorgloser Lebemann war und einst im Bändigen eines Rosses eine Wette gewinnen wollte, sich überschlug und in einem kurzen Augenblick den Hals brach. Das Entsetzen über dies in weiter Ferne vorgefallene Unglück schien wie starr auf ihren Gesichtszügen festgeblieben zu sein und die Gräfin versteinert zu haben. Einen Ausdruck für ihre lebenslängliche Trauer suchend, fand sie diesen nur in den Erinnerungen an die religiöse Bildung ihrer Jugend. Sie fand mit ihnen jenen elegischen Trost, der zwar ausruft: Der Herr hat's gegeben, 26 der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt in Ewigkeit! der nun aber auch für immer den ganzen Menschen in den Zustand der Entsagung versetzt. Ein Zurückziehen von der Welt, ein starres Festhalten an ihrem Glauben schien jetzt innerhalb der vornehmen Gesellschaft, von welcher die Gräfin schon längst kalt und schroff genannt wurde, vollkommen gerechtfertigt.
Der Ort, wo die Gräfin den in Presburg erfolgten Tod ihres Gatten erfuhr, war jenes Schloß Castellungo im Piemontesischen, das sie sich aus ihrem Eingebrachten selbst erkauft hatte, weil ihr die Lage und vorzugsweise die rings noch lebende Erinnerung an die alten Waldenser und die Nachbarschaft von noch vielen Nachkommen dieser Vorläufer der Reformation ausnehmend gefiel. Sie hatte sich diese Erwerbung aus ihren eigenen Mitteln zugetraut, weil diese, mit damals begründeter Hoffnung, durch den Tod eines Verwandten noch vermehrt werden sollten. Die Hoffnung schlug durch ein Testament fehl und jetzt besaß die Gräfin ein verschuldetes Eigenthum, während ihr Gatte, infolge einer seither mit immer größerer Dringlichkeit gesteigerten Erwartung, früher oder später die großen Güter der Dorste-Camphausen im westlichen Deutschland zu gewinnen, in seinem eigenen Haushalt keine Ordnung mehr hielt. Dennoch hatte er die Verlegenheiten seiner Gattin anständigerweise mit auf sich selbst übernommen. Er brachte den Besitz Castellungos für seine Frau so »ins Reine«, wie eben sein ganzes übriges Besitzthum stand. Er hieß der Herr und war der Untergebene seiner Creditoren. Die Aeltern jener kleinen Bettina Fuld waren die Herren von Schloß Salem und von Castellungo mehr als sein Sohn Hugo, der erst sieben Jahre zählte, als der Vater in der Blüte seiner männlichen Jahre so unglücklich endete.
In einem Anfall von Mismuth über die zunehmende religiöse Neigung seiner Frau hatte sich der Graf bedungen, daß 27 sein Sohn unter allen Umständen Soldat werden sollte. Wenn man, hatte er gesagt, in einem so entschieden altgläubig regierten Lande, wie bei uns, innerhalb der Gesellschaft vergißt, daß ein Mitglied des Adels zu den Ketzern gehört, so kann das nur geschehen, wenn ihn der Nimbus der Bravour umgibt – Unabänderlich war es, daß Graf Hugo Militär wurde. Die Mutter war darüber in Verzweiflung. Ihn wieder aus den Augen zu verlieren, schmerzte sie schon; nun gar, ihn nicht selbst erziehen, ihn nicht vor den Gefahren der Welt schützen zu können. Graf Hugo besuchte die Militärakademie unter Bedingungen, die ihrer ganzen Stimmung widersprachen. Wenn sie je zu einem Lächeln kam, war es in den Augenblicken der Freude, wo Hugo auf einige Zeit der ihrige sein konnte, nur unter dem Schutz ihrer mütterlichen Liebe stand, in Ferien, später bei Urlauben, bei einer längeren Pflege, als er einst verwundet wurde in einem Gefecht gegen türkische Grenzer – drei Jahre stand er an der dalmatinischen Küste – und ihr dann allein angehören durfte. Sagten wir, daß an keinem Weibe, wenn wir es auch männlich nennen, Züge fehlen, die nur allein dem Weibe angehören, so ist dies bei Gräfin Erdmuthe die Liebe zu ihrem Sohn. Diese äußerte sich nicht etwa in regelmäßiger Form, wie überhaupt die Liebe sich äußert, nicht etwa z. B. in Strenge, die von Liebe nicht im mindesten ausgeschlossen ist, sondern in einer blinden Vergötterung. Graf Hugo war ein liebenswürdiger Cavalier, aber in vielem nur das, was man eben einen Cavalier nennt. Besten Herzens und namentlich den Gefühlen für Kameradschaft und Freundschaft durchaus zugänglich, führte er ein Leben, das unbedingt die Mutter hätte verwerfen müssen. Aber die von ihr gegen jedermann geübte Strenge war für die Beurtheilung der Dinge, die sie von ihrem Sohn erfuhr, nicht vorhanden. Alles, was mit diesem Geliebten in Beziehung stand, 28 verklärte sich ihr. Traten ihr die Folgen seines Leichtsinns zu deutlich entgegen, so hatte sie hundert Beispiele der Bibel über die Langmuth des Herrn, über seine Geduld mit denen, die der Herr lieb hat, über die Verirrungen David's und Salomo's und die spätere Erleuchtung und Gottwohlgefälligkeit auch dieser heiligen Sünder. In jeder Mehrung der Schuldenlast, die schon lange das Haus Salem-Camphausen drückte, sah sie, was die Veranlassungen derselben betraf, einen Beweis mehr nur für den Satz, daß eben in dieser Welt das Gute schwer zu erringen und zu behaupten wäre. Waren die Ausgaben des Sohnes irgendwie auf ihr unbekannte Veranlassungen zurückzuführen, so wählte sie gewiß die edelsten. Sie übersah die großen Ausgaben für Pferde, Wettrennen, Spiel, Vergnügungen aller Art, wenn sie die kleinen Ausgaben musterte für Bücher, Kupferstiche, alte Waffen, Bilder und Mildthätigkeitsbeweise. Ließ Graf Hugo ein schönes Mädchen, das er am Ufer des Adriatischen Meeres in einer dalmatinischen Stadt bei einer Kunstreitergesellschaft kennen gelernt hatte, in Wien ausbilden und erziehen, so verschlang diese nach ihrer Meinung und Auslegung so »edle Handlung« Tausende. Alles, was in den Rubriken des Leichtsinns stand, übertrug sie auf die Rubrik des guten Herzens. »Selig sind die Barmherzigen«, sagte sie, »denn sie werden Barmherzigkeit erlangen!«
Vorzugsweise mußte diese mütterliche Schwäche wunder nehmen bei Beurtheilung auch der mit dem Sohne verbundenen Verhältnisse. Der schöne junge Mann stieg in seiner Carrière und befehligte schon bei wenig über dreißig Jahren ein Reiterregiment. Jenes schwarzbraune Mädchen, Angiolina genannt, war seine Geliebte geworden. Er hatte sie erziehen und überraschend ausbilden lassen; sie blieb der Mutter deshalb auch nur des edlen Sohnes Pflegkind, so zu sagen ihre Enkelin. Sie, die 29 Wien mit Sodom und Gomorrha verglich und den Zorn des Herrn in Gestalt von Schwefel und Pech auf die sündige Stadt dereinst noch niederregnen sah, nahm Angiolina's Besuche an, beschenkte sie, schmückte sie und ließ sich durch nichts in der Welt das Bild verwischen von einem Findling, den ihr Sohn »einem Leben der Sünde hatte entreißen lassen«. Graf Hugo brauchte ihr dabei nicht einmal zu schmeicheln, brauchte ihr nicht einmal die Hand zu küssen und sie mit chère maman's zu überhäufen. Alles, was ihn betraf, fand Gräfin Erdmuthe in der Ordnung. Selbst wenn Graf Hugo erklärt hätte, er würde Angiolina heirathen, so würde sie sich überredet haben, ihr Sohn nütze vielleicht mit diesem Opfer nur sich selbst, jedenfalls jenem schönen Mädchen, das er auf die Art vor sittlichem Schaden bewahrte.
