Karl Gutzkow
Die Selbsttaufe
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Karl Gutzkow

Die Selbsttaufe


1.

Seine Hochwohlgeboren, der Commerzienrath und Ritter mehrer Orden, Herr Wallmuth schienen nicht angenehm geruht zu haben. Vielleicht dauerte der gestrige Thee beim portugiesischen Gesandten zu lange; vielleicht hatte ein böser Genius dem glücklichen, aber alten Manne Gott Saturn mit der Hippe im Traume vorgeführt. Der Treffliche schien verstimmt. Jacob, der älteste seiner Diener, kleidete ihn an. Jacob war der älteste Diener; denn er stand grade sieben Monate in seiner Stellung zum Commerzienrath. Das war lange, lange für die Prinzipien eines Mannes, der auch darin mit der Jugend fortschreiten und sich jung erhalten wollte, daß er nichts mehr haßte als alte Dienstboten, Menschen, die uns, wie er oft in seiner geistreichen Weise sagte, in ihr eignes Alter hinunterziehen, durch langjährige Gewöhnung beherrschen und uns eine Welt, die voll so heiterer Freuden und einladender Reize ist, langweilig erscheinen lassen. Jacob war ein junger Groom, der noch vor sieben Monaten als Jokey hinter der österreichischen Gesandtin geritten war.

Man überreichte dem Commerzienrath seine Morgenkleider. Er schlüpfte in einen gelbseidenen Schlafrock und gähnte sich aus. Jacob erhielt den ersten unfreundlichen Blick, der Herr der Schöpfung den zweiten. Wallmuth hatte das Wetter in Augenschein genommen und fand es nicht lobenswerth. Er warf sich in sein Canapee mit dem Bewußtsein, daß es dem Herrn der Schöpfung verdrießlich war, schon so früh Morgens nicht den Beifall des Commerzienrathes und Ritter mehrer Orden, Herrn Wallmuth erhalten zu haben. Jacob rückte ihm eine Maschine entgegen. Der große Mann wird sich die Chocolade selber machen. Er nimmt die braune Cacaotafel, bricht sie höchsteigenhändig in erst größere, dann diese in immer kleinere Stücke, bis die Stücke klein genug sind, um in dem heißen Wasser zu schmelzen. Jacob wischt ihm die braun gewordenen Finger ab. Dann rührt der Commerzienrath den würzigen Trank und studirt die Lehre von der Brechung der Lichtstrahlen an dem bunten Schaum, der auf den Rand der Trommel steigt. Hätte Jacob Geist genug gehabt, zu behaupten, daß der Lichtschimmer, der diese prismatischen Farben des Chocoladenschaumes hervorbrachte, von des Commerzienrathes klarem Auge ausginge, die Bitte um eine kleine Zulage würde ihm nicht abgeschlagen worden sein.

Der Morgen eines reichen, geehrten, glücklichen Mannes! Nur die Verdauung ist nicht immer, wie sie sein soll. Heute ist sie ungestört, denn der Commerzienrath nimmt zu Soupers, die alten Leuten weit gefährlicher sind als Diners, keine Einladungen mehr an. Die Zeitungen beschäftigen ihn, er hält sie alle; alle, die in der Residenz erscheinen. Er liest sie von rückwärts, von der städtischen Chronik und den Theaterangelegenheiten an bis zu den politischen Ereignissen nach vorn, die ihn seiner Orden wegen interessiren. Heute sucht er nach einer Notiz, die er gestern an alle Redactionen eingesandt hatte. »Herr Commerzienrath, Ritter etc. Wallmuth hat dem Verein der Gartenfreunde ein vorzügliches Exemplar von Tropaeolum tricolor zum Geschenk verehrt.« Sie steht da, die Notiz, ohne Druckfehler, sie steht in allen Blättern. Das machte ihn heiterer, er schlürft die Chocolade mit größerm Behagen, er malt sich aus, welchen Eindruck grade in diesem Augenblick bei der Morgencollation diese Stelle auf Se. Durchlaucht den Fürsten, auf die Fürstin, auf die Prinzen und Prinzessinnen des Hauses, auf den dirigirenden Minister, auf die Departementchefs und das diplomatische Corps machen wird. Er wird in den nächsten acht Tagen das Casino besuchen, um alle auswärtigen Zeitungen durchzusehen, ob nicht zwischen den Parlamentsverhandlungen Englands und den Ministerialkrisen Frankreichs auch das dem Verein der Gartenfreunde von ihm verehrte Exemplar von Tropaeolum tricolor zu finden ist. Für den Fall, daß er die Notiz nicht findet, wird er auch zu denen gehören, welche die Presse für zügellos erklären.

