Karl Gutzkow
Die Selbsttaufe
Karl Gutzkow

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8.

Agathe hatte nun nichts Emsigeres zu thun, als dem Geliebten, soweit sie es konnte, seinen Aufenthalt so heiter und bequem wie möglich einzurichten. Kannte sie doch von Schönlinde her noch alle seine Bedürfnisse, Bedürfnisse, in denen er ihr so gut, so liebenswürdig erschienen war. Sie schickte ihm einige dreißig Adressen von Wohnungen, die sie alle aus dem Ankündigungsblatt abgeschrieben hatte. Als er endlich eine passende fand, trug sie, soweit sie sich in die gewählten Zimmer, ohne sie zu kennen, versetzen konnte, Sorge für die Einrichtung jeder nur wünschenswerthen Bequemlichkeit. Ihre Sorgfalt erstreckte sich von den Blumen, die sie ihm aus den Treibhäusern heimlich sandte, bis zu Kaffee- und Zuckervorräthen. Gern auch hätte sie die Sorge für seine Wäsche übernommen, ihm fehlende Bänder und Knöpfe angenäht, aber Ottfried ging zu ihrem größten Leidwesen darauf nicht ein, indem er behauptete, in seinem Hause trefflich bedient zu werden.

Inzwischen vermehrten sich sowohl Ottfrieds gesellschaftliche Beziehungen, als Wallmuths Vertraulichkeiten zu einem Manne, der ihm in der Gesellschaft so wohlempfohlen erschien. Er hatte in dem verstorbenen Baron von Büren einen Schwiegersohn gehabt, der seiner Billigung oder Ungnade sehr wenig achtete, und konnte sich dagegen sagen, daß er jetzt in Ottfried jemanden gefunden hatte, der so recht der Gegenstand seiner Launen, der Ableiter seiner Wünsche und Träger seiner Grillen werden konnte. Selbst Ottfrieds Unentschlossenheit über seinen künftigen Beruf war ihm nicht so verdrießlich, als man hätte vermuthen sollen. Hatte er doch dadurch Gelegenheit, in einer steten erörternden Anregung mit ihm zu verkehren, anzuhören, zu widerrathen, Weisheit gegen Bescheidenheit auszutauschen, Häuser zu bauen, wieder einzureißen, gerade wie er es liebte. Vom Predigtamte war natürlich keine Rede mehr. Der Lehrerberuf misfiel dem Vater und so kam man allmälig von der ursprünglichen Bildung und Lebensrichtung Ottfrieds in dem Grade ab, daß der Vorschlag des jungen Schönburgk, Ottfried sollte mit ihm in die Diplomatie treten, durchaus nicht mehr abenteuerlich erschien. Es war dies freilich eine Berufswendung, bei welcher zwei Dinge stillschweigend vorausgesetzt wurden, nämlich, daß Ottfried in diesem Falle auf Reisen gehen und eine geraume Zeit noch unvermählt bleiben müsse. Wallmuth hatte sich in kurzer Zeit so an Ottfried gewöhnt, daß er ihn ganz selbständig ohne alle Rücksicht auf die künftige Bestimmung, sein Schwiegersohn zu werden, betrachtete. Agathe, die in der Tretmühle ihrer täglichen Verpflichtungen ohnehin nicht scharf beobachten konnte, nahm in ihrer Herzensgüte immer nur das Beste an und dachte an nichts, was ihr hätte Besorgnisse einflößen müssen. Ein kurzer Besuch, ein freundliches Billet, ein Wort der Liebe genügte ihr schon. Sie war nicht verwöhnt.