Besonders seltsam war ihre Anhänglichkeit an den Baron Wenzel von Terschka. Dieser Abenteurer, anders konnte man ihn nicht nennen, tauchte vor einer Reihe von Jahren plötzlich in ihres Sohnes Nähe auf. Durch Bildung und Erziehung mehr ein Italiener, nahm sie ihn doch als das, wofür er sich gab, einen Böhmen und Nachkommen der alten Hussiten. War er gleich katholisch, so verklärte ihn doch in ihren Augen die Erinnerung an Hussens Märtyrertod. Wenzel von Terschka war unleugbar böhmisch-deutschen Ursprungs; die Art, wie er schon früh nach Italien gekommen, blieb immer dunkel. Anfangs erschrak die Gräfin vor ihm, als sie ihm zum ersten male als dem intimsten Freund ihres Sohnes begegnete. Er hatte sich diesem durch die trotz der väterlichen Katastrophe auch bei ihm leidenschaftliche Liebhaberei für Pferde genähert. Wenzel von Terschka war ein Meister in allen Reiterkünsten. Eine Geistesgewandtheit besaß er, der nur ein innerer intellectueller Mittelpunkt fehlte. Wenn die Gräfin plötzlich einen solchen gefunden zu haben glaubte, entsetzte sie sich wol, weil es ein ganz 30 specifisch ihr feindseliger war, geradezu gesagt ein römisch-priesterlicher; aber, so seltsam dies Gefühl mit Terschka's Lebensweise, die an allen Excessen des Grafen, seines intimsten Freundes, theilnahm, in Widerspruch lag, sie gewöhnte sich an ihn, trotz eines steten Ueberschauertwerden von einem gewissen Etwas. Es war ihr zuweilen, als müßte sie auf dem rabenschwarzen kurzen Haar des wachsgelben, äußerlich anziehenden und in seinem Wesen klugen Mannes die Tonsur aufsuchen. In dem damals ganz unter der Herrschaft der Jesuiten stehenden Piemont hatte sie solche Erscheinungen gesehen, mit ihnen sogar im Kampfe gelegen. Sie hatte alles aufgeboten, auf ihrem Gebiete das Bekenntniß der Nachkommen des Peter Waldus, der lange vor Luther die Kirche zu reformiren versuchte, aufrecht zu erhalten; sie hatte einen seltsamen Einsiedler, einen Deutschen, Bruder Federigo genannt, in einer Hütte, die sich dieser in einem ihr angehörenden Eichenwalde gebaut, wo er dem ringsum wohnenden Volk ein Arzt und weiser Rathgeber geworden, geschützt, als ihn die Pfarrer von Cuneo und Robillante vertreiben wollten; sie hatte die Könige von Preußen, von England, der Niederlande und von Schweden aufgefordert, ihr Beistand zu leisten für den Kampf, den sie ringsum mit Bischöfen und Erzbischöfen begonnen, ja mit der Regierung in Turin selbst, um gewisse, den Waldensern gegebene Gewährleistungen aufrecht zu erhalten. Damals wurde Wenzel von Terschka von ihrem Sohn zuerst genannt, und einen Winter in Wien verlebend, sah sie ihn hierauf selbst und hatte erst bei seinem Anblick ausrufen mögen: Das ist ja ein Jesuit! Jagte er aber dann mit ihrem Sohn die lieblichen Höhen von Baden-Baden herauf, während ihr Wagen an der »Spinnerin zum Kreuz« stand, wo sie den geliebten Sohn aus Bruck, seiner Garnison, her erwartete, und sah sie Terschka's Sorge für die Rosse, seinen Muth, seine Entschlossenheit, hörte 31 sie sein heiteres Reden, beobachtete die wilden Unregelmäßigkeiten, die sich die Freunde in einem achttägigen Aufenthalt bei »chère maman« erlaubten, so schwand ihre Angst und Sorge und sie überredete sich schon bei dem zweiten Besuche der Freunde, daß doch Hugo schon wieder einen außerordentlichen Takt bewiesen hätte auch in der Wahl dieses seines Gefährten und Freundes. Sie sagte: Wenn Sirach spräche: »Ein treuer Freund ist ein Trost des Lebens; wer Gott fürchtet, bekommt einen solchen treuen Freund!« so könne hier auch vielleicht das Umgekehrte eintreffen: Wer einen solchen treuen Freund bekommt, der lernt auch wol Gott fürchten!
