Karl Gutzkow
Der Königsleutnant
Karl Gutzkow

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Karl Gutzkow

Der Königsleutnant.

Lustspiel in vier Aufzügen.

Vorwort zur vierten Auflage.

Am 28. August 1849 wurde die hundertjährige Erinnerung an Goethes Geburt unter den ungünstigsten Verhältnissen gefeiert.

Man hätte glauben mögen, Klio, die Muse der Geschichte, wollte einen Dichter strafen, der z. B. 1830, als alle Welt vom Sturze der Bourbonen erfüllt war, in seinem Zimmer unruhig auf- und niedergehen und zum hereintretenden Ackermann, der ihn fragte: »Regen Sie die Pariser Nachrichten auch so auf?« sagen konnte: »Ja! Alles steht in Flammen! Geoffroy Saint-Hilaire und Cuvier sind in der Akademie aneinander geraten!« – – Ihm handelte es sich um die Wirbelsäulentheorie und die Intermaxillarknochen.

Die Wiener, Dresdener und badischen Aufstände waren 1849 besiegt, Bluturteile wurden vollzogen – es lag eine dumpfe, düstere Trauer über dem Vaterlande. Nirgends regte sich im Volk für Goethes hundertjährigen Geburtstag eine von Herzen kommende Teilnahme. Indessen – wäre Schiller im Jahre 1749 geboren gewesen, wer weiß, ob die Feier nicht ebenso dürftig ausgefallen wäre. Denn gerade der Schiller-Feier hätten die Regierungen im Jahre 1849 schwerlich eine besondere Entfaltung gestattet.

Das nachfolgende Drama sollte lediglich ein Festspiel für Frankfurt a. M., des Dichters Geburtsstätte, sein. Der Verfasser schrieb es dort in den Mai- und Junitagen 1849 – in aufgeregtester Stimmung. Tag für Tag zogen unter den Fenstern seiner Wohnung die Kanonen gegen den badischen Aufstand vorüber. Da sollte der behandelte Stoff dem bedrückten Herzen Ermutigung geben. In dem Ton, wie ich den alten Goethe auftreten lasse, findet sich dieser Druck wieder.

»Zur hundertjährigen Geburtsfeier Goethes,« sagte die Einleitung zur ersten Herausgabe, »wurde das nachfolgende kleine Zeit- und Sittenbild vom Verfasser als eine Festesspende dargebracht, bei welcher eine Stiefschwester der Musen, die Gelegenheit, die zögernde Dichtkunst mit Gewalt ergreifen, zur Arbeit ermuntern und der gute Zweck das aufgewandte Mittel entschuldigen mußte. Der säkulare Hinblick auf Goethes Geburt konnte vorzugsweise nur die Erinnerung an seine Jugend wecken. Wo ist eine Jugend lieblicher, wo vom Sonnenglanz der Erinnerung reizender umwoben dargestellt, als in »Wahrheit und Dichtung«? Dort liegt ein Kindesleben ausgebreitet wie ein großes schönes Märchenland, unergründlich tief und endlos weit, überwölbt vom Sonnenblau der Schönheit, ahnungsreich noch in seinen äußersten Grenzen. Wie dem Kinde das Jahrhundert erschien, wie es Goethe, der Jüngling und Mann, dann selbst ummodeln half, das liegt in diesen Jugendbekenntnissen mit treuen Umrissen vor- und nachgezeichnet. An diese Quelle nur konnte man sich in jenen Festtagen begeben und aus ihr mit um so größerer Erquickung schöpfen, als die schwere Zeit des Sommers 1849 mit dunklen Wolken verstimmend und erschlaffend auf den Gemütern lastete.«