Sidonien hatte Ottfried seither nicht mehr gesehen. Er fürchtete sich zu ihr zu gehen, und daß sie sich begegneten, traf sich nicht. Endlich mußt' er doch zu ihr, des sogenannten »Anstands« wegen. Sie empfing ihn leidend, nachdenklich, ernst. Ich glaubte, Sie hätten mich vergessen, bemerkte sie, indem sie sich tief in die Sophaecke warf, ruhig die Arme übereinanderkreuzte und auf Ottfried, der niedriger saß, sinnend herabblickte. Vergessen? sprach Ottfried mit scharfer Betonung und einem Ausdruck, der da sagen wollte, ob dies wohl möglich wäre? Was ist eine Frau, die ihre Bestimmung erfüllt hat? fuhr sie fort und peinigte damit Ottfried nur noch mehr; denn ein bedeutender Mensch hat vor nichts mehr Abscheu, als da, wo er tiefer empfindet, leere Höflichkeiten auszusprechen. Das Gespräch kam auf Sidoniens schöngeistige Arbeiten. Er hatte davon gehört und bat sie, ihm davon mitzutheilen. Nach einem längern verlegenen Sträuben, das sie sehr liebenswürdig erscheinen ließ, willigte sie darein, ihm einige ihrer saubergebundenen und mit Goldrand verzierten geschriebenen Hefte nach Hause zu geben. Sie wollte sie ihm schicken, er nahm sie selbst mit und versprach ein offenes ehrliches Urtheil. Es überraschte sie, als er schon am folgenden Morgen selbst erschien und die Hefte zurückbrachte. Es hatte sie immer so gepeinigt, daß Manche, denen sie diese Ergüsse ihres Talentes geliehen hatte, vierzehn Tage darauf verwenden konnten, ihre Neugierde zu befriedigen. Ottfried dagegen hatte sogleich eine halbe Nacht geopfert und milderte schon durch dieses warme lebendige Interesse den Tadel, den er sich über Eines oder Anderes auszusprechen erlaubte. Sie gestand ihm offen und frei, daß ein Tadel aus seinem Munde nichts Verwundendes für sie hätte; er solle nur rügen, was ihm misfiele; nur müßt' er versprechen, ihr soviel zu lassen, daß sie den Muth nicht verlöre, sich zu bessern. Ottfried erröthete und küßte zum ersten Male ihre Hand, die sie ihm, als Zeichen der schon im Voraus bewilligten Verzeihung, mit unbeschreiblicher Grazie darreichte. Diese weiche Hand, die blendendweiß gegen ein rothes Korallenband mit goldenem Schloß abglänzte, verwirrte ihn; er bedurfte Zeit, sich zu sammeln. Sie verlangte von ihm die reinste Wahrheit. Er nahm Gelegenheit, seine Ansichten über Kunst und Literatur zu entwickeln, und statt dadurch auseinanderzurücken, kamen sie sich nur noch näher; denn magischere Begegnungen gleichartiger Gemüthsstimmungen gibt es nicht, als durch die Poesie.

Die Beziehung zu Sidonien wurde dadurch wieder so lebhaft, daß Ottfried jeden Augenblick, den er nur erübrigen konnte, ihr widmete. Kurz vor dem Zeitpunkte, wo nach dem Willen des Vaters, der feierliche Veranstaltungen liebte, nun die Verlobung mit Agathen geschlossen werden sollte, trank Ottfried eines Abends bei Frau von Büren den Thee. Agathe hatte nach dem Willen des Hofmedicus, der ihren Gesundheitszustand nicht durchaus befriedigend fand, sich früh zu Bett gelegt und selbst gewünscht, daß er den Abend bei ihrer Schwester zubrächte. Der Zufall wollte, daß Ottfried von seinem frühern Leben sprach, und Sidonien war es schon oft aufgefallen, daß er mit Jahren dabei so leicht umsprang, wie mit Monaten. Ihre Reise mit Schönburgk fand vor fünf Jahren statt, was haben Sie seither denn getrieben? sagte sie mit freundlicher Laune. Gestehen Sie nur, fuhr sie lebhafter fort, als er schwieg; wo steckten Sie drei Jahre hindurch, die mir ganz räthselhaft in Ihrem Leben sind? Wo haben Sie Ihre sichern Manieren, Ihren Weltton, Ihre reifen Ansichten her? Auf der Universität, unter schweinsledernen Büchern lernt man das nicht.