Wie die Dinge standen, mußte die ganze Sehnsucht der Gräfin auf die endliche Entscheidung des Processes gerichtet sein, der gegen die Salem'sche Linie nicht von dem Kronsyndikus von Wittekind, nicht von Levinus von Hülleshoven im Namen Paula's angestrengt wurde, sondern von den an der Aenderung der Dorste'schen Verhältnisse erst secundär Betheiligten, vorzugsweise der Geistlichkeit und der Landschaft. Zwei Jahre lang war für Gräfin Erdmuthe Procurator Nück ein Bote der höllischen Geister. Sie nannte ihn nicht anders als mit einem Namen aus der Offenbarung Johannis, in die sie sich tief vergrübelt hatte, den Doctor Abaddon, den »Engel aus dem Abgrund«. Als endlich die Hoffnungen immer lichter wurden, immer mehr das Gewölk, welches das Antreten eines so großen Besitzes noch verbarg, verschwand, da konnte sie der mächtig wallenden Erregung ihrer Mutterfreude nicht länger widerstehen. Längst schon hatte sie mit Lady Elliot in England eine Berathung pflegen wollen über die Möglichkeit, in Italien die Reformation zu befördern und Rom durch die Bibel zu stürzen. Mit dem ihre ganze Seele erfüllenden Verlangen, die Kräfte, die England für eine solche Unternehmung in Bereitschaft halten konnte, selbst einmal 32 durch den Augenschein zu prüfen, verband sie nun auch die Reise nach dem Orte, von wo aus sie die Lage des Processes übersehen, den Triumph der günstigen Entscheidung genießen, vielleicht eine Beziehung, wenigstens der Etikette, zu Gräfin Paula und deren Umgebungen anknüpfen konnte. Hätte sich jene die Religionsbedingung betreffende Urkunde gefunden, die seit zwei Jahren in Westerhof, Neuhof, Witoborn, Wien, Schloß Salem, Castellungo gesucht wurde, dann hätte ihre mütterliche Liebe den andern Rettungsplan aufgreifen müssen, eine eheliche Verbindung Hugo's mit Gräfin Paula – eine Auskunft, die auch in der Familie eine sich von selbst verstehende Thatsache und so zu sagen ein lautes Geheimniß war – freilich für ihr Gefühl ein entsetzliches Unglück! Denn Paula war für ihren Glauben in einem fanatischen Geiste erzogen worden und Hugo sollte dann scheiden – von seinen Gewohnheiten, sollte brechen mit allen seinen Verbindlichkeiten, sollte wol gar »Opfer« bringen, wie sie etwas nannte, was Monika von Hülleshoven eines Tages leise, aber nur ganz leise und schüchtern der Gräfin eine – sittliche Wiedergeburt genannt hatte?
Die kleine schöne Frau »mit den silbernen Locken« war erst seit einem Jahr in den Lebenskreis der stolzen, immer nur ernsten und feierlich gestimmten Matrone eingetreten. Sie hatte, wie wir wissen, jahrelang bei einer Jugendfreundin, der inzwischen zur Oberin der Hospitaliterinnen gewordenen Schwester Scholastika, einer geborenen Freiin von Tüngel-Heide, gebürtig aus ihrer Heimat, im Kloster gelebt und an den beschwerlichen Mühewaltungen derselben theilgenommen. Ihre Gesundheit, ohnehin erschüttert durch die Folge jenes Verstecks (beiläufig bemerkt, in einem chemischen Laboratorium ihres Schwagers auf Schloß Westerhof) und durch die darauf folgende Nervenkrankheit, fing zu wanken an in dem täglichen Verkehr mit dem zum Kloster 33 gehörenden großen Spital. Offen bekannte sie ihrer Freundin Scholastika, sie würde, da sie kein Gelübde bände, in die Welt zurückkehren, »denn die Pflicht der Selbsterhaltung ginge über alle Sorge für Fremde, die nicht auf uns allein angewiesen sind« – einer jener Sätze, die zu einem immer mehr von ihr ausgebildeten System der Lebensphilosophie gehörten. Sie schied aus dem Kloster und verwarf damit zugleich das Klosterleben in seiner überlieferten Form. Sie sagte schon damals am ersten Abend, als sie auf der Herrenstraße im Palais der Salem-Camphausen in einem prächtigen Rococozimmer mit Goldleisten und Spiegelwänden neben Gräfin Erdmuthe am Theetisch saß: »Es sollte keine andern Lebenszwecke geben, außerhalb der Bewährung unserer eigenen Kraft und unserer Erziehung zur Vollkommenheit! Eine Institution, die mich klein, unbedeutend, sklavisch gebunden, krank brauchen kann, ist des Menschen unwürdig. Nur dem sollten wir uns unterwerfen, was unsere Kraft in ihrer Größe braucht, sie entwickelt, uns die Frische des Willens und der Thatkraft erhält. Daß gewisse Gedanken in der Welt realisirt werden müssen, nur um als solche zu glänzen, während das Einzelwesen, das zur Realisirung derselben beiträgt, gering dabei erscheinen muß, werd' ich nie für gut und richtig finden.« Eine Aeußerung, welche die Gräfin lange nachdenken ließ, sie aber zuletzt zu dem Worte bestimmte: »Ich finde in diesem Ausspruch Wahrheit, aber Sie drücken sie mit zu vielem Menschenstolz aus. Wir ermangeln alle eines andern Ruhmes als dessen, den wir vor Gott haben.« Leicht möglich, daß selbst Bonaventura's Auffassung, die wir damals berichteten, als dieser den Pater Sebastus vor dem Goldnen Lamm unter Bettlern erblickte – Gräfin Erdmuthe besser gefallen hätte, die Unterordnung gerade der stolzesten Individualität unter einen allgemeinen, der Menschheit im großen und ganzen als ein Schauspiel zur 34 Nacheiferung zugute kommenden Begriff. Freilich war Bonaventura von dieser Auffassung schon am Tage darauf, nach der Scene beim Kirchenfürsten, schmerzlich zurückgekommen.