»Ein aus »Wahrheit und Dichtung« entnommenes Festspiel bot Schwierigkeiten. Der dramatischen Elemente in diesen heitern Erinnerungen gibt es an sich viele. Die Liebe Wolfgangs zu dem einfachen Bürgermädchen Gretchen, ein dadurch hervorgerufener Zwiespalt mit den Eltern, die Gefahr, durch zwei leichtsinnige Verwandte der Angebeteten, die als Wechselfälscher Wolfgangs Ruf gefährdeten, in Untersuchung zu kommen, die Entdeckung eines weitverzweigten Betrugs, Wolfgangs Trauer gerade zur Zeit der Kaiserkrönung, seine schon damals sich zeigende Apathie bei einem öffentlichen, alle Welt ergreifenden Vorgang – kaum kann man sich des Dranges erwehren, diese in die Hand gegebenen Fäden zu verknüpfen. Dennoch schreckte hier die Sentimentalität des Stoffes ab. Dann empfahl sich Goethe in Sesenheim. Aber hier ist der Dichter schon ein reifer Jüngling und weckt nicht die hundertjährige Erinnerung eben an seine Wiege. So drängte sich eine andere Verknüpfung von Szenen auf, die sich auf die Zeit der französischen Okkupation Frankfurts und des Vaters feindseligen Zusammenstoß mit dem bei ihm einquartierten Gouverneur der Stadt bezogen. Die Elemente des vorliegenden Scherzes finden sich im dritten Buch von »Wahrheit und Dichtung« wieder. Thorane, Alcidor, St.-Jean, selbst Mittler sind dort, wenn nicht vollständig, doch andeutungsweise so gegeben, wie sie in unserm Stück auftreten. Alcidor ist jener Derones, in dessen Schwester sich der so jung schon liebereiche Wolfgang in der Tat verliebt hatte und bei welcher er wirklich jenes Bild, wie sich ebenso ein ähnliches bei Thorane befand, antraf, ein Bild, das ihm von den gewürfelten fremden Abenteurern mit romantischen Anspielungen erklärt wurde, wodurch es dem Knaben freilich wieder um so dunkler bleiben mochte. Thorane übertritt seine eigenen Duellgesetze. Zu einem für einen Generalauditeur der Armee doppelt leichtsinnigen Schritt konnte er sich wohl nur aus Gründen hinreißen lassen, die tief mit der von Goethe gegebenen Schilderung seines wunderlichen, tragikomischen Charakters zusammenhingen. Fragmente duldet die Bühne nicht. Eine Verknüpfung dieser faktischen Fäden mußte auf gut Glück versucht werden. Es mußte ein so strikter Zusammenhang entweder herausgefühlt oder den Einzelheiten aufgedrängt werden, daß alle Fäden zu einem Gewebe zusammenschossen. Dies Geschäft war in solchem Grade schwierig, daß Kritiker, die in ihrer Lese-Behaglichkeit nur fremdes Mühen und Schaffen einzuregistrieren und zu verurteilen haben, wohl hätten die Sorge mit in Anschlag bringen können, wie diese von Goethe gegebenen Materialien zu verbinden und zum möglichst wahrscheinlichen Zusammenhang zu verquicken waren.«

»Goethe sagt von sich selbst, er wäre, noch sehr jung, schon in die verworrensten Familienverhältnisse eingeweiht und verwickelt gewesen. Was ihn uns schon frühe so groß gemacht, was ihn bildete, war die Welt. Diese war seine eigentliche Schule, das Leben selbst der Spiegel, in dem er zuerst sein geistiges Bild erblickte. So, dacht' ich, konnte mir die gewagte Voraussetzung seiner Teilnahme an dem hier dargestellten Vorgang hingehen. Daß dies an sich harmlos, ohne Prätendierung der künftigen Bedeutsamkeit, ohne gesuchte Verherrlichung geschah, glaubt' ich dem naivsten Genius von der Welt schuldig zu sein und von ihm selbst wohl am ehesten verziehen zu erhalten. Verbietet ohnehin die Oekonomie eines Dramas, sich bei Ausmalungen, die außerhalb der Motive des Stoffs liegen, allzu lange aufzuhalten, so war denn auch ohne Zweifel der Knabe Goethe nicht sofort mit den schon vorweggenommenen vollen Attributen seiner künftigen Herrlichkeit beschäftigt. Dies – gewissen Berliner Nasenrümpfern auf die Frage: Ist denn hier auch ein würdiger Goethe zu finden?«

»Eine traurige Erfahrung, die ich bei diesem Gelegenheitsstück über die Bildungsgrundlage der deutschen Bühne machte, darf nicht übergangen werden. Die französische Einquartierung bedingte das Auftretenlassen von Franzosen. In dieser schwierigen Lage half ich mir teils durch Elsässer, teils durch den Ausweg, die Hauptperson à la Riccaut de la Marlinière einzuführen. Auch Wolfgang mußte französisch verstehen und außerdem noch zwei Nebenfiguren. Wieviel Theater glaubt man nun wohl, die in Deutschland vorhanden waren, um eine junge Liebhaberin, zwei Liebhaber und einen Helden mit so viel Französisch auszuweisen, daß sie diese Rollen übernahmen? Von den fünfzig deutschen Bühnen kaum zehn! Bei einigen der größten Hoftheater war unbedingt kein älterer Liebhaber oder Charakterspieler (oft der Herr Regisseur selbst nicht) zu finden, der für den Thorane hätte eintreten können.«