Ihnen, sagte Ottfried nach einer Pause, während er nachdenklich zum Teppich niederblickte, Ihnen kann ich nichts verschweigen. Erzählen Sie, sagte Sidonie, indem sie einen grünen Lichtschirm so rückte, daß das blendende Licht ihre Augen nicht reizte und sie im Schatten auf dem Sopha mehr lag, als saß. Ich habe nicht viel zu erzählen, bemerkte Ottfried; denn ich will Ihnen ganz kurz mein Geheimniß anvertrauen. Sie werden es heilig halten und etwas, das nur Sie wissen außer mir und meinem Vater, keinem Menschen mittheilen. Erschrecken Sie nicht! Ich war drei Jahre hindurch Schauspieler! – Sidonie richtete sich betroffen empor, sah Ottfried, in dessen schmerzlich bewegtem Antlitz ihr plötzlich die Geschichte einer langen leidenvollen Verwirrung geschrieben schien, mit weitgeöffneten Augen an und lehnte sich wieder schweigend vor Staunen in die Ecke ihres Sophas zurück. Ottfried, bewegt, erzählte mit weicher Stimme, wie ihn ein abenteuerlicher Sinn zu einer Gesellschaft getrieben hätte, die in der Umgegend der Universität Vorstellungen gab. Mitleid mit dem Unternehmer hätte ihn länger zu bleiben vermocht, als erst sein Wille war. Dann aber wär' er so in den Strudel dieses sogenannten Künstlerlebens hineingerathen, daß es eines heroischen Entschlusses, einer zusammengenommenen letzten moralischen Kraft bedurfte hätte, ihn aus einer Bahn zu entfernen, für welche er sehr bald den Beruf in sich vermißte. Es ekelte mich an, sagte er, der Sklave einer rohen Masse zu sein. Ich fühlte, daß diese trivialen Charaktere, die ich so oft darzustellen hatte, eine Blasphemie gegen meine eigene Bildung waren, ich hatte von einer Kunst geträumt und lernte ein Handwerk kennen. Mein Gemüth versank in Schwermuth. Im fernen Ungarn hört' ich einen deutschen Dorfprediger eine weihevolle Rede halten, mir fiel mein armer gekränkter Vater, mein eigner Beruf ein, ich brach die Kette meines Schicksals durch die Flucht. Nicht von der Universität kam ich nach Schönlinde, sondern von langer, langer Wanderschaft aus dem fernen Ungarland. Ich kam geistig elend, zerknickt in meinem kühnsten Aufschwunge, wehmuthsvoll und vom Vater eine Vergebung hoffend, die ich nur in Worten, nicht in seinem Herzen fand. Kein Mensch hatte eine Ahnung von Dem, was mit mir geschehen war. Ich suchte still wieder in die Geleise meines ersten Berufes zurückzukehren und bestieg statt der Bühne, gleichsam um mich auszusöhnen, die Kanzel. Es war aber, als wäre der Geist von mir gewichen. Ich konnte nur noch mich selbst rühren. Ich war krank an mir selbst. Der Birke im Frühling gleich, die leicht geritzt schon ihren Saft verspritzt, ergriff und rührte mich das Geringste. Kranken ist es so, die nach langem Leiden in die Genesung treten. Schämen meiner damaligen Stimmung mag ich mich nicht. Aber erschrecken muß ich, wenn ich bedenke, was Reue und Schmerz und das Gefühl eines anknüpfungslosen, verfehlten und von fremder Gnade abhängigen Lebens aus uns machen können. O Gott – In dieser zerflossenen Dämmerung, in diesem ohnmächtigen Bewußtsein meiner selbst, lernt' ich damals Agathen kennen –