Trotz dieser Verschiedenheit der Ansichten hatte die Gräfin an Monika ein großes Gefallen gefunden. Sie war ihr ein lebendiger und höchst willkommener Beweis, wie die consequente Durchführung des Katholicismus zuletzt zur Freigeisterei führen müsse. Sie suchte in ihr eine Proselytin zu gewinnen für die Lehre von der Wiedergeburt lediglich durch den Glauben. Die Bekanntschaft schrieb sich aus dem Briefwechsel her, der Monika's Erhaltung wegen zwischen einem wiener Anwalt derselben und Schloß Westerhof entstehen mußte. Monika besaß ein kleines Vermögen, das der Oberst unangerührt gelassen hatte, als er nach Amerika ging. Im Kloster bedurfte Monika nichts; sie ließ ihre Zinsen stehen. Jetzt erhob sie Ansprüche auf das, was ihr gehörte und was ihr noth that. Bereitwillig stellte ihr Levinus von Hülleshoven, der Bruder ihres Mannes, jedes Gewünschte zur Verfügung, ja Tante Benigna, ihre Schwester, wollte noch zulegen; letzteres lehnte Monika ab. Der regelmäßige Bezug ihrer Mittel führte sie durch jenen Advocaten mit Terschka zusammen, dem chargé d'affaires aller Finanzsachen seines Freundes, der tagelang mit dessen Mutter rechnen konnte – Graf Hugo behauptete, für Zusammenstellung von Zahlen keinen Verstand zu besitzen. Terschka, von Monika's interessanter Erscheinung angezogen, aufmerksam auf die Namen Ubbelohde und Hülleshoven, die täglich in seinen Correspondenzen mit Westerhof und mit Nück vorkamen, gab Gräfin Erdmuthe von dieser Dame Kunde und nun schien es den künftigen Besitzern der Erblassenschaft des Grafen Joseph sogar standesgebührlich, die Schwester und Schwägerin der beiden Namen, die Paula hüteten und erzogen hatten, vertraulichst an sich zu ziehen. Die Gräfin verlangte sofort ein 35 Bewohnen des Palais auf der Herrengasse und bot Monika eine Stellung bei ihr an, die zwischen Freundin und Gesellschafterin die Mitte hielt. Doch auch Graf Hugo und Terschka wohnten zuweilen in diesem Palais und so mußte sie die freundliche Aufforderung ablehnen. Dennoch blieb ein ganz nahes Verhältniß. Fast täglich, wenn die Gräfin in Wien oder auf Schloß Salem wohnte, leistete ihr Monika Gesellschaft. Nur nach Castellungo, wo die Gräfin den Frühling erwartete und verlebte, war sie ihr noch nicht gefolgt, hatte dies aber versprechen müssen für das laufende Jahr. Im Grunde hatte diese Beziehung wenig Erhebendes für Monika; ja die Gräfin ließ an ihr, wie an allen Menschen, nur an denen nicht, die zu Hugo's Intimität gehörten, ihrem steten Bekehrungs- und Erziehungseifer die Zügel schießen; nie kam ein Scherz, ein Lachen, eine enthusiastische Freude an Kunst oder Natur bei Hugo's Mutter zum Vorschein; das Theater existirte nicht für sie. Glücklicherweise entsprach alles das im allgemeinen auch Monika's momentaner Stimmung und so folgte sie der greisen Frau, die sich schon unerläßlich an sie gewöhnt hatte, auf Tritt und Schritt, jetzt auch hierher und vielleicht nach England, obgleich sie für letzteres noch nicht ganz entschlossen war und vorläufig nur bis Antwerpen hatte mitgehen wollen. Seitdem von Porzia's Onkel nun Hedemann genannt worden war, fühlte sie sich von räthselhaften Geistern bestürmt, die sie mahnten, lieber ganz zurückzubleiben und die Gräfin morgen allein abreisen zu lassen.
Die hohe Gestalt der Greisin trat ein. Sie war in einen weiten schweren Pelz eingehüllt, den ihr der Diener abnahm. Ihre scharfen, magern Gesichtszüge bedeckte ein einfacher Sammethut, den sie noch nicht abgebunden hatte, als sie schon eine Anzahl Briefe, die sie sich selbst vom Postamt mitgebracht, an den Schirm der Lampe hielt und hastig nacheinander erbrach. Ohne Brille 36 konnte sie nur mit Schwierigkeit lesen. Sie mußte daher innehalten, ihren Hut abbinden und sich's erst bequemer machen. Porzia bediente sie dabei. Monika ordnete die Zurüstungen zum Thee.
Ich komme von dem unseligen Doctor Abaddon! sagte die Gräfin. Ich wollte nicht verfehlen, vor meiner Abreise diesem armen, geschlagenen Sohn der Finsterniß wenigstens noch meine Aufmerksamkeit zu bezeigen! Dem Herrn sei Lob und Ehre; Terschka schreibt ja – Nun hatte sie das Futteral ihrer Brille geöffnet, das ihr Porzia auf einen stummen Wink Monika's gereicht, hatte den Eckplatz des Sophas eingenommen, den Tisch sich näher rücken lassen, dann auch die Lampe näher gezogen und die Brille auf ihre vom Feuer der Erwartung glänzenden Augen gesetzt und einen der Briefe geöffnet.
Der Kurier legte mancherlei inzwischen Angekommenes in ihre Nähe, einige Bücherpackete, einige Einkäufe, die schon vorausgeschickt waren, auch ein großes Papier, worin Monika sofort, und nicht ohne einen gewissen Anflug von Verlegenheit – die Rechnung des Hotels erkannte. Um die lesende Gräfin her war alles still und bewegte sich nur auf den Zehen. Nur die Gräfin allein sprach sich laut und mit Interjectionen aus, die ihre volle Zufriedenheit mit allem ausdrückten, was Terschka und ihre andern Correspondenten berichteten. Die Siegesgewißheit über den gewonnenen Proceß, wie die Aufregung über die bevorstehende Reise nach dem von ihr so lange ersehnten England, wo sie acht Wochen bleiben wollte, erhöhten die Kundgebungen ihrer Stimmung und weckten sogar eine alte Lebendigkeit ihres Wesens, die sie durch ihre trübe Religionsauffassung schon seit langen Jahren zu dämpfen verstanden hatte.