»Sollten indessen seit zwei Jahren einige dieser Herren, die damals ihrer Schulbildung ein Armutszeugnis gaben, die allerdings gemessenen Stunden, die ihnen ihr schweres Amt, ihr unablässiges Studium, die große Zahl der in Deutschland üblichen Proben und das pflichtschuldige Antichambrierenmüssen bei ihrem Intendanten übriglassen, dazu verwendet haben, französisch zu lernen, so wollt' ich bemerkt haben, daß Graf Thorane seine Versuche in der deutschen Sprache nicht gezogen, nicht gedehnt vorzutragen hat, sondern in der allerdings ihm zu vergebenden Einbildung, sich für einen geläufig deutsch redenden Kosmopoliten halten zu dürfen. Eine Eselsbrücke für schwache Gedächtnisse ist diese Rolle nicht. Nur mit Feuer, polternd, hinreißend geläufig vorgetragen, kann sie von Wirkung sein.«

Diesen im Jahre 1850 geschriebenen Worten muß der Verfasser hinzufügen, daß die Schicksale seines. »Königsleutnant« dramatischen Autoren zu mannigfacher Ermunterung und Beruhigung dienen dürfen. Die Generationen an den Bühnen ändern sich von sieben zu sieben Jahren. Die, welche heute die letzten sind, sind in sieben Jahren die ersten. Was heute abgewiesen wird, macht sich vielleicht in Zukunft.

Wenigstens geschah es hier, daß sich ein anfangs wenig beachtetes, am Monopol der Regisseure und der Rollenfächer scheiterndes Stück mit der Zeit auf fast allen Repertoiren einbürgerte. Lußberger, Dawison, Haase u. a. haben den Deutsch-Franzosen Thorane mit Vorliebe und mit bekannten Erfolgen gespielt. Mancher Andere nach ihnen rückte gleichfalls aus den Reihen seines sonstigen Rollenfachs hervor und machte versuchs- und ausnahmsweise möglich, was nach gewöhnlichem Sternenlauf und Schicksal unmöglich schien. Jenem zu früh geschiedenen Jakob Lußberger, einem innerhalb der allerdings engen Grenzen seines Vermögens ganz ausgezeichneten Darsteller, dankt der Verfasser die nützliche Verbesserung der Zusammenziehung des Stücks aus fünf Akten in vier.

Die Überarbeitung, wie sie jetzt vorliegt, hat den Motivierungen nachgeholfen und dem Dialog die unvermittelten Übergänge genommen, die zurückzubleiben pflegen, wenn für die übliche Darstellungszeit von 150 Minuten ein erster Entwurf gekürzt werden muß. Darum hat aber die vorliegende Fassung doch keineswegs Zusätze erhalten, die besorgen lassen könnten, daß sie die Dauer der Vorstellung ungebührlich verlängern. Als eine wahre Barbarei bei den Aufführungen des Stücks ist noch die Art zu bezeichnen. wie sich die meisten Thorane-Darsteller ihre »Abgänge« zurecht machen. Um den Applaus, den Hervorruf nicht aufs Spiel zu setzen, schneiden sie ohne weiteres alles weg, was hinter ihren Abgängen noch gesprochen werden muß, die Worte des Rats, der Mutter, Wolfgangs, so daß einem aufmerksamen Ohr jedesmal mit dem Fallen des Vorhangs etwas fehlen wird, was zur Abrundung und Kompletierung des Gedankenganges unumgänglich notwendig ist. Der Regisseur eines großen Hoftheaters sagte dem Verfasser auf eine diesen Punkt anregende Rüge: »Verstimmen Sie doch den Darsteller nicht, lassen Sie's ihn machen, wie es ihm zuträglicher scheint!« Da bleibt dem Autor nichts übrig als: Dixi et animam salvavi.

Der nachstehende, hier zum erstenmal gedruckte Prolog ging der ersten Vorstellung des Königsleutnant in Frankfurt am Main, den der verstorbene Schauspieler Breuer spielte, voraus. Er wurde von H. Schneider gesprochen. Zum Verständnis desselben muß bemerkt werden. daß am Tage darauf Iphigenie gegeben wurde.

Personen

    Graf Thorane, französischer General.

Althof, sein Adjutant.

Rat Goethe.

Frau Rat Goethe.

Wolfgang, ihr Sohn.

Mittler, ein pensionierter Professor.

Seekatz, Maler aus Darmstadt.

Frau Seekatz, seine Frau.

Alcidor, ein französischer Schauspieler.

Belinde, eine französische Schauspielerin.

Hirth, Schütz, Junker und Trautmann,
Frankfurter Maler.

Mack, Sergeantmajor.

Gretel, Dienstmagd im Goetheschen Hause.

Französische Offiziere und Ordonnanzen.

Schauplatz: Frankfurt am Main. Zeit: Der siebenjährige Krieg.

Prolog
Erster Aufzug Zweiter Aufzug
Dritter Aufzug Vierter Aufzug

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