Ottfried stockte. Sidonie hielt gepreßt den Athem an. Die nie besprochene Frage that sich zum ersten Male zwischen ihnen wie ein gähnender Abgrund auf. Stand Ottfried jenseit dieser Kluft bei Agathen oder diesseit ihrer bei Sidonien? War Agathe des unglücklichen jungen Mannes Trost und Erquickung geworden, oder war der Bund der Liebe, den er mit ihr schloß, dies letzte Symptom seiner gedämpften Geisteskraft, seiner muthlosen Ergebung gewesen? Ottfrieds Auge war umflort, Sidoniens Auge strahlte. Es war kein Zweifel, daß Ottfried schwieg, weil er das Muthigste nicht zu sagen wagte. Wie eine Schlange lauerte Sidonie auf die erste Bewegung, die Ottfried machen würde. Er war ganz verloren, sie ganz Bewußtsein. Er schwach und zerschmettert, sie stark und triumphirend. Sah sie ihn im Geist nicht zu ihren Füßen sich krümmen? Durfte sie jetzt mehr, als nur die Hand ausstrecken, um den Aermsten zu ihrem Sklaven zu haben? Sie erwartete eine Scene, ein Geständniß, sie war vollkommen gerüstet, wenn er von Liebe stammeln würde, ihm zu erwiedern: Ottfried, ich bin dir so nothwendig, daß du keiner Andern auf der Erde gehören darfst, als mir! Ottfried erhob auch langsam sein Haupt, richtete einen langen verzehrenden Blick auf diese schöne Schwester der armen Agathe, die er nicht mehr liebte, sog den Anblick des hingegossenen reizenden Weibes mit wonnetrunkenem Fieberschauer ein , genoß diesen grausendsüßen Moment eine Weile, brach dann aber plötzlich ab und erhob sich, um, wie es seine Weise war, wenn er zu einem andern Gegenstand übersprang, im Zimmer auf- und niederzugehen.

Hätte Agathe diese Scene belauschen können, sie würde geglaubt haben, daß sie gerettet wäre. Aber sie war es nicht. Ottfried lebte und glühte nur für Sidonien. Er trennte sich zwar jenen Abend schnell und fast ohne Abschied von ihr, aber gerade die Ueberzeugung, daß Sidonie ihn wieder liebte, machte ihm das Blut starren, nahm ihm den Muth sich zu erklären, ließ ihn zwar eine Sammlung, aber keinen Entschluß finden. Sidonien lieben zu dürfen! Sidonien, dieses Abbild der edelsten Schönheitsformen, diese Zauberin, der Alle huldigten, diese Künstlerin nicht blos mit der Palette oder der Feder, sondern diese Lebenskünstlerin, die Alles verklärte, Alles verschönte, was sie nur anlächelte, anhauchte! Er gestand sich mit dem bittersten Schmerz, was ihn von Agathen trieb. Nicht ihre geringeren Reize, nicht der Minderwerth ihrer einfachen und prunklosen Liebe; wohl aber der Stolz, die Eitelkeit des Mannes, der zwischen dem Glück und der Beschränkung wählen durfte, und dem bei dieser Wahl eine Krone zu verschmähen lächerlich erscheinen mußte. Er verglich die sklavische Lage Agathens und die glänzende Freiheit ihrer Schwester. Die dunkle dumpfe Unterwerfung, in welcher die Erste gehalten wurde, schauerte ihn an. Er schleppte selbst an der Fessel dieser ihm bald klar gewordenen Demüthigungen mit. Alles was Agathen betraf, zog ihn nieder, Alles was Sidonien, zog ihn empor. Er fühlte, daß er sich vor einer gewissen moralischen Stimme seines Innern nicht vertheidigen konnte und ein wilder Trotz sagte ihm doch wieder: Mache dich frei von diesen kleinlichen Gefühlen! Und in diesem Trotz, in diesem wilden Abschütteln lästiger beschränkender Vorurtheile fühlte er sich größer, bedeutender, werthvoller. Die Gesellschaft, in die er eingeführt war, hatte ihn geblendet. Von seiner künftigen Laufbahn schwebten ihm berauschende Ideale vor. Das hatt' er nie erwartet, das nie so geträumt! Und nun sollt' er mitten in diesem äußern Glanz, mitten in diesen stillen Wonnen einer Liebe, die ihn von Sidonien jeden genährten Wunsch seines überquillenden Herzens erwarten ließ, ausscheiden aus diesem beneidenswerthen Geschick und sich durch öffentliche Verlobung einem Mädchen überliefern, das von allen weiblichen Wesen, die er täglich jetzt sah, gerade die wenigsten Ansprüche auf seinen Besitz hätte machen dürfen – seinen Besitz, wie er in Stolz und in Verzweiflung hervorhob!