Vor den Dienern schwieg sie. Porzia aber, die ohnehin noch nicht recht der Sprache folgen konnte, hinderte sie nicht, an Monika, 37 die sich zuletzt ruhig vor der siedenden Theemaschine niedergelassen hatte und bald auf die Gräfin, bald auf die sinnend sich zu schaffen machende Italienerin sah, von den Eindrücken, die sie im Lesen empfing, einzelnes bruchstückweise mitzutheilen. Ja, dieser gute Terschka! sagte sie in abgebrochenen Sätzen . . . War einer geschickt, diese Aenderung mit den Verhältnissen in Westerhof in Güte auszugleichen, so war er es –! Eine Parcellirung – im größten Maßstabe – wie vorsichtig, sich an einen so einfachen, uneigennützigen Mann zu wenden – einen Juden, Namens Löb Seligmann – »Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon!« – Aber die Offerten der Fulds lehnt er ab – das ist schön! – Diese Helfer in der Noth haben wir in Wien genugsam kennen gelernt –!– Eine Lotterie – Hm! Hm! – ist nicht erlaubt, wie bei uns – Also Verkauf –! So gern ich – ja so gern ich gewünscht hätte, wir hätten die »Burg Gottes aufgerichtet im Lande der Edomiter und das Evangelium denen gepredigt, die noch unter dem Gesetz leben« – Terschka grüßt Sie, Baronin! unterbrach sie sich selbst und mit bedeutsamem Tone.
Monika dankte leise nickend. Die Gräfin hatte unter ihrer Brille ein wenig aufgeblickt. Sie wollte beobachten, wie dieser Gruß auf die junge Frau wirken würde. Ihre Stimme, die schon an sich wohllautend war, nahm einen besondern Ausdruck von Innigkeit an, als sie jenes Wort sprach: »Terschka grüßt Sie, Baronin!« Dabei war ein Purpurroth auf Monika's Wangen getreten. Das sah wol die Gräfin und seufzte. Monika gedachte, ob Terschka nichts von Armgart schriebe, wie er schon oft gethan – Doch auch das Seufzen der Gräfin, das völlig anderes im Sinne hatte, verstand sie – Sie wich weitern Fragen und Erörterungen aus und hielt beinahe den Athem an. Jetzt freilich aus 38 andern Gründen noch, als deshalb, um nicht die Gräfin in ihrer Spannung zu stören.
Diese erzählte zwischendurch vom Doctor Abaddon. Er wand sich doch wie der Fürst der Finsterniß –! sagte sie. Kriechend höflich war er – so, wie einst die Verdammten vor dem ew'gen Richter stehen müssen – Der liebenswürdige junge Herr von Asselyn geht morgen nach Westerhof, um die letzte Abwickelung zu erleichtern – O mein Sohn! – Wie gespannt er schreibt! . . . Aber nur so kurz –! So kurz! Wie? Angiolina ist krank? Das liebe Geschöpf! O, das entschuldigt ihn!
Monika behielt Zeit, die Gedanken zu sammeln, die ihr die Brust in hörbaren Schlägen heben und wieder sich senken ließen. Geht Benno jetzt nach Westerhof? Dem fühlte sie mit Wonne und zugleich mit tiefem Schmerze nach. Fast Eifersucht war es, das sie erfüllte, und wieder gedachte sie: Was wird der andere, Thiebold de Jonge sagen, der täglich zu uns kommt und heute nur noch nicht da war? Und dabei glitt ihr Blick dann auch wieder – auf die Rechnung des Hotels, die so lang, so lang schien –! Eine eigene Ideenassociation: Thiebold's Reichthum, ihr kleiner Creditbrief bei dem Hause Piter Kattendyk, die so zu sagen biblische Sorglosigkeit der Gräfin in Geldsachen und Thiebold ein Bewerber um Armgart – dann aber auch – Angiolina, die sie nur einigemal aus der Ferne gesehen – das schöne, allbewunderte Mädchen, das mit dem Grafen Hugo nur zu eng verbunden lebte. Warum fiel ihr Angiolina ein? Angiolina kam ihr, als krank gedacht, wie Benno von Asselyn vor, blassen Teints und wie den fernsten Zonen angehörend, beide sich wunderbar ähnlich sehend – – –
In etwas war denn doch die befriedigte Erregung der Gräfin durch den so kurzen Brief des Obersten, ihres Sohnes, gestört worden. Sie erinnerte jetzt an den Thee. Porzia wollte helfen. 39 Monika bedeutete sie mit einem Augenwink, auf ihr Zimmer zu gehen. Gern hätte sie ihr gesagt: Singe deine traurig schönen Lieder! Zaubere uns vor, was freudvoll und leidvoll im Menschenherzen liegen kann –! Der Gräfin würde sie freilich damit übel angekommen sein.
Der Thee entquoll schon dampfend der Maschine. Die Gräfin weilte noch in ihren Briefen – Lady Elliot schreibt voll Ungeduld – sagte sie, eine Tasse ergreifend. Sie ist so gütig! So nachsichtig! Sie gibt immer ein englisches und ein französisches und dann ein deutsches Wort, um meiner Schwäche entgegenzukommen, die ihre Sprache nicht versteht – »Alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit« – 30000 Bibeln sind in einem Jahre in Irland vertheilt! . . . Könnte man Pater Matthew gewinnen? Hm! Hm! Darin hat sie Recht – aber – »das Thier mit sieben Köpfen schnaubt und dräuet, daß sich darob die Sterne verfinstern« – nämlich sowie es an die Bibel geht – Monika war über alle diese aphoristischen Anspielungen durch tägliches Erörtern vollkommen unterrichtet.
Auch ein langer Brief vom »Onkel Levinus« lag da, den die Gräfin nach einer halben Tasse Thee, die sie schlürfte, mit einer gewissen Scheu überflog und dann an Monika übergab. Sie sagte, der Brief schiene mehr für sie, als für die Adressatin bestimmt. Die Gräfin wandte sich jetzt dem Rest ihres Thees und einem leichten Gebäck zu – in Gedanken verloren.