Es hat neun geschlagen. Besuche melden sich. Der glückliche Mann gibt Audienzen. Die Verwaltung seines Vermögens ist so geordnet, daß sie ihn nur alle Vierteljahre bei großen Rechnungsabschlüssen stört. Er lebt nur den Künsten, Wissenschaften, der Wohlthätigkeit und der Gesellschaft. Es kommen Einladungen, kleine zierliche Billette mit Wappenvignetten, es kommen Anfragen, Bitten, man leiht auch Bücher von ihm und trägt ihm Streitigkeiten vor, die sich gestern beim Whist entspannen, und ersucht ihn um seine Entscheidung. Er besitzt in der That nicht nur Bücher, sondern auch Kenntnisse. Er hat einen wundervollen Garten, in welchem ein theuerbezahlter Gärtner Pflanzen zieht, die bei jeder nächsten Blumenausstellung Medaillen gewinnen, Medaillen, die natürlich nur dem Commerzienrath ertheilt werden. Er ist nicht nur Blumist, er ist Mineralog, er hat eine Schmetterlingssammlung und eine Siegelsammlung, und wenn der romantisch gestimmte Kronprinz das politische System vielleicht ändern sollte, wird er auch eine mittelalterliche Waffensammlung anlegen. Seine wohlgeordneten, sauber geschriebenen Kataloge stehen jedermann zu Diensten. Fremde Gelehrte bewundern einen ehemaligen Kaufmann, dem es gelingen konnte, sich zum Ehrenmitglied so vieler wissenschaftlichen Gesellschaften zu machen. Diese Ehren kosten viel Geld, viel Verpflichtungen, viel Gegendienste. Ruhm gênirt, war eine Lieblingswendung des ausgezeichneten Mannes. Aber auch ein gutes Herz ist gênant. Wallmuth galt dafür, ein solches zu besitzen. Man sah ihn bei Unterzeichnungen zwar nie oben an der Spitze prangen (denn dies weisen selbst die Rothschilde als unpassend zurück), aber immer im Verlauf der Namenliste mit großmüthigen Aufopferungen. Besonders gab er da, wo er wußte, daß eine Gabe auch anerkannt, geschätzt, gewürdigt wurde. Dank, den Andere nicht begehren, mußte er stets in starken Zügen schlürfen. Man will behaupten, daß es Fälle gab, wo er sich sogar von Männern die Hand küssen ließ. Verschämten Armen war er nicht hold, wohl aber denen, die ihm von einflußreicher dritter Hand empfohlen wurden. Ein unglücklicher Vater, der um seine Theilnahme bat, that immer besser, statt sich von seinen drei hungernden und frierenden Kindern begleiten zu lassen, sogleich eine Empfehlung von einem öffentlichen Namen mitzubringen. Ein Handbillet von einer tonangebenden Dame öffnete augenblicklich das Herz des edlen Mannes. So hatte er auch heute reichlich geschenkt, golden sich eingeschrieben in die Tafeln der Erinnerung und Dankbarkeit, er konnte sich in stolzem Gefühl jetzt ankleiden lassen, konnte den Wagen bestellen, durfte rechnen bei seinen Morgenvisiten vom Oberfinanzdirektor, der ihm einen leichtsinnig gewesenen jungen Unterbeamten empfohlen hatte, einen stummen Händedruck, von dem Gemäldegalleriedirektor, der ihm einen Kupferstecher für seine Visitenkarten empfohlen hatte, einen warmen Dank zu ernten, ja die muntre Baronesse von Leuthold, die ihm eine geheime Subscription für ihre alte Gouvernante ans Herz gelegt hatte, drückte ihm vielleicht einen Kuß auf seine einst schön gewesenen Lippen. Er war befriedigt, erheitert sogar. Jacob staunte, daß er seinem Herrn eine glänzende Hofuniform und seine sämmtlichen Orden anziehen mußte. Es mußte damit ein geheimer Zweck sein. Der Wagen stand vor der Thür. Er wollte einsteigen. Alles war erledigt, nur unten steht noch der Küster von St. Petri und zieht das Sammetkäppchen vom silberweißen Haupt. Er hatte die Pflege eines Grabes zu besorgen, eines Grabes, das den Commerzienrath sehr nahe anging.

Zehn Jahre, hieß es, zehn Jahre hab ich das Grab der in Gott ruhenden Frau Commerzienräthin gepflegt, bin auch endlich dafür bezahlt worden, aber seit Fräulein Agathe verreist ist –

Ich werde Blumen aus meinem Treibhaus schicken.

Auch grünen Rasen? fragte der Todtengräber; und Abends, fuhr er schüchtern fort, begieße ich die Blumen, wenn die Sonne untergegangen ist. Waren so lange nicht draußen, Herr Commerzienrath.

Diesem aber war unweltliche Störung unangenehm. Der Alte hatte ja keinen Empfehlungsbrief; von Niemanden, höchstens von einem Schatten!

Ich gebe nichts, sagte der in seinem Behagen gestörte Mann und stieg ein.

Das Grab Ihrer guten, seligen Gattin, flehte bittend der Greis.

Ich will nicht. Das geht meine Tochter Agathe an. Damit schlug er das Fenster zu und bemerkte nur noch: Zu meiner Tochter Sidonie!

Der Todtengräber sah dem rollenden Wagen nach, blieb eine Weile nachdenkend stehen und richtete an eine alte Haushälterin, die schon unter der Commerzienräthin im Hause gewartet hatte, die Frage, wann die gute Agathe wiederkäme? Die Alte antwortete nicht. Sie war taub. Seufzend verließ der Greis die Schwelle des Hauses, das sich hinter ihm schon geschlossen hatte.


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