Es war ein rauher Novembertag. Der Winterfrost kam spät, dafür tobten die Stürme und entblätterten gewaltsam die Bäume, die ihren vergelbten Schmuck nicht fahren lassen wollten. Der Regen nahm kein Ende. Es waren unfreundliche Tage, die nur Den nicht stören konnten, dem es im Herzen warm und traulich war. Agathe sah nichts von diesem öden Tage, der endlich ihr Verlobungstag werden sollte. Es war sonnenhell und frühlingsmild, der endlich erschienene Erlösungstag. Nie hatte sie gedacht, solch einen Ehrentag noch erleben zu dürfen. Nun schenkte ihr das Schicksal diese große Freude, das unerwartete Glück. O sie nahm es auch dankerfüllt von ihrem Schöpfer hin, sie begrüßte schon die erste Morgendämmerung dieses Tages, während im Hause noch Alles schlief, mit Thränen im Auge, mit seliger Beklommenheit und freudiger Unruhe im Herzen. Wie ihr das Alles so geschäftig heut von Händen ging! Es war ihr, als schwebte sie, ein Vogel in den Lüften. Sie hatte Scheu vor sich selbst, sie griff nach Allem, was ihr sonst alltäglich war, heut mit einem feierlichen Ernst, als wenn es alles andere Dinge wären, als sonst, als wenn das Todte selbst und Leblose, was sie umgab, heut ihre geheimnisvolle Stimmung mitempfinden müßte. Noch wußte man im Hause nicht, welche Entscheidung der heutige Tag in seinem Schooße führte, sonst würde man ihr Glück gewünscht und recht sehr das garstige Wetter bedauert haben. Selbst die gewählte Toilette, die sie für den Mittag zurechtlegte, konnte nicht auffallen, da sie mit dem Vater heut' außer dem Hause aß. Morgen wußte es ja alle Welt! Morgen durfte sie jeden umarmen und für seinen Glückwunsch danken! Der kleine Vogel im Käfig, der Hofhund, die Katze, die den Garten von den Feldmäusen zu reinigen hatte, Alle hätten es im Grunde merken sollen, was mit ihr vorging; denn sie war aus allen Fugen, sie schwärmte auf und ab und schonte ihre zarte Gesundheit nicht, wenn sie selbst im Regen über die Höfe lief.

Auch der Vater trieb Dinge, die ihre glückliche Unruhe nur vermehrten. Er hielt sich den ganzen Vormittag verschlossen, nahm keinen Besuch an, öffnete, um sich nicht stören zu lassen, keinen Brief, zankte auch nicht, war aber auch nicht freundlich, kurz, sein Benehmen verrieth das tiefste Versenken seiner Gedanken in sich selbst. Sie hatte es bald weg, was der gute Vater trieb. Er hatte ohne Zweifel die Absicht, die heutige Verlobung durch eine, wie man an ihm gewohnt war, geistreiche Rede einzuleiten. Er gab diese Reden, die er gern bei feierlichen Familienvorfällen hielt, immer für Eingebungen des Momentes aus, war aber viel zu besonnen, als daß er diese Improvisationen nicht vorgezogen hätte vorher sorgfältig auswendig zu lernen. Agathe hatte ihn heute schon zweimal überrascht, einmal wie er laut eine schöne Vergleichung der Ehe mit der Obstcultur niederschrieb, das andere Mal, wie er sie auswendig lernte. Er blieb bis fast zur Tischzeit im Schlafrock und brach sein feierliches Schweigen, als er ein kleines Dejeuner nahm, nur mit den Worten: Ich bin begierig, wie der Minister den Doctor finden wird! Ottfried sollte nämlich heut auch dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten vorgestellt werden.