Monika nahm den dargereichten Brief und las ihn mit schmerzlicher Miene für sich, während die Gräfin den Rest der Briefe durchsah, solche, die ihr von ihren Verwaltern aus Schloß Salem und Castellungo zugekommen waren – »Wenn es diesen Zeilen gelingen könnte«, schrieb des Obersten Bruder, Monika's Schwager, »Ew. gräfliche Gnaden noch vor Ihrer Abreise nach 40 England anzutreffen, ja Ew. Hochgeboren zu bewegen, die Nähe Westerhofs nicht unberücksichtigt zu lassen und uns mit einem Besuch zu beehren, so würde ich damit zuvörderst den Wunsch unserer lieben Comtesse Paula ausgesprochen haben, dem sich der unsers Fräuleins Benigna und mein eigener ehrerbietigst anschließt. Die Wege bis zu uns sind bequem oder bieten in einem so milden Winter keine großen Schwierigkeiten. Persönlich die Gesinnungen wiederholen zu können, die ich als langjähriger Freund und Verwalter des Grafen Joseph über die in Gottes Rath beschlossene Zukunft seiner Besitzthümer immer und immer von ihm vernommen habe, würde mir zur besondern Genugthuung gereichen. Aus dem Schoose der Familie unserer Gräfin, selbst den, allerdings jetzt kaum noch den Lebenden angehörenden, frühern Vormund derselben, ihren Onkel, den Kronsyndikus von Wittekind-Neuhof, nicht ausgenommen, der. wie Ew. Gnaden wissen, einer anderweitigen Auskunft, einer ehelichen Verbindung beider Linien von je den Vorzug gab, ist nichts unternommen worden, was diesen gegen die Ansprüche des Herrn Grafen Hugo geführten unseligen Proceß hätte schüren und fördern können. Uns lag nur ob, das Vorhandensein jener Urkunde, welche die christkatholische Religion der jüngern Linie als Titel der Erbschaftsberechtigung verlangen soll, möglicherweise festzustellen und auch hierin einen etwa vorhandenen Wunsch der Vorvordern zu erfüllen. Die Nachforschungen konnten indessen eine solche Urkunde nicht auffinden und so gebe denn der gütige und gerechte Gott seinen Segen zu einer Ausgleichung, die, dank der Einsicht des vom Herrn Grafen berufenen Vermittlers, des Herrn Baron von Terschka, vorzugsweise darauf hinauszukommen scheint: Der letzten Erbin der ältern Linie, unserer trefflichen Paula, verbleiben Schloß und Hof Westerhof nebst den nächsten Adjacentien aus hundert Morgen in der Runde als standesmäßige Abfindung 41 und erbeigenthümlicher Besitz für ewige Zeiten; alles andere fällt der jüngern Linie zu, vorbehaltlich etwaiger Rückkäufe, welche für einige Grundstücke und Waldungen der Comtesse offen bleiben. Für die Regulirung dieser Procedur hat der Herr Oberprocurator Nück uns die Ankunft des Herrn Benno von Asselyn angekündigt. Wir erfreuen uns in Herrn von Terschka eines weisen und wahrhaft discreten Vermittlers, der in allen diesen schwierigen Verhältnissen seit Monaten das Größte geleistet hat. In kurzem ist derselbe bereits der Liebling der Gegend geworden, womit viel gesagt ist bei einem Volksstamm, der sich bekanntermaßen nur schwer anschließt, ohnehin, da man der neuen Wendung der Dinge um so mistrauischer entgegensah, als wir uns gerade jetzt, infolge des bekannten traurigen Weltereignisses mit unserm Kirchenfürsten, in einer confessionellen Aufregung befinden, die mehr, als ich wünschen möchte, die Gemüther erbittert und ein paritätisches Zusammenleben fast unmöglich macht –!« – Monika las zwar für sich; aber die Gräfin, die nun aufstand und sich einiges an ihrer Haustoilette zu schaffen machte, beobachtete sie und sagte: Sind Sie schon an der Stelle, wo der wunderliche Mann mir die Unmöglichkeit des Zusammenlebens mit Ketzern schildert, nachdem er mich doch zuvor ausdrücklich eingeladen hat, Westerhof zu besuchen?
Monika mußte lächeln, so schmerzlich erregt sie auch war. Sie blickte auf das Ende des Briefes, um nach einer Erwähnung Armgart's zu suchen. Der Brief lautete aber im weitern Verlauf: »Comtesse Paula ist glücklich, daß sie Westerhof behält. Sie drückt Ihnen, gnädigste Frau Gräfin, ihre ganze Verehrung aus. Es würde Sie gewiß erfreuen, eine Verwandte kennen zu lernen, die mit einem selten gebildeten Geiste eine Einfachheit und Güte des Herzens verbindet, die durch keine Verkürzung und Schmälerung ihrer Glücksgüter getrübt werden kann, höchstens, 42 daß ihr von jetzt ab die Mittel zum Wohlthun verringert werden –«
Wieder unterbrach die Gräfin die im Zimmer herrschende Stille. Sie folgte der Lectüre Monika's im Geiste Zeile für Zeile, so fest hatte sich ihr sofort trotz kurzen Durchfliegens der Inhalt des Briefes eingeprägt. Um Comtesse Paula, sagte sie, gesteh' ich es zu bedauern, daß ich der Aufforderung nicht folgen kann –«
Monika verstand vollkommen, was in diesen Worten liegen sollte. Es war die mütterliche Sorge für die doch immer noch nicht ganz gewisse Zukunft. Fand sich noch irgendein Hinderniß für die Ausgleichung des Familienstreits, wol gar jene verhängnißvolle Urkunde, und entging damit den Salem-Camphausen eine ihnen seit fünfzig Jahren immer dringlicher und dringlicher gewordene Hoffnung, von welcher ihre Ehre und der Bestand ihres Namens auf Generationen abhing, so konnte und mußte der Fall eintreten, daß Graf Hugo um Paula's Hand warb – Deshalb lag in den folgenden Worten, welche die Gräfin unter andern Umständen mit größerer Strenge würde gesprochen haben, eine bei ihr seltene Milde. Das arme Kind, sagte sie, soll nach allem, was ich höre, immer wieder in ihre Visionen zurückfallen! Sie ertheilt im magnetischen Schlafe Rathschläge an Kranke! Schloß Westerhof, sagte mir Nück, soll von Morgens bis Abends von Hülfsbedürftigen, die oft aus weiter Ferne kommen, um sich von ihren Leiden