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Wer klagen will, daß in dem Reich des Schönen
Nur ewig lebt das Werk, nicht dessen Schöpfer,
Der trete morgen in den Schattenhain,
Wo »Iphigenie« opfert und entfernt
Von ihrer Heimat, von der Eltern Liebe
Die Tage des entschwundnen Glücks beweint!
Heut' ist noch nicht erwacht der Trennung Schmerz,
Dem Genius nicht das Lebewohl gesprochen,
Erloschen nicht die Flamme in dem Haupt
Des großen Dichters – heute lebt er, uns
Zur Freude! Denn in stiller Sommernacht,
Im Sternenzwielicht rief verkündigend
Um diese Stunde heut' vor hundert Jahren
Ein Genienchor: Auf, auf, Ihr Schlummernden!
Wenn ihr erwacht. ist Euch ein Heil geboren!
Ein Heil des Geistes! Eine Offenbarung,
Die sich entrungen von dem ew'gen Lichte
Mit Blitzen, die den Geist entzündeten,
Mit Flammen, die das Herz durchloderten;
Ein Dichterfürst, beherrschend alle Lande,
Gebietend seiner Zeit und künftiger!
Das Göttliche verehrte sie in ihm
Nach irdischer Bedingung, weil er riesig
In festen Erdenwurzeln stand, nie anders
Von sich gewollt, als nur: Ich bin ein Mensch!
Zum Fest der Freude durfte wohl sich ziemen
Ein frohes Spiel. Die deutsche Bühne schliff
Uns Goethe ja zu einem Lebensspiegel.
Sie muß vor allen heute jugendlich
Sich schmücken, muß vom wandelbaren Schimmer,
In dem sie prangt, die bunt'sten Farben wählen
Und nicht uns zeigen, wie das Große ging,
Nein, wie es kam und wie es groß geworden!
Ein günstiges Geschick, das Euch beschieden,
Die Ihr versammelt seid in diesen Räumen!
Ihr wißt es, wo des Dichters Wiege stand,
Ihr wißt es, wo sein muntres Augenpaar
Zum erstenmal das Sonnenlicht begrüßte!
Denn Goethes Wiege stand bei Euch! Auf Frankfurts
Geheiligtes Gemäuer blickt bewundernd
Im überall empfundenen Augenblick
Das ganze Vaterland und rühmt die Stadt,
Die eben jetzt den Hermelin der Kaiser,
Den sie um ird'sche Könige einst warf,
Nicht in der Hand behielt, verschmäht, mißachtet,
Nein, einem Höhern deckte sie die Schulter,
Dem Dichterkaiser, dessen Thron nicht wankt,
Um dessen Glanz die Völker sich nicht streiten! –
Doch flieht hinweg, ihr bangenden Gefühle,
Von dem, was lastend auf den Zeiten ruht!
Bleib' im Vergangenen, Erinnerung,
Verknüpfe über Wiesensteg und Gärten,
Was dich erhebt! Halt' alte Zeiten fest!
Schlag' mit uns auf das liebe Buch:
»Wahrheit und Dichtung«, Goethes Jugendzeit!
Ihr habt – es täuscht mich nicht! – in dieses Buch
So manches Rosenblättchen eingelegt,
Vergißmeinnicht nach Eurer eignen Kindheit!
Da sind die lieben Plätze, wo dem Dichter
Ihr folgtet, traumbeseligt, lusterfüllt,
Verloren in Natur und Lieb' und Freundschaft.
Vergebt! Der Autor, der es wagt, aus seinem
Und seiner Kunstgenossen Mund zu sprechen,
Versuchte, was in Goethes Jugendzeit
Sich nicht zu zart der Hand des Szenenbildners
Für unsre etwas derbe Kunst entzog,
Sich einzufangen, sinnig zu gestalten,
Zu Kränzen zu verbinden, dessen ersten
Als Festesgruß er vor Euch niederlegt!
Er zeigt Euch den, den Ihr verehrt, als Knaben!
Zeigt Euch im Keim schon jene Wechselwirkung
Im Geist des Dichters, Eignes und die Fremde!
Vor hundert Jahren langte Wolfgang sich
Vom reich'ren Tisch der Franken und der Briten
Die Kost, die ihm auf deutscher Tafel damals,
Am Eichentisch des guten Vaterlandes,
Nicht munden konnte. Pedantismus, Zopf,
Beschränkte Regel hätt' ihn nie ermuntert
Die Schwungkraft seiner Flügel zu erproben,
Wenn nicht ein günstiges Geschick ihn früh
Bei Frankreichs Söhnen hätte eingeführt,
Ihm dort die Muse zeigend, wie sie damals
Im leichtgeschürzten Modekleide ging.
Dies Bild: Der junge Goethe in der Schule
Des fränkischen Geschmacks! entrolle sich
Vor Euerm Blick, und bleibt Ihr wohlgesinnt
Und zugetan den Scherzen dieses Abends,
So heimelt sich vielleicht ein zweites einst
In deutsch'rem Rahmen Euerm Urteil an:
Der deutsche Goethe, den die Kaiserkrönung
Erst inniger auf unser gutes Volk,
Auf alte Lieder, alte Kriegsgeschichten,
Die Sag' und jene Minne wies, die Wolfgang
Im Überstrom erwachender Gefühle
An Gretchen fesselte, das junge Herz!
Wohlan! Der Schauplatz ist nicht weit von hier!
Hirschgraben rechter Hand das zweite Haus!
Und sah' es drinnen bunt und regellos
Und manchmal beinahe gar unglaublich aus –
So denkt, ein Dichterdasein ist ein Schloß,
Ein zaubervolles, wo im bunten Troß
Was nie geahnt durch Tür und Angel schlüpft,
Die Geisterwelt frei auf und nieder hüpft,
Die wüsten Träume, tollsten Lustgestalten
Einkehren, Stand den offnen Sinnen halten!
Es sei von trüben und von frohen Stunden
In unserm Spiel – ein Echo Euch gefunden! |