Die Verlobung sollte am Schluß eines größern Diners stattfinden, welches dem Anstand und dem speziellen Befehle des Vaters gemäß Frau von Büren zu diesem Zweck zu geben hatte. Auszuweichen war hier ganz unmöglich: Sidonie sollte in ihrem eigenen Innern der Ceremonie des Ringewechselns beiwohnen. Agathe kam in einfachem Festkleide – ihre Garderobe war ärmlich bedacht – eine Stunde vor der Mittagszeit. Der Vater sagte, sie könnte ihrer Schwester in den Anordnungen des Tisches noch behülflich sein, und Agathe, die zu dienen gewohnt war und selbst an ihrem Hochzeittage sich hätte entschließen können, ein Theebrett herumzureichen, Agathe ging gern. Sie erstaunte über die Aufregung, in der sie ihre Schwester traf. Sie hielt sie für krank oder für zerstreut. Eine Stimme sagte ihr, es wäre lieblos, sie an ihrem Freudentage heut so zu empfangen. Sidonie musterte Agathens Anzug von allen Seiten, zupfte und zerrte daran und fand ihre Haltung, ihr Benehmen unausstehlich. Es sitzt dir nichts und wenn du die schönsten Kleider hättest, sagte sie, und Agathe antwortete ruhig: Ich weiß es. Diese ruhige Antwort verletzte sie vollends; sie fand, daß dieser Freudenschimmer auf dem Antlitz der zum Dienen gebornen Schwester etwas Hochmüthiges hätte, sie fand das. Agathe erschrack, daß sie so etwas finden könne, und bat sie um schwesterliche Liebe. Darüber gerieth Sidonie in ein heftiges Weinen und erschreckte ihre arme Schwester, die Sidonie nie hatte weinen sehen, so sehr, daß sie selbst in Verzweiflung gerieth und um Alles in der Welt die Schwester nach ihrem Kummer fragte.

Sidonie faßte sich und wies sie mit Kälte von sich. Es hatte sie nur so der plötzliche Anblick übermannt. Sie hatte es nicht geglaubt, daß Ottfried, in zarter Rücksicht auf Agathen, es würde so weit kommen lassen. Seit einigen Tagen war er ausgeblieben. Der Vater hatte sie mit der Eröffnung seines Vorhabens überrascht. In der Meinung, Ottfried zu einem entscheidenden Entschluß zu treiben, hatte sie eingewilligt, daß die Verlobung im Kreise einiger Verwandten an ihrer Tafel stattfinden sollte. Ottfried ließ das zu, ließ sich nicht sehen, sie hielt es nicht für möglich, und nun war's, Agathe kam und die Feier war da, unwiderruflich da. Sie begriff sich nicht, nicht Ottfried, sie hätte können einen gewagten Streich unternehmen, und die Thränen, die sie weinte, waren nur die des Zornes und der glühendsten Eifersucht.

Agathe rief im Nebenzimmer: Was ist dir? Laß mich zu dir. Sie hatte hinter sich verriegelt, gab keine Antwort. Agathe hörte nicht auf zu bitten. Sie antwortete nicht. Endlich als auch Agathe eine Weile schwieg und immer wieder in ihrer guten zärtlichen Weise begann: Oeffne doch! Was ist dir nur? da faßte sie der Gedanke, wenn sie sich der Schwester entdeckte, und wie sie das noch dachte, hatte sie schon geöffnet und umklammerte Agathen mit fieberhafter Aufregung. Eine Meisterin des Ausdrucks, brauchte sie weniger Worte, um Agathen zu sagen, daß Ottfried sie nicht liebe, sie nie geliebt hätte.