heilen zu lassen, belagert sein! Aus dem wahren Geist Gottes ist das nun nicht. Die Apostel hatten allerdings diese Gabe auch, aber sie hatten sie um ihres Glaubens willen und bedurften dazu nichts, als nur des Gebets. Sie, liebe Baronin, weiß ich, sagen auch freilich rundweg, das alles wäre Wahn oder die Macht des Willens, der da sagt: Sei geheilt! und der Kranke ist – zuweilen geheilt. Der Wille 43 scheint Ihnen allmächtig! Wenn man an sich selber nur glaube, so könne man alles –! Ja, Sie wissen, meine Gute, wie wenig ich von allem halte, was ohne die Gnade Gottes ist! Doch bin ich weit entfernt, den Katholiken die Gnade Gottes abzustreiten, wenn sie sich ihr in inbrünstigem Gebete nahen. Mischen sie aber Thorheiten ein, wie die fürsprechenden Engel und Heiligen, nun, so mag auch der Herr das kindliche Lallen der Seele in ihrer unverständigen Verblendung mit väterlicher Geduld vernehmen, ist nur der Grund da des Vertrauens zu ihm – Sie erinnern sich aber, daß Ihre Freundin bei den Hospitaliterinnen die heilige Hildegard nannte, mit welcher Comtesse Paula Aehnlichkeit haben solle. Das sagt' ich Ihnen ja noch gar nicht, wie ich bei Bingen das Grabmal dieser sogenannten Heiligen gesehen habe. Ich beschloß, mich etwas genauer über sie zu unterrichten. Da erfuhr ich denn, daß wirklich, man sollte es nicht glauben, die ernsthaftesten Männer mit dieser Aebtissin, die so viel Wunder verrichtete, in Verbindung standen, ein Bernhard von Clairvaux, sogar der damalige Papst –
Sie wünschte ihm Glück zur Ausrottung der Waldenser! warf Monika ein –
Was? rief die Gräfin, die in dem ebengesprochenen Durcheinander ihre Theilnahme für Paula verbergen wollte und jetzt kaum ihren Ohren trauen mochte. Mit diesen wenigen Worten änderte sich plötzlich der ganze Gedankengang der Gräfin. That sie das? Die heilige Hildegard wollte auch die Waldenser ausgerottet? fuhr sie bestürzt fort und hielt im Wandeln durch das Zimmer inne. Sie verließ sich auf die Kenntnisse Monika's, die bei solchen entschiedenen Behauptungen verbürgt waren –
Sie that es in einer Sprache, fuhr Monika fort, die sie nur in ihren Visionen kannte, der lateinischen. Ihr Beichtvater schrieb diese Visionen nach und veröffentlichte sie später; es war ein 44 gewisser Pater Gottfried. Ich habe mich in Mußestunden mit dem Leben der heiligen Hildegard beschäftigt –
Dann war sie ja eine complete Betrügerin! wallte die Gräfin auf und endete ihre Rede mit dem völligen Gegentheil von dem, womit sie begonnen hatte. Sie hatte darauf hinaus wollen, daß es ihr allerdings interessant gewesen wäre an der heiligen Hildegard, sich nach deren Beispiel die ekstatischen Zustände Paula's zu denken. Nun aber sagte sie: Auch in Westerhof werden es die Pfaffen sein, die des armen Mädchens Krankheit benutzen und sie zur unsinnigen Närrin machen! Ich dorthin reisen! In dieser dumpfen Luft würde ich ja den Athem verlieren –! . . . Sie sprach laut eine Bibelstelle: »Es war aber ein Mann mit Namen Simon, der Zauberei trieb und gab vor, er wäre etwas Großes, und sie sahen auf ihn und sprachen: Der ist die Kraft Gottes, die da groß ist! Da sie aber Philippi Predigten hörten von dem Reich Gottes und den Namen Jesu Christi, ließen sich taufen beides, Männer und Weiber –« Damit war für jetzt der Name Paula's abgethan.
Monika las indessen weiter: »Herr von Terschka unterbricht mich und verbindet seine Bitte mit der unserigen, Ew. gräfliche Gnaden möchten in der That den Umweg nicht scheuen. Begleitete Sie nicht vielleicht Herr Benno von Asselyn, so würde Ihnen vielleicht auch der Domherr von Asselyn, sein Vetter, eine interessante Reisegesellschaft sein. Wir erwarten ihn jeden Tag zu einer kirchlichen Inspection. Auch einigen Worten des Herrn von Terschka, Armgart von Hülleshoven, meine Nichte, betreffend (jetzt zitterte in den Händen der von ihrem Kinde gemiedenen Mutter der Brief) geb' ich gerne Ausdruck und bitte Sie, Ihre Begleiterin, Frau von Hülleshoven, meine Schwägerin, zu versichern, daß sowol in meiner langjährigen Freundin Fräulein Benigna, Monika's Schwester, wie in mir die Reihe 45 der Jahre den alten Groll gründlich gelöscht hat. Was Sie auch, meine gnädigste Gräfin, über unser Zerwürfniß erfahren haben, beurtheilen Sie es nach dem Temperament von Menschen, die wie unser ganzer Volksstamm ein starkes und unbeugsames Rechtsgefühl haben. Nur auf der ›rothen Erde‹ konnten je die Femgerichte entstehen, jene Selbsthülfe des Volks in einer rechtlosen Zeit – (Die Buchstaben verwischten sich der Lesenden vor Erregung –) Es ist wahr, die Ehe zwischen meinem Bruder und Monika schloß sich ohne jede Prüfung und Ueberlegung. Kronsyndikus von Wittekind, der Testamentsvollstrecker ihrer Aeltern, wollte Monika zwingen, seinen Sohn Jérôme zu heirathen. Sie kannte dessen zu allem fähige Gewaltthätigkeit und nahm wie im blinden Ungefähr meinen Bruder. Nach einer vierjährigen Ehe war die Erklärung, sie folge dem Manne nicht in seine neue Garnison, sie besäße keine Liebe für ihn, ein bloßer Trotz der Verkehrtheit. Sie wollte anfangen nach Grundsätzen zu leben. Sie wollte ›wahr‹ sein gegen sich und andere. Es war der Anfang eines völligen Verwirrens ihres Denkens und Fühlens, das wir nicht dulden durften. Ihren thörichten Sinn wollten wir durch die Vorenthaltung ihres Kindes, unserer holden, damals dreijährigen Armgart, mit Gewalt brechen. Da wir ebenso gegen den Bruder verfuhren, als dieser Armgart für sich in Anspruch nahm, hatten wir die Ausdauer, einen Kampf mit dem Mutter- und dem Vaterherzen bis aufs äußerste zu wagen. Und dennoch würden wir zuletzt nachgegeben haben, als die sonst so treffliche Monika erkrankte, wenn sie nicht damals, kaum zur Hälfte genesen, wie im Fieberwahn Schloß Westerhof verlassen und in die weite Welt hinausgerast wäre, nun, mit ihrem weiß gewordenen Haar, in der That wie eine Irrsinnige. Daß diese Flucht, durch die sie nun freiwillig selbst ihr Kind aufgab, ein Anfall der maßlosesten Eitelkeit war, die Verzweiflung eines Blickes in den 46 Spiegel, wird sie nicht leugnen können. Diese wilde Unregelmäßigkeit ihres Wesens ist leider auch auf Armgart übergegangen. Die Mutter kann versichert sein, daß nicht das Mindeste von unserer Seite geschehen ist, Armgart aus dem Pensionat der Insel Lindenwerth abzurufen. Das thörichte Mädchen will beiden Aeltern sich zugleich aufgespart haben, aber auch nur zugleich. Sie führt diesen Gedanken auch jetzt im Stift Heiligenkreuz, wo sie eine Stelle bekommen hat, mit einer Wachsamkeit durch, die jeden Augenblick die Flucht von Lindenwerth auch von dort wiederholen würde. Die Aussicht, daß mein Bruder Ulrich sich in Witoborn niederläßt, rückt näher. Ein meiner Schwägerin sehr wohlbekannter braver Mann, Remigius Hedemann, hat, seitdem die Abwickelung der Verhältnisse unsers beim jetzt so tief gekränkten Geist der Provinz immer unmöglicher gewordenen Landraths ins Stocken gerathen, die Mühlenwerke bei Witoborn erstanden und beide gedenken ein für den Geist unserer Gegend allerdings tolles, ja förmlich herausforderndes Unternehmen – eine Papierfabrik zu begründen! Doch – stehen wir selbst ohnehin in unsern Verhältnissen nicht fest, so wird uns am wenigsten beikommen, in so sich immer mehr verwickelnde andere einzugreifen. Bruder oder Schwester, beide würden uns zur Verständigung gleich willkommen sein! Die Zeit heilt Wunden und mildert die Leidenschaften und wir müssen ja selbst wünschen, daß in diese harten Herzen endlich Besinnung kommt! Von meiner Schwägerin hör' ich durch Herrn von Terschka jetzt so außerordentlich viel Rühmenswerthes, daß sowol Benigna, meine langjährige liebe Freundin, welche dem Alter der Versöhnlichkeit mit dem, was unsere Erde bietet, schon so nahe gekommen ist, wie ich natürlich selbst nichts lieber wünschen, als die endliche Beilegung dieses Zwistes, den ja unsere heilige Kirche nicht gestattet so zu lösen, wie es die Leidenschaften dieser wilden 47 Menschen durch eine förmliche Scheidung zu wünschen scheinen – –«
Weiter konnte Monika nicht kommen – Die Schlußversicherungen der Ergebenheit überschlug sie in der Erregung durch diese offene und für den Charakter ihrer alten Gegner, ihres Schwagers, ihrer so strengen, viel ältern und ihr gewissermaßen als Erzieherin gegenüberstehenden Schwester, sogar gemüthvolle Sprache. Sie stand auf, ließ den Brief auf den Tisch gleiten, und trat ans Fenster, um die Stirn an den feuchten Scheiben zu kühlen.
Die Gräfin unterbrach nicht diesen Seelenkampf . . . Eine lange Pause trat ein, die Monika endlich mit den leisen Worten beendete: Aus alledem seh' ich, theure Gräfin, daß ich besser thun werde – noch in dieser Stadt zu bleiben und Sie – allein reisen zu lassen! Vielleicht erfreut es Sie – noch einen Gefährten statt meiner zu gewinnen, der bei Porzia sitzen könnte, den Onkel derselben, der genöthigt ist nach England zurückzureisen! Ich begrüße Sie dann – bei Ihrer Rückkehr hier oder, erlöst von allen diesen mich tief erschütternden Kämpfen, in Ihrem schönen sonnigen, glücklichen Castellungo!
Die Gräfin sagte zwar: Ja, ja! hörte aber plötzlich nur halb auf diese Worte. Sie hatte die Rechnung des Hotels entdeckt und suchte wieder ihre Brille, um eine nicht unwichtige irdische Frage etwas genauer zu prüfen. Monika sah sogleich, daß die Höhe der Summe, die es hier noch zu zahlen gab, die Gräfin erschreckte. Sie hatten an sich einfach gelebt, aber eine Menge anderweitiger Ausgaben hatte die Gräfin von dem gefälligen Wirth bestreiten lassen. Vollkommen war ihr die Eigenschaft ihrer Gönnerin geläufig, den »Nerv der Dinge« und den »ungerechten Mammon« für etwas zu nehmen, was sich nach Gottes ewigem Rathschluß allen denen, die ihn lieben, früher 48 oder später zum Besten wenden müsse – auch Schulden und nicht zurückgezahlte Darlehen. So vertieft war die Gräfin in eine unter dem Eindruck des gewonnenen Processes von ihr hervorgerufene ansehnliche Reihe von Zahlen, daß sie nicht mehr viel von Monika's Worten gehört hatte.
Bei alledem wußte sie, daß in dem Briefe das Wort »Scheidung« gestanden hatte. Darauf hin sagte sie beim prüfenden Oeffnen ihrer Reisekassette: Paulus spricht: »Der Herr ist der Geist, und wo der Geist des Herrn ist, da ist die Freiheit!« Sie wollte sagen, wenn bei Monika eine – Confessionsänderung stattfände, dann wäre ja die Scheidung möglich. Monika kannte diese Gedanken und stand träumend am Fenster.
Darüber kam eine Meldung.
Herr Kattendyk! hieß es . . .
Herr Kattendyk? rief die Gräfin hocherfreut . . . Sie war so in Vergleichung ihrer Reisemittel mit der Rechnung vertieft, daß ihr die Meldung des »Doctors Abaddon« vielleicht eine Besinnung auf diesen Namen gekostet hätte, aber die Nennung des Chefs der großen Handelsfirma »Kattendyk und Söhne«, an welche Monika empfohlen war, vergegenwärtigte ihr augenblicklich die gemeinte Persönlichkeit. Sie selbst war an die Gebrüder Fuld empfohlen.
Sehr angenehm! rief sie. Die Meldung eines dem »ungerechten Mammon« und den »Schätzen, die Motten und Rost zerfressen«, angehörenden Namens war angenommen, ja das Eintreten desselben wurde mit einer gewissen Feierlichkeit erwartet.