Agathe wankte. Das hatte sie nicht erwartet. Dieser Dolchstich ging zu tief. Sidonie erzählte mit flammenden Worten, was sie in Ottfried gefunden hätte, und ließ sich fortreißen zu sagen: Agathe, prüfe dich doch selbst, ob deine Arme stark genug sind, einen Mann zu tragen, wie diesen! Ich rede von Ihm! Ich rede von Dir und Ihm! Wird deine Kraft ausreichen, ihm ein Leben zu schaffen, wie er es bedarf? In einer Abspannung seines Gemüthes ist er dir begegnet, er hat dein körperliches Leiden gesehen, es hat ihn gerührt, dich mit seinem freundschaftlichen Wohlwollen, das nur die Gestalt der Liebe annahm, emporzurichten. Hat dich, als du ihn wiedersahst, niemals diese majestätische Erscheinung erschreckt? Bist du nicht Staub geworden im Anblick eines Mannes, der mit seiner Liebe dich nur tödten kann? Ich nenn' es Vermessenheit, auf ein Wesen solcher Art Beschlag zu legen und von einer solchen blüthenreichen, lebenstrotzenden, anspruchsvollen Zukunft zu sagen: Sie ist mein!

Mit bebender Stimme, zum Tode verwundet von der geistreichen, schönen, aber lieblosen Schwester, sagte Agathe: Und hat dir Ottfried je gestanden, daß er mich nicht liebt?

Es gibt Geständnisse, sagte Sidonie, die der Worte nicht bedürfen.

Du kannst nicht sagen, fuhr Agathe, in ihrem Schmerz durch einen Schimmer von Freude sich steigernd, fort, du kannst nicht sagen, daß Ottfried dir je selbst gestanden, daß er mich nicht liebe?

Als Sidonie schwieg und zur Erde blickte, sammelte Agathe ihre matt zurückkehrenden Lebensgeister und sprach nach einem Moment, in dem sie Athem schöpfte, mit leiser, aber fester Stimme: Schwester, ich erkenne deinen hohen Geist, ich beuge mich vor ihm in Allem, in jedem – darin aber nicht, daß ich dem Besitze Ottfrieds entsagen sollte. Ich fühle, was du von meiner Unwürdigkeit, einen solchen Geliebten zu besitzen, sagst, nur zu tief: ich fühle, daß ich ihn mir nur durch meine Liebe erhalten kann; aber was kann mich berechtigen, von dieser meiner Liebe gering zu denken? Mit meinem Herzen kann ich so stark sein wie du mit deinem Geiste. Ich weiß nicht, Schwester, ob du bemerkt hast, daß ich ein armes Stiefkind des Lebens bin. Glaube mir, Schwester, daß ich angefangen habe, nicht mehr auf mein elendes Loos, das mir nur Zurücksetzung beschieden hat, so zufrieden herabzublicken. Der Glanz, einen Ottfried mein nennen zu dürfen, hat einen Schein in mein Lebensdunkel fallen lassen, der mir mehr erhellte, als nur meine Unwürdigkeit, ihn zu besitzen. Ich bin arm, freudenarm, ich bin eine Bettlerin, wo du Königin warst: und nun soll ich das Einzige geben, was mir der Himmel als Ersatz für meine Leiden sandte? Ich habe Alles für dich gethan, ich war im Stande, im Regen mich auf die Erde zu werfen, damit du trockenen Fußes über mich hinwegschreiten könntest; ich gehorche in Allem, was den Geist betrifft, deiner Einsicht und deinem Befehl; aber hier, in einer Frage des Herzens, gehorch' ich dir nicht. Hab' ich Ursache, das nicht zu nehmen, was mir Ottfried gibt? Er gibt mir seine Liebe, voll und rein. Nie zuckte ein Zweifel um seinen Mund, wenn er mich groß und rührend anblickte. Nie hat seine Zunge gestockt, wenn er von den wehmüthigen Erinnerungen an Schönlinde sprach. Gönne mir mein einziges, mein letztes Glück, Schwester, und nun – komm!

Der Bediente kündigte an, daß servirt wäre. Sidonie blickte starr durch die Fensterscheiben auf den Garten – es fiel der erste Schnee. Agathe stand noch eine Weile, wollte Sidoniens Hand ergreifen und sie küssen. Diese wies sie aber kalt zurück und Agathe ging zur Gesellschaft. Sidonie folgte, gemessen, mit Fassung.

Fast eine halbe Stunde war schon über die anberaumte Tischzeit verstrichen, die Gäste harrten, Wallmuth, der seine Rede im Kopf hatte, sprach, um sich nicht zu zerstreuen, sehr wenig. Nur Ottfried fehlte noch. Man zog die Uhr, fand dies Ausbleiben räthselhaft und brachte Sidonien, der ohnehin die Besinnung fehlte, in doppelte Verlegenheit. Endlich setzte man ein Mißverständniß voraus und beschloß zu Tisch zu gehen. Jetzt überraschte ein greller Zug an der Hausklingel die Gesellschaft. Agathen pochte das Herz. Das wird Ottfried sein! Er war es nicht, sondern sein Freund, der junge Graf Schönburgk. Dieser stürzte herauf und bat für die Störung tausendmal um Entschuldigung. In der Audienz, sagte er mit eiliger Hast, welche mein Freund heute beim Minister der auswärtigen Angelegenheiten hatte, überraschte er durch seine Kenntnisse in einem ihm vorgelegten Falle den Chef so außerordentlich, daß dieser ihm vorschlug, ihn augenblicklich zur Erledigung dieses Falles als Courier an unsern Gesandten in Wien zu schicken. Ottfried hat mit dieser Auszeichnung auf eine glänzende Art seine diplomatische Carriere begonnen. Eine Zögerung durfte nicht stattfinden, schon ist der neue Legationssecretair auf dem Wege nach Wien und wird unfehlbar in vierzehn Tagen wieder hier sein. Er beauftragt mich, ihn für die Störung des Diners zu entschuldigen und besonders den beiden holdseligen Schwestern seine gehorsamsten Empfehlungen zu Füßen zu legen.

Man bat den jungen Grafen zu bleiben. Er nahm es an und hatte Gelegenheit, den Eindruck seiner Mittheilung zu beobachten. Sidonie triumphirte, Agathe blickte sinnend nieder, der Vater schwankte zwischen dem Stolz, daß Ottfried so ehrenvoll seine Laufbahn geändert hatte, und dem Aerger, daß er seine vortreffliche, auf Rührung berechnete Rede stillschweigend in sich hinunterschlucken mußte. Ja, im Laufe des ausgezeichneten Diners kam ihm noch der glückliche Gedanke, seiner einstudirten Rede eine andere Wendung zu geben. Er besann sich, ob er das, was er von der Verlobung und Ehe sagen wollte, nicht auch auf den Staatsdienst und die Diplomatie anwenden könnte, und siehe da! es paßte. Er ergriff, mitten in der Heiterkeit, das Glas und brachte dem abwesenden jungen Diplomaten ein Hoch, das er mit mancherlei Wendungen von Lebensbahn – Ehe mit dem Staat – Obstbaumzucht des Schicksals – Ringe wechseln mit dem Gott Saturn, dem Herrn der Zeitläufte – Verlobung des Verstandes mit der Phantasie u. s. w. fein zu motiviren wußte. Gern hätt' er auch dem »selig herniederblickenden Geist der verklärten Mutter«, der in der Verlobungsrede den Schlußeffekt machen sollte, eine gezwungene Wendung auf die Courierreise nach Wien geben mögen, allein dies Wagniß auszuführen war selbst dem durch Champagner aufgeregten Humor nicht möglich. Der Trost, der aus den Trümmern einer verstümmelten Verlobungsrede emporstieg, gefiel darum nicht minder und erregte einen Sturm von Beifall und natürlich auch von Bewunderung für den sinnigen, bei jeder Gelegenheit taktfest »improvisirenden« Redner. – Agathen fiel eine Thräne in ihr Glas.


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